RA 05/2023 - Entscheidung des Monats
Ist die Widerrufsinformation bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag, der zur Finanzierung eines Kaufvertrages dient, fehlerhaft, besteht wegen der Regelung des § 356 III 3 BGB ein ewiges Widerrufsrecht. Je später der Widerruf erfolgt, desto aufwändiger fällt die Rückabwicklung aus.
Ist die Widerrufsinformation bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag, der zur Finanzierung eines Kaufvertrages dient, fehlerhaft, besteht wegen der Regelung des § 356 III 3 BGB ein ewiges Widerrufsrecht. Je später der Widerruf erfolgt, desto aufwändiger fällt die Rückabwicklung aus.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>05</strong>/<strong>2023</strong><br />
ENTSCHEIDUNGDESMONATS<br />
ZIVILRECHT<br />
Widerufeinesmiteinem Fahrzeugkaufvertrag<br />
verbundenenVerbraucherdarlehensvertrags
© Syda Productions - stock.adobe.com<br />
Examenstipps Digital für das Öffentliche Recht:<br />
Länderspezifische Tipps für das Examen<br />
Sie wünschen sich eine verlässliche Quelle, die Ihnen<br />
mitteilt, was im Examen laufen könnte, ohne stundenlang<br />
im Netz zu recherchieren?<br />
Nutzen Sie Ihre Zeit in der Examensvorbereitung mit<br />
unseren Examenstipps noch effektiver und konzentrieren<br />
Sie sich auf die inhaltliche Bearbeitung.<br />
Direkt online<br />
im Shop bestellen!<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Laufende Aktualisierungen<br />
Einordnung der Examensprobleme<br />
Direkte Verweise zum Crashkursskript<br />
Infos zu Examenstreffern aus dem<br />
1. und 2. Staatsexamen<br />
Aktuell erhältlich für:<br />
Baden-Württemberg, Berlin,<br />
Brandenburg, Hamburg, Hessen,<br />
NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland,<br />
Sachsen<br />
Einmal<br />
zahlen<br />
Immer<br />
aktuell<br />
verlag.jura-intensiv.de /digitale-produkte<br />
Stand: April <strong>2023</strong>
230 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>05</strong>/<strong>2023</strong><br />
Problem: Widerruf eines mit einem Fahrzeugkaufvertrag<br />
verbundenen Verbraucherdarlehensvertrags<br />
Einordnung: Schuldrecht, Verbraucherwiderrufsrecht<br />
BGH, Urteil vom 14.02.<strong>2023</strong><br />
XI ZR 152/22<br />
LEITSATZ<br />
Bei einem mit einem im stationären<br />
Handel geschlossenen Fahrzeugkaufvertrag<br />
verbundenen und vom Darlehensnehmer<br />
widerrufenen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag<br />
entfällt das Leistungsverweigerungsrecht<br />
<strong>des</strong> Darlehensgebers nach § 357<br />
Abs. 4 Satz 1 BGB nicht dadurch, dass<br />
der Darlehensnehmer das Fahrzeug<br />
an einen - weder an dem<br />
Darlehensvertrag noch an dem damit<br />
verbundenen Kaufvertrag beteiligten -<br />
Dritten veräußert hat.<br />
Das Berufungsgericht hatte sorgfältig<br />
überprüft, ob K durch sein<br />
Verhalten (Weiternutzung <strong>des</strong> Fahrzeugs<br />
über Jahre, Verlängerung <strong>des</strong><br />
Darlehensvertrages, Stundung der<br />
Darlehensforderung, Bereitschaft zur<br />
Zahlung von Wertersatz) einen Vertrauenstatbestand<br />
gesetzt hat, auf den<br />
B so vertrauen durfte, dass K gegen<br />
Treu und Glauben verstieße, wenn er<br />
widerruft und nach den Widerrufsregeln<br />
abwickeln möchte. Es lehnte<br />
dies aber aufgrund seiner tatrichterlichen<br />
Feststellungen ab. Deshalb<br />
sieht auch der BGH keinen Verstoß<br />
gegen Treu und Glauben seitens K.<br />
Aus Platzgründen vertiefen wir diesen<br />
Einzelaspekt <strong>des</strong> Falles weder im Sachverhalt<br />
noch in der Lösung.<br />
EINLEITUNG<br />
Ist die Widerrufsinformation bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag,<br />
der zur Finanzierung eines Kaufvertrages dient, fehlerhaft, besteht<br />
wegen der Regelung <strong>des</strong> § 356 III 3 BGB ein ewiges Widerrufsrecht. Je später<br />
der Widerruf erfolgt, <strong>des</strong>to aufwändiger fällt die Rückabwicklung aus. Nicht<br />
selten hat der Verbraucher die zurückzugewährende Ware bereits an einen<br />
Dritten veräußert. Dies führt zu harschen Konsequenzen.<br />
SACHVERHALT<br />
K erwarb im November 2016 von S einen gebrauchten Merce<strong>des</strong>-Benz zum<br />
Kaufpreis von 49.500 €. Zur Finanzierung <strong>des</strong> Kaufpreises schloss K mit der<br />
Bank B am 19.11.2016 einen mit dem Kaufvertrag i. S. d. § 358 III BGB verbundenen<br />
Darlehensvertrag über 49.500 €. Das Darlehen sollte in 48 <strong>Monats</strong>raten<br />
zu je 490,- € und einer Schlussrate von 30.759,72 € zurückgezahlt werden.<br />
Der PKW wurde B zur Sicherung übereignet. Die Widerrufsinformation war<br />
hinsichtlich <strong>des</strong> Hinweises auf die Verzugsfolgen fehlerhaft und entsprach<br />
dadurch weder den Anforderungen <strong>des</strong> Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB noch<br />
der Anlage 7 zum EGBGB. Mit E-Mail vom 26.07.2020 erklärte K den Widerruf<br />
seiner auf Abschluss <strong>des</strong> Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. B<br />
wies den Widerruf als verfristet zurück. Auf Wunsch <strong>des</strong> K verlängerten die<br />
Parteien im Dezember 2020 den Darlehensvertrag um drei Monate. Im März<br />
2021 löste K das Darlehen vollständig ab, worauf B das Sicherungseigentum<br />
an dem Fahrzeug freigab. Am 23.03.2021 veräußerte K das Fahrzeug an<br />
einen Dritten zu einem Kaufpreis von 19.000 €. K verlangt von B die Rückzahlung<br />
der an B geleisteten Zins- und Tilgungsraten abzüglich <strong>des</strong> bei dem<br />
Weiterverkauf <strong>des</strong> Fahrzeugs von ihm erzielten Kaufpreises und <strong>des</strong> für den<br />
Wertverlust <strong>des</strong> Fahrzeugs zu zahlenden Wertersatzes nebst Zinsen. B beruft<br />
sich auf ihr Zurückbehaltungsrecht und verweigert die Zahlung bis zur Rückgewähr<br />
<strong>des</strong> Fahrzeugs. Zu Recht, wenn seitens K kein Verstoß gegen Treu und<br />
Glauben vorliegt?<br />
LÖSUNG<br />
A. Anspruch <strong>des</strong> K gegen B auf Rückzahlung der Raten gem. §§ 355 III,<br />
358 IV 1, 357 I BGB<br />
K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung der Raten aus einem<br />
Rückgewährschuldverhältnis gem. §§ 355 III, 358 IV 1, 357 I BGB haben. Dann<br />
muss K den Darlehensvertrag mit B wirksam widerrufen haben. Ferner darf<br />
dem Anspruch nicht das seitens B geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht<br />
entgegenstehen.<br />
I. Widerrufserklärung <strong>des</strong> K<br />
K muss den Darlehensvertrag widerrufen haben. Dies erfolgte am 26.07.2020<br />
per E-Mail, was den Anforderungen <strong>des</strong> § 355 I BGB entspricht.<br />
© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
<strong>RA</strong> <strong>05</strong>/<strong>2023</strong><br />
Zivilrecht<br />
231<br />
II. Widerrufsrecht <strong>des</strong> K<br />
K muss zur Zeit <strong>des</strong> Widerrufs ein Verbraucherwiderrufsrecht im Sinne <strong>des</strong><br />
§ 355 BGB zugestanden haben. In Betracht kommt § 495 BGB. Dies setzt einen<br />
Verbraucherdarlehensvertrag i.S.d. § 491 BGB voraus. Vorliegend können<br />
K und B einen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag gem. § 491 II BGB<br />
geschlossen haben. Dies setzt voraus, dass K als Verbraucher gem. § 13 BGB<br />
mit B als Unternehmer i. S. d. § 14 BGB einen entgeltlichen Darlehensvertrag<br />
geschlossen hat, bei dem B Darlehensgeber war. K kaufte den Pkw zu privaten<br />
Zwecken und handelte damit als Verbraucher gem. § 13 BGB. B ist als<br />
gewerblich handelnde Bank Unternehmer i. S. d. § 14 BGB. Das Gelddarlehen<br />
war verzinst und mithin entgeltlich. Ausschlussgründe gem. § 491 II 2 BGB<br />
oder § 495 II BGB liegen nicht vor.<br />
III. Einhaltung der Widerrufsfrist gem. § 355 II BGB<br />
Die Widerrufsfrist beträgt gem. § 355 II 1 BGB 14 Tage. K erklärte den Widerruf<br />
4 Jahre nach dem Vertragsschluss. Hier ist fraglich, ob die Widerrufsfrist schon<br />
zu laufen begonnen hat. Grundsätzlich beginnt der Lauf der Widerrufsfrist<br />
gem. § 355 II 2 BGB mit dem Vertragsschluss, vorausgesetzt, der Darlehensgeber<br />
hat gem. § 356 BGB alle Widerrufsinformationen fehlerfrei dem Verbraucher<br />
in der vorgeschriebenen Form zur Verfügung gestellt. Dies könnte<br />
hier aufgrund der im Hinblick auf die Verzugsfolgen fehlerhafte Widerrufsinformation<br />
nicht der Fall sein.<br />
Voraussetzungen <strong>des</strong> Allgemein-<br />
Verbraucherdarlehensvertrages gem.<br />
§ 491 II BGB<br />
Die Widerrufsinformation war fehlerhaft,<br />
weshalb § 356 BGB verletzt<br />
ist.<br />
[16] (...) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die<br />
vierzehntägige Widerrufsfrist aus § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB gemäß § 356b<br />
Abs. 2 Satz 1 BGB nicht zu laufen begann, da die Beklagte ihre aus § 492<br />
Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB<br />
resultierende Verpflichtung, über den Verzugszinssatz und die Art und<br />
Weise seiner etwaigen Anpassung zu unterrichten, nicht ordnungsgemäß<br />
erfüllt hat.<br />
Gem. § 356 III 3 BGB gilt der in § 356 III 2 BGB für das Widerrufsrecht geregelte<br />
Erlöschenszeitpunkt (1 Jahr und 14 Tage) nicht bei Verträgen über Finanzdienstleistungen.<br />
Indem es sich beim hier vorliegenden Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag<br />
um eine Finanzdienstleistung handelt, war das Widerrufsrecht<br />
zur Zeit der Widerrufserklärung <strong>des</strong> K noch nicht verfristet.<br />
IV. Zurückbehaltungsrecht der B gem. §§ 358 IV 1, 357 IV 1 BGB<br />
Dem Rückzahlungsbegehren <strong>des</strong> K könnte das seitens B geltend gemachte<br />
Zurückbehaltungsrecht gem. §§ 358 IV 1, 357 IV 1 BGB entgegenstehen.<br />
Gem. § 358 IV 1 BGB findet bei verbundenen Verträgen i. S. d. § 358 III BGB<br />
im Falle <strong>des</strong> Widerrufs unabhängig von der Vertriebsform die Vorschrift <strong>des</strong><br />
§ 357 IV 1 BGB Anwendung, folglich auch dann, wenn die Ware nicht per<br />
Fernabsatz oder außerhalb <strong>des</strong> Geschäftsraums <strong>des</strong> Unternehmers, sondern<br />
im stationären Handel erworben wurde. Ein verbundener Vertrag liegt vor.<br />
§ 357 IV 1 BGB setzt voraus, dass der Unternehmer die Ware nicht zurückerhalten<br />
hat. Vorliegend besteht das Problem in der Weiterveräußerung<br />
<strong>des</strong> zurückzugebenden Pkw an einen Dritten. Zu prüfen ist, wie sich<br />
diese Unmöglichkeit der Rückgewähr auf das Zurückbehaltungsrecht<br />
auswirkt.<br />
Man kann vertreten, dass im Falle der Unmöglichkeit der Rückgewähr gem.<br />
§ 275 BGB sich die Vorleistungspflicht <strong>des</strong> Verbrauchers in Sekundäransprüche<br />
auf Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 I, III, 283 BGB oder in den<br />
Besonderheit <strong>des</strong> § 356 III 3 BGB<br />
Die Änderungen in § 358 IV 1 BGB,<br />
die der Gesetzgeber im Mai 2022<br />
in der Rechtsnorm vorgenommen<br />
hat, betreffen nur die Verweisungen<br />
auf die §§ 357 ff. BGB und berühren<br />
unseren Fall nicht. Lassen Sie sich<br />
bitte nicht von der Zitierweise <strong>des</strong><br />
BGH „§ 358 IV 1 aF“ irritieren!<br />
Um die Frage der Auswirkungen der<br />
Unmöglichkeit der Rückgabe auf<br />
§ 357 IV 1 BGB besteht Streit zwischen<br />
den OLG.<br />
OLG Celle, Urteil vom 02.02.2022,<br />
3 U 51/21<br />
© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
232 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>05</strong>/<strong>2023</strong><br />
OLG Frankfurt am Main, Beschluss<br />
vom 29.06.2022, 24 U 101/21<br />
sowie OLG München, Urteile vom<br />
08.08.2022, 19 U 686/22 und vom<br />
<strong>05</strong>.12.2022, 17 U 7836/21<br />
Wörtliche Auslegung: Das Wort „bis“<br />
lässt es vom Wortsinne her zu, dass<br />
aus einer dilatorischen Einrede eine<br />
peremptorische Einrede wird.<br />
Die Möglichkeit der Rückgewähr ist<br />
keine Voraussetzung <strong>des</strong> Leistungsverweigerungsrechts<br />
aus § 358 IV 1,<br />
357 IV 1 BGB.<br />
Systematische Auslegung: Vergleich<br />
mit anderen Zurückbehaltungsrechten<br />
§ 357 IV 1 BGB knüpft nicht an Leistungspflichten<br />
an, sondern an den<br />
tatsächlichen Umstand <strong>des</strong> Rückerhalts<br />
der Ware.<br />
Anspruch auf Herausgabe <strong>des</strong> stellvertretenden commodum gem § 285 I<br />
BGB (z.B. Erlös aus der Weiterveräußerung an einen Dritten) umwandle. Diese<br />
Ansprüche kann der Darlehensgeber im Falle <strong>des</strong> Schadensersatzanspruchs<br />
im Wege der Aufrechnung oder im Falle <strong>des</strong> § 285 I BGB im Wege eines Zurückbehaltungsrechts<br />
entgegenhalten.<br />
Man kann im Gegensatz dazu der Meinung sein, dass das Leistungsverweigerungsrecht<br />
<strong>des</strong> Darlehensgebers aus § 358 IV 1 i. V. m. § 357 IV 1 BGB auch<br />
im Falle der Veräußerung der zurückzugewährenden Ware durch den Verbraucher<br />
erhalten bleibt. Dies hätte zur Konsequenz, dass dem Darlehensgeber<br />
das Leistungsverweigerungsrecht solange zusteht, bis der vorleistungspflichtige<br />
Verbraucher die Ware zurückgewährt. Dadurch würde das<br />
Gegenrecht <strong>des</strong> Darlehensgebers zu einem dauerhaften Leistungsverweigerungsrecht,<br />
wenn dem Verbraucher die Rückgewähr der Ware endgültig<br />
nicht mehr möglich ist.<br />
Fraglich ist, welcher Auffassung zu folgen ist. Zu untersuchen ist zunächst der<br />
Wortlaut der Rechtsnorm.<br />
[32] Der Wortlaut <strong>des</strong> § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB kennt keine Einschränkung<br />
für den Fall der Weiterveräußerung der zurückzugewährenden Ware.<br />
Vielmehr besteht das Leistungsverweigerungsrecht <strong>des</strong> Unternehmers, bis<br />
er die Ware zurückerhalten hat. Mit der Konjunktion „bis“ gibt das Gesetz<br />
nicht nur eine zeitliche Grenze an, die so lange aufgeschoben ist, bis der<br />
bezeichnete Zustand - der Rückerhalt der Ware - tatsächlich eingetreten<br />
ist, sondern stellt auch unmittelbar auf die tatsächliche Rückgabe der<br />
Ware ab. Die mit „bis“ angezeigte zeitliche Grenze muss daher nicht ihrerseits<br />
endlich sein. Das grundsätzlich dilatorische Leistungsverweigerungsrecht<br />
kann also zu einem peremptorischen werden, wenn der<br />
Zustand, mit dem das Leistungsverweigerungsrecht grundsätzlich<br />
endet, endgültig nicht mehr eintreten kann, dem Verbraucher also<br />
die Rückgewähr der Ware unmöglich ist. Das Leistungsverweigerungsrecht<br />
aus § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB aF i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB<br />
setzt, anders als das Berufungsgericht meint, nicht die Möglichkeit der<br />
Rückgewähr der Ware voraus (...).<br />
[33] Ein Fortfall <strong>des</strong> Leistungsverweigerungsrechts mit dem Untergang<br />
der Leistungspflicht <strong>des</strong> Verbrauchers gemäß § 275 BGB ist weder im<br />
Wortlaut <strong>des</strong> § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB angelegt noch findet er in anderen<br />
Normen eine rechtliche Grundlage. Anders als § 273 Abs. 1 BGB („die ihm<br />
gebührende Leistung“) oder § 320 Abs. 1 BGB („Gegenleistung“) knüpft<br />
der Wortlaut <strong>des</strong> § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB das Leistungsverweigerungsrecht<br />
<strong>des</strong> Unternehmers nicht an die Pflicht <strong>des</strong> Verbrauchers zu einer (Rückgewähr-)Leistung,<br />
die gemäß § 275 BGB entfallen kann, sondern an einen<br />
tatsächlichen Umstand, nämlich den Rückerhalt der Ware oder den<br />
Nachweis von deren Versendung. (...).<br />
Folglich sprechen sowohl der Wortlaut als auch der Vergleich mit anderen<br />
Zurückbehaltungsrechten für das Fortbestehen <strong>des</strong> Leistungsverweigerungsrechts.<br />
Diese Auslegung könnte gestützt werden durch den Sinn und Zweck<br />
der in § 357 IV 1 BGB angeordneten Vorleistungspflicht <strong>des</strong> Verbrauchers.<br />
[38] Die Vorleistungspflicht <strong>des</strong> Verbrauchers nach § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB<br />
verfolgt nicht nur den Zweck, dem Unternehmer die Bemessung seines<br />
Wertersatzanspruchs zu ermöglichen, um diesen dem Rückgewähranspruch<br />
<strong>des</strong> Verbrauchers im Wege der Aufrechnung entgegenhalten zu<br />
© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
<strong>RA</strong> <strong>05</strong>/<strong>2023</strong><br />
Zivilrecht<br />
233<br />
können (...), sondern soll dem Unternehmer vor der Kaufpreisrückzahlung<br />
hinreichende Gewähr für das tatsächliche Wiedererlangen<br />
der Ware bieten (...). Indem § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB den Darlehensgeber<br />
bei Widerruf <strong>des</strong> mit einem Kaufvertrag verbundenen Darlehensvertrags<br />
(§ 358 Abs. 2 BGB) hinsichtlich der Rückgewähr der empfangenen Leistungen<br />
in die Rechte und Pflichten <strong>des</strong> Verkäufers eintreten lässt, gewährt<br />
das Gesetz dem Darlehensgeber die freie Disponibilität über die<br />
zurückgewährte Ware (...). Das Leistungsinteresse <strong>des</strong> Darlehensgebers<br />
ist folglich auf die Ware selbst, hier das Fahrzeug, und nicht<br />
allein auf den darin verkörperten Geldwert gerichtet (...).<br />
[39] Der Darlehensgeber soll mit der Ware nach dem Widerruf frei<br />
wirtschaften können. Mit der Veräußerung der Ware vereitelt der<br />
Verbraucher das Recht <strong>des</strong> Darlehensgebers auf Rückgabe und Verwertung<br />
der Ware (...). Könnte die Beklagte wegen der Veräußerung <strong>des</strong><br />
Fahrzeugs das Leistungsverweigerungsrecht aus § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB aF<br />
i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht mehr geltend machen, müsste sie die<br />
von dem Kläger erbrachten Zins- und Tilgungszahlungen zurückerstatten,<br />
ohne auf das ihr ursprünglich sicherungsübereignete Fahrzeug als<br />
Wirtschaftsgut zugreifen zu können.<br />
[40] Die Vorleistungspflicht <strong>des</strong> Käufers dient auch dazu, dem Unternehmer<br />
die Bemessung seines Wertersatzanspruchs zu ermöglichen(...),<br />
was eine physische Prüfung der Ware im Hinblick auf den Pflege- und<br />
Erhaltungszustand sowie die Laufleistung voraussetzt. (...). Der Wertverlust<br />
bemisst sich nach der Vergleichswertmethode. Danach hat der<br />
Kläger die Differenz zwischen dem unter Heranziehung der vertraglichen<br />
Gegenleistung zu ermittelnden Verkehrswert <strong>des</strong> finanzierten Fahrzeugs<br />
bei Abschluss <strong>des</strong> Darlehensvertrags und dem Verkehrswert <strong>des</strong> Fahrzeugs<br />
bei <strong>des</strong>sen Rückgabe an den Darlehensgeber zu ersetzen (...).<br />
[41] Bei Nichtrückgabe der Ware kann der Wertverlust auch nicht schlicht<br />
dadurch bemessen werden, dass der Endwert mit null angesetzt wird. Dies<br />
würde - wie bereits ausgeführt - die vom Gesetz dem Unternehmer oder<br />
Darlehensgeber eingeräumte freie Disponibilität über die zurückgewährte<br />
Ware missachten, die ihnen die Möglichkeit eröffnen soll, die Ware - gegebenenfalls<br />
nach Durchführung von werterhöhenden Maßnahmen - verwerten<br />
zu können.<br />
Folglich erlosch das Zurückbehaltungsrecht nicht infolge der Weiterveräußerung<br />
an den Dritten.<br />
B. Ergebnis<br />
K hat gegen B keinen Anspruch auf Rückzahlung der Raten aus einem Rückgewährschuldverhältnis<br />
gem. §§ 355 III, 358 IV 1, 357 I BGB.<br />
Wichtig: § 357 IV 1 BGB verfolgt<br />
den Zweck, dem Unternehmer die<br />
freie Disponibilität über die Ware<br />
zu gewähren – dies ist ein Mehr an<br />
Rechten als es eine bloße Wertersatzpflicht<br />
verkörpern würde.<br />
Dieses Argument darf nicht untergehen:<br />
Die Veräußerung an einen<br />
Dritten vereitelt das Recht <strong>des</strong><br />
Unternehmers, mit der Sache frei zu<br />
wirtschaften!<br />
Argument: Damit der Unternehmer<br />
den Wertersatzanspruch bemessen<br />
kann, muss er die Ware in Augenschein<br />
nehmen können. Deshalb<br />
muss der Verbraucher die Ware<br />
zurücksenden, um anschließend<br />
sein Geld zurückzuerhalten.<br />
Parallel zu dieser <strong>Entscheidung</strong><br />
urteilte der XI. Zivilsenat am<br />
14.02.<strong>2023</strong> im Verfahren mit dem<br />
Aktenzeichen XI ZR 537/21 anders,<br />
weil er dort von einer Zustimmung<br />
<strong>des</strong> Darlehensgebers zur Veräußerung<br />
an den Dritten ausging.<br />
FAZIT<br />
Gem. § 357 IV 1 BGB steht dem Unternehmer ein Zurückbehaltungsrecht<br />
gegen den vorleistungspflichtigen Verbraucher zu, welches nicht erlischt,<br />
wenn der Verbraucher die herauszugebende Ware an einen Dritten veräußert.<br />
© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
Das Prüfungswissen in Karteikartenform<br />
Jetzt bestellen!<br />
Karteikarten 1. Examen<br />
• Zivilrecht<br />
• Strafrecht<br />
• Öffentliches Recht<br />
<br />
<br />
<br />
Erhältlich für alle Rechtsgebiete<br />
Im Frage- und Antwortsystem aufgebaut<br />
Länderspezifisch im Öffentlichen Recht,<br />
abgestimmt auf Ihr Bun<strong>des</strong>land*<br />
* Erhältlich für: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen,<br />
Niedersachsen, NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen<br />
ASSEX Karteikarten<br />
• Zivilrecht<br />
• Arbeits- und<br />
Wirtschaftsrecht<br />
• Strafrecht<br />
• Öffentliches Recht<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Prozessrecht und materielles Recht<br />
Tenorierungen und Formulierungsbeispiele<br />
Länderspezifische Formalien<br />
im Öffentlichen Recht*<br />
Im Frage- und Antwortsystem<br />
aufgebaut<br />
* Erhältlich für: Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen, NRW, Rheinland-Pfalz<br />
Spezielle Angebote für Kursteilnehmer finden Sie hier:<br />
verlag.jura-intensiv.de/karteikartenangebot-fuer-kursteilnehmer<br />
Weitere Informationen zu unseren Produkten und<br />
Preisen finden Sie in unserem Onlineshop!<br />
verlag.jura-intensiv.de/karteikarten<br />
Stand: April <strong>2023</strong>
ZUM SHOP<br />
Geschmack auf mehr?<br />
Die VOLLVERSION gibt‘s hier!<br />
<strong>RA</strong> <strong>05</strong>/<strong>2023</strong><br />
Unsere Zeitschrift<br />
ist als Print- &<br />
Digitalausgabe<br />
erhältlich.<br />
Ab<br />
4,99 €<br />
Weitere Informationen zu unseren <strong>RA</strong>-Optionen<br />
gibt es in unserem Online-Shop!<br />
verlag.jura-intensiv.de/ra-ausbildungszeitschrift