RA 07/2023 - Entscheidung des Monats
Das Urteil des BGH vom 04.05.2022, XII ZR 64/21 zum Vorrang der Gutscheinlösung bei der pandemiebedingten außerordentlichen fristlosen Kündigung eines Fitnessstudiovertrages haben wir in RA 07/2022, 337 ff. besprochen.
Das Urteil des BGH vom 04.05.2022, XII ZR 64/21 zum Vorrang der Gutscheinlösung bei der pandemiebedingten außerordentlichen fristlosen Kündigung eines Fitnessstudiovertrages haben wir in RA 07/2022, 337 ff. besprochen.
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<strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />
ENTSCHEIDUNGDESMONATS<br />
ZIVILRECHT<br />
Covid19:AußerordentlicheKündigungeines<br />
Fitnessstudiovertrages
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Stand: Juni <strong>2023</strong>
<strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />
Zivilrecht<br />
337<br />
ZIVILRECHT<br />
Problem: Covid19: Außerordentliche Kündigung eines<br />
Fitnessstudiovertrages<br />
Einordnung: Schuldrecht<br />
BGH, Urteil vom 19.04.<strong>2023</strong><br />
XII ZR 24/22<br />
EINLEITUNG<br />
Das Urteil <strong>des</strong> BGH vom 04.05.2022, XII ZR 64/21 zum Vorrang der Gutscheinlösung<br />
bei der pandemiebedingten außerordentlichen fristlosen Kündigung<br />
eines Fitnessstudiovertrages haben wir in <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/2022, 337 ff. besprochen.<br />
Damaliger Streitgegenstand war die Zahlungspflicht <strong>des</strong> Kunden während <strong>des</strong><br />
Lockdowns. Die rechtlich aufgeworfenen Fragen zur Unmöglichkeit der Leistungspflicht<br />
(§§275 I, 326 I 1 BGB) sowie zur Vertragsanpassung gem. § 313 I<br />
BGB wurden vom XII. Zivilsenat umfassend beantwortet. Vorliegend geht es<br />
um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen Kündigungserklärung.<br />
Erneut spielen die in <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/2022, 337 ff. dargelegten wirtschaftlichen Erwägungen<br />
eine Schlüsselrolle.<br />
SACHVERHALT<br />
K und B schlossen am 06.12.2019 einen Vertrag über die Mitgliedschaft der K<br />
im Fitnessstudio der B mit einer Laufzeit von 100 Wochen, beginnend ab dem<br />
11.12.2019. Der Mitgliedsbeitrag für vier Wochen betrug 34,95 €. Aufgrund<br />
der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie musste B das Fitnessstudio<br />
in der Zeit vom 17.03.2020 bis Mitte Mai 2020 (erster Lockdown)<br />
schließen. Die Mitgliedsbeiträge für diesen Zeitraum zog sie weiterhin vom<br />
Konto der K ein. Sie bot der K aber kostenlose Trainingswochen nach Wiedereröffnung<br />
<strong>des</strong> Fitnessstudios an. Am 31.05.2020 unterzeichnete K einen von der<br />
B vorbereiteten „Ruhezeitantrag“ über eine Unterbrechung der Mitgliedschaft<br />
für zehn Wochen. Nach der Wiedereröffnung <strong>des</strong> Fitnessstudios bestanden aufgrund<br />
der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie<br />
verschiedene Nutzungseinschränkungen, insbesondere konnten die Duschen<br />
und die Sauna nicht genutzt werden. Aufgrund § 10 I 1 Nr. 8 der am 02.11.2020<br />
in Kraft getretenen Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur<br />
Eindämmung <strong>des</strong> Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung)<br />
vom 30.10.2020 musste K das Fitnessstudio erneut schließen.<br />
Während dieses zweiten Lockdowns, der bis zum 31.05.2021 dauerte, zog B<br />
keine Mitgliedsbeiträge ein. Mit Schreiben vom 25.11.2020 kündigte K ihre<br />
Mitgliedschaft zum 30.11.2020. B meint, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene<br />
Fitnessstudiovertrag trotz der von K erklärten außerordentlichen<br />
Kündigung erst mit Ablauf der vertraglich vereinbarten und einverständlich um<br />
10 Wochen verlängerten Laufzeit zum 25.01.2022 beendet wurde. Zu Recht?<br />
LÖSUNG<br />
A. Vertragsbeendigung am 30.11.2020<br />
Aufgrund der Kündigung vom 25.11.2020 könnte die Mitgliedschaft der K<br />
am 30.11.2020 beendet worden sein. Dies setzt das Vorliegen <strong>des</strong> Rechts zur<br />
außerordentlichen, fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund voraus.<br />
LEITSATZ<br />
Die außerordentliche Kündigung<br />
eines Fitnessstudiovertrags durch<br />
den Kunden mit der Begründung,<br />
er könne wegen pandemiebedingten<br />
Betriebsschließungen und<br />
-beschränkungen das Fitnessstudio<br />
nicht im vertraglich vereinbarten<br />
Umfang nutzen, kommt nur im Ausnahmefall<br />
in Betracht.<br />
Ausnahmsweise geht es hier einmal<br />
nicht um einen Anspruch, sondern<br />
um die Frage, ob K wirksam die<br />
Kündigung <strong>des</strong> Vertrages erklärt<br />
hat. Auch eine solche Frage kann<br />
im Examen als Prüfungsaufgabe<br />
gestellt werden.<br />
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338 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />
Wie man in Tz. 11 lesen kann, hat es<br />
der XII. Zivilsenat offen gelassen, ob<br />
sich das Kündigungsrecht nun nach<br />
§ 543 BGB, nach § 314 BGB oder<br />
nach § 626 BGB richtet. Es ist naheliegend,<br />
auf die mietvertragliche<br />
Komponente abzustellen, denn das<br />
Zurverfügungstellen der Geräte ist<br />
aus Kundensicht die entscheidende<br />
Leistung.<br />
Der BGH weist auf die übereinstimmenden<br />
Voraussetzungen aller drei<br />
Kündigungsrechte hin.<br />
Wichtiges Abgrenzungskriterium: Aus<br />
wessen Einflusssphäre stammen die<br />
Vorgänge, die den Kündigungsgrund<br />
rechtfertigen sollen?<br />
I. Kündigungsgrund gem. § 543 I BGB<br />
Solche Rechte sind in § 626 BGB für das Dienstvertragsrecht, gem.§ 543 I BGB<br />
für das Mietrecht und gem. § 314 BGB im Allgemeinen Schuldrecht normiert.<br />
Der Fitnessstudiovertrag ist ein typengemischter Vertrag mit mietvertraglichen<br />
und dienstvertraglichen Elementen. Der Betreiber <strong>des</strong> Fitnessstudios<br />
schuldet seinem Vertragspartner die Möglichkeit, fortlaufend das Studio<br />
zu betreten und die Trainingsgeräte zu nutzen. Der Zweck eines Fitnessstudiovertrags<br />
liegt in der regelmäßigen sportlichen Betätigung und damit<br />
entweder in der Erreichung bestimmter Fitnessziele oder zumin<strong>des</strong>t der<br />
Erhaltung von Fitness und körperlicher Gesundheit. Hierzu ist es nötig, die zur<br />
Nutzung überlassenen Geräte auch tatsächlich nutzen zu können. Dieses mietvertragliche<br />
Element ist hier betroffen. Sogar dann, wenn man den Schwerpunkt<br />
<strong>des</strong> Vertrages nicht im Mietrecht sähe, würde man auf das Mietvertragselement<br />
als verletzte Komponente abstellen.<br />
[11] Unabhängig von der rechtlichen Einordnung eines Fitnessstudiovertrags<br />
als Miet-, Dienst- oder typengemischter Vertrag (...) handelt es sich<br />
dabei um ein Dauerschuldverhältnis, bei dem dem Kunden grundsätzlich<br />
ein Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund zusteht<br />
(...). Nach den im Wortlaut im Wesentlichen übereinstimmenden Vorschriften<br />
der §§ 626 Abs. 1, 543 Abs. 1 BGB und § 314 Abs. 1 BGB setzt<br />
das Recht zur außerordentlichen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses<br />
voraus, dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung<br />
aller Umstände <strong>des</strong> Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen<br />
Interessen die Fortsetzung <strong>des</strong> Vertragsverhältnisses bis zur<br />
vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist<br />
nicht zugemutet werden kann ...). Dies ist im Allgemeinen nur dann<br />
anzunehmen, wenn die Gründe, auf die die Kündigung gestützt wird, im<br />
Risikobereich <strong>des</strong> Kündigungsgegners liegen. Wird der Kündigungsgrund<br />
aus Vorgängen hergeleitet, die dem Einfluss <strong>des</strong> Kündigungsgegners<br />
entzogen sind, rechtfertigt dies nur in Ausnahmefällen die fristlose<br />
Kündigung. Die Abgrenzung der Risikobereiche ergibt sich dabei aus<br />
dem Vertrag, dem Vertragszweck und den anzuwendenden gesetzlichen<br />
Bestimmungen (...).<br />
Zu prüfen ist folglich, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.<br />
Die hier zitierten Grundsätze wurden<br />
in folgenden <strong>Entscheidung</strong>en aufgestellt:<br />
• BGH XII ZR 36/21 = <strong>RA</strong> 05/2022,<br />
225 ff. („Hochzeitsfeier“; lesen Sie<br />
ergänzend OLG Hamm 18 U 195/21<br />
= <strong>RA</strong> 10/2022, 505 ff.)<br />
• BGH XII ZR 64/21 = <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/2022,<br />
337 ff. („Fitnessstudio – Vorrang<br />
der Gutscheinlösung“)<br />
[12] Für den Bereich der Gewerberaummiete hat der Senat bereits<br />
mehrfach ausgesprochen, dass ohne entsprechende vertragliche Regelungen<br />
Belastungen infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung<br />
der COVID-19-Pandemie regelmäßig weder der Sphäre <strong>des</strong> Vermieters<br />
noch derjenigen <strong>des</strong> Mieters zuzuordnen sind (...). Nichts Anderes gilt<br />
für Fitnessstudioverträge. Auch hier sind pandemiebedingte Betriebsschließungen<br />
und -beschränkungen eine Folge der umfangreichen<br />
staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben<br />
zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden<br />
Vertragsparteien verantwortlich gemacht und daher das damit verbundene<br />
Risiko regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen<br />
werden kann. Die außerordentliche Kündigung eines Fitnessstudiovertrags<br />
durch den Kunden mit der Begründung, er könne wegen pandemiebedingter<br />
Betriebsschließungen und -beschränkungen das Fitnessstudio<br />
nicht im vertraglich vereinbarten Umfang nutzen, kommt daher nur im<br />
Ausnahmefall in Betracht (...).<br />
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<strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />
Zivilrecht<br />
339<br />
Also kommt es vorliegend darauf an, ob ein solcher Ausnahmefall ersichtlich<br />
ist. Entscheidende Kriterien sind die wirtschaftlichen Erwägungen. Es wäre<br />
einem Kunden nicht zuzumuten, Geldzahlungen leisten zu müssen, obwohl<br />
die Einrichtungen <strong>des</strong> Fitnessstudios nicht genutzt werden können.<br />
[16] Der Senat hat nach Erlass <strong>des</strong> angefochtenen Berufungsurteils entschieden,<br />
dass es dem Betreiber eines Fitnessstudios in dem Zeitraum, in<br />
dem er aufgrund hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-<br />
19-Pandemie sein Studio schließen musste, rechtlich unmöglich iSv § 275<br />
Abs. 1 BGB war, seinen Kunden die Möglichkeit zur vertragsgemäßen<br />
Nutzung <strong>des</strong> Fitnessstudios zu gewähren und damit seine vertraglich<br />
geschuldete Hauptleistungspflicht zu erfüllen. Dies führt dazu, dass der<br />
Betreiber <strong>des</strong> Fitnessstudios während <strong>des</strong> Schließungszeitraums von seiner<br />
Leistungsverpflichtung frei wurde, er aber gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB<br />
seinen Anspruch auf die Gegenleistung verlor und bereits gezahltes Nutzungsentgelt<br />
zurückerstatten muss (...). Deshalb musste die Klägerin im<br />
vorliegenden Fall während <strong>des</strong> Zeitraums der erneuten Schließung <strong>des</strong><br />
Fitnessstudios ab dem 2. November 2020 bis zu <strong>des</strong>sen Wiedereröffnung<br />
nach Ende <strong>des</strong> zweiten Lockdowns keine Zahlungen mehr an die Beklagte<br />
erbringen. Da diese nach den getroffenen Feststellungen während <strong>des</strong><br />
erneuten Schließungszeitraums auch keine Beiträge mehr einzog, musste<br />
die Klägerin zudem nicht fürchten, zu Unrecht geleistete Beiträge nicht<br />
mehr zurückzuerhalten und damit das Insolvenzrisiko der Beklagten tragen<br />
zu müssen. Eine weitere Bindung der Klägerin an den abgeschlossenen<br />
Fitnessstudiovertrag bedeutete für sie mithin nur, dass sie für die Dauer <strong>des</strong><br />
zweiten Lockdowns zwar an den abgeschlossenen Vertrag gebunden<br />
war, ohne das Fitnessstudio nutzen zu können. Von der Verpflichtung zur<br />
Zahlung <strong>des</strong> Nutzungsentgelts war sie jedoch befreit. (...).<br />
BGH XII ZR 64/21 = <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/2022,<br />
337 ff. („Fitnessstudio – Vorrang der<br />
Gutscheinlösung“)<br />
Wichtiges Argument: K musste kein<br />
Nutzungsentgelt zahlen. Sie war nur<br />
an den Vertrag gebunden. Das ist<br />
nicht unzumutbar.<br />
Zu prüfen bleibt, ob aus anderen Gründen ein weiteres Festhalten am Vertrag<br />
für K unzumutbar ist. Man könnte hier argumentieren, dass K an einen für<br />
sie sinnlos gewordenen Vertrag gebunden und für eine Umorientierung<br />
zu anderen sportlichen Aktivitäten und Freizeitbeschäftigungen blockiert<br />
worden sei.<br />
[18] Zwar trifft es zu, dass bei einem Fitnessstudiovertrag mit mehrmonatiger<br />
fester Vertragslaufzeit gegen Zahlung eines monatlich fällig<br />
werdenden Entgelts der Betreiber <strong>des</strong> Fitnessstudios seinem Vertragspartner<br />
die Möglichkeit, fortlaufend das Studio zu betreten und die<br />
Trainingsgeräte zu nutzen, schuldet. Der Zweck eines Fitnessstudiovertrags<br />
liegt in der regelmäßigen sportlichen Betätigung und damit entweder in<br />
der Erreichung bestimmter Fitnessziele oder zumin<strong>des</strong>t der Erhaltung<br />
von Fitness und körperlicher Gesundheit. Aufgrund <strong>des</strong>sen sind für den<br />
Vertragspartner gerade die regelmäßige und ganzjährige Öffnung und<br />
Nutzbarkeit <strong>des</strong> Studios von entscheidender Bedeutung (...). Dieser Vertragszweck<br />
konnte zwar zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung wegen<br />
der erneuten Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht<br />
erreicht werden und es war zu diesem Zeitpunkt auch nicht absehbar,<br />
wann eine Wiedereröffnung <strong>des</strong> Fitnessstudios erfolgen wird. Inwieweit die<br />
Bindung der Klägerin an den abgeschlossenen Vertrag während der Zeit<br />
<strong>des</strong> zweiten Lockdowns einem Erreichen ihrer Fitnessziele oder einer Umorientierung<br />
auf andere sportliche Aktivitäten entgegenstünde, erschließt<br />
sich aus der Revisionsbegründung jedoch nicht. Die Klägerin konnte in<br />
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340 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />
Argument gegen eine Unzumutbarkeit:<br />
Die Bindung an den Vertrag<br />
schadet auch <strong>des</strong>halb nicht, weil K<br />
nicht auf andere Fitnessstudios ausweichen<br />
konnte.<br />
diesem Zeitraum nicht auf ein anderes Fitnessstudio ausweichen, weil<br />
während <strong>des</strong> zweiten Lockdowns alle Fitnessstudios im Bun<strong>des</strong>gebiet<br />
schließen mussten. Weshalb die Bindung an den abgeschlossenen Vertrag,<br />
ohne dass damit eine wirtschaftliche Belastung einherging, es der Klägerin<br />
unmöglich gemacht oder erschwert haben soll, sich anderen sportlichen<br />
Betätigungen zur Erreichung ihrer Fitnessziele zuzuwenden, ist nicht<br />
ersichtlich.<br />
II. Kündigungsgrund aus §§ 241 II BGB, 314 BGB<br />
Man könnte der Auffassung sein, dass ein außerordentliches, fristloses Kündigungsrecht<br />
auch in der Störung <strong>des</strong> Vertrauensverhältnisses gesehen<br />
werden kann, die eine Fortsetzung <strong>des</strong> Vertrages für die in ihren Rechten<br />
verletzte Partei unzumutbar gemacht hat.<br />
1. Rechtliche Rücksichtslosigkeit<br />
Dies könnte man annehmen, wenn B entgegen der tatsächlichen Rechtslage<br />
von K eine Verlängerung <strong>des</strong> Vertrags um die Dauer <strong>des</strong> zweiten Lockdowns<br />
verlangt und durch diese unberechtigte Geltendmachung vermeintlicher<br />
Rechte ihre Rücksichtnahmepflicht aus § 241 II BGB zumin<strong>des</strong>t fahrlässig<br />
verletzt hätte.<br />
B hielt sich an die damalige allgemeine<br />
Rechtsauffassung. Das ist<br />
nicht rücksichtslos.<br />
Mit der Bindung verlängert sich<br />
auch die Vertragspflicht <strong>des</strong> B.<br />
Auf die nachträgliche Änderung der<br />
Rechtsprechung in BGH <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/2022,<br />
337 ff. kommt es nicht an.<br />
[20] Es trifft zwar zu, dass eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei<br />
etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht geschuldet<br />
ist, oder ein Gestaltungsrecht ausübt, das nicht besteht, ihre Pflicht zur<br />
Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt (...), und sich ein Recht zur<br />
außerordentlichen Kündigung auch aus der Verletzung von Schutzpflichten<br />
nach § 241 Abs. 2 BGB ergeben kann (...). Die Verletzung vertraglicher<br />
Pflichten berechtigt zur außerordentlichen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses<br />
jedoch nur, wenn sie so schwerwiegend ist, dass<br />
durch sie das Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartnern in<br />
einem Maß beeinträchtigt wird, dass dem Kündigenden ein Festhalten<br />
an dem Vertrag nicht mehr zumutbar ist (...).<br />
[21] Das ist vorliegend nicht der Fall. Zum Zeitpunkt <strong>des</strong> zweiten Lockdowns<br />
wurde in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung verbreitet die<br />
Auffassung vertreten, ein Fitnessstudiovertrag sei wegen Störung der<br />
Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen,<br />
dass sich die vereinbarte Vertragslaufzeit um die Zeit, in der das Fitnessstudio<br />
geschlossen werden musste, verlängert (...).<br />
[22] Indem sich die Beklagte diesen Rechtsstandpunkt zu eigen<br />
machte, beging sie keine schwerwiegende Vertragsverletzung, zumal<br />
damit auch ihre eigene Vertragspflicht verlängert worden wäre. Dass<br />
der Senat diese Rechtsauffassung mit Urteil vom 4. Mai 2022 (...) als unzutreffend<br />
angesehen hat, vermag eine schwerwiegende Beeinträchtigung<br />
<strong>des</strong> Vertrauensverhältnisses nicht nachträglich zu begründen.<br />
2. Tatsächliche Rücksichtslosigkeit<br />
Fraglich ist, ob ein Verlangen, die Fortsetzung <strong>des</strong> Vertragsverhältnisses zu<br />
verlangen, wegen der Einschränkungen <strong>des</strong> Trainingsbetriebs nach der Wiederöffnung<br />
der Fitnessstudios aufgrund von pandemiebedingten Hygieneund<br />
Abstandsregeln in tatsächlicher Hinsicht so rücksichtslos war, dass es eine<br />
außerordentliche, fristlose Kündigung rechtfertigt.<br />
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<strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />
Zivilrecht<br />
341<br />
[23] (...) Abgesehen davon, dass zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung<br />
noch nicht absehbar war, ob und gegebenenfalls inwieweit die Nutzung<br />
<strong>des</strong> Fitnessstudios nach <strong>des</strong>sen Wiedereröffnung durch hoheitliche Maßnahmen<br />
zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eingeschränkt würde,<br />
wäre die Klägerin durch die Einhaltung etwaiger Abstands- und Hygieneregeln<br />
nicht derart schwer belastet, dass ihr ein Festhalten an dem<br />
abgeschlossenen Vertrag nicht mehr zumutbar war. Selbst wenn Teile <strong>des</strong><br />
Fitnessstudios, wie etwa die Duschen, aufgrund der dann geltenden<br />
Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht nutzbar gewesen wären,<br />
würde dies eine außerordentliche Kündigung <strong>des</strong> Vertrags nicht<br />
rechtfertigen. Denn in diesem Fall könnte ein angemessener Interessenausgleich<br />
durch eine Anpassung <strong>des</strong> Vertrags nach § 313 Abs. 1<br />
BGB erreicht werden, etwa durch eine Herabsetzung der monatlichen<br />
Beiträge. Diese Möglichkeit schließt eine außerordentliche Kündigung<br />
aus (..).<br />
Die Einschränkungen der Nutzbarkeit<br />
– gesperrte Duschräume<br />
– rechtfertigen keine außerordentliche<br />
Kündigung, sondern allenfalls<br />
eine Vertragsanpassung gem. § 313<br />
I BGB.<br />
Fraglich bleibt, inwieweit in diese Abwägung die Gefahr der Ansteckung mit<br />
dem Covid19-Virus einbezogen werden muss.<br />
[24] Schließlich trifft auch nicht auf rechtliche Bedenken, dass das Berufungsgericht<br />
das von der Klägerin geltend gemachte Risiko einer Ansteckung mit<br />
dem Corona-Virus bei einer weiteren Nutzung <strong>des</strong> Fitnessstudios nicht als<br />
ausreichenden Grund für eine außerordentliche Kündigung <strong>des</strong> Vertrags<br />
angesehen hat. Die Gefahr, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren,<br />
gehörte im November 2020 zum allgemeinen Lebensrisiko. (...) Wenn<br />
sich die Klägerin dann entscheidet, aus Angst vor einer Infektion die<br />
Leistungen der Beklagten nicht mehr in Anspruch zu nehmen, betrifft<br />
das allein ihr Verwendungsrisiko. Anhaltspunkte dafür, dass bei der<br />
Klägerin ein erhöhtes Infektionsrisiko bestand und ihr <strong>des</strong>halb die<br />
Nutzung <strong>des</strong> Fitnessstudios auch bei Einhaltung von Hygiene- und<br />
Abstandsregelungen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zumutbar<br />
war, sind nicht festgestellt und werden von der Klägerin auch nicht<br />
vorgetragen.<br />
Bei K bestand kein erhöhtes Infektionsrisiko,<br />
<strong>des</strong>halb trifft sie das allgemeine<br />
Lebensrisiko.<br />
Folglich wurde das Vertragsverhältnis nicht aufgrund der seitens K erklärten<br />
außerordentlichen fristlosen Kündigung am 30.11.2020 beendet.<br />
B. Ergebnis<br />
Der Vertrag endete erst mit Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer am<br />
25.01.2022.<br />
FAZIT<br />
Ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung besteht beim Fitnessstudiovertrag<br />
wegen der pandemiebedingten Betriebsschließung nur, wenn<br />
in der Person <strong>des</strong> Kunden liegende Ausnahmetatbestände vorliegen.<br />
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342 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>07</strong>/<strong>2023</strong><br />
ZIVILRECHT<br />
Problem: „Fiktive“ Schadensbemessung im Mietrecht<br />
Einordnung: Schuldrecht, Mietrecht<br />
BGH, Urteil vom 19.04.<strong>2023</strong><br />
VIII ZR 280/21<br />
LEITSATZ DER REDAKTION<br />
Der Vermieter kann seine Ansprüche<br />
gegen den Mieter wegen pflichtwidrig<br />
unterlassener Schönheitsreparaturen<br />
als Schadenseratz statt der<br />
Leistung sowie wegen vom Mieter<br />
schuldhaft verursachter Schäden<br />
am Mietobjekt als Schaden neben<br />
der Leistung „fiktiv“ abrechnen. Die<br />
Besonderheiten <strong>des</strong> Werkvertragsrechts,<br />
welche dort das Recht „fiktiv“<br />
abzurechnen einschränken, liegen<br />
im Mietrecht nicht vor.<br />
EINLEITUNG<br />
Unter dem Begriff „fiktiv“ abzurechnen, versteht man im Schadensrecht<br />
eine gängige Praxis: Der Geschädigte verlangt bei Verletzung <strong>des</strong> Integritätsinteresse<br />
vom Schuldner die Kosten der Reparatur ohne Umsatzsteuer, bei<br />
Verletzung <strong>des</strong> Leistungsinteresses die Kosten einer Mängelbeseitigung ohne<br />
Umsatzsteuer. Danach stehen dem Gläubiger zwei Möglichkeiten zur Wahl:<br />
Entweder wird die Reparatur, bzw. Mängelbeseitigung tatsächlich durchgeführt.<br />
In diesem Falle kann eine tatsächlich angefallene, an den Handwerker<br />
gezahlte Umsatzsteuer gem. § 249 II 2 BGB nachgefordert werden. Oder der<br />
Gläubiger lebt mit dem Schaden und behält das Geld, um es zu sparen, zu<br />
investieren oder zu konsumieren. Seit dem Urteil <strong>des</strong> BGH, VII ZR 46/17 =<br />
<strong>RA</strong> 06/2018, 293 ff. wird in vielen Rechtsgebieten über die Zulässigkeit, fiktiv<br />
abzurechnen, diskutiert.<br />
SACHVERHALT<br />
Die B waren bis zum 31.12.2017 Mieter einer Wohnung in einem Mehrparteienhaus<br />
<strong>des</strong> K. Der Mietvertrag, der beide als Mieter der Wohnung auswies,<br />
enthielt eine wirksame Klausel, welche den B die Schönheitsreparaturen auferlegte.<br />
Die Rückgabe der Wohnung erfolgte am 02.01.2018. Am 08.01.2018 forderte<br />
K die B schriftlich unter Setzung einer angemessenen Frist rechtmäßig zur<br />
Durchführung näher bezeichneter, den B obliegender, Schönheitsreparaturen<br />
auf. Im selben Schreiben forderte K die B berechtigterweise zur Erneuerung<br />
von Wandfliesen in der Küche, zum Streichen der Wand im Treppenhaus <strong>des</strong><br />
Anwesens, zu Rückbauarbeiten bezüglich verlegter Fliesen und eines PVC-<br />
Belags sowie zur Reparatur der Zarge der Wohnungseingangstür auf. Die Notwendigkeit<br />
dieser Reparaturarbeiten beruhte auf schuldhafter Verletzung der<br />
Vertragspflichten seitens der B sowie auf Verschlechterungen der Mietsache,<br />
die nicht durch den vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführt wurden. Die B<br />
nahmen keine dieser Arbeiten bis zum Fristablauf vor. Ausweislich eines vom K<br />
eingeholten Kostenvoranschlags fallen für die vorgenannten Arbeiten Kosten<br />
in Höhe von insgesamt 7.961,35 € ohne Umsatzsteuer an. K nahm nach Fristablauf<br />
die Rückbauarbeiten vor. Für diese Arbeiten sowie für das noch nicht<br />
durchgeführte Streichen der Küche und <strong>des</strong> Wohnzimmers (500 €) und für<br />
noch zu verlegende Abschlussleisten (32 €) macht K gegen die B insgesamt,<br />
unter Zugrundelegung der im Kostenvoranschlag angesetzten Preise einen<br />
Betrag in Höhe von 881,35 € netto als Schadensersatz geltend. Die übrigen<br />
Positionen <strong>des</strong> Kostenvoranschlags, insgesamt 7.961,35 € netto, begehrt K von<br />
den B als Vorschuss zur Ausführung der entsprechenden Arbeiten. Zu Recht?<br />
LÖSUNG<br />
A. Anspruch <strong>des</strong> K gegen die B auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe<br />
von 7.961,35 € gem. §§ 280 I, III, 281 I 1 1. Fall BGB<br />
K könnte gegen die B einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz statt<br />
der Leistung in Höhe von 7.961,35 € gem. §§ 280 I, III, 281 I 1 1. Fall BGB wegen<br />
<strong>des</strong> Unterlassens der Schönheitsreparaturen haben.<br />
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KOMPAKT-REIHE:<br />
KOMPAKT Strafrecht<br />
KOMPAKT Öffentliches Recht Bun<strong>des</strong>recht<br />
KOMPAKT Lan<strong>des</strong>recht<br />
Baden-Württemberg . Nordrhein-Westfalen<br />
Sachsen . Hessen . Rheinland-Pfalz<br />
KOMPAKT Zivilrecht<br />
Sachenrecht u. gesetzliche Schuldverhältnisse<br />
mit allg. Schadensrecht<br />
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Stand: Juni <strong>2023</strong>
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