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Sumo #38

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Fachmagazin des Bachelor Studiengangs Medienmanagement der FH St. Pölten

© Copyright: Becky Moshammer

Ausgabe 38

- März 2022 -


Medienmanagement

studieren heißt die

Zukunft der Medien

mitgestalten.

Wissen, was morgen zählt.

Medienmanagement

• Bachelorstudium: 6 Semester

• Vollzeit

Schwerpunkte

• Medienwirtschaft & Strategie

• Publizistische und journalistische

Grundlagen

• Medienproduktion und

-technologie

© Martin Lifka Photography

2

Jetzt informieren:

fhstp.ac.at/bmm


Inhalt

3 Inhalt

4 Editorial

5 Geschichten die uns Bilder erzählen

Visualisierungen in den Medien

von Laura Sophie Maihoffer

9 Der Motor der Internet-Entwicklung

ist X-rated

von Cornelia Plott

12 Ein Leben im

#technologischen Wandel

von Michael Haas

15 Filmfestivals: „Das zu erleben, was wir Kino

nennen“

von Paul Jelenik

18 Kinderfernsehen – Noch am Puls der Zeit?

von Sophie Böhm

21 „Ach, du bist Schriftsteller*in?“

Einblicke in einen Beruf im Wandel

von Valeria Brunner

24 Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Erfolgsgarant Klicks

von Wanja Lang

26 Was das Virus mit dem freien Theater macht

von Sarah Schöllhammer

28 (Cyber-)Mobbing – Schreie, die niemand hört

von Jennifer Binder

30 Gratiszeitungen – grenzen- und kostenlos in

einer Wegwerfgesellschaft

von Viktoria Ecker

32 Behindertensport im medialen Rampenlicht

von Kathrin Plchot

34 Das Lizenz-Roulette:

Sportübertragungsrechte im Geldrausch

von Wanja Lang

46 Medienskandale im Wandel der Zeit –

Geht Qualitätsjournalismus verloren?

von Hannah Schinagl

50 Zwischen Handysucht und moderner Bildung

(digitale) Medien im Unterricht

von Theresa Zahradnik

52 Filmlizenzen: Ein Handel zwischen

traditioneller Bedeutung und neuer

Marktkomplexität

von Paul Frühwirt

56 Terrorismus – Gefahren für Medienschaffende

und Berichterstattung

von Elizaveta Egorova 57

58 TV-Nachrichten – das härteste Geschäft?

von Isabella Steiner

60 Vom Info-Flyer zum „Instagram“ Werbespot –

Der Wandel des Medienmarketings

von Theresa Zahradnik

63 Trafikant*innen: Die analogen Influencer*innen

unserer Zeit

von Paul Frühwirt 66

66 „Die Zukunft der Lokalmedien ist

anspruchsvoller als ihre Vergangenheit.“

von Valeria Brunner 70

70 Community Management: How to?

von Katharina Pöschl

73 Mediale Gerüchteküchen:

Nutzen und Gefahren

von Viktoria Ecker

76 Journalismus: Ein Beruf, viele Legenden

Von Anna Hohenbichler 78

78 Impressum

38 20 Jahre Medienmanagement

Alumni Success Stories

© Copyright: pexels

Inhalt

3


Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser!

Empfinden Sie gelegentlich mediale Reminiszenzen,

gar Nostalgie? Die Gestalter*innen dieser SUMO-

Sonderausgabe sind im Durchschnitt etwa 20 Jahre

jung, und ich erfuhr, dass auch sie sich teils wehmütig,

teils verschämt „Pixi“-Büchern, „Bravo“ (online),

erster unerlaubter „Facebook“-Posts entsinnen. Von

diesen generationenverbindenden Erinnerung und

gut gemachten Remakes profitiert die Medienbranche.

An der FH St. Pölten erfinden sich Medienmacherinnen

und Medienmacher seit 25 Jahren immer

wieder neu. Denn Innovation bedeuten für uns nicht,

Seiendes der allwissenden Müllhalde („Die Fraggles“)

zu überlassen, sondern Funktionierendes für die Befriedung

steter Bedürfnisse und sich wandelnder

Probleme zu adaptieren oder zu erneuern.

Nehmen Sie unser spielerisches Cover – das die

Künstlerin Becky Moshammer exklusiv für SUMO

gezeichnet hat (GRAZIE!): Die Welt der analogen Medien

– bunt, vielfältig, gewichtig – und damit auch

viel besser für Illustrationen geeignet, als das All-In-

One Gadget von heute: das Smartphone, das all diese

Funktionen unscheinbar auf kleinstem Raum verinnerlicht.

Pünktlich zu unserem Jubiliäum übrigens

wurde auch das unverwüstliche Nokia 6310 nach

20 Jahren neu aufgelegt. Es kommt unglaubliche 22

Tage mit einer Akkuladung aus – dafür auch ohne

Surfen im Internet.

Das SUMO-Team hat in dieser Ausgabe Entwicklungen

und Veränderungen diverser Mediengattungen

und ungewöhnliche Medienthemen nachgezeichnet,

wie stets basierend auf Interviews mit hochkarätigen

Expert*innen aus Medienpraxis und -wissenschaft.

So etwa Beiträge zu Visualisierung in Printmedien

mit Mads Nissen, Florian Klenk zur Berichterstattung

über Terror, den Medienskandalforschern Andre

Haller, Christian von Sikorski und Reinhard Spitzer,

Thomas Brezina zum Schriftstellerberuf, mit dem

Moderator Ralph Caspers von „Die Sendung mit der

Maus“ zu Kinderfernsehformaten. Sie erlesen weiter

Vielfältiges zu Filmfestivals, warum Pornografie der

Internettreiber wurde, über Sportübertragungsrechte,

Gratiszeitungen, Mobbing-Täter, Trafiken als Distributionskanal,

On- und Offline-Kunst, Paralympics,

Theater, u.v.m.

Zusätzlich erwartet Sie eine Besonderheit in dieser

Spezialausgabe: Wir stellen Ihnen eine feine Auswahl

unserer Alumni vor, die wir in den letzten 20 Jahren

ein Stück ihres Weges begleiten durften. Unter Anleitung

von Gaby Falböck haben aktuelle Studierende

die Absolvent*innen des Studiengangs Medienmanagement

interviewt. Handverlesene Highlights der

beeindruckenden Stories können Sie in der Heftmitte

finden, die vollständige Version können Sie auf medienmachen.at

nachlesen.

Wir jubilieren: 25 Jahre FH St. Pölten als Medienausbildungsstätte,

20 Jahre Medienmanagement-

Studium. Eine Kostprobe des funktionierenden

Ausbildungserfolgs halten Sie in Händen: Das Medienfachmagazin

Sumo, gestaltet von werdenden

Medienprofis, die in jedweder Ausgabe auch in den

Bereichen Distribution, Bildredaktion, Onlineproduktion,

Unternehmenskommunikation, Sales und

Printproduktion die vorliegende, gewichtige SUMO-

Ausgabe gestemmt haben: GRAZIE MILLE!

Spannende Lektüre in Rück- und Vorschauen wünschend

& auf die nächsten 25 Jahre,

Roland Steiner, Gaby Falböck & Johanna Grüblbauer

© Copyright: pexels

Copyright: Privat

Copyright: Ulrike Wieser

Copyright: Privat

FH-Prof. Dr. Johanna Grüblbauer

Studiengangsleiterin

Medienmanagement

FH-Prof. Mag. Roland Steiner

Praxislaborleiter Print

Chefredakteur SUMO

Mag. Dr. Gabriele Falböck

FH Dozentin

Department Medien und digitale

Technologien

4

Editorial


Geschichten die uns Bilder erzählen –

Visualisierungen in den Medien

Oft ist uns gar nicht bewusst, welcher Aufwand und welche Gedanken hinter dem Design und den Visualisierungen

in den Medien stecken, während wir diese rezipieren. SUMO durfte hinter die Kulissen blicken und sprach

dazu mit Norbert Küpper, welcher neben seinem Beruf als Zeitungsdesigner auch der Veranstalter des European

Newspaper Award ist. Ebenso wurde Mads Nissen interviewt: Er hat 2015 und 2021 den Hauptpreis beim World

Press Photo Award für das beste Pressefoto des jeweiligen Jahres gewonnen. Außerdem unterhielt sich SUMO

mit Gerald Piffl, Produktmanager bei APA-Picturedesk und Archivleiter bei IMAGNO, dem größten privaten Bildarchiv

Österreichs.

Wenn man eine Zeitung oder ein Magazin

aufschlägt, ist es heute selbstverständlich,

dass die Seiten mit Bildern,

Illustrationen, Infografiken, Karikaturen

und anderen Grafiken geziert sind.

Diese dienen dem Verständnis, wecken

Interesse, lassen die Rezipient*innen

emotionaler auf die inhaltlichen

Themen reagieren und schildern den

Sachverhalt bisweilen, ohne dass Rezipient*innen

den Text überhaupt lesen

müssen. Ein lebendiges Pressefoto

ist oft wirksamer als eine reißerische

Schlagzeile. Dies wurde auch durch eine

Studie des Poynter Institutes for Media

Studies in Florida belegt. Hier fand man

bereits 1990 heraus, dass Zeitungsleser*innen

nicht durch eine Schlagzeile

in den Artikel einsteigen, sondern

durch eine Visualisierung. 85 % der Proband*innen

fingen zuerst mit dem Bild

an, gefolgt von der Bildunterschrift, bevor

die Schlagzeile überhaupt gelesen

wurde. Die Ergebnisse zeigten zusätzlich,

dass kein Element in Zeitungen so

sehr Aufmerksamkeit erregen, wie Bilder

und Grafiken. Auch Norbert Küpper

konnte ähnliche Ergebnisse mit seiner

Eye-Tracking-Studie generieren. „Ein

Bild ist immer der Einstieg in eine Seite

und auch in eine Geschichte. Selbst

wenn ein unscharfes Bild hergenommen

wird, hat es für den/die Leser*in

unterbewusst noch immer eine sehr

hohe Bedeutung. Man orientiert sich

meistens an visuellen Komponenten,

egal ob Bilder oder Infografiken“.

Die Entwicklung des

Fotojournalismus

Es ist jedoch noch nicht allzu lange her,

dass Zeitungen ohne Bilder gedruckt

wurden. Pressefotos etablierten sich

generell erst ab dem 20. Jahrhundert,

davor wurden Kupferstiche und Zeichnungen

verwendet. „Bevor Fotos gedruckt

werden konnten, gab es Holzschnitte.

Es wurde hierzu ein Foto als

Vorlage gemacht und dann wurde anhand

dessen von Xylografen ein Holzschnitt

angefertigt, mit dem man dann

druckte. Hier liegt auch der Ursprung

der Bildagenturen. In den 1850er/60er-

Jahren haben Verlage ihre eigenen

Druckstöcke erzeugt, diese lizenzierten

sie sozusagen und verkauften

oder borgten diese Druckstöcke her“,

schildert Archivleiter Gerald Piffl. Den

vermehrten Einsatz von Bildern in der

Presse hatte man aber erst mit einem

technischen Umschwung geschafft,

in dem man es möglich machte, die

Fotoapparate zu verkleinern und somit

transportabler zu machen. „Die ‚Frankfurter

Allgemeine Zeitung‘ hatte bis vor

knapp zehn Jahren nicht einmal ein Bild

auf der Titelseite. Es war eine merkwürdige

Situation, dass das Visuelle bei

vielen deutschen Zeitungen gar keine

Rolle spielte. Im Vergleich dazu spielte

in den Niederlanden, Skandinavien,

aber auch in den USA das Bild schon vor

mehr als 20 Jahren eine riesige Rolle“,

erläutert Norbert Küpper. In Österreich

wurde der Aufschwung der Pressefotografie

jedoch durch Papier- und Tintenknappheit

im Zweiten Weltkrieg wieder

gedämpft. Erst als man in den Nachkriegsjahren

wieder mehr Ressourcen

hatte, rückten Visualisierungen, insbesondere

Bilder, immer mehr ins Zentrum.

Trotzdem hatte der Zweite Weltkrieg

eine besondere Bedeutung für die weitere

Entwicklung des Bildjournalismus

in Europa. In der Kriegsberichterstattung

waren die Grenzen zwischen Information

und Propaganda fließend.

Laut der Bundeszentrale für politische

Bildung in Deutschland war es damals

wichtig, den Krieg als notwendig und

sauber darzustellen, sowie die Soldaten

als Helden. Pressefotograf*innen,

die den Krieg anders darstellten

um die Schattenseiten der damaligen

Politik aufzuzeigen, drohte politische

Verfolgung. Bilder und deren Inszenierung

waren in dieser Zeit ein mächtiges

Werkzeug, da die Menschen, die den

Krieg von zu Hause mitverfolgten, dem

was sie sahen, mehr glaubten, als dem

was sie gehört oder gelesen hatten. Mit

ausgewählten Bildern konnte man also

den zu Hause verbliebenen Leser*innen

eine Sekundärerfahrung ermöglichen,

mit der sie sich in die aktuellen

Geschehnisse besser hineinversetzen

konnten. Somit war die Wahl des Bildmaterials,

welches durch die Knappheit

an Papier und Tinte ohnehin schon

sehr begrenzt war umso wichtiger. Im

Nachhinein wurde klar, dass die Darstellung

des Krieges durch Bilder nahezu

„romantisch“ war, aber mit den

eigentlichen Geschehnissen nichts zu

tun hatte. Die Darstellungen in den Zeitungen

erreichten jedoch nicht nur die

eigene Gesellschaft, sondern ebenso

die Gegner und somit wurde, laut dem

deutschen Politikwissenschaftler Herfried

Münkler, aus der Kriegsberichterstattung

ein Berichterstattungskrieg.

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges

und in der Nachkriegszeit wurde der

Bildjournalismus stark von den Alliierten

geprägt. Dies kann man vor allem

in den veröffentlichten Materialien des

Projekts “War of Pictures“, welches von

Medienhistoriker Fritz Hausjell geleitet

wird, erkennen. Da die Alliierten ihre

eigenen Medien in Österreich aufbauten,

beeinflussten sie die österreichische

Medienlandschaften mit diversen

Printtiteln. Vor allem auch wöchentliche

Bildbeilagen von der US-amerikanischen

Besatzungsmacht, wie zum

Beispiel für den „Wiener Kurier“, prägten

die österreichische Bildkultur. Hier

dominierten Themen, die der Unterhaltung

dienten und Reportagen über

den Wiederaufbau. Es bürgerte sich der

„American Way of Life“ in die österreichische

Bildwelt ein. Das geschah nicht

nur thematisch, sondern auch durch

die Bildgestaltung. Man schweifte ab

von der normalen Frontalperspektive

und nutzte verschiedene Blickwinkel

und Brennweiten, um die Geschehnisse

spannender abzulichten. Die Entwicklungen

flossen in absehbarer Zeit auch

in den österreichischen Bildjournalismus

mit ein und blieb bestehen.

© Copyright: adobe stock / jcfotografo

Geschichten die uns Bilder erzählen

5


© Copyright: adobe stock / Pixel-Shot

Etwas später fokussierte man sich

dann immer mehr auf die Momentfotografie.

Hier war es dann schon

möglich Sportevents abzulichten. Man

versuchte nun die Spontanität und die

Bewegung abzubilden, trotzdem blieben

die Bilder weiterhin sehr statisch.

Bildreportagen gab es zwar vor dem

Krieg bereits, musst aber wieder neu

etabliert werden. Den nächsten großen

Umbruch gab es in den 90er-Jahren, als

die Zeitungen ihre Bilder in Farbe druckten,

berichtet Piffl. Hier nahm plötzlich

die Qualität der Bilder ab, da man

vermutlich noch zu sehr an die hohen

Kontrastmöglichkeiten von einer Darstellung

in Schwarz-Weiß gewohnt war.

Zum jetzigen Zeitpunkt gebe es laut

Piffl ein unglaublich hohes Bildniveau in

der Medienlandschaft, da Pressefotograf*innen

durch den enormen Konkurrenzdruck

gefordert werden. Deshalb

spezialisieren sich viele Bildjournalist*innen

gegenwärtig auf eine Nische,

um nicht in der Masse unterzugehen.

Die Entstehung eines Pressefotos

Die Anforderungen an die Fotograf*innen

werden immer höher. Das Medium

Bild ist aktuell sehr populär, sowie in

großen Massen vorhanden und das

nicht nur im Bereich der Pressefotografie,

sondern allgemein. Die Schweizer

Forscherin Ulla Autenrieth (FH

Graubünden) hat in ihrem Projekt zur

Erforschung der Bilderwelt in den Sozialen

Medien festgestellt, dass der

Druck steigt, weil man auf „Facebook“,

„Instagram“ und Co. als User*in mit

außergewöhnlichen Bildern besonders

hervorstechen will. Der Anspruch von

vielen User*innen ist es nicht mehr,

die Realität abzubilden, sondern entwickelte

sich zu einer übertriebenen

Darstellung von Ideal-Vorstellungen.

Deswegen sollte das Pressefoto etwas

an sich haben, damit es sich von dem

alltäglichen Social Media Bild-Post abhebt

und Rezipient*innen auf eine einzigartige

Weise in die Geschichte beziehungsweise

in die Berichterstattung

hineinzieht. „I think that there should be

something that speaks to you, something

that will make your eyes stop and

be attracted. It needs to be aesthetic,

but different, so it speaks to the eyes,

but it needs to speak to the brain as

well. Maybe even a bit contradictionary,

something you can´t really understand

to make you curious and then it needs

to speak to your heart”, erläutert Mads

Nissen auf die SUMO-Frage hin, welche

Eigenschaften für ein gutes Pressefoto

essenziell sind.

Er schildert, dass es darum gehe,

eine Sekundärerfahrung für die Rezipient*innen

zu gestalten und somit

den Moment einzufangen und die Betrachter*innen

des Bildes annähernd

das fühlen zu lassen, was man selbst

als Fotograf*in fühlt und somit den

Moment wieder gibt, der bereits vergangen

ist. Um den Moment auch akkurat

wiederzugeben, sei es vorrangig,

das Bild nicht zu manipulieren. Gerade

durch den Einfluss von Social Media

und die Realitätsferne der Darstellung

des Alltäglichen dürfen sich Pressefotograf*innen

nicht verleiten lassen,

ihre eigenen Werke zu manipulieren.

Nicht ohne Grund wird im Ehrenkodex

des österreichischen Presserates festgehalten:

„Fotomontagen und Bildbearbeitungen,

die von flüchtigen Lesern/

innen als dokumentarische Abbildungen

aufgefasst werden, müssen deutlich

als Montagen oder Bearbeitungen

kenntlich gemacht werden.“ Auch wenn

es inzwischen technisch leicht möglich

ist, ein Bild durch Manipulation interessanter

zu machen als es ist, sollten sich

Fotograf*innen im Klaren sein, dass

man durch diese Schritte die Wirklichkeit

verfälscht und die Betrachter*innen

in die Irre führt. Auch Nissen äußert

sich zu diesem Thema: „I strongly

believe in the ethics of classical journalism

and I put a lot of effort that my

work is truthful to make somebody see

something that I saw, not just something

I imagined. A lot of young people

out there are a bit surprised how little

I do to make my pictures look the way

they do. People are so used to being

able to manipulate themselves in their

own photos, so when they learn how

little me and some of my colleagues

are actually doing, they are even a bit

surprised.” Er selbst sagt, dass er nur

den Kontrast und die Lichter ändere beziehungsweise

anpasse, aber nie in das

eigentliche Bild selbst eingreife.

Um das Bild von Anfang an spannend

zu gestalten, gehört viel Recherchearbeit

dazu. Man möchte zum perfekten

Zeitpunkt am richtigen Ort sein, um den

perfekten Moment zu erfassen. Dazu

gibt es verschiedene Herangehensweisen.

„Some people say that you

can either take pictures like a hunter

walking around or like a fisher, where

you stand in the same position and just

have patience. I think for me it’s a bit of

both. In the end it’s not about pictures

it’s about the people in the image. So

most of the time I will stay in the same

scene the same situation. I will take a

lot of images from many different angles,

to capture different moments and

then I will carefully look at all the small

6

Geschichten die uns Bilder erzählen


differences afterward “, schildert der

World Press Photo-Preisträger. Allgemein

sollten Pressefotograf*innen laut

Nissen nach dem Motto „dress boring

and stay humble“ arbeiten, denn um die

besten Bilder hervorzubringen, müsse

man die Umgebung beobachten und sie

nicht dominieren.

Bildjournalist*innen unterscheiden sich

jedoch nicht nur in ihrer Vorgehensweise,

sondern auch durch die Themen, auf

die sie sich spezialisieren. Mads Nissen

ist ein Fotograf, der sozial-politische

Themen aufgreift und dazu möglichst

aktuelle und neue Perspektiven zu der

ausgewählten Thematik aufzeigt. Er

möchte etwas mit seinen Bildern aussagen

und somit die Welt ein Stückchen

mehr verändern. Beispielsweise zeigt er

auf dem World Press Photo of the Year

2021 zwei Personen in einem Altenheim

in Brasilien, die sich in der COVID-

Pandemie das erste Mal wiedersehen

und sich durch einen Plastikvorhang

umarmen. Um so die Pandemie nicht

nur in Zahlen und Fakten wiederzugeben,

sondern eine Emotionalität zu

vermitteln und die Schwächen der örtlichen

COVID-Politik aufzuzeigen. Auf

der anderen Seite gibt es natürlich auch

andere Pressefotograf*innen, die noch

aktuellere Geschehnisse aufgreifen,

wie einen Unfall, einen Anschlag, eine

Demonstration oder möglicherweise

auch eine Pressekonferenz. Auch hier

geht es darum Emotionen hervorzurufen

und die BetrachterInnen zu stimulieren.

Das darf man nicht vergessen,

auch wenn weniger Zeit für die Vorbereitung

bleibt.

Der Gestaltung noch mehr Bedeutung

zukommen lassen

Um die Vielfalt und Qualität der Gestaltung

in den Medien zu gewährleisten

und zu fördern, gibt es Preisausschreiben

wie den World Press Photo Award,

aber auch der European Newspaper

Award trägt zu einer visuell stimmigen

Medienlandschaft bei. „Beim European

Newspaper Award geht es darum, dass

man sieht, wie andere es machen und

sich inspirieren lässt. Eine Zeitung, die

völlig normal aussieht und bei der kein

großer Wert auf Bilder gelegt wird,

sowie keine Infografiken vorkommen,

hat keine Chance zu gewinnen. Es geht

stark um die Bildfreundlichkeit und

es muss funktional gestaltet sein. Es

darf aber auch nicht übertrieben sein“,

veranschaulicht der Herausgeber des

Preises Norbert Küpper. Der European

Newspaper Award fokussiert aber nicht

nur allein auf Printmedien, sondern beschäftigt

sich auch mit Websites von

Medienunternehmen und Trends wie

Podcasts. Beim letzten Durchgang des

European Newspaper Awards wurden

neben Layout und Design auch Fotografien

ausgezeichnet. Es gibt unter

anderem Kategorien für fotografische

Serien, Portaitfotografie, Bildschnitt,

Perspektive sowie Foto-Reportagen.

Dabei werden immer die Fotografien im

dazugehörigen textlichen Kontext bewertet,

sei es Print oder Online.

Der World Press Photo Award ehrt hingegen

außergewöhnliche Leistungen

in der Pressefotografie. „I think it’s a

very efficient way to get your work out,

because there’s no newspaper cover,

there’s no magazine cover, there’s no

TV station that has such an outreach as

the word press photo of the year. I think

most of the world’s population saw this

image by now and hopefully reflected

Kulthits &

das Beste von heute

„Thank

you for

the

music“

the music“

ABBA

arabella.at 7


upon it”, erläutert Mads Nissen. Jedoch

spricht er auch Bedenken aus, da viele

Menschen sich an den Themen des

Vorjahres orientieren würden und das

vermutlich nicht nur, weil sie die behandelten

Themen als wichtig empfinden,

sondern weil es den Pressefotograf*innen

um das Gewinnen selbst gehe. Bei

diesen Preisen sollte laut ihm die verbildlichte

Thematik im Vordergrund

stehen und nicht der oder die Fotograf*in

selbst.

Auf den Spuren der Geschichte

Pressefotos dienen jedoch nicht nur

dem heutigen Verständnis. Als historischer

Archivleiter von IMAGNO, dem

größten privaten Bildarchiv Österreichs,

ist es die Aufgabe von Gerald Piffl, den

Bestand von über vier Millionen Bilder

zu digitalisieren und seinen Kund*innen

dabei zu helfen, mittels Bilder historische

Ereignisse zu rekonstruieren. „Ich

habe gerade ein Projekt zum Thema

Sportfotografie, bei dem ich alte Bilder

zu Fußballspielen heraussuche. Zum

Beispiel war 1974 das erste Bundesligaspiel.

Der Kunde hat gefragt, ob es

vom allerersten Tor ein Foto gibt. Wir

haben dann Negative vom ersten Torschuss

gefunden und auf dem nächsten

Negativ war die Uhr abfotografiert, sodass

man sagen konnte, dass das Tor in

der 14. Minute gefallen ist. Der Kunde

war äußerst begeistert, denn das war

vollkommen unveröffentlicht.“, schildert

Piffl. Altes Bildmaterial kann uns

daher helfen, Momente, die vielleicht

damals noch vollkommen unbedeutend

gewirkt haben, aber einen historischen

Kern haben, nachzukonstruieren. Auch

hier geht es wieder um die Sekundärerfahrung,

da es Bilder ermöglichen,

sich Sachverhalte besser vorstellen zu

können und die Geschichte dahinter lebendig

machen.

Trends für die Zukunft

Angesicht der meist rückläufigen Zahlen

im Print-Bereich wird es spannend

bleiben, wie die Arbeiten der Pressefotograf*innen

und Grafiker*innen in

Zukunft publiziert werden. Derzeit gibt

es den Trend, dass man Nachrichten

anhand von Podcasts rezipiert oder sich

die Zeitung mithilfe einer digitalen Stimme

vorlesen lässt. Norbert Küpper und

seine Kollegen hatten es nie für möglich

gehalten, dass sich diese Art der Berichterstattung

durchsetzen würde und

das Bildliche, in einer ohnehin schon

sehr bildlastigen Welt, untergeht. Aber

das gedruckte Medium Zeitung selbst

entwickelt sich auch weiter. „In den

Niederlanden zum Beispiel legt man

weniger Wert auf die aktuellen Nachrichten

in den Zeitungen, die zwar vorhanden

sind, aber man sagt sich, dass

das was gedruckt wird, man bereits

im Internet gelesen hat und es keinen

Sinn gibt, das zu wiederholen. Daher

geht man hier oft zu anderen Themen

über. Sie machen inhaltlich andere Zeitungen

und haben oft sehr stark ausgebaut

textliche Beilagen, zum Beispiel

zu kulturellen Themen“, führt Norbert

Küpper aus. Bei dieser neuen Form der

Tageszeitung spielen Bilder wiederum

eine wichtige Rolle, da sie laut dem Zeitungsdesigner

ein wichtiger Verkaufsfaktor

sind. Ob Komplementarität oder

Konvergenz – das Visuelle wird bleiben.

von Laura Sophie Maihoffer

Mads Nissen

Copyright: Morten Rode

Gerald Piffl

Copyright: APA

Norbert Küpper

Copyright: Privat

8

Geschichten die uns Bilder erzählen


Der Motor der Internet-Entwicklung

ist X-rated

Während Schnitzel für manche zu Österreich gehören wie Aprés-Ski, so betrachten andere Menschen „schweinische“

Inhalte als festen Bestandteil des Internet. Gemeint ist Pornografie, die allzeit, meist barrierefrei und

schambefreit abgerufen werden kann. Wer dabei noch in den Inkognito-Modus schlüpft, um sich durch ein verändertes

Erscheinungsbild wie in einer anonymen Höhle zu fühlen, wird spätestens dann enttäuscht, wenn herausgefunden

wird, dass Website-Betreiber und Internetanbieter trotzdem sehen können, was eigentlich lieber

verborgen bleiben möchte. Was Rezipient*innen sexuell expliziter Inhalte im Netz jedoch auch selten wissen: Sie

sind einer der Gründe, warum das Internet heutzutage so aussieht, wie wir es kennen. SUMO ging dieser Sache

auf die Spur und befragte Kommunikationswissenschaftler und Medienökonom Jan Krone, Professor an der

Fachhochschule St. Pölten, via Mail, und Sexualpädagogin Sabine Ziegelwanger.

© Copyright: adobe stock / terovesalainen

Bei der Pornografie geht es nur um das

eine, und das ist jedoch nicht das, was

den meisten Menschen sofort in den

Kopf schießt. „Geld regiert die Welt!“,

lautet das weltbekannte Zitat, das auch

auf die Erotikbranche umgelegt werden

kann. Konkret bedeutet das, dass sich

alles um günstige Produktion, günstigen

Vertrieb und günstige Endgeräte

dreht. Dies hat nicht nur das Drehen

von Videos in den eigenen vier Wänden

revolutioniert, sondern auch die Internetentwicklung

signifikant beschleunigt.

So basiert das Internet mit all

seinen aktuellen Charakteristiken auf

technischen Errungenschaften, die zumindest

teilweise auf die Pornoindustrie

zurückzuführen sind.

Pornografie als Mitgründer des

Internets

Im Jahr 1990 wurde das World Wide

Web von Tim Berners-Lee über die Entwicklung

der Hypertext Transfer Protocol

http und der Hypertext Mark Up

Language HTML gewissenmaßen begründet

und das Internet ebenfalls für

kommerzielle Inhalte freigegeben. Zwei

Jahre später wurde der erste Internet-

Browser Mosaic zum Leben erweckt,

mit welchem bereits pornografische

Inhalte abgerufen werden konnten.

Tatsächlich sei dies gar nicht so weit

hergeholt, denn auch Medienökonom

Jan Krone nimmt an, „dass die Branche

zu den Early Birds der Contentdistributoren

via Internet Protocol gehörte. Die

Domain ‚sex.com‘ zählte früh zu den

wertvollsten Adressen und wurde offenbar

vor elf Jahren für einen geringen

achtstelligen Dollarbetrag weiterverkauft.“

Auch dieser Tage spielen Websites

wie „YouPorn“, „Pornhub“ oder

„xHamster“ in einer profitablen und

populären Liga: „Pornhub“ verzeichnete

im Jahr 2019 laut einer eigenen Studie

insgesamt 42 Milliarden Aufrufe, was

einer durchschnittlichen Zahl von 115

Millionen Aufrufen pro Tag entspricht.

Insgesamt wurden 6.597 Petabyte an

Daten übertragen, wobei ein Petabyte

1.000.000 Gigabyte entspricht. Täglich

sollen weltweit laut „Pornhub Insights“

etwa 18.073 Terrabyte geflossen sein.

Eine extreme Summe an Daten, die

dank moderner Technologien problemlos

erfasst wird und die Ladezeit der Inhalte

je nach Internetanbieter dennoch

nur wenige Sekunden betragen lässt.

Die Pornoindustrie sorgt demnach für

bis zu einem Drittel des weltweiten

Datenverkehrs, soziale Netzwerke befinden

sich hier aber noch immer in der

Vormachtstellung. Über einen langen

Zeitraum hinweg wurden Angaben hinsichtlich

Aufrufe und Datenmengen von

Pornowebsites jedoch nicht von den

Betreibern in die Welt geschrien, sondern

lediglich von Beobachter*innen

geschätzt. Gemäß Jan Krone würde „die

Entwicklung von Kompressionsverfahren

zur besseren, schnelleren, umfangreicheren

Datenübermittlung durch

dezentrale Netze in der Unterorganisation

der UNO, der ITU (International

Telecommunication Union) zusammenlaufen.

Standardisierungsverfahren und

Protokolle beispielsweise werden dort

in der Breite der Einsatzmöglichkeiten

und -wünschen zwischen Stakeholdern

diskutiert.“ Ob dabei auch der Wunsch

nach einer schnelleren Datenübermittlung

aufgrund des regen Pornokonsums

geäußert wird, lässt sich nur

mutmaßen. Offensichtlich agiert die

Pornografie-Branche gerne hinter verschlossenen

Türen, so wurde beispielsweise

auch erst im Jahr 2020 publik,

dass das Unternehmen MindGeek, ehemals

Manwin, an der Spitze des „Pornhub“-Imperiums

steht. Der Unternehmenssitz

befindet sich in Luxemburg,

einer Steueroase.

Technologische

Erfolgsgeschichten

Die maßgebende Bedeutung der Pornoindustrie

für die Entwicklung und

Popularisierung des Internet lässt sich

auch am Erfolg des Formates HTML5

betrachten. Der Standard zur Darstellung

von Websites verbreitete sich nicht

nur wie ein Lauffeuer, weil Apple sich

weigerte, das Konkurrenzprodukt Flash

auf iPads anzubieten, sondern auch,

da die Betreiber von Pornoseiten rasch

erkannten, dass Tablets und Smartphones

lukrative Endgeräte darstellen

und im Zuge dessen auf HTML5 umstellten.

Ebenfalls galten Pornowebsites

schon früh zu jenen, die versuchten,

gegen das illegale Kopieren und

Weiterverkaufen von Online-Inhalten

vorzugehen. Ebenso gilt die Pornoindustrie

als eine der ersten, die alternative

Geschäftsmodelle anstrebten und

dabei kostenfreie und werbefinanzierte

Angebote ausbauten. Jedoch profitiert

nicht nur das Netz von der Pornografie,

sondern auch der/die Rezipierende

selbst. Mussten früher noch öffentliche

Kinos aufgesucht werden, um erotische

Inhalte zu empfangen, langt dieser Tage

das Öffnen des Browsers – und bei

manchen das Aktivieren des Inkognito-

Modus für ein besseres Gewissen. Auf

die Frage, ob Kinos und Videotheken

unter der Digitalisierung und der damit

aufkommenden Online-Pornografie

gelitten hätten, antwortet Medienökonom

Krone: „In dieser Entwicklung

unterscheidet sich die Branche nicht

von anderen Verlagsorganisationen.

Druck-, Aufnahmedienstleistungs- sowie

analoge Versandbetriebe mussten

sich genauso der Digitalisierung stellen

wie auch der Verkauf auf der letzten

Meile, also Abonnementanbieter und

Einzelverkaufsstellen.“

Zwischen versteckten Gefahren

und Fortschritten

Der Porno-Markt jedoch wird durch

Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch

bestimmt. Zudem stellen die frei zugänglichen

pornografischen Inhalte im

Netz vor allem für junge Rezipient*in-

Der Motor der Internet-Entwicklung ist X-rated

9


nen oftmals eine große Gefahr dar.

Sabine Ziegelwanger, ausgebildete Sexualpädagogin,

Soziologin und Familienplanungsberaterin,

wird in ihrer Arbeit

immer wieder mit dem Thema der

Pornografie konfrontiert. Insbesondere

durch ihre Abhaltung von sexualpädagogischen

Workshops in Schulen und

Jugendeinrichtungen werden ihr immer

wieder bei der Frage nach „Was ist für

dich Sexualität?“ Begriffe aus dem Porno-Milieu

aufgesagt. „Da geht es nicht

nur um Begriffe wie Liebe und Wörter,

die Sexuelles im Alltag beschreiben,

sondern auch um jene, die ein

ganz spezielles Wording benutzen und

aus verschiedenen Genres der Mainstreampornografie

kommen.“ Auch begegnet

der Sexualpädagogin die Pornografie

„als ein hochgradig gegendertes

Thema“, denn die Nennung beliebter

„Pornhub“-Suchbegriffe würde sich

hauptsächlich bei Burschen beobachten

lassen. Das habe insbesondere bei

13- bis 15-Jährigen „mit den spezifischen

gesellschaftlich-kulturellen Rollenerwartungen,

der psycho-sexuellen

Entwicklung und der Suche nach Anerkennung

innerhalb der Peergroup zu

tun.“ So wollen Burschen besonders

mutig, erwachsen und erfahren rüberkommen,

wenn sie besonders viele Begriffe

aus der Pornoszene nennen. Ob

der gesellschaftliche Umgang mit Pornografie

im Laufe der Zeit ebenfalls eine

Veränderung durchgemacht hat und ob

die Gesellschaft nun offener mit Sexualität

und Pornografie umgeht, beantwortet

Jan Krone mit: „Die einen reden

offen darüber, die anderen nicht. Anderen

ist es egal. Möglicherweise fällt

diese Unterscheidung via Social Media

heute nicht mehr auf, weil der Zugang

zu Themen barrierefrei geworden ist.“

Sabine Ziegelwanger zögert erst, stellt

jedoch fest, dass „noch immer nicht

angstfrei und unaufgeregt über sexuelle

Wünsche etc. kommuniziert wird und

auch nach wie vor viele Wissenslücken

herrschen.“ Andererseits sieht sie einen

Fortschritt in der Offenheit und differenzierten

Auseinandersetzung mit

Pornografie. Denn, so Ziegelwanger,

zeige auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung

mit Pornografie, dass

Pornografie nicht gleich Pornografie ist.

Es gäbe mittlerweile auch (queer-)feministischen,

sogenannten „fair porn“, sowie

entsprechende Porn Film Festivals

und begleitende wissenschaftliche Diskurse.

Allerdings stellen diese Zugänge

derzeit noch eine kleine Blase innerhalb

des Mainstreamimperiums dar.

Ein bewussterer Umgang

Der Erstkontakt mit Pornografie erfolgt

laut Ziegelwanger im Schnitt mit

13 oder 14 Jahren, was sich mittlerweile

jedoch immer weiter nach vorne

verlagere. Sie erwähnt ebenfalls,

dass es bereits immer wieder Volksschulkinder

gibt, die unfreiwillig mit

pornografischen Inhalten in Kontakt

kommen. Auch eine Studie im Jahr

2017 der Universität Hohenheim und

Münster erlangte ähnliche Ergebnisse

bei der repräsentativen Befragung von

mehr als 1.000 Kindern. Konkret wurden

die Gefühle und Begleitumstände

beim Erstkontakt erhoben. Demnach

machen Kinder und Jugendliche bereits

früh mit sexuell explizitem Inhalt

Erfahrung, meist in den eigenen vier

Wänden, jedoch nur selten allein. In

40% der Fälle sind die Rezipient*innen

unter Freund*innen, wenn sie zum

ersten Mal pornografische Bilder oder

Videos sehen. Sabine Ziegelwanger

erwähnt, dass der Erstkontakt meist

unfreiwillig und nicht geplant vonstattengeht,

was auch die Studie der Universität

Hohenheim und Münster belegt.

Allerdings lassen sich auch hier

geschlechterspezifische Unterschiede

feststellen. So gaben 60 Prozent der

Mädchen an, ungewollt auf explizite

Inhalte gestoßen zu sein, lediglich 37

Prozent der Burschen erlebten Ähnliches.

Im Zuge dessen wäre doch eine

strengere Kontrolle der Pornografie im

Internet eine Lösung, um Kinder und Jugendliche

zu schützen? Dies sei nicht so

einfach, worüber sich sowohl Jan Krone

als auch Sabine Ziegelwanger einig

sind. „Die Versuche des Gesetzgebers

den Zugang zu Pornografie Kindern und

Jugendlichen – ähnlich erfolgreich wie

im Analogen – zu erschweren, sind bis

heute überwiegend fehlgeschlagen und

bleiben eine permanente Herausforderung

an die gesamte Breite der Media

Governance“, konstatiert Jan Krone.

Auch Sabine Ziegelwanger spricht zwar

von internationalen Standards, die „alles

Illegale sanktionieren sollten“, ist

jedoch der Meinung, der beste Jugendschutz

sei Medienkompetenz und Aufklärung.

„Bis dahin obliegt es vor allem

Erziehungsberechtigten, die Entwicklung

von Schutzbefohlenen adäquat zu

gewährleisten“, schlägt auch Jan Krone

vor. Und hiermit kann auch der Inkognito-Modus

wieder deaktiviert werden,

denn auch dieser schützt keinesfalls

vor ungewollten Kontakten mit sexuell

expliziten Inhalten oder Datentracking.

von Cornelia Plott

Jan Krone

Copyright: Claudia Mann

Sabine Ziegelwanger

Copyright: Privat

10

Der Motor der Internet-Entwicklung ist X-rated


www.themenboerse.at

Themenbörse

Abschlussarbeiten:

Die online-Plattform für

wissenschaftliche Arbeiten

Studierende und NÖ Akteur*innen sowie Hochschulen

finden auf Knopfdruck auf der neuen

Website alles was sie suchen:

Studierende – ein Thema für ihre akademische

Abschlussarbeit

NÖ Akteur*innen – eine benutzerfreundliche

Möglichkeit, ihr aktuelles, wissenschaftliches

Thema an der Themenbörse anzubieten

Hochschulen – neue Themen, die sie ihren

Studierenden für ihre Abschlussarbeiten

anbieten können

11


Ein Leben im

#technologischen Wandel

„Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung selbst.“ Heraklits rund

2.500 Jahre altes Zitat gilt auch für den heutigen Drang nach Innovation.

SUMO hat sich im Zuge des 25-jährigen Jubiläums des Medienausbildungsstandorts

Fachhochschule St. Pölten auf die Suche nach Antworten

begeben, wie Verantwortliche mit Change-Prozessen umgehen und dabei

versucht, Veränderung zu konkretisieren. Dazu sprach SUMO mit Geschäftsführer

Gernot Kohl und Wolfgang Römer, Professor am Department

Medien und digitale Technologien.

© Copyright: adobe stock / VideoFlow

Der Begriff „Veränderung“ umfasst in

der Theorie eine Vielzahl an Definitionen.

Grundlegend kann man aber davon

ausgehen, dass Veränderung eine

Abweichung von einem bestimmten

Zustand ist. Um der Sache näher auf

den Grund zu gehen, hat sich SUMO

gemeinsam mit Wolfgang Römer an

einem Beispiel versucht, das eine Situation

in Folge einer Veränderung darstellen

soll, die uns allen bekannt ist.

Fragen Sie sich einmal selbst, wann Sie

sich zuletzt in den Spiegel gesehen haben.

Vermutlich erst heute, bevor Sie

das Haus verlassen und sich auf den

Weg in die Arbeit begeben haben. Ist

Ihnen dabei etwas aufgefallen? Vermutlich

nicht! Vielleicht noch ein letztes

Mal die Haare zurechtgerückt und auf in

die Arbeit. Dabei stellt das „Vermutlich

NICHT“ in der unternehmerischen Praxis

ein Phänomen dar, das sich schnell

zu einem Problem entwickeln kann.

Man spricht dann auch oft von einer

sogenannten Betriebsblindheit, also

wenn man sich routinemäßig an einen

Zustand gewöhnt, der auf Dauer nicht

mehr hinterfragt wird, sodass Möglichkeiten

hinsichtlich einer Veränderung

gar nicht mehr wahrgenommen werden.

Um sich einer Veränderung erst bewusst

zu werden, bedarf es zum einen

an Zeit, die einem erst klar macht, in

welch einer komplexen Welt, getrieben

von Vorsprung und Innovation, wir

eigentlich leben. Selbst der Mensch ist

angesichts des Alterns tagtäglich Teil

einer humanen Veränderung, und das

ist auch der Grund, weshalb Ihnen gestern

vor dem Spiegel vermutlich nichts

aufgefallen ist, denn die grauen Haare

kommen nicht einfach über Nacht.

Gehen wir einen Schritt weiter und

nehmen an, dass Ihnen graue Haare

gewachsen sind, dann gäbe es zwei Varianten,

wie sie reagiert hätten.

Variante A, Sie können es kaum fassen,

geraten in Panik und aufgrund

dessen verpassen Sie die Bahn, die

Sie pünktlich zur Arbeit bringen würde.

Oder Variante B, Sie nehmen es offen

hin, verlassen das Haus pünktlich und

im besten Fall ist es Ihren Arbeitskolleg*innen

nicht einmal aufgefallen.

Dass Menschen eher dazu neigen, auf

Veränderung zu reagieren – wo es

sichtlich schon zu spät ist – anstelle

zu agieren – dem vorzeitigen Befassen

obliegt zwar der subjektiven Perspektive

des einzelnen Individuums, ist aber

tendenziell von großer Bedeutung hinsichtlich

der normativen Ebene: also

der Fähigkeit zu erkennen, inwiefern die

Veränderung einen Einfluss auf etwas

hat. Offenheit ist dabei der Schlüssel

zum Erfolg, wenn es darum geht, Veränderung

nicht nur wahrzunehmen,

sondern auch damit richtig umzugehen.

Dass die Schwierigkeit im Erkennen von

Veränderung selbst und darüber hinaus

im Erkennen von möglichen Zusammenhängen

liegt, die sich positiv oder

auch negativ auf angrenzende Prozesse

und der Umwelt auswirken können,

begründet Wolfgang Römer damit,

dass Veränderung mit Unsicherheit und

oft mit Angst einhergeht. Diese Faktoren

grenzen uns Menschen in unseren

Entscheidungen und schlussendlich

auch in unserem Tun ein. Denn egal, ob

Sie sich für Variante A oder B entscheiden,

ändern können Sie die Situation in

keinem der beiden Fälle. Fakt ist aber,

dass bei Variante A die Veränderung

eine negative Auswirkung auf Sie und

Ihr Umfeld hat, die es vor allem in der

Wirtschaft, aber auch im persönlichen

Leben zu vermeiden gilt, so Römer, der

Herbert Grönemeyer zitiert: „Stillstand

ist der Tod, geh voran, bleibt alles anders.“

12

Ein Leben im #technologischen Wandel


Innovation als Treiber für

Veränderung

Wirft man einen Blick auf die Medien,

dann wird einem schnell klar, dass

mit der Implementierung des Internet

nichts mehr so ist, wie es früher einmal

war. Eine Welt ohne „Smart“ ist kaum

mehr vorstellbar, vor allem nicht für

die jüngeren Generationen. Geschäftsführer

Gernot Kohl nahm SUMO mit auf

eine kleine Zeitreise. Vor 25 Jahren wurde

über eine Initiative der Landeshauptstadt

St. Pölten der Grundstein für eine

Bildungsstätte gelegt, die Teil der wohl

größten Veränderung des letzten Jahrhunderts

– der Digitalisierung – ist und

sich im Zuge dessen auch selbst immer

wieder verändern und anpassen musste.

Die Fachhochschule (FH) St. Pölten

zählt zu den bedeutsamsten Bildungsund

Forschungseinrichtungen in Österreich.

Ziel ihrer Gründung 1996 war

es, eine zukunftsorientierte Bildungsstätte

zu errichten. Für dieses Projekt

lagen einige Themenschwerpunkte vor.

Schlussendlich wurde durch Mitglieder

des Fördervereins der Fachhochschule

der Bereich der Telekommunikation als

Schwerpunkt näher in Betracht gezogen

und als tragende Säule in der Organisation

verankert. Mit dem damaligen

einzigen Studiengang „Telekommunikation

und Medien“ stellte man aufgrund

der Veränderung um die Jahrhundertwende

im Bereich der Medien und Telekommunikation

schnell fest, dass dieser

Bereich weitere Potenziale verbirgt.

So kristallisierten sich die Vertiefungen

„Medienwirtschaft“ sowie „Medientechnik“

heraus, die bald sehr nachgefragt

wurden. 2004 hatte die Institution

erstmals 1.000 Studierende und erhielt

den Titel Fachhochschule, so Gernot

Kohl im Interview mit SUMO. Innovation

und Qualität waren von Beginn an

wichtige Bestandteile des Projekts FH

und Treiber in Phasen der Entscheidungsfindung.

Im Laufe der Jahre und

aufgrund der stetig steigenden Studierendenanzahl

wurden die Qualitätskriterien

immer höher und man erkannte,

dass die Kapazitäten und die Technik,

die einen praxisnahen Unterricht möglich

machen sollen, den Anforderungen

nicht mehr entsprachen. Weiteres

führte Gernot Kohl im Interview aus:

„Daraufhin hat die Landeshauptstadt

St. Pölten 2007 in die Erweiterung der

Fachhochschule investiert und einen

Campus errichtet, der als Medienausbildungsstätte

den nötigen Platz sowie

modernste Technik im Bereich der Radio-

sowie TV-Technik bietet.“

Medien-, Bildungs- und

Organisationswandel

Auch inhaltlich habe sich im Laufe der

Jahre einiges getan, konstatiert Wolfgang

Römer. Er kann sich noch gut an

eine Zeit als Dozent dazumal erinnern,

in der aufgrund des technologischen

Wandels gerade in der Medienbranche

es zu zahlreichen Umbrüchen im operativen

Tagesgeschäft vieler Unternehmen

kam. Neue Produkte kamen auf

den Markt, mit ihnen eine Veränderung

im Konsum und einer Veränderung,

die neue Maßstäbe für Unternehmen

und ihre Märkte setzte. So wurden

bestehende Unternehmen technologischer

und zugleich vernetzter. Dies

ermöglichte ihnen einen neuen Zugang

zu dem, was sie alle am Leben

erhält: die Wertschöpfung. Ressourcen

mussten effizienter eingesetzt werden,

was dazu führte, dass starre Organisationen

nicht mehr auf ihren Prozessen

beruhen durften, da sie sonst die

Anforderungen sowie die Interessen

und Bedürfnisse hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen

Akteur*innen (Kund*innen,

Lieferant*innen...) nicht mehr befriedigen

konnten. Flexibilität war somit

gefragt. Diese neuen Anforderungen

schufen Potential für neue innovative

Ideen, wodurch neue Märkte entstehen,

die auch infolgedessen neuen Unternehmen

die Möglichkeit bot, sich auf

diesen Märkten zu etablieren und neue

Maßstäbe zu setzen. Dass diese Veränderung

so weit ging, dass sich nicht

nur die operative Ebene an die neuen

Gegebenheiten anpasste, sondern

man sich auch aufgrund der Intensität

strategisch neu ausrichten musste,

dass sogar bis hin zu einer Adaption der

Firmenphilosophie und somit der Seele

eines Unternehmens führen kann,

zeigt, wie wichtig es dann doch ist, Veränderung

selbst aktiv mitzugestalten

oder im Optimum selbst als Unternehmen,

Veränderung einzuleiten und nicht

erst im Nachhinein auf Veränderung zu

reagieren. Denn nur so würden Wettbewerbsvorteile

generiert und Ressourcen

am effizientesten eingesetzt,

wenn in diesem Zusammenhang das

Potential der Veränderung erkannt und

verstanden wurde. Aufgrund dessen

haben sich auch kontinuierlich die Curricula

der Studiengänge des vormaligen

Departments „Medien und Wirtschaft“

immer wieder geändert. Dies führte

dazu, dass sich nicht nur die Wissensvermittlung

seitens der Lehrenden veränderte,

sondern auch das Verständnis

der Studierenden hinsichtlich medialer

Kommunikation.

Ein Leben im #technologischen Wandel 13


Dass Veränderung somit nicht immer

leicht von der Hand geht und oftmals

auch auf Widerstand stößt, ist darauf

zurückzuführen, dass der Mensch bestehende

Gewohnheiten nur ungern

aufgibt beziehungsweise umformt.

SUMO hat an dieser Stelle gefragt, wie

man gerade in der Funktion des Entscheidungsträgers

am besten agieren

soll, sodass man im Sinn der Verantwortung

anderen gegenüber nicht selbst in

Gefahr läuft, ungeplant von der Veränderung

überholt zu werden. Unabhängig

von persönlichen Nuancen sind sich

die Experten vor allem in dem Punkt

sicher, dass Veränderung ALLE in einer

Organisation betrifft. Dass der eine

oder die andere im Unternehmen sich

auch die Frage stellt: Weshalb müssen

wir uns verändern, ist ein Zeichen, dass

man gerade im Change-Prozess auf die

Meinungen anderer hören sollte und

demnach auch alle in den Prozess zu

integrieren. Auch das frühzeitige Kommunizieren

dürfe dabei nicht vergessen

werden, da das Erkennen von etwas

Neuem immer die schlechteren Argumente

hätte, so Wolfgang Römer. Jetzt

könnte man behaupten, dass gerade in

Zeiten von COVID-19 der Ausbau der

FH mit einem weiteren Gebäude sich

nicht gelohnt hätte und man viel eher in

Equipment zur Sicherstellung der Fern-

lehre investieren hätte sollen. Nichtsdestotrotz

weist der Geschäftsführer

der Fachhochschule St. Pölten daraufhin,

dass man davon ausgehen kann,

dass auch die Pandemie irgendwann

ein Ende haben wird und die Studierenden

an die FH zurückkehren werden, da

die Lernkurve aufgrund der Interaktion

im Hörsaal eine Bessere ist als zuhause

vor den Bildschirmen.

Fakt ist, die Berufs- wie auch Studienwelt

wird sich weiter verändern, Innovationen

und neue Medien entstehen

und sie werden Märkte wie Gesellschaften

beeinflussen.

von Michael Haas

Wolfgang Römer

Copyright: privat

Gernot Kohl

Copyright: FHSTP Carola Berger

14

Ein Leben im #technologischen Wandel


© Copyright: adobe stock / Val Thoermer

Filmfestivals:

„Das zu erleben, was wir Kino nennen“

Jedes Jahr staunen wir über die glamourösen Bilder, entstanden im Blitzlichtgewitter von Cannes und Venedig.

Sind es die Stars, die Outfits, der berühmte rote Teppich? SUMO versuchte dieses Phänomen real zu fassen und

unterhielt sich dafür mit dem Co-Geschäftsführer der „Diagonale“, Peter Schernhuber, sowie den beiden „Viennale“-Preisträgerinnen

Milena Czernovsky und Lilith Kraxner.

Swing in

Unaufgeregtes, aber emsiges Treiben

übertönt das Telefonklingeln an Presse-

und Ticketschaltern. Menschen,

bestückt mit blauen Armbändern, bahnen

sich über zwölf Stufen abwärts

ihren Weg zu einer Bar. Und schließlich

Schlangen wartender Besucher*innen,

die durch herausströmende Gäste

der letzten Vorstellung unterbrochen

werden. All das sind Szenen, die sich

im hell erleuchteten Gartenbaukino in

Wien um kurz vor 23:00 Uhr anlässlich

der „Viennale V´21“ abspielen. Wer

nicht für Getränke oder Toiletten ansteht

oder in Gespräche vertieft ist, versucht

einen der Sitzplätze zu ergattern,

die es kurz vor Beginn der Vorstellung

im Eingangsbereich noch gibt. So auch

Xavier Chotard, der extra aus München

angereist ist, um den Film „Spencer“

zu sehen. Er habe schon auf dem Filmfestival

von Venedig davon gehört und

nutze nun hier zu später Stunde seine

Chance. „Eine tolle Vielfalt an tollen Filmen“

mache für ihn die „Viennale“ aus

und ist wohl der Grund, sich regelmäßig

auf einem der roten Kinosesseln wiederzufinden.

Rote Kinosessel, die kurz

vor Vorstellungsbeginn mehr und mehr

von Gästen eingenommen werden und

damit unter abgelegten Mänteln und

Schals verschwinden. Man greift noch

in die kürzlich an der Bar erworbenen

Snacks und nippt am bis oben hin gefüllten

Plastikweinbecher (Gläser mussten

vor dem Saal auf einem Flaschenfriedhof

zurückgelassen werden), dann

tritt schon ein Sprecher ins Rampen-

licht. Kurz, aber enthusiastisch wird die

Afterparty angekündigt, dann geht das

Licht aus und der Filmprojektor fängt an

zu surren.

Projektoren zum Surren

bringen

Bis ein Filmprojektor auf einem Filmfestival

zu laufen beginnen kann, muss

viel an Organisationsarbeit geleistet

werden. Laut Peter Schernhuber, Co-

Geschäftsführer und -Leiter des in Graz

stattfindenden Festivals des österreichischen

Films, müsse man hierbei

jedoch unterscheiden zwischen den

kaufmännischen und den inhaltlichen

Aspekten eines Filmfestivals. So plane

man budgetär bereits über einzelne

Festivaleditionen hinaus, inhaltlich sei

der Zyklus allerdings „ein sehr knapper“.

Die COVID-Pandemie erschwerte

jedoch die Organisation. So konnte das

Festival 2020 nicht regulär stattfinden,

2021 sei die organisatorische Seite des

Festivals geprägt gewesen von Änderungen

und großen Budgetsorgen. Als

das Event dann zwischen 8. und 13. Juni

abgehalten werden konnte, sei es ein

sehr schöner und bewegender Moment

gewesen, „das zu erleben, was wir Kino

nennen“. Damit Kino bei der „Diagonale“

passieren könne, vergebe man keine

Aufträge an Künstler*innen und sei

deshalb nicht als Produzent tätig, hält

Schernhuber fest. Die Einreichungen

fertig produzierter Filme würden von

Einzelpersonen, Produktionsfirmen und

Verleihern zwischen September und

November vorgenommen werden. Bei

der Filmauswahl komme es auf drei wesentliche

Punkte an, die in einem Sichtungsteam

zusammen mit externen

Expert*innen unter der Leitung von Co-

Geschäftsführer Sebastian Höglinger

diskutiert werden. Zunächst versuche

man zu beurteilen, welchen Anspruch

der Film an sich selbst habe und wie es

ihm gelinge, diesem Anspruch gerecht

zu werden. Danach müsse festgestellt

werden, ob der Film zur Idee des Festivals

passe. Dieses versuche einen „repräsentativen

Querschnitt des österreichischen

Filmschaffens“ abzubilden, so

Schernhuber. Schlussendlich habe man

noch einen kuratorischen Anspruch der

nationalen Kinematografie gegenüber,

für die man auch die internationale

Presse sowie internationale Kurator*innen

begeistern wolle.

Noch ein weiterer Aspekt sei bei der

Programmgestaltung sehr wichtig: Eingebettet

in den globalen Film- und Festivalkreislauf

spielt das Bemühen, Filme

als Premiere zu zeigen eine Rolle. Ein

kompliziertes und mitunter sehr ambivalentes

Thema, so Schernhuber. Genau

dieses Tauziehen um Erstaufführungen

findet Lilith Kraxner allerdings „absurd“.

Habe man bei einem Filmfestival Premiere

gefeiert, so fielen viele andere

Veranstaltungen weg. „Es ist ein Risikospiel“,

postuliert Kraxner. Der Fokus auf

Premieren hänge nicht zuletzt mit der

medialen Aufmerksamkeit zusammen,

die auf diese gerichtet werden, meint

Filmfestivals: „Das zu erleben, was wir Kino nennen“

15


© Copyright: adobe stiock / fergregory

wiederum Schernhuber. Gut sei das allerdings

nicht. Zumal für die Filme. Hier

herrschten dann Konkurrenzverhältnisse

in der österreichischen Festivallandschaft.

Grundsätzlich befinde man

sich aber in einer Generation, wo man

sich untereinander als Partner verstehe,

was letztlich auch mit dem schwachen

Stellenwert des Filmbereichs in Österreich

zusammenhänge. Einerseits sei

es klar, „dass man nicht gegeneinander,

sondern miteinander arbeiten muss“,

andererseits, dass die unterschiedlichen

Festivals ihr Profil behalten. Auch

und gerade im Fall ihres Films, einem

fokussiert intimen, leisen Portrait einer

erschöpften Frau.

Dabeisein heißt

Kommunikation

Bevor ein Festival eine Auswahl treffen

kann, müssen Filme von Filmschaffenden

oder deren Vertreter*innen erst

eingereicht werden. Zu diesen Vertreter*innen

zählen die erwähnten Verleiher,

der im Falle von Milena Czernovsky

und Lilith Kraxner, den Gewinnerinnen

des Spezialpreises der Jury bei der

„Viennale 2021“, „sixpackfilm“ heißt.

Czernovsky erläutert die Wichtigkeit der

Absprache, welche Festivals bevorzugt

würden. Den Film einfach so abzugeben,

sei laut Kraxner am Anfang schwer

gewesen, da man neben der Regie auch

für Produktion, Schnitt und Drehbuch

verantwortlich war. Nach einer erfolgreichen

Einreichung sei Kraxner jedes

Festival dann aber gleich wichtig, „das

Unmittelbare“ sei allgemein das Spannende.

Das Unmittelbare meint hier

„Gespräche mit den Leuten, die den Film

gerade gesehen haben“. Dabei sei es

egal, ob es sich um ein riesiges und renommiertes

Festival handele, oder um

ein ganz kleines: „Hauptsache, der Film

kann auf der Leinwand im Kino gezeigt

und im Anschluss diskutiert werden“, so

Kraxner.

Lilith Kraxner sieht andere Filmemacher*innen,

die an denselben Festivals

wie sie teilnehmen, nicht unbedingt als

KonkurrentInnen. Man freue sich immer,

neue Leute kennenzulernen. Czernovsky

fügt an, dass das Schöne daran sei,

überhaupt andere Filme bei diesen Festivals

rezipieren zu können. Damit eine

Festivalteilnahme als Filmemacherin

grundsätzlich gut über die Bühne geht,

sei für die beiden Regisseurinnen wichtig,

gleich zu Beginn den Kontakt zu jemanden

vom Festival zu knüpfen, um

wichtige Tipps über die jeweilige Stadt

zu erhalten. Das Angebot eines Guest

Office nähmen sie ebenfalls dankend

an. Weiters seien gut essen und trinken,

die Teilnahme am Rahmenprogramm,

gemütliche Reiseoutfits und ein Hotel

in der Nähe des Festivalstandorts Teil

ihres Festival Survival Guides. „Nicht

schüchtern sein, Leute ansprechen“, ergänzt

Lilith Kraxner.

GewinnerInnen und die, die sie

dazu machen

Das besagte Sichtungsteam, das Peter

Schernhuber bei der „Diagonale“ bei der

Filmauswahl hilft, ist nicht zugleich jene

Jury, die den stolzen Gewinner*innen

schlussendlich die Preise überreicht.

Man bestelle nochmal neue Jurys, bei

denen es sich um Expert*innen handele,

die mit dem österreichischen Film vertraut

seien. Gleichzeitig benötige es die

notwendige Distanz der Jury-Mitglieder,

so sollen auch internationale Expert*innen

dafür angeworben werden.

Als Lilith Kraxner und Milena Czernovsky

davon erfuhren, dass sie den

diesjährigen Spezialpreis der Jury gewinnen

würden, sei dies nochmals viel

emotionaler gewesen als bei anderen

Festivals, erinnert sich Kraxner. In Wien

sehe man viele bekannte Gesichter, es

sei eine ganz andere Art der Herausforderung

und Nervosität gewesen, ein

„schon irgendwie nacktes Gefühl“. Czernovsky

verortet den Grund ebenfalls in

der Tatsache, dass es sich bei der „Viennale“

um ein Festival in der Stadt handle,

in der man wohne und seinem Alltag

nachgehe. Der Preis war mit 4.000 €

sowie einem Color-Grading- und Tonmischungsgutschein

dotiert. Außerdem

erhielten sie für ihren Film „Beatrix“

unabhängig davon einen „kleinen Ministart“

in Österreich, wenn das wieder

möglich würde. Dies sei für die beiden

überraschend gewesen, da „Beatrix“ ihr

erster Film bei einem Festival war. Eben

diese Events seien laut Peter Schernhuber

Orte der sozialen Zusammenkunft,

die dann gut seien, wenn BesucherInnen

überrascht würden. Und das auf,

aber auch vor der Leinwand.

Fade out

So schnell wie der Film „Spencer“ begonnen

hat, endet er auch. Das Publikum

verfällt in kurzen Applaus, dann

durchbricht schon der Lichtstrahl aufgrund

einer sich öffnenden Tür die Finsternis.

Erste Menschen stehen auf, bald

sind es viele. Es ist spät, doch man redet

darüber, wo man noch (überhaupt) gemeinsam

Zeit verbringen könnte. Für

Mathilde, eine Filmstudentin auf einjäh-

16

Filmfestivals: „Das zu erleben, was wir Kino nennen“


TENNIS

GROSS

FÜR

rigem Austausch in Wien, geht es nach

ihrem ersten Film bei der „Viennale“

nach Hause. Angelehnt an einen Stehtisch

reflektiert sie über das Festival

und merkt den einfachen und günstigen

Zugang an, den es in Cannes und bei anderen

großen Filmfestivals nicht gebe.

Ihr gefällt zudem, dass Besucher*innen

Filme von 6:00 Uhr morgens bis 23:00

Uhr abends besuchen können. Lange

Kinotage also, die mit dem Aufstoßen

der Schwingtür nach außen nun zu Ende

gehen. Bis dann alles wieder von vorne

losgeht – hier, oder auf einem der vielen

anderen, je einzigartigen Filmfestivals.

von Paul Jelenik

Peter Schernhuber

Copyright: Diagonale-Theresa Wey

Milena Czernovsky und Lilith Kraxner

Copyright: Lara Bellon

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© Copyright: adobe stick / Anas alhajj - Yemen

W W W . T E N N I S T O P O L I N O . A T

Filmfestivals: „Das zu erleben, was wir Kino nennen“

17


Kinderfernsehen –

Noch am Puls der Zeit?

Es ist ein Zitat von einem, der es wissen muss: Hans Rosenthal war einer

der ganz großen deutschen Showmaster. Er reiht sich in eine Liste mit Peter

Alexander, Rudi Carrell, Hans Joachim Kulenkampff & Co. Allesamt waren

sie Personen, die das deutschsprachige Fernsehen in den 1960er und

1970er Jahren maßgeblich geprägt haben. Der heutige Blick auf die historischen

Samstagabendshows verrät manch überraschende Erkenntnis über

die heile TV-Welt der Nachkriegsgesellschaft und wenig überraschende

Entwicklungen der Fernsehrezeption. Bei allen medialen Veränderungen:

Schöne Erinnerungen an eine „gute alte Zeit“ vor den Bildschirmen bleiben

aber.

© Copyright: adobe stick / myst

Vom Spartenprogramm zum

Sender

„Biene Maja“, „Kasperl & Petzi“ und

andere Formate fesselten damals

schon viele Kinder vor den Fernsehgeräten.

Auch heute noch verbringen

die jungen Rezipient*innen gerne Zeit

vor den Bildschirmen. Schätzungen der

Haupterzieher*innen nach nutzen Kinder

durchschnittlich über eine Stunde

lineares Fernsehen pro Tag. Dies geht

aus der KIM-Studie 2020 (Kindheit,

Internet, Medien) des Medienpädagogischen

Forschungsverbunds Südwest

in Deutschland hervor. Doch während

zu Beginn Kinderfernsehen vielfach als

Spartenprogramm auf Sendern ausgestrahlt

wurde, so wie es heute noch mit

„OKIDOKI“ im ORF der Fall ist, ging der

Wandel immer stärker hin zu eigenen

Kindersendern, die auf hohen Zuspruch

treffen.

Laut der KIM-Studie 2020 haben sechs

von zehn der befragten Kinder einen

Lieblingssender im TV. Dabei sind die

ersten beiden Plätze von den Sendern

„KiKA“ (29%) und „SUPER RTL“ (22%)

belegt. Der „Disney Channel“ (4%) und

„Nickelodeon“ (4%) sind hingegen weit

abgeschlagen zu den Nennungen der

Erstplatzierten und reihen sich hinter

„RTL“ (10%) und „ProSieben“ (7%) ein.

Anderslautend waren die Angaben bei

selbiger Studie im Jahre 1999. Damals

führte noch der private Sender „RTL“

(23%). „SUPER RTL“ und der „Kinderkanal“

(„KiKA“) teilten sich den zweiten

Rang mit je 20%.

Damit führt heute in Deutschland ein

öffentlich-rechtlicher Kindersender bei

den Präferenzen der Zuseher*innen

vor einem Feld an privaten Kanälen.

In Österreich liegen die Zahlen jedoch

anders: Laut der aktuellen oberösterreichischen

Kindermedienstudie haben

die Hälfte der 6-10-jährige Kinder einen

Lieblingskanal: 39% „YouTube“, danach

folgen die TV-Sender „KiKA“ (32%)

und „Disney Channel (31%), gefolgt von

„Netflix“ (30%) und „SUPER RTL“ (26%).

Diese Studie zeigt auf, dass der ORF in

besagter Altersgruppe ein Problem hat,

da bloß 9% der Kinder ihn als Lieblingssender

anführten.

Doch worin unterscheiden sich öffentlich-rechtliche

von den privaten Mitbewerbern?

Ralph Caspers

Copyright: Johannes Haas

Ralph Caspers meint dazu, dass das

grundsätzliche Ziel, ein gutes Programm

zu machen, welches gerne gesehen

werde, sowohl bei den privaten,

als auch bei den öffentlich-rechtlichen

vorrangig sei.

Einen der wenigen Unterschiede bemerke

er allerdings bezüglich der Wirkung

nach außen. So seien die Recherchen

für „SUPER RTL“, bei welchem er

in den 90ern gearbeitet hat, deutlich

18

Kinderfernsehen – Noch am Puls der Zeit?


schwieriger gewesen, da die Menschen

zumeist in dem Glauben gewesen seien,

mit einer Krawallsendung zusammen

zu arbeiten. Dass allerdings ein

Kinderprogramm im Vordergrund stand

und nicht Boulevardjournalismus, hätten

die Meisten gar nicht richtig wahrgenommen.

Dies läge nun allerdings

auch schon einige Jahre zurück und

könne sich im Laufe der Zeit natürlich

verändert haben.

Der größte Unterschied ist wohl die

Aussparung, beziehungsweise Begrenzung

von Werbung bei den öffentlichrechtlichen

Sendern.

Ermöglicht wird der Verzicht im Falle

von „KiKA“, da der seit 1997 ausgestrahlte

Sender als Gemeinschaftsprogramm

der „ARD-Landesrundfunkanstalten“

und des ZDF durch einen

Anteil des monatlichen Rundfunkbeitrages

öffentlich finanziert wird. 1995

startete „SUPER RTL“, welcher als privater

Sender natürlich auf Einnahmen

aus der Werbung angewiesen ist. Beide

jedoch eint, dass sie nicht rund um

die Uhr Kinderformate senden. „KiKA“

zeigt eine Nachtschleife, in der je nach

Empfangsart auf einen anderen Sender

geschaltet oder „Bernd das Brot“ ausgestrahlt

wird. „SUPER RTL“ hingegen

wechselt in der sogenannten „Primetime“

zum Programm für Erwachsene.

Prägung des Fernsehens

Die Kindheit ist eine Zeit enormer und

vor allem schneller persönlicher Entwicklung.

Dabei werden die Heranwachsenden

von vielen Sozialisationsfaktoren

beeinflusst, liegen diese nun in

der Nutzung von Medien, im familiären

und schulischen Umfeld, im Freundeskreis

oder gar in der gesamtgesellschaftlichen

Ebene. All dies trägt zur

Findung der Persönlichkeit und Prägung

verschiedener Verhaltensweisen

bei, die sich dann auch in anderen Bereichen

des Lebens widerspiegeln. So

beeinflusst zum einen natürlich das

Fernsehen die Kinder, zum anderen

wird aber auch der Fernsehkonsum von

der Umwelt beeinflusst.

Große Faktoren, wie die Pandemie,

hätten allgemein zu mehr psychischen

Problemen bei Kindern geführt, merkt

Julia Dier an. Dadurch würden sich die

Heranwachsenden vermehrt in Medien

zurückziehen, die älteren vielfach auf

Social Media und die jüngeren dürften

mehr fernsehen. Die Nutzung von Medien

sei durch die Pandemie gestiegen.

Doch Abseits des Gesundheitsthemas

sind auch andere Themen in den Vordergrund

gerückt. Viele Menschen sind

sensibilisierter, sei dies nun gegenüber

Bereichen, die die Gesellschaft schon

länger beschäftigen, wie Geschlechtergleichstellung

und Gendering, oder Bewegungen

welche in jüngerer Vergangenheit

vermehrt in das Bewusstsein

rücken, etwa „#BlackLivesMatter“ oder

„FRIDAYS FOR FUTURE“.

Da „Die Sendung mit der Maus“ immer

wieder Kinderfragen beantwortet,

sind solche gesellschaftlichen Einflüsse

auch hier spürbar. Zur Thematik

von „FRIDAYS FOR FUTURE“ und Umweltschutz

konstatiert Ralph Caspers:

„Solche Fragen kommen viel mehr als

vorher. Wobei es auch damals schon

Fragen gab, wie zum Beispiel, als die

Atomenergie ein bisschen in Verruf zu

kommen, wegen Tschernobyl beispielsweise.“

Dies zeigt sehr gut, wie stark der Einfluss

des Umfeldes und aktueller Vorgänge

auf Kinder wirkt und dass dieser

Einfluss damals wie heute das Verhalten

und Wissensbedürfnis verändert.

Wissensformate können diesen Informationsdurst

der Kleinen stillen. Doch

was sollte dabei im Vordergrund stehen:

Wissensvermittlung, Wertevermittlung

oder Unterhaltung?

Unser interviewter Elternteil, ein Vater

zweier Kinder, erwartet sich in erster

Linie einen bildenden Charakter betreffend

den sozialen Umgang in Form

von gewissen Wertevorstellungen, die

transportiert werden sollten. Erst in

zweiter Linie wünsche er sich, bei den

darauf ausgerichteten Formaten, eine

Vermittlung von Fakten und Wissensinhalten.

Auch Ralph Caspers sieht die Primärfunktion

von Fernsehen nicht nur in

Wissensvermittlung, sondern vor allem

in der Unterhaltung.

Er zieht einen anschaulichen Vergleich

heran: „So ein bisschen, wie wenn

man einem Hund eine Tablette geben

möchte. Der wird die ja sofort wieder

ausspucken. Deshalb muss man Tabletten

immer schön dick in zum Beispiel

Leberwurst einwickeln und dann

schluckt der Hund das einfach runter

und merkt gar nicht, was für eine Pille

er geschluckt hat.“

Auch Kinder werden sich nicht mit der

Intention, besonders viel lernen zu wollen

vor den Fernseher setzen. Daher

werden auch nicht die Formate nur rein

auf Wissensvermittlung ausgerichtet.

Unterhaltung ist immer der Grundstein,

der den Transport von Lerninhalten erst

ermöglicht. Trotz alledem lässt sich

im Vergleich zu früher eine Vermehrung

dieser Wissensformate feststellen.

Dies resultiere laut Ralph Caspers

schlicht und einfach aus der generellen

Erweiterung des Angebotes und sei

eine einfache Frage der Quantität.

Allerdings sind die Veränderungen im

Angebot noch längst nicht die einzigen,

die sich über die Jahre ergeben haben.

Auch die Erzählweise und die Schnitte

seien schneller und lauter geworden.

Während unser interviewter Vater noch

Zeichentrickfilme mit „gleichbleibenden

Hintergründen“ und „nur einzelnen bewegten

Figuren“ mit einer „ruhigeren

Handlung“ in Erinnerung hat, seien

nun Bilder stärker animiert und Aktionen

schneller aufeinanderfolgend. Die

Reaktion seiner Kinder auf die älteren

Serien sei, dass sie diese als langweilig

wahrnehmen. Nun stellt sich die Frage,

welche Auswirkungen diese Veränderung

auf die jungen Rezipient*innen

hat.

Julia Dier sieht das schnellere und lautere

Fernsehen als nur eine geringe

Problematik, da hierbei Eltern noch

guten Einblick im Gegensatz zu anderen

Medien, wie das Handy, hätten.

Lediglich für ganz kleine Kinder seien

die schnellen Formate schlecht, da sie

diese stark überforderten.

Julia Dier

Copyright: Privat

Im Laufe der Zeit sind viele ganz neue

Kinderserien und -filme entstanden,

doch oftmals wird auch einfach auf

bestehende und bewährte Ideen zurückgegriffen.

Serien wie „Biene Maja“

wurden beispielsweise lediglich adaptiert

und in diesem Falle 3D-animiert.

Bei solchen Neuauflagen scheiden sich

natürlich die Geister und eine objektive

Bewertung fällt durchaus schwer.

Unser Elternteil äußert dazu: „Das

passt für mich einfach überhaupt nicht

zusammen. Aber einfach nur deshalb,

weil ich es anders kenne. Wenn sich

meine Kinder das anschauen, finden sie

es gut.“

Kinderfernsehen – Noch am Puls der Zeit?

19


© Copyright: adobe stick / Pixel-Shot

Dies zeigt abermals, wie stark Kinderfernsehen

Menschen bis in das Erwachsenenalter

prägt und wie fest verankert

die Erinnerung an Originalfiguren und

den Klang der Originalstimmen aus der

eigenen Kindheit ist.

Aus Ralph Caspers Sicht ist das Wichtigste,

dass man wisse, was der Kern

sei, der ein Format ausmacht. Dann

könne man sehr viel rundherum verändern.

Der Schub der Digitalisierung

In der jüngeren Zeit hat sich die Nachfrage

nach Videoplattformen und

Streaming immer mehr erhöht. Mit so

manchen Vorteilen, wie orts- und zeitunabhängigem

Zugriff, der größeren

Auswahlmöglichkeit und dem teils geringerem

Werbeeinfluss lassen diese

internetgestützten Anbieter das lineare

Fernsehen schon teilweise sehr veraltet

aussehen. So ist es durchaus bemerkenswert,

dass bei der Frage nach

den drei wichtigsten Lieblingssendern,

-plattformen oder -streaminganbietern

„YouTube“ noch vor linearen Kindersendern

genannt wird. Auch „Netflix“,

„Amazon Prime“ und „YouTube Kids“

wird durchaus oft erwähnt. Das zeigt

die 2020 erstellte Studie „Medienverhalten

bei Kindern“, welche im Auftrag

der „EDUCATION GROUP GmbH“

in Oberösterreich durchgeführt wurde,

deren Ergebnisse sich von deutschen

Studien durchaus unterschieden

(Werte siehe oben). Zudem ist auch

die geschätzte Sehdauer (KIM 2020)

mit durchschnittlichen 24 Minuten für

Streaming zusätzlich zu 68 Minuten

linearen Fernsehen im Verhältnis gar

nicht so gering.

Gründe für einen Umstieg zu Streaming

seien für unseren interviewten Vater

vor allem erhöhte Entscheidungsfreiheit

gewesen. Er fände das normale

Fernsehprogramm Filme betreffend

relativ mau.

So manch ein/e Nutzer*in wird allerdings

auch von der eingeschränkten

Werbung auf bezahlten Plattformen

angezogen. Denn Werbung beeinflusst

Kinder sehr stark.

Unser interviewter Vater merke die Beeinflussung

im Sprachgebrauch sehr

deutlich. Dies äußere sich beispielsweise

über Werbelieder, welche gekannt,

gekonnt und nachgesungen werden,

oder das Ersetzen von Bezeichnungen

durch Markennamen.

Dabei ergeben sich diese Einflüsse natürlich

nicht ausschließlich durch das

Fernsehen, sondern auch durch das

Radio, Werbungen vor „YouTube“-Videos

oder sonstigen Medieneinflüssen.

Auch Streamingdienste schalten teilweise

zumindest Trailer voraus.

Julia Dier erkennt die Beeinflussung

durch Werbung, fügt allerdings hinzu,

dass ein gewisses Maß an Werbung

hinsichtlich der Frusttoleranz von Kindern

wichtig sei. Da viele der jungen

Zuseher*innen Formate ansonsten

nur noch auf Abruf kennen, ohne sich

dazwischen gedulden zu müssen. Der

Konsumation von „YouTube“ präferiere

sie das normale Fernsehen für Kinder,

da Werbeinhalte dort auf die Kleinen

abgestimmt seien, was bei der Videoplattform

nicht durchgängig der Fall sei.

Des Weiteren geht mit dem Umstieg

auf internetgestützte Kinderformate

auch die Zeitgeberfunktion des Fernsehens

für die Zuseher*innen verloren.

Im Internet ist der Zugriff völlig frei

und nicht an Ausstrahlungszeiten gebunden.

Dadurch verschwinden zum

Teil Strukturen, die das Fernsehen für

manche Familien über Jahre geboten

hat, wie die Schlafens-geh-Zeit mit

dem „Sandmännchen“ oder die Hauptabendzeit

um 20:15.

Allerdings setzen auch die Kindersender

nicht mehr rein auf lineares Fernsehen,

sondern zeigen auch im Internet Präsenz.

Websites von Sendern oder erfolgreichen

Formaten, passende Apps

zu Kindersendungen, Mediatheken,

interaktive Spiele, Diskussionsforen zu

Programminhalten, abgestimmte digital

verfügbare Bastelanleitungen und

vieles mehr verhelfen den klassischen

Kinderfernsehformaten, ihre Rezipient*innen

auch online anzusprechen.

Ralph Caspers erläutert: „Wenn klar ist,

dass Leute nicht nur den Fernseher einschalten,

sondern auch andere Geräte,

dann versuchen wir auch auf den Geräten

zu sein. Damit wir eben auch da

eine kleine Heimat finden.“

Somit befindet sich das Fernsehen in

der heutigen Zeit zwar durchaus in

einem weitaus größeren Wettbewerb

um Aufmerksamkeit, doch ist es immer

noch für viele Menschen ein wichtiges

Medium der audiovisuellen Unterhaltung.

Schon allein die im Vergleich zu

Streaming fast dreimal so hoch geschätzte

Nutzungsdauer bei Kindern

zeigt dies deutlich. Genauso trägt auch

der Auftritt der Sender und Formate in

der Onlinewelt dazu bei, dass das Kinderfernsehen

immer noch am Puls der

Zeit ist, welcher heutzutage nun einmal

einfach ein wenig schneller schlägt.

von Sophie Böhm

20

Kinderfernsehen – Noch am Puls der Zeit?


„Ach, du bist Schriftsteller*in?“

Einblicke in einen Beruf im Wandel

Bücher schreiben als Brotberuf ist ein Traum Vieler. Star-Autor Thomas Brezina, Debüt-Autorin und Journalistin

Eva Reisinger und Influencer, Kabarettist und Autor Michael Buchinger sprechen mit SUMO darüber, wie ihr Leben

als Schriftsteller*innen aussieht und wie sie den Wandel in der Branche sehen.

Geschichten schreiben und damit das

Leben finanzieren; davon träumen viele

Menschen, nicht nur Kinder. Allerdings

ist der Wunsch, Autor*in zu werden,

neben den anderen oft genannten Tätigkeiten

wie Astronaut*in oder Tierärzt*in

einer der Dauerbrenner unter

den Traumberufen der Kleinen. Doch im

Gegensatz zur Astronautischen Raumfahrt

oder Veterinärmedizin gibt es für

den Beruf des/der Schriftsteller*in keine

klassische wie unbedingte Ausbildung.

Vor allem nicht an europäischen

Universitäten. In den USA existieren an

fast jedem College und auch schon an

der High-School Kursangebote für kreatives

Schreiben, die überlaufen sind.

Ein solches Netz an Ausbildungsmöglichkeiten

gibt es in Österreich nicht,

vor allem nicht im sekundären Bildungsbereich.

Auf Hochschulen werden

mittlerweile vereinzelt Studiengänge

im Literaturbereich angeboten, primär

im östlichen Teil Österreichs. Seit dem

Wintersemester 2009/10 besteht an

der Universität für angewandte Kunst in

Wien ein Institut für Sprachkunst. Anfänglich

konnte dort lediglich ein künstlerisches

Bakkalaureat-Studium in der

Sparte Literatur absolviert werden. Im

Wintersemester 2020 kam auch ein

Masterstudiengang dazu. Außerdem

bildet auch die Wiener Schule für Dichtung

Autor*innen aus; wie der Name

aber bereits vermuten lässt, liegt der

Fokus hier sehr stark auf der Poesie.

So versteht sich diese Institution auch

selbst weniger als klassische Bildungseinrichtung,

sondern mehr als Raum für

„lehrhafte Begegnungen mit renommierten

Autor*innen.“ Abgesehen von

diesen Angeboten kommen diverse

Kurse an den österreichischen Volkshochschulen

dem „creative writing“-

Charakter der US-Kursangebote wohl

noch am nächsten. Es gibt zwar noch

Angebote, wie jene der Leondinger

Akademie für Literatur, allerdings dürfte

allein der Preis dieser für die meisten

Literaturinteressierten Ausschlusskriterium

genug sein. Ein Semester kostet

dort 4.000 €.

Auch in Deutschland sind solche Angebote

eher dünn gesät, eine Vorzeigerolle

nimmt hier das deutsche Literaturinstitut

in Leipzig ein. Dort werden

jeweils ein Bachelor- und ein Masterstudiengang

in der Disziplin „Literarisches

Schreiben“ angeboten. Ähnliche

Ausbildungsmöglichkeiten bieten außerdem

noch das Literaturinstitut der

Universität Hildesheim und das Institut

für szenisches Schreiben an der Universität

der Künste in Berlin an.

Doch braucht es für diesen Beruf unbedingt

eine spezifische akademische

Ausbildung? Thomas Brezina sieht das

nicht so. Er persönlich ist davon überzeugt,

dass die Freude am Lesen und

Schreiben und die ständige Neugier,

wie man seinen eigenen Stil verfeinern

kann, das Wichtigste seien. Sein Wissen

verdankt er interessanten Funden

in der Literatur zum Thema „Schreiben“

und er hat sich den Großteil seines

Könnens über Dramaturgie, Dialog und

Charaktere im Theater in London, sowie

beim Lesen von – vor allem englischer

– Literatur angeeignet.

Brezina befindet sich in einer privilegierten

Situation, seine Bücher rangieren

zumeist in den Bestsellerlisten.

Auch international ist er gut im

Geschäft. Zudem arbeitet er auch als

Produzent im TV-Bereich.Doch wie ergeht

es Newcomer*innen und weniger

Bekannten?

Money, Money, Money - wie

man als Schriftsteller*in über

die Runden kommt

Durch das Schreiben Geld zu verdienen

ist hart. Eva Reisinger, die 2021

mit ihrem essayistischen Buch „Was

geht, Österreich?“ debütierte, stellt klar,

dass der Zugang zu Fördermitteln für

Autor*innen in Österreich offener gestaltet

werden müsse. „Entweder man

ist sehr gut, was die Antragstellung

von Förderungen angeht oder man ist

auf einen Nebenverdienst angewiesen.

Von den Vorschüssen, die man von einem

Verlag bekommt, lebt man meist

nicht allzu lang. Ausnahme sind einige

wenige Starautor*innen.“ Hier sieht sie

auch den Grund dafür, dass das Dasein

als Schriftsteller*in und Influencer*in

zunehmend verschmilzt und eine

Reichweite in den sozialen Netzwerken

immer mehr an Bedeutung gewinnt.

„Das kann man jetzt diskutieren, aber

ich verstehe es einfach aus finanzieller

Sicht komplett“. Gerhard Ruiss von der

Interessensgemeinschaft Autorinnen

Autoren (IG) schätzte im einem „KU-

RIER“-Artikel 2016 die Anzahl der Personen,

die in Österreich vom Schreiben

leben können auf etwa 200 bis 500. Allerdings

inklusive derer, die Tätigkeiten

wie Werbetexten oder Ähnlichem nachgehen.

Die Zahl der hauptberuflichen

österreichischen Autor*innen von literarischen

Werken dürfte demnach eher

zweistellig sein. Gernot Wolfgruber, der

im Kanon früherer Schülergenerationen

Österreichs stand, proklamierte 2014

gar, dass niemand in Österreich vom

Schreiben leben könne. Von den Tantiemen

möglicherweise selten – sieht

man von Brezina, Michael Köhlmeier,

Arno Geiger und anderen Bestsellern

ab –, bei anderen sind es Kräfte verzehrende

Lesereisen, insbesondere

für Kinderbuchautor*innen. Ein Autor

zu SUMO: „Die IG hatte ausverhandelt,

dass man für eine Lesung 300 Euro bekommt.

Das Resultat heute ist dasselbe

wie bei Musiker*innen: Sie spannen

dich zusammen mit anderen, und du

bekommst ein Drittel. Oder unter Vorwänden

Spenden – grindig!“

Michael Buchinger

Copyright: Dominik Pichler

Michael Buchinger ist ebenfalls der

Meinung, dass das alleinige Dasein als

„Ach, du bist Schriftsteller*in?“ Einblicke in einen Beruf im Wandel

21


Autor*in ohne Nebenverdienste mehr

Ausnahme als Regel ist. „Von allem was

ich mache, sind meine Bücher eigentlich

das am schlechtesten Bezahlte.“ Auch

den schieren Aufwand, der hinter einem

Buch steckt, hebt er hier ganz klar hervor.

Für die monatelange Arbeit bleibe

hier nämlich am Ende oft nicht mehr

viel übrig. Das sei auch der Tatsache geschuldet,

dass Bücher sich heutzutage

einfach nicht mehr so oft verkaufen wie

früher. Dem stimmt auch Thomas Brezina

zu, er unterstreicht hier „die enorm

hohe Anzahl der Neuerscheinungen.“

Die Konkurrenz schläft nämlich nicht,

und in diesem Fall muss die Konkurrenz

nicht unbedingt von einem anderen

Verlag stammen.

Denn wer den klassischen Weg über

einen Verlag nicht gehen möchte, dem

bieten sich heute Möglichkeiten, mit

wenigen Klicks selbst in die Verleger*innen-,

Vermarkter*innen- und auch Autor*innenrolle

zu schlüpfen. Das Stichwort

lautet Self-Publishing. Dank der

Unabhängigkeit war dieses Vorhaben

schon immer einfacher umsetzbar als

der klassische Weg über einen Verlag.

Den Druckkosten geschuldet war es

aber stets ein sehr teures Unterfangen.

Mittlerweile ist es dank E-Readern

aber möglich, auf Bestellung zu produzieren,

was die Kosten deutlich drückt.

Neben „Amazon“ bieten im deutschsprachigen

Raum etliche Verlage und

Buchhandelsketten verschiedenste

Self-Publishing-Tools an. Während sich

die Konditionen meist unterscheiden,

sind die Leistungen bei fast allen Anbietern

gleich, so Katrin Nussmayr in

„Die Presse“ (2016). Nach einer Prüfung

auf pornografische oder radikale Inhalte

werden die Bücher in den jeweiligen

Verkaufsverzeichnissen der Anbieter

gelistet und können erworben werden.

Die Kosten für das Listen des Buches

übernimmt der/die Autor*in und erhält

im Gegenzug für jedes verkaufte Exemplar

eine Provision. Doch so einfach

die Umsetzung auch klingen mag, umso

schwieriger ist es, auf diesem Weg

messbare Erfolge zu feiern. „Ich glaube,

Self-Publishing ist eines der schwierigsten

Dinge überhaupt und geht leider

oft schief.“, sagt Eva Reisinger. Laut ihr

seien es nicht unbedingt immer junge

Schriftsteller*innen auf der Suche nach

ihrer Chance zum Durchbruch. Letztere

würden ihre Texte tendenziell über

Blogs oder diverse Social Media-Plattformen

veröffentlichen. Self-Publishing

nütze im deutschsprachigen Raum eher

die ältere Generation für Nischenpublikationen,

die nicht für das große Publikum

gedacht sind.

Vom Ende der Einsamkeit

Was aber unabdingbar bleibt, ist der

Schreibprozess an sich. Dieser sei – hier

sind sich alle drei interviewten Schriftsteller*innen

einig – ein sehr einsamer.

Auch das damit einhergehende lange

Sitzen und Zweifeln sind für Thomas

Brezina Schattenseiten an seinem Beruf.

„Vielleicht handeln auch gerade

deshalb so viele Bücher vom Thema der

Einsamkeit“, so Eva Reisingers Blick auf

diese Thematik. Wolle man aber über

etwas anderes schreiben, müsse man

auch Erfahrungen sammeln, lautet deshalb

auch ihr Ansatz. Sie selbst schreibe

lieber im Café, im Büro oder in Schreibgruppen,

so gut wie nie aber zu Hause.

Michael Buchinger hingegen zieht es

hinaus in die Natur, wo er sich dann in

einem abgelegenen Haus voll und ganz

auf den Schreibprozess konzentrieren

kann: „Ich setze mir gerne Ziele und

enttäusche mich ungern selbst.“ Darum

reduziere sich sein Tagesablauf in den

intensiven Phasen mehr oder weniger

auf das Schreiben und Kochen. Sobald

er sein Tagesziel erreicht habe, seien

ihm aber auch Belohnungen wichtig.

Ein Blick in die Zukunft

Belohnungen und finanzielle Absicherung

würde sich Eva Reisinger ebenso

mehr für Autor*innen wünschen. Denn

ihrer Meinung nach sei die Förderlandschaft

im österreichischen Literaturbereich

definitiv ausbaufähig. Als ebenfalls

ausbaufähig sieht sie den Raum

für Diversität in den Verkaufsregalen

der Buchhandlungen. Den Aspekt der

Diversität hebt auch Michael Buchinger

als wichtig hervor und findet es

gut, dass Stimmen von Minoritäten

mittlerweile immer mehr Gehör finden.

Was Buchinger und Reisinger beide als

Wunsch für die Zukunft äußern, ist ein

aktiver Diskurs über die gekauften Bücher.

Sei es nun in Form von Book Clubs,

über Social Media oder einfach in Gesprächen

im Freundeskreis. Bevor ein

offenes Gespräch über das Gelesene

aber überhaupt stattfinden kann, müssen

die Bücher auch gekauft werden. So

wünscht sich Reisinger, „dass man sich

darüber bewusst ist, dass man Bücher

auch kaufen muss, damit Autor*innen

davon leben können.“ Und genauso wie

die Schriftsteller*innen von den Verkäufen

leben, lebt die Gesellschaft dann

vom Diskurs über das Rezipierte. Denn:

Lesen erweitert Horizonte und verbindet

Menschen.

von Valeria Brunner

Eva Reisinger

Copyright: Markus Zahradnik

Thomas Brezina

Copyright: Michael Pruegl

22

„Ach, du bist Schriftsteller*in?“ Einblicke in einen Beruf im Wandel


TURN THE PAGE 180 DEGREES!

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© Copyright: adobe stick / Corinna

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Danke für Ihre

Aufmerksamkeit! –

Erfolgsgarant Klicks

Wie die Einschaltquote für das Fernsehen, sind Klicks und Traffic das Um

und Auf für Erfolg im Online-Bereich. Generell ist Aufmerksamkeit die

zentrale Währung der Medienbranche, die Digitalisierung verschärft den

Wettkampf um ihren Erwerb maßgeblich. SUMO sprach mit Axel Maireder,

Kommunikationswissenschaftler und Geschäftsleiter im Institut für

Management- und Wirtschaftsforschung (IMWF) Österreich, und Lisa

Sophie Thoma, Influencerin und Managing Director Influencer & Branded

Entertainment bei diego5, über die Bedeutung von sozialen Medien und

wie traditionelle Medien auf die wandelnden Bedingungen reagieren

© Copyright: adobe stick / lassedesignen

Die Aufmerksamkeit, die wir Dingen zuwenden

ist dramatisch kürzer geworden.

Es geht alles viel schneller.“ Diese

Beobachtung stellt Maireder in Bezug

auf digitale Medien fest und weist somit

auf eine Flüchtigkeit hin, die das

aktuelle Rezeptionsverhalten prägt. In

endlosen Scrolling-Schleifen schweift

der Blick von einem Kurzbericht zur

nächsten Schlagzeile, ohne dass der

Inhalt richtig verarbeitet werden konnte.

Die visuellen Eindrücke überlagern

sich und Medien müssen die Aufmerksamkeit

der Rezipient*Innen innerhalb

von Sekunden einfangen. Im Internet

spiele laut Maireder zudem die freie

Zugänglichkeit von reichweitenstarken

Plattformen wie „YouTube“, „Twitter“

oder „Instagram“ eine tragende Rolle,

welche die Markteintrittsbarrieren im

Mediensektor erheblich senkten und

eine enorme Steigerung der werberelevanten

Player bewirkten. Demnach

buhlen nicht nur etablierte Medieninstitutionen

um Klickzahlen oder Videoaufrufe

der Nutzer*Innen, sondern gerade

auch Privatpersonen, die Content über

solche Plattformen distribuieren, im

Wettbewerb um die Aufmerksamkeit

und der Akquise von Werbepartnern

mitmischen. In diesem Sinne kam es zu

einer Demokratisierung des Öffentlichkeitszugangs,

der früher nur journalistischen

oder auch politischen Einrichtungen

vorbehalten war.

Beruf Influencer*In: öffentliche

Privatheit

Solch öffentlich wirksame Personen

werden in der heutigen Gesellschaft

als Influencer*Innen betitelt. Lisa Sophie

Thoma war langjährig selbst in

diesem Bereich tätig und konstatiert,

dass der Beruf stark von einer Überlagerung

des privaten und öffentlichen

Lebens bestimmt sei. Dadurch dass das

berufliche Schaffen stark personenbezogen

sei, herrsche eine stärkere emotionale

Bindung zur Zuschauerschaft.

Neben der Etablierung einer treuen

Community sind diese Umstände auch

besonders relevant für die Werbewirtschaft.

Influencer*Innen versammeln

Follower*innen um ihre Persönlichkeit,

die Interesse daran hegen welche Auffassungen

sie vertreten. Diesen Vorteil

machen sich Unternehmen zu Nutze,

indem sie Influencer*Innen als Botschafter*innen

für Produkte anwerben,

in der Hoffnung, dass Follower*Innen

durch die Reichweite sowie Einfluss

des*der Influencers*Influencerin zu

Kaufentscheidungen verleitet werden.

Thoma betont, dass potenzielle Konsument*Innen

so das Gefühl einer authentischen

Kaufempfehlung vermittelt

bekämen und diese Form des Marketings

in Zukunft noch häufiger vorzufinden

seien werde.

Sponsorenkooperationen sind sehr attraktiv

für Influencer*Innen und decken

gemeinsam mit plattformintegrierten

Werbeplatzierungen wie per Google

„AdSense“ ein breites Spektrum ihrer

Erlöse ab. Gerade deshalb sieht Thoma

es als absolute Notwendigkeit an,

Content über alle reichweitenstarken

Plattformen zu distribuieren, sodass

eine Diversifizierung und Absicherung

der Einnahmequellen erzielt wird. Das

Credo lautet hier also: So viel Klicks

wie möglich! Thoma weist jedoch auch

darauf hin, dass Influencer*Innen kreative

und wirtschaftlich durchaus nachhaltige

Wege gefunden hätten, um ihre

Tätigkeit zu finanzieren. Ab einer gewissen

Größe könnten sie beispielsweise

eigene Produkte oder Merchandising

rentabel an ihre Community verkaufen.

Außerdem spielen Social-Payment-

Service-Anbieter wie „Patreon“ eine

zunehmend wichtigere Rolle, die den

Nutzer*Innen die Möglichkeit bieten,

ihre Lieblings-Influencer*Innen mittels

direkter Spende zu unterstützen.

24

Danke für Ihre Aufmerksamkeit! – Erfolgsgarant Klicks


Können klassische Medien

auch digital?

Die Frage, die sich nun stellt: Was bedeutet

all dies für klassische Medienanbieter?

Auch sie adaptierten sich in

puncto wandelnder Bedingungen der

Digitalisierung und bedienen sich dabei

unterschiedlicher Techniken, um

im Rennen der Aufmerksamkeit nicht

ins Hinterfeld zu geraten. Schlagworte

wie „Click-Bait“ oder „Fake News“ ringen

dabei am „Lautesten“ und Maireder

meint einen Wandel im redaktionellen

Prozess zu erkennen. Dabei spricht er

von einer „Zuspitzung des Contents“.

Gerade journalistische Medien im Online-Sektor

würden sich eines griffigeren

Sprachstils bedienen, der stark mit

Extremen und Cliffhangern arbeitet und

die flüchtige Neugier der Leser*Innen

erwecken soll. Diese Darstellungsform

hat eine lange Tradition in Boulevard-

Bereich, fand jedoch durch die Digitalisierung

und Verknappung der Aufmerksamkeitsspanne

zunehmend Einkehr in

die Qualitätsmedien. Reißerische Überschriften

oder skandalisierende Wortwahlen

avancierten so zum Status Quo

und prägen den Online-Journalismus.

Klassische Medien entdecken des Weiteren

auch immer mehr Plattformen für

sich, die ihre herkömmlichen Distributionskanäle

komplementieren sollen.

Erst vor kurzen schlug die „Tik Tok“-Site

des ORF hohe Wellen und zeigt die

Bemühung des öffentlich-rechtlichen

Senders digitale Trends in ihre Strategie

zu implementieren. Thoma unterstreicht

diesbezüglich, dass gerade

jüngere Zielgruppen nur über solche

Wege erreicht werden könnten. 25% der

„Tik Tok“- Nutzer*Innen seien weder

auf ‚Instagram“ noch „Facebook“ aktiv

und verbringen ihre Freizeit schon gar

nicht mit dem Rezipieren von linearen

Fernsehprogrammen. Damit wird deutlich,

dass auch klassische Medien eine

Diversifizierung ihrer Kanäle erzielen

müssen, wenn sie die Aufmerksamkeit

aller Demographien für sich gewinnen

wollen.

in Anbetracht der Vorwürfe der Whistleblowerin

Frances Haugen gegenüber

„Facebook“ scheint die Situation noch

kritischer zu sein, als vorerst gedacht.

Profitinteresse übertrumpft in der Unternehmensphilosophie

das allgemeine

gesellschaftliche Wohl und sorgt dafür,

dass Verschwörungstheorien und unseriöser

Content in sozialen Medien zirkulieren.

Im Gegenzug konstatiert Maireder

jedoch, dass es sich bei jeglichen

Regulierungsinitiativen des Internet

um eine schmale Gratwanderung handelt.

Die großen Player erfüllen nämlich

auch eine relevante Funktion und seien

gerade durch ihre enorme Reichweite

besonders zugänglich für Informationssowie

Meinungsaustausch. Nichtsdestotrotz

steigen die Anforderungen an

die Konzerne und die Politik, verfolgt

mit zunehmendem Interesse der Abläufe

ihrer Unternehmungen. Im europäischen

Raum wird der Digital Service

Act weisen, welche Regelungen die

Internetökonomie zukünftig formieren.

Eines ist jedoch gewiss: Die Jagd nach

der Aufmerksamkeit wird auch das digitalisierte

Mediensystem und seine diversen

Akteure weiter begleiten. Koste

es, was es wolle.

Lisa Sophie Thoma

Copyright: diego5

von Wanja Lang

„Meta“ & „Google“: Content

ohne Grenzen

„Je mehr Likes und extreme Reaktionen

ein Inhalt auslöst, desto eher wird er

nach vorne gespült.“ Dieses Resümee

zieht Maireder und macht darauf aufmerksam,

wie die großen Internetkonzerne

über den Onlinemarkt thronen.

Die algorithmische Grundlage dieser

Seiten bestimmt, was in die Feeds der

Nutzer*Innen geschleust wird und wo

sich der Großteil ihrer Klicks versammelt.

Qualitätskriterien nehmen hier

oftmals nur eine mindere Rolle ein und

Axel Maireder

Copyright: IMWF

Danke für Ihre Aufmerksamkeit! – Erfolgsgarant Klicks

25


© Copyright: adobe stick / aerogondo

Was das Virus mit dem freien Theater macht

Das Budget ist klein, die Kultur groß – und der Vorhang bleibt immer öfters zu. Die freie Theaterszene bildet

neben den großen Institutionen wie dem Burgtheater eine zweite Säule in der österreichischen Theaterlandschaft.

Doch nicht nur die Covid-19-Pandemie, sondern auch mediale Angebote konkurrieren zunehmend um die

Aufmerksamkeit von Kulturbegeisterten. Wie halten kleine und mittlere Theaterbühnen dem zweiseitigen Konkurrenzdruck

stand und wie gehen sie mit den Herausforderungen der Covid-19-Pandemie um? SUMO sprach

darüber mit zwei Theaterleiter*innen und Schauspieler*innen: Ernst Kurt Weigel vom Off Theater Wien und Michaela

Ehrenstein von der Freien Bühne Wieden.

November 2021. Während das Theater

im Vormonat gerade erst wieder

etwas Fahrt aufnehmen konnte, kam

es im November vor dem nächsten

bundesweiten Lockdown zu einem

schlitternden Halt – wobei manche

mehr rutschten und manche weniger.

Je nach Beschaffenheit und Geschäftsmodell

variierte die Zufriedenheit von

Theaterhäusern proportional zur Saalauslastung.

Beides befand sich unterm

Strich jedoch auf dem Abwärtstrend.

Flächendeckend wurden Ticketeinbrüche

verzeichnet, selbst Premieren im

Burgtheater waren nicht voll besetzt.

Weist das Burgtheater, das größte

deutschsprachige Sprechtheater, eine

durchschnittliche Gesamtauslastung

von rund 66% auf, so stellt man sich

die Frage: Wie geht es dann den freien

Theatern? Und wie gehen diese damit

um, wenn coronabedingt wieder einmal

der Vorhang zubleibt?

Was ist „Freies Theater“?

Alternativ, trashig* und voller „Nebenjobber*innen“

mit unerfüllten Träumen

von der großen Bühne: Eigenschaften,

die nicht selten mit der freien, auch Offoder

Independent-Theaterszene in Verbindung

gebracht werden. Theaterhäuser

oder -ensembles, die Programm

abseits des Mainstreams produzieren,

häufig kein festes Ensemble haben und

zum großen Teil staatlich subventioniert

sind. Ja und Nein. Was ist ein Vorurteil,

was entspricht der Wahrheit?

Jenseits der großen Institutionen bilden

freie Theater die zweite Säule in

der professionellen Theaterlandschaft

Österreichs. Die Szene vereint viele

unterschiedliche Ästhetiken und Theatersparten.

Gleichzeitig gibt es einige

wesentliche Merkmale, die Akteur*innen

der freien Szene gemeinsam haben.

Off-Theater bieten einen Ort, an

dem darstellende Kunst abseits von

ästhetischen und inhaltlichen Anforderungen

und dem kommerziellen Druck

des Mainstream-Theaters eine Bühne

finden kann. Unmittelbar im Zentrum

steht zumeist die Auseinandersetzung

mit der Kunst auf sämtlichen Ebenen,

angetrieben von gesellschaftlichen

Themen. Nicht selten werden Themen

kollektiv im Ensemble erarbeitet, die

Hierarchien sind flach und die Ausrichtung

ist nicht kommerziell. Damit einhergehend

wird auch ein Teil der freien

Szene durch staatliche Mittel gefördert.

Viele Kunst- und Theaterschaffende

setzen den Schritt ins freie Theater

bewusst. Die selbstständigere Arbeitsweise

bietet entsprechende Möglichkeiten,

selbstbestimmter und autark

zu arbeiten. Zumeist arbeiten sie als

Teil eines Ensembles, das über eigene

Räumlichkeiten verfügt oder ziehen

als künstlerische Nomaden von Bühne

zu Bühne. Österreich weist eine große

Vielfalt an Off-Theatern auf. Unterschiede

in Stil, Programm und Inszenierung

prägen diese Vielfalt – und doch

müssen sich alle, zusammen mit der

restlichen Kultur des Landes seit März

2020 ein und derselben Herausforderung

stellen. Wie gelingt den kleinen

Bühnen die Pandemiebekämpfung?

Schockstarre vs. Learning by

Doing

Reaktion statt Aktion, lautet hierbei

die Devise für viele, vor allem für große

Häuser. Mangelnde Planbarkeit macht

deutlich zu schaffen. „Was ist ein Plan?“,

fragte sich die Intendantin des Landestheaters

Vorarlberg Stephanie Gräve in

einem ORF-Interview sarkastisch. „Klar,

wir haben Pläne und dann machen wir

wieder Pläne und wieder Pläne. Aber

was es natürlich braucht, ist größtmögliche

Flexibilität.“

Genau in dieser Flexibilität liegt der große

Vorteil der kleinen und mittleren**

Bühnen gegenüber den großen. „Man

traut sich halt mehr“, so Schauspieler

und Leiter des Off Theater Wien, Ernst

Kurt Weigel. „Auf ihrer großen Kohle

sind sie gesessen, Schockstarre. Was

sollen wir jetzt machen?“, kommentiert

er weiter das Handeln großer Bühnen

während des Lockdowns, oder das

Fehlen dieses. Die Flexibilität ermöglichte

es auch vor allem dem Wiener Off

Theater, schnell auf die Situation zu reagieren

und Online-Lösungen zu entwickeln.

Angesichts fehlender technischer

Kapazitäten und mangelnden Know-

Hows konnte zwar zunächst noch kein

absolut reibungsloser Ablauf eines Livestreamings

via Smartphone garantiert

werden.

26

Was das Virus mit dem freien Theater macht


Doch selbst über aufpoppende „Clubhouse“-Nachrichten,

die den Livestream

zusammenbrechen ließen konnte

gelacht werden, bevor der Ablauf durch

eine zunehmende Gewöhnung und verfeinerte

technischen Lösungen professionalisiert

wurde.

Flexibilität und Originalität als

gemeinsamer Nenner

Sowohl Weigel als auch Michaela Ehrenstein,

Leiterin der Freien Bühne

Wieden, zufolge sei diese Flexibilität in

sämtlichen Strukturen des freien Theaters

verankert. Auch in der Programmierung

werde stark davon profitiert.

Programmpläne werden je nach Theater

nur ein bis zwei Jahre im Voraus

gemacht, können leicht umgestoßen

und binnen kürzester Zeit komplett neu

ausgelegt werden – somit kann nicht

nur sehr beweglich auf coronabedingte

Änderungen eingegangen werden,

sondern vor allem auch auf gesellschaftliche.

Stücke können besser auf

das Zeitgeschehen angepasst werden

und neue Ideen viel schneller eingearbeitet

und wieder adaptiert werden.

Auch die Aufgliederung in Departments

ist bei Weitem nicht so groß, wie es

in den großen Häusern der Fall ist. So

werden Stücke im Falle des Off Theaters

Wien gemeinsam entwickelt und

Entscheidungen demokratisch im Team

getroffen. Dabei wird stets darauf geachtet,

Originalität zu wahren. Für die

Klassikerpflege sind die großen Häuser

zuständig sind, das freie Theater muss

neue Zugänge finden. Das ist der allgemeine

Konsens in der Branche. „Du

kannst keinen ‚Hamlet‘ machen, dafür

gibt es das Burgtheater. In der freien

Szene muss man etwas anderes machen,

so Weigel. Gleichzeitig machen

sich auch große Bühnen immer mehr

Impulse aus der Off-Szene zu eigen,

was es schwierig macht, eigene neue

Formen – eine „Off-Identität“ zu entwickeln

– eine ganz eigene Problematik.

Aus Alt mach Neu, aus International

mach Lokal

Aus diesen beiden Faktoren ergibt

sich ein großer Handlungsspielraum

für kleine und mittlere Bühnen. Nicht

nur sind diese flexibler und trauen sich

mehr, sondern haben auch die Möglichkeit

sich Mitteln zu bedienen, die in den

starren Konstrukten großer Häuser keinen

Zugang finden. „Es können Impulse

gesetzt werden, die in behäbigeren Betrieben

nicht möglich sind“, beschreibt

Ehrenstein die Dynamik kleiner Theaterbetriebe.

So baue die Freie Bühne Wieden auf

eine Kombination aus neuen Texten,

die im Rahmen von Uraufführungen mit

traditionellen Theaterpraktiken umgesetzt

werden und das Off Theater Wien

auf eine Vermischung von lokalen und

internationalen Stoffen, die sich vor allem

anhand der Sprache auszeichnen

und sich aneinander annähern. Grenzen

verwischen und es kommt zunehmend

zu Vermischungen von alt und neu, traditionell

und innovativ, lokal und international.

Und das Ergebnis, unter dem

Strich?

Natürlich ist ein wesentlicher Befähiger

dieses Handlungsspielraumes

auch das staatliche Fördergerüst, auf

das sich viele freie Bühnen stützen. Es

macht ein Stück weit unabhängig von

Eintrittserlösen – und zugleich stark

abhängig von der Gunst der Fördergeber.

Und diese möchten natürlich unter

dem Strich ein Ergebnis sehen. Dass die

Förderung bei Nichterbringung dessen

dann auch schnell wieder weg ist, zeigt

die Praxis. Erst im Jänner 2021 wurde

dem Off-Theater der Stadt Salzburg die

gesamte Jahresförderung gestrichen –

wegen unzureichender innovativer Aspekte,

heißt es in der Begründung. Wie

lassen sich also Förderverpflichtungen

mit dem Anspruch an Flexibilität und

Originalität der freien Theater vereinen?

Für Weigel stelle dies ein Kontrast

in sich dar. Dass „unterm Strich“ für

Kurator*innen aus eingereichten Stückkonzepten

ein Ergebnis herausspringen

soll, stehe mit seinem grundlegenden

Verständnis von der Aufgabe seines

Theaterschaffens im Konflikt: nämlich

Fragen aufzuwerfen und nicht, sie zu

beantworten. Das Ergebnis eines jeden

Theaterstücks sei somit für jede/n Zusehende/n

individuell interpretierbar.

Aus dieser hohen Subjektivität und Unberechenbarkeit

ergibt sich auch die

Schwierigkeit einer Förderung im freien

Theater.

Theater zwischen Nullen und

Einsen

Doch wie geht es in Zukunft weiter?

Werden Medien immer mehr Einzug

ins Theater finden – und umgekehrt?

Jüngste Entwicklungen sprechen dafür.

Nur eine Woche vor dem erneuten

landesweiten Lockdown im November

2021 ließ man im Rahmen der Nestroy-Gala

die ungewöhnlichste Spielzeit

der jüngeren Theatergeschichte Revue

passieren – und zeichnete digitale Formate

mit einem Corona-Spezialpreis

aus.

Auch im Programm des Off-Theaters

Wien werden Nullen und Einsen in Zukunft

weiterhin wesentliche Rollen

spielen. Das Feedback auf bisherige

digitale Lösungen fiel sehr positiv aus:

Man erreichte Publikum auf der ganzen

Welt und entdeckte neue Möglichkeiten,

mit Zusehenden durch die Kamera

zu interagieren. Darin, dass dabei digitale

Formate das Live-Erlebnis zunehmend

überflüssiger machen werden,

sieht Weigel keine Gefahr. „Solange es

Menschen gibt, gibt es Theater“. Genauso

wenig, wie es sich Cineast*innen in

Zukunft nicht nehmen lassen werden,

ins Kino zu gehen, werden Theaterliebhaber*innen

auch wieder ins Theater

zurückkehren. Zwar ist die Ablenkung

durch alternative Entertainmentformen

groß, doch so ist es auch der Drang,

über sich selbst zu lernen und sich Gedanken

darüber zu machen, welche

Aufgabe ein/e jede/r in der Welt hat.

Und das sieht Weigel als zentralen Aspekt

im Theater. „Im Mittelpunkt steht

der Mensch im Theater für mich. Der

Mensch, der leidet, der denkt, der liebt,

der stirbt und lebt und Leben schenkt,

der verzweifelt – das ist für mich interessant.

Und der wird immer interessant

sein und da brauche ich eigentlich gar

nichts dazu, außer einen guten Schauspieler

oder eine gute Schauspielerin,

der oder die mir etwas über mich beibringen

kann.

von Sarah Schöllhammer

Infobox

Klein, Mittel, Groß- und Vollbühnen.

Das sind die Unterschiede:

Während nach alter Definition die

Grundfläche der Bühne für die Klassifizierung

ausschlaggebend war,

wird heutzutage vor allem nach

Zuschauerkapazität untergliedert.

Fasst der Raum bis zu 99 Personen,

spricht man von einer Kleinbühne,

bei 100-400 Personen von einer

Mittelbühne und alles was darüber

liegt gilt als Voll- oder Großbühne.

Was das Virus mit dem freien Theater macht

27


(Cyber-)Mobbing –

Schreie, die niemand hört

Hass, Bloßstellung, keine Gnade und Grenzen. Weder online noch offline.

Ein neuer Treffpunkt des Mobbinggeschehens ist unter anderem

„TikTok“ geworden. Um das Thema besser zu verstehen, sprach SUMO

mit einem betroffenen Opfer und einem Täter, die in diesem Artikel den

Namen Nicole und Leon tragen.

Eine Stück Salami wird ihr ins Gesicht

geschossen: „Hier friss deine Artgenossen!

Du fette Sau!“ schreien einige

ihrer Mitschüler*innen. Andere filmen

während des gesamten Geschehens,

um es nachher auf „TikTok“ hochladen

zu können. Nicole bricht in Tränen aus.

Es sind Erzählungen aus einer Zeit, die

sie beinahe ins Grab gebracht hätten.

Einer Zeit, in der sie exzessivem (Cyber-)Mobbing

ausgesetzt war.

In ihrem Aufsatz „Cyberbullying als

neues Gewaltphänomen“ (2009) erläutern

Thomas Jäger und Julia Riebel, dass

es beim Cybermobbing darum gehe,

stetig neue Technologien einzusetzen,

um wiederholt und mit voller Absicht

andere Menschen zu beleidigen, zu bedrohen,

zu verletzen oder auch „nur“

um Gerüchte über sie zu verbreiten. Im

Fall von Nicole treffen alle erwähnten

Gründe zu.

Mobbing hat sich mit Technologien

weiterentwickelt

Das Cybermobbing hat schon bald in der

Schule begonnen. Neben Beleidigungen

im Klassenzimmer, Bloßstellungen in

der Pause und herablassenden Kommentaren

während der Busfahrt musste

sich Nicole auch in ihrer Freizeit dem

Mobbing hingeben. Nachrichten über

sie in Chats, bearbeitete Bilder von ihr

die die Runde machten oder Ausgrenzungen

von schulinternen Gruppen waren

ihr Alltag. Mit der Zeit entwickelten

sich nicht nur neue Kommunikationsplattformen,

sondern es wurden neue

Orte „erschaffen“, an denen exzessives

Mobbing betrieben werden konnte. „Sie

machten Bilder und Videos von mir, die

sie sich dann gegenseitig schickten.“ Die

Bilder, die daraus entstanden sind, wurden

auch meist Nicole selbst geschickt.

Gemeldet hat sie die Vorfälle nie. Sie

hatte Angst vor den Konsequenzen, vor

dem, dass ihr nicht geholfen und alles

noch schlimmer wird. „Im Nachhinein

weiß ich, dass ich mir damals schon

Hilfe suchen hätte sollen, aber ich habe

mir immer wieder eingeredet, dass ich

ja selbst daran schuld bin.“ Sie versuchte,

die Mobbingangriffe zu ignorieren;

so zu tun, als wüsste sie nichts von den

Bildern und Videos. Nicole hatte die

Hoffnung, dass sie irgendwann aufhören

werden. Doch das Gegenteil war der

Fall: Das Mobbing wurde in die Öffentlichkeit

verlegt, Videos über Nicole wurden

nun auf „TikTok“ gepostet. Ihr Outfit

und ihr Aussehen wurde in den Videos

bewertet. Außerdem wurde manchmal

das Mobbing in der Schule gefilmt und

über den chinesischen Kanal veröffentlicht.

Nicole betont, dass die Videos gar

nicht das Schlimmste waren, vielmehr

haben sie die Kommentare der anderen

User*innen verletzt. „Einige schreiben,

dass ich mich aufgrund meiner hässlichen

Visage doch am besten gleich

umbringen sollte. Andere machten Vorschläge,

wie man mich noch mehr bloßstellen

könnte. Ich war am Ende meiner

Kräfte.“ Die Folgen: Zwei Suizidversuche,

Aufenthalt in einer psychiatrischen

Klinik und die tägliche Einnahme von

Medikamenten.

Die Frage nach dem Warum

Der Videochatscreen bleibt schwarz.

Leon will unerkannt bleiben und vor

allem nicht gefilmt werden. Er selbst

bezeichnet sich bewusst als Täter und

weiß auch, was er damit anrichten kann

und anrichtet. Seine Welt ist „TikTok“.

Hier betreibt er eine Art von Hetzjagd

gegen bestimmte User*innen und andere

Personen, denen er zufällig begegnet.

Um die Handlungen und vor allem

die Gedanken hinter Cybermobbing

besser verstehen zu können, gibt Leon

einen Einblick in die Welt der Täter. „Ich

will jetzt nicht sagen, dass ich es hauptsächlich

aus Langeweile mache, weil

es so einfach und fast schon grausam

klingt, aber was soll ich machen, Langeweile

ist eigentlich der Hauptgrund.“ Es

sei eine Ablenkung vom Alltag, geprägt

von Neid, Langeweile und Gruppenzugehörigkeit.

Durch die gemeinsame

Abneigung gegen einen Menschen auf

„TikTok“ entstünden Gruppen, er fühle

sich dann in seiner Meinung bestätigt

und erwünscht. Er selbst verfüge bereits

über 20 Accounts, via dieser er

Hass-Kommentare schreibe. Content

habe er auf keinen der Kanäle bereitgestellt.

Was ihn am meisten triggere,

seien Frauen, die mit ihren Videos

bewusst nach Bestätigung suchten.

„Wenn die keinen Hate haben wollen,

dann sollen die den Kommentarmodus

ausschalten, die wollen ja beleidigt

werden, um Reichweite zu bekommen.“

Der Schäden, die er mit seinen Bemerkungen

anrichtet, sei er sich zwar bewusst,

aber es ist ihm ziemlich gleichgültig.

Seiner Meinung nach sollte man

keine Videos auf „TikTok“ posten, wenn

man das Echo nicht aushalte. Videos,

die jemanden bloßstellen sollen, wie

am Beispiel von Nicole, findet er unterhaltsam.

„Es ist ein einfacher Weg, sich

einer Gruppe anzuschließen und die

paar Kommentare tun doch niemanden

weh.“ Ein weiterer Punkt den Leon an

Cybermobbing schätzt ist die Anonymität.

Seine Identität sei geheim und das

gebe ihm die nötige Sicherheit. Er benütze

stets, wenn er online unterwegs

ist ein Pseudonym. Außerdem finde

er die Intensität des Kanals wichtig:

Manchmal werde ein von ihm geposteter

Kommentar zum Top-Kommentar,

das bedeutet, dass er somit schnell zu

sehen ist. Es erreicht somit ein großes

Publikum.

Im Jahr 2017 führte das Statistik Research

Department in Deutschland

eine Umfrage zu den möglichen Motiven

von Cybermobbing durch. Befragt

wurden 212 Schüler*innen, die schon

einmal Cybermobbing betrieben haben.

Rund 45% der 212 Befragten gaben an,

Cybermobbing zu betreiben, weil es

die betroffene Person verdient hätte.

43% erwähnten, dass sie Streit mit der

gemobbten Person haben und es deswegen

tun. Aus Spaß machen es etwa

23%.

Mobbing kann Menschen kaputt machen.

Sie bis zum Äußersten bringen.

Doch das Grausamste am Mobbing ist

die Tatsache, dass die Täter*innen ihren

sogenannten Spaß schon nach kurzer

Zeit vergessen und Opfer noch Jahre

später über die Taten und Worte der

Mobber*innen nachdenken und sich

den Kopf darüber zerbrechen, WARUM

gerade sie zum Opfer wurden. Hier sollten

auch die Kanalbetreiber ansetzen

von Jennifer Binder

28

(Cyber-)Mobbing - Schreie, die niemand hört


Entweder, oder? Ich will alles.

Johannes, 24 Jahre

Teile deinen persönlichen #glaubandich Moment auf:

Was zählt,

sind die Menschen.

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG

Daniela Grilnberger im Interview

29


Gratiszeitungen – grenzen- und kostenlos

in einer Wegwerfgesellschaft

Ausgehend von Schweden belebt die Gratiszeitung weltweit den kriselnden Zeitungsmarkt. Doch nicht auf

allen Zeitungsmärkten schaffte es die Gratispresse erfolgreich Fuß zu fassen. Mit Fokus auf den DACH-

Raum diskutiert SUMO über die Implementierung und Etablierung der Gratiszeitung mit dem Medienwissenschaftler

und Direktor des Instituts für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung

Michael Haller und Fritz Hausjell, stv. Vorstand am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft

der Universität Wien.

© Copyright: adobe stick / e_polischuk

Vor einiger Zeit haben Tageszeitungen,

die allein durch den Werbemarkt

finanziert werden, weltweit die bislang

statischen Marktverhältnisse aufgebrochen.

Etablierte Zeitungsverlage sehen

ihre Marktposition und ihren Stellenwert

in der Gesellschaft bedroht. In

manchen Ländern resultiert daraus ein

hart umkämpfter Wettbewerb, konstatierte

Horst Röper bereits 2006 („Media

Perspektiven“). Zudem birgt die Abhängigkeit

vom Werbemarkt zwei wesentliche

Probleme: Zum einen herrscht

eine große Substitutionskonkurrenz

auf dem Markt, zum anderen können

Werbetreibende fast identische Zielgruppen

erreichen, in verschiedenen

Medienprodukten werben oder auf das

Internet ausweichen, so Mündges und

Lobigs („Handbuch Medienökonomie“,

2020).

Historischer Überblick

Die Geburtsstunde der Gratistageszeitung

reicht bis ins Jahr 1882 zurück. Der

Unternehmer Charles Coleman schaffte

es seinen „Generalanzeiger für Lübeck

und Umgebung“ in hoher Auflage zu

produzieren und zu verteilen. Später

wurde die Zeitung schrittweise zu einer

Kaufzeitung umgestellt. Ähnliche Vorreiter

sind unter anderem die „Manly

Daily“ aus Australien, „Aspen Daily“

in den USA und die „Daily News“ aus

Großbritannien, stellte Michael Haller

in seinem großen Forschungsprojekt

„Gratis-Tageszeitungen in den Lesermärkten

Westeuropas“ fest (erschienen

als Buch 2009). Mit der Gründung

des Titels „Metro“ 1995 in Stockholm

hat sich das Konzept als wirtschaftlich

tragfähig erwiesen. Das Boulevardblatt

etablierte sich schnell als nachgefragter

Zeitungstyp, dennoch wurde die

neue Marktnische auf Seiten der Qualitätszeitungen

behindert. Diese Strategie

funktionierte in manchen Ländern

weniger erfolgreich als in anderen, so

Röper. Somit etablierten sich innerhalb

von Europa markante unterschiedliche

Trends. Bevor es Gratiszeitungen im

tagesaktuellen Bereich gegeben habe,

wurden bereits Gratisblätter, wie das

„Bezirksblatt“, seit den frühen 1990er

Jahren in Österreich verbreitet. Von den

Menschen werde aber auch in dieser

Hinsicht wahrgenommen, dass die redaktionelle

Kraft eher bescheiden sei.

Diese Form der Gratispublizistik sei

bereits am Land bekannt gewesen und

habe nicht die Qualitätszeitungen betroffen,

erklärt Hausjell.

Die Distributionskanäle von

Gratiszeitungen

Um Reichweite zu generieren, müssen

Zeitungen, die ausschließlich über

Werbeerlöse finanziert werden, ihren

Fokus auf die Distributionspolitik legen.

Um optimale Reichweite erzielen

zu können und um die entsprechende

Zielgruppe, meist im Alterssegment

von 25-50-jährigen, zu erreichen, bedarf

es einer Distributionslogik, die das

Publikum zeitlich sowie räumlich anspricht,

sodass es optimal nutzungswillig

ist. Wichtig dabei ist, dass potentielle

Rezipient*innen auf die Zeitung

aufmerksam gemacht und in weiterer

Folge angelockt werden. Die Medienhäuser

setzen dabei auf die Verteilung

meist im öffentlichen Nahverkehr, per

Zeitungsspender oder Handverteiler.

Demnach werden Gratiszeitungen auch

oftmals als Pendlerzeitungen betitelt,

da diese überwiegend in Bahnhöfen

verteilt werden. Dieses effiziente Verfahren

bringt unter anderem den Vorteil,

dass innerhalb kürzester Zeit viele

Exemplare verteilt werden können.

Berufstätige junge Pendler*innen sind

für die Werbewirtschaft besonders attraktiv.

Auf diese Weise können aber

auch Angehörige von Minderheiten

eher erreicht werden, konstatierte

Haller 2009. Viele Menschen würden

die Gratisblätter als eine Art Ergänzung

zu ihren üblichen Medien lesen,

meint Hausjell. Besonders das sozial

schlecht gestellte Publikum greife am

stärksten zur Gratispresse, das sei aber

auch durchaus auf Seiten der Medienmacher*innen

intendiert.

Michael Haller

Copyright: HMS

Ein Vergleich im DACH-Raum

Die Zeitungsmärkte der DACH-Länder

weisen Gemeinsamkeiten in Punkto

Struktur und Entwicklung auf, aufgrund

von historischen Ereignissen und

unterschiedlichen Marktgrößen gibt es

laut Mündges und Lobigs aber auch

fundamentale Unterschiede. Während

die Tamedia AG (heute TX Group AG)

mit dem Boulevardblatt „20 Minuten“

(deutschsprachig) und „20 Minutes“

(französischsprachig) sowie die Ringier

AG – bis 2018 – mit „Blick am Abend“

es geschafft haben, drei gut aufgestellte

Gratiszeitungen mit hohen Reichweiten

in der Schweiz zu etablieren,

hat sich laut Haller in Deutschland bisher

auch aus rechtlichen Gründen keine

Gratistageszeitung richtig entfalten

können. Auch die Schweizer Gratiszeitungen

nahmen ihren Ausgangspunkt

in Skandinavien. Die schwedische Boulevardzeitung

„Aftonbladet“ des nor-

30


Fritz Hausjell

Copyright: Miel Satrapa

wegischen Medienkonzerns Schibsted

stand in direkter Konkurrenz mit dem

schwedischen Kinnevik-Konzern, da

dieser 1995 in Stockholm mit seiner

Tochtergesellschaft Modern Times

Group das Gratisblatt „Metro“ lancierte

und den Abo-Zeitungen einen Teil

ihres Anzeigenaufkommens wegnahm.

Schibsted übernahm die Strategie der

Konkurrenz und gründete mit Partnern

in der Schweiz die 20 Minuten Holding

GmbH. Auch in Österreich haben

sich drei Gratistageszeitungen durchgesetzt:

„Heute“, „Österreich“ und die

„Tiroler Tageszeitung Kompakt“ haben

sich konsolidiert und es geschafft, den

Zeitungstyp zu etablieren. Nach der

Einführung des Blattes „Heute“ 2004

versuchte „Österreich“ 2006 erst als

reine Kaufzeitung Fuß zu fassen. Jedoch

habe der Markt dies nicht getragen,

sodass der allergrößte Auflagenteil

gratis vertrieben wird. Vor der

Gründung von „Heute“ publizierte der

Verlag Mediaprint („Krone“ und „Kurier“)

2001 als Verteidigungsstrategie

gegen Schibsted sein eigenes Wiener

Gratisblatt „U-Express“. Auf Grund der

steigenden Kosten, die für die notwendigen

Qualitätsstandards essenziell

waren, und wegen Konflikten mit den

Miteigentümern der „Kronen Zeitung“

habe man sich nach drei Jahren dazu

entschieden, ihn wieder einzustellen. In

Deutschland wurden Gratiszeitungen

nach mehreren gescheiterten Versuchen

um die Jahrtausendwende vollständig

vom Markt verdrängt, schrieb

Haller 2009. Großverlage wie Springer

wollten keine kostenlose Zeitung in

Deutschland, weil sie um das eigene

Geschäft fürchten. Europaweite Untersuchungen

ergaben laut Marcus Haas

(„Media Perspektiven“, 2006) aber,

dass die Ängste eher unbegründet sind.

Nachdem in Deutschland das Projekt

„15 Uhr aktuell“ beendet wurde und der

sogenannte Kölner Zeitungskrieg in den

Jahren 1999-2001 ausgefochten war,

traute sich kein Verleger mehr, in den

größten und umsatzstärksten Markt

einzutreten, so Medienforscher Haller.

Die schwedischen Medienkonzerne

Metro International und Schibsted

planten den Eintritt, nahmen allerdings

wieder Abstand von diesem Vorhaben.

Ein Grund für den Rückzug sei vor allem

die Angst vor einem langen Kampf mit

der führenden Axel Springer-Verlagsgruppe

gewesen. Seither gab es keine

erneuten Anläufe, Gratistageszeitungen

zu etablieren. Deutschland illustriert

laut Haller, dass der Rückgang

von Marktanteilen deutscher Zeitungen

und auch die Gesamtauflagen der Tagespresse

unbeeinflusst von der Gratispresse

verlief.

Auswirkungen des Typus

Gratiszeitung

Hypothetisch gesehen, können zwei

verschiedene Trends aus der Diskrepanz

zwischen Boulevard- und Qualitätszeitungen

entstehen. Entweder

schaffen es kostenlose Zeitungen als

Ersatz für Kaufzeitungen zu fungieren

und werden diese zu gegebener

Zeit vom Markt verdrängen. Oder sie

werden als erkennbares andersartiges

Substitutionsprodukt anerkannt, das

laut Haller (2009) eine andere Leserschaft

beziehungsweise Nutzungswünsche

bedient. Zudem hat sich die

wirtschaftliche Basis der Presse verschlechtert.

Werberückgang und Auflagenschwund

bestimmen die Lage,

somit gefährden knappe Ressourcen

die Qualität des Journalismus, konstatierten

Hagenah, Stark und Weibel

(„Medien und Kommunikationswissenschaft“,

2015). Laut Haller würden

immer weniger junge Menschen Qualitätsjournalismus

unterstützen, da die

Inhalte jener Zeitungen auch in Zukunft

online verbreitet werden. Das Ganze

erfolge auf einer stark diversifizierten

Weise, vom E-Paper über Podcasts,

lokale TV-Videos sowie Newsletter bis

hin zu digitalen Special Interest-Angeboten

und Services. Hinter der Vielfalt

stecke dennoch auch eine gewisse

Einfalt, da die Inhalte einer Mehrfachverwertung

unterliegen. Aus einer Recherche

entstehen viele verschiedene

Ausspielformate, dies könne für die

Endnutzer*innen mühsam werden, da

herausgefiltert werden muss, ob es

sich nun um einen identen Inhalt handle,

unterstreicht Hausjell. Aktuell beob-

achte man die Weiterentwicklung vom

Gratisangebot zum hybriden Angebot,

das bedeute, dass das informatorische

Grundrauschen gratis bleibe, eigene

Stories aber via Paywall nur mehr kostenpflichtig

einsehbar sind. Das führe

insbesondere zum oft debattierten

Thema Clickbaiting. Die Gratiszeitung

sei im Unterschied zu den Wochenblättern

für Haller lediglich ein Übergangsmodell.

An dieser Stelle könne man sich

das bekannte Riepl’sche Gesetz in Erinnerung

rufen, wonach neue Medien alte

Medien nicht verdrängen. Gratiszeitungen

werden in dieser Hinsicht als eine

Ergänzung des Marktes und nicht als

Ersatz angesehen. Haller zufolge funktionieren

digitale Gratisangebote als

Erweiterung der gedruckten Gratiszeitung,

die hätte gegen die Ubiquität des

Internet keine Chance. Wenn man sich

ansieht, wie oft klassische Printmedien

schon zu Grabe getragen worden sind,

haben sie dennoch sehr viele andere

Medien, unter anderem das Radio und

Fernsehen, miterlebt sowie überlebt.

Sieht man sich die mutmaßliche Inseratenaffäre

rund um eine österreichische

Gratiszeitung ansieht, dürfe nicht

außen vorgelassen werden, dass diese

Skandale auch einen erheblichen Einfluss

auf die Zukunft jener Blätter haben

werden, resümiert Fritz Hausjell.

von Viktoria Ecker

31


Behindertensport im

medialen Rampenlicht

Während den Paralympics 2021 kämpften die Medien förmlich um ihre

Sendezeit. Allein der britische Fernsehsender „Channel 4“ übertrug mehr

als 1.300 Stunden aus Tokio. Nach Großevents allerdings wird dem Behindertensport

nur noch wenig mediale Aufmerksamkeit geschenkt. Über

mögliche Gründe beziehungsweise zukünftige Hoffungen sprach SUMO

mit dem Präsidenten der Special Olympics Österreich Peter Ritter sowie

Nico Feißt, Pressesprecher des Parasportvereins TSV Bayer 04.

Einmal Gold, fünfmal Silber und dreimal

Bronze – diese zufriedenstellende Bilanz

zog die österreichische Nation nach

den Paralympics 2021 in Tokio. Obwohl

es „nur“ ein Medaillenspiegel ist, zeigt

dieser laut einer Presseaussendung

des Österreichischen Paralympischen

Committee deutlich die Professionalisierung

des Behindertensports auf. „In

den vergangenen Jahren hat sich der

Behindertensport stark weiterentwickelt

und ist heutzutage auf einem noch

nie dagewesenen Niveau“, erklärt Nico

Feißt. Sein Verein TSV Bayer 04 Leverkusen

umfasst diverse Sportarten, von

Schwimmen über Sitzvolleyball bis zu

Leichtathletik, er selbst wurde im letzteren

Bereich für den Paralympic Media

Award nominiert. Auch der Präsident

der Special Olympics Österreich Peter

Ritter schließt sich dieser Meinung an:

„Das Interesse, der Bekanntheitsgrad

und die Möglichkeiten des Behindertensports

sind im Vergleich zu den letzten

Jahrzenten deutlich gestiegen.“ Eine

wesentliche Unterscheidung, die hierbei

vorgenommen werden muss, ist die

Abgrenzung zwischen Paralympics und

Special Olympics. Beide Sportbewegungen

verfolgen die gleichen Ziele und

Vorstellungen, doch während bei den

Paralympics nur Personen mit körperlicher

Behinderung teilnehmen dürfen,

werden bei den Special Olympics auch

Personen mit intellektueller oder Mehrfachbehinderung

inkludiert. Die Sportnation

Österreich ist insgesamt nicht

nur bei den Paralympics, sondern auch

bei den Special Olympics äußert erfolgreich.

So konnten die Sportler*innen bei

den Sommerspielen 2019 in Abu Dhabi

52 Medaillen mit nach Hause bringen.

Medien – aber wohin schauen

sie?

Vom 24. August bis 5. September 2021

war kaum ein anderes Sportthema präsenter

in den Medien als die Paralympics.

Warum so plötzlich? „ORF Sport+“

übertrug tägliche Tageszusammenfassungen,

ARD sowie ZDF haben mit

mehr als 62 Stunden so viel wie selten

zuvor live die Paralympics übertragen.

Der britische Fernsehsender „Channel

4“ widmete sich in den 13 Tagen voll

und ganz dem Behindertensport und

übertrug sogar mehr als 1.300 Stunden

aus Tokio. Doch nach dem Großevent

wurden – und werden – die Berichterstattungen

deutlich weniger. Eine

Studie aus dem Jahre 2016, die im Auftrag

des österreichischen Sozialministeriums

durchgeführt wurde, bestätigt

diese Schieflage und zeigt, dass sich die

Berichterstattung über Menschen mit

Beeinträchtigung lediglich auf einige

wenige Themenschwerpunkte konzentriert.

Knapp 60% des Berichtsvolumen

der untersuchten Medien entfällt auf

die Themen Paralympics, Sportunfälle

und Charity. Über sonstige sportliche

Ereignisse und Erfolgsgeschichten wird

merklich weniger berichtet. Nico Feißt

sieht die mediale Situation nicht ganz

so eng und hebt vor allem die positiven

Veränderungen hervor. „Das mediale

Interesse ist im Vergleich zu den letzten

Jahren deutlich gewachsen. Heutzutage

wird der Behindertensport auch

in Nachrichtenblöcken erwähnt, was

früher undenkbar gewesen wäre. Obwohl

die Berichterstattung zwischen

den Paralympics abnimmt, kann man

erkennen, dass deutlich mehr über den

Behindertensport als in der Vergangenheit

gesprochen wird.“ Gründe für das

steigende Interesse der Medien sieht

er vor allem in der hohen Professionalisierung

und generellen Attraktivität des

Behindertensports. Auch Peter Ritter

betont die positiven Seiten der Berichterstattung:

„Egal, wie klein ein Beitrag

ist, er bringt ein enormes Ergebnis und

steigert den Bekanntheitsgrad des Behindertensports.

Speziell in den so genannten

Erste Welt-Ländern kann man

gute mediale Entwicklungen sehen, da

das gesellschaftliche Interesse und die

Möglichkeiten wachsen.“

32

Behindertensport im medialen Rampenlicht


Liegt es in der Natur der

„Sache“?

Laut Nico Feißt gebe es verschiedene

Gründe, warum dem Behindertensport

nach Großevents weniger mediale Aufmerksamkeit

geschenkt werde.

„Dass die Berichterstattung abnimmt,

ist logisch und liegt in der Natur der

Sache. Wenn man sich mal anschaut

über wie viele Sportarten nach den

Olympischen Sommerspielen berichtet

wird, bleibt eigentlich auch nur der

Fußball übrig.“ Darüber hinaus möchten

viele Vereine und Verbände das Risiko

hinsichtlich ihrer Ressourcen nicht eingehen,

um Kamera- oder Fotografenteams

zu engagieren. Dadurch werde

automatisch weniger über behinderte

Sportler*innen berichtet. Peter Ritter

erklärt sich das abnehmende Interesse

der Medien nach Großevents ähnlich

und behauptet: „Olympiaden, Weltmeisterschaften

und nationale Spiele

haben einen anderen Stellenwert in unserer

Gesellschaft als kleinere Events.

Dadurch ist es klar, dass die Berichterstattung

nach Special Olympics oder

Paralympics abnimmt.“ Ebenso ergänzt

Ritter, dass zum Beispiel Bezirksmeisterschaften

des Behindertensports

eher in Bezirkszeitungen aufgegriffen

werde und es oftmals durch die geringere

Lesereichweite so wirke, als würde

gar nicht darüber berichtet werden.

de. Peter Ritter sieht der Zukunft ebenso

freudig entgegen und betont, dass

die inklusiv-gesellschaftliche Bedeutsamkeit

des Behindertensports in den

letzten Jahren erst so richtig bewusst

gemacht worden ist. „Menschen mit

Behinderungen werden nicht mehr versteckt,

man wird sie zweifellos auch in

Zukunft weiterhin stark medial aufzeigen.

Wenn genauso viel Aufmerksamkeit

den Menschen mit Behinderung

wie den Menschen ohne Behinderung

geschenkt wird, dann haben wir

schlussendlich unser Ziel erreicht“, resümiert

Ritter.

von Kathrin Plchot

© Copyright: adobe stock / victor217

Rosige Aussichten

Nico Feißt und Peter Ritter sind sich darin

einig, dass die mediale Zukunft des

Behindertensports vielversprechend

aussehe. „Die Berichterstattung über

die Paralympics 2024 in Paris wird mit

Sicherheit nochmal ein neues Level erreichen.

Bereits 2012 bei den Paralympics

in London habe ich gedacht, dass

es größer nicht mehr werden kann –

und siehe da, die Entwicklungen sind

gigantisch‘“, konstatiert Feißt euphorisch.

Medien haben mittlerweile verstanden,

dass der Behindertensport ein

gesellschaftlich etabliertes Thema sei

und sich an großer Beliebtheit erfreue.

„In London 2012 haben wir es versucht,

alle Interviewanfragen möglich zu machen,

in Tokio 2021 war das aufgrund

der Vielzahl einfach nicht mehr machbar“,

fügt der Pressesprecher hinzu.

Außerdem ist Feißt davon überzeugt,

dass die Berichterstattung auch zwischen

den Großevents zunehmen wer-

Peter Ritter

Copyright: Amt der Vorarlberger LR

Nico Feißt

Copyright: Oliver Kremer_DBS

Behindertensport im medialen Rampenlicht

33


Das Lizenz-Roulette:

Sportübertragungsrechte im Geldrausch

Sport spaltet, bewegt und verbindet. Sei es Fußball, Formel 1 oder Skifahren – Rezipient*innen versammeln sich

in Scharen vor den Bildschirmen, um diese Events live mitzuverfolgen. Hinter den Kulissen tragen ORF, „DAZN“,

„Sky“ & Co. jedoch ihren eigenen Wettbewerb aus und müssen für die begehrtesten Übertragungsrechte die

Grenzen ihres Budgets ausreizen. Wie sich der Sportlizenzmarkt über die letzten Jahre weiterentwickelte und

welche Hürden in Zukunft zu überwinden sind, erfuhr SUMO im Gespräch mit Hans Peter Trost, Leiter der Hauptabteilung

Sport beim ORF, und Mario Lenz, Operating Officer & Director Group Sports Rights bei „PULS 4“.

„Live ist DAS wesentlichste Ereignis im

Sport“, erklärt Trost und weist damit

auf die Bedeutsamkeit von Sportübertragungsrechten

für TV-Unternehmen,

deren Rezipient*innen als auch die

Werbewirtschaft hin. Die Faszination

rund um Sport sei so tief in der Gesellschaft

verankert, dass nahezu alle

Sinus-Milieus (Zielgruppen-Typologien)

angezogen werden. Gerade Großereignisse

machen dies besonders deutlich.

Das letztjährige Hahnenkamm-Rennen

2021 verfolgten im ORF 1,4 Millionen

Österreicher*innen und das Finale der

Europameisterschaft 2021 fesselte sogar

rund 2 Millionen an die heimischen

Bildschirme. Daran anknüpfend betont

Lenz auch, dass Leute aktiv nach Sportinhalten

suchen. Anders als bei Programmpunkten

im Unterhaltungsbereich

fallen hier die Werbemaßnahmen

geringer aus, da die relevanten Zielgruppen

die Sportinhalte meist schon

antizipieren oder sich selbstständig

über ihre Ausstrahlung informieren.

All diese Umstände machen exklusive

Sportlizenzen so attraktiv, sind aber

auch der Grund, weswegen sie sich zu

so kostspieligen Gütern entwickelt haben.

Doch wie werden diese Lizenzen

eigentlich erworben?

Lizenzhandel im Wandel

Pauschal lässt sich darauf keine eindeutige

Antwort formulieren, denn je

nach zuständigem Sportverband gibt es

abweichende Abläufe und andere Entscheidungskriterien.

Grundsätzlich lassen

sich jedoch Unterschiede im Erwerb

von Premium-Lizenzen, wie die UEFA

Champions League oder die Formel 1,

und „kleineren“ Lizenzen aus weniger

populären Sportarten erkennen. Die

bedeutsamen Übertragungsrechte von

wirtschaftlich lukrativen Lizenzgebern

werden im Normalfall plattformneutral

ausgeschrieben und Interessenten

können sich innerhalb eines festgesetzten

Zeitraums für die befristeten

Lizenzen bewerben. Die Vergabe läuft

allerdings nicht über die zuständigen

Sportverbände, sondern wird von externen

Agenturen abgewickelt. Früher

kümmerten sich die Sportverbände

selbstständig um die Vergabe ihrer Lizenzen,

jedoch weist Trost darauf hin,

dass die zunehmende Komplexität im

Lizenzhandel ein eigenständiges Vorgehen

ohne juristische Beratung unmöglich

machte. Anders als vor 20 Jahren

seien Übertragungsrechte heutzutage

in zahlreiche Lizenzpakete segmentiert.

So können Unternehmen das Recht

erwerben, Highlights von Sportereig-

© Copyright: adobe stock /victor217

34 Das Lizenz-Roulette: Sportübertragungsrechte im Geldrausch


nissen auszustrahlen, Wettbewerbe

zeitversetzt zu übertragen oder lediglich

News-Elemente in ihr Programm

zu integrieren.

Trotz der gestiegenen Vielfalt an Produkten

herrscht am meisten Interesse

noch immer rund um die Live-Übertragungsrechte,

da sie, gerade wenn sie

exklusiv für ein Sendegebiet erworben

werden, klare Wettbewerbsvorteile

schaffen können. Die Segmentierung

der Lizenzen ist aber auch mit wirtschaftlichen

Vorzügen für die Sportverbände

und damit einhergehend den

einzelnen Vereinen verbunden. In der

letzten Ausschreibung der 1. und 2.

Bundesliga konnte die Deutsche Fußball

Liga nach eigenen Angaben durch

die verschiedenen Pakete Lizenzerlöse

in Höhe von über 4 Milliarden € generieren.

Bei kleineren Lizenzgebern ist wesentlich

weniger Geld im Umlauf, aber Lenz

erkennt dafür eine engere Partnerschaft

zwischen Verband und Lizenznehmer.

Hier verzichten die Verbände

meist auf externe Agenturen, da sowohl

die gebotenen Lizenzen als auch die

Menge an Interessenten überschaubar

seien. Die Lizenzvergabe wird somit eigenständig

vom Verband übernommen.

Aus eigenen Erfahrungen bei den Verhandlungen

mit derartigen Lizenzgebern

berichtet Lenz weiters von direkter

Absprache und größerer Flexibilität

in der genauen Struktur der Rechtepakete.

Die Lizenzen der bedeutsamen

Sportverbände seien im Vergleich meist

mit strengen Auflagen verbunden und

generell herrsche wenig Verhandlungsspielraum

in Bezug auf die Rahmenbedingungen

der Übertragung. Dies hänge

auch damit zusammen, dass aufgrund

der Lukrativität dieser Rechtepakete

ein schwächeres Abhängigkeitsverhältnis

auf Seite des Lizenzgebers vorzufinden

ist. Kleinere Verbände suchten

dahingegen händeringend nach langfristigen

Partnerschaften und seien daher

offener für Kompromisse.

ORF rückt in zweite Reihe?

„Die Zeiten, wo jemand forderte, ich

zahle eine Gebühr und möchte alles

haben, sind vorbei.“ Diese These stellt

Trost auf und gesteht ein, dass es sich

für den ORF in Zukunft immer schwieriger

gestalten werde, anderen Marktteilnehmern

in Österreich lukrative Lizenzen

strittig zu machen. Dafür fehle

schlichtweg die Zahlungskraft. Der

Wettbewerb hat in der jüngsten Vergangenheit

wesentlich an Fahrt aufgenommen

und Unternehmen wie „Sky“,

„DAZN“ oder auch „Servus TV“ zementierten

ihr gewinnorientiertes Interesse

an der Übertragung von Sportereignissen.

Das Geld bündelt sich in Österreich

hauptsächlich um wenige Sportarten,

die garantiert Zuschauer*innen versprechen

und sichere Investitionen abbilden

– allen voran Fußball, gefolgt von

Formel 1 und Skifahren. Der ORF kann

im Vergleich dazu eine viel größere Varietät

aufweisen und zeigt über all seine

Kanäle insgesamt 75 verschiedene

Sportarten. Dieser Umstand ist auf den

gesetzlich definierten Programmauftrag

zurückzuführen, bietet dem ORF

aber auch die Möglichkeit, Sportarten

mit einer vermeintlich niedrigeren Zuschauerschaft

massentauglich mitaufzubauen.

Trost sieht hier vor allem

Entwicklungspotential im Frauenfußball

und unterstreicht die Investitionen,

welche der ORF erfolgreich über die

letzten Jahre in diesem Bereich tätigte.

Die EM-Halbfinalpartie zwischen Österreich

und Dänemark verfolgten zum

Beispiel 1,3 Millionen Menschen live

mit, wodurch deutlich wird, dass der

ORF nicht unbedingt auf Premium-Lizenzen

angewiesen ist.

Die Übertragung von Frauenfußball ist

ein exzellentes Beispiel für ein Lizenzprodukt

mit unausgeschöpften Potential.

Grundsätzlich konstatiert Lenz

Hans Peter Trost

Copyright: ORF-Thomas Ramstorfer

jedoch: „Die attraktivsten Sportrechte

kosten auch am meisten Geld. Es gibt

nicht irgendwo diesen einen verborgenen

Schatz, den bis jetzt niemand gehoben

hat.“ Des Weiteren führt er an,

dass es sich gerade für kleinere Anbieter

im Privatsektor progressiv herausfordernder

gestalten wird, dem steigenden

Wettbewerb am Lizenzmarkt

entgegenzuwirken.

Deswegen seien sie zwangsweise darauf

angewiesen, nach Partnerschaften

auf nationaler Ebene zu suchen oder

im Idealfall Sparten zu finden, die gemeinsam

wachsen und groß werden

können. Sportarten wie American Football

oder Darts waren früher sehr wenig

nachgefragte Rechte, doch haben sich

mittlerweile zu attraktiven Lizenzen

entwickelt, da das gesellschaftliche

Interesse gewachsen ist. Lenz weist

jedoch darauf hin, dass Unternehmen

einen langen Atem benötigen, um solche

Marken gewinnbringend am Markt

etablieren zu können.

Zukunft noch umkämpfter?

In der Theorie klingt es nach einem

leichten Unterfangen, doch die Realität

zeichnet ein anderes Bild. Der aktuell

schon intensive Konkurrenzkampf

droht sich in den nächsten Jahren weiter

zu verschärfen. Lenz schätzt hier

vor allem den endgültigen Markteintritt

von globalen Playern wie „Amazon

Prime“, die aktuell schon Lizenzen der

UEFA Champions League erworben haben,

als nächste Entwicklungsstufe ein.

Diese hegen wirtschaftliche Anliegen in

noch größeren Dimensionen und seien

deshalb weniger an Übertragungsrechten

für vereinzelte Sendegebiete interessiert.

Ihr Fokus liege eher darauf, einzelne

Territorien zusammenzufassen,

damit sie die Lizenzen multinational

verwerten können. Erdenklich wären

Übertragungsrechte für größere Gebiete

in ganz Europa, doch solche Prognosen

sind immer mit einer Ungewissheit

behaftet.

Des Weiteren könnten die Sportverbände

bald selbst in die Rolle schlüpfen,

ihren Content an die Öffentlichkeit

auszuspielen. Lenz meint, dass Sportverbände

in Zukunft möglichst viel

Reichweite über ihre eigenen Kanäle

generieren wollen. Neben den bereits

existierenden sozialen Kanälen wäre

es für manche Verbände auch leistbar,

ihre Inhalte über eigene kostenpflichtige

Plattformen digital zu distribuieren.

Die National Football League bietet

mit dem NFL Game Pass bereits solch

einen Service an und Lenz kann sich

vorstellen, dass weitere Sportverbände

nachziehen. Allerdings betont er auch,

dass die Verbände nicht auf die Lizenzeinnahmen

von TV-Unternehmen verzichten

können und sie einen wichtigen

Faktor in der Generierung von Reichweite

darstellen. Eine Koexistenz beider

Distributionswege empfindet Lenz

daher als wahrscheinlichsten Ausgang

.

Das Lizenz-Roulette: Sportübertragungsrechte im Geldrausch

35


„Money talks“ – Gefahr der

sozialen Exklusion

Bei all diesen Diskussionen rund um die

Wirtschaftlichkeit von Sportübertragungsrechten

werde laut Trost schnell

vergessen, dass Sport im weitesten

Sinne auch Kulturgut ist und für die Gesellschaft

eine sinnstiftende Funktion

innehat. Dadurch, dass viele sportliche

Wettbewerbe nur mehr mit einer

monatlichen Abonnementgebühr oder

mittels anderen Zahlungsschranken

gesehen werden können, entwickele

sich die Rezeption von Sport zu einer

finanziell aufwändigen Beschäftigung,

die sich nicht jede/r leisten kann. Die

Vielfalt an Anbietern birgt des Weiteren

eine starke Segmentierung der Sportinhalte

in sich. Rezipient*innen müssen

also Abonnements mit mehreren

Anbietern abschließen, um Sport-Content

in seinen vollen Zügen genießen

zu können. Die Zahlungsbereitschaft

für Abo-Dienste sei in den Augen von

Lenz zwar gestiegen, sollte aber nicht

Anlass geben, den Zugang zu Sport

weiterführend zu beschränken. Gerade

Wettbewerbe von nationalem Interesse

dürften sich nicht hinter Zahlungsschranken

befinden, da sie kulturelle

Werte transportieren. Gemeint sind

Auftritte der österreichischen Nationalmannschaften

oder Ereignisse wie die

Olympischen Spiele. Wettbewerbe dieser

Art solle jede/r sehen können, die

bzw. der es will. In welche Richtung sich

der Sportlizenzmarkt weiterentwickelt,

hängt von den Markteilnehmern und

ihren monetären Schmerzensgrenzen

ab. Fakt ist allerdings, die gesellschaftliche

Anziehungskraft von Sport wird

definitiv bestehen bleiben.

von Wanja Lang

Mario Lenz

Copyright: ProSiebenSat1PULS4-Koenig

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36

Das Lizenz-Roulette: Sportübertragungsrechte im Geldrausch


Vertrags- und Vertragsablaufmanagement für Sach & KFZ-Verträge | Schadensbearbeitung

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schon drüber reden!

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Neues Entertainment im Altenheim

3


20 Jahre Medienmanagement

Alumni Success Stories

Der Studiengang „Medienmanagement“ feiert seinen 20. Geburtstag. Solch runde Zahlen bieten stets Anlass

dafür innezuhalten und zurück und nach vorne zu blicken. Rund 1.650 Absolvent*innen gingen mit erfolgreichem

Abschluss aus dem Diplom-, Bachelor- und Masterstudium hervor. Der wandelbaren Medienbranche geschuldet,

wurden acht (!) Änderungen des Curriculums vorgenommen, in denen rund 30 Dozent*innen und rund 100

Lektor*innen aus Wissenschaft und Praxis ihr Wissen weitergaben. Abseits der - wenngleich bemerkenswerten,

so doch auch nüchternen - Zahlen, ist ein Studium mehr als Titel und Fakten. Wer könnte besser über diese

„Lehrjahre“, die Learnings, die Highlights wie die zähen und schwierigen Momente im späteren Beruf sprechen

als jene, die Medienmanagement studiert und mittlerweile in der Medienbranche Fuß fassen konnten. Lesen Sie

im Folgenden Streiflichter jener Interviews, die im Rahmen der Lehrveranstaltung „Markt- und Mediaforschung I“

entstanden sind und bei denen mutige Studierende im 2. Semester bei erfolgreichen Alumni und heutigen Branchengrößen

nachgefragt und auch nachgehakt haben. Wer es genau wissen möchte: Die Langversion finden Sie

auf medienmachen.at oder via QR Code Scan.

Theo Kämmerer und Florian Geberth

sprachen mit Roland Hochegger, Leiter

Finanzen & Personal im ORF-Konzern,

über den Wert journalistischer Arbeit

bei fortschreitender Digitalisierung,

über die Bedeutung von O-Tönen im

Rundfunk sowie über kreative Bewerbungsstrategien.

...Sie haben mir da gerade einen Elfer

aufgelegt, den ich jetzt verwandeln

muss. Sie sind ja nicht nur Prokurist bei

der ORF Marketing & Creation GmbH

& Co KG (OMC), sondern auch in der

Personaladministration von „Ö1“, „Ö3“,

„FM4“ und beim ORF Radio-Symphonieorchester.

Von vielen Parteien ist die

Zahl an Mitarbeiter*innen und Dienstnehmer*innen,

die der ORF hat in den

letzten Jahren arg unter Beschuss geraten.

Ist das eine Challenge für Sie? Ja,

es gab vom Stiftungsrat in den letzten

Jahren klare Vorgaben. Der Stiftungsrat

ist das Aufsichtsgremium des ORF,

das bei börsennotierten Unternehmen

der Aufsichtsrat ist. Der Auftrag war,

die Valorisierung, die der ORF für die

Gebührenentgelte beantragen kann

und die in der Regel vom Stiftungsrat

genehmigt wird, deutlich geringer ausfallen

zu lassen. Intention war, dass die

Gebühren für die österreichischen Konsument*innen

niedriger werden oder

zumindest nicht entsprechend erhöht

werden müssen. Da muss man auch

dazusagen, dass etwa in Wien und Niederösterreich

nur ein Drittel dieser Gebühren

dem ORF zugutekommt und

immerhin ein Drittel als Einnahmen

für die Bundesländer oder für die Stadt

Wien einbehalten werden. Das heißt

zwar ORF-Gebühr, ist es aber eben nur

zum Teil.

Der Stiftungsrat hat also im Sinne des

österreichischen Publikums verfügt,

der ORF solle mit weniger Geld auskommen.

Das ist legitim, genauso wie

man das bei anderen öffentlichen oder

privaten Unternehmen auch gemacht

hat. Es ist eine riesengroße Herausforderung,

denn die ORF-Geschäftsführung

hat sich entschieden, das

Leistungs-Portfolio nicht einzuschränken.

Es geht also darum, mit 15 bis

20 Prozent weniger Personal dieselbe

Leistung zu erbringen. Zusätzlich hat

man mit „ORF III“ noch einen weiteren

Fernsehsender aus der Taufe gehoben,

der in seiner Nische unglaublich

erfolgreich ist und ein Vielfaches etwa

der Einschaltquoten von „3sat“ hat.

Parallel dazu sind wir jetzt in der Entwicklung

des ORF-Players, neben der

TVthek. Die TVthek ist ja auch etwas,

das selbstständig sehr, sehr gut angenommen

wird. Die vielen Apps, die

die On Demand-Dienste anbieten, sind

dabei noch gar nicht angesprochen.

Das bedeutet also mehr Leistung und

weniger Personal. Das heißt natürlich,

in vielen Strukturen wesentlich effizienter

zu werden, weniger Zeit zu haben

für Produktionen und auch natürlich die

modernen Mittel der Digitalisierung zu

nutzen.

Roland Hochegger, Leiter Finanzen & Personal

im ORF Konzern

Copyright: ORF Thomas Ramstorfer

38


Melissa Brunbauer und Magdalena Kanev

sprachen mit Melanie Spanl, Producerin

bei Disney, über den Alltag in einer

Firma, die nicht nur in Kinderaugen

Strahlen zaubert, über das Erzählen

von Geschichten im Bewegtbild- und

im Audiosektor und nicht zuletzt über

richtige Vorstellungsstrategien vor allem

für Frauen.

...Was ist es bei „Disney“, das dich jetzt

doch schon relativ lange dort hält? Vor

allem die Kolleg*innen und das Umfeld.

Es ist natürlich eine attraktive Marke,

das kann man nicht verschweigen. Jeder,

der „Disney“ sagt, hat Strahlen in

den Augen und das ist einfach toll. Da

arbeiten die besten Storyteller unserer

Zeit und es ist generell eine tolle Firma

- von den Kolleg*innen bis zu den

Chef*innen. Ich glaube, das Spannendste

an meinem Job ist, dass sich alle paar

Jahre etwas grundlegend ändert. Ein

Jahr machen wir Programm für Sechsbis

Neunjährige, im nächsten Jahr für

Teenager. Als der „Disney Channel“ vom

Pay-TV ins Free-TV kam, haben wir

plötzlich für die Primetime produziert.

Das war auch ganz neu. Und jetzt ist

„Disney+“ dazugekommen und wir machen

plötzlich Formate fürs Streaming.

Melanie Spanl, Producerin bei Disney

Copyright: Sophie Wanninger

So ändert sich alle paar Jahre etwas und

es bleibt immer spannend. Das mag ich

so an meinem Job.

Wenn du jetzt deiner Arbeit nachgehst,

gibt es da Punkte, wo du denkst: „Ach,

das kenne ich von der Fachhochschule!“

Ich glaube, was ich bis heute noch brauche,

sind Präsentationen ohne Ende.

Das werdet ihr nie loswerden, könnt

euch darauf freuen. Ich glaube, ich habe

viel Erfahrung mitgenommen über

die Zusammenarbeit in Gruppen, wie

man sich auch mit Leuten, die man gar

nicht so gut kennt, zusammenrauft und

trotzdem was Cooles dabei rausbringt.

Würdest du sagen, dass dich auch die

Fachhochschule irgendwie für diesen

Bereich vorbereitet hat oder war das

einfach deine Richtung und du bist sie

trotzdem gegangen? Ich glaube, die

Fachhochschule gibt einem das Werkzeug

in die Hand. Damit kommt man

an Stellen, wo man beweisen kann,

dass man etwas kann oder ist. Man

bekommt durch die FH die Qualifikation,

damit man sich an solchen Stellen

bewerben kann und man lernt so, wie

man sich präsentiert.

Peter Hofbauer, verantwortlich für

die Gesamtleitung Online der „Niederösterreichischen

Nachrichten“ und

der „Burgenländischen Volkszeitung“,

sprach mit Jannik Fürst und Julian Landl

über seine Studienzeit als unbequemer

Student mit Hauptfach „SUMO“ und

Nebenfach Medienmanagement, über

richtiges Zeitmanagement und richtige

Prioritätensetzung.

Peter Hofbauer, Gesamtleitung Online der NÖN

und bvz

Copyright: Peter Hofbauer

...Man sagt ja oft: Wer das Hobby zum

Beruf macht, der muss nie wieder arbeiten

gehen. Trifft das auf Sie zu? Wollten

Sie schon immer in die Medienbranche?

Das trifft auf mich so nicht zu. Da gibt

es sicher andere Optionen. Momentan

ist leider kein Formel1-Cockpit mehr

frei und abgesehen davon wäre ich

jetzt schon zu alt dafür. Spaß bei Seite.

Natürlich war die Medienbranche von

Beginn an sehr interessant für mich. Als

ich 2006 zu studieren begonnen habe,

war für mich damals nicht einschätzbar,

welche Bedeutung und welche Durchdringung

des Alltags durch die Medien

in den Jahren danach noch folgen

werden. Um das zeitlich einzuordnen:

Ich habe zu studieren begonnen als es

noch kein I-Phone gegeben hat (lacht).

Als ich im Masterstudium war, sind I-

Pads auf den Markt gekommen. „Facebook“

war bei uns noch nicht etabliert,

von „Twitter“, „WhatsApp“, „Instagram“

& Co. gar nicht zu sprechen. Ausgehend

davon könnte ich mir vorstellen, dass

die Generation, die jetzt im Studieneinstieg

ist und sicher viel mit Social Media

zu tun hat, ihren künftigen Job mitunter

als Hobby bezeichnet.

20 Jahre Medienmanagement

39


Gibt es jetzt irgendetwas, das Sie jetzt

im Nachhinein betrachtet vielleicht

anders machen würden? Beziehungsweise,

welchen Tipp würden Sie sich

von Ihrem früheren Ich zur Studienzeit

geben?

(…) Es macht durchaus Sinn diese Rolle,

die man als Medienmanager hat,

auch für sich zu reflektieren. Du bist

nicht Journalist, bist in der Regel aber

auch kein Controller – dieses Rollenverständnis

als Schnittstellenmanager

und als Projektmanager vor allem, das

war mir nicht bewusst. Mit dieser Frage

konfrontiere ich auch immer die Studierenden

im Praxislabor: Was könnt ihr

eigentlich nach dem Medienmanagement-Studium?

Und dann kommt ganz

oft: „Wir wissen über alle unterschiedlichen

Medienarten Bescheid.“ „Ja,

aber was könnt ihr? Um ein Beispiel zu

nennen: Ein Arzt weiß hoffentlich auch

um die Anatomie des Menschen und er

kann halt dann zum Beispiel operieren.

Und was können wir denn als Medienmanager*in?“

Diese Frage zu reflektieren

und dann draufzukommen: Hey, wir

sind eigentlich Kunsthandwerker für

die Medienbranche. Wir schauen, dass

die Medien Produkte weitergestalten,

neue Produkte auf den Markt bringen.

Wir sind nicht die Schreiberlinge, weil

wir nicht perfekt schreiben können,

wir sind nicht die Programmierer*innen,

weil wir nicht die Techniker*innen

sind. Aber wir sind die, die in Form eines

Konzepts den Grundstein für jedes Projekt

künftig legen.

Mario Lenz, Geschäftsleiter Aktuelle

Produktionen und verantwortlich

für die Sportrechte der Sendergruppe

ProSiebenSAT1PULS4, diskutierte mit

Linus Duschl und Paul Frühwirt über die

Bedeutung von Fußball in seinem beruflichen

wie privaten Leben, die Vorteile

eines Studiums im Pionierjahrgang

und die Dynamik des Bewegtbildmarktes.

...Kommen wir jetzt mit einem kurzen

Gedankenexperiment, nämlich zur Veränderung

der Medienbranche: Wenn

wir die Welt um 20 Jahre zurückdrehen,

wie erinnerst du dich an die damalige

Medienlandschaft im Vergleich

Mario Lenz, Geschäftsleiter Aktuelle Produktion

bei ProSiebenSat1Puls4

Copyright: P7S1P4_M.Koenig

zu heute? In welchen Tätigkeitsfeldern

erkennst du die stärksten Veränderungen?

Es ist allein schon eine Riesenveränderung,

seitdem ich bei „ProSieben-

Sat.1PULS4“ angefangen habe. Allein

schon, wenn man die Konkurrenz betrachtet.

Das waren damals ganz klar

andere Fernsehunternehmen und da

im Wesentlichen der ORF und ATV; plus

natürlich – und das war schon immer

die Konkurrenz auch vom Fernsehen –

andere Freizeitangebote. Denn die Leute

müssen ja nicht vor dem Fernseher

sitzen, sie könnten ja auch zur selben

Zeit im Gastgarten sitzen. Man rittert ja

um die Zeit der Menschen.

Damals waren es wie gesagt der ORF,

ATV und wir. ATV gehört mittlerweile zu

uns, „Servus TV“ ist aufgekommen und

viel Geld haben sie schon immer hineingeworfen,

aber jetzt haben sie auch die

Strategie dahingehend geändert, dass

sie das Geld in Sportrechte investieren.

Das hat auch nochmals alles verändert.

Aber der Grund für die beiden

größten Unterschiede ist die technische

Entwicklung, dass es auch leichter

geworden ist Bewegtbild in die Masse

zu tragen. Das hat zur Folge, dass jetzt

sehr viele Medienunternehmen, die eigentlich

gar nicht aus dem Bewegtbild

kommen, insbesondere Zeitungen bzw.

Printverlage, Bewegtbild machen.

Auf der einen Seite gibt es natürlich

„YouTube“, die zwar noch immer behaupten,

sie sind kein Medienunternehmen,

aber natürlich sind sie ein

Medienunternehmen und sie leben

auch gut davon; das ist mit dem User-

Generated-Content noch einmal eine

ganz andere Sache. Und dann gibt es

diese Over-the-top-Plattformen wie

„Amazon Prime“, „Netflix“ und Co, die

mit sehr viel Investment weltweit die-

ses ganze Rad am Laufen halten und

auch am Laufen halten müssen. Wenn

sie irgendwann einmal sagen, sie gehen

vom Investment-Gaspedal runter, dann

implodiert das ganze Kartenhaus.

Lisa Hotwagner, Morgenmoderatorin

beim „Ö3 Wecker“, sprach mit Christoph

Toifl und Bernhard Gribitz über die Bedeutung

von Musik in ihrem Leben und

über die vielfachen Herausforderungen

an den Job einer Radiomoderatorin.

...Du hast gesagt, du hast in der Nacht

angefangen. Kann man sagen, wenn

man in der Nacht moderiert, sind jetzt

nicht so viele Zuhörer*innen, und man

ist ein bisschen „freier“, unter Anführungszeichen?

Sicher, auch. Du wirst

sowohl von dem Publikum als auch von

den Chefs und Chefinnen nicht so beobachtet.

Du stehst auch nicht so im

Fokus wie z.B. im „Wecker“. Da haben

wir tatsächlich tägliches Feedback. In

der Nacht hast du das nicht. Deswegen

ist es ja so ein bisschen, unter Anführungszeichen,

eine „Übungsplattform“.

Es ist zwar sehr hart, dort zu beginnen,

aber es ist nicht so schlimm, wenn du

dich einmal vertust oder wenn mal was

schief geht – gerade, wenn du anfängst

und eh überfordert bist. Du stehst da

vor diesem riesengroßen Mischpult

und da gibt es so viele Elemente, die du

Lisa Hotwagner, Moderatorin bei Ö3

Copyright: Philipp Lipiarski

40

20 Jahre Medienmanagement


drücken kannst, unterschiedliche Begriffe,

die du verwendest – alles sehr

neu. Du bist dann von dieser ganzen

Technik und den Möglichkeiten überrollt

und das, was du sagst, ist oft das

letzte, worüber du nachdenkst. Wie

beim Autofahren. Du lernst erst einmal

Gas zu geben und die Kupplung zu

bedienen. Deswegen war es gut in der

Nacht zu beginnen, du probierst dich

einfach aus. Und du hast Airchecks.

Das sind sozusagen Feedbacktermine,

wo du dir entweder mit dem Chef oder

expliziten Airchecker*innen die ganze

Sendung durchhörst, sowie alle Einstiege,

die du machst. Das wird dann

ganz genau analysiert – was du gesagt

hast, wie du es gesagt hast, wann du es

gesagt hast – oder das Timing verbessert,

Feedback und Input gegeben.

Das Feedback kann man dann sehr

leicht einarbeiten oder ist es sehr

schwer, wenn man sich selbst umstellt?

Teils, teils. Du darfst nicht vergessen,

gerade beim Moderieren gibst du sehr

viel von dir her. Es ist alles was du sagst

sehr persönlich, wie du es formulierst,

welche Wörter du verwendest, was du

erzählst, und jede Kritik ist ein bisschen

Kritik an dir selbst. Und das hast du in

manchen anderen Bereichen, etwa

wenn es ums Technische geht, nicht.

Deswegen ist es am Anfang auch ein

bisschen ein Aussiebverfahren.

Katharina Tauber und Viktoria Ecker im

Interview mit Elisabeth Sonnleitner,

Teamleiterin für Content Marketing und

Publishing beim ÖGB Verlag über die

Faszination für Journalismus und die

Verpflichtung die Rahmenbedingungen

dafür zu sichern, über die Freude der

Wissensaneignung sowie Mut zu Pausen

und Innehalten.

...Wie kamst du dann darauf Medienmanagement

zu studieren? Ich hatte

mit 16 so einen Drang alles zu wissen,

was es auf der Welt nur geben kann. Ich

habe gemerkt, dass es so viele spannende

Themen gibt wie z. B. Feminismus

und politische Bildung. Dann habe

ich mir gedacht: „Wie cool es wäre bei

einem Medienunternehmen zu arbeiten,

wo ich dafür bezahlt werde, dass

du ich mich mit Dingen gut auskenne?“

Ich war von der journalistischen Seite

getriggert, weil ich während der Schule

schon bei der „NÖN“ im Lektorat in

meiner Heimatstadt nebenbei gearbeitet

hatte. Ich fand diese Newsroom-

Dynamik immer cool. Im Rahmen des

Bachelorstudiums bin ich darauf gekommen,

dass der journalistische Alltag

mit meinen privaten Bedürfnissen

und Zielen nicht so gut zusammenpasst.

Aber ich habe immer gewusst,

dass ich im Medienumfeld tätig sein

will, weil es für mich einfach unglaublich

wichtig ist, dass wir unabhängige

Medien haben und das bedeutet auch

sehr stark finanzielle Unabhängigkeit.

In meinem letzten Job etwa hat alles,

was wir gemacht haben, dazu beigetragen,

unabhängigen Journalismus zu

finanzieren z. B. durch die Konzeption

neuer Werbeprodukte. Heute verbessere

ich durch unsere Medienprodukte

die Arbeitsbedingungen von Menschen

in Österreich und stärke ihre Rechte.

Elisabeth Sonnleitner, Teamleiterin für Content

Marketing und Publishing bei ÖGB Verlag

Copyright: Niederkofler

Die richtige Kombination für mich ist

in der Branche zu arbeiten, in der ich

arbeiten will, und dass die Arbeit auch

mit meinen Erwartungen an ein gutes

Leben zusammenpasst.

© Copyright: Florian Stix

© Copyright: adobe stock /tostphoto

20 Jahre Medienmanagement

41


Bernhard Sonntag, Vorstandsreferent

der „Austria Presse Agentur“ (APA),

diskutierte mit Antonella Bacher und

Lisa Schinagl über falsche Erwartungen

ans Studium, die Tücken des Perfektionismus

und seinen zentralen inneren

Motor, immer etwas dazulernen zu

wollen.

Bernhard Sonntag, Vorstandsreferent APA

Copyright: Theresa Wey / interfoto

...Sie haben es schon angedeutet, aber

welche verschiedenen Tätigkeitsfelder

hatten Sie schon inne im Job? Am Beginn

war das Praktikum im Marketing

der APA, da habe ich ein Marketingkonzept

ausgearbeitet. Das war eher theoriegeleitet,

da war die FH ein guter Hintergrund,

weil man da noch die ganze

Literatur präsent hatte. Dann habe ich

in der internationalen Firma „MINDS

International“ zuerst als Researcher

gearbeitet und auch von der FH profitiert.

Ich habe mir Trends im Mediensektor

auf internationaler Ebene angesehen,

habe Reports dazu geschrieben

und versucht, diese Trends wie Citizen

Journalism oder – wie es damals auf

Englisch hieß – Hyperlocal Content in

Hinblick auf die Nachrichtenagenturen

zu analysieren. Das Netzwerk für das

ich tätig war, war ein globales Netzwerk

für Nachrichten. Man kann sich

das vorstellen wie den „Verband Österreichischer

Zeitungen“ (VÖZ), nur eben

auf globaler Ebene für Nachrichtenagenturen.

Nach dem Studium bin ich

Vollzeit eingestiegen in die Firma und

habe den Research-Bereich übernommen

und eben das mit ein paar Mitarbeiter*innen

weitergeführt. Wir haben

monatlich Newsletter zusammengestellt

mit den relevantesten Themen für

die Entscheidungsträger*innen in den

Nachrichtenagenturen. Dazu kamen

einzelne Projekte, größtenteils Vernetzungsarbeit

zwischen Abteilungen

innerhalb der Nachrichtenagenturen.

Innerhalb der Nachrichtenagenturen

gibt es ja nicht nur Redakteur*innen,

sondern auch zum Beispiel eine Plattform,

von der Presseaussendungen

verschickt werden, es gibt Pressespiegel,

Grafikabteilungen usw., und wir

haben die jeweiligen Fachabteilungen

vernetzt. Zum Beispiel die Infografiker*innen

aus Japan, Australien und

Österreich, um zu schauen, was jetzt

gerade technisch aktuell ist und was

man voneinander lernen kann. Das waren

Projekte, die sehr spannend waren

für mich. (…)

Laura Hermann, Coach bei „sinnvoll-

Führen“ sprach mit Anna Horn und Julia

Spiegl über ihre Begeisterungsfähigkeit,

die sie immer wieder in neue Berufe

führte, und warum das Medienmanagement-Studium

an der FH dafür

eine gute Basis schuf.

...War Ihr Pflichtpraktikum dann auch

im Radio oder wo sind Sie in die Branche

eingestiegen? Ich habe immer

das Gegenteil von dem gemacht, was

irgendjemand von mir geglaubt hat.

Ich komme aus einer Pädagog*innenfamilie

und der Wunsch meiner Eltern

war, dass ich Lehrerin werde. Natürlich

wollte ich das nicht machen, weil es ja

von mir erwartet worden ist. Genauso

war es beim Praktikum. Jede/r hat gefragt:

„Na Laura, zu welchem Radiosender

gehst du denn jetzt?“ Ich habe

mir gedacht: Nein, Radio habe ich vier

Jahre lang gemacht. Was kann mir ein

Radiosender noch beibringen? Wahrscheinlich

gibt es professionelleres

Equipment und besseren Schnitt. Aber

Laura Hermann, Coach bei sinnvollFÜHREN

Copyright: photo simonis

ich mache jetzt mal etwas anderes.

Nach einem Radiointerview mit einem

deutschen Schauspieler über dessen

neuen Film bin ich zur Kinopremiere

eingeladen worden. Dort hatte eine

Agentur einen Stand, bei der ich dann

das Praktikum gemacht habe. Es war

eine Agentur, die sich mit Productplacement

beschäftigt und das fand ich total

spannend. Nachdem ich mit Film vorher

gar keine Berührungspunkte gehabt

© Copyright: Laura Maihoffer

42

20 Jahre Medienmanagement


habe, dachte ich mir: Warum eigentlich

nicht? Ich habe mich beworben und die

Praktikumstelle bekommen.

Lukas Snizek, Gründer und CEO von

„QuickSpeech“, sprach mit Nadine Kern

und Tina Hanreich über mutige Entscheidungen,

seine Erfahrungen als

sehr junger Start-up-Gründer und die

Freude am Tischtennis.

...Jetzt ist die Gründung von „Quick-

Speech“ schon ja ein paar Jahre her und

es hat sich schon Einiges entwickelt.

Wie war für dich damals der Einstieg

und wie sieht dein Arbeitsalltag heute

aus? Der Einstieg in den Beruf mit

„QuickSpeech“ war ein sehr fließender,

weil es ein wenig wie ein Hobby

war. Vergleichbar damit, wenn ihr ein

Projekt habt, das ihr gerne gemeinsam

machen würdet, wo ihr sagt: „Wir

arbeiten jetzt dran.“ Es ist nicht so, wie

in einem klassischen Jobeinstieg, wo

du von heute auf morgen hingehst und

deine fixen Arbeitszeiten hast. Ich kann

mich sehr gut erinnern an diese ersten

Monate. Da habe ich mich für Gespräche

zu Starbucks in Wien gesetzt am

Samstag. Wo man einfach mal darüber

geredet hat, wie könnten wir das angehen,

damit wir irgendwie rausgehen. Es

ist immer mehr geworden und irgendwann

hatten die Kund*innen immer

mehr Wünsche. Zuerst hatten wird das

erste Minimum-Produkt, das mussten

Lukas Snizek, Gründer und CEO von „QuickSpeech“

Copyright: Stefan Huger

wir dann weiterentwickeln und dann

wurde es mehr in diese Richtung. Heute

ist mein Geschäftsalltag so, dass ich

geregelte Arbeitszeiten habe oder zumindest

versuche, dass ich die einhalte.

Das mache ich für mich persönlich,

damit ich psychisch nicht durchdrehe.

Das war am Anfang etwas anderes,

weil es eben noch eher ein Hobby war.

Da gehst du rein und sagst: „Ja, am Wochenende

kein Problem.“ Das merke

ich jetzt schon, dass ich wirklich sage:

„Ich arbeite eigentlich Montag bis Freitag.“

Wenn heute etwas passiert, etwa

Pläne, die abgegeben werden müssen,

dann muss man einschieben. Aber

sonst fangen wir um 09:00 Uhr an und

arbeiten bis 18:00, 19:00 Uhr, Montag

bis Freitag.

Ulrich Raab, Head of Marketing International

und Brand Activation bei

RAUCH Fruchtsäfte, diskutierte mit Larissa

Eichler und Fabian Lahninger über

die herausfordernde wie bereichernde

Arbeit mit Künstler*innen in der Musikbranche,

seine Erfahrungen beim Branchenwechsel

und seine Erinnerungen

an spontane Weihnachtslieder beim

Campus-Radio.

...Wie bist du zu deinem Pflichtpraktikum

bei „Warner Music“ gekommen

und wie hast du die ersten Einblicke

in die Branche gefunden? Man weiß,

jetzt muss man sich etwas überlegen,

da das Studienende näher rückt: Wo

liegen jetzt wirklich meine Interessen?

Bei mir war das Spektrum wieder relativ

breit: vom Eventmanagement

bei „ProSieben“ über ein ORF-Journalisten-Praktikum

bis zum Flüchtlingshochkommissariat

der UNO. Auf

meiner Shortlist an Interessen war

auch die Musikbranche. „Warner“ hat

mir damals sehr gefallen, weil viele

Künstler – etwa „Red Hot Chili Peppers“

oder „Green Day“ – mich persönlich

sehr angesprochen haben. Durch

meine jahrelange Tätigkeit beim Campus-Radio,

und dabei auch die Redaktionsleitung

für ein Jahr, habe ich diese

Plattenfirmenleute gekannt. Mit denen

hat man immer die Interviews ausgemacht.

Deshalb hatte ich einen Kontakt

bei „Warner“ angerufen und gefragt:

„Wie schaut es aus bei euch, gibt es für

mich eine Möglichkeit irgendetwas zu

machen?“ Er hat gesagt: „Naja, schick‘

mir die Bewerbung und ich gebe das

meinem Marketingchef weiter.“ So bin

ich mit Anfang 20 bei der großen Plattenfirma

im Konferenzraum gesessen

und wurde auf Herz und Nieren geprüft.

Umringt von goldenen und platinenen

Schallplatten von „Green Day“

und den „Chilli Peppers“, genauso, wie

man sich als Laie das Show Business

vorstellt, und habe mir dann gedacht:

„Cool, das möchte ich jetzt unbedingt

machen.“ Also es war ein bisschen das

Netzwerk, das man sich aufbaut. Eines

der wichtigsten Elemente für jede

Karriere ist auch das richtige Unternehmen

zur richtigen Zeit. Es war damals

ein cooles Team, circa 16 Leute

für ganz Österreich bei „Warner“. Das

war natürlich auch sehr familiär und

hat irrsinnig Spaß gemacht. Ich hatte

den großen Vorteil, dass man mich hat

Ulrich Raab, Head of Marketing International

und Brand Activation bei RAUCH Fruchtsäfte

Copyright: Andreas Lepsi

selbstständig arbeiten zu lassen. Also

ich durfte schon selbst Pressetermine

abwickeln, nachdem die ersten zwei

gepasst haben. Man hört stets die Horrorgeschichten,

dass der oder die Praktikant*in

immer Kaffee kochen muss,

was zum Glück schon lange nicht mehr

der Fall ist. Das habe ich so in meiner

ganzen Laufbahn nicht erlebt.

20 Jahre Medienmanagement

43


Niklas Gusenbauer, Manager Digital

Business bei „Sony Music Entertainment

Austria GmbH“, sprach mit Valeria

Brunner und Mavie Berghofer über

die Bedeutung von Eigeninitiative und

Selbststudium in der nie stillstehenden

Musikwirtschaft.

...Gab es in deinem Bachelorstudium

die Lehrveranstaltung „Musik“ schon?

War dir schon bewusst, dass du gerne

in diese Richtung gehen möchtest

oder hat sich das Interesse an der

Musikwirtschaft bei dir erst später

herauskristallisiert? Dieses Fach gab

es damals leider wirklich nicht. Ich bin

aus dem Bachelor in den Master gekommen

und ab dem Zeitpunkt kam es

ins Curriculum und das hat mich dann

natürlich ein bisschen geärgert. Aber

auch hier ja war es so, dass ich mich

selbst mit der Musikwirtschaft auseinandergesetzt,

meine Bachelorarbeit

dazu verfasst habe und mich in das

Thema einarbeiten konnte. Das Interesse

bestand nicht nur, weil ich mich

sehr gerne mit Musik auseinandersetze,

sondern weil mich der Background

interessiert hat. Wie verdient ein/e

Künstler*in Geld? Wie laufen die Erlösströme

ab? Wie kann ein/e Künstler*in

über das Radio Geld verdienen? Ich

habe mich auch bei der Masterarbeit

genau mit diesem Thema beschäftigt.

Das ist ein Punkt, der mir an der FH St.

Pölten sehr gefallen hat und bis heute

gefällt: Dass man die Freiheit hat, sich

mit den Themen zu beschäftigen, die

einen am meisten interessieren.

Wenn du jetzt 3 Key Learnings aus dem

Bachelorstudium nennen müsstest,

welche wären das? Strategisches Management

steht da auf jeden Fall ganz

oben bei mir. Auch die Priorisierung

Niklas Gusenbauer, Manager Digital Business bei

Sony Music Entertainment Austria GmbH

Copyright: Sophie Gusenbauer

verschiedener To-Do‘s ist ein wirklich

wichtiger Punkt. Das heißt, man hat im

Studium ja mehrere Dinge gleichzeitig

zu erledigen und man lernt hier Deadlines

einzuhalten. Das unterschätzt

man oft in der Arbeitswelt, aber dieses

klassische Soft Skill hat mir sehr

geholfen. Als dritten Punkt auch das

Interesse, mich mit gewissen Themen

näher auseinanderzusetzen. Ich wusste

zum Beispiel nicht, dass mich Content

Management so sehr interessiert.

Dank des Fachs und des Dozenten, den

wir hatten, habe ich mich dann näher

damit auseinandergesetzt und Zusatzliteratur

gelesen und bin dann mit

meinem ersten Job ins Content Management

eingestiegen. Da hat mir der

Background, den ich mir da an der FH

aneignen konnte sehr geholfen.

Florian Dobin, Key Account Manager

bei „k-digital Medien GmbH & Co KG“

(Kurier Redaktionsgesellschaft), sprach

mit Afifa Akhtar und Angelika Bruckner

über Mut, Offenheit auch für Themen,

die auf den ersten Blick gar nicht so

interessant sind, als Voraussetzungen

für eine erfolgreiche Karriere.

...Was würdest Du deinem damaligen

Ich mit dem Wissen von heute zum

Studium Medienmanagement sagen?

Unterschiedliche Sachverhalte in einen

Kontext zu setzen, ist sicher eines der

größten Learnings. Weil mir das auch

in meiner weiteren Karriere geholfen

hat und ich das bis heute brauche

– für Produkte, Strategien, Herangehensweisen.

Dass man Dinge nicht

nur aus einem Blickwinkel betrachtet,

sondern: Wenn wir ein neues Produkt

oder eine neue Dienstleistung auf den

Markt bringen, geht es nicht nur um

die Vermarkter-Perspektive, sondern

auch um die Nutzen-Perspektive der

Konsument*innen. Ich habe eine technologische

Komponente, eine kommunikative

Komponente und eine soziale

Komponente – wie bringe ich die zusammen?

Was ist eigentlich der Benefit

für die Kund*innen? Ich darf nicht

nur umsatz- oder gewinnorientiert

denken, ich muss den Nutzen in den

Vordergrund stellen. Zusätzlich sollten

Regionalität und Nachhaltigkeit eine

große Rolle spielen. (…)

Florian Dobin, Key Account Manager bei

k-digital medien GmbH & Co. KG

Copyright: digital Medien GmbH & Co KG

Kannst du dich noch an deinen ersten

Tag im Studium erinnern? Ja, selbstverständlich!

Ich glaube, dass sich jede/r

Student*in an den ersten FH Tag erinnern

kann, weil er einfach wahnsinnig

aufregend war und weil es der nächste

Schritt zum Erwachsenwerden und „Ich

bin jetzt cool“ ist. Es war ein tolles Gefühl,

diesen Studierendenausweis in

die Hand zu bekommen und dann auf

die erste FH Party zu gehen und zu

sagen: „Ich studiere jetzt Medienmanagement.“

Es war spannend, all die

Leute kennenzulernen und ein Teil dieser

Gang zu sein. (…)An manche Ereignisse

kann ich mich bis heute bestens

erinnern: Wolfgang Römer ist mit der

Gitarre auf den Tisch gestiegen und hat

gesagt: „So, ihr seid jetzt alle da und ich

heiße euch willkommen.“ Das sind diese

kleinen Momente, an die ich wirklich

gerne zurückdenke und manchmal

wäre ich gern noch mal 20 und würde

das gerne nochmal machen, aber nur

manchmal (lacht).

44

20 Jahre Medienmanagement


Niki Fuchs, Head of Marketing & Digital

bei radio 88.6 und Geschäftsführerin

von „Addicted to Rock“, sprach mit

Valerie Klein und Lily Strasser über ihre

Liebe zum Radio, den keineswegs unbeschwerlichen

Weg zur Geschäftsführerin

der Addicted to Rock Gmbh

und die Abenteuer im Auslandssemester

in Paris.

Niki Fuchs, Head of Marketing & Digital bei

radio 88.6

Copyright: Matthias Auer

...Machen wir kurz ein spontanes Experiment

und drehen die Welt um 20

Jahre zurück. Sie haben damals ihr Studium

angefangen und sich dann auch

intensiver mit Medien auseinandergesetzt.

Wie war denn die Medienbranche

damals im Vergleich zu heute? Im

Radio kann ich sagen war Formatradio

halt ganz groß, wie es „Energy“ oder

88.6 und Ö4 gemacht haben. Das verändert

sich im Moment sehr stark. Meiner

Meinung nach geht es vor allem um

den Community First Gedanken. Alleine

wie man Radio heute gestaltet hat sich

sehr verändert, gerade auch technisch

oder durch soziale Medien. Als ich begonnen

hatte, konnte Hörer*innen uns

im Studio anrufen – nun schicken sie

uns „WhatsApp“-Sprachnachrichten.

Oder TV-Serien: Ich glaube, wir haben

sogar als FH-Projekt eine Talkshow gemacht.

Man hat auch noch komplett linear

geschaut, also nichts On-Demand

– du bist halt um 19 Uhr 30 Uhr vor der

„Zeit im Bild“ gesessen und um 20:15

Uhr hat dann der Hauptabendfilm begonnen.

Was hat sich denn deswegen bezüglich

der Wünsche und Bedürfnisse der

Rezipient*innen in den letzten 20 Jahren

geändert? Es existiert unendlich

viel guter und schlechter Content im

Gegensatz zu früher. Meine Großeltern

hatten nur ORF1 und ORF2. Man hat

keine Ahnung, wie man sich orientieren

soll. Das heißt, du brauchst Selektionssysteme

und du musst wirklich qualitativ

hochwertigen Content bieten, weil

sonst gehst du unter. Also da hat sich

sehr viel geändert in der Vielfalt und

natürlich in der Rezeption, vor allem

durch Smartphones, aber auch Smart

Home via „Alexa“ und Co. Wer sich in

Marketing und Content hierbei nicht mit

dreht, ist fehl am Platz.

Martin Seeger, zuständig für Geschäftsleitung

und Sales bei der „Pro-

SiebenSat.1PULS 4 GmbH“, erzählt

Kristina Petryshche und Sebastian

Püttner, wie er mit sozialer Intelligenz

trotz schlechter Begabung als Handwerker

einen Studioumbau leiten

konnte, welche Eigenschaften man als

Medienmanager*in mitbringen sollte

und warum man auch in einem großen

Konzern offen über anstehende Projekte

und Probleme diskutieren sollte.

Martin Seeger, Geschäftsleitung und Sales bei

ProSiebenSat1.PULS4 GmbH

Copyright:ProSiebenSat.1PULS4

...Was sollte man als angehender Medienmanager

mitbringen?

Also Interesse, das ist einmal das aller

wichtigste. Du musst dich mit Medien

einfach gerne befassen und permanent

befassen. Das ist das Um und Auf. Es

ist auch ein Job, der dich 24 Stunden

am Tag verfolgt (Martin hält Smartphone

in die Kamera). Du hast dauernd

dein Smartphone mit, wo sich alles

mit Medien und Werbung befasst. Das

muss man auch mögen. Es schwappt

natürlich immer auch ein bisschen ins

Privatleben rein. Es ist eine Kommunikationsbranche

und wenn jemand sehr

introvertiert ist, dann – gibt es natürlich

auch Jobs. Aber dann rate ich nicht, im

Vertrieb zu arbeiten oder in den Redaktionen,

wo man auf die Straße gehen,

Beiträge drehen, Sendungen machen

muss. Das geht dann nicht. Teamplayer

zu sein, ist auch extrem wichtig, weil

eine Fernsehshow funktioniert nur,

wenn das Team dahinter funktioniert.

Ein Kundenauftrag kommt auch nur zu

Stande, wenn jedes Zahnrad ineinandergreift

und die Abteilungen zusammenarbeiten.

Das sind Aspekte, auf die

ich bei Bewerbungsgesprächen achte.

Das Können ist wichtig, aber wenn ich

da jemanden gegenübersitzen habe,

wo der Funke nicht überspringt, weil

das keine Persönlichkeit ist oder sich

selbst nicht gut darstellen kann, dann

ist man wahrscheinlich nicht so gut

aufgehoben in der Branche.

45


© Copyright: adobe stock /svort

Medienskandale im Wandel der Zeit –

Geht Qualitätsjournalismus verloren?

Korruption, Verleumdung, Bestechlichkeit. Für eine/n ordentliche/n Bürger*in ist klar: Bei diesen strafbaren Verfehlungen

besteht zweifellos Skandalpotenzial. Doch die Etablierung von Online-Medien hat der Entstehung und

der Definition von Skandalen opake Eigenschaften verliehen, wodurch das Feld der Medienskandale unübersichtlicher

geworden ist. SUMO sprach mit Junior-Prof. Christian von Sikorski (Univ. Koblenz-Landau) sowie Prof.

(FH) André Haller (FH Kufstein) über die Rolle der Medien bei der Aufdeckung von Skandalen, der Bedeutung von

unabhängigem Journalismus und über die zukünftige Entwicklung von Medienskandalen. Außerdem diskutierte

SUMO mit dem ehemaligen Sportjournalisten Reinhard Spitzer (u.a. „Tips“, ORF Oberösterreich, Ö3, „Life Radio“)

über die aufdeckende Funktion des Journalismus bei Dopingskandalen.

Wirft man einen Blick auf die österreichische

Vergangenheit, könnte man zu

der Erkenntnis kommen, dass scheinbar

alle Bereiche der Gesellschaft von

einem speziellen Phänomen geprägt

sind: den Skandalen. Basierend auf den

jüngeren Ereignissen lässt sich aber

die These ableiten, dass Medienskandale

hauptsächlich einem politischen

Fehlverhalten entspringen und dass

somit vorrangig Politiker*innen die

Urheber*innen Aufsehen erregender

Vorfälle sind. An dieser Stelle sind beispielsweise

die BUWOG-Affäre, welche

im Jahr 2009 aufgedeckt worden ist,

die Causa Casinos, in der seit dem Jahr

2019 ermittelt wird, oder die Ibiza-Affäre

erwähnenswert. Dennoch lässt

sich die Sache der Skandale nicht allein

auf das Feld der Politik beschränken.

Ab wann spricht man von

einem Medienskandal?

Um das Verständnis der historischen

Entwicklung von Medienskandalen und

der aktuellen Rolle von Medien im Zusammenhang

mit der Berichterstattung

von Skandalen zu erleichtern,

ist die Definition der Begrifflichkeiten

hilfreich. Ganz allgemein kann gesagt

werden, dass für das Zustandekommen

eines Skandals drei Faktoren notwendig

sind.

Christian von Sikorski, Junior-Professor

an der Universität Koblenz-Landau,

nennt hier an erster Stelle die Tatsache,

dass es entweder gesetzeswidrige Verstöße

oder viele Normüberschreitungen

geben müsse, die auch nicht von

juristischer Relevanz sein müssten.

André Haller, Professor für Marketing

& Kommunikationsmanagement sowie

Digital Marketing an der Fachhochschule

Kufstein, spricht in diesem Zusammenhang

von „den Grenzen des guten

Geschmacks“, die durch eine Verletzung

der Normen gesprengt würden. Als

zweite Komponente, damit ein Skandal

als ein solcher definiert werden könne,

müssten diese Überschreitungen entweder

öffentlich ablaufen oder durch

Investigativ-Journalismus aufgedeckt

werden, so Haller. Außerdem sei es

notwendig, dass mehrere Medien über

eine gewisse Zeit darüber berichteten.

Die öffentliche Berichterstattung sei

dann wiederum Voraussetzung für den

dritten Faktor, der zur Entstehung eines

Skandals notwendig sei. Das Fehlverhalten

müsse in der Gesellschaft Verärgerung

und Empörung auslösen und

der überwiegende Teil der Bevölkerung

müsse sagen: „Dieses Verhalten ist zu

verurteilen“, so von Sikorski. Wesentlich

sei aber auch die öffentliche Äußerung

des Unmuts über bestimmte Vorgänge.

In dieser Hinsicht erwähnt Haller

auch die Verschiebung dieses Prozesses

durch Social Media, durch die auch

Kleinstgruppen schon minimale Verstöße

skandalisieren könnten. Das wirft in

Zusammenhang mit einem Fehlverhalten,

das überwiegend online skandalisiert

wird, die Frage auf, wann man im

Jahr 2022 überhaupt noch von einem

Skandal spricht.

Laut Haller gebe es durch Online-Medien

mehr Aufregung und Empörung,

was auf die neuen Möglichkeiten der

Aufdeckung zurückzuführen sei. Denn

normale User*innen könnten nun durch

verschiedenste Plattformen selbst investigative

Recherche betreiben und

so Fehlverhalten aufdecken. Als Beispiel

nennt Haller sogenannte „Wikis“,

durch die sich Nutzer*innen austauschten

und beispielsweise nach Plagiaten

suchten. Weiters eröffneten digitale

Medien neue Kanäle, auf denen skandalöses

Verhalten vorkommen könne.

Denn während man sich früher nur

mündlich austauschte und Gesagtes

viel schwerer nachzuweisen war, gebe

es jetzt mehr Wege, Beweise zu erbringen.

Auch von Sikorski verweist auf das

erhöhte Skandalpotenzial, dessen Ursprung

in den neuen Medientechnologien

liege. Allerdings betont er dennoch

die Wichtigkeit herkömmlicher Medien.

Denn auch wenn die Skandalisierung

durch Social Media oft der Auslöser für

eine vertiefte Recherche sei, spreche

man heutzutage ohne Berichterstattung

der klassischen Medien in der

Regel nicht von einem größeren politischen

Skandal.

Zunahme an Skandalen und die

Rolle der Rezipient*innen

Aufgrund aktueller Untersuchungen in

europäischen Ländern konstatiert von

Sikorski, dass sich eine Zunahme an

Skandalen abzeichne. Allerdings steige

die Anzahl komplexer Fälle nicht äquivalent

mit der Anzahl an geringfügigen

Normüberschreitungen. Tendenziell

würden nämlich unbedeutende Verfehlungen

in größerem Maß skandalisiert

als tatsächlich relevante Fälle, die

46

Medienskandale im Wandel der Zeit


ein gewisses Maß an sozialen Schaden

nach sich ziehen, so wie beispielsweise

die Veruntreuung von Steuergeldern.

Die Neigung zur Skandalisierung von

geringfügigen Verstößen durch Medien

lasse sich durch die damit verbundene

Aufmerksamkeit erklären. Denn diese

Fälle könnten prinzipiell einfacher dargestellt

werden als komplexe Fälle und

seien somit für Rezipient*innen leichter

verständlich. Von Sikorski stellt in diesem

Zusammenhang fest: „Eigentlich

sind Rezipient*innen erstmal gut darin

zu sagen, was übertrieben ist und was

nicht.“ Doch die Komplexität der Fälle

und das Kursieren von Fehlinformationen

erfordere eine gewisse Quellenkompetenz,

die aber tendenziell eher

abnehme. Seriöse Quellen könnten

durch den Rückgang dieser Kompetenz

immer schwieriger identifiziert werden.

Darüber hinaus gehe auch die Fähigkeit

verloren, sich auf längere Beiträge konzentrieren

zu können, was ein gewisses

Durchhaltevermögen und Training erfordert.

Dieses Verhalten widerlegten

auch aktuelle Studien aus dem Feld der

politischen Kommunikation. Sogenannte

„Hyper-Consumer“, die durchgehend

Nachrichten rezipierten, hätten weniger

politisches Wissen als Personen, die

klassische Medien und weniger Quellen

nutzten. Von Sikorski hebt deswegen

besonders die Wichtigkeit der Quellenkompetenz

hervor, welche schon durch

die Bildung in den Schulen ausgebaut

werden könne.

Umgang der Medien mit Fake

News

Zum einen gibt es also auf Seiten der

Rezipient*innen Wege, um der Desinformation

im Internet und somit inszenierten

Skandalen und Fake News entgegenzusteuern.

Aber auch aus Sicht

der Medien existiert ein Instrument

zur Verdrängung von Falschinformationen

im Web. „Man muss eine Lanze

brechen für den Qualitätsjournalismus“,

so Haller. Denn Qualitätsjournalist*innen

folgten gewissen Prinzipien, einem

Mehr-Quellen-System und einem Kodex

innerhalb ihres Berufsstandes, was

wiederum bedeute, dass diese sehr

transparent in ihrer Arbeit vorgingen.

Ein aktuelles Beispiel sei die Ibiza-Affäre,

bei der darüber aufgeklärt worden

sei, wie die „Süddeutsche Zeitung“ die

Informationen erhalten und analysiert

habe.

Medien stehen aufgrund unterschiedlicher

Abhängigkeiten und Machtverhältnisse

in einem bestimmten Spannungsfeld

mit der Politik. Diese Entwicklung

habe einen historischen Hintergrund,

resümiert Haller. Die Parteipresse sei

eben sehr parteinah gewesen, weshalb

es da nur eine geringe Objektivität

gegeben habe. Durch den Investigativ-

Journalismus, der in Volontariats-Schulen

gelehrt worden sei, etablierte sich

die Unabhängigkeit vom Staat. Da aber

Journalist*innen dennoch auf exklusive

Quellen und somit enge Verbindungen

in die Politik angewiesen seien, sei die

Wahrung der Neutralität für den Qualitätsjournalismus

von oberster Priorität.

„Da steht natürlich jede*r Journalist*in

in der Pflicht, dass er bzw. sie sich nicht

zum Spielball politischer Akteur*innen

macht“, postuliert Haller.

Über Skandale von Werbekunden

berichten Medien kaum

Doch dieser Interessenkonflikt zeichnet

sich nicht nur mit Akteur*innen

der Politik, sondern auch bei Werbekund*innen

der Medienunternehmen

ab. Eine groß angelegte Studie aus dem

Jahr 2020, die von Samuel Stäbler (Tilburg

University) und dem Kulturwissenschaftler

Marc Fisher durchgeführt

wurde, zeigt, dass über Skandale von

Werbetreibenden bei Magazinen sehr

wenig berichtet wird. „Es sollte niemals

der Fall sein, dass über Fehlverhalten

nicht berichtet wird, weil Unternehmen

regelmäßig Anzeigen oder andere Arten

bezahlter Werbung schalten“, fordert

Haller. Denn unabhängiger Journalismus

führe zu höherer Glaubwürdigkeit

und halte die Auflagen zumindest einigermaßen

stabil. Außerdem haben

Medien eine gewisse Verantwortung

im Zusammenhang mit der Aufdeckung

von Skandalen. Denn Medien spielten

beim Anstoß, der dann zu ersten Ermittlungen

führe, eine sehr zentrale

Rolle, meint Haller. Die Idee der Medien

als vierte Gewalt sei aber dennoch

sehr hoch gegriffen. Denn diese könnten

zwar einen Verstoß aufdecken, ob

dieser schlussendlich strafrechtlich zu

ahnden sei, entschieden dann aber Gerichte.

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Medienskandale im Wandel der Zeit

47


Zukünftige Entwicklung der

Skandale

Medien hätten nicht mehr dieselbe

Macht wie früher, zu definieren, was

ein Skandal sei, weil ein großer Teil der

Bevölkerung Nachrichten auf sozialen

Medien rezipiere. Das liege zum einen

an der selektiven Auswahl der Nachrichten

und zum anderen am Algorithmus,

der über die Inhalte bestimme, die

den Leser*innen zukommen. Das führe

dazu, dass klassische Medien an Macht

verlieren, weshalb es umso essentieller

sei, dass sich Medienunternehmen

nicht ausruhen und unabhängig arbeiteten.

„Man braucht unabhängige Qualitätsmedien,

die weiterhin stark sind“,

betont von Sikorski und beantwortet so

die Frage, wie sich die Stellung der Medien

bei der Aufdeckung von Skandalen

in Zukunft entwickeln wird. Auch Haller

hebt den Qualitätsjournalismus als fundamentalen

Bestandteil objektiver Berichterstattung

hervor.

Journalisten*innen als Ersatz

der Behörden bei Dopingskandalen?

Auch die Branche des Spitzensports ist

für etliche Skandale empfänglich, vor

allem für Skandale im Zusammenhang

mit Doping. Zahlen aus aktuellen Berichten

der World Anti-Doping Agency

zeigen, dass die Anzahl an Dopingfällen

gemessen an den durchgeführten Blutund

Urin-Proben zwischen den Jahren

2014 und 2019 weltweit nur von 21%

auf rund 15% zurückgegangen ist. Das

bedeutet also, dass es zwar grundsätzlich

einige Dopingfälle gibt, ob diese

aber schlussendlich aufgedeckt werden,

ist von einigen Faktoren abhängig.

Reinhard Spitzer, Sportjournalist bis

2021, nennt hier zu Beginn die internationalen

Nachrichtenagenturen, die den

Journalist*innen prinzipiell die ersten

Informationen zu Dopingfällen liefern.

„Wenn man so etwas als Journalist*in

selber mitbekommt, wäre es eher ein

Zufallstreffer“, behauptet Spitzer nach

jahrzehntelanger Berufserfahrung im

Sportsektor. Allerdings betont er auch,

dass es ohne den unnachgiebigen Journalismus

einige der großen Dopingskandale

vermutlich gar nicht gegeben

hätte. Grundsätzlich werde über internationale

Dopingfälle zwar in regionalen

Medien berichtet, selbst nachrecherchieren

tue man aber meist nur,

wenn es Sportler*innen aus der geografischen

Nähe zu den Medienunternehmen

betreffe. Auch Spitzer betont

in Bezug auf die Recherche den hohen

Stellenwert der Objektivität und nennt

außerdem die Ethik als grundlegenden

Pfeiler bei der Berichterstattung. Denn

wenn Sportler*innen Fragen ehrlich beantworteten,

liege es an der Einschätzung

und Ehrlichkeit des Journalisten,

wie viele Informationen letztendlich der

Öffentlichkeit bekannt gegeben werden

würden. „Schlussendlich bleibt aber

der Journalist immer der Objektive“, so

Spitzer. Allerdings würden die wenigsten

Sportler*innen die ganze Wahrheit

ans Licht rücken, was unter anderem

auf den Druck durch das Sponsoring zurückzuführen

sei. Denn für viele Sportler*innen

sei die Geldleistung der Sponsoren

existenziell und das Risiko, dass

diese Leistungen ausblieben zu hoch.

Genaue, feinfühlige Recherchen seien

daher von großer Relevanz. Diese

nehmen jedoch viel Zeit in Anspruch,

welche durch Effizienzsteigerungen in

den Redaktionen vor allem bei privaten,

gewinnorientierten Medienunternehmen

oft nicht mehr verfügbar sei. „Das

Tempo geht auf Kosten der Qualität“,

konstatiert Spitzer. Auch die fehlenden

finanziellen Ressourcen spielten dabei

eine wichtige Rolle, weshalb vor allem

öffentliche Förderungen zur Wahrung

der Unabhängigkeit von äußerster

Wichtigkeit seien.

In Zukunft weniger Dopingskandale?

Der zukünftigen Entwicklung von Dopingskandalen

sieht Spitzer eher betrübt

entgegen. Denn: „Die Dopingsünder

sind immer einen Schritt voraus.

Der Sünder agiert und die anderen reagieren.“

Weiters beschränke sich die

Sache der Dopingvorfälle nicht allein

auf das Feld des Spitzensports, sondern

auch auf den Amateursport, in dem es

aber keine medizinische Kontrolle gebe.

Das gehe dann auf Kosten des Gesundheitssystems

und schade auf lange

Sicht einer Volkswirtschaft. Darum sei

eine öffentliche Presseförderung für

Medienunternehmen, welche eine uneingeschränkte

und unabhängige Recherche

garantiere, umso wichtiger und

essentiell zur Wahrung der Demokratie.

„Öffentliche Presseförderung bedeutet

mehr Unabhängigkeit von den Mächtigen“,

ergänzt Spitzer.

von Hannah Schinagl

André Haller

Copyright: Privat

Christian von Sikorski

Copyright: Raffael Heiss

Reinhard Spitzer

Copyright: Matthias Hochmeister

48

Medienskandale im Wandel der Zeit


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49


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Zwischen Handysucht und moderner

Bildung – (digitale) Medien im Unterricht

Obwohl die Digitalisierung keine neuartige Thematik ist, scheint die Kontroverse über digitale Medien im Klassenzimmer

nicht enden zu wollen. Um Licht ins Dunkle des Diskurses über Offline-Bildung zu bekommen, sprach

SUMO mit der klinischen Psychologin und Psychotherapeutin Karin Zajec, und mit Susanna Öllinger, österreichische

Bundesschulsprecherin 2021/22.

Auch wenn die Nutzung digitaler Medien

in Klassenräumen ein modernes

Phänomen zu sein scheint, wird doch

bereits seit den 1960er Jahren an Risiken

und Potentiale dieser im schulischen

Kontext geforscht. Wirft man

einen Blick auf die zahlreichen Studien

zur Nutzung digitaler Medien bei Kindern

und Jugendlichen, liegen dabei

widersprüchliche Befunde vor. Der britische

Neuropsychologe Aric Sigman

etwa ist der Überzeugung, dass eine

hohe Bildschirmzeit bei Kindern negative

Auswirkungen habe und eine hohe

Suchtgefahr darstelle. Die amerikanische

Gamedesignerin Jane McGonigal

stuft die Bildschirmzeit bezüglich

Computerspiele als nützlich ein und

empfiehlt diese als Therapie gegen Depressionen

und als Werkzeuge für den

Aufbau von Beziehungsfähigkeit.

Liest man nur diese wenigen differenten

Ansätze, stellt sich umso mehr die

Frage: Soll gerade Kindern eine Offline-Bildung,

d.h. ohne digitale Begleiter,

hohe Bildschirmzeit und medialen

Einfluss geboten werden? Die Antwort

ist ausgewogen: Es müsse auf die richtige

Mischung geachtet werden, so Susanna

Öllinger. Laut ihr sei es nicht die

Zukunft, alles Haptische zu streichen

und rein auf digitalem Wege zu gehen,

jedoch müsse trotzdem der digitale

Fortschritt in Schulen gefördert und

ausgebaut werden, da dieser für das

spätere Leben der Schüler*innen ausschlaggebend

sei.

Digitalen Medien wird oft ein großes

Potential zur Steigerung schulischer

Leistungen beigemessen. Bereits in den

1990er Jahren wurde, unter anderem

von Ronald D. Owston, Professor an der

York University in Toronto, dem Internet

ein Potential für den Lernerfolg zugeschreiben.

Dennoch ist es wichtig, auf

das Alter und die Entwicklung der Schüler*innen

einzugehen, möchte man digitale

Medien im Schulalltag einsetzen.

So sieht Öllinger keine Dringlichkeit,

bereits in der Volkschule den Unterricht

mit digitalen Begleitern zu bereichern.

Die Aufklärung über mögliche Gefahren

und Risiken sei dafür umso wichtiger.

Weiters sieht Öllinger viel mehr Potential,

das Internet und den Laptop in

Schulstunden in der Oberstufe miteinzubinden

und aktiv zu verwenden, da

komplexere Inhalte didaktisch anders

gelehrt und anspruchsvollere Texte gelesen

oder verfasst werden könnten.

Veränderung durch Covid-19:

Fernlehre bis hin zur Einsamkeit?

Trotz beziehungsweise gerade wegen

digitaler Mediengeräte und Techniken

konnte im vergangenen Jahr die

Schulbildung aufrecht erhalten bleiben.

Geprägt von Fernlehre, Online- Schulstunden

und Videokonferenzen stellt

sich die Frage: Kann der „neue“ und

digitale Schulalltag weitergehen? Der

Schulalltag, der nun zum neuen „Normal“

geworden ist? Einsamkeit und

Antriebslosigkeit seien nur einige der

Faktoren, die für Kinder und Jugendliche

zur Belastung werden, konstatiert

Zajec. Ihr zufolge haben weiters Ängste,

wie Zukunftsangst oder das Gefühl

der Perspektivenlosigkeit, zugenommen.

Auch sei die Neugierde und die

direkte Begegnung fundamental, die

vor Allem für die Jüngsten maßgeblich

ist, um neue Dinge zu lernen und Erfahrungen

zu sammeln. Dieser wichtige

Faktor lasse speziell in Zeiten der Fernlehre

zu wünschen übrig. Trotzdem darf

nicht vergessen werden, dass die neuen

Klassenzimmer zu Hause die Eigenständigkeit

und die Selbstdisziplin fördern

können. Selbstorganisation ist das

A & O, wenn der gesamte Schulalltag

vor einem Bildschirm verbracht wird.

Laut der oberösterreichischen Kindermedienstudie

aus dem Jahr 2020 verbringen

etwa 45% der Kinder zwischen

sechs und zehn Jahren ihre Freizeit mit

Spielen auf elektronischen Mediengeräten.

Auch wenn dies nicht die ersten

Ränge, wie draußen spielen oder mit

Freund*innen Zeit verbringen, vom

Podest stößt, darf nicht vergessen

werden, dass während der Pandemie

die schulische Bildschirmzeit noch dazu

kommt. Speziell für jüngere Kinder sei

die Handhabung eine Herausforderung

und die – oftmals fehlende – Konzentration

ein wichtiges Thema. Die

Anstrengung gestalte sich nochmals

deutlich höher als etwa bei Jugendlichen

und die Motorik leide meist unter

dem zahlreichen Einsatz digitaler Medien

im Klassenraum, weiß Psychologin

Zajec. Auch die Bewegung, die ohnehin

im Schulunterricht zu wünschen übriglasse,

werde dadurch nicht gefördert.

Die berüchtigte Frage nach

Veränderung

Veränderung. Ein vielgebrauchtes Wort,

das einen Zwiespalt zwischen Anerkennung

und großem Misstrauen hervorruft.

Susanna Öllinger beginnt mit einer

langen Liste von Aufzählungen, als die

Frage nach Veränderung fällt. Bezüglich

digitaler Medien in der Bildung meint

sie, dass es an Aufklärung über diese

mangele. Auch Karin Zajec pocht auf die

Medienkompetenz mit Nachdruck. Diese

müsse sowohl für Schüler*innen als

auch für die Eltern und das Lehrpersonal

gefördert werden und Möglichkeiten

für die Weiterbildung sollten eröffnet

und auch wahrgenommen werden.

Den Ausführungen Öllingers erfolgend

fordert auch die Sichtweise auf digitale

Medien im Unterricht eine Veränderung.

Die Thematik des Handys als

„Störfaktor“ solle überdacht werden,

sowie die Sicht auf digitale Endgeräte,

50 Zwischen Handysucht und moderner Bildung


die unzählige Chancen böten, den Unterricht

attraktiver und reichhaltiger zu

gestalten. Information könne multimedial

oder interaktiv aufbereitet und die

Lerninhalte könnten so auf verschiedenen

Ebenen wiederholt und besser verarbeitet

werden. Weiters betont Susanna

Öllinger, dass die Freiheit zwischen

„Ich möchte am Laptop mitschreiben“

und „Ich kann besser in Heften mitschreiben“

unbedingt geboten sein

müsse. Die Präferenzen der einzelnen

Schüler*innen sollten respektiert werden,

denn schlussendlich gelte es, die

angestrebten Leistungen der Auszubildenden

zu erzielen – ob dies digital

oder auf klassische Art mit Papier und

Stift passiert, sei je nach Lerntyp variabel.

Für das Leben lernen wir schließlich

auch individuell.

von Theresa Zahradnik

Karin Zajec

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Katrin Döveling / Copyright: Katrin Döveling

Susanna Öllinger

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Filmlizenzen: Ein Handel

zwischen traditioneller

Bedeutung und neuer

Marktkomplexität

Bill Gates’ vielzitierte Aussage „Content is King“ erweist sich im Entwicklungsrahmen

der Digitalisierung als strategisches Leitmotiv vieler Medienorganisationen.

Insbesondere Filmlizenzen stellen hierfür eine wichtige

Wettbewerbsfacette im audiovisuellen Mediensektor dar. Die Bedeutung

des Filmlizenzhandels und Rechtemanagements diskutiert SUMO basierend

auf jeweiligen Programmstrategien mit Frank Holderied, Head

of Strategic Programming and Acquisition Department von „Servus TV“,

Christian Zabel, Professor für Unternehmensführung und Innovationsmanagement

an der TH Köln, und mit der „The Walt Disney Company“.

© Copyright: adobe stock /waranyu

Filmlizenzen seien als jenes Recht aufzufassen,

das Nicht-Besitzer*innen

die Erlaubnis zur Ausstrahlung bzw.

Verwendung von filmischen Werken

einräumt. So definiert Prof. Zabel die

inhaltliche Ausprägung von Filmlizenzen

und erkennt sie gleichzeitig als

wesentlichen Baustein im Aufbau von

Programmangeboten an: „Der Erfolg

von ‚Netflix‘ wäre beispielsweise ohne

Film- und Programmlizenzen, insbesondere

von ‚Disney‘-Produktionen,

nicht möglich gewesen.“ Dementsprechend

hätten die Lizenzierungen von

Filmen in Zusammenspiel mit fundiertem

Rechtemanagement einen wesentlichen

Beitrag zur heute gegebenen

Marktmacht von „Netflix“ geleistet.

In Anbetracht des anhand der „Netflix“-

Historie angedeuteten Stellenwerts

von Filmlizenzen versucht der nachfolgende

Artikel den voranschreitenden

Wandel im Filmlizenzhandel sowie

Rechtemanagement zu eruieren und

damit einhergehende Veränderungen in

der Programmgestaltung von Bewegtbildanbietern

aufzuzeigen.

Veränderter Markt, neue Komplexität

„Es herrschte eine Goldgräberstimmung

mit riesigen Verträgen“, denkt

Frank Holderied an den Filmrechtemarkt

Ende der 90er Jahre zurück. „Damals

war ein unheimlicher Bedarf an

Content gegeben; es ging nur darum,

wer den Content bekommt und nicht

darum, was man eigentlich bekommt.“

In diesem Zusammenhang seien Output

Deals – spezielle Lizenzverträge,

die gewisse Rechte an sämtlichen

Produktionen eines Studios innerhalb

eines bestimmten Zeitraums sichern

– vor allem mit US-Studios gängige

Praxis gewesen. Unter den aktuell vorherrschenden

Marktbedingungen seien

solche Vereinbarungen völlig undenkbar;

heute zeichne sich seine berufliche

Tätigkeit vielmehr durch handselektierte

Auswahl der Inhalte aus.

Dadurch wird bereits deutlich, dass das

Rechtemanagement im audiovisuellen

Medienmarkt – wenngleich in abgewandelter

Form – seit jeher von hoher

Bedeutung ist. Zabel bestätigt diese

Einschätzung aus medienökonomischer

Perspektive insofern, dass Lizenzrechte

für Medienunternehmen schon immer

ein wesentliches Core Asset gewesen

seien, weil es sich einerseits um

einen markanten Ausgabenfaktor und

andererseits um einen wesentlichen

Differenziator im Wettbewerb handle.

Ebenso sei der Konnex zwischen Rechte-

respektive Programmmanagement

und der daraus resultierenden Effizienz

nach wie vor ausschlaggebend, wobei

sich für Filmlizenzen heute eine allgemein

höhere Komplexität am Markt abzeichnen

lasse. Diese sei primär auf die

vielen unterschiedlichen Möglichkeiten

und Plattformen zurückzuführen, die

52

Filmlizenzen: Traditionelle Bedeutung und neue Marktkomplexität


nunmehr als Distributionskanäle zur

Verfügung ständen. So nennt Zabel als

Beispiel für diese aufgekommene Komplexität

etwaige Werteinschätzungen

in Bezug auf neuartige Rechtebündel.

Demzufolge verweist er auch auf gestiegene

Anforderungen an das Rechtemanagement

selbst und artikuliert

diese wie folgt: „Während der Prozess

des Rechtemanagements früher ein

stark handwerklich getriebener Prozess

war, ist er heute vor dem Hintergrund

der Digitalisierung stärker professionalisiert.“

Holderied beschreibt diese neue Marktkomplexität

und die damit einhergehenden

Veränderungen am Markt

– aus Sicht seiner beruflichen Praxis

im Filmlizenzhandel – in ähnlicher Art

und Weise: Die „Goldgräberstimmung“

am Lizenzmarkt habe sich mit leichter

Verzögerung auf den TV-Markt ausgewirkt.

Dadurch sei der übermäßige

Serienboom in den 90er Jahren ausgelöst

worden, wobei Serien plötzlich

wieder in den Hauptabend rückten.

Und als dieser Trend langsam abflachte,

sei parallel das anfängliche Entstehen

des Streaming-Booms zu beobachten

gewesen. Über diese wellenförmigen

Entwicklungen am Bewegtbildmarkt

hinweg, erkennt Holderied eine weitere

Veränderung auf Seiten der Filmproduktion

mit maßgeblichen Auswirkungen

auf den Filmlizenzhandel: „Früher

gab es zum einen Top-Blockbuster und

zum anderen Direct-to-DVD Action-

Content, Arthouse- oder Independent-

Filme und Ähnliches. Zwischen diesen

beiden Polen gab es einen ausgeprägten

Mittelmarkt, in einer Größenordnung

von rund 70%.“ Heute sei dieser

Mittelmarkt fast vollständig weggebrochen,

was Holderied leicht überzeichnet

veranschaulicht: „Heute gibt es eigentlich

nur noch den Mega-Blockbuster

mit einem Budget von 200 Millionen

US-Dollar oder den anspruchsvollen Independent-Film

mit einem Budget von

8 Millionen US-Dollar.“

Was von der „Goldgräberstimmung“

blieb

Trotz der unterschiedlichen Veränderungen

im Handel mit Filmrechten – auf

Basis eines digitalisierten Bewegtbildmarkts

– erweist sich auf Filmfestivals

und -messen eine ungebrochene Konstante

des Lizenzhandels. Als Drehscheibe

für Filmrechte sieht Zabel diese

Veranstaltungen nach wie vor als wichtigen

Ort, wo sich die Branche treffe

und direkt miteinander verhandeln

könne. Vor allem besonders seltene Inhalte

würden mitunter eher persönlich

gehandelt werden. Hierzu teilt Holderied

eine sehr ähnliche Einschätzung:

„Filmfestivals und Filmmessen werden

immer eine Bedeutung haben, weil der

Filmlizenzhandel letztendlich immer

ein People’s Business ist.“ Trotz der

digitalen Möglichkeiten bleibe es auch

ein People’s Business; man kenne sich

in der Branche untereinander, könne

so Auge in Auge miteinander verhandeln

und das persönliche Screening von

Filmen – als emotionale Erlebnisse –

würde Kaufanbahnungen sowie -entscheidungen

erleichtern. Dennoch könne

man aber als nationaler TV-Sender

wie „Servus TV“, insbesondere aus Zeitund

Kostengründen, nicht alle kleineren

Filmfestivals besuchen. Auch „The Walt

Disney Company“ erachtet Film- sowie

Serienfestivals und zugehörige Messen,

laut schriftlicher Stellungnahme gegenüber

SUMO, als „wichtige Orte des Zusammenkommens

und Austauschs für

die gesamte Branche“. Dabei werde die

Präsenz von „Disney“ bei solchen, zum

Teil historischen Events auch als Chance

gesehen, um dem interessierten Publikum

(Neu-)Produktionen vorstellen

zu können.

Im Zusammenhang mit globalen Rechten

sei die Zugangsweise für TV-Veranstalter

wie „Servus TV“ laut Holderied

überwiegend gleichgeblieben: „Wenn

weltweite Player einen Film kaufen,

dann kaufen sie diesen für globale

Rechte. Solche Inhalte sind dann einfach

vom Markt weg; das ist demnach

für uns nicht mehr interessant. Hierin

hat sich für uns nicht viel verändert.“ Da

sich früher alle TV-Veranstalter sämtliche

Filmpakete absichern wollten,

und dementsprechend intensive Konkurrenz

unter den Nachfrager*innen

von Filmlizenzen gegeben war, schätzt

Holderied den aktuellen Handel von

Filmrechten im Vergleich zu früher als

überwiegend entspannter ein. Demgegenüber

sieht Zabel im vereinfachten

Zugang zu Filmrechten über digitale

Plattformen mit gleichzeitig komplexer

werdender Abwicklung der Geschäfte

eine eher ambivalente Intensität in der

Entwicklung des Filmlizenzhandels.

Die Streaming-Revolution und

ihre Auswirkungen

Die mitunter augenscheinlichste Veränderung

des Bewegtbildmarkts, mit

entsprechender Auswirkung auf den

Filmlizenzhandel, stellt die delineare

Distribution dar. „Streaming-Anbieter

haben die Komplexität im Filmlizenzhandel

nochmals deutlich vorangetrieben,

wodurch Online- und Digitalrechte

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Filmlizenzen: Traditionelle Bedeutung und neue Marktkomplexität

53


merklich an Bedeutung gewonnen haben“,

wie Zabel die Streaming-Revolution

sehr eindringlich beschreibt. Seinen

Expertisen zufolge bestehe nun für

herkömmliche Medienorganisationen

am audiovisuellen Bewegtbildmarkt

ein Wettbewerb mit Streaming-Plattformen,

die global skaliert seien. Wegen

der gegebenen Finanzkraft jener

Plattformen zeige sich dadurch auch

ein treibender Einflussfaktor auf den

Filmlizenzhandel, wobei dieser Effekt

durch Eigenproduktionen zusehends

ausgeglichen werde.

Grundsätzlich erweise sich laut Holderied

im Zuge der Streaming-Revolution

ein massives Überangebot an fiktionalen

Inhalten bzw. an Bewegtbild-Content

generell; und „in diesem Überangebot,

das wir zurzeit haben, gibt es nur

noch wenige Unterscheidungsmerkmale“.

In diesem Status Quo sei prinzipiell

klar, dass die TV-Lizenz, speziell

auf einem solch kleinen Markt wie Österreich,

immer eine preisgünstige Art

und Weise sei, um das Programm zu

füllen; ein eigenproduzierter Film koste

im Verhältnis viel mehr als ein eingekaufter.

Dennoch ist es essenziell, auf Basis eines

adäquaten Rechte- und Programmmanagements,

gezielt Unterscheidungsmerkmale

herauszuarbeiten, zu

konstituieren und diese zu bedienen,

um sich als lokaler TV-Anbieter gegenüber

globalen Streaming-Diensten behaupten

zu können. Holderied bestrebt

in seiner Funktion als strategischer

Programmplaner von „Servus TV“ drei

primäre Vorgehensweisen: (1) Zum

einen müsse lokaler Content forciert

werden; Filme oder Produktionen mit

österreichischer DNA, die Streaming-

Dienste (noch) nicht anbieten. Aktuelle

Programmerfolge im TV seien ein

Beweis für den Boom solcher lokalen,

fiktionalen Inhalte. (2) Darüber hinaus

stelle Live-Content, sogenannter

Not-to-miss-Content eine nachhaltige

Möglichkeit zur Differenzierung dar.

Deutlich werde dieser Stellenwert anhand

der Sonderstellung von Sport-Inhalten

mit implizitem Aktualitätsvorteil.

(3) Und zum dritten sei es vor allem der

kuratierte Content: „Jede/r sieht sich

nach wie vor gerne einen guten Spielfilm

im TV an, aber die Personen sind

selektiver geworden und deshalb müssen

auch wir im Einkauf selektiver werden;

es geht darum, zielgruppenspezifisch

einzukaufen.“ Für Holderied seien

Eigenproduktionen neben Live-Sport

der einzige Weg, um sich gegenüber

„Netflix“ und Co. behaupten zu können.

Diese Einschätzung gelte für sämtliche

Content-Bereiche; eigenproduzierte Inhalte

von Fiktion über Information bis

hin zur Dokumentation. Hierin erkennt

Zabel überdies die einfließende Tendenz,

dass Exklusivrechte hinkünftig,

aufgrund des übermäßigen Kostenfaktors,

nicht mehr umsetzbar wären

– ausgenommen Sport-Inhalte.

„The Streaming Wars“

Äquivalente Konkurrenz- und Positionierungskämpfe

zeigen sich ebenso

auf Seiten der Streaming-Dienste mit

ihrem jeweils bestrebten Rechte- und

Programmmanagement. So analysiert

Zabel aktuelle Programmüberlegungen

von „Netflix“ folgendermaßen: „Zunehmende

Teile des Programms von ‚Netflix‘

sind ein aktualisiertes Aufwärmen

und Kombinieren von popkulturellen

Themen, um das Risiko zu senken.“ So

würden global skalierte Plattformen

viel stärker internationalen Content

probieren (können). Auch Holderied

sieht die internationale Serie als sehr

großes Asset der Streaming-Dienste,

wenngleich er dabei eine Verzerrung

der jeweils zugehörigen Popularität

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aufgrund von Imageeffekten der Plattformen

wahrnimmt.

Dass wegen der „Streaming Wars“

laufend weniger Titel zum Lizenzieren

angeboten werden und daher Eigenproduktionen

bei Streaming-Diensten

an Bedeutung gewinnen, verdeutlicht

auch eine Studie des britischen Marktforschungsunternehmens

„Ampere

Analysis“ aus dem Jahr 2019. Demnach

wurden im Jahr 2018 erstmals mehr

Eigenproduktionen (51%) als Lizenzwaren

(49%) auf „Netflix“ neuveröffentlicht.

Dies entspricht einer Verdopplung

der eigenproduzierten Neuerscheinungen

im Vergleich zum Jahr 2016. Damit

stieg der Anteil an „Netflix-Originals“,

in Relation zum US-Programm, im Jahr

2018 auf insgesamt 11% an.

Auch „The Walt Disney Company“ versucht

sich durch gezielte Programmgestaltung

eigenständig zu positionieren,

wobei auf einige der erfolgreichsten

Studios und Marken mit einem umfangreichen

Pool an Inhalten zurückgegriffen

werden könne. Deshalb seien

für Verwertungen und Lizenzierungen

sowohl große Freiheit als auch Unabhängigkeit

gegeben. Schon frühzeitig

habe sich „Disney“ für ein vielfältiges

Angebot an unterschiedlichsten Zugangsformen

entschieden, wobei sich

„die Gewichtung in den letzten Jahren

stetig verschob, sodass das Direct-to-

Consumer Geschäft heute sicherlich

eine große Bedeutung hat“. Im Zuge

der vorherrschenden „Streaming Wars“

fokussiert die „The Walt Disney Company“

mit dem konzerneigenen Streaming-Dienst

„Disney+“ auf Qualität und

bestmögliches Storytelling im Rahmen

exklusiver „Originals“. Eigenproduzierte

Spielfilme, Dokumentationen, Live-

Action- und Animationsserien sowie

Kurzfilme würden um lokale Inhalte

aus Europa ergänzt werden. Gerade die

Produktionen aus Europa seien essenziell,

um ein lokales Publikum gewinnen

zu können; vor allem bedingt durch

Identifikation und Wiederfinden der Zuseher*innen

in den lokal verankerten

Geschichten und Figuren.

Der Handel mit Filmlizenzen:

Ein Ausblick

Zabel verdeutlicht, dass Eigenproduktionen

auch hinkünftig eine sehr

große Rolle in der Differenzierung

spielen würden, wobei „vieles, was Rezipient*innen

als Eigenproduktionen

der Streaming-Dienste wahrnehmen,

ebenfalls lizensierte Ware ist“. Demzufolge

sieht er nicht nur ein längerfristiges

Bestehen des Machtkampfs

zwischen Streaming-Anbietern untereinander,

sondern antizipiert, dass sich

jene „Streaming Wars“ hinkünftig noch

stärker zuspitzen würden.

Auf Seiten der TV-Veranstalter greift

Holderied die Chance neuer, digitaler

Verwertungsmöglichkeiten auf: „Diese

dienen nicht nur einer Zweitverwertung

im Sinne von Catch-up-Rechten,

sondern können einem Sender zusätzliches,

eigenständiges Profil verleihen.“

Dabei gelte es aber anzumerken, dass

man externe Rechte für die Ausspielung

auf Mediatheken nur ganz selten

bekomme. Dementsprechend würden

sich Mediatheken, bezogen auf auszuspielende

Lizenzware, auch zukünftig

als „nice-to-have“ erweisen, wobei ihnen

zur Verwertung von Eigenproduktionen

ein durchaus hoher Stellenwert

zukomme und noch weiter zukommen

werde. Zabel bewertet jene neuen Möglichkeiten

hingegen differenzierter. So

bestehe in digitalen Verbreitungswegen

eine aktuelle Chance für Urheber*innen

der Inhalte, da Marktstrukturen aufbrechen

würden, aber langfristig stelle

sich die Frage, ob der Markt insgesamt

bzw. das Produktionsvolumen nachhaltig

wachsen würde. Man gewinne

im digitalen Bereich zwar neue Vermarktungsformen,

aber man könne den

Rückgang der besserbezahlten, analogen

Vermarktungsformen dadurch

nur schwer kompensieren. In diesem

Kontext bedient er sich eines Zitats von

Fred Wilson: „Zurzeit werden am Markt

analoge Dollars gegen digitale Pennies

getauscht.“

Holderied umschreibt die Funktionen

der Programmplanung, der Programmgestaltung

und des Programmeinkaufs

abschließend als ein „Abhilfe Schaffen

von Entscheidungen“ in einer komplexer

werdenden, schnelllebigen Welt. In

Ausprägung eines solchen Lean Back-

Service sei es als audiovisueller Bewegtbildanbieter

essenziell, ein klares

Profil zu haben, um nicht austauschbar

zu sein. – Daher sei im Lizenzhandel

und Rechtemanagement der vergangenen

25 Jahren vor allem eine Sache

gleichgeblieben: „Content is King“

von Paul Frühwirt

Frank Holderied

Copyright: Servus TV_Leo Neumayr

Christian Zabel

Copyright: TH Köln

Filmlizenzen: Traditionelle Bedeutung und neue Marktkomplexität

55


Terrorismus – Gefahren für

Medienschaffende und

Berichterstattung

Terrorismus ist wohl eines der heikelsten Themen der Berichterstattung

und betrifft auch Medienschaffende selbst. SUMO diskutierte deren Erfahrungen

mit Florian Klenk, Österreichs Journalist des Jahres 2021 und

Chefredakteur der Wochenzeitung „Falter“, und mit dem USA-Korrespondenten

der russischen Zeitung „Gazeta.ru“ Alexander Braterskyi.

„Menschen saßen in einem Café, sahen

fern, doch es herrschte Stille; weder

Gabeln noch Löffeln klapperten.

Das Fernsehen war die Hauptquelle

der Information.“ Alexander Braterskyi

schildert seine Eindrücke von 9/11, als

sei es gestern erfolgt. Er war ein Zeuge

von einem der weltweit größten Terroranschläge,

bei dem insgesamt 3.000

Menschen ums Leben gekommen sind.

Am 11. September 2001 sei Alexander

im Internet-Café „Easy Everything“

nahe der Canal Street gewesen, beide

Türme des World Trade Centers waren

in Sichtweite. Ein Gebäude war schon

im Flammen, niemand wusste, was

passierte. „Ich rannte zum Münzfernsprecher,

habe die Nummer des Nachrichtendienstes

eingetippt, die kannte

ich auswendig. Obwohl unsere Rundfunkstation

– „Nasche Radio“ – ein

Musik-Radio war, hat sie aber eine große

Reichweite in ganz Russland. ‚Lasst

mich live berichten‘, schrie ich. Sie haben

den Livestream abgebrochen, und

ich habe angefangen zu berichten, was

rund um mich war.“

Medien als Spiegel des Terrors?

Wie der Journalist SUMO erzählte, hätten

die Medien damals einen anschwellenden

Fluss, teils widersprüchlicher

Informationen geliefert. „Die Massenmedien

dürfen nicht immer alles

überprüfen“, so Braterskyi. Die konservativen

Informationskanäle hätten versucht,

die öffentliche Meinung zu steuern,

und er betont: „Die Journalist*innen

benehmen sich nicht immer verantwortungsbewusst

gegenüber der Gesellschaft“.

Es gebe immer wieder

Menschen, die so schnell wie möglich

verschiedene Sensationen erheischen

wollen. Alexander Braterskyi hebt dabei

die Problematik des nicht-professionellen

Online-Journalismus, besser gesagt:

der Social Media-Posts hervor. Viele

Journalist*innen sagen, heute streben

alle nach Likes, ohne beim Lesen oder

Sehen auf die Inhalte zu achten. „Clickbaiting

hat die Medien stark verändert“,

so Braterskyi. „Falter“-Chefredakteur

Florian Klenk schwenkt im SUMO-

Interview um auf einen anderen, doch

ähnlichen Aspekt: Terrorist*innen würden

auch in einer quasi-redaktionellen

Gesellschaft leben und eigene Medien

(Websites, Accounts, Social Media) erschaffen

können. „Sie haben anders

als Terrorist*innen vor zehn oder 15

Jahren die Möglichkeit, über Social Media

einerseits an Sympathisant*innen

heranzukommen, aber auch Schrecken

zu verbreiten“. Klenk weist darauf

hin, dass am Beginn der IS-Bewegung

Terroristen ihre Propagandavideos unzensuriert

über „Facebook“ und „Twitter“

verbreitet hätten. Nunmehr zögen

klassische Medien Schlüsse: Die

Bildsprache der Terroristen solle nicht

mehr reproduziert und eins zu eins

übernommen werden. „Aber nicht alle,

viele Medien verwenden noch diese

Ikonographie“.

Zwischen Terror und Medien

sind Menschen

Ein Dilemma stelle der Aspekt der Begrenzung

der Arbeit der Medien bei

einem Terrorakt dar. „Die Menschenrechtskonvention

postuliert, dass es

die Pressefreiheit gibt und dass wir

über alles berichten können, was passiert“,

so Klenk. Er betont, dass die Arbeit

der Presse zum Schutz der Rechte

anderer, aber auch zum Schutz der

nationalen Sicherheit begrenzt werden

könne. Beispielsweise bitten die Behörden,

keine Geiselnamen und auch deren

Fotos nicht zu veröffentlichen. Der

Chefredakteur denkt, dass der Staat

ausnahmsweise bei der Gefahr eingrei-

56

Terrorismus - Gefahren für Medienschaffende und Berichterstattung


fen dürfe: „Sonst halte ich das für keine

gute Idee, die Presse einzugrenzen.“

Alexander Braterskyi hat eine andere

Meinung dazu. Er nennt als Beispiel den

Film „Stirb langsam“. Bei einem Terrorakt

im Flugzeug rennt ein Journalist zum

Telefon, er will vom Terrorort berichten

und sagt, auf seine Berufspflicht beharrend:

„Put me on there“. Bruce Willis

hindert den Journalisten daran, über

die aktuellen Ereignisse zu berichten.

Die Terroristengehilfen hätten andernfalls

eine Möglichkeit, sich darüber informieren

zu lassen, Menschen hätten

sterben können. „Solch ein Dilemma

erscheint oft in diesen Situationen.

Die Rolle der Massenmedien soll auf

Staatsebene begrenzt werden, wenn

eine Antiterroroperation durchgeführt

wird“, fordert Braterskyi. Der Journalist

stellt fest, dass Massenmedien – hierbei

lassen sich definitiv interkulturelle

bzw, mediale Unterschiede erkennen

– einigermaßen dem Staat untergeordnet

seien und nach dessen Spielregeln

agieren. Wenn Journalist*innen verstünden,

dass ihre Worte die Menschen

beschädigen können, müsse man nicht

nur nach Interessen der Zeitschriften,

Zeitungen oder Blogs handeln, sondern

auch achten, dass die Information die

Geiseln in Gefahr bringen könne.

Zu wenig Schutz

Journalistinnen stehen oft unter Bedrohungen,

werden entführt oder sogar

ermordet. 2020 wurden laut „Reporter

ohne Grenzen“ zumindest 50 Medienschaffende

getötet (die Dunkelziffer

ist hoch) – und dies nicht „bloß“ durch

Terrorgruppen. SUMO-Chefredakteur

Roland Steiner erinnert sich hierzu an

seinen Forschungsaufenthalt in Italien

und Interviews mit Journalist*innen

1997: „Historisch betrachtet waren mir

die Sicherheitsvorkehrungen römischer

Medienbetriebe logisch vorgekommen,

in der Realität erschien es mir – gerade

im Vergleich mit Österreich – gespenstisch.

Ich hatte große kommerzielle wie

kleine nicht-kommerzielle Betriebe im

Fokus, da gab es alles: pedante Registrierungen

bei Besuchen, zu passierende

Schleusen, teils schon sensorisch

ausgestattet, Zigaretten waren abzugeben.

Erst durch die Gespräche mit

Medienschaffenden wurde mir klar,

warum.“ Terroranschläge rechts- wie

linksextremistischer Gruppierungen:

das gezielte Durchschießen von Beinen

und Knien bis hin zu Granaten in Redaktionen

mit vielen Opfern. Andererseits

– mit vorgenannten Beispielen unvergleichbar

– hätten etwa Radiosender

eine*n Besucher*in nur nach klandestiner

Bekanntgabe eines Codeworts

eingelassen. Interviewfragen wurden

mehrfach geprüft – von wem?

Alexander Braterskyi meint: „Die Aussagen

zu einem Terrorakt müssen vorsichtig

gewählt werden“. Er hebt hervor,

dass hierbei Journalist*innen eine

äußerst diffizile Verantwortung der

Berichterstattung übernähmen. Denn

dadurch würden oft Medienschaffende

zum Ziel der terroristischen Bedrohungen.

„Die Verbrecher versuchen nicht,

eine offene Diskussion mit Hilfe der

Massenmedien zu führen. Sie nehmen

Journalist*innen als Feinde wahr“. Florian

Klenk erklärt SUMO, was gemacht

werde, wenn Journalist*innen ernsthaft

bedroht würden: „Man ruft die Polizei

zur Hilfe, bittet die Polizist*innen um

Einschätzung der Lage. Ist es nur ein

Verrückter oder ist es wirklich gefährlich?

Dann bekommt man Verhaltenstipps“.

Er schildert auch die Arbeit von

Journalist*innen, die in Kriegsgebiete

fahren. Sie haben Bodyguards und

technische Infrastruktur. Der Chefredakteur

betont aber, dass die JournalistInnen

relativ schwach geschützt seien

und es in diesem Feld noch Verbesserungen

gebe. Florian Klenk erwähnt

auch der Fall von „Charlie Hebdo“, mafiöse

sowie terroristische Anschläge

und dass immer wieder Journalist*innen

entführt würden: „Den Schutz der

Journalist*innen in dem Sinne gibt es

eigentlich nicht“.

TerroristInnen als Interviewpartner*innen

Alexander Braterskyi sagte SUMO, dass

in den 1990ern Interviews mit den Vertretern

der Terroristenspitze getätigt

wurden, als Beispiel nennt er eines mit

dem tschetschenisch-islamistischen

Schamil Bassajew. „Die Menschen

müssen Verständnis erlangen, was für

Menschen das sind.“ Jedoch müsse die

Information über Terrorist*innen an

die Gesellschaft angepasst vermittelt

werden. Florian Klenk betont, dass bei

solchen Interviews die Propaganda

der Terrorist*innen nicht übernommen

werden dürfe. Die Medien könnten deren

Lebensgeschichten erzählen, um

allfällig die Antwort auf die Frage zu

geben, warum sie zu solchen geworden

sind. Es müsse auch beachtet werden,

wer die Fragen beim Interview stelle

und wie sie gestellt werden. „Was lerne

ich als Zuseher*in daraus? Wofür

soll es das Interview eigentlich dienen?

Was ist der Info Value?“, so Klenk. Es sei

aber für die Medien wiederum wichtig,

die Grenze zwischen reinen Fakten und

Propaganda nicht zu verletzen.

Florian Klenk

Copyright: Christopher Mavric

Alexander Braterskyi

Copyright: Jeanne Bagdinova

von Elizaveta Egorova

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Terrorismus - Gefahren für Medienschaffende und Berichterstattung

57


TV-Nachrichten – das

härteste Geschäft?

„Guten Abend zur ZiB2“. Eine Glocke läutet, „Hier ist das Erste deutsche

Fernsehen“. Anmoderationen der wichtigsten Nachrichtensendungen im

deutschsprachigen Fernsehen. Sind sie nach wie vor führend in puncto

Agenda Setting? SUMO diskutierte über deren Rolle mit Tanja Köhler, Professorin

für Digitalen Journalismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg,

und Matthias Schrom-Kux, Chefredakteur von ORF 2.

Die erste „Tagesschau“ bestrahlte am

26. Dezember 1952 nur wenige Zuseher*innen

in Deutschland. Die Idee

dahinter war es, Nachrichten für das

Fernsehen und nicht für das Kino zu

produzieren. Zu Beginn wurde sie dreimal

pro Woche gesendet, am folgenden

Tag wurde sie jeweils wiederholt.

Die erste „Zeit im Bild“ in Österreich

wurde erst am 5. Dezember 1955 ausgestrahlt.

Diese wurde sehr schnell zu

einem der beliebtesten Programme

des neuen Mediums. Vorbild für die

Sendung war die Nachrichtensendung

„Nine O’Clock News“ der „BBC“. Der

Name geht auf den Fernsehjournalisten

Teddy Podgorski zurück. 1975 wurden

die Nachrichten um die „Zeit im Bild 2“

ergänzt. Diese wurde unter dem Titel

„Zehn vor zehn“ bis 1984 gesendet. Ab

den 2000ern wurden diverse „Spin-off“

aufgesetzt – etwa „newsflash“ oder

„ZIB20“. Warum? Nachrichten sind das

härteste Geschäft, ein teures – und für

öffentlich-rechtliche Sender die Hauptlegitimation.

Und zu legimitieren bedeutet

sich zu behaupten, eben öffentlich

und rechtlich. Das kommt teuer.

Der privat-kommerzielle Konkurrent

„PULS 24“ startete Mitte 2019 in der

App „ZAPPN“. Dieser wurde als Popup-Kanal

für Breaking-News-Inhalte

geplant. Ende 2019 verkündete das

Unternehmen, dass der Sender via

Antenne, Kabel und Satellit ohne Zusatzkosten

verbreitet werde, Bundespräsident

Van der Bellen drückte den

roten Startknopf. Das Alleinstellungsmerkmal:

24 Stunden, 7 Tage die Woche

live. Auch Zeitungsverlage – 1964

initiierten sie ein Volksbegehren gegen

den Rundfunk-Proporz (und für eine Liberalisierung)

– setzten nach, vor allem

im Boulevard-Segment. Warum aber im

Nachrichten-Segment?

Das Zusammenspiel von Nachrichtenarten

und -vorbereitung

Das wichtigste Kriterium für die Verständlichkeit

von Medieninhalten ist die

Sprache. Schrom-Kux sowie Köhler erwähnen,

dass seit dem Beginn der Corona-Pandemie

deutlich geworden sei,

wie wichtig der Zugang zu journalistischen

Informationsangeboten ist. Köhler

betont, dass die Verständlichkeit im

Auge der/s Rezipientin/en liege. Deshalb

hätten in den letzten Jahren Konzepte

der Leichten und Einfachen Sprache

an Bedeutung gewonnen. „Leichte

Sprache“ wendet sich an Menschen mit

kognitiven Einschränkungen oder Lernschwierigkeiten,

„Einfache Sprache“ an

Menschen mit geringen Kenntnissen

der Mehrheitssprache sowie geringer

Lese- und Schreibkompetenz. Die Anzahl

dieser potentiellen Nutzer*innen

sei nicht zu unterschätzen. In Österreich

sind es bis zu eine Million Menschen,

in Deutschland laut der LEO-

Studie der Universität Hamburg 15

Millionen. Nachrichten in leichter und

einfacher Sprache sorgen für stärkere

Diversität im Journalismus. Aber zu

welchen Nachrichten?

Köhler erklärt, dass es in der Medienund

Kommunikationswissenschaft

unterschiedliche Theorien gibt, die

erklären, warum aus einem Ereignis

eine Nachricht wird. Eine davon sei die

Nachrichtenwerttheorie. Diese habe

unterschiedliche Merkmale zusammengetragen,

die verantwortlich dafür

seien, ob ein Ereignis zu einer Nachricht

wird. Je stärker diese Nachrichtenfaktoren

auf ein Ereignis zutreffen, desto höher

ist der Nachrichtenwert und desto

größer die Wahrscheinlichkeit, dass es

für die Nachrichten ausgewählt wird.

58

Thema

TV-Nachrichten - das härteste Geschäft?


Die Nachrichtenaufbereitung gehe allerdings

weit über die Nachrichtenfaktoren

hinaus, Faktentreue oder fundierte

Recherche spielten beispielsweise

ebenso eine Rolle, so Köhler. Zudem

ginge es bei der Nachrichtenproduktion

zwar immer auch um Schnelligkeit,

wichtiger aber sei Genauigkeit. Denn

Vertrauen und Glaubwürdigkeit seien

schneller verspielt als aufgebaut.

Köhler weist darüber hinaus darauf hin,

dass es ein Mythos sei, vom Journalismus

als Talentberuf zu sprechen. Journalismus

sei ein Handwerk, welches

man erlernen könne, sonst würde es

keine Journalistenschulen geben. Insofern

sei auch der Nachrichten-Journalismus

erlernbar. Nachrichten im TV und

Radio seien übrigens auch von der Sendezeit

abhängig, betont die ehemalige

stellvertretende Nachrichtenchefin des

Deutschlandfunks. Bei TV-Nachrichten

sei darüber hinaus das Zusammenspiel

von Text und Bild ein wesentlicher Faktor.

Auch Schrom-Kux betont, dass das

Bild den Text unterstützen müsse. So

soll der Text Eindeutigkeit schaffen, und

somit keine Irritation entstehen.

sei ein langes Interview. Schrom-Kux

erwähnt dazu auch ein Beispiel: Bei

einer Lawinenkatastrophe erfährt man

in der „ZiB1“, was passiert ist. In der

„ZiB2“ hingegen werde darauf eingegangen,

warum es Lawinenabgänge

gibt. Generell jedoch sei die besondere

ethische Verantwortung zu bedenken.

Ein Beispiel sei der Terroranschlag vom

2. November 2020. Einige Nachrichtenplattformen

veröffentlichten Videos

währenddessen, der ORF hatte sich dagegen

entschieden. Man diskutiere abwägend

und entscheide hernach.

264.000. Auch in Deutschland wird

die 20 Uhr Ausgabe der „Tagesschau“

immer noch von Millionen Menschen

im linearen TV gesehen. Die Herausforderung

für Medienunternehmen sei

daher, so Köhler, einerseits bestehende

reichweitenstarke Formate nicht zu

vernachlässigen, andererseits flexibel

auf den Wandel der Nachrichtennutzung

zu reagieren. Für junge Menschen

seien Soziale Medien DER Ort, um mit

Nachrichten in Kontakt zu kommen.

Deshalb müssten Medienunternehmen

dorthin gehen, wo sich ihre Zielgruppen

aufhalten. Auch hier diene die

„Tagesschau“ als gutes Beispiel, da sie

es geschafft habe, sehr erfolgreich auf

unterschiedlichen Drittplattformen, wie

„Instagram“, „YouTube“ oder „TikTok“

neue Nachrichtenformate zu etablieren.

Junge Menschen haben eine andere Erwartungshaltung

an Nachrichtenangebote.

Aber sie erwarten – und nutzen

sie.

von Isabella Steiner

Matthias Schrom-Kux

Copyright: ORF, Thomas Ramsdorfer

Tanja Köhler

Copyright: Annika Fußwinkel

Ethik und Wagnisse

Im ORF 2 unterscheidet man zwischen

der „Zeit im Bild 1“ und der „Zeit im Bild

2“. „ZIB1“ sei laut Schrom-Kux tagesaktuell:

Einordnungen, Analysen, sowie

Korrespondentenschaltungen sind vor

allem hier zu finden. Die „ZiB2“ ist von

der Sendezeit länger und tiefgründiger.

Im Unterschied zur „ZiB1“, wo es sieben

bis acht Beiträge gebe, spiele man nur

vier Beiträge aus. Der Kern der „ZiB2“

Ein anderes, technologisch wie ökonomisches

Wagnis für den ORF war

die Erstellung eines „TikTok“-Kanals. Er

solle als neue Informationsquelle für

die jungen Menschen im Land werden.

Diesem folgen 22% der 16- bis 24-jährigen

in Österreich. Wird es funktionieren?

Die Zukunft von TV-Nachrichten

kann niemand voraussehen, im Zuge

des Interviews hat Prof. Köhler jedoch

eine Prognose gewagt. Mediennutzung

und damit auch die Nachrichtennutzung

verlagere sich zunehmend ins Digitale,

also Nicht-lineare. Immer mehr

Personen informieren sich im Netz und

in den Sozialen Medien über aktuelle

Ereignisse. Gleichwohl: Traditionelle

Produkte seien noch immer erfolgreich

und haben eine große Reichweite.

Die Tagesreichweite der „Zeit im Bild1“

beträgt 1,4 Millionen, von „PULS 24“

© Copyright: adobe stock / Hakinmhan

© Copyright: adobe stock / hakinmhan

TV-Nachrichten - das härteste Geschäft?

59


Vom Info-Flyer zum

„Instagram“ Werbespot–

Der Wandel des

Medienmarketings

Kaum eine Branche ist so sehr vom technologischen Wandel betroffen,

wie die der Medien. Dieser Prozess betrifft nicht nur die redaktionellen

Mitarbeiter*innen, sondern lässt sich auch am Marketing erkennen. SUMO

sprach mit Daniel Kupka, Head of Marketing & Communications bei „FM4“,

und Judith Zingerle, Marketing-Leiterin bei „DER STANDARD“, über das

Berufsbild, Veränderungen und Zukunftsaussichten.

© Copyright: adobe stock /hakinmahn

Wo „damals“ noch Info-Flyer verschickt

wurden, finden sich heute „Instagram“

Werbespots. Das Wort „Damals“ steht

hier bewusst unter Anführungszeichen,

denn eigentlich galt diese Realität noch

in den frühen 2000er-Jahren. Bei Medienmarketing

handelt es sich um eine

Sonderform des Marketings, denn das

Medium an sich ist das Produkt, das es

zu promoten gilt. Anders als im klassischen

Marketing geht es nicht um

Dienstleistungen oder materiell fassbare

Gegenstände, deren Verkauf leicht

messbar und bezifferbar ist, sondern es

geht um die Services und inhaltlichen

Angebote eines Medienunternehmens.

Doch auch wenn Medienunternehmen

eine besondere Position in der Marketingwelt

einnehmen, ist das Ziel des

Marketings analog zu anderen Unternehmen:

Es gilt die Bekanntheit der

Marke zu steigern. Wie Daniel Kupka als

Head of Marketing & Communications

bei „FM4“ betont, gebe es keine reguläre

„Kaufentscheidung“ für ein Produkt,

sondern die Zeit jedes einzelnen Kunden

und jeder Kundin sei der zu vermarktende

Faktor. Ein ähnlich wichtiger

Aspekt wird auch von Judith Zingerle,

Leiterin des Marketings der Tageszeitung

„DER STANDARD“, zum Ausdruck

gebracht: die Wissensvermittlung als

Kernaufgabe der Zeitung und Treiber

des Marketings. Diese werde etwa bei

wichtigen gesellschaftlichen Ereignissen

oder Wahlen umso relevanter, so

Zingerle.

Die Debatte um die Sozialen

Medien

Auch der Auftritt auf digitalen Plattformen

ist zu einer Herausforderung

geworden. Vor etwa 15 Jahren bestand

die Aufgabe darin, den Hauptkanal des

Radiosenders und eine radioeigene

Website mit Sendeinhalten und Programmübersichten

zu bespielen. Doch

mittlerweile, so beschreibt es Kupka,

müsse man sich als Medienunternehmen

des 21. Jahrhunderts positionieren

und vielfältige digitale Kanäle miteinbeziehen.

„FM4“ habe nach Kupka

einen gut besuchten Auftritt in Sozialen

Medien, insbesondere auf „Instagram“

und „Facebook“ eine hohe Durchdringung

in der jungen Zielgruppe des Jugendkultursenders,

vornehmlich auch

im Vergleich zur Größe des Senders respektive

im Reichweitenvergleich. Laut

Radiotest 2021 wird der Sender von

3,4% der Hörer*innen täglich rezipiert,

wohingegen sein „Instagram“-Kanal

93.000 Follower*innen zu verzeichnen

hat. Judith Zingerle spricht in diesem

Zusammenhang auch davon, offen für

die vielfältigen Möglichkeiten der digitalen

Medien zu sein und Veränderungen

zuzulassen. Ob und inwiefern

digitale Kanäle für ein Medienunternehmen

funktionieren, könne nur durch

Ausprobieren herausgefunden werden.

Dennoch gibt es auch eine Kehrseite

der Medaille: Wenn Informationen

lediglich über „Instagram“ abgerufen

werden, leben die Nutzer*innen in einer

„Informationsblase“, verweist Zingerle.

Medienimmanent erlauben Soziale Medien

kompakte, komplexitätsreduzierte

und speziell auf „Instagram“ bildlastige

Informationen. Ergänzende Fakten und

Facetten sind erst im genuinen Online-

„STANDARD“ abrufbar. Wer nicht weiterklickt

und dort nachliest, bleibt auch

beim „Instagram“-Auftritt der „Zeitung

für Leser“ oberflächlich informiert. Das

Marketing der Medienhäuser kann auf

Basis der Clickrates, der Verbleibdauer

auf der Site sowie der demografischen

Analysen die Zielgruppe kennenlernen

und die Inhalte – nutzerorientiert passend

– aufbereiten. Das Nutzungsverhalten

online und in Sozialen Medien

ist deutlich präziser messbar als jenes

der Zeitungsleser*innen im analogen

Format.

60 Vom Info-Flyer zum „Instagram“-Werbespot


Individualismus vs.

Mitläuferdasein

Der mittlerweile große Auftritt vieler

Medienunternehmen in Österreich auf

Sozialen Medien bringt auch Druck mit

sich. Druck, der selbstverständlich im

Marketing bereits davor existierte und

auch weiterhin existieren wird, doch

mit Sozialen Medien als Werbetreiber

eine neue Perspektive geschaffen hat.

Um seine Marke an die Öffentlichkeit zu

bringen, sei gegenwärtig viel Arbeit und

Denkvermögen erforderlich, erzählt

Kupka. Auch die Ausbreitung der Sozialen

Medien scheine dazu beizutragen

und Kupka verdeutlicht: „Wenn man nur

klassisch denkt, dann wird man irgendwann

untergehen“. Auch eine gewisse

Beständigkeit im Marketing und in der

Kommunikation fördere die Bekanntheit,

führt Judith Zingerle aus. Jedoch

verneint sie die Annahme, dass sich

das Marketing und die Art der Kampagnen

in den letzten Jahren – auch auf

Grund von Sozialen Medien – geändert

habe. Im Kern bestehe die Herausforderung

immer noch darin, individuell

zu agieren. Das Bewusstsein über die

Kernwerte und das Selbstverständnis

des Mediums müsse vorhanden sein

und diese Botschaft nach außen an die

Leserschaft auf den diversen Kanälen

transportiert werden. Wenn der Transfer

dieses Bewusstseins gelinge, dann

ergebe sich die Individualität der Marke

wie von allein, erklärt Zingerle SUMO.

verlässliche

Information,

nahe am

Menschen

UNSERE VISION

Die Zukunft wird…

Der permanente Wandel in dieser

Branche macht es nicht einfacher, haltbare

Zukunftsaussagen zu tätigen. Es

stehen einige Spekulationen im Raum,

etwa über die Neustrukturierung oder

Auslagerung der Marketingabteilung

im Allgemeinen bzw. ein Umdenken

bezüglich des Marketings. Zingerle verneint

diese Aussagen rasch und ist der

Ansicht, dass in der Marketingabteilung

das Fachwissen konzentriert vertreten

ist. Die Kommunikation – sowohl

unternehmensintern als auch nach

Außen – findet im Marketing statt und

auch die Nähe des Produkts sei wichtig:

„Marketing kann nicht abgekapselt

und weit weg vom Kernprodukt stattfinden“,

betont sie. Auch das rasante

Wachstum der Unternehmensabteilung

und der Boom der Marketingbranche

wirft die Frage auf, ob dieses Business

noch weiterwachsen kann, oder

ob die Sättigungsgrenze bereits überschritten

ist. Diese Thematik löst auch

für Insider Unwohlsein aus und wirft

Fragen auf, die schwierig zu beantworten

sind. Kupka unterstreicht diesbe-

© Copyright: adobe stock / redpixel


züglich die Tatsache, dass es schwierig

sei, Annahmen zu treffen, wenn man

selbst in diesem „Marketing-Boot sitzt“

und kaum Möglichkeit hat, andere beziehungsweise

fremde „Boote“ diverser

Unternehmen zu beobachten. Jedoch

kann festgehalten werden, dass rapide

Veränderungen rasche Entscheidungen

erfordern. Zögerliches Agieren ist hierbei

nicht erwünscht und die Anpassung

an neue Werte und Phänomene – etwa

der noch nicht prognostizierbare Erfolg

von „TikTok“ – sollte an oberster Stelle

stehen. Denn: So rasch die Veränderung

kommt, so rasch kann diese auch wieder

vom Markt verschwinden und die

Adaption ist hierbei das A & O. Jedoch

kann eines gesagt sein: Offen für neue

Ideen sein, vieles ausprobieren, neugierig

bleiben und nicht zu weit in die

Zukunft blicken sind die Ratschläge von

Judith Zingerle. Sich an neuen Plattformen

und Strategien versuchen und am

Zahn der Zeit zu bleiben ist hierbei mitunter

die wichtigste Empfehlung.

© Copyright: adobe stock / Redpixel

Judith Zingerle

Copyright:privat

von Theresa Zahradnik

Daniel Kupka

Copyright: ORF FM4, Chris Stipkovits

62 Vom Info-Flyer zum „Instagram“-Werbespot


Trafikant*innen: Die analogen

Influencer*innen unserer Zeit

Trafiken finden sich im Zwiespalt einer traditionalistischen Historie und digitalen Moderne wieder. Im zeitlichen

Verlauf zeigen sich Probleme und Potenziale, die auf einem ursächlichen Freiheitsgedanken beruhen. Daraus

resultierende Auswirkungen auf die einhergehende Distributionsfunktion von Printmedien diskutiert SUMO mit

Hannes Hofer, Geschäftsführer der Monopolverwaltung GmbH, Josef Prirschl, WKO-Bundesobmann der Trafikant*innen,

und anonym mit einem Wiener Trafikanten.

Seit jeher stellen Trafiken eine wichtige

Institution im österreichischen Handelswesen

dar. Die historische Bedeutung

verdeutlicht sich unter anderem

durch das von Kaiser Josef II. bereits

im Jahr 1784 eingeführte Tabakmonopol.

„Ich glaube, es gibt niemanden in

Österreich, der/die nicht weiß, wo die

nächste Trafik ist.“ Durch die kollektive

Bekanntheit der Marke „Trafik“, die als

Alleinstellungsmerkmal zu betrachten

sei, beschreibt Hannes Hofer den ungebrochenen

sozialen Stellenwert. In

ökonomischer Hinsicht zeigen sich jedoch

umfangreiche Herausforderungen

und es stellt sich – im medialen Kontext

– die Frage, inwieweit Trafiken im Zeitalter

der Digitalisierung noch als Distributionskanal

von Printmedien dienlich

sein können.

Veränderte Rahmenbedingungen

„Die größte Branchenveränderung

der vergangenen 30 Jahre ist mit dem

EU-Beitritt auf uns zugekommen“, wie

Josef Prirschl die damals maßgebende

Herausforderung einer EU-konformen

Abbildung des Tabakmonopols erklärt.

Dabei sei Tabak in weiterer Folge stets

der Hauptgeschäftszweig geblieben,

denn bei durchschnittlich 50% Umsatzanteil

und 70% Anteil am Deckungsbeitrag

bestehe ohne Tabak keine Grundlage.

Glücksspiel habe sich darüber

hinaus als zweite Säule etabliert, während

Zeitungen eine gegenteilige Entwicklung

aufweisen.

Der Wiener Trafikant sieht jene Entwicklung

differenzierter und beschreibt

die Trafik früher wie heute als „Cent-

Geschäft“, das sich durch den EU-Beitritt

merklich manifestierte. Aufgrund

von konkurrierenden Markteintritten

– über den Zweck des reinen Tabakvertriebs

selbst hinausgehend – durch

Handelsketten, Supermärkte oder

Tankstellen und den generell strenger

werdenden Tabak-Gesetzen hadert

er mit der „guten Zeit der Trafik“ vor

1995. Für Prirschl, der selbst eine Trafik

in Pöchlarn (NÖ) betreibt, zeigt sich

grundlegend ein großes Spannungsfeld

zwischen Gesundheits- und Finanzpolitik.

In diesem Sinne bestrebt die Monopolverwaltung

GmbH (MVG) auch einen

Konsens zwischen gesundheitspolitischen,

sozial-, fiskal- und regionalpolitischen

Zielsetzungen beizutragen.

Stellenwert von Zeitungen:

Einst und heute

Vor diesem Hintergrund haben sich

auch Printmedien, betrachtet als Teil

der Produktpalette von Trafiken, gewandelt.

In jenem Kontext schlugen

sich diverse Markt- und Geschäftsmodellveränderungen

im Verlagswesen

merklich auf den Handel nieder. „Wir

haben früher ‚Kronen Zeitungen‘ stapelweise

verkauft“, denkt Prirschl an

vergangene Tage in seiner Trafik zurück.

Aufgrund von „Digital First“-Paradigmen

und dem damit einhergehenden

Aktualitätsvorteil von Schnellinformationen

über digitale Kommunikationsmittel

haben Tageszeitungen für Trafiken

sehr stark an Bedeutung verloren.

Demzufolge hätten sich laut Prirschl

auch die Hauptbesuchszeiten der Trafiken

von der Früh und dem Vormittag

weg verlagert. Innerhalb der Printlandschaft

habe es hingegen eine markante

Veränderung in Richtung Spezialtitel

gegeben, weshalb sich die Produktpalette

vor allem bei Fachzeitschriften

stark verbreitert habe.

Aus der im Jahr 2019 gemeinsam von

MVG und WKO beauftragen Studie „Die

Trafik der Zukunft“ geht hervor, dass

sich Kund*innen in einer Trafik nach Tabak

am ehesten Zeitungen sowie Zeitschriften

erwarten. Dieser hoch eingeschätzte

Stellenwert der Nachfrage

nach Printprodukten geht jedoch mit

niedriger Zahlungsbereitschaft einher,

wodurch Trafikant*innen an (Tages-)

Zeitungen nur marginal verdienen. Die

rückläufigen Umsätze dieser Produktsparte

werden von Prirschl wie folgt

konkretisiert: „Der Umsatz bei Zeitungen

hat sich in den vergangenen 20

Jahren halbiert.“

Grundsätzlich erkennt er für die prekäre

Profitsituation, wie sie sich für

Trafikant*innen aktuell im Zeitungsvertrieb

darstellt, eine Ursachenabfolge

in drei Schritten: (1) Beim Zeitungsverkauf

habe man ursächlich bereits

vor rund 20 bis 30 Jahren im starken

Trend zum Abonnement eine große

Entwicklung erlebt. Während es früher

nur sehr geringe Abo-Anteile gab, seien

laut ihm mittlerweile Abo-Anteile von

90 bis 95% im Tageszeitungsgeschäft

vorherrschend. (2) In weiterer Folge

habe sich die Distribution per Hauszustellung

etablieren können, „das hat

für enorme Einbußen von Trafiken am

Tageszeitungsmarkt gesorgt.“ (3) Als

sich der Tageszeitungsmarkt schließlich

bereits unter massivem Druck befand

und für Trafiken gewissermaßen

zum Erliegen kam, hätten neue Titel

an Gratistageszeitungen wie „Heute“

und Co. den Markteintritt gewagt. Jene

Gesamtentwicklung zeichnete sich laut

dem Wiener Trafikanten bis 2005/2006

ab, ehe sie durch digitale Distributionswege

(inkl. E-Papers und Digital-Abos)

zusätzlich befeuert wurde. Hofer erkennt

hierbei für Trafiken größere Herausforderungen

bedingt durch digitale

Geschäftsmodelle der Verlage denn im

Angebot von Gratiszeitungen. Letztlich

konnte auch der sich anbahnende Aufschwung

von Magazinprodukten den

markanten Rücklauf der gedruckten

(Tages-)Zeitungen nicht ausgleichen.

„Unter dem Strich haben wir schon

deutlich verloren“, resümiert Prirschl

die vergangenen 20 Jahre im Vertrieb

von Printprodukten.

Zeitungen spielen aber heute, trotz der

angeführten Schwierigkeiten, eine nach

wie vor wichtige Rolle für das Trafikwesen;

nämlich in teils neu ausgerichteter,

zwischen Trafiken und Zeitungsverlagen

wechselseitig zu verstehender Art

und Weise. Die Trafik als Distributionskanal

für Zeitungen weist zwar heute

geringe Reichweitenstärken bzw. geringere

Breitenwirksamkeit auf, wenngleich

sie in dieser Funktion aber einen

qualitativ hochwertigen Touchpoint

innerhalb der Customer Journey und

© Copyright: adobe stock / contrastwerkstatt

Trafikant*innen: Die analogen Influencer*innen unserer Zeit

63


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einen vermehrten Wettbewerbsvorteil

darstellt.

In diesem Zusammenhang versteht

Hofer die Trafiken zusehends als

„Schaufenster einer Zeitung“, indem

die jeweilige Markenpräsenz hierdurch

gefördert werden könne: „Auch der Trafikant

ist für die Zeitung eine Werbefläche.“

Überdies betrachtet Prirschl das

angebotene Zeitungs- und Zeitschriftensortiment

in seiner Tätigkeit als Trafikant,

neben den standardisierten Angeboten

von Tabakwaren, als wichtiges

Unterscheidungsmerkmal gegenüber

anderen Mitbewerber*innen. Dahingehend

sei das Zeitungs- respektive Zeitschriftenangebot

in Trafiken eine gewisse

Wettbewerbsschiene innerhalb

des Monopolmarkts. Prirschl sieht in

diesem Kontext die Pressefreiheit und

die diesbezüglich freie Zugänglichkeit

zu Zeitungen und Zeitschriften als originäres

Motiv der Systemrelevanz von

Trafiken.

Rollenbild der Trafikant*innen:

Positionierung als eigenes

Medium

„Da Trafikant dazöht de Schlagzeiln, ea

woa auf sein Fenstaplotz mit dabei.“ So

reflektierte der Schriftsteller Günter

Brödl bereits 1989 den Lokalkolorit der

Wiener Trafikant*innen. Aus heutiger

Sicht sind sich die beiden interviewten

Interessenvertreter einig, dass sich das

Rollenbild des/der Trafikant*in im Kern

nicht gewandelt habe. Dieses fundiere

seit jeher auf persönlicher Information,

persönlichen Kontakten und Bindungen

zwischen Trafikant*innen und Kund*innen.

Prirschl spricht, in Anbetracht der lokalen

Handelsstrukturen mit flächendeckendem

Trafiken- Netzwerk, sogar

von einer wichtiger werdenden sozialen

Rolle: „Der Trafikant ist als Ansprechpartner

ein starkes Kommunikationszentrum;

vielleicht noch stärker

als früher.“ Denn es lasse sich langsam

wieder ein Trend zurück in Richtung

kleinstrukturierte Geschäfte absehen,

den die Trafiken eigentlich nie verlassen

haben. Und vor allem hätten die beiden

vergangenen Jahre gezeigt, wie sehr

Kund*innen persönliche Ansprache

und Direktkontakte benötigen würden.

„Dieser Faktor kommt wieder viel stärker“,

hofft Prirschl auf eine Renaissance

der persönlichen Beratungsfunktion

von Trafikant*innen.

Hofer erkennt in Folge dieser gewandelten

Beratungsfunktion sehr innovative

Chancen im Rollenbild der heimischen

Trafikant*innen: „Der Trafikant ist aus

meiner Sicht der größte analoge Influencer,

den wir in Österreich haben.“ Da

Trafikant*innen lokale Meinungen und

Geschichten aus erster Hand wahrnehmen,

etabliere sich der/die Trafikant*in

zusehends in der Rolle als Content-Anbieter*in.

Der Geschäftsführer der MVG

sieht darauf aufbauendes Potenzial,

dass sich Trafikant*innen hinkünftig als

interessante Sparring-Partner*innen

von Journalist*innen erweisen könnten.

Grundlegend gewinne die besondere,

durch persönliche Beratungs- und

Sparring-Partnerfunktion avancierte

Positionierung im digitalen Zeitalter an

Wert. Dieses Alleinstellungsmerkmal

gelte es in weiterer Folge zu monetarisieren,

um neue Geschäftsmodelle sowie

Geschäftsmodellansätze zukunftsfit

konstituieren zu können.

Trends und Potenziale einer

modernen Trafik

Während der Wiener Trafikant sentimental

auf den früheren Printhandel,

ohne Gegebenheiten digitaler Substitutionsgüter,

zurückblickt, ergeben

sich durch die Digitalisierung ebenso

Potenziale. So beschreibt Prirschl etwa

einen hinkünftigen Trend im „Zurück

zum Haptischen“. Als Gegenspiel zu digitalen

Arbeitsweisen werde das Haptische

vermehrt gesucht; dabei sei die

große Zukunftshoffnung der Branche,

dass das Haptische auch bei jüngeren

Generationen an Bedeutung gewinnt.

Tageszeitungen seien zwar eine ungebrochene

Herausforderung, aber für

sämtliche andere Printprodukte bestehe

aufgrund der beiden Faktoren des

Haptischen und der Entspannung, die

implizit mit dem von Trafiken dargebotenen

Genusscharakter einhergeht,

großes Potenzial.

Außerdem stellen Trafiken einen Gegenpol

zur digitalen Informationsflut

dar, wie Prirschl seine Erfahrungen

schildert: „Ich muss sagen, es kaufen

auch viele Kund*innen Printprodukte

zur Information, weil sie in der weiten

Welt des Internet viel zu viele Antworten

erhalten und die Orientierung fehlt.“

Dies sei mitunter ein Mitgrund für eine

leichte, durch Corona bedingte Trendwende,

indem die Zeitungsumsätze

von Trafiken ein einstelliges Plus verzeichnen

konnten. Weiteres Potenzial

bestehe laut ihm in der Großzahl an innovativen

Produkten, die am österreichischen

Zeitschriften- bzw. Magazinmarkt

vorzufinden sind. Die Zukunft der

Trafik beruhe aber klar in einer „Schnittstellenfunktion

der analogen und digitalen

Welt“. Marktchancen würden hierin

– konkret für den Zeitungsvertrieb

– in Form eines integrierten Angebots

verschiedener Abonnementvarianten

bestehen. Wie Hofer beschreibt, dürfe

in diesem Wandlungsprozess der einhergehende

Freiheitsgedanke als Symbiose

von Genussmitteln einerseits und

Zeitungen sowie Zeitschriften andererseits

nicht vernachlässigt werden, um

Trafiken als österreichisches Kulturgut

hinkünftig bewahren zu können.

Josef Prirschl

Copyright:Tanja Wagner

Hannes Hofer

Copyright: Johannes Kernmayer

von Paul Frühwirt

© Copyright: adobe stock / Zerbor

© Copyright: adobe stock / Zerbor

Trafikant*innen: Die analogen Influencer*innen unserer Zeit

65


© Copyright: adobe stock /zerbor

„Die Zukunft der Lokalmedien ist

anspruchsvoller als ihre Vergangenheit.“

Lokaljournalismus ist eine unabdingbare Säule der Medienlandschaft. SUMO sprach mit Univ.-Prof. Horst Pöttker

(Technische Univ. Dortmund), dem Chefredakteur und Herausgeber des Online-Magazins „dolomitenstadt.at“

Gerhard Pirkner, und dem Journalisten Florian Eder („Kleine Zeitung“) über die Auswirkungen der Digitalisierung

auf Lokalmedien.

Lokaljournalist*innen informieren Bürger*innen

über die Geschehnisse in

der Region, ihr Nachrichtenwert ist

spezifisch. Über die Inhalte des Geschriebenen

wird mit Freund*innen,

Verwandten und Bekannten diskutiert,

diese Inhalte bewegen, verbinden, führen

aber auch zu Meinungsverschiedenheiten.

Kaum ein anderes Ressort

holt Menschen auf einer dermaßen

emotionalen Schiene ab. Kaum ein anderes

Ressort hat dermaßen mit dem

digitalen Wandel zu kämpfen. Oft sind

Lokalredaktionen sehr klein, die dort

arbeitenden Journalist*innen schon

seit Jahren, teils Jahrzehnten, dort tätig.

Die Nachwuchsredakteur*innen

zieht es in die großen Redaktionen in

den Metropolen. Sie wollen über Innen-

und Außenpolitik, Wirtschaft und

Kultur berichten, sie wollen die großen

Geschichten schreiben, die das ganze

Land lesen will, nicht darüber, was in

ihren Heimatorten vor sich geht. Doch

das eine schließe das andere nicht aus,

meint Gerhard Pirkner, Herausgeber

und Chefredakteur von „dolomitenstadt.at“.

„Eigentlich muss man als Lokaljournalist*in

genau gleich agieren

wie bei einem großen Medium. Mit dem

einen Unterschied, dass man in der Lokalberichterstattung

diese Geschichten

auf einen Punkt herunterbrechen muss,

der lokal vor Ort stattfindet.“ So lautet

seine Herangehensweise: „Das Große

klein und das Kleine groß zu machen.“

„Wenn ‚Oben‘, auf Bundes- und EU-

Ebene beispielsweise über ein Glyphosatverbot

diskutiert wird, berichten wir,

wie die Gärtnerei und der Gemeinderat

der Stadt Lienz mit diesem Pflanzengift

umgehen. Das Große wird so also klein

gemacht.“

Naheverhältnisse: Segen und

Fluch

Beim Umlegen der großen Geschichten

auf lokale Vorkommnisse und auch

bei ihrem generellen Handeln und Tun

sind Lokaljournalist*innen Naheverhältnissen

ausgesetzt. „Man begegnet

hier den Personen, über die man – auch

kritisch – berichtet doch öfter, als ein/e

Innenpolitikredakteur*in dem Bundeskanzler

begegnet“, so Florian Eder, Osttiroler

Lokaljournalist bei der „Kleinen

Zeitung“. „Bei den Naheverhältnissen

darf man aber auch nicht auf die Personen

vergessen, die man kennt, die auf

eine/n zukommen und Themen vorschlagen.

Frei nach: ‚Ja, da könntest du

etwas darüber schreiben‘. Denn in solchen

Situationen verwechseln Personen

oft redaktionelle Berichterstattung

mit klassischen Werbeeinschaltungen.“

Der Tatsache, dass Lokaljournalist*innen

besonders mit dem Geschehen,

über das sie berichten, verbunden

sind, stimmt auch der Sozialwissenschaftler,

Professor und Publizist Horst

Pöttker zu. Der Lokaljournalismus sei

nach seiner Auffassung „ein Teil des

Geschehens, über das berichtet wird.“

Und genau deshalb ortet Pöttker die

Unabdingbarkeit der „professionellen

Unabhängigkeit“ auch hier. „Die Redakteur*innen

dürfen sich nicht für

Partikularinteressen instrumentalisieren

lassen, sondern müssen immer an

die Wichtigkeit für das Publikum und

an die Richtigkeit denken.“ Dass man

einander kennt, wird sich in der lokalen

Berichterstattung nie vermeiden

lassen, und es muss auch nicht unbedingt

vermieden werden. So fassen

etwa die – selten in der heimischen

Medienbranche – auf der Website offengelegten

Redaktionsrichtlinien des

Online- und Print-Magazins „DOSSIER“

diese Problematik treffend zusammen:

„Dennoch ist nicht jedes Naheverhältnis

eine Gefahr für die Unabhängigkeit

und Glaubwürdigkeit. (…) Vertrauen zu

Ansprechpersonen aufzubauen, steht

nicht im Gegensatz dazu.“

Der digitale Wandel

Ein weiteres Problem, mit dem der

Lokaljournalismus ebenfalls zu kämpfen

hat, ist der digitale Wandel und die

damit einhergehende Erwartung der

Rezipient*innen, dass lokale Publikationen

online mit einer Geschwindigkeit

66 Die Zukunft der Lokalmedien ist anspruchsvoller als ihre Vergangenheit


und einem Volumen publizieren, wie

es die großen Medienhäuser tun. Das

Ziel, dieser Erwartungshaltung gerecht

zu werden, bringe es laut Pöttker mit

sich, dass Redakteur*innen weniger

hinausgehen und sich mehr auf extern

zugelieferte Inhalte verlassen. Diese

Entwicklung bezeichnet er als „die Gefahr,

dass die Schuhsohle immer weniger

zur journalistischen Recherche

verwendet wird.“ Dem zu Grunde liege

die Tatsache, dass Anzeigeneinnahmen

dem Journalismus als Einnahmequelle

zunehmend wegbrechen. „Durch die

moderne Kommunikationstechnologie

müssen Werbende den Journalismus

nicht mehr mitfinanzieren, denn

die Streuverluste bei der Zielgruppenansprache

sind in den digitalen Netzwerken

deutlich geringer“, konstatiert

Pöttker.

Komplett auf digitale Inhalte umzustellen

kann hier aber auch nicht als

Musterlösung verstanden werden. So

ist Gerhard Pirkner davon überzeugt,

„dass die großen Medien ihr Geld immer

noch primär mit der gedruckten

Zeitung verdienen.“ „dolomitenstadt.

at“ als reines Online-Magazin kann

sich so nicht finanzieren. Deshalb sah

man dort die Digitalmedien-Förderung

des Bundes, welche sich laut Rechtsvorhaben

der derzeitigen Regierung

„die Absicherung einer eigenständigen

österreichischen Medienlandschaft im

digitalen Zeitalter und Gewährleistung

für Konsumentinnen/ Konsumenten,

dass österreichische Medieninhalte,

insbesondere auch regionale Inhalte,

auch weiterhin verfügbar bleiben“ zum

Ziel setzt, als willkommene finanzielle

Unterstützung. Allerdings wurde „dolomitenstadt.at“

von dieser Förderung

kategorisch ausgeschlossen. Grund:

„dolomitenstadt.at“ sei ja schon vollkommen

digital. Hier liege laut Pirkner

der Denkfehler vor, dass Medien,

die ohnehin nur online publizieren sich

nicht trotzdem weiterentwickeln müssen.

„Mit dieser Förderung will man

Printmedien das Umsatteln auf digitale

Plattformen erleichtern. Was dabei vergessen

wird, ist, dass es beispielsweise

2010, als wir mit ‚dolomitenstadt‘

online gingen, ‚WhatsApp‘, ‚Instagram‘

und Co. noch gar nicht gab. Ich glaube,

fast niemand kann sich vorstellen, was

sich hinter dem Backend eines digitalen

Mediums tut. Wir mussten 2015 das

gesamte Layout neugestalten, um eine

ansprechende Darstellung auf mobilen

Endgeräten zu gewährleisten. Das unterstreicht,

dass sich jede Publikation

im digitalen Mediensegment ununterbrochen

weiterentwickeln muss.“

Die mächtigen Bezahlschranken

und die Welt dahinter

Eine Form dieser Weiterentwicklung

sind Paywalls. Also Bezahlschranken

für alle, oder bei manchen Publikationen

lediglich ausgewählte Inhalte.

Das Prinzip ist eigentlich simpel, es ist

dasselbe wie beim Erwerb einer gedruckten

Tageszeitung. Der/Die Rezipient*in

entrichtet ein Entgelt und

erhält im Gegenzug eine Publikation

unabhängiger, aktueller und faktenbasierter

Berichterstattung. Und doch

bezahlen User*innen für viele digitale

Inhalte jener Publikationen, für die sie

am Kiosk ein Entgelt entrichten würden,

im Internet gar nicht und wenn

„lediglich“ mit ihren Daten. Auch die

„Kleine Zeitung“, die schon seit längerer

Zeit mit Paywalls arbeitet, erntete laut

Florian Eder nach der Implementierung

einiges an Unmut der Leser*innen.

„Mittlerweile wurde daraus eine Art

Resignation. Die Rezipient*innen haben

sich entweder damit abgefunden,

oder sich abgewandt.“ Jene, die übrig

geblieben sind oder in der Zwischen-

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semester

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Die Zukunft der Lokalmedien ist anspruchsvollr als ihre Vergangenheit 67

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zeit erst zu Leser*innen der „Kleinen

Zeitung“ wurden, seien aber laut Eder

dankbar für den schnellen, gut recherchierten,

unabhängigen Journalismus,

der sie hinter der Bezahlschranke erwartet.

Laut Hannah Suppas „7 Thesen

für einen Lokaljournalismus, der Zukunft

hat“, die 2019 auf „journalist.de“

veröffentlicht wurden, entscheide es

sich jetzt, ob Menschen auch in Zukunft

für Lokaljournalismus Geld bezahlen

werden. Einzige Möglichkeit, um den

Trend noch hin zur Akzeptanz für Paywalls

zu drehen sind laut ihr „Texte über

das Wohnen, die Stadtentwicklung, das

Familienleben, den Verkehr und die Kinderbetreuung,

für die Menschen bereit

wären, Geld auszugeben. (…) Es sind

Analysen, Hintergründe, Meinungsstücke,

Service und auch immer wieder

ein überraschend neuer Blick auf die

eigene Nachbarschaft.“ Leider stand

Hannah Suppa für ein Interview nicht

zur Verfügung, doch auch Horst Pöttker

sieht die Sache mit den Bezahlschranken

ähnlich wie Suppa. Er sieht ihre

Potenziale weniger im täglichen News

Business, sondern beim „erklärenden

Journalismus“. Genau dieses Modell der

Paywalls für ausgewählte, investigativ

recherchierte, erklärende und in der

Produktion aufwändigere Beiträge wird

bei „dolomitenstadt.at“ bald Realität

werden. Denn dort werden solche Beiträge

ab dem Frühjahr 2022 hinter der

Paywall verschwinden, während tagaktuelle

News-Meldungen weiterhin

kostenfrei zugänglich bleiben.

dien in Osttirol – so beherbergt der Bezirk

neben Redaktionen der „Tiroler Tageszeitung“,

der „Kleinen Zeitung“, des

„OsttirolJournal“, des „Osttiroler Boten“

und „Radio Osttirol“ auch ein Büro des

ORF Tirol und die Redaktion von „dolomitenstadt.at“

– einzigartig sei und unbedingt

erhalten werden müsse, sind

sich Eder und Pirkner einig.

Es ist den verschiedenen Lokalmedien

zu wünschen, dass sie noch Jahrzehnte

lang bestehen können. Eines sei laut

Horst Pöttker aber sicher: „Die Zukunft

der Lokalmedien ist anspruchsvoller als

ihre Vergangenheit.“

von Valeria Brunner

Horst Pöttker

Copyright: Privat

Überlebensfähigkeit vs. Langeweile

Doch ist lokale Berichterstattung durch

unabhängige Lokalmedien langfristig

gesehen überlebensfähig? „Jein“, meint

Florian Eder. Er glaubt, dass dieses

Modell in der Zukunft von überdurchschnittlich

treuen Leser*innen und

langfristigen Anzeigenpartnern abhängig

sei. „Ohne diese wird es nicht

möglich sein, auf dem gewünschten

Niveau zu berichten.“ Er hofft aber, dass

diese ausschließlich lokal agierenden

Medienplattformen überleben. Denn

„Konkurrenz belebt das Geschäft. Es

wäre schrecklich, wenn es irgendwann

nur mehr die großen Medienhäuser

geben würde. Denn gerade diese Fülle

an verschiedenen Blickwinkeln und

Meinungen im lokalen Tagesgeschäft

regen einen selbst dazu an, reflektierter

zu arbeiten. Genau diesen Pluralismus

schätze ich sehr an der Osttiroler

Medienlandschaft und ich wünsche

mir, dass der noch lange Zeit erhalten

bleibt.“ Darüber, dass die Vielfalt an Me-

Gerhard Pirkner

Copyright: dolomitenstadt - Roman Wagner

Florian Eder

Copyright: Valeria Brunner

68

Die Zukunft der Lokalmedien ist anspruchsvoller als ihre Vergangenheit


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Thema

6


Community Management:

How to?

Community Management verbindet User*innen und deren Site-Betreiber*innen.

Als Teilbereich des Social Media-Managements fokussiert es

aktive User*innen, die auf öffentliche Inhalte reagieren. Zu dessen Herausforderungen

sprach SUMO mit Gabriela Greilinger, Community Engagement

Managerin bei „DER STANDARD“.

Community-Management bedeutet

auch, die Beziehung zwischen Website-

Besucher*innen, potenziellen Kund*innen,

Fans und Follower*innen in Foren

oder auf Social Media-Kanälen aktiv zu

gestalten und den Austausch zwischen

allen Parteien zu sichern. Bei größeren

Unternehmen sind oft mehrere

Community-Manager*innen für diese

Aufgaben verantwortlich, oder das Unternehmen

teilt die Berufe auf in Community-

und Social Media-Manager*in.

Community- und Social Media-Manager*in

werden oft begrifflich vermischt.

Ein Community-Manager und

eine Social Media-Managerin haben

sehr ähnliche, aber nicht die gleichen

Aufgaben. Der Fokus von Community-Manager*innen

liegt auf dem Online-Forum.

Der/Die Social Media-Manager*in

hingegen behält die Social

Media-Kanäle im Blick und kümmert

sich um die inhaltlichen Punkte. In einigen

Unternehmen wurden diese zwei

Berufe zu einem vereint. Eine weitere

Unterscheidung liegt darin, dass der/

die Community-Manger*in in der Community

„unterwegs“ ist, wohingegen

der/die Social Media-Manager*in diese

aufbaut.

Ein neuer Beruf

Das Berufsbild Community-Manager*in

ist noch wenig geläufig, oftmals

fragen innovative Unternehmen oder

junge Start-Up‘s diesen Beruf nach.

Häufig liegt es daran, dass der Job noch

unbekannt ist, bisweilen wird er unterschätzt.

Im deutschsprachigen Raum

war es just „DER STANDARD“, der als

erstmals online verfügbare Zeitung diesen

Beruf miterschuf.

Die Entwicklung jedoch ist mehr als

auf Online gerichtet. Neue digitale Geschäftsmodelle

entwickelten sich,

Kund*innen sind längst nicht mehr

via Website zu adressieren. Via Online-Marketing

können Dienstleistungen

oder Waren auch ohne Kontakt

mit Kund*innen gewinnbringend verkauft

werden. Der/Die Community-

Manager*in kann einen Teil des Medienmarketings

ergänzen, ein direkter

Austausch zwischen Kund*innen und

Anbieter*innen wird ermöglicht.

Aufgaben

Eine der Hauptaufgaben eines/r Community-Managers/in

ist es, die Benutzer*innen

eines Forums im Blick zu

behalten, neue Mitglieder in die aktive

Gemeinschaft einwerben und damit

auch auf die Wünsche der User*innen

zur Kenntnis zu nehmen. Ein weiterer

Aufgabenbereich ist die Gestaltung und

der Aufbau einer virtuellen Gemeinschaft.

Etwas konkreter ausgedrückt,

geht es dabei um die Administration,

Optimierung und Betreuung des Forums.

Im besten Fall entwickelt sich

durch die tägliche Arbeit ein virtuelles

Forum und damit eine Gemeinschaft,

die den Redakteur*innen mitunter

Feedback auf ihre Arbeit liefert und so

etwa die gestreuten Inhalte der Tageszeitung

„DER STANDARD“ weiterdiskutiert.

Wissenshappen und Insider-

Informationen sind der Weiterbildung

des Forums dabei durchaus zuträglich.

Wie bei jeder gut moderierten Diskussion

braucht auch ein Online-Forum ein

praktikables Regelwerk: „Unser Forum

besitzt eigene Richtlinien, an denen sich

die User*innen halten müssen. Dies zu

kontrollieren, obliegt mir als Community-Managerin

und das Ermahnen

von Störenfrieden zu meiner Aufgabe“,

erzählt Gabriela Greilinger. Damit die

Debatte im Forum lebt, die Community

motiviert und dabei bleibt, habe sie eine

praktikable Strategie entwickelt: „Gut

recherchierte Postings voranstellen,

sowie jene Punkte aufgreifen, welche

im Artikel nicht erwähnt wurden oder

auch Postings, die eine andere Sichtweise

bieten.“ Auch können Bilder oder

Beiträge von User*innen geteilt werden,

um diese weiter in die Communi-

70

Community Management: How to?


ty einzubinden. Kurzum: Online-Foren

sind Räume für Öffentlichkeit und Diskurs

und die Community Manager*innen

die ModeratorInnen der Debatte.

Nicht zuletzt sind Community-Manager*innen

auch Ansprechpersonen

für Kritik, Fragen, Tipps und Lob der

gesamten Plattform. Es ist der direkte

Kontakt mit Fans und Nutzer*innen der

Plattform, der zur Job Description gehört.

Die Community erfährt durch sie/

ihn alle neuen Funktionen beziehungsweise

Neuheiten der digitalen Plattform

ebenso wie von Gewinnspielen

oder Wettbewerben zur Stärkung der

emotionalen Bindung an das Unternehmen.

Der/die Community-Manager*in

persönlich

Eine wichtige Eigenschaft des/der

Community-Managers*in sollte sein,

dass diese/r über ausgeprägte soziale

und kommunikative Kompetenzen

verfügt, denn sie/er ist eine Schnittstelle,

um Leute zusammenzubringen.

Ein/e Community-Manager/in sollte

Selbstbewusstsein und Souveränität

mitbringen. „Vor allem auf Social

Media oder auch in Foren ist der Umgangston

oftmals rau. Es ist nicht immer

einfach, gute Laune und positive

Stimmung beizubehalten“, erzählt

Greilinger. Es braucht also souveränes

Auftreten und einen professionellen

Umgang, um schwierigen Nutzer*innen

und Nörgler*innen gegenüberzutreten.

Kreativität sei eine weitere wichtige

Eigenschaft. Die Konzepte und Strategien,

welche das Unternehmen mit den

Community-Manager*innen festlegt,

werden virtuell umgesetzt.

Je stärker die Online-Präsenz ausgebaut

und je größer die Community ist,

desto schwieriger sei es, den Überblick

über alles zu behalten. Als Hilfe, um

keine Anfragen oder Kommentare zu

übersehen, stehen eine Vielzahl von unterschiedlichen

Social Media-Management-Tools

zur Verfügung. Diese können

Prozesse vereinfachen und auch

Abläufe analysieren. Hilfreich sind auch

die Möglichkeiten des Monitorings.

Diese Tools zeichnen auf, wann und von

wem das Unternehmen erwähnt wird,

und dementsprechend kann darauf

reagiert werden. Doch nicht alle Tools

sind für alle Unternehmen gleichermaßen

sinnvoll. Jedes Unternehmen muss

schauen, welche Anforderungen es an

das Tool hat und wie dieses die Arbeit

erleichtern kann. Einige Beispiele wären

Sociality.io, Hootsuite, Agorapulse,

Sprout Social.

Zukunft

In der Zukunft wird Community-Management

eine immer wichtigere Rolle

spielen. „Schon die letzten zwei Jahre,

die geprägt von Corona waren, haben

die Zahl der Postings enorm ansteigen

lassen“, so Greilinger. Dieser Trend werde

sich ihrer Meinung nach fortsetzen,

denn das Bedürfnis nach Diskurs sei

ungebrochen, die Möglichkeiten der

realen Begegnung aber nicht immer gegeben.

Foren kompensieren also Defizite.

Auch werden immer mehr Projekte

ausgearbeitet, den User*innen neue

Möglichkeiten zu bieten und damit sie

in den Foren bleiben und weiterhin aktiv

an den Diskussionen teilnehmen.

Der/die Community-Manager*in sitzt

an der vordersten Front und weiß, was

den/die User*in beschäftigt. Diese Information

wird immer mehr in die Kommunikation

des Unternehmens miteingebunden

und bleibt nicht nur in den

digitalen Channels, sondern wird auch

in unterschiedliche Unternehmensbereiche

zurückgespielt. Damit zeichnet

sich ab: Die Rolle eines/r Community-Managers/in

wird immer wichtiger

werden, denn er bzw. sie kennt von

Lob bis hin zur Kritik alles, und diese

Informationen kann das Unternehmen

nutzen.

von Katharina Pöschl

Tools als Helfer(lein)

Gabriela Greilinger

Copyright: Lion Hummer

© Copyright: adobe stock / Sdecoret

Community Management: How to?

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Mediale Gerüchteküchen:

Nutzen und Gefahren

„Ein Journalist ist einer, der nachher alles vorher gewusst hat“, sagte einst Karl Kraus. Ist diese Polemik noch gültig

in unseren Filterblasen? Wie sich die journalistische Arbeitsweise auf Grund von Social Media verändert hat und

welche Rolle dabei Fake News spielen, besprach SUMO mit Alexandra Halouska, Chefredakteurin der „Kronen

Zeitung“ Oberösterreich, und Isabella Nittner, Journalistin der Tageszeitung „Heute“.

Recherche in Echtzeit, Push-Benachrichtigungen

und Leser-Diskussionen

auf jeglichen Plattformen: Soziale

Netzwerke wirbeln die Welt der klassischen

Medien durcheinander. Schreibmaschinen,

Fax-Geräte, Druckschluss

und festgelegte Uhrzeiten, zu welchen

Nachrichtensendungen laufen sind

Schnee von gestern. Nachrichten tickern

in Echtzeit auf sozialen Kanälen,

sekündlich erscheint neuer Content,

die Verbreitung funktioniert mit einem

Klick. Mittlerweile kann jede/r Inhalte

im Netz veröffentlichen oder verbreiten,

dies stellt eine große Bereicherung,

aber auch eine enorme Herausforderung

für Rezipient*innen dar. Die Mediennutzung

wird zu immer größeren Teilen

auf digitale Plattformen umgelegt.

Diese Art der Informationsvermittlung

sorgt nicht nur für eine Konkurrenz auf

Seite der klassischen Medien, sondern

auch für ein verändertes Aufgabenspektrum

und Rollenbild der Journalist*innen.

Nie hatten Journalist*innen

so viele Quellen zur Verfügung, ohne

auch nur den Arbeitsplatz verlassen zu

müssen, aber auch noch nie wurde ihnen

so genau auf die Finger geschaut.

Gleichzeitig gilt es, dass die Quellen auf

ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden

müssen – aber wer sagt was und

warum etwas wahr ist?

Der journalistische

Arbeitsprozess

Die Recherche stellt den Kernaspekt

des journalistischen Handelns dar.

Grundsätzlich sollen innerhalb dieses

Prozesses Informationen über Geschehnisse

detailliert und umfassend

in Erfahrung gebracht werden, die

Relevanz, Gültigkeit und Verstehbarkeit

der Informationen ermittelt und

entsprechend publizistisch bewertet

werden. Im Prinzip haben sich die journalistischen

Verfahren seit Jahrzehnten

nicht verändert. Unabhängig von welchen

Kanälen Informationen bezogen

werden, ist es notwendig, dieselbe

Vorgehensweise zu wahren. Ohne Faktencheck

und mögliche Verifizierungen

gehe gar nichts, erklärt „Krone“-Chefredakteurin

Halouska. Heutzutage beginnt

die aktive Suche nach Informationen

in sozialen Netzwerken und via

Suchmaschinen. Der Zugang zu Quellen

und das Auffinden von Inhalten wird

grundlegend vereinfacht und beschleunigt.

Von besonderer Bedeutung sind

in erster Linie Microblogging-Dienste

(z.B. „Twitter“), Podcasts, Social Media-

Plattformen („Facebook“, „Instagram“

und Co.), Videoplattformen wie „You-

Tube“, Suchmaschinen (v.a. „Google“)

und Online-Enzyklopädien („Wikipedia“).

Hierbei werden soziale Netzwerke

und Suchmaschinen unter dem Begriff

„Suchhilfen“, mittels welcher öffentlich

zugängliche Informationen gefunden

werden können, zusammengefasst.

Suchhilfen sind relevant, wenn Journalist*innen

über keinen direkten Zugang

zu Quellen verfügen, um geeignete

Quellen zu identifizieren oder auch, um

Informant*innen zu kontaktieren, hält

Christian Nuernbergk fest („Journalismus

im Internet“, 2018). „Twitter“ fungiert

als wichtige Informationsquelle

– nicht per se für Leser*innen, umso

mehr jedoch für Recherchezwecke. Hier

sei das journalistische Medienumfeld

relevant, da man sich Inspiration von

Kolleg*innen holen könne. Für Leserbeobachtungen,

Meinungen und Stimmungsbilder

sei „Facebook“ besonders

wichtig. Halouska exkludiert dabei

„Instagram“ weitgehend, da der Nachrichtenfokus

keinen hohen Stellenwert

habe wie bei anderen Plattformen. So

vorteilhaft diese Aspekte auch sind,

muss man sich bewusst sein, dass das

Internet eine Umgebung darstellt, in der

Beiträge auch ungeprüft verbreitet und

von Falschinformationen oder Halbwahrheiten

strategisch platziert sowie

geteilt werden können. Da der Journalismus

die Geschehnisse der Umwelt

nicht immer nur auf primären Quellen

stützten kann, ist es notwendig, Sekundarinformationen

zu beziehen. Quellen

verfolgen partikulare Interessen: Damit

Fehlinformationen ausgeschlossen

werden können, ist eine gründliche und

kompetente Prüfung der Inhalte unabdingbar,

so Nuernbergk. Die „Heute“-Journalistin

Isabella Nittner unterstreicht

im SUMO-Gespräch, dass ihre

Vorgehensweise ganz nach dem Motto

„Check, Re-Check, Re-Re-Check“ funktioniere,

sprich, dass vermeintlich falsche

Informationen zuerst verifiziert

würden. Im Anschluss werde versucht,

mit zuständigen Behörden, Expert*innen

beziehungsweise Wissenschaftler*innen

Kontakt aufzunehmen, um

die Inhalte korrekt aufarbeiten zu können.

© Copyright: adobe stock /GoodIdeas

Fake News

In der Alltagssprache wird der Begriff

„Fake News“ für alles verwendet, was

dubios oder falsch erscheint. Im wissenschaftlichen

Kontext sind gezielt

lancierte Falschmeldungen gemeint,

also ein Handeln aus Vorsatz. Um die

Assoziation zu vermeiden, spricht man

besser von Desinformation. Keineswegs

sind sie eine Erfindung der Neuzeit,

bloß kann heute jeder Mensch mit

Internetzugang wahre und falsche Inhalte

verbreiten. Viele Rezipient*innen

sehen daher die Aufgabe des Journalismus

darin, Nachrichten zu verbreiten,

die der Wahrheit entsprechen, konstatierte

Tanjev Schultz („Frankfurter

Hefte., Identität vs. Identitätspolitik,

2018“). Dennoch benötigen Rezipient*innen

Hilfe beim Einordnen jener

Informationsflut. Guter Journalismus

müsse bei dieser Einordnung unterstützen

und Meinungen von unterschiedlichen

Quellen sowie Expert*innen

wiedergeben.

Mediale Gerüchteküchen: Nutzen und Gefahren

73


© Copyright: adobe stock / iQoncept

Die Leser*innen suchen sich dann

entweder ein Stimmungsbild aus

oder machen einen Faktencheck. Die

Schnelligkeit und die Schnelllebigkeit

von Informationen können dazu verleiten,

Inhalte allzu rasch einzuordnen,

ohne vorher alle relevanten Inhalte

zusammengetragen zu haben, so Halouska.

Isabella Nittner erzählt aus

der Praxis ebenso, dass rund um die

Uhr mit höchster Vorsicht gearbeitet

werden müsse: Eine unkonzentrierte

Arbeitsweise könne man sich nicht

leisten, da die daraus resultierenden

Konsequenzen fatal sein könnten. Es

sei ein gewisser Druck da, der dazu

führe, dass Medien nicht vorsichtig genug

mit Informationen umgehen und

diese schneller ausspielen. Das führe

dazu, dass andere Medien sich bemüßigt

sehen, nachzuziehen und Inhalte

schnell auszuspielen, meint Halouska.

Journalist*innen sind heutzutage gezwungen,

unter enormen Zeitdruck

eine Flut an Informationen durchzuarbeiten,

um relevante Inhalte herauszufiltern.

In weiterer Folge müssen die

Geschichten auf ihre Echtheit geprüft,

Fakten recherchiert und in der Regel

für diverse Kanäle aufbereitet werden.

Als Nährboden und Brandbeschleuniger

für Falschinformationen gelten soziale

Netzwerke. In der Realität haben

Journalist*innen freilich auch unwahre

Nachrichten verbreitet. In der Demokratie

kommt der Druck nicht unbedingt

vom Staat, sondern vom Markt, da Auflagen,

Quoten und Aufmerksamkeit die

stärksten Treiber im journalistischen

Geschäft darstellen. In den meisten

Fällen handelt es sich aber um unabsichtliche

Fehler und Verzerrungen der

Realität, die mit journalistischen Routinen

zu tun haben. Diese Fehler resultieren

öfters aus fehlender Kompetenz

und Tempowahn. Der Druck der Echtzeit-Veröffentlichung

kann dazu führen,

dass Medien ihre Sorgfaltspflicht

vernachlässigen (Schultz, 2018).

Nichtsdestotrotz seien soziale Netzwerke

laut Isabella Nittner nicht aus

dem Redaktionsalltag wegzudenken.

Die größte Herausforderung in diesem

Zusammenhang ist weiterhin die rasante

Geschwindigkeit der Branche.

Gerüchte und Unwahrheiten können

sich zweifellos im Netz verbreiten, die

Quellen sind allerdings halbseidene

Akteur*innen und nicht seriöse Journalist*innen

(Schultz, 2018).

Neue Beziehung zwischen

Journalist*innen und

Leser*innen

Prinzipiell ist es allen Menschen, die ein

Smartphone besitzen und Zugang zu

freien, nichtkommerziellen Medien haben

möglich, eine journalistische Rolle

einzunehmen. Hierbei spricht man von

partizipativem Journalismus. Die Akteur*innen

können Informationen produzieren,

verbreiten und austauschen.

Dabei handelt es sich um eine große

Bandbreite an aktuellen Themen, allgemeinen

Interessen bis hin zu individuellen

Belangen. Diese Personen können

sich einmalig aktiv oder regelmäßig

beteiligen. Häufig fehlt jegliche Verifizierung

und Überprüfung der Fakten,

zudem verfügen die Verfasser*innen

oftmals über keine einschlägige Ausbildung

im jeweiligen Ressort, stellte

Rene Foidl 2017 („Eine Vorwärtsrolle in

den partizipativen Journalismus“) fest.

Das Internet bietet in vielerlei Hinsicht

neue Optionen und Potentiale für den

Journalismus. Das Publikum kann bei

der redaktionellen Arbeit unterstützen,

indem es Bildmaterial zuliefert

und Informationen zur Verfügung stellt.

Ebenso erleichtert das Internet das

Sammeln von Publikumsanregungen

bei der Themenfindung. Die Resonanz

der Leserschaft gibt einen Überblick

über die Stimmungslage zu aufkommenden

Inhalten.

Unter anderem bietet das Web mehr

Transparenz bei der Recherche, einen

verbesserten Datenaustausch und

eine einfachere Zugangsmöglichkeit

zu Quellen, so Nuernbergk (2018). Laut

Isabella Nittner wäre die Relevanz der

einzelnen Kanäle sehr stark von der

Zielgruppe abhängig. Bei „Heute“ werde

„Facebook“ von der „älteren Generation“

stärker frequentiert, im Verhältnis

zu „TikTok“ und „Instagram“. Will man

eine große Bandbreite an Menschen

erreichen, ist es unabdingbar, alle dieser

Kanäle zu bedienen. Die „Kronen

Zeitung“ sei laut Halouska besonders

gefordert.

Da sie ein sehr breites Leserspektrum

habe, werde das Medium dazu angehalten,

alle Kanäle zu bespielen, die für

die Lebensqualitäten der Menschen relevant

sind. „Das ist eine Menge Arbeit,

weil natürlich auch beim Inhalt selbst

und dessen Aufbereitung für die Alters-

und Zielgruppe eingegangen werden

muss“, unterstreicht auch Nittner.

„Facebook“, „Instagram“ und „TikTok“

sind jene Plattformen, die sowohl im

News-Bereich als auf Rezipient*innen-

Seite am häufigsten genutzt werden.

Soziale Medien haben den Journalismus

grundlegend verändert, somit

mussten sich Medienunternehmen mit

ihren Produkten neu anpassen. Diese

Ausprägungen bieten aber auch neue

Chancen, indem beispielsweise personalisierte

Angebote ausgespielt sowie

Kosten und Ressourcen reduziert

werden. Die Verzerrung der Rollenbilder

führte dazu, dass komplexe Spannungsfelder

zwischen Journalist*innen,

Leser*innen, Quellen und Publikationsmedien

entstanden. Der partizipative

Journalismus zwingt Journalist*innen,

sich innerhalb dieses Rollenmodells bewusst

zu positionieren, stellten Meckel,

Fieseler & Grubenmann bereits 2014

fest („Social Media – Herausforderungen

für den Journalismus“).

Eine personalisierte

Nachrichtenwelt

Damit Medienhäuser entsprechend

Inhalte an die Rezeptionsinteressen

ausspielen können, ist es notwendig,

sich an den kundenspezifischen Anforderungen

zu orientieren. Die Herausgeber*innen

ermöglichen es, der Leserschaft

einen hohen Grad der Kontrolle

darüber zu bieten, welche Informationen

sie rezipieren und wie die Nachrichten

übermittelt und präsentiert werden.

„Demand Content“ stellt hierbei

eine Form dar, in welcher die Ausrichtung

auf Kundenbedürfnisse maximal

erreicht wird, indem Inhalte nicht nur

auf die Nutzerinteressen zugeschnitten,

sondern auch die Bedürfnisse bei

der Erstellung von Nachrichten einbezogen

werden. Beispielsweise werden

Beiträge über Themen, die oft gelesen

werden, herausgefiltert und weitere Inhalte

dieser Art ausgespielt, so Meckel

u.a. Für die „Kronen Zeitung“ sei „Facebook“

ein relevanter Kanal, da nicht nur

viele Nutzer*innen Informationen von

dieser Seite beziehen, sondern auch

frequentiert Feedback geben, erläutert

Halouska. Zudem gewinnt die größer

werdende Datenmenge (Big Data) an

Bedeutung, da sich Journalist*innen

mit der Interpretation dieser Daten

auseinandersetzen. Diese Datenmen-

74 Mediale Gerüchteküchen: Nutzen und Gefahren


gen müssen aufbereitet und analysiert

werden, damit Themenstränge sichtbar

werden und um den tatsächlichen

Nachrichtenwert herauszufiltern. Diese

Prozesse durchzuführen, benötigt es

von Seiten der Journalist*innen neue

Kompetenzen, um dem Datenjournalismus

gerecht werden zu können,

befanden Meckel u.a. 2014. Algorithmisch

personalisierte Nachrichtenkanäle

funktionieren nach einem Prinzip:

Die Systeme erfassen kontinuierlich

und automatisch die Präferenzen der

Nutzer*innen und ihre Randdaten, beispielsweise

ihr Verhalten, ihren Standort

und ihre Netzwerkkontakte.

Diese Daten liefern ein Präferenzprofil

der Rezipient*innen und dazu

werden inhaltsbezogene Parameter,

sogenannte Meta-Informationen, verknüpft.

Algorithmen verarbeiten all

diese Daten und treffen eine Reihe von

Entscheidungen in Echtzeit, resümiert

u.a. Schweiger 2019 („Algorithmisch

personalisierte Nachrichtenkanäle“).

Automatisierte Berichterstattung

spielt in diesem Kontext auch eine erhebliche

Rolle. Bislang funktionierte

diese – laut Andreas Graefe und Mario

Haim („Wenn Algorithmen Journalismus

machen“, 2016) – vor allem in den

Ressorts Sport und Finanzen gut, weil

auf Basis der Daten Texte automatisch

erstellt werden können. Sind die Algorithmen

erstmals entwickelt, kann eine

unendliche Anzahl von Artikeln schnell

und günstig erstellt werden.

Zukünftige Herausforderungen

– eine Substitution von Qualitätsjournalismus?“,

2013) in die Rolle des Gatewatchers,

der Informationen aus dem

Internet entnimmt und im Idealfall die

Kernaspekte herausfiltert. Die Digitalisierung

hat dazu verholfen neue Kanäle

zu schaffen, um Falschinformationen

und Gerüchte zu verbreiten. Was früher

Mund zu Mund verbreitet wurde, wird

heutzutage mit einem Tastendruck und

Mausklick um den Globus geschickt. Es

ist wichtig, sich von einem naiven Realismus

zu distanzieren und zu bedenken,

dass Medien nicht die Wirklichkeit

in der Form zeigen, wie sie wirklich ist:

„Jeder Versuch, Fake News zu verbreiten,

ist ein Beleg dafür, wie sehr auch in

der digitalen Ära kritischer, sorgfältiger

Journalismus gebraucht wird“ (Schultz,

2018). Wenn Medien auch in Zukunft

als eine Instanz für Aufklärung, Kritik

und Kontrolle fungieren sollen, muss

dafür gesorgt werden, dass die Rahmenbedingungen

diese Aufgabe auch

ermöglichen. Aus diesem Grund müsse

auch das Zusammenspiel von Journalismus

und sozialen Medien funktionieren,

unterstreicht Alexandra Halouska.

von Viktoria Ecker

Alexandra Halouska

Copyright: Markus Wenzel

Isabella Nittner

Copyright: Daniel Schreiner

Bedacht werden sollte, dass die Medienrealität

wegen der notwendigen Auswahl

an Themen und Aspekten nicht

mit der Wirklichkeit verwechselt werden

darf. Medien verwenden bestimmte

Frames (Bedeutungsrahmen), die

den Blick auf die Verhältnisse prägen.

Die Wahrheitsorientierung jedoch steht

nach wie vor im Fokus. Soziale Netzwerke

setzen heutzutage auf Themen,

die von publizistisch-professionellen

Medien aufgegriffen werden, wodurch

diese zur standardmäßig abzufragenden

Recherchequelle von Journalist*innen

wurden. Auch wenn der Journalistenberuf

einem Bedeutungsschwund

unterliegt und nicht mehr als allmächtiger

Gatekeeper angesehen wird, fügt er

sich laut Volker Lilienthal („Social Media

© Copyright: adobe stock / metamorworks

Mediale Gerüchteküchen: Nutzen und Gefahren

75


Journalismus: Ein Beruf, viele Legenden

Ein bekanntes Zitat sagt, man solle für sich selbst einen Beruf wählen, den man liebt. Denn dann brauche man

keinen Tag in seinem Leben mehr zu arbeiten. Wer im Journalismus tätig ist, für den scheint der Beruf ohnehin

mehr zu sein, als „nur“ eine Arbeit – so ist jedenfalls der Eindruck nach mehreren Interviews mit Journalist:innen.

Einige haben ihre Branche besonders geprägt, oder tuen es heute noch. SUMO hat sich auf die Suche nach Journalist:innen-Legen-den

gemacht – und große Persönlichkeiten gefunden.

© Copyright: adobe stock / VectorMine

Wenn sich Heinz Nussbaumer an sein

erstes Zusammentreffen mit Hugo

Portisch erinnert, dann ist es eine Erinnerung

an den „unendlich Großen“.

„Aus dem Versuch ihn nachzuahmen,

haben wir uns angezogen wie er, mit

denselben hellblauen Hemden und

einem Trenchcoat. Wir wollten alle

Portisch sein“, sagt er. Nussbaumer ist

selbst Journalist, der im April 2021 verstorbene

Hugo Portisch war sein Wegbegleiter.

Dass der Name Portisch nicht

fehlen darf, wenn es um Journalist:innen-Legenden

geht, scheint außer Frage

zu stehen. Für Heinz Nuss-baumer

war Hugo Portisch schon zu Lebzeiten

eine Legende: „Als ich noch Student

war, ha-ben Freunde von mir meine

Beiträge aus einer Salzburger Zeitung

immer wieder an Hugo Portisch geschickt“,

erzählt Nussbaumer. Eines

Tages folgte die Einladung, schließlich

kam er als 23-Jähriger zur Außenpolitik

bei der Tageszeitung Kurier. Portisch

wurde sein Vorge-setzter – und Lehrer:

„Er hat mich in die Welt hinausgeschickt.“

Die drei Ratschläge des Hugo

Portisch

Journalist zu sein, sei Portischs Lebens-

und Berufswunsch gewesen,

habe ihm eine Freiheit wie kein anderer

Beruf gegeben, sagt Nussbaumer.

Welches Verständnis des Berufes Portisch

hatte, verdeutlicht ein Zitat von

ihm: „Ein Privileg, als Chronist mitzuerleben,

wenn der erste Rohentwurf

der Zeitgeschichte geschrieben wurde.“

Dazu komme Ernsthaftigkeit, ein hoher

ethischer Anspruch, positive Neugierde

und Unbestechlichkeit, erinnert sich

Heinz Nussbaumer: „Er war frei von

Besserwisserei und Vorurteilen, war

enorm tolerant.“ Was Por-tischs Arbeit

geprägt habe, sei auch die Ansicht gewesen,

dass man die Zukunft nur bewälti-gen

könne, wenn man die Vergangenheit

verstehe: „Das war der Kern

seiner ORF-Dokumen-tationsserien.“

Dazu kamen freilich die persönlichen

Erfahrungen aus dem Aufwachsen

wäh-rend des Zweiten Weltkrieges, in

der Nachkriegszeit und das Miterleben

des Wiederaufbaus Österreichs. Aber:

„Er war eine stille Autorität hinter den

Kulissen. Ich glaube, bis heute könnte

niemand sagen, welcher Parteigänger

er war.“ Hugo Portisch habe seinen Kolleg:innen

gerne drei Ratschläge mit auf

den Weg gegeben. „Sage nie jemandem

ungefragt, welchen Beruf du hast – so

angesehen ist er nicht. Wer immer dich

hofiert, merke dir: Er meint nie dich, er

meint immer nur das Medium. Vergiss

nie, Journalismus ist immer nur geborgte

Macht“, sagt Nuss-baumer. Dass sich

das Berufsbild von Journalist:innen

– und damit auch die Aufgaben – verändert

haben, sei allerdings auch Hugo

Portisch bewusst geworden: „Er hat zu

mir gesagt: ‚Ich kann nicht über etwas

reden, das für junge Journalisten irrelevant

geworden ist.‘ Zeitungen werden

anders gemacht, das ist nun einmal so.“

Wenn der Beruf zur Lebensgefahr

wird

Zugegeben: Die Suche nach Journalist:innen-Legenden

ist keine einfache.

Wer gehört unbe-dingt dazu? Welchen

Namen darf man keinesfalls vergessen?

Wie definiert man „Legenden“

überhaupt? Alleine im deutschsprachigen

Raum wäre die Liste lang. Mit Blick

auf Europa, die USA oder gar global

noch um einiges länger. Darunter auch

Journalist:innen, die für ihren Beruf das

Leben lassen mussten. Der Slowake Ján

Kuciak ist einer von ihnen. Er war Redak-teur

der Nachrichtenplattform aktuality.sk

und beschäftigte sich im Zuge

dessen hauptsächlich mit Korruption

in der slowakischen Politik und Wirtschaft.

Nachdem Kuciak bereits mehrmals

Drohungen erhalten hatte, wurde

er gemeinsam mit seiner Verlobten

Martina Kušnírová im Februar 2018

tatsächlich ermordet aufgefunden. Erst

danach wurden weitere Recherchen

Ku-ciaks veröffentlicht, in denen es um

Verbindungen zwischen slowakischen

Politikern zu orga-nisierter Kriminalität

ging. Diese Berichte sorgten für

große Bestürzung in der Bevölkerung

– mit dem Ergebnis, dass Politiker bis

hin zum damaligen Ministerpräsidenten

Robert Fico zu-rückgetreten sind.

Fast drei Jahre später wurde Miroslav

Marcek für den Mord an den beiden zu

25 Jahren Haft verurteilt. Seit dem Bekanntwerden

des Todes von Ján Kuciak

stand die Vermutung eines Auftragsmordes

im Raum.

Im Film „Die Unbestechlichen“ aus dem

Jahr 1976 geht es um zwei Journalisten,

die ebenfalls einen Legendenstatus erreicht

haben: Carl Bernstein und Bob

Woodward. Ihre Recherchen führten

zur Aufdeckung der „Watergate-Affäre“

und in der Folge zum Rücktritt von

Richard Nixon, damals Präsident der

USA. Bernstein wurde 1944 geboren

und wuchs in Washington D. C. auf.

Seine journalistische Laufbahn hat im

Alter von 16 Jahren begonnen, mit 19

war er bereits Reporter. Woodward

stammt aus Illinois und wurde 1943

geboren. In den 1960er Jah-ren hat er

Geschichte und englische Literatur an

der Yale University studiert. Nach einigen

Jahren bei der US-Navy kam er Anfang

der 1970er Jahre zur Washington

Post. Bernstein und Woodward berichteten

ab 1972 über den US-Wahlkampf

– und über missbräuchliche Vor-gänge

in der Amtszeit von Richard Nixon. Im

Sommer 1974 erklärte er seinen Rücktritt.

Für ihre investigativen Recherchen

wurden Carl Bernstein und Bob Woodward

gemeinsam mit der Washington

Post mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Anneliese Rohrer: Eine Legende

als Vorbild

Zurück nach Österreich. Weiter auf der

Suche nach Journalist:innen-Legenden.

Anneliese Rohrer – auch sie darf nicht

fehlen. „Ich bin zu zwei Überzeugungen

gelangt. Für den Beruf des Journalisten

brauchen Sie unglaubliche Leidenschaft,

sonst zahlt es sich nicht aus.

Und Sie brauchen ein Motiv, warum

Sie es machen. Das kann alles Mögliche

sein: Bekanntheit, Ruhm, Leute

kennenzulernen, Schreiben. Mein Motiv

war immer zu verhindern, dass die Leute

von der Politik hinters Licht geführt

werden“, sagt sie. Das helfe auch, mit

Kritik umzugehen. Oder mit Anfeindungen,

die im Internet geäußert werden.

„Am besten für die eigene psychi-sche

Hygiene ist, man liest das gar nicht erst.

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Vor allem wenn der Tonfall nicht konstruktiv

ist“, sagt Rohrer. Sie hat jahrzehntelange

Erfahrung im Journalismus, war

unter anderem bei den Tageszeitungen

Kurier und Presse – für die schreibt sie

auch heute noch – tätig. Ein journa-listisches

Vorbild hatte auch sie: „Erreicht

habe ich es nie: die legendäre Chefredakteurin

von ‚Die Zeit‘, Marion Gräfin

Dönhoff.“ Die Frage liegt nahe, wie

Anneliese Rohrers Einstieg in den Beruf

ausgesehen hat. Wieder schwingt in

der Antwort mit, dass sich die Branche

verändert habe, ihre Anfangszeit mit

der heutigen Situation schwer zu vergleichen

sei. „Es gab überhaupt keine

Journalistenausbildung in Österreich“,

erinnert sie sich. „Völlig unerfahren“

habe sie die Chance bekommen, bei

der „Presse“ zu arbeiten. Heute sei ein

Studium oft sogar eine Vo-raussetzung

für einen Job in der Branche. Nicht die

beste Entwicklung, findet Anneliese

Roh-rer: „Durch diese Formalisierung

verliert man Menschen, die etwas Besonderes

für den Beruf mitbringen. Das

wird sich nicht mehr zurückdrehen lassen.“

Ein Leben lang mit dem Beruf verbunden.

So soll das sein, meint Anneliese

Rohrer: „Man muss nicht unbedingt so

politiksüchtig sein wie ich. Aber man

muss die Neugierde und das Interesse

behalten. Und dazu die Quintessenz

des Journalismus, der Wahrheit – was

auch immer das ist – ein Stück weit näher

zu kommen.“ Man müsse sich die

Vertrauenswürdigkeit behalten, sagt

sie. Denn: „Ein Journalist hat kein anderes

Kapital als seine Glaubwürdigkeit,

das kann man nicht aufs Spiel setzen.

Nicht alle sehen das so, aber dann geht

es meistens auch nicht gut aus.“ Der

Blick auf die Zukunft der Branche fällt

auch der erfahrenen Journalistin nicht

leicht. „Sie wird davon abhängen, ob die

Medienhäuser eine Antwort darauf finden,

wie man guten Journalismus wirklich

finanzieren kann. Das wird das Um

und Auf sein“, betont Rohrer. Einsparen

könne auf Dauer jedenfalls nicht der

richtige Weg sein. Für junge Kolleg:innen

hat sie – auch abseits des Findens

eines richtigen Motives – einen wichtigen

Rat: „Man muss sich Gedanken darüber

machen, in welcher Mediensparte

man sich am wohlsten fühlt. Weil dann

kann man die nötige Leidenschaft und

Energie entwickeln.“ Anneliese Rohrer

lehrte an der Fachhochschule Wien, die

Weitergabe des Wissens per se sei dabei

aber nicht das Ausschlaggebende.

Vielmehr gehe es darum, Studierenden

vor Augen zu führen, unter wel-chen

Rahmenbedingungen Journalismus als

Beruf funktionieren könne.

Kritischer Blick auf die journalistische

Persönlichkeit

Wer als Journalist:in tätig ist, dem kommen

im Rahmen des Berufes mehrere

Funktionen zu: Informationsvermittlung,

Aufklärung, Kritik und Kontrolle.

Vor allem in den drei Letztgenannten

sei das Bedürfnis, sich einzubringen,

bei vielen auch im journalistischen Ruhestand

groß, sagt Kommunikationswissenschaftler

Markus Behmer von

der Universität Bamberg. Der Beruf

en-det eben nicht zwingend mit der

Pension. Es kommt vor, dass Journalist:innen

noch vor dem Ruhestand in

Talkrunden zu Gast sind. Das sei auch

kritisch zu sehen, meint Behmer: „Oft

– vielleicht sogar zu oft – erlebt man

dann, dass Journalist:innen Journalist:innen

befragen. Ei-gentlich sollten

sie aber mit Expert:innen sprechen und

Journalist:innen nicht den Anspruch haben,

Expert:innenwissen zu ersetzen.“

Spätestens an diesem Punkt stellt sich

auf der Suche nach Journalist:innen-

Legenden die Frage, wie wichtig die

einzelnen Persönlichkeiten eigent-lich

sein dürfen. Schließlich hat Hugo Portisch

gesagt, man hofiere keine Person,

sondern ein Medium. „In der Journalismusforschung

war die Systemtheorie

sehr lange en vogue. Die ein-zelne

journalistische Persönlichkeit ist eher

vernachlässigt worden – und das auch

völlig zu-recht. Denn das redaktionelle

System innerhalb eines Mediums bestimmt

viel stärker als ein-zelne Personen,

wie und was berichtet wird“,

erklärt Behmer. Was nicht heißen soll,

dass es keine Vorbilder geben darf.

„Hier wäre es wichtig, ein diverses Bild

zu zeichnen. Zum Beispiel mit Journalistinnen,

die dann wiederum Vorbild

für junge Frauen sein können“, sagt

er. Was Journalist:innen zur Legende

macht, muss übrigens nicht unbedingt

ein großer Name sein: „Es können auch

die Leute sein, die zum Beispiel in den

Lokalredaktionen ihre tägliche Arbeit

machen. Es müssen nicht unbedingt

die großen aufklärerischen Leistungen

sein – sondern auch die Personen, die

ganz einfach Informationen vermitteln“,

betont Markus Behmer.

Noch einmal zurück zu Hugo Portisch,

der Mitte Februar 95 Jahre alt geworden

wäre. Sein Wissen hat er unter

anderem auch an Heinz Nussbaumer

weitergegeben. Naheliegend also, dass

Nussbaumer etliche Laudationes auf

Portisch gehalten hat. Trotz des Legendenstatus:

Die posthume Erinnerung

von Heinz Nussbaumer an den „unendlich

Großen“ ist letztlich doch eine ganz

persönliche: „Wir hatten eine Lebensfreundschaft

– die manchmal etwas

näher, manchmal etwas entfernter

war.“

Von Anna Hohenbichler

Heinz Nussbaumer und Hugo Portisch

Copyright: privat

Markus Behmer

Copyright: Universität Bamberg

Anneliese Rohrer

Copyright: privat

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Impressum

Medieninhaberin:

Fachhochschule St. Pölten GmbH

c/o SUMO

Campus-Platz 1

A-3100 St. Pölten

Telefon: +43(2742) 313 228 - 200

www.fhstp.ac.at

Fachliche Leitung:

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Telefon: +43/676/847 228 425

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Das Team der Ausgabe 38 und des Online-Magazins

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Lead Printproduktion

Elisaveta Egorova

Lead Onlineproduktion

Michael Haas

Lead Unternehmenskommunikation

Anna Hochbichler

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Paul Jelinik

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Lead Distribution

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Unternehmenskommunikation

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Bildredaktion

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Distribution

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Printproduktion

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Printproduktion

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Onlineproduktion

Infobox

Sales: alle

Textredaktion: alle

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Bildredaktion

Hannah Schinagl

Unternehmenskommunikation

Impressum

79


Eine gute

Ausbildung

zeigt mir,

was noch

getan

werden muss.

Jetzt

informieren:

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Wissen, was

morgen zählt.

Moritz Wieser

Student Data Science

und Business Analytics

Juliana Kinnl

Studentin 80 Medientechnik

Neun Themenbereiche

• Medien • Kommunikation

• Informatik • Innovation

• Security • Gesundheit

• Digitale • Soziales

Technologien

• Bahntechnologie

© Peter Rauchecker

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