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M das Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft - Darmstadt No. 01 2024

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EDITORIAL<br />

Liebe Leserinnen,<br />

liebe Leser,<br />

Rechtspopulismus <strong>und</strong> Rechtsextremismus erleben<br />

einen Aufwind in Deutschland, Europa <strong>und</strong> weltweit.<br />

Überall machen Parteien <strong>und</strong> Bewegungen Stimmung<br />

gegen Demokratie, Freiheit <strong>und</strong> Vielfalt selbst<br />

gegen Menschen. Doch in den letzten Wochen kam<br />

es zu einer der größten Bürgerbewegungen, die es in<br />

der Geschichte der B<strong>und</strong>esrepublik gegeben hat. Geschätzt<br />

mehr als eine Millionen Menschen positionierten<br />

sich gegen Rechtsextremismus <strong>und</strong> AfD. Allein in<br />

<strong>Darmstadt</strong> demonstrierten etwa 17.000 Menschen auf<br />

dem Karolinenplatz – weit mehr als erwartet. Das sind<br />

starke Signale aus der Mitte der <strong>Gesellschaft</strong> gegen<br />

Ausgrenzungspolitik <strong>und</strong> doch schneidet die AfD in<br />

Umfragen weiterhin gut ab. Woran liegt <strong>das</strong>?<br />

Die <strong>No</strong>twendigkeit der Zuwanderung <strong>und</strong> <strong>das</strong> Unvermeidliche<br />

einer unkontrollierten Migrationswelle<br />

haben nicht nur die ethnologische Zusammensetzung<br />

der Bevölkerung, sondern auch die Lebenswirklichkeit<br />

in Schulen <strong>und</strong> Stadtteilen verändert. Viele erleben<br />

diese Veränderung als bereichernd, andere – vor allem<br />

jene, die unter Lohnkonkurrenz <strong>und</strong> kulturellem Anpassungsdruck<br />

leiden – als eine nicht enden wollende<br />

Abfolge von Zumutungen.<br />

Millionen Wähler erhoffen sich von den Parteien rechts<br />

der Mitte eine Wiederherstellung staatlicher Autorität.<br />

Sie wollen nicht den Führerstaat aber die zügige<br />

Abschiebung wollen sie schon. Hier ist <strong>das</strong> Versagen<br />

des Staates <strong>für</strong> viele keine Be<strong>für</strong>chtung, sondern eine<br />

Gewissheit. Dabei ist Flucht ein globales Problem, <strong>das</strong><br />

schlicht nicht national gelöst werden kann, nicht einmal<br />

mit einer Mauer um Deutschland.<br />

Die Ereignisse in der Ukraine, in Israel <strong>und</strong> anderenorts<br />

bilden die düstere Kulisse <strong>für</strong> <strong>das</strong> Verlangen nach<br />

Wiederherstellung der alten Ordnung. Es gibt eine<br />

tiefe Sehnsucht nach dem Ende der Zerfallsprozesse.<br />

Überall sieht man <strong>das</strong> Autoritäre <strong>und</strong> Böse wie Pilze<br />

aus dem Boden schießen, bis man selber nur noch<br />

den Totalitären <strong>und</strong> Wütenden zutraut, diese aus den<br />

Fugen geratenen Welt regieren zu können. Pazifisten<br />

wirken plötzlich wie Neandertaler einer untergegangenen<br />

Zeit.<br />

Zu dem Eindruck, <strong>das</strong>s eine Welt der Verrohung entsteht<br />

kommen die ständigen Meldungen über den<br />

überstrapazierten Sozialstaat die als Demütigung erlebte<br />

Lohnspreizung zwischen unten <strong>und</strong> oben. Der<br />

einst kollektive Glaube, <strong>das</strong>s es den Kindern oder einem<br />

selbst besser gehen werde, hat sich verflüchtigt<br />

<strong>und</strong> der naive Glaube zum Digitalen wird nicht erwidert<br />

<strong>und</strong> zehrt an den Nerven einer älter werdenden<br />

Erwerbsgesellschaft, die mit den Unzulänglichkeiten<br />

der Altersversorgung konfrontiert wird. So wächst<br />

<strong>das</strong> Misstrauen gegenüber einer politischen Klasse<br />

stetig.<br />

Viele Wähler wünschen sich Politiker, der in klaren<br />

Sätzen <strong>und</strong> nicht in trägen Worthülsen sprechen.<br />

Auch deshalb scheint <strong>das</strong> Zukunftsvertrauen zu kollabieren,<br />

<strong>das</strong> Gefühl, der Westen erlebe seinen historischen<br />

Abstieg <strong>und</strong> der Eindruck entsteht, in einer<br />

Welt der Verrohung zu leben. Durch die Wahl einer<br />

Law-and-Order-Partei hofft man, die alte Ordnung<br />

wiederherstellen zu können. Aber die rechtspopulistische<br />

Partei hat keine Lösungen parat, weder <strong>für</strong><br />

die Fragen der Gegenwart noch <strong>für</strong> die Zukunft. Nur<br />

konkrete langfristige Lösungen entziehen Populisten<br />

den Boden. Und eine Politik <strong>für</strong> gesellschaftlichen Zusammenhalt,<br />

die vorhandenen Verunsicherungen der<br />

Menschen entkräftet, unterbindet die Stimmungsmache<br />

der Hetzer. Rechtspopulistische Parteien sind<br />

eine politische Mogelpackung. Häufig argumentieren<br />

sie nur emotional, unterfüttert mit Übertreibungen<br />

<strong>und</strong> Unwahrheiten.<br />

Gefordert ist deshalb eine ernsthafte <strong>und</strong> sachbezogene<br />

Auseinandersetzung <strong>und</strong> <strong>das</strong> schnelle Erkennen<br />

<strong>und</strong> die rasche <strong>und</strong> angemessene Reaktion auf populistische<br />

Agitation. Das mag da zwar anstrengend <strong>und</strong><br />

schwer sein. Aber die Bürger erwarten zu Recht, <strong>das</strong>s<br />

die Parteien gerade bei sensiblen gesellschaftspolitischen<br />

Fragen gemeinsam klare Kante zeigen. Harte<br />

Auseinandersetzungen in der Sache gehören zu unserer<br />

Demokratie,<br />

meint Ihr<br />

Hans-W. Mayer<br />

<strong>01</strong><br />

<strong>2024</strong><br />

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