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RA 06/2023 - Entscheidung des Monats

Die Umbenennung von Straßen ruft regelmäßig Empörung bei den Anwohnern hervor und führt häufig zu einem Gerichtsverfahren, wie es beim VG Hannover und beim OVG Lüneburg anhängig war.

Die Umbenennung von Straßen ruft regelmäßig Empörung bei den Anwohnern hervor und führt häufig zu einem Gerichtsverfahren, wie es beim VG Hannover und beim OVG Lüneburg anhängig war.

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<strong>06</strong>/<strong>2023</strong><br />

ENTSCHEIDUNGDESMONATS<br />

ÖFFENTLICHESRECHT<br />

UmbenennungeinerStraße


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Stand: Mai <strong>2023</strong>


<strong>RA</strong> <strong>06</strong>/<strong>2023</strong><br />

Öffentliches Recht<br />

309<br />

ÖFFENTLICHES RECHT<br />

Problem: Umbenennung einer Straße<br />

Einordnung: Allgemeines Verwaltungsrecht / Kommunalrecht<br />

VG Hannover, Urteil vom 01.<strong>06</strong>.2022<br />

10 A 4055/21<br />

OVG Lüneburg, Beschluss vom 25.01.<strong>2023</strong><br />

10 LA 90/22<br />

EINLEITUNG<br />

Die Umbenennung von Straßen ruft regelmäßig Empörung bei den Anwohnern<br />

hervor und führt häufig zu einem Gerichtsverfahren, wie es beim VG Hannover<br />

und beim OVG Lüneburg anhängig war.<br />

SACHVERHALT<br />

Die Kläger wenden sich gegen die Umbenennung der in Hannover (Stadtbezirk<br />

Mitte) gelegenen Hindenburgstraße in Loebensteinstraße. Sie sind<br />

Eigentümer von Grundstücken in dieser Straße bzw. dort geschäftlich ansässig.<br />

Auslöser der Umbenennung waren die in dem Abschlussbericht <strong>des</strong> Beirats<br />

der Stadt Hannover (Beklagte) zum Projekt „Wissenschaftliche Betrachtung<br />

von namensgebenden Persönlichkeiten“ dargestellten Verstrickungen Paul<br />

von Hindenburgs mit dem nationalsozialistischen Regime. Der Stadtbezirksrat<br />

Mitte votierte, nach Anhörung der betroffenen Anwohner und Eigentümer,<br />

am 22.03.2021 mehrheitlich für die Umbenennung der seit 1916 existierenden<br />

Hindenburgstraße in Loebensteinstraße mit einer Übergangsfrist von einem<br />

Jahr, in dem die beiden Namen nebeneinander bestehen bleiben sollten.<br />

Die im Jahr 1932 geborene Lotte-Lore Loebenstein lebte vor ihrer Flucht in<br />

die Niederlande in der Hindenburgstraße und wurde im Alter von zehn<br />

Jahren nach ihrer Deportation in das Vernichtungslager in Sobibor getötet.<br />

Mit Schreiben vom 10.05.2021 teilte die Beklagte den Klägern die beabsichtigte<br />

Umbenennung der Straße mit. Hiergegen erhoben die Kläger am<br />

04.<strong>06</strong>.2021 Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Sie sind der<br />

Ansicht, ihre Belange seien nicht angemessen berücksichtigt worden; ihnen<br />

drohten hohe Kosten aufgrund der Adressänderung und ein erheblicher Verwaltungsaufwand<br />

(z.B. Änderung der Briefköpfe, Korrespondenz mit Ämtern,<br />

Banken und Versicherungen). Der Kläger zu 1. publiziere zudem weltweit<br />

unter seiner Adresse, er könne diese also nicht einfach ändern. Des Weiteren<br />

verstoße die <strong>Entscheidung</strong> <strong>des</strong> Stadtbezirksrats gegen den Gleichheitssatz,<br />

weil die ebenfalls in Hannover gelegene Straße „Zur Hindenburgschleuse“<br />

(Stadtbezirk Misburg-Anderten) nicht umbenannt werde. Ferner habe sich<br />

der Stadtbezirksrat nicht an die vom Rat der Stadt Hannover erlassene Verwaltungsrichtlinie<br />

„Grundsätze für die Benennung von Straßen, Wegen und<br />

Plätzen“ gehalten. Schließlich hätten sich die Anwohner der Hindenburgstraße<br />

mehrheitlich gegen eine Umbenennung ausgesprochen, das müsse der<br />

Stadtbezirksrat beachten, sei er doch dem Wohl <strong>des</strong> Stadtteils verpflichtet.<br />

Hat die Klage Erfolg?<br />

LEITSÄTZE<br />

1. Dem zuständigen kommunalen<br />

Organ kommt bei der <strong>Entscheidung</strong><br />

über die Umbenennung einer<br />

Straße ein weiter Ermessensspielraum<br />

zu.<br />

2. Dieses weite Ermessen wird<br />

dadurch begrenzt, dass die Umbenennung<br />

einer Straße nicht willkürlich<br />

erfolgen darf, das heißt,<br />

ihr müssen sachliche, die Belange<br />

der Anlieger berücksichtigende<br />

Erwägungen zugrunde liegen,<br />

die Ordnungsfunktion muss auch<br />

mit dem neuen Namen gewahrt<br />

bleiben und die Anwohner dürfen<br />

nicht unzumutbar oder unverhältnismäßig<br />

belastet werden.<br />

LÖSUNG<br />

Die Klage hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.<br />

A. Zulässigkeit der Klage<br />

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310 Öffentliches Recht<br />

<strong>RA</strong> <strong>06</strong>/<strong>2023</strong><br />

Knapp formulieren, da unproblematisch.<br />

Auf den VA-Charakter der<br />

<strong>Entscheidung</strong> kommt es hier noch<br />

nicht entscheidend an.<br />

I. Verwaltungsrechtsweg<br />

Für die Klage vor dem Verwaltungsgericht muss der Verwaltungsrechtsweg<br />

eröffnet sein. Mangels aufdrängender Sonderzuweisungen richtet sich dies nach<br />

§ 40 I 1 VwGO. Da die umstrittene <strong>Entscheidung</strong>, unabhängig von ihrer konkreten<br />

Rechtsnatur, eindeutig hoheitlich ist, liegt unter Zugrundelegung der<br />

sog. Subordinationstheorie eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Diese ist<br />

ferner nichtverfassungsrechtlicher Art. Abdrängende Sonderzuweisungen sind<br />

nicht ersichtlich. Folglich ist der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 I 1 VwGO eröffnet.<br />

II. Statthafte Klageart<br />

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem klägerischen Begehren, § 88 VwGO.<br />

Die Kläger wehren sich gegen die <strong>Entscheidung</strong> <strong>des</strong> Stadtbezirksrats vom<br />

22.03.2021 und begehren <strong>des</strong>sen Aufhebung. Statthafte Klageart für dieses<br />

Begehren könnte die Anfechtungsklage gem. § 42 I 1. Fall VwGO sein. Das setzt<br />

voraus, dass die Aufhebung eines Verwaltungsakts i.S.v. § 35 VwVfG verlangt<br />

wird. Fraglich ist insoweit das Vorliegen einer „Regelung mit Außenwirkung“.<br />

§ 35 S. 2 2. Fall VwVfG<br />

Regelungswirkung (+), weil endgültig<br />

beschlossen wurde, den Straßennamen<br />

zu ändern.<br />

Außenwirkung (+), weil kein weiterer<br />

Vollziehungsakt erforderlich.<br />

„[…] Die Umbenennung einer Straße ist ein dinglicher Verwaltungsakt in<br />

der Gestalt einer Allgemeinverfügung. Der angefochtene Beschluss <strong>des</strong><br />

Stadtbezirksrats Mitte der Beklagten vom 22. März 2021 enthält die erforderliche<br />

Regelung mit Außenwirkung und ist damit bereits Gegenstand der erhobenen<br />

Anfechtungsklage. Eines besonderen Vollziehungsakts bedarf es<br />

nicht. Die für das Wirksamwerden erforderliche Bekanntgabe nach § 1 Nds.<br />

VwVfG i.V.m. § 43 Abs. 1 VwVfG ist durch die Unterrichtung der Kläger über die<br />

neue Bezeichnung in den Schreiben der Beklagten vom 10. Mai 2021 erfolgt.“<br />

Demnach liegt ein Verwaltungsakt gem. § 35 S. 2 2. Fall VwVfG vor, sodass<br />

die Anfechtungsklage die statthafte Klageart ist.<br />

III. Klagebefugnis<br />

Die Kläger müssen weiterhin gem. § 42 II VwGO klagebefugt sein, d.h. sie<br />

müssen geltend machen, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in<br />

eigenen Rechten verletzt zu sein.<br />

Dogmatisch etwas „dünne“ Herleitung.<br />

Wegen der primären Betroffenheit<br />

der Straßenanwohner dürfte ein mittelbarer<br />

Eingriff in Art. 2 I GG vorliegen.<br />

„Die Kläger sind auch klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO. Dem steht<br />

nicht entgegen, dass die Benennung oder Umbenennung einer Straße<br />

als adressatloser dinglicher Verwaltungsakt in Bezug auf die Anwohner<br />

in erster Linie tatsächliche und nur mittelbar rechtliche Wirkung entfaltet.<br />

Denn die Gemeinde hat bei der <strong>Entscheidung</strong> über die Straßenbenennung<br />

die individuellen Interessen der von dieser Maßnahme betroffenen<br />

Grundstückseigentümer und Anwohner zu berücksichtigen. Insoweit<br />

haben die Anwohner ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung<br />

<strong>des</strong> Inhalts, dass die Gemeinde unter Beachtung <strong>des</strong> Grundsatzes<br />

der Verhältnismäßigkeit die für die Umbenennung sprechenden<br />

Gründe gegen das Interesse der Anwohner an der Beibehaltung <strong>des</strong> bisherigen<br />

Straßennamens abzuwägen hat.“<br />

Folglich sind die Kläger klagebefugt.<br />

NJG = Niedersächsisches Justizgesetz<br />

IV. Vorverfahren<br />

Eines erfolglos durchgeführten Vorverfahrens bedarf es gem. § 68 I 2 VwGO<br />

i.V.m. § 80 I NJG nicht.<br />

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<strong>RA</strong> <strong>06</strong>/<strong>2023</strong><br />

Öffentliches Recht<br />

311<br />

V. Klagegegnerin<br />

Klagegegnerin ist gem. § 78 I Nr. 1 VwGO die Stadt Hannover.<br />

VI. Beteiligungs- und Prozessfähigkeit<br />

Die Beteiligungs- und Prozessfähigkeit folgt für die Kläger als natürliche<br />

Personen aus §§ 61 Nr. 1 1. Fall, 62 I Nr. 1 VwGO und für die Stadt aus §§ 61<br />

Nr. 1 2. Fall, 62 III VwGO.<br />

Da die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen keinen rechtlichen Bedenken<br />

begegnen, insbesondere die Klagefrist gewahrt ist, ist die Anfechtungsklage<br />

zulässig.<br />

B. Subjektive Klagehäufung bzw. Streitgenossenschaft<br />

Die Kläger können im Wege einer einfachen Streitgenossenschaft gem. § 64<br />

VwGO i.V.m. § 59 ZPO gemeinschaftlich klagen.<br />

C. Begründetheit der Klage<br />

Die Klage ist begründet, soweit der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig<br />

ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt, § 113 I 1 VwGO.<br />

Zum Prüfungsaufbau: Die einfache<br />

Streitgenossenschaft ist nicht in der<br />

Zulässigkeit zu prüfen, da bei Nichtvorliegen<br />

ihrer Voraussetzungen nur<br />

eine Verfahrenstrennung gem. § 93<br />

S. 2 VwGO erfolgt, die Klage also nicht<br />

abgewiesen wird.<br />

I. Ermächtigungsgrundlage für die Umbenennung<br />

„Eine spezialgesetzliche Regelung für die Benennung und Umbenennung<br />

von gemeindlichen Straßen existiert in Niedersachsen nicht. Den Gemeinden<br />

obliegt diese Aufgabe aufgrund ihres Selbstverwaltungsrechts nach Art. 28<br />

Abs. 2 GG […].“<br />

Selbstverwaltungsgarantie, Art. 28 II 1<br />

GG<br />

Spezielle Regelungen sind z.B. § 5 IV 1<br />

GemO BW, § 4 II 3 StrWG NRW.<br />

II. Formelle Rechtmäßigkeit der Umbenennung<br />

In formeller Hinsicht ist allein die Zuständigkeit <strong>des</strong> Stadtbezirksrats für<br />

die Umbenennung fraglich.<br />

„Nach § 93 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NKomVG ist der Stadtbezirksrat Mitte für die<br />

Umbenennung zuständig. Danach entscheidet der Stadtbezirksrat unter<br />

Beachtung der Belange der gesamten Gemeinde über die Benennung<br />

und Umbenennung von Straßen, Wegen und Plätzen, die ausschließlich in<br />

der Ortschaft oder dem Stadtbezirk gelegen sind. Diese Voraussetzungen<br />

sind vorliegend gegeben. Die Hindenburgstraße liegt ausschließlich im<br />

Stadtbezirk Mitte, so dass die Zuständigkeit für die Umbenennung dort<br />

verortet ist. Die Vorschrift stellt ausschließlich auf die Lage der zu benennenden<br />

Straße ab; auf eine übergeordnete Bedeutung der Straße oder der namensgebenden<br />

Persönlichkeit zielt die Zuständigkeitsregelung nicht ab. […]“<br />

NKomVG = Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz<br />

Entscheidend ist nur die örtliche<br />

Lage der Straße und nicht<br />

die inhaltliche Relevanz oder die<br />

Intensität <strong>des</strong> Grundrechtseingriffs.<br />

Letztere spielt nur für die materielle<br />

Rechtmäßigkeit eine Rolle.<br />

Somit ist die Umbenennung formell rechtmäßig.<br />

III. Materielle Rechtmäßigkeit der Umbenennung<br />

Materiell-rechtlich ist die Umbenennung rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen<br />

der Ermächtigungsgrundlage erfüllt sind.<br />

Tatbestandlich verlangt Art. 28 II 1 GG nur, dass es sich um eine Angelegenheit<br />

der örtlichen Gemeinschaft handelt, was bzgl. der Umbenennung der im<br />

Stadtgebiet von Hannover gelegenen Straße der Fall ist.<br />

Auf der Rechtsfolgenseite ist der Beklagten Ermessen eröffnet.<br />

Unproblematisch, daher nur<br />

Ergebnissatz<br />

Ermessen<br />

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312 Öffentliches Recht<br />

<strong>RA</strong> <strong>06</strong>/<strong>2023</strong><br />

Kriterien für Ermessensausübung:<br />

• Ordnungs- und Erschließungsfunktion<br />

• Pflege örtlicher Traditionen<br />

• Ehrung verdienter Bürger<br />

• Vermeidung von Doppelbenennungen<br />

• Verhältnismäßigkeit<br />

Subsumtion<br />

Keine rechtliche Bindung an<br />

Bürgerbefragungen oder die Mehrheitsmeinung<br />

im Stadtbezirk.<br />

Verhältnismäßigkeitserwägungen<br />

Vorbringen <strong>des</strong> Klägers zu 1.<br />

„[…] Bei der <strong>Entscheidung</strong> über das Ob und Wie einer Straßenbe- und<br />

-umbenennung steht der Gemeinde eine weitgehende, auf diesem Selbstverwaltungsrecht<br />

beruhende Gestaltungsfreiheit zu, die lediglich durch den<br />

Zweck der Aufgabenzuweisung und durch die aus dem Rechtsstaatsprinzip<br />

sowie besonderen gesetzlichen Bestimmungen folgenden Grenzen jeder<br />

Verwaltungstätigkeit beschränkt wird. Zweck der Benennung ist es in erster<br />

Linie, im Verkehr der Bürger untereinander sowie zwischen Bürgern und<br />

Behörden das Auffinden von Wohngebäuden, Betrieben, öffentlichen Einrichtungen<br />

und Amtsgebäuden zu ermöglichen oder zu erleichtern. Neben<br />

dieser im Vordergrund stehenden Ordnungs- und Erschließungsfunktion<br />

können auch die Pflege örtlicher Traditionen und die Ehrung verdienter<br />

Bürger legitime Zwecke der Straßenbenennung sein. […] Soweit eine Rücksichtnahme<br />

auf Belange der gesamten Gemeinde im Rahmen der Umbenennung<br />

verlangt wird, ist damit v.a. die Vermeidung von Doppelbenennungen<br />

aus gefahrenabwehrrechtlichen Gründen zu verstehen.<br />

[…] Der neue Straßenname ermöglicht die Identifizierung der Wohn- und<br />

Geschäftsanschriften der Kläger und entspricht unbestritten damit der<br />

Ordnungsfunktion der Straßennamensgebung. Eine Doppelbenennung<br />

ist nicht gegeben. Der Stadtbezirksrat Mitte hat zudem bei der Umbenennung<br />

das im Rahmen einer Anwohnerbefragung vorgebrachte (adressenbezogene)<br />

Interesse der Anwohner an der Beibehaltung <strong>des</strong> bisherigen<br />

Namens in seine Erwägungen eingestellt und sachgerecht bewertet. Dabei<br />

ist zu beachten, dass die Anwohner kein darüberhinausgehen<strong>des</strong> Recht<br />

auf Beibehaltung eines bestimmten Straßennamens haben. Der Rat<br />

ist vielmehr unter rechtlichen Gesichtspunkten frei, Straßennamen z.B. zu<br />

Ehren verdienter Bürger und zur Pflege örtlicher Traditionen zu verleihen<br />

oder zu ändern, wobei das Willkürverbot als Grenze zu beachten ist. Ebenso<br />

wenig ist der Rat an das Ergebnis einer Bürgerbefragung gebunden.<br />

Die von den Klägern vorgebrachten Belastungen […] hat die Beklagte in<br />

ihre Ermessensentscheidung einbezogen. Sie hat Vorkehrungen zur Verminderung<br />

der Belastungen getroffen. So erheben die Bürgerämter für<br />

die durch die Umbenennung erforderlich werdenden Änderungen innerhalb<br />

eines Übergangsjahres keine Gebühren. Dienststellen und<br />

Behörden werden durch sie informiert, wodurch Kosten minimiert werden.<br />

Zudem bestehen innerhalb einer einjährigen Übergangsfrist beide<br />

Straßennamen nebeneinander, so dass Verbrauchsmaterialien aufgebraucht<br />

und Onlinepräsentationen im Rahmen regelmäßiger Aktualisierungen<br />

angepasst werden können. Die darüberhinausgehenden<br />

Kosten hat die Beklagte berücksichtigt und als hinnehmbar bewertet.<br />

Die Beklagte hat zudem auch die Kosten der gewerblichen Anlieger in<br />

ihre Ermessenserwägungen einbezogen. Dies folgt bereits daraus, dass<br />

die aufgeführten Werbematerialien, Onlinepräsentationen und andere<br />

Verbrauchsmaterialien, wie Visitenkarten und Briefköpfe, üblicherweise nur<br />

für gewerbliche Anlieger relevant sind. Im Übrigen sind die Kosten auch nicht<br />

unverhältnismäßig, weil die Hindenburgstraße seit 1916 ihren Namen<br />

trägt und daher die Kläger bislang noch nicht mit Umstellungskosten<br />

belastet worden sind.<br />

Auch der Vortrag <strong>des</strong> Klägers zu 1., dass er seine Adresse für Publikationstätigkeiten<br />

nutze und durch eine Umbenennung seine Reputation verloren<br />

gehe, stellt keinen Ermessensfehler dar. Die Beklagte hat diesen Aspekt […]<br />

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<strong>RA</strong> <strong>06</strong>/<strong>2023</strong><br />

Öffentliches Recht<br />

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hinreichend in ihren Ermessenserwägungen berücksichtigt. Der Kläger zu 1.<br />

hat keinen Anspruch darauf, dass sein Interesse an der Beibehaltung einer<br />

unveränderten Adressbezeichnung im Rahmen einer Straßenumbenennung<br />

absoluten Vorrang hat. Es gibt weder einen Bestandschutz noch ein Eigentumsrecht<br />

an einem Straßennamen. Zudem ist ein solch absoluter Reputationsverlust<br />

bisher lediglich Spekulation und auch kaum vorstellbar, insbesondere<br />

da auch ein privater Umzug, ein Wechsel der Forschungsinstitution<br />

bei aktiven Professoren oder […] Straßenumbenennungen zu einer veränderten<br />

Adressbezeichnung führen können. […]<br />

Darüber hinaus hat sich die Beklagte in der Ausübung ihres weiten<br />

Gestaltungsspielraums selbst auch nicht durch die „Grundsätze und<br />

Verfahren für die Benennung von Straßen, Wegen und Plätzen“ (im<br />

Folgenden: Grundsätze) beschränkt. […] Denn die Grundsätze gelten nur<br />

für den Rat der Beklagten im Rahmen der Selbstbindung der Verwaltung<br />

über Art. 3 Abs. 1 GG, nicht aber für die zwischenzeitlich zuständigen<br />

Stadtbezirksräte. Auch die Richtlinienkompetenz <strong>des</strong> Rates nach § 58<br />

Abs. 1 Nr. 2 NKomVG ermächtigt diesen nicht, verbindliche Grundsätze<br />

im Rahmen von Straßenumbenennungen für die Stadtbezirksräte aufzustellen.<br />

Ansonsten könnte der Rat der Beklagten auf diesem Weg die<br />

Zuständigkeitsregelungen nach dem NKomVG unterlaufen. Der zuständige<br />

Stadtbezirksrat Mitte hat die besagten Grundsätze auch nicht für<br />

anwendbar erklärt oder für sich zum Maßstab gemacht. […]<br />

Es stellt auch keinen Ermessensfehler dar, wenn die Beklagte nicht schon<br />

in der Vergangenheit die Hindenburgstraße umbenannt hat, auch wenn es<br />

hierzu bereits Gelegenheiten gegeben hätte. Es gibt keinen Rechtssatz,<br />

der eine Umbenennung zum erstmöglichen Zeitpunkt gebietet und<br />

spätere Umbenennungen unzulässig macht.<br />

Auch führt die Nicht-Umbenennung der Straße „Zur Hindenburgschleuse“<br />

nicht zu einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1<br />

GG. Denn dieser kann nur denselben Hoheitsträger binden. Vorliegend<br />

ist aber weder der Rat der Beklagten für die Benennung beider Straßen zuständig<br />

noch derselbe Stadtbezirksrat. Die Straße „Zur Hindenburgschleuse“<br />

liegt im Stadtbezirk Misburg-Anderten, so dass der entsprechende Stadtbezirksrat<br />

für eine Umbenennung zuständig wäre, nicht aber der<br />

Stadtbezirksrat Mitte oder der Rat der Beklagten. […] Die Zuständigkeitsverteilung<br />

kann nicht durch einen sog. Grundsatz <strong>des</strong> einheitlichen<br />

Verwaltungshandelns konterkariert werden. Im Übrigen ist auch fraglich, ob<br />

sich die Kläger auf die Verletzung eines derartigen Kohärenzgebots berufen<br />

könnten. Eine Verletzung eigener Rechte kann ersichtlich nicht in dem<br />

Umstand liegen, dass andere Straßen nicht ebenfalls umbenannt werden.“<br />

Selbstbindung durch Verwaltungsrichtlinie<br />

(-), da sie vom Rat<br />

erlassen wurde, entscheidungszuständig<br />

aber der Stadtbezirksrat,<br />

also ein anderes Organ ist.<br />

Bisherige Untätigkeit begründet<br />

nicht einen Ermessensfehler.<br />

Verstoß gegen Art. 3 I GG (-)<br />

Wichtiger Punkt, der in Klausur<br />

oftmals dazu führt, dass Art. 3 I GG<br />

nicht verletzt ist.<br />

FAZIT<br />

Straßenumbenennungen sind ein beliebter Prüfungsgegenstand, weil sich<br />

hier exemplarisch zeigt, dass scheinbar einfache und alltägliche Sachverhalte<br />

erhebliche rechtliche Probleme bereithalten (VA-Merkmale, Klagebefugnis<br />

der Anwohner, fehlerfreie Ermessensausübung der Gemeinde). Das Thema<br />

wird seit einiger Zeit gerade wegen der historischen Figur <strong>des</strong> Paul von<br />

Hindenburg wieder intensiv diskutiert, nach dem in vielen Städten und<br />

Gemeinden Straßen, Wege und Plätze benannt sind.<br />

Ausführlich zu der Thematik: Schoch,<br />

JU<strong>RA</strong> 2011, 344<br />

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