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Kristin Merle | Manuel Stetter | Katharina Krause (Hrsg.): Prekäres Wissen (Leseprobe)

Welche kritischen Analysen christlich-religiöser Symbole und kirchlicher Praxis sind nötig, um kulturelle Stereotype und hegemoniale Vorstellungen freizulegen? Inwiefern lassen sich postkoloniale und dekolonialisierende, aber auch rekolonialisierende Praktiken im Kontext des Religiösen und der Kirchen identifizieren? Mit diesen Fragen befassen sich die in diesem Band vorliegenden Beiträge. Versammelt sind theoretische Überlegungen wie empirische und historische Fallstudien im Zusammenhang von Problemstellungen und Konzepten postkolonialer Theorien. Es zeigt sich: Wissen ist prekär. In den vielschichtigen Zusammenhängen seines Erwerbs wie seiner Organisation geht es immer um Praktiken der Legitimierung, Sanktionierung und Priorisierung und damit um die Gestaltung von Machtverhältnissen.

Welche kritischen Analysen christlich-religiöser Symbole und kirchlicher Praxis sind nötig, um kulturelle Stereotype und hegemoniale Vorstellungen freizulegen? Inwiefern lassen sich postkoloniale und dekolonialisierende, aber auch rekolonialisierende Praktiken im Kontext des Religiösen und der Kirchen identifizieren?
Mit diesen Fragen befassen sich die in diesem Band vorliegenden Beiträge. Versammelt sind theoretische Überlegungen wie empirische und historische Fallstudien im Zusammenhang von Problemstellungen und Konzepten postkolonialer Theorien. Es zeigt sich: Wissen ist prekär. In den vielschichtigen Zusammenhängen seines Erwerbs wie seiner Organisation geht es immer um Praktiken der Legitimierung, Sanktionierung und Priorisierung und damit um die Gestaltung von Machtverhältnissen.

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Die Bibel im Horizont einer postkolonialen Differenzhermeneutik 81<br />

bzw. ideologische Wege müssen dann degradiert und verworfen bzw. kolonisiert<br />

werden.<br />

Die postkoloniale Analyse der Texte ist hier eindeutig. Diese Affinität des<br />

Evangeliums mit kolonisierendem Imperialismus ist es dann auch, die jahrhundertelang<br />

entsprechend exklusivistisch und nach Außen gewalttätig realisiert<br />

wurde.<br />

»Es ist nicht schwierig zu sehen, wie eine Kirche, die sich selber durch die johanneische<br />

Theologie versteht – welche daran festhält, dass Jesus der Retter der Welt<br />

ist, der einzige WegzuGott, das einzige Licht, der einzige, der Gott offenbaren kann,<br />

während der Rest sich in der Dunkelheit sich befindet – immer anfällig ist für moderne<br />

imperiale Agenten.« 4<br />

So gilt: »Die Charakterisierung von Jesus als ›von oben‹ und ›über alle‹ begründet<br />

eine eigene Ideologie von Kolonisierung von anderen Kulturen und Räumen.«<br />

5 Kurz: Postkoloniale Bibellektüre geht an das Mark christlicher Ursprungsschriften.<br />

Es gibt aber immer wieder eine manchmal zurückhaltende, manchmal<br />

kräftige Dynamik vom Identitären zum weniger Exkludierenden. Dies kostet so<br />

manche Umstellung im Kopf und imHerzen. Man kann einen solchen Prozess<br />

eindrucksvoll verfolgen in der Art undWeise, wie sich Paulus in Röm 9–12 dazu<br />

durchringt, dass auch die nicht an Christus glaubenden Juden und Jüdinnen<br />

eschatologisch gerettet werden. 6 Nicht umsonst bezeichnet Jacob Taubes das<br />

Wort »alles« als ein Grundwort des Paulus 7 undTaubes verweist auch darauf, dass<br />

Paulus bereit ist, sich diesen Universalismus etwas kosten zu lassen, paradoxerweise<br />

in der Selbsthingabe des eigenen Ausgeschlossenseins, damit andere,<br />

hier das jüdische Volk, weiterhin Volk Gottes bleiben (Röm 9,3). 8 Damit durchbricht<br />

er das Schema des markinischen Jesus, dass nur derjenige Mensch, der<br />

sich taufen lässt und glaubt, gerettet wird (Mk 16,16).<br />

Wie auch Alain Badiou in der Einleitung zu seinem Paulusbuch andeutet,<br />

geht es dabei um den Materialismus der Gnade, wie er in der Liebe als einer<br />

universalen Macht Wirklichkeit wird. 9 Bis hin zu jener Liebe, die sich mit der<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

Musa W. Dube, »What is the Truth« (John 18,38). APostcolonial Trickster Reading of<br />

Jesus’ Arrest and Trial, in: Theologische Quartalsschrift 202 (2022), 254–273, 272.<br />

Dube, Truth (s. Anm. 4), 273.<br />

Vgl. Alain Badiou, Paulus. Die Begründung des Universalismus, München 2002.<br />

Vgl. Jacob Taubes, Die politische Theologie des Paulus, München 1993, 40.<br />

Ähnliche Hingabe-Angebote um der Universalität des Heiles willen finden sich bei<br />

manchen Heiligen, zum Beispiel im Buch des Lebens der heiligen Theresia von Avila. Vgl.<br />

dazu Ottmar Fuchs, Das Jüngste Gericht. Hoffnung auf Gerechtigkeit, 2 2009, 154 ff.<br />

Vgl. Badiou, Paulus (s. Anm. 6), 161–172.

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