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Inspiration Nr. 02 2023

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Wegweiser Arbengrat<br />

Thema Rubrik<br />

Entschuldigen Sie bitte, dass Sie zu Beginn dieser Geschichte<br />

zwischen dünnen Wellblechwänden auf einer rosaroten Brille<br />

Platz nehmen müssen. Was sein muss, muss sein. Unter Ihnen<br />

plätschert eine Dauerspülung aus Gletscherwasser und<br />

die Türe steht sperrangelweit offen. Dieses stille Örtchen, ungefähr<br />

3220 Meter hoch und zwanzig Schritte entfernt vom Arbenbiwak<br />

gelegen, gehört zu den aussichtsreichsten Klohäuschen<br />

der Alpen. Der direkte Blick in die Matterhorn-Nordwand<br />

ist viel zu attraktiv, als dass Sie die Türe verschliessen möchten.<br />

Aber das muss Ihnen keineswegs peinlich sein. «Wenn<br />

die Tür weit offensteht», erklärte der ehemalige Hüttenchef<br />

Alfons Biner einmal, «dann ist besetzt.»<br />

Schnell freunden sich die Besucher des nicht bewirtschafteten<br />

Arbenbiwaks mit dem Hüsli- und Hausbrauch<br />

an. Ankommen ist angesagt, denn unmittelbar hinter dem<br />

alpinen Stützpunkt thront unser 4063 Meter hohes Ziel für<br />

morgen, das formschöne Obergabelhorn. Die Südwand, etwa<br />

700 Meter hoch und aus glänzendem Gneis, leuchtet, flankiert<br />

von seinen perfekten Graten, verheissungsvoll zu uns<br />

herunter. Wir haben den linken Grat, den Westsüdwestgrat<br />

im Sinn, der in der Alpinliteratur als Arbengrat fast schon<br />

sagenhaft schöne Erwähnungen fand. «Kompaktester Fels»<br />

im Wallis und «schönste Aussicht» steht da zu lesen. Zu<br />

Recht? Wir sind gespannt.<br />

«Wenn die Tür<br />

weit offensteht, dann<br />

ist besetzt.»<br />

‹1› Logenplatz: Das Arbenbiwak<br />

thront aussichtsreich<br />

zwischen Matterhorn-<br />

Nordwand und Obergabelhorn-Südwand.<br />

‹2› Der Zustieg zum Obergabelhorn<br />

aus Zermatt ist<br />

zwar lange, dafür attraktiv.<br />

‹3› Gegen Ende helfen Ketten<br />

über die vom Gletscher<br />

geschliffenen Felsen zum<br />

Arbenbiwak.<br />

‹1›<br />

‹2›<br />

Ein Geschenk der Holländer<br />

So still wie heute an diesem Juni-Tag ist es an diesem Örtchen<br />

nicht immer. Das Hüttenbuch und so mancher Bericht<br />

im Internet verraten, dass die 15 Schlafplätze an manchem<br />

Sommertag doppelt belegt sind. So gut besucht wie am Tag<br />

seiner feierlichen Eröffnung war es vermutlich nie wieder.<br />

200 Gäste weihten am 9. Juli 1977 das Arbenbiwak ein, das<br />

liebevoll und klassisch aus Bruchsteinmauern gefertigt wurde.<br />

Weniger klassisch seine Historie: Es war ein Geschenk<br />

von der Königlich Niederländischen Alpenvereinigung an den<br />

SAC Zermatt. In den Niederlanden liegt ein Fünftel unter dem<br />

Meeresspiegel – doch die Bergleidenschaft kennt keine Höhenbeschränkung.<br />

30 freiwillige Holländer schaufelten in der<br />

Arbengandegge über drei Wochen alleine an den Zustiegen<br />

und arbeiteten den Schweizer Handwerkern zu. «Holländerkehre»<br />

wurde eine der Spitzkehren getauft. Um das fertige<br />

Bauprojekt zu würdigen, wurden Medienvertreter mit dem<br />

Hubschrauber heraufgeflogen.<br />

Zu Fuss steigen wir von Zermatt herauf. Die 1700 Höhenmeter<br />

bis zum Biwak scheinen für uns fast genauso schnell<br />

zu verfliegen wie für die Holländer im Helikopter. Nicht, weil<br />

wir schnell unterwegs wären. Sondern weil es unentwegt etwas<br />

zu sehen gibt! Rechts flitzen Trailläufer an uns vorbei,<br />

links bimmeln in der Blumenwiese Kuhglocken. Die urchigen<br />

Bergbauernhöfe in Zmutt zeichnen ein Idyll von einer Schweizer<br />

Bergkulisse – und linkerhand begleitet uns auf Schritt und<br />

Tritt prominent das Matterhorn. Ist es aus der Ferne nicht<br />

am schönsten anzusehen? Hinter jeder Kuppe verändert es<br />

fliessend seine Form. Langsam dreht sich die Berühmtheit<br />

wie ein Stück Kuchen auf dem Tortenteller. Und bald wandert<br />

auch das Obergabelhorn in unser Blickfeld.<br />

Aus dem Häuschen:<br />

Sogar am stillen Örtchen ist<br />

die Aussicht schön.<br />

An der Baumgrenze fallen die Sonnenstrahlen durch die letzten<br />

Lärchen. Wenige Schritte weiter schon rauscht ein mächtiger<br />

Wasserfall über Klippen. Die imposante Moräne, die<br />

Arbengandegge, zieht sich dann doch spürbar in die Länge.<br />

Sie erinnert daran, wie vergänglich das Eis an den Viertausendern<br />

ist – und wie hoch gesteckt unser Ziel ist. Ein Klettersteig,<br />

der nach dem Rückgang des Arbengletschers von<br />

Wege-Verantwortlichen des SAC mehrmals adaptiert worden<br />

ist, bildet das steile Finale zum Biwak.<br />

Kaffee am Logenplatz<br />

Weil die Sonne noch hoch am Himmel steht, machen wir Arbeitsteilung:<br />

Andi kundschaftet den morgigen Zustieg aus,<br />

der mir von meiner Klettertour durch die Südwand noch bekannt<br />

ist, und ich brühe in der top ausgestatteten Kochnische<br />

am Gasherd Wasser. So schlürfen wir am späten Nachmittag<br />

einsam und gemeinsam auf der Hüttenbank unseren Instant-Kaffee,<br />

der mit dem Monte-Rosa-Panorama mindestens<br />

‹3›<br />

16<br />

17

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