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Kristin Merle | Manuel Stetter | Katharina Krause (Hrsg.): Prekäres Wissen (Leseprobe)

Welche kritischen Analysen christlich-religiöser Symbole und kirchlicher Praxis sind nötig, um kulturelle Stereotype und hegemoniale Vorstellungen freizulegen? Inwiefern lassen sich postkoloniale und dekolonialisierende, aber auch rekolonialisierende Praktiken im Kontext des Religiösen und der Kirchen identifizieren? Mit diesen Fragen befassen sich die in diesem Band vorliegenden Beiträge. Versammelt sind theoretische Überlegungen wie empirische und historische Fallstudien im Zusammenhang von Problemstellungen und Konzepten postkolonialer Theorien. Es zeigt sich: Wissen ist prekär. In den vielschichtigen Zusammenhängen seines Erwerbs wie seiner Organisation geht es immer um Praktiken der Legitimierung, Sanktionierung und Priorisierung und damit um die Gestaltung von Machtverhältnissen.

Welche kritischen Analysen christlich-religiöser Symbole und kirchlicher Praxis sind nötig, um kulturelle Stereotype und hegemoniale Vorstellungen freizulegen? Inwiefern lassen sich postkoloniale und dekolonialisierende, aber auch rekolonialisierende Praktiken im Kontext des Religiösen und der Kirchen identifizieren?
Mit diesen Fragen befassen sich die in diesem Band vorliegenden Beiträge. Versammelt sind theoretische Überlegungen wie empirische und historische Fallstudien im Zusammenhang von Problemstellungen und Konzepten postkolonialer Theorien. Es zeigt sich: Wissen ist prekär. In den vielschichtigen Zusammenhängen seines Erwerbs wie seiner Organisation geht es immer um Praktiken der Legitimierung, Sanktionierung und Priorisierung und damit um die Gestaltung von Machtverhältnissen.

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94 Felix Roleder und Mahmoud Abdallah<br />

Postkoloniale Ansätze kritisieren an dieser Konzeption außerdem ihre kognitivistische<br />

und literalistische Engführung (»document«) und betonten demgegenüber<br />

die Leiblichkeit der Subjektivität. In diesem Sinn wäre von »breathing<br />

embodied selves within living human webs« 12 zu sprechen.<br />

Auch die islamische Anthropologie betont die Relationalität des Menschen.<br />

Franz Langmayr formuliert in seinem Vorwort zur Freundschaftskonzeption des<br />

persischen Theologen al-Ghaz l (gest. 1111): Unsere Beziehung zu dem Andern<br />

muss »gelebt und genossen werden, wenn sie zu schöpferischer Zusammenarbeit<br />

zum Wohle der Menschen führen und dem Einzelnen helfen soll, seinen ihm<br />

hinderlichen Egoismus zu vergessen« 13 .<br />

Das dezentrierte Subjekt ist der Gesellschaftsmacht nicht ausschließlich<br />

unterworfen, sondern es besitzt Handlungsspielräume der eigenen Identitätsentwicklung.<br />

Solche Handlungsspielräume eröffnen sich insbesondere dort, wo<br />

die Diskurse selbst heterogen und konfliktär verfasst sind – und damit verhandelbar<br />

werden. Die wissenschaftliche Diskursanalyse unterscheidet zwischen<br />

den vom Diskurs vorgegebenen Subjektpositionen (etwa ›die Fremde‹,<br />

›der Primitive‹)und den »tatsächlichenSubjektivierungsweisen« 14 der Subjekte –<br />

also dem,was die Adressierten als handlungsmächtige Akteur:innen aus diesen<br />

Adressierungen machen.<br />

Postkoloniale Theorien betonen ebenso die Agency bei der Identitätsverhandlung<br />

und haben dafür verschiedene Konzepte entwickelt: 15 die enabling<br />

violation bei Spivak, der dritte Raum und die Strategie des mimikry bei Bhabha,<br />

der Grenzraum und das Grenzdenken bei Mignolo.Die befähigende Verletzung 16<br />

verweist darauf, dass aus der Verletzung der Identität eigene Handlungsmöglichkeiten<br />

erwachsen können. Der dritte Raum 17 markiert einen Zwischenraum,<br />

in dem Identitäten jenseits von Binarität und Hierarchie verhandelt werden.<br />

Mimikry 18 meint das strategische Unterlaufen des kolonialen Diskurses durch<br />

eine ironisierende, scheinbare Angleichung der Kolonialisierten an den kolo-<br />

12<br />

13<br />

14<br />

15<br />

16<br />

17<br />

18<br />

Melinda McGarrah Sharp, Misunderstanding Stories. Toward aPostcolonial Pastoral<br />

Theology, Eugene 2013, 181.<br />

Franz Langmayr, Über die Freundschaft. Aus Muhammed al Ghazalis »Ihya ulum ul din«.<br />

Übersetzt, Wörgl 1983, 8–9.<br />

Keller, Der menschliche Faktor (s. Anm. 10), 102.<br />

Zu beachten ist, dass diese Konzepte im postkolonialen Diskurs zum Teil umstritten sind.<br />

Emanuel Lartey weist aus poimenischer Perspektive auf die Problematiken des Mimikry<br />

hin (vgl. Lartey, Postcolonial Studies [s. Anm. 7], 669).<br />

Vgl. Gayatri Spivak, Bonding in Difference. Interview with Alfred Arteaga, in: Donna<br />

Landry/Gayatri Spivak/Gerald MacLean (<strong>Hrsg</strong>.), The Spivak Reader. Selected Works of<br />

Gayati Chakravorty Spivak, New York 1996, 15–28, 19.<br />

Vgl. Homi Bhabha, Die Verortung der Kultur, Tübingen 2011.<br />

Bhabha, Kultur (s. Anm. 17), 127.

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