Lilienthaler - Das Magazin 2-2024
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Bücher<br />
Helga Schubert<br />
VOM AUFSTEHEN<br />
Ein Leben in Geschichten<br />
Im vergangenen Jahr erhielt<br />
die über 80jährige Autorin<br />
Helga Schubert den renommierten<br />
Ingeborg-Bachmann-Literaturpreises<br />
und<br />
steht seitdem im Blickfeld<br />
des Literaturbetriebes, der<br />
ihr und ihrem preisgekrönten<br />
Werk „Vom Aufstehen“<br />
mediale Aufmerksamkeit<br />
zollt.<br />
Der Untertitel des Buches<br />
lautet „Ein Leben in Geschichten“<br />
- es ist unverkennbar<br />
das Leben der Helga<br />
Schubert, welches sich hier vor den Augen der Lesenden in 29 kurzen<br />
autobiografischen Erzählungen, zum Teil in Miniaturform entfaltet,<br />
nichts romanhaft Zusammenhängendes, sondern einzelne erlebte Momente,<br />
Erfahrungen, Begebenheiten mit unauslöschlichen Bildern, die<br />
das Leben der Autorin prägten.<br />
Die 1940 in Berlin geborene Ich-Erzählerin Helga sagt von sich: „Ich<br />
bin ein Kriegskind, ein Flüchtlingskind, ein Kind der deutschen Teilung.“<br />
Diese drei Beschreibungen sind kennzeichnend in ihrem Erzählband<br />
„Vom Aufstehen“, dessen Titel auf die berühmte Stelle in Ingeborg<br />
Bachmanns Erzählung „<strong>Das</strong> dreißigste Jahr“ anspielt („Ich sage dir, steh<br />
auf, es ist dir kein Knochen gebrochen.“).<br />
Als Helga ein Jahr alt ist, fällt der Vater im Krieg. Dieser Verlust bedeutet<br />
eine traumatische Erfahrung für das Mädchen, das seinen Vater<br />
nie kennenlernte und mit einer Mutter überlebt, die durch Schicksal,<br />
Flucht und Entbehrung hart und liebesunfähig wird. Die Mutter schlägt<br />
die Tochter und ängstigt das kranke Kind, sitzend an seinem Bett und<br />
mit einer Pistole am Kopf, mit den Worten: „Wenn du jetzt stirbst, erschieße<br />
ich mich.“ Es brennt sich ins das kindliche Gehirn ein, was die<br />
herzlose Mutter ihr zumutet, als diese später zu ihr sagt: „Wenn du doch<br />
damals nach der Flucht gestorben wärst..“<br />
Beide Frauen, Mutter und Tochter, finden nie wieder zusammen. Erst als<br />
die Mutter 100jährig stirbt, beginnt Helga Schubert ihre literarische<br />
Auseinandersetzung. Doch „Vom Aufstehen“ ist keine Abrechnung mit<br />
der Mutter und mit dem Leben. Die Autorin ist auch studierte Psychologin<br />
und Therapeutin, die nicht verurteilt, sondern hinterfragt. „Wie<br />
wurde die Mutter., wie sie war? Und wie wiederum hat das mich geprägt?“<br />
Bei dieser Suche nach Antworten wird deutlich, dass für Helga<br />
Schubert der christliche Gedanke von Vergebung wichtig ist. Sie selbst<br />
sagt über ihr Schreiben: „Mit Selbstironie, aus verschiedenen Blickwinkeln,<br />
mit einem ersten Satz, der die Pointe unmerklich vorbereitet (…)<br />
Nichts Eindeutiges, Belehrendes, Aufklärerisches“.<br />
Auch über ihr Leben in der DDR reflektiert die Erzählerin klug und unprätentiös.<br />
Es fehlt die Inszenierung als Regimekritikerin, wenngleich<br />
sie beschreibt, wie eingesperrt und unfrei sie sich in dem Land fühlte.<br />
In dem Erzählband wird spürbar, wie befreiend der Untergang der DDR<br />
für sie war. „Der 3. Oktober ist für mich ein Feiertag, von Anfang an.<br />
Wir im Osten waren dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland<br />
beigetreten. Pragmatisch und nicht pathetisch.“<br />
Manche Leserin der Generation von Helga Schubert wird sich in einzelnen<br />
exemplarischen Lebenserfahrungen der Autorin wiederfinden. „Vom<br />
Aufstehen“ es ist ein berührendes Buch über Verletzung und Heilung<br />
und darüber, wie man zu der wird, die man ist.<br />
Cornelia von Enden<br />
Helga Schubert.<br />
Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten.<br />
Verlag: DTV (2021). Gebunden. 224 Seiten. Euro 22,00.<br />
ISBN 13: 978-3-423-28278-9<br />
Kartoniert. 240 Seiten. Euro 13.00<br />
ISBN-13: 978-3-423-25129-7<br />
64 <strong>Lilienthaler</strong> · 2 <strong>2024</strong>