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158_StadtBILD_September_2016

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Vorwort<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

es gab mal ein Lied, das ich vor fast 80 Jahren in der<br />

Familie hörte: „Da streiten sich die Leut herum wohl um<br />

den Wert des Glücks. Der eine heißt den andern dumm,<br />

am End hat keiner nix.‘‘ Du liebe Güte, da habe ich doch<br />

mit meinen Erinnerungsbeiträgen über die hiesige „Schlesienwelle‘‘<br />

vor 25 Jahren die wackeren, inzwischen hochbetagten<br />

„unteilbaren Oberlausitzer‘‘ ganz gegen meine<br />

Absicht aufgescheucht. Mit ihrem alten Schlachtruf „Görlitz<br />

war nie schlesisch‘‘ bedachten sie mich mit pöbelnden<br />

oder belehrenden Briefen, obwohl das für die jüngeren<br />

Generationen kein Thema mehr ist. Von Geburt bin ich<br />

weder Oberlausitzer noch Schlesier. Der Großteil meiner<br />

Familie lebt in Berlin oder Umgebung seit der Vertreibung<br />

aus unserer Heimat östlich der Oder in der Neumark. Ich<br />

kam vor nun genau 70 Jahren nach Görlitz, der Geburtsstadt<br />

meines 1941 verstorbenen Vaters, und bin dem<br />

neuen Zuhause seitdem treu geblieben. Mit Führungen,<br />

Ausstellungen, Vorträgen und Veröffentlichungen war ich<br />

darum bemüht, den Hiesigen ihre großartige Geschichte<br />

nahezubringen, damit sie begreifen, was sie ihren fleißigen<br />

Vorfahren und ihren tatbereiten Enkeln schuldig sind.<br />

Immer wieder und bis heute gab es „von oben‘‘ starre<br />

ideologische Wertungsvorschriften für diese Vermittlung<br />

von Regionalgeschichte, die an der Lebenswirklichkeit<br />

vorbei gingen. Was Görlitz und Schlesien betrifft, glaubt<br />

man ernstlich, am Flüßchen Queise habe die gegenseitige<br />

Beziehung aufgehört. Aber überall in Grenzbereichen,<br />

etwa zu Dänemark oder Elsaß-Lothringen, sind die wechselseitigen<br />

Beziehungen fließend und halten sich nicht<br />

an einen Strich auf der Landkarte. In Görlitz waren eben<br />

Wirtschaft, Verwaltung, Bildung, Militär, Brauchtum stark<br />

schlesisch geprägt über mehrere Jahrhunderte hinweg.<br />

Da wollten mir die Briefschreiber gar weismachen, den<br />

Begriff „Niederschlesien‘‘ hätten die Nazis erfunden,<br />

um ihren Gau so zu benennen. Ach ja, erst vor wenigen<br />

Tagen fand ich zufällig im Programmheft der Zeppelinlandung<br />

1930 eine ganzseitige Anzeige, in der sich<br />

das Karstadt-Kaufhaus am Demianiplatz „das führende<br />

Warenhaus Niederschlesiens‘‘ (mit Unterstreichung und<br />

Ausrufezeichen) nannte. Und wer weiß schon noch, dass<br />

sich seit der Kaiserzeit das Görlitzer Blatt der Nationalliberalen<br />

„Niederschlesische Zeitung‘‘ nannte, vollständig<br />

erhalten in der Oberlausitzischen Bibliothek? Oder daß<br />

sich die 1932 gegründete NSDAP- Tageszeitung in Görlitz<br />

„Oberlausitzer Frühpost‘‘ (ab 1933 bis 1945 „Oberlausitzer<br />

Tagespost“) nannte? Man schickte mir sogar dicke<br />

Umschläge mit Dokumentkopien, unterstellte mir also<br />

Unkenntnis, ohne zu bedenken, dass ich 40 Jahre lang im<br />

städtischen Dienst arbeitete, in der damaligen Struktur<br />

Museum, Ratsarchiv und Oberlausitzische Bibliothek eng<br />

verzahnt, so daß ich wie nur wenige Mitbürger fast täglich<br />

Originaldokumente zur Stadt- und Regionalgeschichte<br />

vor Augen hatte. Es ist heute unaufschiebbar geworden,<br />

dass die kleinstaatlichen Geplänkel zwischen Franken und<br />

Bayern, Sachsen und Brandenburg, Niedersachsen und<br />

Thüringen ein Ende nehmen. Ostpreußen und Schlesien<br />

sind mit ihrer Geschichte, Mundart und Liebenswürdigkeit<br />

schon fast vergessen. Heute geht es um mehr. Fast<br />

täglich gibt es von Spitzenpolitikern oder Presseleuten<br />

Schelte für alle, die sich für nationale Belange einsetzen,<br />

die deutsche Sprache, Geschichte und Identität verteidigen.<br />

Erst kürzlich mißbrauchte in der Gedenkfeier für<br />

die Verschwörer des 20. Juli 1944 eine Pflichtrednerin<br />

ihren Auftritt, alle Vertreter nationaler Interessen zu<br />

schmähen und ins politische Abseits zu stellen. In ihrer<br />

Unbedarftheit wusste sie gewiss nicht, dass Claus von<br />

Stauffenberg der Überlieferung nach Sekunden vor der<br />

tödlichen Erschießungssalve ausrief: „Es lebe das heilige<br />

Deutschland!‘‘ Streitigkeiten zwischen deutschen Landesteilen<br />

oder innerhalb von Oppositionsparteien nützen nur<br />

dem internationalen Großkapital und dessen Kriegsplanern.<br />

Vorrang hat jetzt unser gemeinsamer Einsatz für<br />

ein unabhängiges, starkes Deutschland, wie das auch<br />

unsere Nachbarstaaten für ihre Völker einfordern. In Bertolt<br />

Brechts Kinderhymne heißt es ja, nach wie vor gültig:<br />

„Anmut sparet nicht noch Mühe, Leidenschaft nicht<br />

noch Verstand, dass ein gutes Deutschland blühe wie ein<br />

andres gutes Land … Und weil wir dies Land verbessern,<br />

lieben und beschirmen wir‘s, und das liebste mag‘s uns<br />

scheinen so wie andern Völkern ihrs.‘‘<br />

Einen sonnigen Herbstbeginn wünscht Ihr<br />

Ernst Kretzschmar<br />

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Einleitung<br />

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