tassilo - das Magazin rund um Weilheim und die See - Ausgabe Januar/Februar 2024

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im Büro sein. Vor allem wenn ich mal in Ruhe arbeiten möchte, um mich in ein größeres Problem hineinzudenken, ist es im Homeoffice produktiver. Letztlich ist der Mix aus Homeoffice und Büro ideal. In der Regel arbeite ich zwei Tage im Büro, zwei im Homeoffice und einen Tag bin ich draußen unterwegs. So wie heute, mit Roter Couch auf dem Tegelberg. (lacht) Ganz genau. Ein Termin bei genialen Bedingungen, den ich auch gleich mit weiteren nützlichen Dingen verbinden kann: Erst treffe ich mich mit einem langjährigen und einem neuen Beobachter, die hier in der Region zuhause sind. Und danach besuche ich meine Mutter in Hohenpeißenberg, wo ich ein paar Tage lang bleiben und vom Laptop und Handy aus arbeiten werde. Einen geregelten Arbeitsalltag gibt es für Sie offensichtlich nicht. Ich beschreibe am besten den Arbeitstag, an dem ich den Lagebericht von meiner Wahlheimat München aus schreibe: Gegen 6.30 Uhr aufstehen, an den Laptop setzen, Messdaten sowie neue Beobachtungen anschauen und bei Bedarf den Lagebericht von gestern Abend aktualisieren. Danach: Frühstücken, fertig machen, ins Büro fahren. Dort gilt es diverse Führungs- und Verwaltungsaufgaben abzuarbeiten, ehe wir uns ab 14 Uhr wieder um den Lagebericht für den dann kommenden Tag kümmern. Zu den eingangs erwähnten, 50 Beobachtern, kommen rund 400 weitere Ehrenamtler hinzu, die den LWD über örtliche Lawinenkommissionen unterstützen. Was sind das für Leute, wo Leben die und machen die das wirklich ehrenamtlich? Die Aufwandsentschädigung für unsere Beobachter reicht am Ende der Saison gerade einmal für ein paar Ski. Und unsere fast 400 Kommissionsmitglieder bekommen in der Regel nur Kleidung und Sicherheitsausrüstung. Heißt: Die machen das wirklich aus Überzeugung, aus Eigenmotivation heraus. Und sind total unterschiedlich. Wir kooperieren mit Pistenraupenfahrern, Forstangestellten, Hüttenwirten, Bergsteigern, Rentnern, Bergführern, Bergwachtlern, Landwirten. Insofern ein bunter Mix, der von uns ausgebildet wurde, aber draußen vor Ort stets eigenverantwortlich arbeitet. An der Windmessstation: Dr. Thomas Feistl (re.) und Redakteur Schelle. 12 | tassilo Und wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit benachbarten Lawinenwarnern, allen voran den Österreichern? Wir tauschen uns so viel aus wie nur möglich. Wobei Forschungsprojekte meistens in der Schweiz umgesetzt werden. Gutes Stichwort: Was halten Sie vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos? Die fünf Jahre, die ich dort gearbeitet habe, waren eine sehr gute und lehrreiche Zeit. Das SLF ist eine herausragende Forschungseinrichtung zum Thema Schnee und Lawine – von Schneephysik über Risikomanagement und Lawinenlagebericht bis hin zu technischer Beschneiung ist dort alles im gleichen Haus. Sie in weißem Kittel im Labor? Wir haben tatsächlich Experimente gemacht. Zum Beispiel eine Lawine nachgebildet in Form einer Naturbahn mit kleinen Kügelchen und so den Einfluss von Wald auf Lawinen erforscht. Zum Thema Lawinendynamik habe ich auch meine Doktorarbeit geschrieben. Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz für die Erstellung des Lawinenlageberichts? Vor einigen Wochen habe ich dazu erstmals einen Vortrag gehört. Ich weiß auch von Kollegen, die sich testweise von Chat GPT einen Lagebericht haben schreiben lassen – das war mäßig erfolgreich. Noch hat KI also keinen konkreten Einsatz in unserer Warnzentrale. Aber das wird kommen, da bin ich mir ganz sicher. Passend dazu: Wie hat sich der allererste Lagebericht im Vergleich zum heutigen verändert? Der erste war ein Drei- oder Vierzeiler für den kompletten bayerischen Alpenraum. Zwischenzeitlich wurde er per Telefax an Berghütten gesendet und im Hüttengang aufgehängt. Videotext im TV war auch mal ein wichtiger Kommunikationsweg. Inzwischen haben wir zehn Kleinregionen – Allgäuer Hauptkamm, Allgäuer Vorberge, Ammergauer Alpen, Werdenfelser „Den kenn ich doch“: Ein Schneedeckenbeobachter kam zufällig vorbei. Alpen, Bayerische Voralpen West, Bayerische Voralpen Mitte, Bayerische Voralpen Ost, Chiemgauer Alpen West, Chiemgauer Alpen Ost und Berchtesgadener Alpen – auf drei verschiedene Lageberichte zusammengefasst. Heißt: Der Lagebericht von heute ist wesentlich detaillierter, aufgrund täglicher Erscheinung deutlich aktueller und übers Internet für jeden rund um die Uhr zugänglich. Mag vielleicht banal klingen: Aber wird es in Zukunft aufgrund Klimaerwärmung und damit verbundenen Extremwetterereignissen auch einen Lawinenlagebericht für den Sommer geben? Das ist eine gute Frage, die bei uns tatsächlich schon aufgetaucht ist und in Zukunft durchaus zu einem ernsten Thema werden kann. In Bayern sind wir der einzige Warndienst für Naturgefahren in den Bergen. Und es gibt natürlich noch andere Gefahren als die Schneelawine, zum Beispiel Steinschläge und Hangrutsche. Zurück zu Ihrem nicht weniger komplexen Kerngebiet, der Schneelawine. Warum passieren ausgerechnet bei Stufe Drei die meisten tödlichen Unfälle? Da in den Bayerischen Alpen Warnstufe fünf, also der Katastrophenfall mit Straßensperrungen und Evakuierungen ganzer Dörfer so gut wie nie vorkommt, müssen wir Tourengeher den Bericht eigentlich von vorne herein zwischen Warnstufe 1 bis 4 betrachten. Viele tun das aber nicht und denken, der Dreier, der liegt genau in der goldenen Mitte und kann insofern noch nicht so gefährlich sein. In der Tat kann man bei einem Dreier noch Skitouren gehen und abseits gesicherter Pisten fahren, muss hierfür aber über ein sehr gutes Grundwissen in Lawinenkunde verfügen und vor allem die Lawinengefahr draußen vor Ort einschätzen und immer wieder neu beurteilen können. Heißt: Wenn ich keine Ahnung habe, sollte ich bei einem Dreier, eigentlich auch schon bei einem Zweier, zuhause bleiben. Ein Restrisiko, eine Lawine auszulösen, besteht im freien Skigelände nämlich immer. Sie selbst sind bevorzugt im Lechtal unterwegs. Es gilt als einsam, steil, wild und gefährlich. Wie bereiten Sie sich auf Skitouren in anspruchsvollem Gelände vor? Inzwischen kenne ich die meisten Touren im Lechtal, weshalb ich mir die gefährlichen Stellen schon vorab vor Augen führe und die Hangneigungen mit dem aktuellen Lagebericht und den Wetterverhältnissen abgleiche und ganz genau überlege: Könnte es an diesem Tag an dieser Schlüsselstelle ein Problem geben. Wenn ich dann rausgehe, schaue ich mir die Schlüsselstellen vor Ort nochmals genau an, indem ich ein oder mehrere Schneeprofile grabe und Schnee-
deckenstabilitätstests durchführe. Stelle ich dabei fest, es ist zu gefährlich, drehe ich konsequent um und mache Plan B. Letzteren sollte man immer in der Tasche haben. Wie wichtig sind an dieser Stelle Pieps, Schaufel und Sonde? Sehr wichtig. Auch bei vermeintlich harmlosen Touren. Das hat man immer dabei! Nicht nur für sich selbst. Es kann ja auch sein, dass ich auf Tour bin und einen Unfall beobachte – dann weder helfen noch retten zu können, ist fast schlimmer als selbst in einen Unfall verwickelt zu sein. Ich gehe mit niemandem eine Skitour, der diese Standardsicherheitsausrüstung nicht hat. Und mit dieser Ausrüstung nicht umgehen kann. Die Ausrüstung zu besitzen ist das eine. Aber mit Pieps und Sonde jemanden innerhalb der lebensrettenden 15 Minuten zu finden und ihn mit einer kleinen Aluminiumschaufel so schnell wie möglich auszugraben ist nochmals was ganz anders. Das muss geübt werden. Je öfter, desto besser. Was halten Sie von Rucksäcken mit Lawinen-Airbag? Bisherige Theorien, dass Tourengeher mit Airbag-Rucksack zu viel riskieren, sind im Rahmen einer Skitourenstudie vom Deutschen Alpenverein widerlegt worden. Ich sehe den Airbag im Skitourenrucksack wie den im Auto: Er kann einen nicht vor schweren Unfällen bewahren, aber in entscheidenden Situationen dann doch das Leben retten. Wer viel unterwegs ist, dem sollte es der Wert sein, dafür viel Geld auszugeben. Ich bin fast immer mit Airbag-Rucksack unterwegs. Genauso wie mit Helm, der auch zur Standardausrüstung gehören sollte. Welche Tipps haben Sie für Skitouren-Anfänger? In fast allen Verbänden und Vereinen werden Skitourenkurse angeboten, im Rahmen derer die Basics erklärt und gezeigt werden. Auch von großem Vorteil: Mit jemandem mitzugehen, der es schon lange macht und sich gut auskennt. Darüber hinaus gibt’s inzwischen jede Menge Plattformen und Hilfsmittel zur Tourenplanung – zum Beispiel Tourenbeschreibungen, über die man sich geeignete Anfängertouren aussuchen kann, bevor es eines Tages ins steilere, gefährlichere Gelände geht. Wie gehen Sie persönlich mit dieser gewaltigen Verantwortung um, indirekt über Leben und Tod zu entscheiden? Entscheidend ist ein gutes Team, das einem in angespannten, belastenden Situationen hilft. Darüber hinaus: Selbst bei schweren Unfällen ruhig und sachlich zu bleiben, die Dinge klar zu analysieren und sich im Klaren sein, dass man seinen Job nach bestem Wissen und Gewissen richtig ausgeübt hat. Könnten Sie rechtlich belangt werden? Das ist wie beim Wetterbericht: Wir geben eine Prognose ab. Letztlich bestreiten die Menschen da draußen ihre Skitouren aber immer auf eigene Gefahr. Haben Sie trotzdem mit Shitstorms oder Anwaltsschrieben zu kämpfen? Wer in unserem Beruf tätig ist, muss sich schon im Vorfeld darauf einstellen, dass man’s hier nicht immer mit einer heilen Welt zu tun hat. Aber Hasskommentare oder Schreiben von Rechtsanwälten erreichen uns selten. Was sagen Familie, Freunde und Bekannte zu Ihrem außergewöhnlichen Beruf? Es ist auf jeden Fall ein sinnstiftender Beruf, der von meinem engeren Umfeld sehr geschätzt wird. Sie sehen aber auch, dass er belastend sein kann und oft wenig Zeit für Freunde und Familie ist. Außerdem schwierig: Dass mein Beruf auch im Privaten ständig Thema ist – ihn nach Feierabend auszublenden, ist fast nicht möglich. Wie bauen Sie Stress ab? In dem ich mir Freiräume schaffe und tatsächlich mal Touren nur für mich unternehme. Aber auch Yoga, Meditation und bewusste, gesunde Ernährung sind da bewährte Mittel für mich. Und was macht der Leiter eines Lawinenwarndienstes im Sommer? Im Mai, wenn es wesentlich weniger stressig ist, fahren wir erstmal alle runter und freuen uns, wieder normalen Büroarbeitstagen nachgehen zu können – ganz ohne Druck und Überstunden. Das ist auch die Zeit für längere Urlaube am Stück. Ich war heuer mit Geländewagen, Mountainbike, Surfbrett und Snowboard in Marokko, was zum Erholen echt genial war. Nichtsdestotrotz gibt es für uns auch im Sommer wichtige Arbeiten zu erledigen – wir bereiten da technisch alles soweit vor, um uns im Winter wieder voll und ganz aufs Wesentliche konzentrieren zu können: Auf die Erstellung des täglichen Lawinenlageberichts. js Abfahrt mit Splitboard: Thomas Feistl verbindet das Berufliche mit seiner großen Leidenschaft. *Rechtsberater Dr. Maria Hagenauer* Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Verwaltungsrecht MATINEE UM ELF www.podium-musicale.de Linda Heidemann Rechtsanwältin Allgemeines Zivilrecht, Miet- und Wohnungseigentumsrecht So. 14.01. 24 | 11 Uhr Bibliotheksaal Polling SPIEL UND TANZ KLAVIERMUSIK ZU VIER HÄNDEN Werke von J. Brahms, G. Bizet, S. Barber u. A. Daniela Fietzek und Andrea Szewieczek Pascal de Coulon* T 0881 / 63 80 90 Mittlerer Graben 18 F 0881 / 9 23 27 44 82362 Weilheim info@kanzlei-weilheim.de www.kanzlei-weilheim.de Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht PODIUM MUSICALE e.V. - Junge Künstler*innen konzertieren januar / februar 2024 | 13
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