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Irene Dingel: Die Reformation in Gestaltungen und Wirkungen (Leseprobe)

Die von der Reformation ausgehenden Impulse veränderten nicht nur Kirche und Frömmigkeit, sondern auch die Strukturen der Gesellschaft sowie die rechtlichen und politischen Dimensionen der damaligen Lebenswelt. Die hier versammelten Beiträge, die zum überwiegenden Teil aus den Themenjahren der Reformationsdekade hervorgegangen sind, veranschaulichen das gestaltende und nachhaltig wirkende Potenzial der Reformation. Sie spannen einen weiten Bogen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts und eröffnen Perspektiven auf die frühe Verbreitung reformatorischer Inhalte, auf Formen von Frömmigkeit und katechetischer Unterweisung sowie auf rechtliche Neuordnung in politisch motivierten Religionsfriedensregelungen einerseits und kirchlich ausgerichteter Union andererseits.

Die von der Reformation ausgehenden Impulse veränderten nicht nur Kirche und Frömmigkeit, sondern auch die Strukturen der Gesellschaft sowie die rechtlichen und politischen Dimensionen der damaligen Lebenswelt. Die hier versammelten Beiträge, die zum überwiegenden Teil aus den Themenjahren der Reformationsdekade hervorgegangen sind, veranschaulichen das gestaltende und nachhaltig wirkende Potenzial der Reformation. Sie spannen einen weiten Bogen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts und eröffnen Perspektiven auf die frühe Verbreitung reformatorischer Inhalte, auf Formen von Frömmigkeit und katechetischer Unterweisung sowie auf rechtliche Neuordnung in politisch motivierten Religionsfriedensregelungen einerseits und kirchlich ausgerichteter Union andererseits.

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Im Umbruch der Zeiten 17<br />

<strong>Die</strong> <strong>Reformation</strong> hatte also manche Kritikpunkte <strong>und</strong> Erneuerungsansätze<br />

mit spätmittelalterlichen Reformbewegungen geme<strong>in</strong>sam; auch Elemente persönlicher<br />

Frömmigkeit, wie sie die Mystik vorgeprägt hatte, setzen sich <strong>in</strong> der<br />

<strong>Reformation</strong> fort. 4 Dennoch fußt die <strong>Reformation</strong> auf gr<strong>und</strong>legenden Neuansätzen.<br />

Sie wurden befördert durch e<strong>in</strong>en veränderten Umgang mit der Heiligen<br />

Schrift, durch die Kritik an herrschenden Autoritätsstrukturen, durch die massenhafte<br />

Verbreitung reformatorischer Ideen mit Hilfe neuer Medien <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e<br />

wirkmächtige Rezeption <strong>in</strong> allen gesellschaftlichen Schichten. <strong>Die</strong>s löste solch<br />

tiefgreifende Veränderungen sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum<br />

aus, dass man der <strong>Reformation</strong> im Rückblick zu Recht e<strong>in</strong>e »epochale« Bedeutung<br />

beimisst <strong>und</strong> mit ihr die Frühe Neuzeit beg<strong>in</strong>nen sieht. Als ausschlaggebendes<br />

Datum dafür gilt das Jahr 1517, <strong>in</strong>dem Mart<strong>in</strong> Luther se<strong>in</strong>e 95 Thesen veröffentlichte.<br />

Denn sie setzten nicht nurdas Nachdenken über zentrale theologische<br />

Fragen <strong>in</strong> Gang, sondern verstärkten vor allem den Ruf nach Erneuerung von<br />

Kirche <strong>und</strong> Gesellschaft, befördert durch die rasante Verbreitung, die der Inhalt<br />

der Thesen <strong>und</strong> nachfolgende Schriften des Reformators durch den Buchdruck<br />

erfuhren. Dem standen weiterereformatorische Ansätze <strong>in</strong> Europa zur Seite, die<br />

mit den Impulsen, die um 1517von Wittenberg ausg<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong> Interaktion traten. 5<br />

Ausschlaggebend für die Distanzierung von der überkommenen Tradition<br />

<strong>und</strong> charakteristisch für die <strong>Reformation</strong> war ihre konsequente Orientierung an<br />

vier Kriterien, diesich unter den Schlagworten »sola scriptura«, »solus Christus«,<br />

»sola gratia« <strong>und</strong> »sola fide« zusammenfassen lassen. Selbst wenn es die Reformatoren<br />

– Luther ebenso wie Zw<strong>in</strong>gli, Bucer oder Calv<strong>in</strong> – nicht explizit formulierten,solagen<br />

diese Kriterien ihrer Lehre<strong>und</strong> ihrer Position im politischen<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlichen Mite<strong>in</strong>ander normgebend zugr<strong>und</strong>e. <strong>Die</strong>s hatte natürlich<br />

<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Auswirkungen auf die kirchliche Verkündigung <strong>und</strong> die <strong>in</strong>dividuelle<br />

Frömmigkeit. Aber auch die Strukturen <strong>und</strong> Verantwortungsbereiche von<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> Politik waren von den reformatorischen Positionen betroffen,<br />

wie wir später noch sehen werden. Zugleich g<strong>in</strong>g mit der Verbreitung der <strong>Reformation</strong><br />

die verme<strong>in</strong>tliche religiöse E<strong>in</strong>heit Europas <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en christlichen<br />

Kirche endgültig verloren. Langfristig entstanden die bis heute existierenden<br />

großen christlichen Konfessionen. Das war e<strong>in</strong> Prozess, der oft mit Staatsbildungsprozessen<br />

sowie mit gesellschaftlichen <strong>und</strong> kulturellen Transformationen<br />

verb<strong>und</strong>en war. 6<br />

<strong>Die</strong> <strong>Reformation</strong> war also e<strong>in</strong> <strong>in</strong>sgesamt äußerst komplexes Geschehen, bei<br />

dem zahlreiche Faktoren zusammenwirkten; e<strong>in</strong> Geschehen, das se<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong><br />

4<br />

Vgl. dazu <strong>in</strong>sgesamt Volker Lepp<strong>in</strong>, <strong>Die</strong> fremde <strong>Reformation</strong>. Luthers mystische Wurzeln,<br />

München 2016.<br />

5<br />

Vgl. dazu <strong>in</strong>sgesamt <strong>Irene</strong> <strong>D<strong>in</strong>gel</strong>, <strong>Reformation</strong>. Zentren – Akteure – Ereignisse, Gött<strong>in</strong>gen<br />

2016.<br />

6<br />

Vgl. <strong>D<strong>in</strong>gel</strong>, <strong>Reformation</strong> (s. Anm. 5), 10–12.

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