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Blattwerk Ausgabe No18 Mai und Juni 2023

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Wenn Kurzweil von Beziehungen zu Automaten, die den<br />

Menschen als Gefährten, Lehrer, Verwalter <strong>und</strong> Liebhaber zur<br />

Verfügung stehen, spricht, klingt das angesichts aktueller<br />

sozialwissenschaftlicher Forschung wie triviale Science-Fiction.<br />

Der Computerwissenschaftler Kurzweil spricht vom Homo<br />

sapiens aus technischer, den Menschen verdinglichender<br />

<strong>und</strong> somit in keiner Weise gerecht werdender Perspektive.<br />

Die Humanwissenschaftler sehen den Menschen unter<br />

Miteinbeziehung der anderen Wissenschaften umfassender,<br />

ganzheitlicher. Aus ganzheitlicher Sicht wird nicht ein<br />

Teil der Realität verabsolutiert <strong>und</strong> andere Teile vernachlässigt<br />

oder gar nicht beachtet, vielmehr in ausgewogener<br />

Zusammenschau in Beziehung zueinander gebracht.<br />

Die großen Lebensbereiche Natur, Technik <strong>und</strong> Kultur bilden<br />

ganzheitlich betrachtet eine Einheit, ohne dass dabei<br />

die Unterschiede <strong>und</strong> differenzierten Betrachtungsweisen<br />

aufgehoben werden.<br />

Der Mensch ist zwar in seiner biologischen Gestalt ein<br />

natürliches Lebewesen, reduzierte man ihn aber auf seine<br />

Natur, wäre er, geb<strong>und</strong>en an seine biologischen Bedingungen,<br />

in seine Umwelt eingeschlossen. Was den Menschen<br />

allerdings von den anderen Lebewesen <strong>und</strong> Seinsformen<br />

unterscheidet, ist seine Nichtabgeschlossenheit, er ist,<br />

nach Nietzsche, das nicht festgestellte Tier, offen für die<br />

Mitwelt <strong>und</strong> das auf ihn Zukommende, die Zukunft.<br />

Komm! ins Offene, Fre<strong>und</strong>! Dieser Aufruf zu Beginn des Gedichtes<br />

Der Gang aufs Land von Friedrich Hölderlin basiert<br />

auf der historisch gewordenen <strong>und</strong> persönlich anverwandelten<br />

Freiheitsidee.<br />

Wenn Neurowissenschaftler behaupten, Freiheit gebe es<br />

nicht, alles Tun des Menschen sei neuronal bestimmt, ist<br />

das der Ideologie des Transhumanismus verpflichtet, die<br />

auf ein negatives Menschenbild zurückgeht.<br />

Die sogenannten Tech-Eliten, als die sie sich selbst gern<br />

sehen, Analphabeten des Geistes, sehen den Menschen<br />

als suboptimales Auslaufmodell <strong>und</strong> denken offen darüber<br />

nach, ihn durch Maschinen zu optimieren, zu kontrollieren<br />

<strong>und</strong> letztlich durch den künstlichen Menschen zu ersetzen.<br />

In völliger Geschichtsvergessenheit (die grausamen Experimente<br />

der Nazis an Menschen liegen noch kein Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

zurück) experimentieren sie an Körpern, um sie<br />

zu verbessern, zu erneuern <strong>und</strong> auf eine, wie sie glauben,<br />

höhere Evolutionsstufe zu bringen. Das erinnert mich an<br />

einen Satz, den ich bei dem Soziologen Max Weber im<br />

Blick auf Naturwissenschaftler gelesen habe, den dieser<br />

um 1900 geschrieben hat: Fachmenschen ohne Geist, dieses<br />

Nichts bildet sich ein, eine noch nie vorher erreichte Stufe der<br />

Menschlichkeit erstiegen zu haben.<br />

Einige Transhumanisten verfolgen die Idee, unser Gehirn<br />

zu scannen <strong>und</strong> alle vorhandenen Informationen auf dem<br />

Computer hochzuladen. Allen voran Google-Produktdirektor<br />

Kurzweil, der offen sagt, solche Prozesse wären<br />

effizienter, wenn man die menschlichen Gehirne zerstören<br />

würde, während man sie scannt.<br />

Spricht man diese entgeisterten, seelenlosen Technik-Verabsolutierer<br />

auf ihre inhumanen Tendenzen an, kommt<br />

immer dieselbe, wie von einem Computer gesprochene<br />

Antwort, schreibt Sara Spiekermann in ihrem Buch Digitale<br />

Ethik: Wir brauchen diese Technologien, weil nur sie die<br />

Probleme der Menschen lösen können. Der Mensch sei letztlich<br />

fehlbar. Die Geschichte habe gezeigt, dass er vielfach zu<br />

schwach <strong>und</strong> unberechenbar sei, eigennützig, opportunistisch,<br />

angstgetrieben, emotional, irrational, körperlich schwach, zu<br />

langsam, zu unpräzise, ineffizient … usw. Maschinen seien<br />

schlichtweg berechenbarer, langlebiger <strong>und</strong> intelligenter als<br />

der Mensch. Man müsse Menschen daher technisch ausbauen,<br />

im Fachjargon enhancen, also verbessern.<br />

Ein erschreckendes Menschenbild, das bei genauer<br />

Sprachanalyse schockierende Parallelen zu faschistischen<br />

Vorstellungen aufweist: technische Lösungen von Problemen<br />

von <strong>und</strong> mit Menschen, ein menschenverachtendes<br />

Weltbild, nichtmenschliche Attribute wie unpräzise, ineffizient,<br />

technische Manipulationen am Menschen.<br />

Umgekehrt werden den Maschinen menschliche Attribute<br />

zugedacht: Maschinen seien langlebig <strong>und</strong> intelligent.<br />

Der Transhumanismus propagiert eine inhumane Zukunft,<br />

die am Ende auf den Menschen verzichten kann. Der Lebensbereich<br />

Kultur wird hier völlig ausgeschlossen, ebenso<br />

der Bereich Natur.<br />

Kultur steht prinzipiell für Freiheit, da in ihr die schöpferische<br />

Lebenskraft des Menschen zum Tragen kommt. Eine<br />

Kultur der Freiheit, die uns Möglichkeiten erschließt, die<br />

von einer verabsolutierenden Technikgläubigkeit sabotiert<br />

werden, ist nur durch Verantwortung <strong>und</strong> Verbindlichkeit<br />

zu realisieren.<br />

Freiheit ist allerdings, wie schon in den Schriften Platons<br />

<strong>und</strong> bei vielen Denkern nach ihm zu lesen ist, nicht das<br />

Recht Einzelner, zu tun <strong>und</strong> zu lassen, was man will, je nach<br />

Befindlichkeit <strong>und</strong> beliebig, sondern aufgr<strong>und</strong> von Wissen<br />

<strong>und</strong> Erkenntnis das Richtige zu tun.<br />

Kurz: den Menschen nicht verdinglichen <strong>und</strong> die (technischen)<br />

Dinge nicht an die Stelle des Menschen setzen.<br />

Das ständige Verfügbarsein gefährdet die Freiheit oder<br />

schließt sie aus. Unverfügbarkeit ist das Wesensmerkmal<br />

von Freiheit.<br />

Es soll hier nicht der Eindruck von Technikfeindlichkeit<br />

entstehen, im Gegenteil: Technische Entwicklungen, die<br />

dem Menschen über Unzulänglichkeiten hinweghelfen, ihn<br />

in seinem Willen, sich Wissen anzueignen, unterstützen,<br />

Kommunikation fördern, Arbeiten erleichtern, in Verwaltung,<br />

Schule, Wirtschaft <strong>und</strong> Wissenschaft produktiv eingesetzt<br />

werden, sind höchst willkommen.<br />

Was digitale Technologie in Krisen leisten kann, haben die<br />

Pandemie-Jahre gezeigt. Ohne sie wären viele gesellschaftliche<br />

<strong>und</strong> ökonomische Prozesse zum Stillstand gekommen,<br />

Unterricht <strong>und</strong> Fortbildung hätten nicht stattfinden,<br />

viele Menschen ihre Arbeit nicht mehr ausüben können<br />

ohne die Möglichkeit von Homeoffice, Politik <strong>und</strong> Wirtschaft<br />

wären weltweit kollabiert.<br />

Gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass die Menschen<br />

über die technischen Möglichkeiten der Kommunikation<br />

hinaus leibhaftige Sozialkontakte brauchen, die Begeg-<br />

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