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Ärzt*in für Wien 2024/02

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RECHT SERVICE<br />

Ärztliche Aufklärung<br />

Zeitpunkt ist entscheidend<br />

Der Oberste Gerichtshof (OGH) hielt fest, dass die ärztliche Aufklärung einer Patientin am späten<br />

Nachmittag des Vortags ihrer folgenschweren und nicht dringenden Magenbypass-Operation nicht<br />

ausreichend war.<br />

Von Katharina Pöschl<br />

Fotos: SUPERMAO/stock.adobe.com<br />

► Der Oberste Gerichtshof musste<br />

sich mit der Rechtzeitigkeit der<br />

ärztlichen Aufklärung vor einer Magenbypass-Operation<br />

befassen.<br />

Im konkreten Fall (3 Ob 179/23d) erhält<br />

eine adipöse Klägerin Schadenersatz <strong>für</strong><br />

Folgebeschwerden, weil sie erst einen<br />

Tag vor ihrer Magenbypass-Operation<br />

über mögliche Nebenwirkungen des<br />

Eingriffes aufgeklärt wurde – und zwar<br />

unabhängig davon, ob den Ärztinnen<br />

und Ärzte bei der Operation ein Fehler<br />

unterlaufen ist.<br />

Sachverhalt<br />

Die zum damaligen Zeitpunkt adipöse<br />

Klägerin unterzog sich einer laparoskopischen<br />

Magenbypass-Operation (Anlage<br />

eines Roux-en-Y-Magenbypasses).<br />

Hervorzuheben ist, dass die Klägerin<br />

aufgrund der ihr während der vorherigen<br />

monatelangen umfangreichen<br />

interdisziplinären Abklärung zwischen<br />

Chirurgie, Psychosomatik und Stoffwechselambulanz<br />

erteilten Informationen<br />

wusste, dass sich die Verdauung<br />

durch den Eingriff grundsätzlich ändern<br />

würde. Die Klägerin war insofern<br />

auch grundsätzlich dazu bereit, damit<br />

verbundene Nachteile wie Blähungen,<br />

Durchfall, Verstopfung und Erbrechen<br />

hinzunehmen.<br />

Neben der<br />

Dringlichkeit der<br />

ärztlichen Behandlung<br />

ist auch die Schwere des<br />

geplanten Eingriffs<br />

relevant.<br />

Es wurde aber festgestellt, dass die Klägerin<br />

die umfassende gehörige Aufklärung<br />

erst am späten Nachmittag des<br />

Vortages der Operation erhielt, als eine<br />

Ärztin mit ihr den Aufklärungsbogen,<br />

der alle wesentlichen Informationen<br />

über mögliche Komplikationen und<br />

Folgebeschwerden beinhaltete, Schritt<br />

<strong>für</strong> Schritt durchging.<br />

Das Berufungsgericht korrigierte die<br />

Rechtsauffassung des Erstgerichts, der<br />

Klägerin sei zu diesem Zeitpunkt das<br />

Verschieben oder gar Absagen der Operation<br />

nicht mehr zumutbar gewesen<br />

und die Aufklärung daher nicht rechtzeitig<br />

erfolgt, nicht. Dem Obersten Gerichtshof<br />

zufolge ist die Beurteilung des<br />

Berufungsgerichts nicht korrekturbedürftig,<br />

weshalb die außerordentliche<br />

Revision der unterlegenen Krankenanstalt<br />

zurückgewiesen wurde.<br />

Schlussfolgerungen<br />

In Ausnahmefällen kann es sehr wohl<br />

zulässig sein, den Patientinnen und Patienten<br />

erst kurz vor dem Eingriff aufzuklären.<br />

In der Entscheidung im Fall einer radikalen<br />

Prostatektomie billigte der Oberste<br />

Gerichtshof die Beurteilung der damaligen<br />

Vorinstanzen, die eine am Vortag<br />

der Operation erfolgte ärztliche Auf-<br />

„Die ärztliche<br />

Aufklärung<br />

hat<br />

grundsätzlich<br />

so<br />

rechtzeitig<br />

zu erfolgen,<br />

dass Patientinnen<br />

und<br />

Patienten<br />

eine angemessene<br />

Überlegungsfrist<br />

bleibt.“<br />

klärung als rechtzeitig erfolgt ansahen<br />

(1 Ob 107/20x). In diesem Fall war jedoch<br />

entscheidend, dass dem Patienten, sollte<br />

er sich gegen die Operation am nächsten<br />

Tag entscheiden, um sich die Sache noch<br />

einmal in Ruhe zu überlegen, bereits ein<br />

Ersatztermin rund einen Monat später<br />

angeboten worden war.<br />

Gegenständlicher Fall konnte wegen der<br />

Schwere der hier erfolgten Operation<br />

respektive der mit ihr einhergehenden<br />

oder zumindest drohenden Folgen auch<br />

nicht mit einer „herkömmlichen“ Hüftgelenksoperation<br />

verglichen werden,<br />

bei welcher eine ärztliche Aufklärung<br />

im Einzelfall erst am Vortrag ausreichen<br />

mag (unter anderem 7 Ob 64/11d).<br />

Im vorliegenden Fall fand der Oberste<br />

Gerichtshof auch keine Vergleichbarkeit<br />

zu jener Entscheidung, in welcher<br />

der Oberste Gerichtshof die Beurteilung<br />

der damaligen Vorinstanzen, wonach<br />

aufgrund der Dringlichkeit einer<br />

operativen Sanierung eines unfallbedingten<br />

Bänderrisses die zehnstündige<br />

Überlegungsfrist ausgereicht hat,<br />

als nicht korrekturbedürftig erkannte<br />

(7 Ob 46/00s).<br />

Im Vergleich zu dieser Entscheidung<br />

war die Magenbypass-Operation der<br />

Klägerin aber gerade nicht dringend.<br />

Abschließend wird festgehalten, dass<br />

die ärztliche Aufklärung grundsätzlich<br />

so rechtzeitig zu erfolgen hat, dass Patientinnen<br />

und Patienten eine angemessene<br />

Überlegungsfrist bleibt; deren<br />

Dauer hängt von den Umständen des<br />

Einzelfalls ab. Neben der Dringlichkeit<br />

der ärztlichen Behandlung ist auch die<br />

Schwere des geplanten Eingriffs <strong>für</strong> die<br />

Bestimmung des optimalen Zeitpunktes<br />

der Aufklärung entscheidend. <br />

Sollten Sie Fragen haben, so steht Ihnen<br />

das Team Allgemeine Rechtsangelegenheiten<br />

<strong>für</strong> Auskünfte gerne zur Verfügung<br />

(recht@aekwien.at).<br />

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