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RA 04/2023 - Entscheidung des Monats

Der BGH befasst sich mit den Anforderungen an die Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Versuch in einem mehraktigen Geschehen mit einem beiderseitigen Mittäterexzess.

Der BGH befasst sich mit den Anforderungen an die Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Versuch in einem mehraktigen Geschehen mit einem beiderseitigen Mittäterexzess.

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<strong>04</strong>/<strong>2023</strong><br />

ENTSCHEIDUNGDESMONATS<br />

ST<strong>RA</strong>FRECHT<br />

Rücktritshorizontbeimehraktigem Geschehen


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Stand: März <strong>2023</strong>


<strong>RA</strong> <strong>04</strong>/<strong>2023</strong><br />

ST<strong>RA</strong>FRECHT<br />

Strafrecht<br />

213<br />

Problem: Rücktrittshorizont bei mehraktigem Geschehen<br />

Einordnung: Strafrecht AT I / Versuch<br />

BGH, Urteil vom 13.12.2022<br />

1 StR 408/21<br />

EINLEITUNG<br />

Der BGH befasst sich mit den Anforderungen an die Abgrenzung von unbeendetem<br />

und beendetem Versuch in einem mehraktigen Geschehen mit<br />

einem beiderseitigen Mittäterexzess.<br />

SACHVERHALT<br />

Der Angeklagte N hatte auf dem Werksgelände <strong>des</strong> Geschädigten K einen<br />

Personenkraftwagen der Marke Chrysler Crossfire abgestellt. Im November<br />

2019 hatte N die Herausgabe seines Fahrzeugs gefordert, was K unter Geltendmachung<br />

von Gegenforderungen verweigert hatte.<br />

N kam mit seinem Bruder H überein, das Fahrzeug von K zurückzuholen,<br />

notfalls unter gemeinschaftlicher Anwendung von Gewalt. Am 07.01.2020<br />

fuhren sie zur Werkhalle <strong>des</strong> K. N führte eine mit min<strong>des</strong>tens fünf scharfen<br />

Patronen geladene Pistole und H ein Klappmesser mit sich, wobei keiner der<br />

beiden von der Bewaffnung <strong>des</strong> jeweils anderen wusste. K verweigerte weiterhin<br />

die Herausgabe <strong>des</strong> Wagens und verwies H und N der Halle. N begann<br />

gemäß dem Tatplan, auf K einzuschlagen, um die Rückgabe <strong>des</strong> Wagens zu<br />

erzwingen. H folgte ihm hierin. Während K sich mit Schlägen gegen N zur<br />

Wehr setzte, gelang es H, hinter K zu treten. Dort zog er, von N unbemerkt, das<br />

von ihm mitgeführte Messer und versetzte dem K in schneller Abfolge drei<br />

Stiche in den Rücken. Den Tod <strong>des</strong> K nahm H hierbei billigend in Kauf.<br />

K, dem es nach dem dritten Stich gelang, H durch einen Schlag zu Boden zu<br />

bringen, rutschte aus und ging ebenfalls zu Boden. N, der die Stiche nicht<br />

bemerkt hatte, trat und schlug auf den am Boden liegenden K zunächst allein<br />

ein. Als H wieder aufgestanden war, versetzte er K – unter Aufgabe seines<br />

Tötungsvorsatzes – ebenfalls Schläge. Dabei ging er aufgrund der weiterhin<br />

massiven Gegenwehr <strong>des</strong> K davon aus, diesen mit dem Messer nicht lebensgefährlich<br />

verletzt zu haben. Von einem weiteren Einsatz <strong>des</strong> Messers sah er<br />

dennoch ab und beschränkte sich auf die Ausführung von Schlägen, um den<br />

Geschädigten gemeinsam mit seinem Bruder zu verletzen.<br />

K, der noch immer am Boden lag, gelang es, H zu Fall zu bringen und selbst<br />

wieder aufzustehen. Er stand nun N gegenüber, der spätestens jetzt den<br />

Entschluss fasste, die Schusswaffe zum Einsatz zu bringen. Er gab mit direktem<br />

Tötungsvorsatz in schneller Abfolge fünf Schüsse ab, von denen je einer den<br />

Geschädigten im rechten Oberarm, im Gesicht, im Bereich <strong>des</strong> rechten Schulterblatts<br />

sowie am Hinterkopf traf. Nach der letzten Schussabgabe ging N<br />

davon aus, dass der Geschädigte versterben werde. H war mit den Schüssen<br />

nicht einverstanden und flüchtete nach dem letzten Schuss. K überlebte<br />

schwer verletzt.<br />

LEITSÄTZE DER REDAKTION<br />

1. § 24 I 1 StGB ermöglicht den<br />

Rücktritt vom unbeendeten<br />

Versuch durch Aufgabe der weiteren<br />

Ausführung der Tat; Tat in<br />

diesem Sinne ist eine Straftat im<br />

Sinne eines materiell-rechtlichen<br />

Straftatbestan<strong>des</strong>, das heißt die<br />

in den gesetzlichen Straftatbeständen<br />

umschriebene tatbestandsmäßige<br />

Handlung und der<br />

tatbestandsmäßige Erfolg; dementsprechend<br />

beschränkt sich<br />

beim unbeendeten Versuch der<br />

Entschluss, die weitere Tatausführung<br />

aufzugeben, auf die<br />

Verwirklichung der gesetzlichen<br />

Tatbestandsmerkmale.<br />

2. Maßgeblich für die zu erfüllenden<br />

Rücktrittsvoraussetzungen ist das<br />

Vorstellungsbild <strong>des</strong> Täters nach<br />

dem Abschluss der letzten von<br />

ihm vorgenommenen Ausführungshandlung;<br />

bilden die<br />

Einzelakte eines mehraktigen<br />

Geschehens untereinander und<br />

mit der letzten Tathandlung<br />

ein durch die subjektive Zielsetzung<br />

<strong>des</strong> Täters verbundenes,<br />

örtlich und zeitlich einheitliches<br />

Geschehen, so ist für die<br />

Bestimmung <strong>des</strong> Rücktrittshorizonts<br />

allein die subjektive Sicht<br />

<strong>des</strong> Täters nach Abschluss der<br />

letzten Ausführungshandlung<br />

maß geblich.<br />

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214 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>04</strong>/<strong>2023</strong><br />

Hat H sich wegen der Begehung von Verbrechen strafbar gemacht?<br />

[Anm.: §§ 211, 239a, 239b, 249, 255 StGB sind nicht zu prüfen. Es ist davon auszugehen,<br />

dass K bzgl. der Herausgabe <strong>des</strong> Pkw <strong>des</strong> N ein Zurückbehaltungsrecht<br />

zustand und er diese somit berechtigterweise verweigerte.]<br />

PRÜFUNGSSCHEMA: VERSUCHTER TOTSCHLAG, §§ 212 I, 22, 23 I StGB<br />

A. Vorprüfung<br />

B. Tatentschluss<br />

C. Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB<br />

D. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

E. Rücktritt gem. § 24 StGB<br />

I. Kein fehlgeschlagener Versuch<br />

II. Rücktrittsvoraussetzungen<br />

LÖSUNG<br />

A. Strafbarkeit <strong>des</strong> H gem. §§ 212 I, 22, 23 I StGB<br />

Durch die Messerstiche könnte H sich wegen versuchten Totschlags gem.<br />

§§ 212 I, 22, 23 I StGB zum Nachteil <strong>des</strong> K strafbar gemacht haben.<br />

I. Vorprüfung<br />

K ist nicht gestorben, sodass keine Strafbarkeit wegen vollendeter Tat<br />

gegeben ist. Totschlag ist ein Verbrechen, §§ 212 I, 12 I StGB, sodass gem. § 23<br />

I StGB auch der Versuch strafbar ist.<br />

Tatentschluss ist der Wille zur Verwirklichung<br />

der objektiven Tatumstände<br />

bei gleichzeitigem Vorliegen<br />

eventuell erforderlicher besonderer<br />

subjektiver Tatbestandsmerkmale.<br />

Unmittelbares Ansetzen ist gegeben,<br />

wenn der Täter die Schwelle zum<br />

„jetzt geht es los“ überschreitet, was<br />

der Fall ist, wenn er Handlungen<br />

vornimmt, die in die Tatbestandsverwirklichung<br />

unmittelbar einmünden<br />

sollen und <strong>des</strong>halb das geschützte<br />

Rechtsgut aus Sicht <strong>des</strong> Täters bereits<br />

konkret gefährdet ist.<br />

Die mit Tötungsvorsatz ausgeführten<br />

Messerstiche <strong>des</strong> H waren vom<br />

gemeinsamen Tatplan der Brüder N<br />

und H nicht umfasst und stellen<br />

somit eine Exzesshandlung <strong>des</strong> H<br />

dar. Diese kann N nicht über § 25 II<br />

StGB zugerechnet werden, sodass<br />

H der einzige Beteiligte an dem<br />

Totschlagsversuch ist und sich die<br />

Rücktrittsanforderungen somit aus<br />

§ 24 I StGB und nicht aus § 24 II StGB<br />

ergeben.<br />

II. Tatentschluss<br />

H hat bei Ausführung der Stiche den Tod <strong>des</strong> K billigend in Kauf genommen,<br />

hat also mit Eventualvorsatz bzgl. der Tötung <strong>des</strong> K gehandelt. H hatte somit<br />

Tatentschluss zur Begehung eines Totschlags.<br />

III. Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB<br />

Durch die Ausführung der Stiche hat H auch zur Verwirklichung <strong>des</strong> Tatbestan<strong>des</strong><br />

<strong>des</strong> Totschlags unmittelbar angesetzt.<br />

IV. Rechtswidrigkeit<br />

K hat die Herausgabe <strong>des</strong> Pkw <strong>des</strong> N zu Recht verweigert. Sein entsprechen<strong>des</strong><br />

Verhalten stellt also keinen rechtswidrigen Angriff auf Eigentum und Besitz<br />

<strong>des</strong> N dar. sodass das Handeln <strong>des</strong> H nicht aus Nothilfe, § 32 StGB, gerechtfertigt<br />

ist. Auch eine Selbsthilfe, § 229 BGB, scheidet wegen <strong>des</strong> Fehlens<br />

eines durchsetzbaren Herausgabeanspruchs aus. H hat somit rechtswidrig<br />

gehandelt.<br />

V. Schuld<br />

H handelte auch schuldhaft.<br />

VI. Rücktritt, § 24 I StGB<br />

H könnte gem. § 24 I StGB strafbefreiend zurückgetreten sein.<br />

1. Kein Fehlschlag<br />

Der Totschlagsversuch <strong>des</strong> H dürfte nicht fehlgeschlagen sein.<br />

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<strong>RA</strong> <strong>04</strong>/<strong>2023</strong><br />

Strafrecht<br />

215<br />

Nach der Einzelaktstheorie ist ein Versuch bereits fehlgeschlagen, wenn der<br />

Täter einen aus seiner Sicht erfolgsgeeigneten Akt ausgeführt hat und glaubt,<br />

dass dieser den Erfolg nicht herbeiführen wird. H hatte ursprünglich gedacht,<br />

die Messerstiche seien ausreichend zur Tötung <strong>des</strong> K, sodass diese einen aus<br />

seiner Sicht erfolgsgeeigneten Akt darstellten. Nach diesem war H sich aber<br />

sicher, K nicht lebensgefährlich verletzt zu haben, sodass nach der Einzelaktstheorie<br />

ein Fehlschlag vorliegt. Die Tatplantheorie nimmt einen Fehlschlag<br />

an, wenn der Täter alle vorher geplanten Akte ausgeführt hat und glaubt,<br />

dass diese den Erfolg nicht herbeiführen werden. Es ist davon auszugehen,<br />

dass H ursprünglich nur einen Messerangriff auf K geplant hatte, den er –<br />

nach seiner Vorstellung – auch erfolglos ausgeführt hatte, sodass auch nach<br />

der Tatplantheorie der Versuch fehlgeschlagen ist. Nach der Lehre vom<br />

Rücktrittshorizont liegt ein Fehlschlag vor, wenn der Täter nach der letzten<br />

Ausführungshandlung glaubt, die Tat mit den ihm zur Verfügung stehenden<br />

Mitteln nicht mehr vollenden zu können. H dürfte nach seinem Messerangriff<br />

geglaubt haben, K noch einmal angreifen und <strong>des</strong>sen Tod herbeiführen<br />

zu können, sodass nach der Lehre vom Rücktrittshorizont kein Fehlschlag<br />

anzunehmen ist. Die Einzelaktstheorie zerlegt ein aus Tätersicht einheitliches<br />

Geschehen künstlich in einzelne Akte, wohingegen die Tatplantheorie Spontantaten<br />

nicht zu erfassen vermag. Beide Theorien nehmen auch sehr früh<br />

einen Fehlschlag an, was dem Täter aber die Möglichkeit eines strafbefreienden<br />

Rücktritts und damit auch die Motivation dafür nimmt, das Opfer zu<br />

retten, sodass sie opferfeindlich sind. Der Lehre vom Rücktrittshorizont ist zu<br />

folgen. Somit ist kein fehlgeschlagener Versuch gegeben.<br />

Schönke/Schröder, StGB, § 24 Rn 10;<br />

Bosch, JU<strong>RA</strong> 2014, 395<br />

BGH, Urteil vom 12.02.1969,<br />

2 StR 537/68, NJW 1969, 1358<br />

BGH, Beschluss vom 27.06.2018,<br />

4 StR 110/18, NStZ 2018, 706; Joecks/<br />

Jäger, StGB, § 24 Rn 20; Rengier, AT,<br />

§ 37 Rn 34<br />

2. Rücktrittsvoraussetzungen<br />

„[10] a) § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB ermöglicht den Rücktritt vom – wie<br />

von dem Landgericht rechtsfehlerfrei angenommenen – unbeendeten<br />

Versuch durch Aufgabe der weiteren Ausführung der Tat. Tat in diesem<br />

Sinne ist eine Straftat im Sinne eines materiell-rechtlichen Straftatbestan<strong>des</strong>,<br />

das heißt die in den gesetzlichen Straftatbeständen<br />

umschriebene tatbestandsmäßige Handlung und der tatbestandsmäßige<br />

Erfolg. Dementsprechend beschränkt sich beim unbeendeten<br />

Versuch der Entschluss, die weitere Tatausführung aufzugeben, auf die<br />

Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale. Erforderlich<br />

ist insoweit, dass der Täter von der konkreten Tatbegehung endgültig<br />

Abstand genommen hat. Nicht aufgegeben ist die Tat, solange er mit<br />

dem Versuch ihrer Begehung lediglich vorübergehend innehält.<br />

[11] Maßgeblich ist das Vorstellungsbild <strong>des</strong> Täters nach dem Abschluss<br />

der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung. Bei einem<br />

mehraktigen Geschehen, innerhalb <strong>des</strong>sen der Täter verschiedene Handlungen<br />

vornimmt, die auf die Herbeiführung eines strafrechtlich relevanten Erfolges<br />

gerichtet sind, kommt es auf das subjektive Vorstellungsbild <strong>des</strong> Täters nach<br />

jedem Einzelakt an. Bilden jedoch die Einzelakte untereinander und mit der<br />

letzten Tathandlung ein durch die subjektive Zielsetzung <strong>des</strong> Täters verbundenes,<br />

örtlich und zeitlich einheitliches Geschehen, so ist für die<br />

Bestimmung <strong>des</strong> Rücktrittshorizonts allein die subjektive Sicht <strong>des</strong> Täters<br />

nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung maßgeblich. Hierfür müssen<br />

die tatgerichtlichen Feststellungen und die sie tragenden Beweiserwägungen<br />

einen Vorsatzwechsel ausschließen und belegen, dass nach der subjektiven<br />

Zielsetzung <strong>des</strong> Täters ein solches einheitliches Geschehen anzunehmen ist.<br />

Unbeendet ist ein Versuch, solange<br />

der Täter glaubt, er habe noch nicht<br />

alles seinerseits für die Vollendung<br />

erforderliche getan.<br />

BGH, Beschluss vom 19.05.1993,<br />

GSSt 1/93, NJW 1993, 2061<br />

BGH, Urteil vom 15.07.2021,<br />

3 StR 481/20, NStZ 2022, 753<br />

BGH, Urteil vom 13.08.2015,<br />

4 StR 99/15, StV 2017, 657<br />

BGH, Beschluss vom 03.02.2022,<br />

2 StR 317/21; Urteil vom 17.02.2016,<br />

2 StR 213/15, NStZ 2017<br />

BGH, Beschluss vom 05.09.2019,<br />

4 StR 394/19, NStZ 2020, 82<br />

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216 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>04</strong>/<strong>2023</strong><br />

Der Grund, warum die Messerstiche<br />

und die anschließenden Verletzungshandlungen<br />

kein einheitliches<br />

Geschehen bilden und <strong>des</strong>halb<br />

auf die Vorstellung <strong>des</strong> H nach den<br />

Stichen und nicht nach dem Ende<br />

<strong>des</strong> gemeinsamen Angriffs auf K<br />

anzustellen ist, liegt darin, dass<br />

H die Messerstiche anders als die<br />

nachfolgenden Schläge und Tritte<br />

mit Tötungsvorsatz ausgeführt hat.<br />

Somit hat er mit den Stichen ein<br />

anderes „Ziel“ verfolgt (die Tötung<br />

<strong>des</strong> K) als mit den anschließenden<br />

Verletzungshandlungen (die das<br />

Opfer nur misshandeln sollten).<br />

[12] b) Gemessen hieran ist die […] Beweiswürdigung <strong>des</strong> Landgerichts<br />

zu dem Rücktrittshorizont und Vorsatzwechsel <strong>des</strong> Angeklagten H im<br />

Ergebnis nicht zu beanstanden. Zu Recht stellt die Strafkammer hierbei<br />

auf den Zeitpunkt ab, zu dem der Angeklagte von dem weiteren Einsatz<br />

<strong>des</strong> Messers absah. Die Messerstiche bildeten mit den sich anschließenden<br />

Schlägen und Tritten kein einheitliches Geschehen, welches es nach den<br />

vorgenannten Grundsätzen rechtfertigen würde, zur Bestimmung <strong>des</strong><br />

Rücktrittshorizonts auf die letzte Ausführungshandlung <strong>des</strong> Angeklagten<br />

in dem Gesamtgeschehen abzustellen. Auch ist revisionsgerichtlich nicht<br />

zu beanstanden, dass das Landgericht nicht die Überzeugung gewonnen<br />

hat, dass der Angeklagte die Schläge und die ihm nach § 25 Abs. 2 StGB<br />

zuzurechnenden Tritte nicht mit Tötungsvorsatz ausführte.“<br />

In dem maßgeblichen Zeitpunkt unmittelbar nach den Messerstichen wollte<br />

H keine weiteren Angriffe mit Tötungsvorsatz vornehmen und hat somit<br />

die weitere Ausführung der Tat (<strong>des</strong> § 212 I StGB) endgültig und nicht nur<br />

vorübergehend aufgegeben. Er handelte auch aus autonomen Motiven<br />

und somit freiwillig. H ist gem. § 24 I 1 1.Fall StGB strafbefreiend zurückgetreten.<br />

VII. Ergebnis<br />

H ist nicht strafbar gem. §§ 212 I, 22, 23 I StGB.<br />

B. Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 25 II, 22, 23 I StGB<br />

Durch die Verabredung, K gemeinsam mit N anzugreifen, könnte H sich<br />

wegen versuchten Totschlags in Mittäterschaft, §§ 212 I, 22, 23 I StGB, strafbar<br />

gemacht haben.<br />

I. Vorprüfung<br />

Der Totschlag (in Mittäterschaft) ist nicht vollendet und der entsprechende<br />

Versuch strafbar (vgl. o.).<br />

Interessant an der vorliegenden<br />

Konstellation ist die Tatsache, dass<br />

der gemeinsame Tatplan der Angeklagten<br />

nur eine (gefährliche)<br />

Körperverletzung umfasste, nicht<br />

aber die Tötung <strong>des</strong> Opfers. Da sie<br />

auch jeweils nicht wussten, dass der<br />

Partner eine Waffe bei sich führte,<br />

stellen sich sowohl der Totschlagsversuch<br />

<strong>des</strong> H durch die Stiche als<br />

auch derjenige <strong>des</strong> N durch die<br />

Schüsse als Exzess dar. Wäre H nicht<br />

zurückgetreten, wären er und N<br />

also jeder als Alleintäter eines Totschlagsversuchs,<br />

§§ 212 I, 22, 23 I<br />

StGB, strafbar, wohingegen sie die<br />

mitverwirkliche gefährliche Körperverletzung<br />

im Mittäterschaft,<br />

§§ 223 I, 224 I Nr. 2, 4, 5, 25 II StGB,<br />

begangen haben.<br />

II. Tatentschluss<br />

Von seinem eigenhändigen Totschlagsversuch ist H zurückgetreten (s.o.). Wenn<br />

H allerdings auch eine Tötungshandlung <strong>des</strong> N gewollt und sich Umstände<br />

vorgestellt hätt, die ihn zu <strong>des</strong>sen Mittäter machten, dann hätte er Tatentschluss<br />

bzgl. einer gemeinschaftlichen Tötung <strong>des</strong> K gem. § 25 II StGB.<br />

N und H hatten zwar geplant, K unter Anwendung von Gewalt zur Herausgabe<br />

<strong>des</strong> Pkw <strong>des</strong> N zu zwingen, sodass eine gemeinschaftliche Körperverletzung<br />

vom Tatentschluss der Mittäter umfasst war. K zu töten war unter den Mittätern<br />

allerdings nicht abgesprochen und da H auch nicht wusste, dass N<br />

eine geladene Pistole zum Tatort mitnehmen würde, ist ein entsprechender<br />

Totschlagsversuch vom gemeinsamen Tatplan nicht umfasst. Die Schüsse<br />

<strong>des</strong> N stellen somit einen Exzess dar; H hat keinen Tatentschluss bzgl. einer<br />

gemeinschaftlichen Tötung <strong>des</strong> K.<br />

III. Ergebnis<br />

H ist nicht strafbar gem. §§ 212 I, 22, 23 I StGB.<br />

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