PERSONALITY Filimon Abraham Traumfänger Das ist mal ein Lebenslauf: Filimon Abraham verließ seine Heimat, kam mit Schleusern durch die Sahara und über das Mittelmeer – um sich seinen Kindheitstraum zu erfüllen und professioneller Läufer zu werden. von Axel Rabenstein 044
RUN ZIEL OLYMPIA 2028. Der 31-jährige On-Athlet ist seit einem Jahr Profi. Die Qualifikation für den Marathon in Paris <strong>2024</strong> verpasste er knapp – ein Olympia start bleibt sein erklärtes Ziel. FOTO: On Running F ilimon, erzähl uns von dir – wo hat deine Geschichte begonnen? Ich bin Filimon Abraham und komme aus Eritrea. Dort bin ich mit sechs Geschwistern auf dem Hof meiner Eltern aufgewachsen. Im Hochland von Abessinien, auf 2000 Meter über dem Meer. Wie kamst du zum Sport? In Eritrea ist Radsport populär. Das Land war italienische Kolonie, die Italiener haben Radrennen veranstaltet. Mit der Tour of Eritrea fand sogar ein offizielles Rennen der UCI statt. Ich bin selbst Rad gefahren, aber ein Rennrad konnte sich unsere Familie nicht leisten. Schon als Kind war ich von der Idee fasziniert, Profisportler zu sein, so wie der äthiopische Läufer Haile Gebrselassie. Mit Fußball kommst du in Eritrea nicht weit. Radfahren war zu teuer. Also hat mir mein Vater ein Paar Laufschuhe gekauft. Die mussten dann ein paar Tausend Kilometer halten? So ungefähr. Mit diesem einen Paar habe ich Intervalle, Dauerlauf, Long Run – mein ganzes Training – absolviert. Die Schuhe waren ganz schön mitgenommen. Aber das war okay für mich, ich freute mich, laufen zu können, war motiviert, immer besser zu werden. Bald konnte ich 80 bis 90 Kilometer in der Woche laufen. Leider gibt es in Eritrea kaum Wettkämpfe für Kinder oder Jugendliche. Reifte in dieser Zeit der Wunsch, deine Heimat zu verlassen? Ich wollte Profisportler werden und mir war klar, dass mein Traum in Eritrea nicht in Erfüllung gehen würde. Auch deshalb traf ich die Entscheidung, mir ein Leben in einem anderen Land aufzubauen. Wusstest du, auf was du dich einlässt? Mit einem Paar habe ich Intervalle, Dauerlauf, Long Run – mein ganzes Training – absolviert. Die Schuhe waren ganz schön mitgenommen. Natürlich haben wir Berichte und Erfahrungen von anderen Flüchtenden mitbekommen. Das waren traumatische Erlebnisse. Das macht dir Angst. Aber die Sehnsucht nach einem besseren, sorgenfreieren Leben ist stark. Also zog ich eines Tages los. Das war 2014. Wie lief das ab? Zu dieser Zeit flüchteten viele junge Menschen aus Eritrea. Es ist kein Geheimnis, wie das abläuft. Trotzdem musst du vorsichtig sein, eine Flucht ist illegal. Die Regierung will vermeiden, dass junge Menschen dem Land den Rücken kehren. Wer an der Grenze erwischt wird, geht drei oder vier Jahre ins Gefängnis. Das ist in Eritrea keine schöne Perspektive. Deshalb startet die Reise zu Fuß bis über die Grenze. Im Sudan trifft man dann auf die richtigen Leute, es geht nach Khartum und in die Sahara. Auf einem Pick-up? Ja, mit bis zu 30 Personen. Wer zahlt, kann aufsteigen. Den Fahrern ist egal, ob unterwegs jemand verdurstet oder von der Ladefläche fällt und in der Wüste zurückbleibt. Das Wasser ging aus, du hast nicht gewusst, ob du den nächsten Tag oder Abend noch erleben wirst. Ich habe viele Menschen sterben sehen. Wenn ich an die Tage in der Sahara denke, spüre ich noch heute die Angst in mir. In Europa spricht man über die Ertrunkenen im Mittel- 045