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Seltene Erkankungen

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„Ich bin wie alle!“<br />

Felix* bekam mit sechs eine neue Leber, denn er leidet am seltenen Alagille-Syndrom,<br />

das Probleme an Leber, Herz, Nieren und Knochen macht. Was die Erbkrankheit für<br />

ihn und seine Familie bedeutet, berichten Felix und seine Mutter hier.<br />

Text Doreen Brumme<br />

Frau Steinbach*, Felix leidet am Alagille-<br />

Syndrom. Wann fiel Ihnen auf, dass er Beschwerden<br />

hat – und wie sahen diese aus?<br />

Felix hat vier ältere Geschwister, ich hatte also bereits<br />

Erfahrung mit Neugeborenen. Mir fiel sofort auf, dass<br />

er sich mit dem Stillen schwertat. Mit der Hebamme<br />

zusammen versuchte ich alles, um ihn zum Trinken zu<br />

bewegen – vergebens. Zudem war Felix ungewöhnlich<br />

lange nach der Geburt noch sehr gelb – als Krankenschwester<br />

wusste ich, dass das mit der Leber zusammenhing.<br />

Bei der ersten Untersuchung bei unserer Kinderärztin<br />

wurde deshalb gleich ein Bluttest gemacht<br />

und der ergab dann die Diagnose.<br />

Wie wurde Felix behandelt?<br />

Felix‘ Leber wurde fortan engmaschig kontrolliert.<br />

Da bei der Erbkrankheit oft auch Herz, Nieren und<br />

Knochen in Mitleidenschaft geraten, machte man eine<br />

Herzkatheter-Untersuchung und stellte Gefäßveränderungen<br />

fest. Die Leberwerte von Felix waren jahrelang<br />

auf einem schlechten Niveau, das gerade noch geduldet<br />

werden konnte. Mit vier Jahren hatte Felix bereits etliche<br />

Knochenbrüche hinter sich. Das hieß: Arztbesuche<br />

bestimmten seine Kindheit. Immer wieder stand eine<br />

neue Leber im Raum. Mit sechs Jahren brauchte Felix<br />

eine neue Leber. Kurz nach Neujahr kam der Anruf...<br />

Wir hatten nicht mal eine Kliniktasche gepackt. Den<br />

Moment, als Felix in den OP geschoben wurde, werde<br />

ich nie vergessen. Ich hatte selbst an Transplantationen<br />

mitgewirkt. Ich wusste, was ihm, was uns bevorstand.<br />

Ich kannte die Risiken. Ich höre noch heute, wie der<br />

operierende Arzt mir versicherte, es sei eine gute Leber,<br />

die er für Felix hätte. Das half, die 14 Stunden Warten<br />

auszuhalten.<br />

Felix, du bist inzwischen 14 Jahre alt. Wirkt sich<br />

deine Erkrankung auf deinen Alltag aus – und fühlst<br />

du dich anders als gesunde Gleichaltrige?<br />

Ich bin ganz normal und werde so auch wahrgenommen.<br />

Als ich neulich beim Schulausflug meinen Behindertenausweis<br />

zeigte, um den günstigeren Eintritt<br />

zu bekommen, fragten viele, warum ich den habe. Ab<br />

und zu sprechen mich manche auch auf meine grau<br />

verfärbten Zähne an. Dann sage ich, dass das von den<br />

Medikamenten kommt. Ansonsten bin ich wie alle. Ich<br />

kann machen, was meine Freunde auch tun: Ich fühle<br />

mich nicht im Abseits. Ich bin sehr sportlich, mache seit<br />

Jahren Akrobatik im Zirkus. Ich weiß ziemlich<br />

gut, was ich mir zumuten kann und was nicht.<br />

Die vermeintlich „normalen“ Dinge wie Rauchen,<br />

Saufen und Kiffen lasse ich gerne aus.<br />

Was bedeutet Felix‘ Diagnose für die Familie?<br />

Frau Steinbach: Felix war von Anfang an unser<br />

Päppelkind. Jahrelang ging es bei ihm vor allem darum,<br />

dass er genug isst, zunimmt und wächst. Das hat<br />

den Takt der Familie bestimmt. Er war lange zu klein...<br />

Felix: Jetzt bin ich einer der Großen!<br />

Frau Steinbach: Felix hatte in der Grundschule eine<br />

Begleitung an der Seite, die seinen Ranzen trug, ihm<br />

schwere Türen öffnete. Doch je weiter die OP zurück lag,<br />

desto normaler wurde sein Leben und unser Familienleben.<br />

Die Geschwister hatten ja auch ihre Themen<br />

mit Schule, Abschluss ...<br />

Felix: Wir sind alle frühreif.<br />

Frau Steinbach: Das stimmt. Alle sind an der Situation<br />

gewachsen. Mitunter sorge ich mich, dass die Krankheit<br />

Felix und seinen Geschwistern die Leichtigkeit aus dem<br />

Leben nimmt. Doch dann sage ich mir: Was ist, ist kein<br />

Zufall. So, wie’s ist, ist’s gut. Unser, also vor allem mein<br />

nächstes Thema wird sein, Felix in sein eigenes Leben<br />

zu entlassen.<br />

Vielleicht wäre es<br />

irgendwann mal ganz schön,<br />

jemanden zu sprechen, der<br />

Ähnliches erlebt hat.<br />

Wo bekommen Sie Unterstützung?<br />

Frau Steinbach: Ich bin mit meinen fünf Kindern allein.<br />

Doch ich habe eine große Familie, Freunde und Nachbarn,<br />

auf die immer Verlass ist. Wir sind in unserer<br />

freikirchlichen Gemeinde sehr gut eingebunden und<br />

finden dort immer Hilfe. Mir ist klar, dass das nicht<br />

selbstverständlich ist. Ich bin dankbar für die Gewissheit,<br />

mit allem in Gottes Hand zu sein und bin mir<br />

bewusst, dass das ein Geschenk ist.<br />

*Namen von der Redaktion geändert<br />

FOTO:<br />

SHUTTERSTOCK_465884015<br />

Andere, insbesondere Alleinerziehende, haben solch ein<br />

Hilfenetz wie ich vielleicht nicht. Allein kommt man beim<br />

Betreuen eines chronisch kranken Kindes rasch an seine<br />

Grenzen. Es kostet Kraft, zu erkennen, dass man Hilfe<br />

braucht. Und es kostet noch mehr Kraft, Hilfe zu holen.<br />

Da können Selbsthilfegruppen eine Unterstützung sein.<br />

Felix: Vielleicht wäre es irgendwann mal ganz schön,<br />

jemanden zu sprechen, der Ähnliches erlebt hat. Aber momentan<br />

geht’s mir gut. Ich habe Freunde, die alles von mir<br />

wissen. Mit denen kann ich reden, wenn mir danach ist.<br />

Der Verein Leberkrankes Kind e. V.<br />

Seit 1987 gibt es den Verein Leberkrankes Kind e. V.<br />

Gegründet wurde der Verein von Eltern leberkranker<br />

Kinder, die das Bedürfnis hatten, sich mit anderen<br />

betroffenen Familien auszutauschen. Heute hat<br />

unser Verein rund 300 Mitglieder. Wir informieren<br />

über Krankheitsbilder und über Unterstützungsmöglichkeiten<br />

für Familien schwer kranker Kinder.<br />

Der Verein fördert verschiedene Projekte an Kliniken,<br />

unterstützt Ferienfreizeiten oder ermöglich transplantierten<br />

Kindern die Teilnahme an den<br />

World Transplant Games.<br />

Wir als Verein möchten informieren, Mut machen und<br />

unsere Erfahrungen teilen. Jede und jeder ist herzlich<br />

als Mitglied in unserem Verein willkommen.<br />

Je mehr wir sind, desto mehr können wir bewirken –<br />

gemeinsam für unsere Kinder!<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.leberkrankes-kind.de<br />

„Eine frühe Diagnose des Alagille-Syndroms ist entscheidend“<br />

Das Alagille-Syndrom ist eine seltene angeborene System-Erkrankung, die hauptsächlich die Leber und oft das Herz betrifft. Wir sprachen mit PD Dr. Eberhard Lurz,<br />

Facharzt Kinder- und Jugendmedizin, Zusatz-Weiterbildung Kinder-Gastroenterologie, am LMU Zentrum für Entwicklung und komplex chronisch kranke<br />

Kinder im Dr. von Haunerschen Kinderspital, 2. Vorsitzender der GPGE e. V., über die Symptome und die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten.<br />

Text Katharina Lassmann<br />

Herr Dr. Lurz, was passiert beim Alagille-Syndrom<br />

im Körper Betroffener und wie äußert sich die Erkrankung?<br />

Das Alagille-Syndrom manifestiert sich meist unmittelbar<br />

nach der Geburt oder in der Säuglingsphase und ist<br />

durch eine deutliche Lebererkrankung mit Gelbsucht<br />

und Juckreiz gekennzeichnet, oft betrifft sie aber auch<br />

Herz oder Nieren. Verantwortlich hierfür ist ein Defekt<br />

in einem der beiden Strukturgene JAG1 bzw. NOTCH2,<br />

der zu einer fehlerhaften Entwicklung spezifischer<br />

Zellen führt.<br />

Dadurch kommt es zu einer unzureichenden Entwicklung<br />

der Gallengänge in der Leber und Symptome wie<br />

Gelbsucht, Juckreiz und Leberprobleme können entstehen.<br />

Die Galle kann nicht regelrecht aus der Leber<br />

ausgeschieden werden, sodass es langsam zu einer Vernarbung<br />

der Leber kommt. Gemäß einer aktuellen internationalen<br />

(GALA) Registerstudie überleben weniger<br />

als 50% der Kinder mit ihrer eigenen Leber und eine Lebertransplantation<br />

wird im Verlauf notwendig. Manche<br />

Patienten haben einen sehr milden Krankheitsverlauf<br />

ohne relevante Symptome und die Diagnose wird erst zu<br />

einem späteren Zeitpunkt gestellt, z. B. wegen auffälligen<br />

Gesichtsmerkmalen wie einem spitzen Kinn mit breiter<br />

Stirn, kleinen Fettknötchen (Xanthomen) an den Augen<br />

oder der Haut, oder eigenem Nachwuchs mit Alagille-<br />

Syndrom. Eine endgültige Diagnose erfolgt in der Regel<br />

mittels genetischer Tests.<br />

Was sind die größten Herausforderungen für Patienten<br />

und ihre Angehörigen?<br />

Neugeborene zeigen oft in den ersten beiden Wochen<br />

eine gelbliche Verfärbung der Haut oder Skleren, welche<br />

man gut beobachten und spätestens nach dem 14.<br />

Lebenstag mit einer Blutuntersuchung und Bilirubin-<br />

Bestimmung abklären lassen sollte. Manche Neugeborenen<br />

haben auch sehr hellen, kalkfarbenen oder entfärbten<br />

Stuhlgang, bei dem man die Blutuntersuchung<br />

sofort durchführen sollte. Durch diese konsequente<br />

Untersuchung kann die Diagnose eines Alagille-Syndroms<br />

oder anderer Gelbsuchterkrankungen der Leber<br />

möglichst früh gestellt werden. Eine späte Diagnose<br />

birgt größere Belastungen für das Kind und die Familie,<br />

wie starken Juckreiz und Schlafprobleme. Hemmung<br />

des Wachstums und eine Entwicklungsstagnation können<br />

auftreten. Durch einen möglichen Mangel der fettlöslichen<br />

Vitamine besteht auch das Risiko für z. B. eine<br />

Vitamin K Mangel-bedingte Hirnblutung.<br />

FOTO: LMU<br />

KLINIKUM MÜNCHEN<br />

Welche Behandlungsoptionen<br />

gibt es derzeit?<br />

Die Therapie beginnt mit der<br />

Verabreichung von fettlöslichen<br />

Vitaminen, um einen Mangel an den Vitaminen A, D, E<br />

und K zu verhindern. Zusätzlich versucht man durch die<br />

Gabe einer künstlich hergestellten Gallensäure, die Löslichkeit<br />

der Gallenflüssigkeit und damit Abfluss dieser aus<br />

der Leber zu optimieren. Die körperliche Entwicklung des<br />

Kindes wird engmaschig kontrolliert und die Ernährung<br />

ggf. angepasst und auf eine ausreichende Kalorienzufuhr<br />

geachtet. Teilweise kratzen sich Kinder mit Alagille-Syndrom<br />

täglich blutig und können nachts nicht schlafen.<br />

Ein neues Medikament ist seit letztem Jahr verfügbar<br />

und für die Behandlung dieses Juckreizes zugelassen.<br />

Dieses Medikament blockiert die Aufnahme der Gallensäuren<br />

im Dünndarm, sodass diese im Blut gesenkt<br />

werden und sich der Juckreiz mindert. Eventuell wird sogar<br />

die Leber entlastet und das Überleben mit der eigenen<br />

Leber verbessert. Eine frühe Diagnose und damit früher<br />

Beginn aller verfügbaren Therapieoptionen ist somit sehr<br />

wichtig für betroffene Kinder, um schwere Komplikationen<br />

zu vermeiden und ihnen eine altersentsprechende Entwicklung<br />

mit maximaler Lebensqualität zu ermöglichen.

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