ERF Medien Magazin Mai 2024

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THEMA
WEISHEIT IM ALTEN TESTAMENT
Nicht Erkenntnis, sondern Liebe
VON THOMAS BÄNZIGER
«Ja, schlafe noch ein wenig, schlummere ein wenig … so wird dich die Armut übereilen» – damals gab
es zwar noch keine Snooze-Taste, aber das Sprüchebuch weiss: Wer es zu etwas bringen möchte, muss
morgens aufstehen. Zu Unrecht wird die Weisheit im Alten Testament eher stiefmütterlich behandelt
(wir hören in unseren Kirchen relativ wenig über die Bücher Hiob, Sprüche, Prediger und Hohelied),
denn sie ist hoch spannend und aktuell, wie obiges Beispiel zeigt.
In diesen Büchern werden ganz alltägliche Fragen gestellt, Hiob – warum lässt Gott Leid zu?
die alle Menschen beschäftigen, wie: Woher kommt das Werfen wir dazu einen Blick in die genannten weisheitlichen
Leid? Wie pflegen wir einen gesunden Umgang mit Geld?
Bücher, die oft in poetischer Sprache verfasst sind.
Wie bewältigen wir die Kontingenz des Lebens, das, was Hiob erfährt viel Leid im Leben, obwohl er Gottes Gebote
uns im Leben so widerfährt? So finden wir im Sprüchebuch stets beachtete. Weshalb lässt Gott dieses Leid zu? Eine
Aussagen, die sich mit der «Lehre des Amenemope» in Frage, die uns heute noch beschäftigt und zu den grossen
Ägypten decken. Einerseits sind diese Themen kulturübergreifend
theologischen Fragen der Moderne gehört. Das Hiobbuch
wichtig.
besticht durch kunstvolle Sprache und
DAS BEDEUTET, DASS WAHRE
Andererseits unterscheidet sich die
Sensibilität, mit der das menschliche
WEISHEIT NICHT UNABHÄNGIG
Weisheit in der Bibel entscheidend
Leid untersucht wird.
VON GOTT, SONDERN NUR
von der Umwelt im Alten Orient. Der
Es gibt sumerische und babylonische
IN BEZIEHUNG MIT IHM
ägyptische Zentralbegriff für die Weisheit,
Werke, die wir mit Hiob vergleichen
GEFUNDEN WERDEN KANN.
«Maat», beschreibt beispiels-
können, denn die Frage nach dem
weise eine Art Urordnung der Welt, die den Bestand der Leid bewegte schon damals Menschen (der «babylonische
kosmischen und menschlich-sozialen Welt garantiert. Im Hiob» trägt auf Akkadisch den lustigen Titel «Ludlul bel
Alten Testament gibt es kein abstraktes Prinzip, das die nemeqi»). Auch in diesen Texten widerfährt Menschen
Welt zusammenhält und den Menschen Sicherheit gibt. Die grosses Leid, aber das Hiobbuch nimmt uns in seinen
Weisheit fragt immer zurück nach Gott, in dem sie letztlich Schlussfolgerungen weiter: Gott führt Hiob durch alle
begründet ist. So lautet das Motto: «Die Furcht des HERRN schwierigen Prozesse hindurch, damit er eine tiefere Sicht
ist der Anfang der Erkenntnis.» Die ganze Erkenntnistheorie
auf ihn erhält. Mit Hiobs Worten: «Ich hatte von dir nur
Israels besteht im Kern darin, «dass alle Erkennt-
vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge
nis des Menschen nach der Bindung an Gott zurückfragt» dich gesehen.» (Hiob 42,5)
(Gerhard von Rad). Das bedeutet, dass wahre Weisheit
nicht unabhängig von Gott, sondern nur in Beziehung mit
ihm gefunden werden kann.