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Kristin Merle | Manuel Stetter | Katharina Krause (Hrsg.): Prekäres Wissen (Leseprobe)

Welche kritischen Analysen christlich-religiöser Symbole und kirchlicher Praxis sind nötig, um kulturelle Stereotype und hegemoniale Vorstellungen freizulegen? Inwiefern lassen sich postkoloniale und dekolonialisierende, aber auch rekolonialisierende Praktiken im Kontext des Religiösen und der Kirchen identifizieren? Mit diesen Fragen befassen sich die in diesem Band vorliegenden Beiträge. Versammelt sind theoretische Überlegungen wie empirische und historische Fallstudien im Zusammenhang von Problemstellungen und Konzepten postkolonialer Theorien. Es zeigt sich: Wissen ist prekär. In den vielschichtigen Zusammenhängen seines Erwerbs wie seiner Organisation geht es immer um Praktiken der Legitimierung, Sanktionierung und Priorisierung und damit um die Gestaltung von Machtverhältnissen.

Welche kritischen Analysen christlich-religiöser Symbole und kirchlicher Praxis sind nötig, um kulturelle Stereotype und hegemoniale Vorstellungen freizulegen? Inwiefern lassen sich postkoloniale und dekolonialisierende, aber auch rekolonialisierende Praktiken im Kontext des Religiösen und der Kirchen identifizieren?
Mit diesen Fragen befassen sich die in diesem Band vorliegenden Beiträge. Versammelt sind theoretische Überlegungen wie empirische und historische Fallstudien im Zusammenhang von Problemstellungen und Konzepten postkolonialer Theorien. Es zeigt sich: Wissen ist prekär. In den vielschichtigen Zusammenhängen seines Erwerbs wie seiner Organisation geht es immer um Praktiken der Legitimierung, Sanktionierung und Priorisierung und damit um die Gestaltung von Machtverhältnissen.

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92 Felix Roleder und Mahmoud Abdallah<br />

1›Borrowed clothes will never keep you warm!‹ 3 –<br />

Dezentrierte Subjekte und Seelsorge<br />

In der evangelischen Seelsorgelehre begründete Friedrich Schleiermacher die<br />

folgenreiche »Wende zum Subjekt« 4 .Nach Schleiermacher dient die Seelsorge<br />

dazu, die Störung im Selbstverstehen und Mitweltverhalten der Ratsuchenden<br />

zu überwinden. Alles seelsorgerliche Handeln zielt auf die gesteigerte Subjektwerdung,<br />

auf die Freiheit und Entwicklung der Persönlichkeit. Gelungene<br />

Seelsorge ist Hilfe zur Selbsthilfe undmacht sich im Ergebnis überflüssig. Diese<br />

Wende, die Ratsuchenden als Subjekte der Seelsorge zu begreifen, wurde – wenn<br />

auch unter verschiedenen Vorzeichen – in der kerygmatischen Seelsorge bei<br />

Thurneysen und in der therapeutischen Seelsorge fortgeführt. Die gesteigerte<br />

Subjektivität der Ratsuchenden lässt sich nur durch die Selbsttätigkeit der<br />

Ratsuchenden erreichen. Henning Luther stellte den Subjektstatus der Ratsuchenden<br />

abermals heraus. 5<br />

Die Wende zum Subjekt richtet sich gegen die autoritäre Bevormundung<br />

ebenso wie gegen die Unterbestimmung der Handlungsmöglichkeiten und der<br />

Aktivität der Subjekte. In diesem Anliegen bestehen eminente Überschneidungen<br />

mit einem postkolonialen Ansatz, der sich jeder Form von Paternalismus<br />

widersetzt und vielmehr die Agency 6 der Subjekte in den Mittelpunkt des pastoralen<br />

Handelns rückt. Sein Ziel findet er ebenfalls in der gesteigerten, authentischen<br />

Subjektivität: »Pastoral caregivers and counselors seek to promote<br />

the authentic selfhood of clients and parishioners.« 7 Die Islamische Seelsorge<br />

steht entsprechend vor der Aufgabe, Konzepte zur Wahrnehmung und Bearbeitung<br />

von Differenz zu entwickeln. Sie ist dabei dem Ziel verpflichtet, dass das<br />

Fremde als vertrautes und bereicherndes Anderes anders bleiben darf. Unserer<br />

Auffassung nach sollte diese Zielrichtung in der Islamischen Seelsorge und in<br />

ihrer Konzeption zukünftig verstärkte Aufmerksamkeit finden.<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

Vgl. Emmanuel Lartey, Borrowed clothes will never keep you warm. Postcolonializing<br />

Pastoral Leadership, in: Kwok Pui-Lan/Stephen Burns (<strong>Hrsg</strong>.), Postcolonial Practice of<br />

Ministry. Leadership, Liturgy, and Interfaith Engagement, Lanham et al. 2016, 21–32.<br />

Wilhelm Gräb, Ratsuchende als Subjekte der Seelsorge, in: Wilfried Engemann (<strong>Hrsg</strong>.),<br />

Handbuch der Seelsorge. Grundlagen und Profile, Leipzig 3 2016, 206–221, 207.<br />

Vgl. Henning Luther, Religion und Alltag. Bausteine zu einer Praktischen Theologie des<br />

Subjekts, Stuttgart 2002.<br />

Vgl. Emmanuel Lartey, Postcolonializing God. An African Practical Theology, London<br />

2013, 9.<br />

Emmanuel Lartey, Postcolonial Studies in Practical Theology, in: Birgit Weyel et al.<br />

(<strong>Hrsg</strong>.), International Handbook of Practical Theology, Berlin/Boston 2022, 661–676,<br />

669.

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