RA 08/2023 - Entscheidung des Monats
Der BGH befasst sich im vorliegenden Urteil ausführlich mit den Voraussetzungen der Notwehr, § 32 StGB, insb. der Notwehrlage, der Erforderlichkeit der Notwehrhandlung und dem Notwehrwillen.
Der BGH befasst sich im vorliegenden Urteil ausführlich mit den Voraussetzungen der Notwehr, § 32 StGB, insb. der Notwehrlage, der Erforderlichkeit der Notwehrhandlung und dem Notwehrwillen.
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j1 INTENSIV<br />
<strong>08</strong>/<strong>2023</strong><br />
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ENTSCHEIDUNG DES MONATS<br />
1 ST<strong>RA</strong>FRECHT<br />
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Stand: Juli <strong>2023</strong>
<strong>RA</strong> <strong>08</strong>/<strong>2023</strong><br />
ST<strong>RA</strong>FRECHT<br />
Strafrecht<br />
437<br />
Problem: Voraussetzungen der Notwehr<br />
Einordnung: Strafrecht AT I / Rechtswidrigkeit und Schuld<br />
BGH, Urteil vom 16.03.<strong>2023</strong><br />
4 StR 252/22<br />
EINLEITUNG<br />
Der BGH befasst sich im vorliegenden Urteil ausführlich mit den Voraussetzungen<br />
der Notwehr, § 32 StGB, insb. der Notwehrlage, der Erforderlichkeit<br />
der Notwehrhandlung und dem Notwehrwillen.<br />
SACHVERHALT<br />
Der zur Tatzeit 15 Jahre alte Angeklagte A und der mit M, der Mutter <strong>des</strong> A,<br />
verheiratete Geschädigte G gerieten ab Anfang <strong>des</strong> Jahres 2018 häufig wegen<br />
schlechter Schulnoten, nicht erledigter Hausarbeiten und übermäßigen<br />
Medienkonsums <strong>des</strong> A in Streit. In diesen Auseinandersetzungen agierte G<br />
regelmäßig aufbrausend, aggressiv und laut. Zwischen dem Jahresende 2019<br />
und Anfang <strong>des</strong> Jahres 2021 kam es in einigen Fällen zu Handgreiflichkeiten<br />
<strong>des</strong> G gegenüber A.<br />
Am Abend <strong>des</strong> 03.07.2021 verließ A die Wohnung. Als G entdeckte, dass A<br />
absprachewidrig in seinem Zimmer gegessen hatte, geriet er in Wut und wurde<br />
laut. Im Verlaufe <strong>des</strong> sich daraufhin entwickelten Streits erklärte G der M, er<br />
wolle A nicht mehr im Haus haben. Er entfernte den vor der Haustür deponierten<br />
Ersatzschlüssel und stellte die Klingel ab. M ging zu Bett und schlief ein.<br />
Als A gegen 22.30 Uhr nach Hause kam, stellte er fest, dass der Ersatzschlüssel nicht<br />
an der üblichen Stelle abgelegt, die Klingel abgestellt war und er M über Handy<br />
nicht erreichte, um ihn einzulassen. Verärgert machte A durch lautes Klopfen an<br />
die Haustür auf sich aufmerksam. Der nach wie vor aufgebrachte G öffnete A<br />
schließlich gegen 22.45 Uhr die Haustür und es kam unmittelbar zum Streit. G<br />
beleidigte den A als „Pisser“ und „Bengel“, worauf A mit dem Ausruf „Halts Maul“<br />
reagierte. Daraufhin erwiderte G „Ich geb’ dir gleich halts Maul“. A befürchtete,<br />
dass es nun zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen werde. Daher<br />
begab er sich in die Küche, um sich für die erwartete körperliche Auseinandersetzung<br />
mit dem ihm körperlich deutlich überlegenen G zu bewaffnen. Er<br />
öffnete eine Schublade, ergriff ein Küchenmesser mit einer mehr als 19 Zentimeter<br />
langen Klinge und forderte den mittlerweile hinter ihm stehenden G auf,<br />
wegzugehen. Dieser Aufforderung kam G nicht nach. A wandte sich mit dem<br />
Messer in der Hand zu G um, der ihm in diesem Moment mit der flachen Hand<br />
eine schmerzhafte Ohrfeige gegen die linke Wange versetzte. Unmittelbar darauf<br />
stach A dem G mit bedingtem Tötungsvorsatz und in Verteidigungsabsicht das<br />
Messer in den linken Oberbauch. G trat einen Schritt zurück und bewegte sich<br />
anschließend mit nach vorne gebeugten Schultern einen Schritt auf A zu, so dass<br />
er in unmittelbarer Schlagdistanz vor A stand. Dabei hatte er weder die Arme<br />
erhoben noch die Hände zu einer Faust geballt. Nicht ausschließbar wäre es in<br />
der Folge zu weiteren Schlägen <strong>des</strong> G gegen A gekommen. A versetzte G aus<br />
Furcht und weiterhin in der Absicht, sich zu verteidigen und einen weiteren<br />
Schlag zu verhindern, mit bedingtem Tötungsvorsatz einen zweiten, wuchtigen<br />
Stich in den oberen rechten Brustkorb. Die Stichverletzung führte unter anderem<br />
zu einer Verletzung <strong>des</strong> Herzens, an deren Folgen der G verstarb.<br />
LEITSÄTZE DER REDAKTION<br />
1. Ein Angriff ist dann gegenwärtig<br />
i.S.v. § 32 StGB, wenn das Verhalten<br />
<strong>des</strong> Angreifers unmittelbar<br />
in eine Rechtsgutsverletzung umschlagen<br />
kann, so dass durch das<br />
Hinausschieben einer Verteidigungshandlung<br />
entweder deren<br />
Erfolg in Frage gestellt wäre oder<br />
der Verteidiger das Wagnis erheblicher<br />
eigener Verletzungen auf<br />
sich nehmen müsste.<br />
2. Maßgeblich ist insoweit bereits der<br />
Zeitpunkt der durch den bevorstehenden<br />
Angriff geschaffenen<br />
bedrohlichen Lage; als Angriff in<br />
diesem Sinne ist daher auch ein<br />
Verhalten zu werten, das zwar noch<br />
kein Recht verletzt, aber unmittelbar<br />
in eine Verletzung umschlagen<br />
kann und <strong>des</strong>halb ein<br />
Hinausschieben der Abwehrhandlung<br />
unter den gegebenen<br />
Umständen entweder deren Erfolg<br />
gefährden oder den Verteidiger<br />
zusätzlichen nicht hinnehmbaren<br />
Risiken aussetzen würde.<br />
3. Hat der Angreifer bereits eine<br />
Verletzungshandlung begangen,<br />
dauert der Angriff an, solange mit<br />
einer Wiederholung zu rechnen<br />
und ein erneuter Umschlag in<br />
eine Verletzung unmittelbar zu<br />
befürchten ist.<br />
4. Für die Prüfung der Notwehrlage<br />
in diesem Sinne ist die objektive<br />
Sachlage maßgeblich; es kommt<br />
auf die tatsächlichen Absichten<br />
<strong>des</strong> Angreifers und die von ihm<br />
ausgehende Gefahr einer Rechtsgutsverletzung<br />
an; allein die subjektive<br />
Befürchtung, ein Angriff<br />
stehe unmittelbar bevor, begründet<br />
noch keine Notwehrlage.<br />
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438 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>08</strong>/<strong>2023</strong><br />
Hat A sich durch die Messerstiche strafbar gemacht?<br />
PRÜFUNGSSCHEMA: NOTWEHR, § 32 StGB<br />
A. Notwehrlage: Gegenwärtiger rechtswidriger Angriff<br />
B. Notwehrhandlung<br />
I. Handlung richtet sich gegen den Angreifer<br />
II. Geeignetheit der Notwehrhandlung<br />
III. Erforderlichkeit der Notwehrhandlung<br />
IV. Gebotenheit der Notwehrhandlung<br />
C. Notwehrwille<br />
LÖSUNG<br />
A. Strafbarkeit gem. § 212 I StGB<br />
Durch die Messerstiche könnte A sich wegen Totschlags gem. § 212 I StGB<br />
zum Nachteil <strong>des</strong> G strafbar gemacht haben.<br />
I. Tatbestand<br />
A hat G durch die Messerstiche getötet. Er handelte auch mit bedingtem<br />
Tötungsvorsatz und hat somit den Tatbestand <strong>des</strong> § 212 I StGB erfüllt.<br />
II. Rechtswidrigkeit<br />
A könnte aus Notwehr, § 32 StGB, gerechtfertigt sein.<br />
Angriff ist jede von einem menschlichen<br />
Verhalten ausgehende Bedrohung<br />
rechtlich geschützter Güter oder<br />
Interessen.<br />
Gegenwärtig ist jeder Angriff, der<br />
unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet<br />
oder noch andauert.<br />
BGH, Urteil vom 30.03.2022,<br />
2 StR 263/21, StV <strong>2023</strong>, 312<br />
BGH; Beschluss vom 07.06.2017,<br />
4 StR 197/17, NStZ-RR 2017, 270;<br />
Urteil vom 21.03.2017, 1 StR 486/16,<br />
StV 2018, 739<br />
BGH, Urteil vom 24.11.2016,<br />
4 StR 235/16, NStZ-RR 2017, 38<br />
BGH, Beschluss vom 25.09.2019,<br />
2 StR 117/19, NStZ 2020, 147<br />
BGH; Urteil vom 30.03.2022,<br />
2 StR 263/21, StV <strong>2023</strong>, 312<br />
1. Notwehrlage<br />
Zunächst müsste eine Notwehrlage, also ein gegenwärtiger rechtswidriger<br />
Angriff, vorgelegen haben.<br />
„[19] aa) Ein gegenwärtiger Angriff […] liegt nicht erst vor, wenn der<br />
Angreifer tatsächlich eine Verletzungshandlung begangen hat. Ein<br />
Angriff ist vielmehr bereits dann gegenwärtig, wenn das Verhalten<br />
<strong>des</strong> Angreifers unmittelbar in eine Rechtsgutsverletzung umschlagen<br />
kann, so dass durch das Hinausschieben einer Verteidigungshandlung<br />
entweder deren Erfolg in Frage gestellt wäre oder der Verteidiger das<br />
Wagnis erheblicher eigener Verletzungen auf sich nehmen müsste.<br />
Maßgeblich ist insoweit bereits der Zeitpunkt der durch den bevorstehenden<br />
Angriff geschaffenen bedrohlichen Lage; als Angriff in diesem<br />
Sinne ist daher auch ein Verhalten zu werten, das zwar noch kein Recht<br />
verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und<br />
<strong>des</strong>halb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen<br />
Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger<br />
zusätzlichen nicht hinnehmbaren Risiken aussetzen würde. Hat<br />
der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert<br />
der Angriff an, solange mit einer Wiederholung zu rechnen und ein<br />
erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist.<br />
[20] Für die Prüfung der Notwehrlage in diesem Sinne ist die objektive<br />
Sachlage maßgeblich. Es kommt auf die tatsächlichen Absichten <strong>des</strong><br />
Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer Rechtsgutsverletzung<br />
an, die zugleich das Maß der erforderlichen und gebotenen<br />
Abwehrhandlung bestimmen. Allein die subjektive Befürchtung, ein<br />
Angriff stehe unmittelbar bevor, begründet noch keine Notwehrlage.<br />
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<strong>RA</strong> <strong>08</strong>/<strong>2023</strong><br />
Strafrecht<br />
439<br />
[21] bb) Zwar läge […] allein in den durch den Geschädigten ausgesprochenen<br />
verbalen Beleidigungen (‚Pisser‘, ‚Bengel‘) noch kein gegenwärtiger<br />
Angriff auf die körperliche Unversehrtheit <strong>des</strong> Angeklagten; ein lediglich<br />
verbaler Streit ist noch kein gegenwärtiger Angriff in diesem Sinne,<br />
so lange der Rahmen <strong>des</strong> Wortgefechts nicht überschritten wird. Das<br />
Landgericht hat aber die Ohrfeige <strong>des</strong> Geschädigten rechtsfehlerfrei als<br />
rechtswidrigen Angriff <strong>des</strong> Geschädigten auf die körperliche Unversehrtheit<br />
<strong>des</strong> Angeklagten gewertet. Da es nicht zu klären vermochte, welche konkreten<br />
Absichten der Geschädigte nach dieser Ohrfeige hegte, und es<br />
an objektiven Anhaltspunkten für die Annahme fehlte, ‚der aggressive<br />
Geschädigte habe sich auf einen einzigen Schlag beschränken wollen‘, ist<br />
es in Anwendung <strong>des</strong> Zweifelssatzes jeweils von der für den Angeklagten<br />
günstigsten Möglichkeit ausgegangen. Es hat daher vor dem ersten Stich<br />
<strong>des</strong> Angeklagten angenommen, dass ein weiterer Schlag <strong>des</strong> Geschädigten<br />
unmittelbar bevorstand. Gleiches gilt für den zweiten Stich; auch insoweit<br />
ist das Landgericht in Anwendung <strong>des</strong> Grundsatzes in dubio pro reo davon<br />
ausgegangen, dass ein weiterer Angriff <strong>des</strong> sich weiterhin ‚in Schlagdistanz‘<br />
befindlichen Geschädigten unmittelbar bevorstand.“<br />
BGH, Urteil vom 21.03.2017,<br />
1 StR 486/16, StV 2018, 727<br />
Ein gegenwärtiger Angriff lag somit vor. Da G auch seinerseits nicht gerechtfertigt<br />
war, war der Angriff rechtswidrig und eine Notwehrlage somit gegeben.<br />
2. Notwehrhandlung<br />
Rechtswidrig ist ein Angriff, der nicht<br />
seinerseits durch einen Rechtfertigungsgrund<br />
gedeckt ist und den der<br />
Betroffene auch nicht aus anderen<br />
Gründen zu dulden braucht.<br />
a) Handlung richtet sich gegen den Angreifer<br />
Die Notwehrhandlungen <strong>des</strong> A – die Messerstiche – richteten sich gegen<br />
den Angreifer G.<br />
b) Geeignetheit der Handlung<br />
Da die Handlungen <strong>des</strong> A den Angriff <strong>des</strong> G tatsächlich abgewehrt haben,<br />
waren sie hierzu auch geeignet.<br />
c) Erforderlichkeit und Gebotenheit der Handlung<br />
Die Stiche müssten auch erforderlich und geboten gewesen sein.<br />
„[26] b) Das Landgericht hat seiner Prüfung, ob die […] Handlungen zur<br />
Abwehr <strong>des</strong> bevorstehenden Angriffs erforderlich und geboten waren,<br />
einen rechtlich zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt. Es ist auf der<br />
Grundlage dieses zutreffenden rechtlichen Maßstabs nachvollziehbar zu<br />
der Auffassung gelangt, dass beide Messerstiche zur Verteidigung erforderlich<br />
waren. Hiergegen ist von Rechts wegen nichts zu erinnern. Gleiches<br />
gilt für die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Einschränkung <strong>des</strong><br />
Notwehrrechts abgelehnt hat. […] Der Erörterung bedarf nur das Folgende:<br />
[17] aa) Die tatgerichtliche Annahme, der Geschädigte habe den Angeklagten<br />
im Rahmen <strong>des</strong> unmittelbaren Tatvorgeschehens mit seiner Äußerung ‚Ich<br />
geb’ dir gleich halts Maul‘ und der sich hieran anschließenden Verfolgung <strong>des</strong><br />
Angeklagten nicht nur […] barsch verbal diszipliniert, sondern konkludent<br />
einen körperlichen Übergriff angedroht, ist tragfähig begründet. Das Landgericht<br />
hat die verbale Äußerung <strong>des</strong> Geschädigten unter Berücksichtigung<br />
der Begleitumstände dahin ausgelegt, dass hierin bereits die Androhung eines<br />
körperlichen Übergriffs lag, wie er wenig später tatsächlich erfolgt ist. Dies ist<br />
ein möglicher Schluss, der von Rechts wegen nicht zu beanstanden ist, auch<br />
wenn eine abweichende Würdigung möglich gewesen wäre.<br />
Geeignet zur Abwehr <strong>des</strong> Angriffs<br />
ist jede Handlung, die nicht von<br />
vornherein als völlig abwehruntauglich<br />
erscheint.<br />
Erforderlich ist die Verteidigung,<br />
wenn sie das relativ mil<strong>des</strong>te Mittel<br />
unter mehreren gleichermaßen sicher<br />
den Angriff abwehrenden Mitteln<br />
darstellt.<br />
Geboten ist die Verteidigung, wenn<br />
sie keinen Fall <strong>des</strong> Rechtsmissbrauchs<br />
darstellt.<br />
Der BGH prüft hier Erforderlichkeit<br />
und Gebotenheit in einem Punkt, In<br />
einer Klausur dürfte eine Trennung<br />
in der Gliederung regelmäßig sinnvoll<br />
sein.<br />
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440 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>08</strong>/<strong>2023</strong><br />
[18] bb) Schließlich sind auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht<br />
angesichts <strong>des</strong> zerrütteten Verhältnisses zwischen dem Angeklagten<br />
und dem Geschädigten eine sozialethische Einschränkung <strong>des</strong> Notwehrrechts<br />
wegen eines familiären Näheverhältnisses abgelehnt hat, von Rechts<br />
wegen nicht zu beanstanden.“<br />
Die Stiche waren somit erforderlich und geboten.<br />
Mindermeinung: Schönke/Schröder,<br />
StGB, § 32 Rn 63<br />
herrschende Meinung: BGH, Urteil<br />
vom 25.04.2013, 4 StR 551/12,<br />
NJW 2013, 2133; Fischer, StGB, § 32<br />
Rn 26<br />
3. Notwehrwille<br />
A müsste auch mit Notwehr- oder Verteidigungswillen gehandelt haben.<br />
Während eine Mindermeinung hierfür die bloße Kenntnis der Notwehrlage als<br />
ausreichend erachtet, verlangt die herrschende Meinung und insb. auch die<br />
Rechtsprechung, dass die Abwehr <strong>des</strong> Angriffs ein Ziel <strong>des</strong> Täters sein muss.<br />
„[24] Nach gefestigter Rechtsprechung ist ein Verteidigungswille<br />
auch dann noch als relevantes Handlungsmotiv anzuerkennen, wenn<br />
andere Beweggründe wie etwa Vergeltung, Verärgerung oder Wut<br />
hinzutreten; erst wenn diese anderen Beweggründe so dominant sind,<br />
dass hinter ihnen der Wille, das Recht zu wahren, ganz in den Hintergrund<br />
tritt und <strong>des</strong>halb von einem Abwehrverhalten keine Rede mehr<br />
sein kann, scheidet die Annahme eines Verteidigungswillens aus.“<br />
Dass die Wut und Verärgerung <strong>des</strong> A so dominant waren, dass sein Wille, sich<br />
zu verteidigen, letztlich gar keine Rolle mehr gespielt hat und die Stiche somit<br />
kein echtes Verteidigungsverhalten dargestellt haben, ist dem Sachverhalt<br />
nicht zu entnehmen. A hat also mit Notwehrwillen gehandelt.<br />
III. Ergebnis<br />
A ist nicht strafbar gem. § 212 I StGB.<br />
B. Strafbarkeit gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5; 227; 240 StGB<br />
Auch eine Strafbarkeit <strong>des</strong> A wegen gefährlicher Körperverletzung gem.<br />
§§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5 StGB, wegen Körperverletzung mit To<strong>des</strong>folge gem.<br />
§ 227 I StGB und wegen Nötigung gem. § 240 I StGB scheidet aufgrund der<br />
rechtfertigenden Notwehr aus.<br />
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