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Juli/August - Stadt Weingarten

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Für ihr Bodenmosaik, das aktuell in der<br />

Städtischen Galerie Ravensburg zu sehen ist,<br />

benutzt die Künstlerin nicht mehr Sand, sondern<br />

bonbonfarbene Zuckerkügelchen als Rohstoff −<br />

so genannte Liebesperlen. Nach Anleitung der<br />

Künstlerin haben Hamburger und Ravensburger<br />

Mitarbeiterinnen gemeinsam in tagelanger, aufwändiger<br />

Handarbeit das Mosaik nach einer<br />

Schablone ausgelegt. Entstanden ist ein „liegendes<br />

Bild“, das auf den Stuckdekor des historischen<br />

Gebäudes Bezug nimmt und die Skulptur<br />

zur raumgreifenden Installation erweitert.<br />

Durch die Verwendung der essbaren Süßwaren<br />

kommt bei der neuen Raumintervention von<br />

Mariella Mosler der sinnliche Aspekt noch mehr<br />

zum Tragen als bei den früheren Sandarbeiten.<br />

Die Farbigkeit und der Geruch sprechen den<br />

Betrachter regelrecht an und erweitern damit<br />

die autonome Plastik. Mariella Mosler holt hier<br />

emotionale Komponenten zurück, die im letzten<br />

Jahrhundert ausgegrenzt wurden. So stiftete bis<br />

ins 19. Jahrhundert der Dekor an Häusern und<br />

Gegenständen eine formale und auch inhaltliche<br />

Verbindung zwischen den Menschen, den Dingen<br />

und der Welt.<br />

Mit der Moderne jedoch wurde diese Beziehung<br />

versachlicht. Architekturkritiker wie Adolf Loos<br />

betitelten das Ornament beispielsweise als<br />

„Verbrechen“ und werteten dieses als Ausdruck<br />

eines „degenerierten“ Menschen ab. Die Bauhaus-Lehre<br />

der 1920er Jahre propagierte eine<br />

von jeglicher Theatralik, Brauchtum und Ideologie<br />

befreite Gestaltung. Diese würde nämlich – so<br />

glaubte man − einen rationalen und vernunftgeleiteten<br />

Menschen hervorbringen.<br />

Moslers Auseinandersetzung mit floralen<br />

und geometrischen Mustern zielt immer<br />

auch auf Ordnungssysteme, die unser<br />

Leben bestimmen – in Wissenschaft und<br />

Gesellschaft, Sprache und Denken.<br />

Viele Positionen der Gegenwartskunst beziehen<br />

ihren Antrieb daraus, diese Entwicklung zu hinterfragen<br />

und zu kompensieren. Auch die ornamentalen<br />

Arbeiten von Mariella Mosler sind vor<br />

diesem Hintergrund zu sehen. Auf die minimalistischen<br />

Bodenplastiken aus Stahl, wie sie der<br />

Bildhauer Carl Andre in den 1960er Jahren entwickelte,<br />

antwortet Mariella Mosler aus einem<br />

dezidiert weiblichen Blickwinkel. Mit ihrem Bodenrelief<br />

aus Liebesperlen entsteht ein Energiefeld,<br />

das an die Augen- bzw. die Einverleibungslust<br />

appelliert und damit den Körper wieder ins<br />

Spiel bringt.<br />

Gleiches lässt sich auch über die Masken-Objekte der<br />

Künstlerin sagen: Bei den grell bunten Streifengesichtern,<br />

den runden Kokosmasken und den mit Schlitzaugen<br />

versehenen Papiertüten handelt es sich um<br />

fantastische Hybridwesen. Gleich der internationalen<br />

Kunstsprache Esperanto, die sich aus verschiedenen<br />

Sprachen zusammensetzt, nimmt Mariella Mosler die<br />

jahrhundertealten Maskentraditionen auf und aktualisiert<br />

sie in Kombination mit modernen Formen und<br />

Materialien.<br />

Im gegliederten, ausgewogenen, prinzipiell<br />

unendlich fortsetzbaren Ornament scheint<br />

sich unsere Sehnsucht nach überschaubaren<br />

Strukturen, nach Sicherheit und Kontrolle<br />

zu erfüllen. Moslers Arbeiten spiegeln solche<br />

Ordnungswünsche – und entziehen sich<br />

ihnen zugleich.<br />

Mariella Mosler rehabilitiert nicht nur die als Folklore<br />

abgewertete Tradition der Maske. Indem sie alltägliche<br />

Materialien wie beispielsweise Pappe oder Luftpolsterfolie<br />

als Werkstoffe benutzt, führt sie letztlich<br />

auch die herkömmlichen Kategorien von Kunst und<br />

Nicht-Kunst, von Leben und Kunst ad absurdum. �<br />

Dr. Nicole Fritz ist Kunsthistorikerin<br />

und die Kuratorin der Ausstellung.<br />

Seite 5: Hundreds and Thousands,<br />

12 x 6 m, Liebesperlen, 2008,<br />

Barlach Haus Hamburg.<br />

Oben: Masken 2007 bis 2010,<br />

verschiedene Materialien.<br />

6 stadtgespräch 7<br />

© Alle Fotos: Christoph Irrgang<br />

Mariella Mosler<br />

Bis 12. September<br />

Städtische Galerie Ravensburg<br />

Öffnungszeiten Di bis So<br />

10 –13 und 14 –18 Uhr<br />

Führungen jeweils sonntags11 Uhr<br />

mit Andrea Dreher oder Babette Caesar<br />

Gruppenführungen Anmeldung unter<br />

Tel. 07 51/82-109<br />

Kinderführungen ab 6 Jahren.<br />

Sa 3. <strong>Juli</strong> und Sa 14. <strong>August</strong>, jeweils<br />

11 Uhr mit Andrea Dreher. Anmeldung<br />

unter Tel. 0751/363 8714<br />

Kunst im Gespräch Mi 7. <strong>Juli</strong>, 20 Uhr.<br />

Die Ausstellungskuratorin Dr. Nicole<br />

Fritz im Gespräch mit Mariella Mosler<br />

Kunst-Genuss jeweils mittwochs<br />

12.30 –13 Uhr. Kurzführung inklusive<br />

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