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Ahoi Leipzig Oktober 2023

Das Stadtmagazin für Leipzig und Region

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Kolumne<br />

Eine Seite Vernunft<br />

Gesine Oltmanns wurde besonders durch ihr mutiges Plakat „Für ein offenes Land mit<br />

freien Menschen“ auf der ersten <strong>Leipzig</strong>er Montagsdemo im September 1989 bekannt.<br />

In ihrem Beitrag schreibt sie über die Vernunft, im Gedenken an unvergängliche Geschichte<br />

groß zu denken.<br />

Foto: Rainer Justen<br />

EIN VERNÜNFTIGES<br />

DENKMAL<br />

Folgt man den einschlägigen Definitionen, bedeutet<br />

vernünftig zu sein, einsichtig, besonnen und überlegt<br />

zu handeln. Menschen gewinnen Einsichten,<br />

erkennen Zusammenhänge, bilden sich ein Urteil<br />

und treffen dann vernünftige Entscheidungen. In<br />

der Geschichte der Philosophie wird die Vernunft als die<br />

Grundlage für Erkenntnis und Erkenntnisgewinn betrachtet.<br />

Insofern sind die Beschlüsse des Bundestages und des<br />

<strong>Leipzig</strong>er Stadtparlaments für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal<br />

in <strong>Leipzig</strong> sinnvoll und mehr als vernünftig.<br />

Geschichte vergeht nicht. Sie begleitet uns in<br />

Erinnerungen, in der Gegenwart und ist überaus bedeutsam<br />

für die Zukunft. Es gibt mehr als 100.000 Kriegerdenkmäler<br />

in Deutschland, nach Erinnerungsorten für eine<br />

positive Geschichte muss man allerdings suchen. Der<br />

9. <strong>Oktober</strong> 1989 in <strong>Leipzig</strong> hat den gewaltfreien Verlauf<br />

der Friedlichen Revolution, des Sturzes der kommunistischen<br />

Diktatur in Ostdeutschland, besiegelt. Einer der<br />

glücklichsten Momente der gemeinsamen<br />

deutschen Geschichte hat alles auf den<br />

Kopf gestellt, was durch Unterdrückung und staatliche<br />

Gewalt unveränderbar schien.<br />

Am Anfang des revolutionären Herbstes vor 34 Jahren<br />

stand der Gründungsaufruf des oppositionellen Neuen<br />

Forums, ein Aufruf zum Dialog zwischen Staat und<br />

Gesellschaft, zwischen Staat und Volk, ein Aufruf zum<br />

Reden, Zuhören und gemeinsamem Streiten für Reformen<br />

in der DDR. Dieser Aufruf hat viele aktiviert und auch<br />

beflügelt. Solidarität und Zivilcourage prägten die Wochen<br />

im Herbst und Winter 1989/90 in Ostdeutschland.<br />

Diese Erzählung des gewaltfreien Widerstands, der ein<br />

ganzes System zum Stürzen brachte, der den Eisernen<br />

Vorhang schmelzen ließ, ist auf jeden Fall ein Denkmal<br />

wert. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal<br />

hat die Chance, aus der Geschichte heraus<br />

Orientierung in den gesellschaftlichen<br />

Prozessen der Gegenwart und Zukunft zu<br />

vermitteln. Durch die künstlerische Auseinandersetzung<br />

und mit dem fertigen Denkmal werden wir auch<br />

wichtige Impulse für den von den Philosophen gemeinten<br />

und geforderten Erkenntnisgewinn erlangen. Zum Beispiel<br />

die Einsicht, dass es möglich ist, Demokratie gemeinsam<br />

zu erlangen und diese auch zu beschützen. Das ist in Zeiten<br />

von Populismus und anwachsender Demokratiefeindlichkeit<br />

umso wichtiger.<br />

In diesem Sinne ist es vernünftig, groß zu denken<br />

und verantwortungsvoll diesen neuen Prozess für ein<br />

Freiheits- und Einheitsdenkmal in die Hand zu nehmen.<br />

Gesine Oltmanns wurde 1965 im Erzgebirge geboren.<br />

In den 1980er-Jahren engagierte sie sich in oppositionellen<br />

Friedens- und Menschenrechtsgruppen in <strong>Leipzig</strong>. Nach 1989<br />

arbeitete sie bis 1994 bei der Gauck-Behörde. Ab 2009 war<br />

sie im Kuratorium der Stiftung Friedliche Revolution aktiv.<br />

Im Juni 2015 ist sie aus dem Kuratorium ausgeschieden und<br />

in den Stiftungsvorstand berufen worden. Seither gilt ihr<br />

Engagement vor allem Stiftungsprojekten wie der Revolutionale<br />

mit dem Internationalen Runden Tisch sowie dem<br />

<strong>Leipzig</strong>er Freiheits- und Einheitsdenkmal.<br />

<strong>Ahoi</strong><br />

LEIPZIG<br />

OKTOBER <strong>2023</strong><br />

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