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Irene Dingel: Die Reformation in Gestaltungen und Wirkungen (Leseprobe)

Die von der Reformation ausgehenden Impulse veränderten nicht nur Kirche und Frömmigkeit, sondern auch die Strukturen der Gesellschaft sowie die rechtlichen und politischen Dimensionen der damaligen Lebenswelt. Die hier versammelten Beiträge, die zum überwiegenden Teil aus den Themenjahren der Reformationsdekade hervorgegangen sind, veranschaulichen das gestaltende und nachhaltig wirkende Potenzial der Reformation. Sie spannen einen weiten Bogen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts und eröffnen Perspektiven auf die frühe Verbreitung reformatorischer Inhalte, auf Formen von Frömmigkeit und katechetischer Unterweisung sowie auf rechtliche Neuordnung in politisch motivierten Religionsfriedensregelungen einerseits und kirchlich ausgerichteter Union andererseits.

Die von der Reformation ausgehenden Impulse veränderten nicht nur Kirche und Frömmigkeit, sondern auch die Strukturen der Gesellschaft sowie die rechtlichen und politischen Dimensionen der damaligen Lebenswelt. Die hier versammelten Beiträge, die zum überwiegenden Teil aus den Themenjahren der Reformationsdekade hervorgegangen sind, veranschaulichen das gestaltende und nachhaltig wirkende Potenzial der Reformation. Sie spannen einen weiten Bogen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts und eröffnen Perspektiven auf die frühe Verbreitung reformatorischer Inhalte, auf Formen von Frömmigkeit und katechetischer Unterweisung sowie auf rechtliche Neuordnung in politisch motivierten Religionsfriedensregelungen einerseits und kirchlich ausgerichteter Union andererseits.

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1520 als Entscheidungsjahr der <strong>Reformation</strong> 35<br />

er Zeit se<strong>in</strong>es Lebens nicht mehr revidierte, allenfalls variierte <strong>und</strong> je nach<br />

Kontext besonders akzentuierte. Das Jahr 1520 war auch deshalb e<strong>in</strong>e Schnittstelle,<br />

weil sich die Ereignisse r<strong>und</strong> um Luthers Person zuspitzten. Nachdem<br />

der Inhalt der 95 Thesen durch Abschriften, Nachdrucke <strong>und</strong> Übersetzungen<br />

rasche <strong>und</strong> weiträumige Verbreitung erfahrenhatte,hatte der Dom<strong>in</strong>ikanerorden<br />

schon im März 1518 <strong>in</strong> Rom Anklage wegen Ketzerei gegen den aufmüpfigen<br />

Wittenberger Professor erhoben. Luther, der se<strong>in</strong>e Ideen zunächst weiterh<strong>in</strong><br />

vornehmlich im gelehrten, akademischen Milieu zur Diskussion stellte, bee<strong>in</strong>druckte<br />

dies nur wenig, denn auf der Heidelberger Disputation vom April 1518<br />

entfaltete er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en theologischen Thesen erstmals se<strong>in</strong>e »theologia crucis«,<br />

d. h. e<strong>in</strong>e Kreuzestheologie, die die dem Menschen begegnende NiedrigkeitGottes<br />

im Gekreuzigten <strong>in</strong> den Mittelpunkt stellte. 4 Gleichzeitig kam der kirchenrechtliche<br />

Prozess gegen Luther <strong>in</strong> Gang. Im Oktober 1518 wurde er zu e<strong>in</strong>em<br />

Verhör durch den päpstlichen Legaten <strong>und</strong> Kard<strong>in</strong>al Thomas de Vio aus Gaeta,<br />

genannt Cajetan, vorgeladen. <strong>Die</strong>ses Verhör fand <strong>in</strong> Augsburg statt, am Rande des<br />

dort tagenden bzw. gerade zu Ende gegangenen Reichstags. Cajetan war der<br />

gelehrteste Dom<strong>in</strong>ikaner se<strong>in</strong>er Zeit, <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Vollmachten waren weitreichend.<br />

E<strong>in</strong> päpstliches Breve vom 23. August 1518 hatte ihn ermächtigt, Luther, der als<br />

»haereticus declaratus« galt, ebenso wie se<strong>in</strong>e Anhänger mit dem Bann zu belegen<br />

<strong>und</strong> ihn unverzüglich zu fassen, gegebenenfalls mit Hilfe weltlicher Gewalt.<br />

Zugleich hatte er die Vollmacht, den Wittenberger aber auch wieder <strong>in</strong> die Kirchengeme<strong>in</strong>schaft<br />

aufzunehmen, falls dieser im Zuge des Verhörs Reue zeigen<br />

würde. <strong>Die</strong> Begegnung zwischen beiden aber verlief ergebnislos: Luther widerrief<br />

se<strong>in</strong>e Lehren nicht <strong>und</strong> bereute auch nicht. 5 Im Gegenteil: Auf der Leipziger<br />

Disputation von 1519, die ihn als Gegner des Ingolstädter Professors Johannes<br />

Eck auftreten ließ, stellte er nun sogar die Struktur der gesamten Kirche<strong>in</strong>Frage.<br />

<strong>Die</strong>s betraf die hierarchische Ämterstruktur ebenso wie den Primat des Papsttums,<br />

die Autorität der Konzilien <strong>und</strong> die Ableitung all dessen aus angeblich<br />

göttlichem Recht. 6 Ke<strong>in</strong> W<strong>und</strong>er, dass Eck die Wiederaufnahme des römischen<br />

Ketzerprozesses – der Causa Lutheri – betrieb, der durch die Kaiserwahl nach<br />

dem TodMaximilians I. Anfang 1519 <strong>in</strong>s Stocken geraten war. Erst im Januar<br />

4<br />

Vgl. dazu GerhardO.Forde,OnBe<strong>in</strong>g aTheologian of the Cross. Reflections on Luther’s<br />

Heidelberg Disputation, 1518, Grand Rapids 1997.<br />

5<br />

Zu Cajetan, vgl. Marcel Nieden,Organum Deitatis. <strong>Die</strong> Christologie des Thomas de Vio<br />

Cajetan, SMRT 62, Leiden 1997, <strong>und</strong> Gerhard Hennig, Cajetan <strong>und</strong> Luther. E<strong>in</strong> historischer<br />

Beitrag zur Begegnung von Thomismus <strong>und</strong> <strong>Reformation</strong>, AzTh.R.2 7, Stuttgart 1966.<br />

6<br />

Vgl. Markus He<strong>in</strong>/Arm<strong>in</strong> Kohnle (Hrsg.), <strong>Die</strong> Leipziger Disputation von 1519. E<strong>in</strong><br />

theologisches Streitgespräch <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Bedeutung für die frühe <strong>Reformation</strong>, HerChr.S 25,<br />

Leipzig 2019; Mickey L. Mattox/Richard J.Ser<strong>in</strong>a/Jonathan Mumme (Hrsg.), Luther at<br />

Leipzig. Mart<strong>in</strong> Luther, the Leipzig debate, and the sixteenth-century <strong>Reformation</strong>s, SMRT<br />

218, Leiden 2019.

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