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Jochen Schuster • Christoph Gajda<br />
<strong>Band</strong> 7<br />
Die Schweißeignung historischer<br />
Eisenwerkstoffe, ihre Prüfung und Bewertung<br />
Ein Leitfaden für den Planer, Entscheider und Praktiker
Jochen Schuster, Christoph Gajda<br />
unter fachlicher Mitarbeit von Stefan Doliva<br />
Die Schweißeignung historischer Eisenwerkstoffe,<br />
ihre Prüfung und Bewertung<br />
Ein Leitfaden für den Planer, Entscheider und Praktiker<br />
1
Bibliographische Informationen Der Deutschen Nationalbibliothek<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie.<br />
Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />
Titelbild: Peißnitzbrücke über die Saale in Halle, erbaut 1898 bis 1899<br />
(Bildquelle: Jochen Schuster; 16.05.2021)<br />
Kurzinfo: Die Brücke wurde in Stahlfachwerksbauweise (Nietkonstruktion) als Auslegerhängebrücke<br />
errichtet. Sie verfügt über zwei Pfeiler, die jeweils an den Ufern der Saale positioniert sind. Ihre<br />
Gesamtlänge beträgt 103,30 Meter. Dabei weist die Entfernung zwischen den Pfeilern 70 Meter<br />
auf und entspricht in etwa der Flussbreite an dieser Stelle.<br />
<strong>Wissen</strong> kompakt<br />
<strong>Band</strong> 7<br />
ISBN 978-3-96144-193-8 (Print)<br />
ISBN 978-3-96144-194-5 (E-Book)<br />
Alle Rechte vorbehalten.<br />
© DVS Media GmbH, Düsseldorf 2023<br />
Herstellung: Print Media Group GmbH & Co. KG, Hamm<br />
2
1 Vorwort<br />
Beim Umgang mit sogenannten Altstählen stellt sich für viele Verarbeiter regelmäßig die Frage: „Ist<br />
der betreffende Stahl schweißgeeignet?“ Oft handelt es sich bei stählernen Bauten aus dem 19.<br />
und dem 20. Jahrhundert um Nietkonstruktionen, also Konstruktionen, die vor der Einführung des<br />
Lichtbogenschweißens ab Mitte der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts errichtet wurden.<br />
Die Schweißeignung stand bei den darin verbauten Eisenwerkstoffen nicht im Mittelpunkt.<br />
Doch auch bei schweißtechnisch gefertigten Konstruktionen aus dieser Zeit muss vor deren Instandsetzung<br />
häufig ihre Eignung zum Schmelzschweißen geklärt werden. Aufgrund ihres Alters<br />
von teilweise über 80 Jahren können sie z. B. durch fortgeschrittene Alterungsprozesse versprödet<br />
sein, so dass die Möglichkeit einer weiteren Schädigung infolge von Schweißwärmebehandlungen<br />
besteht.<br />
Die Zielstellung dieses Fachbuches besteht deshalb darin, allen interessierten Verarbeitern solcher<br />
Werkstoffe, wie Stahl- und Metallbauunternehmen, Planern, Konstrukteuren, Architekten aber<br />
auch behördlichen Entscheidungsträgern in Hoch-, Tief- und Wasserbauämtern einen Leitfaden in<br />
die Hand zu geben, um die metallurgischen Besonderheiten „alter“ Stähle, die historischen Verfahren<br />
ihrer Herstellung und die Möglichkeiten ihrer Prüfung besser verstehen zu können.<br />
Doch was sind „Altstähle“? Eine exakte Definition dafür ist nicht bekannt. So stellt HESSE [1] drei<br />
Kriterien auf, die diese von den „Neustählen“ unterscheiden:<br />
− „Altstähle“ wurden mit alten, heute nicht mehr verwendeten Herstellungsverfahren erzeugt.<br />
− „Altstähle“ wurden nach alten, heute nicht mehr gültigen Normen und Gütevorschriften hergestellt.<br />
− Die Qualitätsanforderungen bzw. Abnahmekriterien waren bei „Altstählen“ niedriger als bei<br />
modernen Werkstoffen.<br />
Somit kann die Bezeichnung „Altstahl“ vereinfacht als Sammelbegriff für Eisen- und Stahlwerkstoffe<br />
verwendet werden, die bis etwa 1957 hergestellt wurden [1, 2]. In diesem Jahr erfolgte in der<br />
Bundesrepublik Deutschland die Einführung der ersten Ausgabe der DIN 17 100 [3]. Eine andere<br />
Möglichkeit besteht darin, den Begriff „Altstahl“ mit der Einführung des Sauerstoffblasverfahrens<br />
im Jahr 1952 zu verknüpfen. Somit wären alle vor diesem Jahr erzeugten Stähle als „Altstahl“ zu<br />
definieren. Aus diesem Grund sollen diese Werkstoffe bezüglich ihrer Geschichte, ihrer Herstellung,<br />
ihrer metallurgischen und normativen Entwicklung, den zur Herstellungszeit gültigen Gütevorschriften,<br />
den Möglichkeiten ihrer Prüfung, ihren wichtigsten Schädigungsmechanismen und<br />
schließlich der Vorgehensweise bei der Bewertung ihrer Schweißeignung betrachtet werden. Ausgewählte<br />
Beispiele von Schweißeignungsuntersuchungen an historischen Stahlbauten geben dem<br />
Leser ein besseres Verständnis bei der Interpretation deren Ergebnisse.<br />
Halle (Saale) im Februar 2023<br />
Die Autoren<br />
3<br />
3
2 Inhalt<br />
1 Vorwort ..................................................................................................................................... 3<br />
2 Inhalt ......................................................................................................................................... 5<br />
3 Einführung ............................................................................................................................... 11<br />
4 Terminologie historischer Eisen- und Stahlwerkstoffe ............................................................ 16<br />
5 Die Elemente Eisen und Kohlenstoff ....................................................................................... 20<br />
5.1 Eisen und seine Umwandlungen im festen Zustand ........................................................... 20<br />
5.2 Kohlenstoff und seine Allotropie ......................................................................................... 21<br />
5.3 Binäres System Eisen-Kohlenstoff ..................................................................................... 22<br />
5.3.1 Einführung .................................................................................................................. 22<br />
5.3.2 Graphische Darstellung der Systeme Fe-C und Fe-Fe3C .......................................... 22<br />
5.3.3 Wichtige Linien und Punkte im System Fe-Fe3C ....................................................... 24<br />
5.3.4 Charakteristische Temperaturen im System Fe-Fe3C ................................................ 24<br />
5.3.5 Phasen und Gefügebestandteile im System Fe-Fe3C ................................................ 25<br />
5.4 Die Teilsysteme des binären Systems Eisen-Zementit ....................................................... 26<br />
5.4.1 Überblick über die Teilsysteme .................................................................................. 26<br />
5.4.2 Das peritektische System .......................................................................................... 26<br />
5.4.3 Das eutektoide System .............................................................................................. 26<br />
5.4.4 Das eutektische System ............................................................................................ 27<br />
5.5 Einteilung der Stahl- und Gusseisensorten anhand ihrer Lage im System Fe-Fe3C ........... 28<br />
6 Historische Stahlerzeugungsverfahren und ihre geschichtliche Einordnung .......................... 29<br />
6.1 Einführung .......................................................................................................................... 29<br />
6.2 Tiegelstahl, der erste „Flussstahl“ ...................................................................................... 29<br />
6.3 Puddel-Stahl, der erste „Massenstahl“ .............................................................................. 30<br />
6.4 BESSEMER- und THOMAS-Stahl, die ersten „modernen“ Stähle ..................................... 32<br />
6.5 SIEMENS-MARTIN-Stahl, der erste „reine“ Stahl .............................................................. 33<br />
6.6 Überblick über verschiedene Stahlerzeugungsverfahren ................................................... 35<br />
6.7 Stahlerzeugungsverfahren und ihre zeitliche Verwendung ................................................. 37<br />
7 Vom Schmiedeeisen zum Damaszener Stahl ......................................................................... 39<br />
7.1 Einführung .......................................................................................................................... 39<br />
7.2 Schmiedeeisen und seine Erzeugung ................................................................................. 39<br />
7.3 Die Technologie der Damaszierung von Stahl .................................................................... 41<br />
7.4 Die metallurgischen Vorgänge beim Damaszieren ............................................................. 43<br />
7.5 Damaszener Stahl – ein erster Verbundwerkstoff ............................................................... 46<br />
7.6 Beachtenswertes ................................................................................................................ 48<br />
8 Gusseisen und Stahlguss ....................................................................................................... 49<br />
8.1 Einführung .......................................................................................................................... 49<br />
8.2 Schweißeignung von Gusseisenwerkstoffen ...................................................................... 51<br />
8.3 Hinweise zur schweißtechnischen Verarbeitung von Gusseisenwerkstoffen ..................... 52<br />
8.4 Hinweise zur Wärmebehandlung von Gusseisenwerkstoffen ............................................. 54<br />
8.5 Technologische Empfehlungen .......................................................................................... 55<br />
8.6 Beachtenswertes ................................................................................................................ 56<br />
5<br />
5
9 Unlegierte Baustähle und ihre normative Entwicklung ............................................................ 57<br />
6<br />
9.1 Einführung .......................................................................................................................... 57<br />
9.2 Übersicht über das nationale Regelwerk in Deutschland ................................................... 58<br />
9.2.1 Das Regelwerk für unlegierte Baustähle vor 1957 ..................................................... 58<br />
9.2.2 Das Regelwerk für unlegierte Baustähle zwischen 1957 bis 1990 ............................. 58<br />
9.2.3 Das Regelwerk für unlegierte Baustähle ab 1990 ...................................................... 59<br />
9.3 Zusammenstellung der unlegierten Stähle für den allgemeinen Stahlbau .......................... 60<br />
9.4 Entwicklung der chemischen Zusammensetzung unlegierter Baustähle............................ 62<br />
9.5 Schweißeignung der unlegierten Baustähle ....................................................................... 65<br />
9.6 Beachtenswertes ................................................................................................................ 66<br />
10 Unlegierte Baustähle und ihre metallurgische Entwicklung .................................................... 67<br />
10.1 Einführung .......................................................................................................................... 67<br />
10.2 Gewalzte und geschmiedete Flussstähle gemäß DIN 1611 ............................................... 68<br />
10.3 Entwicklung der Festigkeit unlegierter Baustähle ab Mitte der 1920er Jahre ..................... 69<br />
10.4 Die Weiterentwicklung der unlegierten Baustähle .............................................................. 73<br />
10.5 Beachtenswertes ................................................................................................................ 76<br />
11 Bewertung der Schweißeignung unlegierter Baustähle .......................................................... 78<br />
11.1 Einführung .......................................................................................................................... 78<br />
11.2 Schweißbarkeit und Schweißeignung................................................................................. 79<br />
11.3 Schweißeignung und ihre Bewertung ................................................................................. 81<br />
11.3.1 Der Begriff der „Schweißeignung“ ............................................................................. 81<br />
11.3.2 Begriffe zur Bewertung der Schweißeignung ............................................................. 82<br />
11.3.3 Untersuchungen zur Bewertung der Schweißeignung ............................................... 83<br />
11.3.3.1 Überblick über empfohlene Analyse- und Prüfverfahren .................................. 83<br />
11.3.3.2 Schema für die qualitative Bewertung der Schweißeignung ............................. 84<br />
11.3.3.3 Untersuchungen zur qualitativen Bewertung der Schweißeignung ................... 85<br />
11.3.3.4 Zugversuch und die Bewertung der Schweißeignung ...................................... 87<br />
11.4 Probenentnahme im Rahmen von Schweißeignungsuntersuchungen ............................... 88<br />
11.5 Erhöhung der Reproduzierbarkeit der Schweißeignungsbewertung .................................. 89<br />
11.6 Zuordnung von Altstählen zu historischen Stahlerzeugungsverfahren ............................... 90<br />
11.7 Bemerkenswertes ............................................................................................................... 91<br />
12 Charakteristika historischer Eisenwerkstoffe zur Bewertung der Schweißeignung ................ 93<br />
13 Werkstoffprüfungen an historischen Eisenwerkstoffen ......................................................... 102<br />
13.1 Der Zugversuch und seine Entwicklung ........................................................................... 102<br />
13.1.1 Einführung ................................................................................................................ 102<br />
13.1.2 Kurze Geschichte des Zugversuchs ........................................................................ 103<br />
13.1.3 Aufgaben des statischen Zugversuchs .................................................................... 107<br />
13.1.4 Versuchsprinzip des statischen Zugversuchs .......................................................... 107<br />
13.1.5 Das Spannung-Dehnung-Diagramm ........................................................................ 108<br />
13.1.6 Werkstoffkennwerte des Zugversuches ................................................................... 110<br />
13.1.7 Verhalten von Stählen im Zugversuch ..................................................................... 111<br />
13.1.8 Normung des Zugversuchs...................................................................................... 112<br />
13.1.9 Beachtenswertes ..................................................................................................... 113<br />
13.2 Der Kerbschlagbiegeversuch und seine Entwicklung ....................................................... 114<br />
13.2.1 Einführung ................................................................................................................ 114<br />
13.2.2 Kurze Geschichte des Kerbschlagbiegeversuchs.................................................... 115<br />
13.2.3 Versuchsprinzip beim Kerbschlagbiegeversuch ...................................................... 117<br />
13.2.4 Das Tieftemperaturverhalten metallischer Werkstoffe ............................................. 120<br />
6
13.2.5 Das Versprödungsverhalten metallischer Werkstoffe .............................................. 120<br />
13.2.6 Schäden durch Sprödbrüche an geschweißten Konstruktionen ............................. 122<br />
13.2.7 Analyse der Schäden an LIBERTY-Schiffen ............................................................ 124<br />
13.2.8 Beachtenswertes ..................................................................................................... 127<br />
13.3 Der Aufschweißbiegeversuch und seine Anwendung ....................................................... 128<br />
13.3.1 Einführung ................................................................................................................ 128<br />
13.3.2 Der Aufschweißbiegeversuch und seine Geschichte ............................................... 130<br />
13.3.3 Der Aufschweißbiegeversuch in seiner gegenwärtigen Anwendung ....................... 132<br />
13.3.4 Der Aufschweißbiegeversuch und seine Anwendung im Regelwerk ....................... 133<br />
13.3.5 Die Modifikation des Aufschweißbiegeversuchs...................................................... 135<br />
13.3.6 Ergebnisse experimenteller Untersuchungen .......................................................... 136<br />
13.3.7 Bemerkenswertes .................................................................................................... 137<br />
13.4 Metallographischer Versprödungsnachweis ..................................................................... 139<br />
13.4.1 Einführung ................................................................................................................ 139<br />
13.4.2 Historische Entwicklung der Metallographie ............................................................ 139<br />
13.4.3 Probenpräparation durch Schleifen, Polieren und Ätzen ......................................... 140<br />
13.4.4 Lichtmikroskope ...................................................................................................... 141<br />
13.4.5 Metallographische Untersuchung von Schweißverbindungen ................................. 143<br />
13.4.5.1 Makroschliffe ................................................................................................... 143<br />
13.4.5.2 Mikroschliffe .................................................................................................... 143<br />
13.4.6 Ätzmethoden zur metallographischen Versprödungsabschätzung.......................... 143<br />
13.4.6.1 BAUMANN-Abdruck ....................................................................................... 143<br />
13.4.6.2 Makroätzmittel ................................................................................................ 144<br />
13.4.6.3 Vergleich der Makroätzmittel .......................................................................... 146<br />
13.4.6.4 Mikroätzmittel zum Nachweis von Eisennitriden ............................................. 147<br />
13.4.6.5 Weitere Ätzmittel zum Nachweis von Eisennitriden ........................................ 149<br />
13.4.7 Beachtenswertes ..................................................................................................... 150<br />
14 Werkstoffbedingte Schädigungen von historischen Stählen ................................................ 152<br />
14.1 Riss- und Brucherscheinungen ........................................................................................ 152<br />
14.2 Schädigungen durch Risserscheinungen ......................................................................... 153<br />
14.2.1 Einführung ................................................................................................................ 153<br />
14.2.2 Überblick über die metallurgisch bedingten Risserscheinungen ............................. 153<br />
14.2.2.1 Systematik der metallurgisch bedingten Risserscheinungen .......................... 153<br />
14.2.2.2 Kaltrisse .......................................................................................................... 155<br />
14.2.2.3 Heißrisse ......................................................................................................... 155<br />
14.2.2.4 Hohlräume ....................................................................................................... 155<br />
14.2.3 Kaltrisse ................................................................................................................... 156<br />
14.2.3.1 Allgemeine Einflussgrößen auf die Kaltrissbildung .......................................... 156<br />
14.2.3.2 Aufhärtungsrisse ............................................................................................. 156<br />
14.2.3.3 Wasserstoffunterstützte Risse ........................................................................ 158<br />
14.2.3.4 Lamellarrissigkeit (Terrassenbruch)................................................................. 161<br />
14.2.3.5 Alterungsrisse ................................................................................................. 164<br />
14.2.4 Heißrisse .................................................................................................................. 165<br />
14.2.4.1 Allgemeine Einflussgrößen auf die Heißrissbildung ......................................... 165<br />
14.2.4.2 Überblick über die Grundarten von Heißrissen ............................................... 165<br />
14.2.4.2.1 Erstarrungsrisse ..................................................................................... 165<br />
14.2.4.2.2 Wiederaufschmelzrisse .......................................................................... 167<br />
14.2.4.3 Beeinflussung der Heißrissanfälligkeit............................................................. 168<br />
14.2.4.3.1 Allgemeine metallurgische Faktoren ...................................................... 168<br />
14.2.4.3.2 Metallurgische Besonderheiten beim Schweißen unlegierter Stähle...... 168<br />
7<br />
7
8<br />
14.2.4.3.3 Technologische Faktoren ....................................................................... 170<br />
14.3 Schädigungen durch Brucherscheinungen ...................................................................... 171<br />
14.3.1 Einführung ................................................................................................................ 171<br />
14.3.2 Überblick über technische Brucherscheinungen ..................................................... 171<br />
14.3.3 Gewaltbrüche........................................................................................................... 173<br />
14.3.3.1 Arten von Gewaltbrüchen ............................................................................... 173<br />
14.3.3.2 Sprödbrüche ................................................................................................... 173<br />
14.3.3.3 Verformungsbrüche ........................................................................................ 175<br />
14.3.4 Ermüdungsbrüche ................................................................................................... 176<br />
14.3.5 Zeitstandbrüche ....................................................................................................... 177<br />
14.3.6 Beispiele für historische Schäden durch Brucherscheinungen................................ 179<br />
14.3.6.1 Untergang der R. M. S. „TITANIC“ .................................................................. 179<br />
14.3.6.2 Zerstörung der TACOMA-NARROWS-Brücke ................................................ 179<br />
14.3.6.3 Abstürze der DeHavilland DH 106 „COMET“ .................................................. 180<br />
14.3.6.4 Kesselexplosion auf der S. S. „NORWAY“ ...................................................... 181<br />
15 Einfluss von Kerben in reparaturgeschweißten historischen Konstruktionen ....................... 183<br />
15.1 Einführung ........................................................................................................................ 183<br />
15.2 Bewertungsansätze der Restnutzungsdauer von Altstahlkonstruktionen ........................ 183<br />
15.3 Bewertung der Ermüdungssicherheit ............................................................................... 185<br />
15.4 Vorgehensweise bei der Erstellung von WÖHLER-Kurven ............................................... 186<br />
15.5 Dauerschwingmodellversuche an „reparaturgeschweißten“ Proben ............................... 190<br />
15.6 Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der Dauerschwingmodellversuche ................ 193<br />
15.7 Empfehlungen zur Vorgehensweise bei der Bewertung der Restnutzungsdauer ............. 194<br />
16 Revitalisierung potentieller Wärmeeinflusszonen durch gezielte Wärmebehandlung ........... 195<br />
16.1 Einführung ........................................................................................................................ 195<br />
16.2 Eigenschaftsveränderungen durch Wärmebehandlung .................................................... 196<br />
16.2.1 Möglichkeiten zur Wärmebehandlung von Stählen .................................................. 196<br />
16.2.2 Lieferzustände und Vergießungsarten bei modernen unlegierten Baustählen ......... 197<br />
16.2.3 Normalglühen (+N) ................................................................................................... 198<br />
16.2.4 Zähigkeitsglühen (+RT) ............................................................................................ 199<br />
16.2.5 Nachteilige Auswirkungen von Wärmebehandlungen auf Altstähle ......................... 200<br />
16.3 Untersuchungen zur thermischen Revitalisierung gealterter Stähle ................................. 201<br />
16.4 Diskussion der Ergebnisse der Wärmebehandlungsversuche.......................................... 203<br />
16.5 Beachtenswertes .............................................................................................................. 204<br />
16.6 Empfehlungen zur Revitalisierung der Zähigkeit............................................................... 205<br />
17 Ausgewählte Beispiele von Schweißeignungsuntersuchungen ............................................ 207<br />
17.1 Einführung ........................................................................................................................ 207<br />
17.2 Schmiedeeisen – Klammern aus Flacheisen im Dresdner Zwinger .................................. 208<br />
17.2.1 Das Bauwerk ............................................................................................................ 208<br />
17.2.2 Ergebnisse der werkstofftechnischen Untersuchung .............................................. 209<br />
17.3 Puddel-Stahl – POLONCEAU-Binder ............................................................................... 211<br />
17.3.1 Das Bauwerk ............................................................................................................ 211<br />
17.3.2 Ergebnisse der Schweißeignungsprüfung ............................................................... 212<br />
17.4 Puddel-Stahl – Nietschaft einer historischen Hallenkonstruktion ..................................... 214<br />
17.4.1 Das Bauwerk ............................................................................................................ 214<br />
17.4.2 Ergebnisse der Schweißeignungsprüfung ............................................................... 215<br />
17.5 Flussstahl – Querträger einer Hallenkrananlage ............................................................... 217<br />
17.5.1 Das Bauwerk ............................................................................................................ 217<br />
17.5.2 Ergebnisse der Schweißeignungsprüfung ............................................................... 218<br />
8
17.6 Flussstahl – JUNKERS Stahllamellenhalle in Dessau ....................................................... 220<br />
17.6.1 Das Bauwerk ............................................................................................................ 220<br />
17.6.2 Ergebnisse der Schweißeignungsprüfung ............................................................... 221<br />
17.7 Flussstahl – Tragwerksstütze eines U-Bahntunnels in Berlin ........................................... 223<br />
17.7.1 Das Bauwerk ............................................................................................................ 223<br />
17.7.2 Ergebnisse der Schweißeignungsprüfung ............................................................... 224<br />
17.8 Flussstahl – Walzenwehr in Schweinfurt ........................................................................... 226<br />
17.8.1 Das Bauwerk ............................................................................................................ 226<br />
17.8.2 Ergebnisse der Schweißeignungsprüfung ............................................................... 227<br />
17.9 Flussstahl – Mainwehr Randersacker ............................................................................... 229<br />
17.9.1 Das Bauwerk ............................................................................................................ 229<br />
17.9.2 Ergebnisse der Schweißeignungsprüfung ............................................................... 230<br />
17.10 Flussstahl – Rheinbrücke Leverkusen im Zuge der BAB A1 .................................... 232<br />
17.10.1 Das Bauwerk ............................................................................................................ 232<br />
17.10.2 Ergebnisse der Schweißeignungsprüfung ............................................................... 233<br />
17.11 Flussstahl – Berliner Brücke in Halle (Saale) ............................................................ 235<br />
17.11.1 Das Bauwerk ............................................................................................................ 235<br />
17.11.2 Ergebnisse der Schweißeignungsprüfung ............................................................... 236<br />
17.11.3 Ergebnisse der Versuchsschweißung ...................................................................... 237<br />
17.12 Stahlguss – Stützen- und Bogenfußgelenke am Chemnitztal-Viadukt .................... 239<br />
17.12.1 Das Bauwerk ............................................................................................................ 239<br />
17.12.2 Ergebnisse der werkstofftechnischen Untersuchung .............................................. 240<br />
17.13 Gusseisen – Rohr aus der Wasserkunst im Bergpark Wilhelmshöhe ...................... 242<br />
17.13.1 Das Bauwerk ............................................................................................................ 242<br />
17.13.2 Ergebnisse der werkstofftechnischen Untersuchung .............................................. 243<br />
17.14 Gusseisen – „LANZ-Perlit“ für hochbeanspruchte Gussteile ................................... 245<br />
17.14.1 Das Bauteil ............................................................................................................... 245<br />
17.14.2 Ergebnisse der Schweißeignungsprüfung ............................................................... 246<br />
17.14.3 Ergebnisse der Versuchsschweißung ...................................................................... 248<br />
18 Anhang .................................................................................................................................. 250<br />
18.1 Zeitstrahl der Stahl- und Eisenwerkstoffe ......................................................................... 250<br />
18.2 Danksagungen .................................................................................................................. 254<br />
18.3 Stichwortverzeichnis......................................................................................................... 255<br />
18.4 Bildquellenverzeichnis ...................................................................................................... 272<br />
18.4.1 Einzelbilder .............................................................................................................. 272<br />
18.4.2 Bilder in Tabellen ..................................................................................................... 275<br />
18.5 Literaturquellenverzeichnis ............................................................................................... 276<br />
9<br />
9
3 Einführung<br />
Lange bevor die Menschheit das Geheimnis der Verhüttung von Eisenerzen lüften konnte, dienten<br />
zufällig gefundene Eisen-Nickel-Meteoriten als einzige zugängliche Quelle für gediegenes Eisen.<br />
Wird es metallographisch präpariert und angeätzt, zeichnet sich Meteoriteneisen durch eine charakteristische,<br />
langnadlige Mikrostruktur aus, das sogenannte WIDMANNSTÄTTENsche Gefüge<br />
(nach Alois Joseph Franz Xaver Beckh, Edler von WIDMANNSTETTEN, 1754 bis 1849; Abbildung<br />
1). So ist es heute wissenschaftlich u. a. möglich, seine „himmlische“ Herkunft nachzuweisen.<br />
Durch Verhüttung gewonnenes historisches Schmiedeeisen weist dagegen eine vollkommen andere<br />
metallographische Erscheinung auf (Abbildung 2).<br />
Abbildung 1. Mikroschliff durch einen Eisen-<br />
Meteoriten (WIDMANNSTÄTTENsches Gefüge)<br />
Abbildung 2. Mikroschliff durch Verhüttung<br />
erzeugtes ferritisches Schmiedeeisen<br />
Da es vom Himmel auf die Erde fiel, war Eisen lange vor unserer Zeit als das Metall der Götter<br />
bekannt und wurde aufgrund seiner Seltenheit als deren Gabe für die Herrschenden angesehen.<br />
So fand Howard CARTER (1874 bis 1939) im Grab des ägyptischen Pharaos TUTANCHAMUN<br />
(1332 bis 1323 v. u. Z.) einen Dolch mit geschmiedeter Klinge aus Meteoriteneisen. Der Werkstoff<br />
Eisen war in dieser Epoche umso bemerkenswerter, als es den Ägyptern selbst nicht möglich war,<br />
es abzubauen oder zu verhütten. Es wird angenommen, dass das Geheimnis, dieses Metall aus<br />
geeigneten Erzen zu gewinnen und auch härten zu können, zuerst von den Hethitern (vorgeschichtliches<br />
Volk im heutigen Kleinasien, Syrien und Israel) entdeckt wurde. Die Anfänge einer<br />
aktiven Eisenerz-Verarbeitung werden somit vor rund 3.200 Jahren in Anatolien und dem angrenzenden<br />
Kaukasien vermutet.<br />
In Europa fand der Übergang von der Bronze- zur Eisenverhüttung erst deutlich später statt [4].<br />
Der damit verbundene Begriff der sogenannten Eisenzeit prägte eine ganze Kulturepoche (etwa<br />
von 800 vor unserer Zeit bis spätestens 500 unserer Zeit). Zu den ersten nordeuropäischen Eisenprodukten<br />
zählten germanische Kultgegenstände wie z. B. Skulpturen aber auch zahlreiche Waffen.<br />
Sein chemisches Symbol „Fe“ erhielt das Element vom lateinischen Wort „ferrum“. Die Römer<br />
verstanden darunter ursprünglich Eigenschaften wie Härte aber auch Gefühllosigkeit. Die deutsche<br />
Bezeichnung als Eisen hingegen leitet sich vom gallischen Wort „isarnon“ ab.<br />
Seine Gewinnung aus Erzen erlernte die Menschheit erst mit Beginn der Eisenzeit. Über lange Zeit<br />
kam hier der Rennofen zur Anwendung (Abbildung 4), der sich seit Beginn des zwölften Jahrhun-<br />
11<br />
11
derts durch die Verwendung von wasserkraftbetriebenen Blasebälgen zum sogenannten „Stück-“<br />
bzw. „Wolfsofen“ weiterentwickelte. Aus diesen „Aggregaten“ konnte nach Abschluss des<br />
Schmelzvorgangs eine einzelne Luppe, d. h. ein mehr oder weniger großes, von Schlacke durchsetztes<br />
Stück festen, jedoch porösen „Eisenschwamms“ entnommen werden. Die Ausbeute an<br />
metallischem Eisen innerhalb einer solchen Luppe lag im Gramm- bis Kilogrammbereich.<br />
Abbildung 3. Eisenmeteorit; gefunden in den Old Woman<br />
Mountains, Mojave Wüste, Südkalifornien, Quelle: Wikimedia,<br />
Autor: Model Citizen<br />
Abbildung 4. Historische Darstellung<br />
eines Rennofens im Schmelzbetrieb<br />
(nach G. AGRICOLA [5])<br />
Dieses konnte durch Schmieden, also einem Verfahren der Warmumformung (da die Temperaturen<br />
über der Rekristallisationstemperatur TR des Metalls lagen), direkt weiterverarbeitet werden.<br />
Die Rekristallisationstemperatur TR ist direkt von der Schmelztemperatur TS abhängig und lässt<br />
sich gemäß der TAMMANNschen Gleichung wie folgt abschätzen (nach Gustav Heinrich Johann<br />
Apollon TAMMANN, 1861 bis 1938).<br />
TR = 0,4 • (TS + 273) – 273 [in °C]<br />
Nachdem die Verhüttung von Eisenerzen zu metallischem Eisen die Suche nach den sehr seltenen<br />
Eisenmeteoriten überflüssig machte, wurde das Metall bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts über<br />
tausende von Jahren weltweit auf die gleiche Weise gewonnen – durch direkte Reduktion von<br />
eisenhaltigen Erzen in sogenannten Rennöfen mit nachfolgender Veredlung im Schmiedefeuer<br />
(Abbildung 6). Ein solcher Ofen und die darin ablaufenden Reaktionen ist schematisch in Abbildung<br />
7 dargestellt. Die Besonderheit dieser Aggregate war, dass das erzeugte schwammartige<br />
Eisen aufgrund der maximal erreichbaren Temperaturen von etwa 1.400 °C nicht aufgeschmolzen<br />
werden konnte und als feste Luppe im Ofen verblieb. Zu deren Entnahme musste dieser vollständig<br />
zerstört werden. Sein Name leitet sich davon ab, dass die während der Eisenverhüttung entstandene<br />
flüssige Schlacke aus dem Ofen „rann“. Aufgrund der begrenzten Temperaturen kohlte<br />
das Eisen jedoch nicht auf und war somit ohne weitere Maßnahmen schmiedbar. Die in diesen<br />
12<br />
12
Öfen erzeugbaren Eisenmengen lagen in Abhängigkeit von Größe und Bauform zwischen einigen<br />
hundert Gramm bis mehreren hundert Kilogramm. Aus heutiger Betrachtungsweise können die<br />
Rennöfen als Vorgänger der modernen Direktreduktionsverfahren angesehen werden.<br />
Abbildung 5. Luppe (Tamahagané) aus einem<br />
modernen japanischen Rennofen (Tatara), Lizenz:<br />
Creative Commons (CC BY 3.0), Autor:<br />
Loulasedna<br />
Abbildung 6. Im Schmiedefeuer wurde die<br />
Rennofenluppe von Schlacken und Einschlüssen<br />
weitgehend befreit und auf dem Amboss<br />
weiter umgeformt<br />
Eine „Renaissance“ der Rennöfen fand zwischen 1958 und 1962 in der Volksrepublik China<br />
statt. Hier wurden im Rahmen der von Mao ZEDONG (1893 bis 1976) initiierten Politik des „Großen<br />
Sprungs nach vorn“ tausende von solchen primitiven Reduktionsaggregaten errichtet, die unter<br />
dem Namen „Hinterhof-Öfen“ ( 土 法 炼 钢 –primitive Stahlerzeugung) in die Geschichte eingingen.<br />
Abbildung 7. Schematische<br />
Darstellung eines<br />
Rennofens mit Angabe<br />
der ablaufenden chemischen<br />
Reaktionen<br />
Gegenwärtig kommt in der japanischen Handwerkskunst noch eine besondere Variante des Rennofens,<br />
der sogenannte „Tatara“, zur Anwendung, in denen sehr phosphor- und schwefelarme<br />
Eisenluppen („Tamahagané“) für die Herstellung von traditionellen Schwertklingen erzeugt werden<br />
(Abbildung 5). Bei der modernen großtechnischen Direktreduktion wird das Eisenerz mit Hilfe von<br />
13<br />
13
Erdgas (CH4 - Methan) und/oder Wasserstoff zu Eisenschwamm reduziert, welcher anschließend<br />
im Elektrolichtbogenofen weiterverarbeitet werden kann.<br />
Die Erfindung der modernen Hochöfen (Abbildung 8) geht auf Abraham DARBY I (1667 bis 1717)<br />
zurück. Da zu Beginn des 18. Jahrhunderts in England aufgrund der beginnenden Industrialisierung<br />
und dem umfangreichen Bau von Schiffen nicht mehr genügend Holz zur Gewinnung von<br />
Holzkohle zur Verfügung stand, errichtete er im Jahr 1709 einen Ofen, der anstelle dieser mit<br />
Steinkohlenkoks betrieben wurde. Das so erzeugte „Rohe Eisen“ war aufgrund der im Hochofen<br />
herrschenden höheren Temperaturen schmelzflüssig und konnte somit in Formen (sogenannte<br />
Masseln) vergossen werden. Da die Gießanordnung Ähnlichkeit zu einer Muttersau mit an ihren<br />
Zitzen liegenden Ferkeln hatte, bekam es im Englischen die Bezeichnung „Pig Iron“ (Schweineeisen).<br />
Im Unterschied zu den festen Luppen aus den Renn- bzw. Stücköfen war es jedoch nicht<br />
mehr schmiedbar. Es zerbarst unter den Schlägen des Schmiedehammers in viele Bruchstücke.<br />
Verantwortlich dafür waren ebenfalls die hohen Temperaturen im Hochofen, welche zu einer unerwünschten<br />
Aufkohlung des Metalls und damit seiner Versprödung führten.<br />
Abbildung 8. Schematische<br />
Darstellung eines<br />
modernen Hochofens<br />
mit Angabe der ablaufenden<br />
chemischen<br />
Reaktionen<br />
Somit ergab sich die Notwendigkeit, dem Roheisen vor seiner Weiterverarbeitung durch Warmumformung,<br />
wie z. B. dem Schmieden oder Warmwalzen, den aufgenommenen Kohlenstoff wieder zu<br />
entziehen. Das Zeitalter der modernen Stahlerzeugung war angebrochen.<br />
Dieses scheinbar nebensächliche Problem bereitete über nahezu ein Jahrhundert große Probleme,<br />
da es nicht gelang, die dafür erforderlichen hohen Temperaturen zu erzeugen, um größere Mengen<br />
an flüssigem, kohlenstoffarmen Stahl herzustellen. Begründet ist dieser Sachverhalt im binären<br />
System Eisen-Zementit (Fe-Fe3C), da mit fallendem Kohlenstoffgehalt die Liquidustemperaturen<br />
(Schmelztemperaturen) der jeweiligen Legierungen ansteigen (Abbildung 13).<br />
Die im Hochofen erzeugbaren Mengen an Roheisen überstiegen die in den Renn-, Wolfs- und<br />
Stücköfen herstellbaren Quantitäten um ein Vielfaches. So kann ein einziger moderner Hochofen<br />
täglich mehr als 10.000 t Roheisen produzieren. Im Unterschied zum Renneisen war das bei höheren<br />
Temperaturen im flüssigen Zustand gewonnene und dabei aufgekohlte Roheisen nicht mehr<br />
schmiedbar und musste von diesem Element befreit, d. h. raffiniert werden. Diese Reinigung wird<br />
als Stahlerzeugung bezeichnet und hat ihren modernen Ursprung im England des 18. Jahrhundert.<br />
Kamen bis dahin bevorzugt Guss- und Schmiedeeisen zur Anwendung, erfolgte mit der sprunghaften<br />
Entwicklung immer produktiverer Raffinationstechnologien die zunehmende Verwendung von<br />
14<br />
14
Stahl. Ohne die seit Mitte des 19. Jahrhunderts gemachten bahnbrechenden Erfindungen zur<br />
Herstellung nahezu beliebig großer Mengen an vergießungsfähigem Stahl wäre es niemals zu dem<br />
auch noch heute anhaltenden wirtschaftlichen Wachstum und technologischen Fortschritt gekommen.<br />
Als Pionier der modernen Stahlerzeugung gilt der Engländer Benjamin HUNTSMAN. Ihm<br />
gelang es im Jahr 1751 erstmals größere Mengen an schmelzflüssigem Stahl in speziellen Tiegeln<br />
herzustellen – den sogenannten Tiegel- oder Gussstahl (engl. Cast oder Crucible Steel). Weitere<br />
bedeutende Wegbereiter der modernen Stahlerzeugung folgten und sind in Tabelle 1 aufgeführt.<br />
Tabelle 1. Wegbereiter der modernen Stahlerzeugung (Bildquellen: Wikimedia, ETH Zürich)<br />
Anfänge der modernen<br />
Stahlerzeugung<br />
Pioniere der Konverterverfahren<br />
Pioniere der<br />
Herdofenverfahren<br />
„Väter“ der modernen<br />
Stahlerzeugung<br />
Tielgelstahlofen Bessemerkonverter Siemens-Martin-Ofen Elektrolichtbogenofen<br />
Benjamin HUNTSMAN<br />
(1704 - 1776)<br />
Sir Henry<br />
BESSEMER<br />
(1813 - 1898)<br />
Carl Wilhelm<br />
SIEMENS<br />
(1823 - 1883)<br />
Paul Louis Toussaint<br />
HEROULT<br />
(1863 - 1914)<br />
Puddelofen Thomaskonverter Siemens-Martin-Ofen Sauerstoffkonverter<br />
Henry CORT<br />
(1740 - 1800)<br />
Sidney Gilchrist<br />
THOMAS<br />
(1850 - 1885)<br />
Pierre-Émile<br />
MARTIN<br />
(1824 - 1915)<br />
Robert DURRER<br />
(1890 - 1978)<br />
15<br />
15
4 Terminologie historischer Eisen- und Stahlwerkstoffe<br />
Es ist zu beachten, dass in der Vergangenheit alle Eisenwerkstoffe mit Kohlenstoffgehalten von<br />
maximal 0,22 % grundsätzlich als „Eisen“ benannt wurden. Demgegenüber werden gegenwärtig<br />
alle Eisen-Kohlenstoff-Legierungen mit Kohlenstoffgehalten bis 2,06 % als Stahl bezeichnet. Dieser<br />
Gehalt wurde gewählt, da hier die maximale Löslichkeit des Gamma-Mischkristalls (Austenit)<br />
für dieses Element bei einer Temperatur von 1.147 °C erreicht wird (Abbildung 13). Alle Eisenwerkstoffe<br />
mit Kohlenstoffgehalten, die diesen Wert überschreiten, zählen heute zu den Gusseisensorten.<br />
Diese dürfen nicht mit dem Stahlguss verwechselt werden, also in Formen vergossener<br />
schmiedbarer Stahl.<br />
Tabelle 2. Historische und moderne Terminologie von Eisenwerkstoffen<br />
Historischer Oberbegriff [6] Historische Definition [6] Aktueller Oberbegriff<br />
Roheisen<br />
Das im Hochofen aus den Erzen erzeugte<br />
Eisen, welches leicht schmelz-,<br />
aber nicht schmiedbar ist.<br />
Roheisen<br />
Gusseisen<br />
Das mit Koks oder Kohlen umgeschmolzene,<br />
in besondere Formen<br />
unlegiertes Gusseisen<br />
(GJL)<br />
gegossene Roheisen.<br />
Guss<br />
Schmiedeeisen<br />
Stahl<br />
schmiedbarer<br />
Eisenguss<br />
Hartguss<br />
Stahlguss<br />
Schweißeisen<br />
Flusseisen<br />
Schweißstahl<br />
Flussstahl<br />
Werkzeugstahl<br />
Nachträglich durch Glühen mit Zusätzen<br />
verändertes Gusseisen, das sich<br />
mit dem Hammer bearbeiten lässt.<br />
Gusseisen, welches durch Gießen in<br />
eiserne Gussformen an der Oberfläche<br />
besonders hart gemacht ist.<br />
Ein durch Zusatz von Stahlabfällen<br />
hergestelltes Gusseisen.<br />
Ein im teigigen Zustand gewonnenes,<br />
schmiedbares, ‚feuerschweißbares‘,<br />
jedoch nicht merklich härtbares Eisen.<br />
Ein im flüssigen Zustand gewonnenes,<br />
schmiedbares, jedoch nicht merklich<br />
härtbares Eisen.<br />
Ein im gleichen Zustand (wie Schweißeisen<br />
gewonnenes, schmied-, feuerschweiß-<br />
und merklich härtbares Material.<br />
Ein im gleichen Zustand (wie Flusseisen)<br />
gewonnenes, ‚schmied-‘ und<br />
merklich härtbares Material.<br />
Bester Stahl, der mit Chrom, Nickel und<br />
Wolfram legiert ist.<br />
Temperguss<br />
(GJMW, GJMB)<br />
Hartguss<br />
(GJN)<br />
unlegierter Stahlguss<br />
(GS)<br />
unlegierte Baustähle mit<br />
C ≤ 0,22 %<br />
(S)<br />
unlegierte Vergütungsstähle,<br />
Einsatzstähle mit<br />
0,22 < C ≤ 0,45 %<br />
(C)<br />
Schnellarbeitsstahl<br />
(HS)<br />
Sollen historische mit modernen Stahl- und Eisenwerkstoffen verglichen werden, ist zu berücksichtigen,<br />
dass sich die Terminologie ihrer Bezeichnung beim Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert<br />
grundlegend geändert hat. Bei der Interpretation historischer Quellen in der Fachliteratur<br />
muss somit die Gegenüberstellung von Begriffen für Legierungen des Eisens in Tabelle 2 beachtet<br />
werden. In den nachfolgenden Ausführungen sollen in diesem Zusammenhang nur die aktuell<br />
verwendeten Bezeichnungen zur Anwendung kommen.<br />
16<br />
16
Das in Tabelle 2 aufgeführte System zur Einteilung von Eisen- und Stahlwerkstoffen basiert auf<br />
den Vorschlägen der „Technischen Commission des Vereins Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen“<br />
aus dem Jahr 1877 [7]. Gemäß diesem wurde vorgeschlagen, diese Werkstoffe wie folgt zu unterteilen:<br />
A. Bessemer-Stahl, Gussstahl, Martin-Stahl<br />
als Constructions-Material z. B. für Eisenbahnschienen, Achsen, Radreifen u. s. w.<br />
Qualität I<br />
mit drei Unterabtheilungen<br />
a) hart b) mittel c) weich<br />
Minimal-Zerreissungsfestigkeit<br />
Kilogramm pro Quadratcentimeter 6500 5500 4500<br />
Minimal-Zusammenziehung des Zerreissungsquerschnitts<br />
in Procenten des ursprünglichen<br />
Querschnitts als Mass der<br />
Zähigkeit 25 35 45<br />
Qualität II<br />
mit zwei Unterabtheilungen<br />
a) härtere Sorte c) weichere Sorte<br />
Minimal-Zerreissungsfestigkeit<br />
Kilogramm pro Quadratcentimeter 5500 4500<br />
Minimal-Zusammenziehung des Zerreissungsquerschnitts<br />
in Procenten des ursprünglichen<br />
Querschnitts als Mass der<br />
Zähigkeit 20 30<br />
B. Stabeisen<br />
Qualität I<br />
Minimal-Zerreissungsfestigkeit 3800 K pro Quadratcentimeter.<br />
Minimal-Zusammenziehung des Zerreissungsquerschnitts in Procenten des ursprünglichen Querschnitts<br />
als Mass der Zähigkeit ............................................................................................... 40 pCt.<br />
Qualität II<br />
Minimal-Zerreissungsfestigkeit 3500 K pro Quadratcentimeter.<br />
Minimal-Zusammenziehung des Zerreissungsquerschnitts in Procenten des ursprünglichen Querschnitts<br />
als Mass der Zähigkeit ............................................................................................... 25 pCt.<br />
C. Eisenblech<br />
Qualität I<br />
a) in der Walzrichtung<br />
Minimal-Zerreissungsfestigkeit 3600 K pro Quadratcentimeter.<br />
Minimal-Zusammenziehung des Zerreissungsquerschnitts in Procenten des ursprünglichen Querschnitts<br />
als Mass der Zähigkeit ............................................................................................... 25 pCt.<br />
b) quer zur Walzrichtung<br />
Minimal-Zerreissungsfestigkeit 3200 K pro Quadratcentimeter.<br />
Minimal-Zusammenziehung des Zerreissungsquerschnitts in Procenten des ursprünglichen Querschnitts<br />
als Mass der Zähigkeit ............................................................................................... 15 pCt.<br />
17<br />
17
Qualität II<br />
a) in der Walzrichtung<br />
Minimal-Zerreissungsfestigkeit 3300 K pro Quadratcentimeter.<br />
Minimal-Zusammenziehung des Zerreissungsquerschnitts in Procenten des ursprünglichen Querschnitts<br />
als Mass der Zähigkeit ............................................................................................... 15 pCt.<br />
b) quer zur Walzrichtung<br />
Minimal-Zerreissungsfestigkeit 3000 K pro Quadratcentimeter.<br />
Minimal-Zusammenziehung des Zerreissungsquerschnitts in Procenten des ursprünglichen Querschnitts<br />
als Mass der Zähigkeit ................................................................................................. 9 pCt.<br />
Eine Übersicht ausgewählter mechanisch-technologischer Eigenschaften von bis Anfang der<br />
1920er Jahren gebräuchlichen Eisen- und Stahlwerkstoffen ist nach FOERSTER [8] in Tabelle 3<br />
und Tabelle 4 zusammengestellt.<br />
Tabelle 3. Mechanisch-technologische Eigenschaften typischer Altstähle und Eisenwerkstoffe [8]<br />
Werkstoffart Einheit Gußeisen Schweißeisen Flußeisen Flußstahl<br />
Elastizitätsmaß kg/cm² 1.000.000 2.000.000 2.150.000 2.200.000<br />
Gleitmaß<br />
Elastizitätsgrenze<br />
Proportionaltätsgrenze<br />
Streck- und<br />
Quetschgrenze<br />
bei Zug kg/cm² 660 1.300 - 1.700 2.000 - 2.400 2.400<br />
bei Druck kg/cm² 1.500 - 1.900<br />
kg/cm²<br />
290.000 -<br />
400.000<br />
770.000 830.000 850.000<br />
kg/cm² --- 1.300 1.800 2.500 - 5.000<br />
kg/cm² ---<br />
> 1.800 (2.200 > 2.000 (2.500<br />
- 2.800) - 3.000)<br />
>10 - 12 (-20) > 15 (-25)<br />
> 2.800<br />
Dehnung % ---<br />
> 10 (-22)<br />
Blech > 7 Blech > 18<br />
Zugfestigkeit kg/cm² 1.200 - 1.800 3.300 - 4.000 3.400 - 4.500 > 4.500 - 8.000<br />
7.000 - 8.500 > 2.200 > 2.500 > 2.800 (weich)<br />
Druckfestigkeit<br />
kg/cm²<br />
> 4.500 (weich)<br />
Schubfestigkeit kg/cm² 1.100 - 1.100 > 2.000 > 3.200 > 4.000 (hart)<br />
1.000 - 1.200<br />
bei Zug kg/cm² 250 800 - 1.000<br />
1.200<br />
(1.400)<br />
zulässige Beanspruchung<br />
bei Druck kg/cm² 500 - 800 750 - 1.000<br />
1.200<br />
1.000 - 1.200<br />
(1.400)<br />
bei Schub kg/cm² 200 600 - 800 800 - 1.000 1.000<br />
Tabelle 4. Mechanisch-technologische Eigenschaften von historischen Nickelstählen [8]<br />
Werkstoffart Einheit Nickelstahl Nickelflußeisen<br />
Elastizitätsmaß kg/cm² 2.090.000 ---<br />
Elastizitätsgrenze kg/cm² 4.000 - 5.000 3.500<br />
Proportionaltätsgrenze kg/cm² 3.400 ---<br />
Streck- und Quetschgrenze kg/cm² 3.000 - 3.850 1.100 - 3.000<br />
Zugfestigkeit kg/cm² 6.000 - 7.000 5.000<br />
18<br />
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