22.06.2023 Aufrufe

RA 07/2023 - Entscheidung des Monats

Das Urteil des BGH vom 04.05.2022, XII ZR 64/21 zum Vorrang der Gutscheinlösung bei der pandemiebedingten außerordentlichen fristlosen Kündigung eines Fitnessstudiovertrages haben wir in RA 07/2022, 337 ff. besprochen.

Das Urteil des BGH vom 04.05.2022, XII ZR 64/21 zum Vorrang der Gutscheinlösung bei der pandemiebedingten außerordentlichen fristlosen Kündigung eines Fitnessstudiovertrages haben wir in RA 07/2022, 337 ff. besprochen.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />

ENTSCHEIDUNGDESMONATS<br />

ZIVILRECHT<br />

Covid19:AußerordentlicheKündigungeines<br />

Fitnessstudiovertrages


Die essenziellen Examensthemen<br />

zum schnellen Wiederholen<br />

© adimas - stock.adobe.com<br />

Die C<strong>RA</strong>SHKURS-Reihe:<br />

<br />

<br />

<br />

Die richtige Vorbereitung ab dem<br />

Hauptstudium bis zum Referendariat<br />

Kompakte Vermittlung <strong>des</strong><br />

materiellen Rechts<br />

Zum schnellen Wiederholen<br />

<strong>des</strong> Examenswissens<br />

<br />

<br />

Überblick über die essenziellen<br />

Examensthemen, die in der Klausur<br />

und der mündlichen Prüfung immer<br />

präsent sein müssen<br />

Hervorhebung von Prüfungsschemata<br />

und aktueller Rechtsprechung<br />

ab dem Hauptstudium:<br />

C<strong>RA</strong>SHKURS<br />

Crashkurs Zivilrecht<br />

Crashkurs Strafrecht<br />

Crashkurs Strafrecht Bayern<br />

Crashkurs Arbeitsrecht<br />

Crashkurs Sammelausgabe<br />

Handels- & Gesellschaftsrecht<br />

ab dem Referendariat:<br />

C<strong>RA</strong>SHKURS Assex<br />

Crashkurs Öffentliches Recht (länderspezifisch)<br />

• Baden-Württemberg<br />

• Bayern<br />

• Berlin<br />

• Brandenburg<br />

• Bremen<br />

• Hamburg<br />

Crashkurs Assex Anwaltsklausur - Zivilrecht<br />

C<strong>RA</strong>SHKURS Assex Anklage und Einstellung - S1-Klausur<br />

Crashkurs Assex Strafurteil - S2-Klausur<br />

• Hessen<br />

• Niedersachsen<br />

• Nordrhein-Westfalen<br />

• Rheinland-Pfalz<br />

• Saarland<br />

• Sachsen<br />

• Sachsen-Anhalt<br />

• Thüringen<br />

Alle Skripte<br />

sind in unserem<br />

Onlineshop<br />

versandkostenfrei<br />

erhältlich!<br />

verlag.jura-intensiv.de/skripte<br />

Stand: Juni <strong>2023</strong>


<strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />

Zivilrecht<br />

337<br />

ZIVILRECHT<br />

Problem: Covid19: Außerordentliche Kündigung eines<br />

Fitnessstudiovertrages<br />

Einordnung: Schuldrecht<br />

BGH, Urteil vom 19.04.<strong>2023</strong><br />

XII ZR 24/22<br />

EINLEITUNG<br />

Das Urteil <strong>des</strong> BGH vom 04.05.2022, XII ZR 64/21 zum Vorrang der Gutscheinlösung<br />

bei der pandemiebedingten außerordentlichen fristlosen Kündigung<br />

eines Fitnessstudiovertrages haben wir in <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/2022, 337 ff. besprochen.<br />

Damaliger Streitgegenstand war die Zahlungspflicht <strong>des</strong> Kunden während <strong>des</strong><br />

Lockdowns. Die rechtlich aufgeworfenen Fragen zur Unmöglichkeit der Leistungspflicht<br />

(§§275 I, 326 I 1 BGB) sowie zur Vertragsanpassung gem. § 313 I<br />

BGB wurden vom XII. Zivilsenat umfassend beantwortet. Vorliegend geht es<br />

um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen Kündigungserklärung.<br />

Erneut spielen die in <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/2022, 337 ff. dargelegten wirtschaftlichen Erwägungen<br />

eine Schlüsselrolle.<br />

SACHVERHALT<br />

K und B schlossen am 06.12.2019 einen Vertrag über die Mitgliedschaft der K<br />

im Fitnessstudio der B mit einer Laufzeit von 100 Wochen, beginnend ab dem<br />

11.12.2019. Der Mitgliedsbeitrag für vier Wochen betrug 34,95 €. Aufgrund<br />

der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie musste B das Fitnessstudio<br />

in der Zeit vom 17.03.2020 bis Mitte Mai 2020 (erster Lockdown)<br />

schließen. Die Mitgliedsbeiträge für diesen Zeitraum zog sie weiterhin vom<br />

Konto der K ein. Sie bot der K aber kostenlose Trainingswochen nach Wiedereröffnung<br />

<strong>des</strong> Fitnessstudios an. Am 31.05.2020 unterzeichnete K einen von der<br />

B vorbereiteten „Ruhezeitantrag“ über eine Unterbrechung der Mitgliedschaft<br />

für zehn Wochen. Nach der Wiedereröffnung <strong>des</strong> Fitnessstudios bestanden aufgrund<br />

der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie<br />

verschiedene Nutzungseinschränkungen, insbesondere konnten die Duschen<br />

und die Sauna nicht genutzt werden. Aufgrund § 10 I 1 Nr. 8 der am 02.11.2020<br />

in Kraft getretenen Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur<br />

Eindämmung <strong>des</strong> Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung)<br />

vom 30.10.2020 musste K das Fitnessstudio erneut schließen.<br />

Während dieses zweiten Lockdowns, der bis zum 31.05.2021 dauerte, zog B<br />

keine Mitgliedsbeiträge ein. Mit Schreiben vom 25.11.2020 kündigte K ihre<br />

Mitgliedschaft zum 30.11.2020. B meint, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene<br />

Fitnessstudiovertrag trotz der von K erklärten außerordentlichen<br />

Kündigung erst mit Ablauf der vertraglich vereinbarten und einverständlich um<br />

10 Wochen verlängerten Laufzeit zum 25.01.2022 beendet wurde. Zu Recht?<br />

LÖSUNG<br />

A. Vertragsbeendigung am 30.11.2020<br />

Aufgrund der Kündigung vom 25.11.2020 könnte die Mitgliedschaft der K<br />

am 30.11.2020 beendet worden sein. Dies setzt das Vorliegen <strong>des</strong> Rechts zur<br />

außerordentlichen, fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund voraus.<br />

LEITSATZ<br />

Die außerordentliche Kündigung<br />

eines Fitnessstudiovertrags durch<br />

den Kunden mit der Begründung,<br />

er könne wegen pandemiebedingten<br />

Betriebsschließungen und<br />

-beschränkungen das Fitnessstudio<br />

nicht im vertraglich vereinbarten<br />

Umfang nutzen, kommt nur im Ausnahmefall<br />

in Betracht.<br />

Ausnahmsweise geht es hier einmal<br />

nicht um einen Anspruch, sondern<br />

um die Frage, ob K wirksam die<br />

Kündigung <strong>des</strong> Vertrages erklärt<br />

hat. Auch eine solche Frage kann<br />

im Examen als Prüfungsaufgabe<br />

gestellt werden.<br />

© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG


338 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />

Wie man in Tz. 11 lesen kann, hat es<br />

der XII. Zivilsenat offen gelassen, ob<br />

sich das Kündigungsrecht nun nach<br />

§ 543 BGB, nach § 314 BGB oder<br />

nach § 626 BGB richtet. Es ist naheliegend,<br />

auf die mietvertragliche<br />

Komponente abzustellen, denn das<br />

Zurverfügungstellen der Geräte ist<br />

aus Kundensicht die entscheidende<br />

Leistung.<br />

Der BGH weist auf die übereinstimmenden<br />

Voraussetzungen aller drei<br />

Kündigungsrechte hin.<br />

Wichtiges Abgrenzungskriterium: Aus<br />

wessen Einflusssphäre stammen die<br />

Vorgänge, die den Kündigungsgrund<br />

rechtfertigen sollen?<br />

I. Kündigungsgrund gem. § 543 I BGB<br />

Solche Rechte sind in § 626 BGB für das Dienstvertragsrecht, gem.§ 543 I BGB<br />

für das Mietrecht und gem. § 314 BGB im Allgemeinen Schuldrecht normiert.<br />

Der Fitnessstudiovertrag ist ein typengemischter Vertrag mit mietvertraglichen<br />

und dienstvertraglichen Elementen. Der Betreiber <strong>des</strong> Fitnessstudios<br />

schuldet seinem Vertragspartner die Möglichkeit, fortlaufend das Studio<br />

zu betreten und die Trainingsgeräte zu nutzen. Der Zweck eines Fitnessstudiovertrags<br />

liegt in der regelmäßigen sportlichen Betätigung und damit<br />

entweder in der Erreichung bestimmter Fitnessziele oder zumin<strong>des</strong>t der<br />

Erhaltung von Fitness und körperlicher Gesundheit. Hierzu ist es nötig, die zur<br />

Nutzung überlassenen Geräte auch tatsächlich nutzen zu können. Dieses mietvertragliche<br />

Element ist hier betroffen. Sogar dann, wenn man den Schwerpunkt<br />

<strong>des</strong> Vertrages nicht im Mietrecht sähe, würde man auf das Mietvertragselement<br />

als verletzte Komponente abstellen.<br />

[11] Unabhängig von der rechtlichen Einordnung eines Fitnessstudiovertrags<br />

als Miet-, Dienst- oder typengemischter Vertrag (...) handelt es sich<br />

dabei um ein Dauerschuldverhältnis, bei dem dem Kunden grundsätzlich<br />

ein Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund zusteht<br />

(...). Nach den im Wortlaut im Wesentlichen übereinstimmenden Vorschriften<br />

der §§ 626 Abs. 1, 543 Abs. 1 BGB und § 314 Abs. 1 BGB setzt<br />

das Recht zur außerordentlichen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses<br />

voraus, dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung<br />

aller Umstände <strong>des</strong> Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen<br />

Interessen die Fortsetzung <strong>des</strong> Vertragsverhältnisses bis zur<br />

vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist<br />

nicht zugemutet werden kann ...). Dies ist im Allgemeinen nur dann<br />

anzunehmen, wenn die Gründe, auf die die Kündigung gestützt wird, im<br />

Risikobereich <strong>des</strong> Kündigungsgegners liegen. Wird der Kündigungsgrund<br />

aus Vorgängen hergeleitet, die dem Einfluss <strong>des</strong> Kündigungsgegners<br />

entzogen sind, rechtfertigt dies nur in Ausnahmefällen die fristlose<br />

Kündigung. Die Abgrenzung der Risikobereiche ergibt sich dabei aus<br />

dem Vertrag, dem Vertragszweck und den anzuwendenden gesetzlichen<br />

Bestimmungen (...).<br />

Zu prüfen ist folglich, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.<br />

Die hier zitierten Grundsätze wurden<br />

in folgenden <strong>Entscheidung</strong>en aufgestellt:<br />

• BGH XII ZR 36/21 = <strong>RA</strong> 05/2022,<br />

225 ff. („Hochzeitsfeier“; lesen Sie<br />

ergänzend OLG Hamm 18 U 195/21<br />

= <strong>RA</strong> 10/2022, 505 ff.)<br />

• BGH XII ZR 64/21 = <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/2022,<br />

337 ff. („Fitnessstudio – Vorrang<br />

der Gutscheinlösung“)<br />

[12] Für den Bereich der Gewerberaummiete hat der Senat bereits<br />

mehrfach ausgesprochen, dass ohne entsprechende vertragliche Regelungen<br />

Belastungen infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung<br />

der COVID-19-Pandemie regelmäßig weder der Sphäre <strong>des</strong> Vermieters<br />

noch derjenigen <strong>des</strong> Mieters zuzuordnen sind (...). Nichts Anderes gilt<br />

für Fitnessstudioverträge. Auch hier sind pandemiebedingte Betriebsschließungen<br />

und -beschränkungen eine Folge der umfangreichen<br />

staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben<br />

zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden<br />

Vertragsparteien verantwortlich gemacht und daher das damit verbundene<br />

Risiko regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen<br />

werden kann. Die außerordentliche Kündigung eines Fitnessstudiovertrags<br />

durch den Kunden mit der Begründung, er könne wegen pandemiebedingter<br />

Betriebsschließungen und -beschränkungen das Fitnessstudio<br />

nicht im vertraglich vereinbarten Umfang nutzen, kommt daher nur im<br />

Ausnahmefall in Betracht (...).<br />

© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG


<strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />

Zivilrecht<br />

339<br />

Also kommt es vorliegend darauf an, ob ein solcher Ausnahmefall ersichtlich<br />

ist. Entscheidende Kriterien sind die wirtschaftlichen Erwägungen. Es wäre<br />

einem Kunden nicht zuzumuten, Geldzahlungen leisten zu müssen, obwohl<br />

die Einrichtungen <strong>des</strong> Fitnessstudios nicht genutzt werden können.<br />

[16] Der Senat hat nach Erlass <strong>des</strong> angefochtenen Berufungsurteils entschieden,<br />

dass es dem Betreiber eines Fitnessstudios in dem Zeitraum, in<br />

dem er aufgrund hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-<br />

19-Pandemie sein Studio schließen musste, rechtlich unmöglich iSv § 275<br />

Abs. 1 BGB war, seinen Kunden die Möglichkeit zur vertragsgemäßen<br />

Nutzung <strong>des</strong> Fitnessstudios zu gewähren und damit seine vertraglich<br />

geschuldete Hauptleistungspflicht zu erfüllen. Dies führt dazu, dass der<br />

Betreiber <strong>des</strong> Fitnessstudios während <strong>des</strong> Schließungszeitraums von seiner<br />

Leistungsverpflichtung frei wurde, er aber gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB<br />

seinen Anspruch auf die Gegenleistung verlor und bereits gezahltes Nutzungsentgelt<br />

zurückerstatten muss (...). Deshalb musste die Klägerin im<br />

vorliegenden Fall während <strong>des</strong> Zeitraums der erneuten Schließung <strong>des</strong><br />

Fitnessstudios ab dem 2. November 2020 bis zu <strong>des</strong>sen Wiedereröffnung<br />

nach Ende <strong>des</strong> zweiten Lockdowns keine Zahlungen mehr an die Beklagte<br />

erbringen. Da diese nach den getroffenen Feststellungen während <strong>des</strong><br />

erneuten Schließungszeitraums auch keine Beiträge mehr einzog, musste<br />

die Klägerin zudem nicht fürchten, zu Unrecht geleistete Beiträge nicht<br />

mehr zurückzuerhalten und damit das Insolvenzrisiko der Beklagten tragen<br />

zu müssen. Eine weitere Bindung der Klägerin an den abgeschlossenen<br />

Fitnessstudiovertrag bedeutete für sie mithin nur, dass sie für die Dauer <strong>des</strong><br />

zweiten Lockdowns zwar an den abgeschlossenen Vertrag gebunden<br />

war, ohne das Fitnessstudio nutzen zu können. Von der Verpflichtung zur<br />

Zahlung <strong>des</strong> Nutzungsentgelts war sie jedoch befreit. (...).<br />

BGH XII ZR 64/21 = <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/2022,<br />

337 ff. („Fitnessstudio – Vorrang der<br />

Gutscheinlösung“)<br />

Wichtiges Argument: K musste kein<br />

Nutzungsentgelt zahlen. Sie war nur<br />

an den Vertrag gebunden. Das ist<br />

nicht unzumutbar.<br />

Zu prüfen bleibt, ob aus anderen Gründen ein weiteres Festhalten am Vertrag<br />

für K unzumutbar ist. Man könnte hier argumentieren, dass K an einen für<br />

sie sinnlos gewordenen Vertrag gebunden und für eine Umorientierung<br />

zu anderen sportlichen Aktivitäten und Freizeitbeschäftigungen blockiert<br />

worden sei.<br />

[18] Zwar trifft es zu, dass bei einem Fitnessstudiovertrag mit mehrmonatiger<br />

fester Vertragslaufzeit gegen Zahlung eines monatlich fällig<br />

werdenden Entgelts der Betreiber <strong>des</strong> Fitnessstudios seinem Vertragspartner<br />

die Möglichkeit, fortlaufend das Studio zu betreten und die<br />

Trainingsgeräte zu nutzen, schuldet. Der Zweck eines Fitnessstudiovertrags<br />

liegt in der regelmäßigen sportlichen Betätigung und damit entweder in<br />

der Erreichung bestimmter Fitnessziele oder zumin<strong>des</strong>t der Erhaltung<br />

von Fitness und körperlicher Gesundheit. Aufgrund <strong>des</strong>sen sind für den<br />

Vertragspartner gerade die regelmäßige und ganzjährige Öffnung und<br />

Nutzbarkeit <strong>des</strong> Studios von entscheidender Bedeutung (...). Dieser Vertragszweck<br />

konnte zwar zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung wegen<br />

der erneuten Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht<br />

erreicht werden und es war zu diesem Zeitpunkt auch nicht absehbar,<br />

wann eine Wiedereröffnung <strong>des</strong> Fitnessstudios erfolgen wird. Inwieweit die<br />

Bindung der Klägerin an den abgeschlossenen Vertrag während der Zeit<br />

<strong>des</strong> zweiten Lockdowns einem Erreichen ihrer Fitnessziele oder einer Umorientierung<br />

auf andere sportliche Aktivitäten entgegenstünde, erschließt<br />

sich aus der Revisionsbegründung jedoch nicht. Die Klägerin konnte in<br />

© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG


340 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />

Argument gegen eine Unzumutbarkeit:<br />

Die Bindung an den Vertrag<br />

schadet auch <strong>des</strong>halb nicht, weil K<br />

nicht auf andere Fitnessstudios ausweichen<br />

konnte.<br />

diesem Zeitraum nicht auf ein anderes Fitnessstudio ausweichen, weil<br />

während <strong>des</strong> zweiten Lockdowns alle Fitnessstudios im Bun<strong>des</strong>gebiet<br />

schließen mussten. Weshalb die Bindung an den abgeschlossenen Vertrag,<br />

ohne dass damit eine wirtschaftliche Belastung einherging, es der Klägerin<br />

unmöglich gemacht oder erschwert haben soll, sich anderen sportlichen<br />

Betätigungen zur Erreichung ihrer Fitnessziele zuzuwenden, ist nicht<br />

ersichtlich.<br />

II. Kündigungsgrund aus §§ 241 II BGB, 314 BGB<br />

Man könnte der Auffassung sein, dass ein außerordentliches, fristloses Kündigungsrecht<br />

auch in der Störung <strong>des</strong> Vertrauensverhältnisses gesehen<br />

werden kann, die eine Fortsetzung <strong>des</strong> Vertrages für die in ihren Rechten<br />

verletzte Partei unzumutbar gemacht hat.<br />

1. Rechtliche Rücksichtslosigkeit<br />

Dies könnte man annehmen, wenn B entgegen der tatsächlichen Rechtslage<br />

von K eine Verlängerung <strong>des</strong> Vertrags um die Dauer <strong>des</strong> zweiten Lockdowns<br />

verlangt und durch diese unberechtigte Geltendmachung vermeintlicher<br />

Rechte ihre Rücksichtnahmepflicht aus § 241 II BGB zumin<strong>des</strong>t fahrlässig<br />

verletzt hätte.<br />

B hielt sich an die damalige allgemeine<br />

Rechtsauffassung. Das ist<br />

nicht rücksichtslos.<br />

Mit der Bindung verlängert sich<br />

auch die Vertragspflicht <strong>des</strong> B.<br />

Auf die nachträgliche Änderung der<br />

Rechtsprechung in BGH <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/2022,<br />

337 ff. kommt es nicht an.<br />

[20] Es trifft zwar zu, dass eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei<br />

etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht geschuldet<br />

ist, oder ein Gestaltungsrecht ausübt, das nicht besteht, ihre Pflicht zur<br />

Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt (...), und sich ein Recht zur<br />

außerordentlichen Kündigung auch aus der Verletzung von Schutzpflichten<br />

nach § 241 Abs. 2 BGB ergeben kann (...). Die Verletzung vertraglicher<br />

Pflichten berechtigt zur außerordentlichen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses<br />

jedoch nur, wenn sie so schwerwiegend ist, dass<br />

durch sie das Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartnern in<br />

einem Maß beeinträchtigt wird, dass dem Kündigenden ein Festhalten<br />

an dem Vertrag nicht mehr zumutbar ist (...).<br />

[21] Das ist vorliegend nicht der Fall. Zum Zeitpunkt <strong>des</strong> zweiten Lockdowns<br />

wurde in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung verbreitet die<br />

Auffassung vertreten, ein Fitnessstudiovertrag sei wegen Störung der<br />

Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen,<br />

dass sich die vereinbarte Vertragslaufzeit um die Zeit, in der das Fitnessstudio<br />

geschlossen werden musste, verlängert (...).<br />

[22] Indem sich die Beklagte diesen Rechtsstandpunkt zu eigen<br />

machte, beging sie keine schwerwiegende Vertragsverletzung, zumal<br />

damit auch ihre eigene Vertragspflicht verlängert worden wäre. Dass<br />

der Senat diese Rechtsauffassung mit Urteil vom 4. Mai 2022 (...) als unzutreffend<br />

angesehen hat, vermag eine schwerwiegende Beeinträchtigung<br />

<strong>des</strong> Vertrauensverhältnisses nicht nachträglich zu begründen.<br />

2. Tatsächliche Rücksichtslosigkeit<br />

Fraglich ist, ob ein Verlangen, die Fortsetzung <strong>des</strong> Vertragsverhältnisses zu<br />

verlangen, wegen der Einschränkungen <strong>des</strong> Trainingsbetriebs nach der Wiederöffnung<br />

der Fitnessstudios aufgrund von pandemiebedingten Hygieneund<br />

Abstandsregeln in tatsächlicher Hinsicht so rücksichtslos war, dass es eine<br />

außerordentliche, fristlose Kündigung rechtfertigt.<br />

© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG


<strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />

Zivilrecht<br />

341<br />

[23] (...) Abgesehen davon, dass zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung<br />

noch nicht absehbar war, ob und gegebenenfalls inwieweit die Nutzung<br />

<strong>des</strong> Fitnessstudios nach <strong>des</strong>sen Wiedereröffnung durch hoheitliche Maßnahmen<br />

zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eingeschränkt würde,<br />

wäre die Klägerin durch die Einhaltung etwaiger Abstands- und Hygieneregeln<br />

nicht derart schwer belastet, dass ihr ein Festhalten an dem<br />

abgeschlossenen Vertrag nicht mehr zumutbar war. Selbst wenn Teile <strong>des</strong><br />

Fitnessstudios, wie etwa die Duschen, aufgrund der dann geltenden<br />

Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht nutzbar gewesen wären,<br />

würde dies eine außerordentliche Kündigung <strong>des</strong> Vertrags nicht<br />

rechtfertigen. Denn in diesem Fall könnte ein angemessener Interessenausgleich<br />

durch eine Anpassung <strong>des</strong> Vertrags nach § 313 Abs. 1<br />

BGB erreicht werden, etwa durch eine Herabsetzung der monatlichen<br />

Beiträge. Diese Möglichkeit schließt eine außerordentliche Kündigung<br />

aus (..).<br />

Die Einschränkungen der Nutzbarkeit<br />

– gesperrte Duschräume<br />

– rechtfertigen keine außerordentliche<br />

Kündigung, sondern allenfalls<br />

eine Vertragsanpassung gem. § 313<br />

I BGB.<br />

Fraglich bleibt, inwieweit in diese Abwägung die Gefahr der Ansteckung mit<br />

dem Covid19-Virus einbezogen werden muss.<br />

[24] Schließlich trifft auch nicht auf rechtliche Bedenken, dass das Berufungsgericht<br />

das von der Klägerin geltend gemachte Risiko einer Ansteckung mit<br />

dem Corona-Virus bei einer weiteren Nutzung <strong>des</strong> Fitnessstudios nicht als<br />

ausreichenden Grund für eine außerordentliche Kündigung <strong>des</strong> Vertrags<br />

angesehen hat. Die Gefahr, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren,<br />

gehörte im November 2020 zum allgemeinen Lebensrisiko. (...) Wenn<br />

sich die Klägerin dann entscheidet, aus Angst vor einer Infektion die<br />

Leistungen der Beklagten nicht mehr in Anspruch zu nehmen, betrifft<br />

das allein ihr Verwendungsrisiko. Anhaltspunkte dafür, dass bei der<br />

Klägerin ein erhöhtes Infektionsrisiko bestand und ihr <strong>des</strong>halb die<br />

Nutzung <strong>des</strong> Fitnessstudios auch bei Einhaltung von Hygiene- und<br />

Abstandsregelungen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zumutbar<br />

war, sind nicht festgestellt und werden von der Klägerin auch nicht<br />

vorgetragen.<br />

Bei K bestand kein erhöhtes Infektionsrisiko,<br />

<strong>des</strong>halb trifft sie das allgemeine<br />

Lebensrisiko.<br />

Folglich wurde das Vertragsverhältnis nicht aufgrund der seitens K erklärten<br />

außerordentlichen fristlosen Kündigung am 30.11.2020 beendet.<br />

B. Ergebnis<br />

Der Vertrag endete erst mit Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer am<br />

25.01.2022.<br />

FAZIT<br />

Ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung besteht beim Fitnessstudiovertrag<br />

wegen der pandemiebedingten Betriebsschließung nur, wenn<br />

in der Person <strong>des</strong> Kunden liegende Ausnahmetatbestände vorliegen.<br />

© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG


342 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />

ZIVILRECHT<br />

Problem: „Fiktive“ Schadensbemessung im Mietrecht<br />

Einordnung: Schuldrecht, Mietrecht<br />

BGH, Urteil vom 19.04.<strong>2023</strong><br />

VIII ZR 280/21<br />

LEITSATZ DER REDAKTION<br />

Der Vermieter kann seine Ansprüche<br />

gegen den Mieter wegen pflichtwidrig<br />

unterlassener Schönheitsreparaturen<br />

als Schadenseratz statt der<br />

Leistung sowie wegen vom Mieter<br />

schuldhaft verursachter Schäden<br />

am Mietobjekt als Schaden neben<br />

der Leistung „fiktiv“ abrechnen. Die<br />

Besonderheiten <strong>des</strong> Werkvertragsrechts,<br />

welche dort das Recht „fiktiv“<br />

abzurechnen einschränken, liegen<br />

im Mietrecht nicht vor.<br />

EINLEITUNG<br />

Unter dem Begriff „fiktiv“ abzurechnen, versteht man im Schadensrecht<br />

eine gängige Praxis: Der Geschädigte verlangt bei Verletzung <strong>des</strong> Integritätsinteresse<br />

vom Schuldner die Kosten der Reparatur ohne Umsatzsteuer, bei<br />

Verletzung <strong>des</strong> Leistungsinteresses die Kosten einer Mängelbeseitigung ohne<br />

Umsatzsteuer. Danach stehen dem Gläubiger zwei Möglichkeiten zur Wahl:<br />

Entweder wird die Reparatur, bzw. Mängelbeseitigung tatsächlich durchgeführt.<br />

In diesem Falle kann eine tatsächlich angefallene, an den Handwerker<br />

gezahlte Umsatzsteuer gem. § 249 II 2 BGB nachgefordert werden. Oder der<br />

Gläubiger lebt mit dem Schaden und behält das Geld, um es zu sparen, zu<br />

investieren oder zu konsumieren. Seit dem Urteil <strong>des</strong> BGH, VII ZR 46/17 =<br />

<strong>RA</strong> 06/2018, 293 ff. wird in vielen Rechtsgebieten über die Zulässigkeit, fiktiv<br />

abzurechnen, diskutiert.<br />

SACHVERHALT<br />

Die B waren bis zum 31.12.2017 Mieter einer Wohnung in einem Mehrparteienhaus<br />

<strong>des</strong> K. Der Mietvertrag, der beide als Mieter der Wohnung auswies,<br />

enthielt eine wirksame Klausel, welche den B die Schönheitsreparaturen auferlegte.<br />

Die Rückgabe der Wohnung erfolgte am 02.01.2018. Am 08.01.2018 forderte<br />

K die B schriftlich unter Setzung einer angemessenen Frist rechtmäßig zur<br />

Durchführung näher bezeichneter, den B obliegender, Schönheitsreparaturen<br />

auf. Im selben Schreiben forderte K die B berechtigterweise zur Erneuerung<br />

von Wandfliesen in der Küche, zum Streichen der Wand im Treppenhaus <strong>des</strong><br />

Anwesens, zu Rückbauarbeiten bezüglich verlegter Fliesen und eines PVC-<br />

Belags sowie zur Reparatur der Zarge der Wohnungseingangstür auf. Die Notwendigkeit<br />

dieser Reparaturarbeiten beruhte auf schuldhafter Verletzung der<br />

Vertragspflichten seitens der B sowie auf Verschlechterungen der Mietsache,<br />

die nicht durch den vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführt wurden. Die B<br />

nahmen keine dieser Arbeiten bis zum Fristablauf vor. Ausweislich eines vom K<br />

eingeholten Kostenvoranschlags fallen für die vorgenannten Arbeiten Kosten<br />

in Höhe von insgesamt 7.961,35 € ohne Umsatzsteuer an. K nahm nach Fristablauf<br />

die Rückbauarbeiten vor. Für diese Arbeiten sowie für das noch nicht<br />

durchgeführte Streichen der Küche und <strong>des</strong> Wohnzimmers (500 €) und für<br />

noch zu verlegende Abschlussleisten (32 €) macht K gegen die B insgesamt,<br />

unter Zugrundelegung der im Kostenvoranschlag angesetzten Preise einen<br />

Betrag in Höhe von 881,35 € netto als Schadensersatz geltend. Die übrigen<br />

Positionen <strong>des</strong> Kostenvoranschlags, insgesamt 7.961,35 € netto, begehrt K von<br />

den B als Vorschuss zur Ausführung der entsprechenden Arbeiten. Zu Recht?<br />

LÖSUNG<br />

A. Anspruch <strong>des</strong> K gegen die B auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe<br />

von 7.961,35 € gem. §§ 280 I, III, 281 I 1 1. Fall BGB<br />

K könnte gegen die B einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz statt<br />

der Leistung in Höhe von 7.961,35 € gem. §§ 280 I, III, 281 I 1 1. Fall BGB wegen<br />

<strong>des</strong> Unterlassens der Schönheitsreparaturen haben.<br />

© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG


© Estefanía Fernández - Arteffis.com<br />

Definitionen und Kernprobleme<br />

auf einem Blick. KOMPAKT eben.<br />

IHRE KLAUSURVORBEREITUNG:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Klausurrelevante Probleme<br />

im Überblick<br />

Prüfungsschemata<br />

mit Definitionen<br />

Prüfungsschemata<br />

mit Problemen<br />

Streitstände komprimiert<br />

dargestellt<br />

KOMPAKT-REIHE:<br />

KOMPAKT Strafrecht<br />

KOMPAKT Öffentliches Recht Bun<strong>des</strong>recht<br />

KOMPAKT Lan<strong>des</strong>recht<br />

Baden-Württemberg . Nordrhein-Westfalen<br />

Sachsen . Hessen . Rheinland-Pfalz<br />

KOMPAKT Zivilrecht<br />

Sachenrecht u. gesetzliche Schuldverhältnisse<br />

mit allg. Schadensrecht<br />

Weitere Informationen und Preise zu unseren<br />

Produkten finden Sie in unserem Onlineshop!<br />

verlag.jura-intensiv.de/skripte<br />

Stand: Juni <strong>2023</strong>


ZUM SHOP<br />

Geschmack auf mehr?<br />

Die VOLLVERSION gibt‘s hier!<br />

<strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />

Unsere Zeitschrift<br />

ist als Print- &<br />

Digitalausgabe<br />

erhältlich.<br />

Ab<br />

4,99 €<br />

Weitere Informationen zu unseren <strong>RA</strong>-Optionen<br />

gibt es in unserem Online-Shop!<br />

verlag.jura-intensiv.de/ra-ausbildungszeitschrift

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!