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RA 05/2023 - Entscheidung des Monats

Ist die Widerrufsinformation bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag, der zur Finanzierung eines Kaufvertrages dient, fehlerhaft, besteht wegen der Regelung des § 356 III 3 BGB ein ewiges Widerrufsrecht. Je später der Widerruf erfolgt, desto aufwändiger fällt die Rückabwicklung aus.

Ist die Widerrufsinformation bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag, der zur Finanzierung eines Kaufvertrages dient, fehlerhaft, besteht wegen der Regelung des § 356 III 3 BGB ein ewiges Widerrufsrecht. Je später der Widerruf erfolgt, desto aufwändiger fällt die Rückabwicklung aus.

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<strong>05</strong>/<strong>2023</strong><br />

ENTSCHEIDUNGDESMONATS<br />

ZIVILRECHT<br />

Widerufeinesmiteinem Fahrzeugkaufvertrag<br />

verbundenenVerbraucherdarlehensvertrags


© Syda Productions - stock.adobe.com<br />

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Stand: April <strong>2023</strong>


230 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>05</strong>/<strong>2023</strong><br />

Problem: Widerruf eines mit einem Fahrzeugkaufvertrag<br />

verbundenen Verbraucherdarlehensvertrags<br />

Einordnung: Schuldrecht, Verbraucherwiderrufsrecht<br />

BGH, Urteil vom 14.02.<strong>2023</strong><br />

XI ZR 152/22<br />

LEITSATZ<br />

Bei einem mit einem im stationären<br />

Handel geschlossenen Fahrzeugkaufvertrag<br />

verbundenen und vom Darlehensnehmer<br />

widerrufenen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag<br />

entfällt das Leistungsverweigerungsrecht<br />

<strong>des</strong> Darlehensgebers nach § 357<br />

Abs. 4 Satz 1 BGB nicht dadurch, dass<br />

der Darlehensnehmer das Fahrzeug<br />

an einen - weder an dem<br />

Darlehensvertrag noch an dem damit<br />

verbundenen Kaufvertrag beteiligten -<br />

Dritten veräußert hat.<br />

Das Berufungsgericht hatte sorgfältig<br />

überprüft, ob K durch sein<br />

Verhalten (Weiternutzung <strong>des</strong> Fahrzeugs<br />

über Jahre, Verlängerung <strong>des</strong><br />

Darlehensvertrages, Stundung der<br />

Darlehensforderung, Bereitschaft zur<br />

Zahlung von Wertersatz) einen Vertrauenstatbestand<br />

gesetzt hat, auf den<br />

B so vertrauen durfte, dass K gegen<br />

Treu und Glauben verstieße, wenn er<br />

widerruft und nach den Widerrufsregeln<br />

abwickeln möchte. Es lehnte<br />

dies aber aufgrund seiner tatrichterlichen<br />

Feststellungen ab. Deshalb<br />

sieht auch der BGH keinen Verstoß<br />

gegen Treu und Glauben seitens K.<br />

Aus Platzgründen vertiefen wir diesen<br />

Einzelaspekt <strong>des</strong> Falles weder im Sachverhalt<br />

noch in der Lösung.<br />

EINLEITUNG<br />

Ist die Widerrufsinformation bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag,<br />

der zur Finanzierung eines Kaufvertrages dient, fehlerhaft, besteht<br />

wegen der Regelung <strong>des</strong> § 356 III 3 BGB ein ewiges Widerrufsrecht. Je später<br />

der Widerruf erfolgt, <strong>des</strong>to aufwändiger fällt die Rückabwicklung aus. Nicht<br />

selten hat der Verbraucher die zurückzugewährende Ware bereits an einen<br />

Dritten veräußert. Dies führt zu harschen Konsequenzen.<br />

SACHVERHALT<br />

K erwarb im November 2016 von S einen gebrauchten Merce<strong>des</strong>-Benz zum<br />

Kaufpreis von 49.500 €. Zur Finanzierung <strong>des</strong> Kaufpreises schloss K mit der<br />

Bank B am 19.11.2016 einen mit dem Kaufvertrag i. S. d. § 358 III BGB verbundenen<br />

Darlehensvertrag über 49.500 €. Das Darlehen sollte in 48 <strong>Monats</strong>raten<br />

zu je 490,- € und einer Schlussrate von 30.759,72 € zurückgezahlt werden.<br />

Der PKW wurde B zur Sicherung übereignet. Die Widerrufsinformation war<br />

hinsichtlich <strong>des</strong> Hinweises auf die Verzugsfolgen fehlerhaft und entsprach<br />

dadurch weder den Anforderungen <strong>des</strong> Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB noch<br />

der Anlage 7 zum EGBGB. Mit E-Mail vom 26.07.2020 erklärte K den Widerruf<br />

seiner auf Abschluss <strong>des</strong> Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. B<br />

wies den Widerruf als verfristet zurück. Auf Wunsch <strong>des</strong> K verlängerten die<br />

Parteien im Dezember 2020 den Darlehensvertrag um drei Monate. Im März<br />

2021 löste K das Darlehen vollständig ab, worauf B das Sicherungseigentum<br />

an dem Fahrzeug freigab. Am 23.03.2021 veräußerte K das Fahrzeug an<br />

einen Dritten zu einem Kaufpreis von 19.000 €. K verlangt von B die Rückzahlung<br />

der an B geleisteten Zins- und Tilgungsraten abzüglich <strong>des</strong> bei dem<br />

Weiterverkauf <strong>des</strong> Fahrzeugs von ihm erzielten Kaufpreises und <strong>des</strong> für den<br />

Wertverlust <strong>des</strong> Fahrzeugs zu zahlenden Wertersatzes nebst Zinsen. B beruft<br />

sich auf ihr Zurückbehaltungsrecht und verweigert die Zahlung bis zur Rückgewähr<br />

<strong>des</strong> Fahrzeugs. Zu Recht, wenn seitens K kein Verstoß gegen Treu und<br />

Glauben vorliegt?<br />

LÖSUNG<br />

A. Anspruch <strong>des</strong> K gegen B auf Rückzahlung der Raten gem. §§ 355 III,<br />

358 IV 1, 357 I BGB<br />

K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung der Raten aus einem<br />

Rückgewährschuldverhältnis gem. §§ 355 III, 358 IV 1, 357 I BGB haben. Dann<br />

muss K den Darlehensvertrag mit B wirksam widerrufen haben. Ferner darf<br />

dem Anspruch nicht das seitens B geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht<br />

entgegenstehen.<br />

I. Widerrufserklärung <strong>des</strong> K<br />

K muss den Darlehensvertrag widerrufen haben. Dies erfolgte am 26.07.2020<br />

per E-Mail, was den Anforderungen <strong>des</strong> § 355 I BGB entspricht.<br />

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<strong>RA</strong> <strong>05</strong>/<strong>2023</strong><br />

Zivilrecht<br />

231<br />

II. Widerrufsrecht <strong>des</strong> K<br />

K muss zur Zeit <strong>des</strong> Widerrufs ein Verbraucherwiderrufsrecht im Sinne <strong>des</strong><br />

§ 355 BGB zugestanden haben. In Betracht kommt § 495 BGB. Dies setzt einen<br />

Verbraucherdarlehensvertrag i.S.d. § 491 BGB voraus. Vorliegend können<br />

K und B einen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag gem. § 491 II BGB<br />

geschlossen haben. Dies setzt voraus, dass K als Verbraucher gem. § 13 BGB<br />

mit B als Unternehmer i. S. d. § 14 BGB einen entgeltlichen Darlehensvertrag<br />

geschlossen hat, bei dem B Darlehensgeber war. K kaufte den Pkw zu privaten<br />

Zwecken und handelte damit als Verbraucher gem. § 13 BGB. B ist als<br />

gewerblich handelnde Bank Unternehmer i. S. d. § 14 BGB. Das Gelddarlehen<br />

war verzinst und mithin entgeltlich. Ausschlussgründe gem. § 491 II 2 BGB<br />

oder § 495 II BGB liegen nicht vor.<br />

III. Einhaltung der Widerrufsfrist gem. § 355 II BGB<br />

Die Widerrufsfrist beträgt gem. § 355 II 1 BGB 14 Tage. K erklärte den Widerruf<br />

4 Jahre nach dem Vertragsschluss. Hier ist fraglich, ob die Widerrufsfrist schon<br />

zu laufen begonnen hat. Grundsätzlich beginnt der Lauf der Widerrufsfrist<br />

gem. § 355 II 2 BGB mit dem Vertragsschluss, vorausgesetzt, der Darlehensgeber<br />

hat gem. § 356 BGB alle Widerrufsinformationen fehlerfrei dem Verbraucher<br />

in der vorgeschriebenen Form zur Verfügung gestellt. Dies könnte<br />

hier aufgrund der im Hinblick auf die Verzugsfolgen fehlerhafte Widerrufsinformation<br />

nicht der Fall sein.<br />

Voraussetzungen <strong>des</strong> Allgemein-<br />

Verbraucherdarlehensvertrages gem.<br />

§ 491 II BGB<br />

Die Widerrufsinformation war fehlerhaft,<br />

weshalb § 356 BGB verletzt<br />

ist.<br />

[16] (...) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die<br />

vierzehntägige Widerrufsfrist aus § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB gemäß § 356b<br />

Abs. 2 Satz 1 BGB nicht zu laufen begann, da die Beklagte ihre aus § 492<br />

Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB<br />

resultierende Verpflichtung, über den Verzugszinssatz und die Art und<br />

Weise seiner etwaigen Anpassung zu unterrichten, nicht ordnungsgemäß<br />

erfüllt hat.<br />

Gem. § 356 III 3 BGB gilt der in § 356 III 2 BGB für das Widerrufsrecht geregelte<br />

Erlöschenszeitpunkt (1 Jahr und 14 Tage) nicht bei Verträgen über Finanzdienstleistungen.<br />

Indem es sich beim hier vorliegenden Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag<br />

um eine Finanzdienstleistung handelt, war das Widerrufsrecht<br />

zur Zeit der Widerrufserklärung <strong>des</strong> K noch nicht verfristet.<br />

IV. Zurückbehaltungsrecht der B gem. §§ 358 IV 1, 357 IV 1 BGB<br />

Dem Rückzahlungsbegehren <strong>des</strong> K könnte das seitens B geltend gemachte<br />

Zurückbehaltungsrecht gem. §§ 358 IV 1, 357 IV 1 BGB entgegenstehen.<br />

Gem. § 358 IV 1 BGB findet bei verbundenen Verträgen i. S. d. § 358 III BGB<br />

im Falle <strong>des</strong> Widerrufs unabhängig von der Vertriebsform die Vorschrift <strong>des</strong><br />

§ 357 IV 1 BGB Anwendung, folglich auch dann, wenn die Ware nicht per<br />

Fernabsatz oder außerhalb <strong>des</strong> Geschäftsraums <strong>des</strong> Unternehmers, sondern<br />

im stationären Handel erworben wurde. Ein verbundener Vertrag liegt vor.<br />

§ 357 IV 1 BGB setzt voraus, dass der Unternehmer die Ware nicht zurückerhalten<br />

hat. Vorliegend besteht das Problem in der Weiterveräußerung<br />

<strong>des</strong> zurückzugebenden Pkw an einen Dritten. Zu prüfen ist, wie sich<br />

diese Unmöglichkeit der Rückgewähr auf das Zurückbehaltungsrecht<br />

auswirkt.<br />

Man kann vertreten, dass im Falle der Unmöglichkeit der Rückgewähr gem.<br />

§ 275 BGB sich die Vorleistungspflicht <strong>des</strong> Verbrauchers in Sekundäransprüche<br />

auf Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 I, III, 283 BGB oder in den<br />

Besonderheit <strong>des</strong> § 356 III 3 BGB<br />

Die Änderungen in § 358 IV 1 BGB,<br />

die der Gesetzgeber im Mai 2022<br />

in der Rechtsnorm vorgenommen<br />

hat, betreffen nur die Verweisungen<br />

auf die §§ 357 ff. BGB und berühren<br />

unseren Fall nicht. Lassen Sie sich<br />

bitte nicht von der Zitierweise <strong>des</strong><br />

BGH „§ 358 IV 1 aF“ irritieren!<br />

Um die Frage der Auswirkungen der<br />

Unmöglichkeit der Rückgabe auf<br />

§ 357 IV 1 BGB besteht Streit zwischen<br />

den OLG.<br />

OLG Celle, Urteil vom 02.02.2022,<br />

3 U 51/21<br />

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232 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>05</strong>/<strong>2023</strong><br />

OLG Frankfurt am Main, Beschluss<br />

vom 29.06.2022, 24 U 101/21<br />

sowie OLG München, Urteile vom<br />

08.08.2022, 19 U 686/22 und vom<br />

<strong>05</strong>.12.2022, 17 U 7836/21<br />

Wörtliche Auslegung: Das Wort „bis“<br />

lässt es vom Wortsinne her zu, dass<br />

aus einer dilatorischen Einrede eine<br />

peremptorische Einrede wird.<br />

Die Möglichkeit der Rückgewähr ist<br />

keine Voraussetzung <strong>des</strong> Leistungsverweigerungsrechts<br />

aus § 358 IV 1,<br />

357 IV 1 BGB.<br />

Systematische Auslegung: Vergleich<br />

mit anderen Zurückbehaltungsrechten<br />

§ 357 IV 1 BGB knüpft nicht an Leistungspflichten<br />

an, sondern an den<br />

tatsächlichen Umstand <strong>des</strong> Rückerhalts<br />

der Ware.<br />

Anspruch auf Herausgabe <strong>des</strong> stellvertretenden commodum gem § 285 I<br />

BGB (z.B. Erlös aus der Weiterveräußerung an einen Dritten) umwandle. Diese<br />

Ansprüche kann der Darlehensgeber im Falle <strong>des</strong> Schadensersatzanspruchs<br />

im Wege der Aufrechnung oder im Falle <strong>des</strong> § 285 I BGB im Wege eines Zurückbehaltungsrechts<br />

entgegenhalten.<br />

Man kann im Gegensatz dazu der Meinung sein, dass das Leistungsverweigerungsrecht<br />

<strong>des</strong> Darlehensgebers aus § 358 IV 1 i. V. m. § 357 IV 1 BGB auch<br />

im Falle der Veräußerung der zurückzugewährenden Ware durch den Verbraucher<br />

erhalten bleibt. Dies hätte zur Konsequenz, dass dem Darlehensgeber<br />

das Leistungsverweigerungsrecht solange zusteht, bis der vorleistungspflichtige<br />

Verbraucher die Ware zurückgewährt. Dadurch würde das<br />

Gegenrecht <strong>des</strong> Darlehensgebers zu einem dauerhaften Leistungsverweigerungsrecht,<br />

wenn dem Verbraucher die Rückgewähr der Ware endgültig<br />

nicht mehr möglich ist.<br />

Fraglich ist, welcher Auffassung zu folgen ist. Zu untersuchen ist zunächst der<br />

Wortlaut der Rechtsnorm.<br />

[32] Der Wortlaut <strong>des</strong> § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB kennt keine Einschränkung<br />

für den Fall der Weiterveräußerung der zurückzugewährenden Ware.<br />

Vielmehr besteht das Leistungsverweigerungsrecht <strong>des</strong> Unternehmers, bis<br />

er die Ware zurückerhalten hat. Mit der Konjunktion „bis“ gibt das Gesetz<br />

nicht nur eine zeitliche Grenze an, die so lange aufgeschoben ist, bis der<br />

bezeichnete Zustand - der Rückerhalt der Ware - tatsächlich eingetreten<br />

ist, sondern stellt auch unmittelbar auf die tatsächliche Rückgabe der<br />

Ware ab. Die mit „bis“ angezeigte zeitliche Grenze muss daher nicht ihrerseits<br />

endlich sein. Das grundsätzlich dilatorische Leistungsverweigerungsrecht<br />

kann also zu einem peremptorischen werden, wenn der<br />

Zustand, mit dem das Leistungsverweigerungsrecht grundsätzlich<br />

endet, endgültig nicht mehr eintreten kann, dem Verbraucher also<br />

die Rückgewähr der Ware unmöglich ist. Das Leistungsverweigerungsrecht<br />

aus § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB aF i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB<br />

setzt, anders als das Berufungsgericht meint, nicht die Möglichkeit der<br />

Rückgewähr der Ware voraus (...).<br />

[33] Ein Fortfall <strong>des</strong> Leistungsverweigerungsrechts mit dem Untergang<br />

der Leistungspflicht <strong>des</strong> Verbrauchers gemäß § 275 BGB ist weder im<br />

Wortlaut <strong>des</strong> § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB angelegt noch findet er in anderen<br />

Normen eine rechtliche Grundlage. Anders als § 273 Abs. 1 BGB („die ihm<br />

gebührende Leistung“) oder § 320 Abs. 1 BGB („Gegenleistung“) knüpft<br />

der Wortlaut <strong>des</strong> § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB das Leistungsverweigerungsrecht<br />

<strong>des</strong> Unternehmers nicht an die Pflicht <strong>des</strong> Verbrauchers zu einer (Rückgewähr-)Leistung,<br />

die gemäß § 275 BGB entfallen kann, sondern an einen<br />

tatsächlichen Umstand, nämlich den Rückerhalt der Ware oder den<br />

Nachweis von deren Versendung. (...).<br />

Folglich sprechen sowohl der Wortlaut als auch der Vergleich mit anderen<br />

Zurückbehaltungsrechten für das Fortbestehen <strong>des</strong> Leistungsverweigerungsrechts.<br />

Diese Auslegung könnte gestützt werden durch den Sinn und Zweck<br />

der in § 357 IV 1 BGB angeordneten Vorleistungspflicht <strong>des</strong> Verbrauchers.<br />

[38] Die Vorleistungspflicht <strong>des</strong> Verbrauchers nach § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB<br />

verfolgt nicht nur den Zweck, dem Unternehmer die Bemessung seines<br />

Wertersatzanspruchs zu ermöglichen, um diesen dem Rückgewähranspruch<br />

<strong>des</strong> Verbrauchers im Wege der Aufrechnung entgegenhalten zu<br />

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<strong>RA</strong> <strong>05</strong>/<strong>2023</strong><br />

Zivilrecht<br />

233<br />

können (...), sondern soll dem Unternehmer vor der Kaufpreisrückzahlung<br />

hinreichende Gewähr für das tatsächliche Wiedererlangen<br />

der Ware bieten (...). Indem § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB den Darlehensgeber<br />

bei Widerruf <strong>des</strong> mit einem Kaufvertrag verbundenen Darlehensvertrags<br />

(§ 358 Abs. 2 BGB) hinsichtlich der Rückgewähr der empfangenen Leistungen<br />

in die Rechte und Pflichten <strong>des</strong> Verkäufers eintreten lässt, gewährt<br />

das Gesetz dem Darlehensgeber die freie Disponibilität über die<br />

zurückgewährte Ware (...). Das Leistungsinteresse <strong>des</strong> Darlehensgebers<br />

ist folglich auf die Ware selbst, hier das Fahrzeug, und nicht<br />

allein auf den darin verkörperten Geldwert gerichtet (...).<br />

[39] Der Darlehensgeber soll mit der Ware nach dem Widerruf frei<br />

wirtschaften können. Mit der Veräußerung der Ware vereitelt der<br />

Verbraucher das Recht <strong>des</strong> Darlehensgebers auf Rückgabe und Verwertung<br />

der Ware (...). Könnte die Beklagte wegen der Veräußerung <strong>des</strong><br />

Fahrzeugs das Leistungsverweigerungsrecht aus § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB aF<br />

i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht mehr geltend machen, müsste sie die<br />

von dem Kläger erbrachten Zins- und Tilgungszahlungen zurückerstatten,<br />

ohne auf das ihr ursprünglich sicherungsübereignete Fahrzeug als<br />

Wirtschaftsgut zugreifen zu können.<br />

[40] Die Vorleistungspflicht <strong>des</strong> Käufers dient auch dazu, dem Unternehmer<br />

die Bemessung seines Wertersatzanspruchs zu ermöglichen(...),<br />

was eine physische Prüfung der Ware im Hinblick auf den Pflege- und<br />

Erhaltungszustand sowie die Laufleistung voraussetzt. (...). Der Wertverlust<br />

bemisst sich nach der Vergleichswertmethode. Danach hat der<br />

Kläger die Differenz zwischen dem unter Heranziehung der vertraglichen<br />

Gegenleistung zu ermittelnden Verkehrswert <strong>des</strong> finanzierten Fahrzeugs<br />

bei Abschluss <strong>des</strong> Darlehensvertrags und dem Verkehrswert <strong>des</strong> Fahrzeugs<br />

bei <strong>des</strong>sen Rückgabe an den Darlehensgeber zu ersetzen (...).<br />

[41] Bei Nichtrückgabe der Ware kann der Wertverlust auch nicht schlicht<br />

dadurch bemessen werden, dass der Endwert mit null angesetzt wird. Dies<br />

würde - wie bereits ausgeführt - die vom Gesetz dem Unternehmer oder<br />

Darlehensgeber eingeräumte freie Disponibilität über die zurückgewährte<br />

Ware missachten, die ihnen die Möglichkeit eröffnen soll, die Ware - gegebenenfalls<br />

nach Durchführung von werterhöhenden Maßnahmen - verwerten<br />

zu können.<br />

Folglich erlosch das Zurückbehaltungsrecht nicht infolge der Weiterveräußerung<br />

an den Dritten.<br />

B. Ergebnis<br />

K hat gegen B keinen Anspruch auf Rückzahlung der Raten aus einem Rückgewährschuldverhältnis<br />

gem. §§ 355 III, 358 IV 1, 357 I BGB.<br />

Wichtig: § 357 IV 1 BGB verfolgt<br />

den Zweck, dem Unternehmer die<br />

freie Disponibilität über die Ware<br />

zu gewähren – dies ist ein Mehr an<br />

Rechten als es eine bloße Wertersatzpflicht<br />

verkörpern würde.<br />

Dieses Argument darf nicht untergehen:<br />

Die Veräußerung an einen<br />

Dritten vereitelt das Recht <strong>des</strong><br />

Unternehmers, mit der Sache frei zu<br />

wirtschaften!<br />

Argument: Damit der Unternehmer<br />

den Wertersatzanspruch bemessen<br />

kann, muss er die Ware in Augenschein<br />

nehmen können. Deshalb<br />

muss der Verbraucher die Ware<br />

zurücksenden, um anschließend<br />

sein Geld zurückzuerhalten.<br />

Parallel zu dieser <strong>Entscheidung</strong><br />

urteilte der XI. Zivilsenat am<br />

14.02.<strong>2023</strong> im Verfahren mit dem<br />

Aktenzeichen XI ZR 537/21 anders,<br />

weil er dort von einer Zustimmung<br />

<strong>des</strong> Darlehensgebers zur Veräußerung<br />

an den Dritten ausging.<br />

FAZIT<br />

Gem. § 357 IV 1 BGB steht dem Unternehmer ein Zurückbehaltungsrecht<br />

gegen den vorleistungspflichtigen Verbraucher zu, welches nicht erlischt,<br />

wenn der Verbraucher die herauszugebende Ware an einen Dritten veräußert.<br />

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