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Weibliche Genitalverstümmelung in der Schweiz - Unicef

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Die weibliche <strong>Genitalverstümmelung</strong><br />

im schweizerischen Strafrecht<br />

das <strong>Schweiz</strong>er Bürgerrecht haben. E<strong>in</strong>e ähnliche Konstellation<br />

besteht <strong>in</strong> dem vorn erwähnten Fall, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Genf anhängig ist. 157<br />

Dann könnte <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Elternteil, welcher an <strong>der</strong> Verschneidung<br />

im Heimatland mitwirkt, bereits gestützt auf Art. 5 Abs. 1<br />

StGB <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> strafrechtlich verfolgt werden, sofern die<br />

Tat auch im Heimatland strafbar ist. 158<br />

Für den Normalfall, dass ke<strong>in</strong>e <strong>der</strong> beteiligten Personen die<br />

schweizerische Staatsbürgerschaft hat, müssen zunächst zwei<br />

beson<strong>der</strong>e Fragen zum Begehungsort geklärt werden. E<strong>in</strong>erseits<br />

gibt es sogenannte Distanzdelikte, bei denen das Verhalten<br />

des Täters und <strong>der</strong> E<strong>in</strong>tritt <strong>der</strong> Folge dieses Verhaltens, <strong>der</strong><br />

Erfolg, <strong>in</strong> verschiedenen Staaten liegen – Musterbeispiel ist <strong>der</strong><br />

Schuss über die Grenze, <strong>der</strong> jemanden im Ausland tötet. Auf<br />

den ersten Blick sche<strong>in</strong>t dies bei <strong>der</strong> WGV nicht <strong>in</strong> Frage zu<br />

kommen. Zwar ist Körperverletzung e<strong>in</strong> Erfolgsdelikt, <strong>der</strong> bereits<br />

als Beispiel erwähnte Schuss über die Grenze kann e<strong>in</strong>en<br />

solchen Erfolg im Ausland herbeiführen. Die WGV wird <strong>in</strong>dessen<br />

nicht auf Distanz vorgenommen, vielmehr tritt <strong>der</strong> Erfolg<br />

praktisch gleichzeitig mit <strong>der</strong> Täterhandlung e<strong>in</strong>.<br />

An<strong>der</strong>erseits ergeben sich beson<strong>der</strong>e Probleme, wenn mehrere<br />

Personen bei <strong>der</strong> Begehung <strong>der</strong> Tat zusammenwirken. In diesem<br />

Fall erhält die Tat den Charakter e<strong>in</strong>es Erfolgsdelikts – die<br />

Begehung <strong>der</strong> Haupttat ist <strong>der</strong> «Erfolg» des Tatbeitrags des<br />

Teilnehmers (Anstifter o<strong>der</strong> Gehilfe). 159 Was zur Begehung<br />

gehört, ist fraglich. Welches Recht ist anzuwenden, wenn <strong>der</strong><br />

Täter mit <strong>der</strong> Ausführung <strong>der</strong> Tat <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> beg<strong>in</strong>nt, sie<br />

aber erst im Ausland zu Ende führt?<br />

3. Der Begehungsort<br />

In unserem Fall soll die schwere Körperverletzung im Ausland<br />

begangen werden. Es stellt sich die Frage, ob schon die Abreise<br />

zu <strong>der</strong> Tat gehört. Darauf liesse BGE 104 IV 180 f. schliessen:<br />

Stanley Adams war nach Brüssel gereist und hatte dort <strong>der</strong> EG-<br />

Kommission Verstösse se<strong>in</strong>er Arbeitgeber<strong>in</strong> gegen das Wettbewerbsrecht<br />

<strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft verraten (Art. 273 StGB, Wirtschaftlicher<br />

Nachrichtendienst). Nach belgischem Recht wäre<br />

se<strong>in</strong>e Tat nicht strafbar gewesen. Die Verteidigung lehnte die<br />

Anwendbarkeit schweizerischen Rechts ab, weil Adams hier<br />

höchstens straflose Vorbereitungshandlungen begangen habe.<br />

Das Bundesgericht liess es aber genügen, dass er von <strong>der</strong><br />

<strong>Schweiz</strong> aus vorbereitende Korrespondenzen geführt, telefonisch<br />

e<strong>in</strong>en Term<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>bart und dann die Reise nach Brüssel<br />

angetreten hatte. Damit habe er den entscheidenden Schritt<br />

getan, <strong>der</strong> schon als Versuch des Delikts strafbar sei und damit<br />

den Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Tathandlung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> bedeute.<br />

Es liesse sich analog argumentieren, dass die Eltern von <strong>der</strong><br />

<strong>Schweiz</strong> aus Schritte unternehmen, um die K<strong>in</strong><strong>der</strong> verschneiden<br />

zu lassen. Es kann ke<strong>in</strong>e apodiktische Aussage darüber gemacht<br />

werden, ob vorgängig mit dem Land, <strong>in</strong> welchem <strong>der</strong> E<strong>in</strong>griff<br />

vorgenommen werden soll, Kontakte aufgenommen werden.<br />

Das ist jedoch zu vermuten. In <strong>der</strong> Regel werden die Eltern, wenigstens<br />

e<strong>in</strong> Elternteil, mitreisen. Es muss allerd<strong>in</strong>gs für jeden<br />

E<strong>in</strong>zelfall abgeklärt werden, ob mit dem Aufbruch schon <strong>der</strong><br />

«entscheidende letzte Schritt (getan wurde), von dem es <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Regel ke<strong>in</strong> Zurück mehr gibt, es sei denn wegen äusserer<br />

Umstände, die e<strong>in</strong>e Weiterverfolgung <strong>der</strong> Absicht erschweren<br />

o<strong>der</strong> verunmöglichen». 160 Nur dann hat <strong>der</strong> Täter bereits mit <strong>der</strong><br />

Ausführung <strong>der</strong> schweren Körperverletzung begonnen und die<br />

Tat wäre <strong>in</strong>s Stadium des nach Art. 21 f. StGB strafbaren<br />

Versuchs gediehen. Die Reise wird e<strong>in</strong>en erheblichen ökonomischen<br />

Aufwand bed<strong>in</strong>gen, was alle<strong>in</strong> schon e<strong>in</strong>e Abkehr von<br />

<strong>der</strong> Absicht erschwert. 161 Ob damit <strong>der</strong> «po<strong>in</strong>t of no return» 162<br />

bereits erreicht ist, hängt vom Stand <strong>der</strong> Reisevorbereitungen<br />

ab. Wenn <strong>der</strong> Täter die Flugtickets bereits besorgt hat, wird er<br />

nicht mehr ohne weiteres vom Vorhaben Abstand nehmen.<br />

An<strong>der</strong>erseits s<strong>in</strong>d auch objektive Kriterien zu berücksichtigen,<br />

um festzustellen, ob mit <strong>der</strong> Ausführung <strong>der</strong> Tat begonnen<br />

wurde. Verlangt wird tatnahes Handeln, es braucht im M<strong>in</strong>desten<br />

e<strong>in</strong>e gewisse zeitliche Nähe zur Tat. 163 Unseres Erachtens<br />

kann davon ausgegangen werden, dass die während <strong>der</strong> Schulferien<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat des K<strong>in</strong>des vorgenommene Verschneidung<br />

von <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> aus <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise vorbereitet wird, welche<br />

den Aufbruch zur Reise als Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Handlung anzusehen<br />

erlaubt.<br />

Die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichts im Fall Stanley<br />

Adams ist allerd<strong>in</strong>gs im Schrifttum auf Kritik gestossen.<br />

Popp me<strong>in</strong>t, das Gericht sei hier wohl zu weit gegangen 164 , es<br />

habe den Begriff <strong>der</strong> «Ausführung» später selbst viel enger<br />

ausgelegt. 165 E<strong>in</strong>e solche Deutung ist jedoch ke<strong>in</strong>eswegs zw<strong>in</strong>gend.<br />

Stratenwerth referiert BGE 104 IV 180 f. ohne Vorbehalt.<br />

166<br />

Es ist schwer vorauszusagen, wie das Bundesgericht im vorliegenden<br />

Sachverhalt entscheiden würde. Beson<strong>der</strong>s weit g<strong>in</strong>g<br />

es auch <strong>in</strong> BGE 74 IV 134, wo es die Auffassung vertrat, e<strong>in</strong>e<br />

abtreibungswillige Schwangere manifestiere ihren unwi<strong>der</strong>ruflichen<br />

Entschluss schon mit dem Übertreten <strong>der</strong> Schwelle<br />

zur Wohnung o<strong>der</strong> zum Besuchsraum des Abtreibers (deshalb<br />

«Schwellentheorie»). Auch dieser Entscheid war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehre<br />

heftig kritisiert worden 167 , das höchste Gericht hat sich im Fall<br />

Stanley Adams dennoch erneut für e<strong>in</strong>e extensive Auslegung<br />

entschieden. 168 Demnach ist nicht ausgeschlossen, dass es auch<br />

bei <strong>der</strong> WGV bereits frühe Vorbereitungen zum Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong><br />

Ausführung schlüge.<br />

E<strong>in</strong>e Möglichkeit bestünde dar<strong>in</strong>, dass das Gesetz angepasst<br />

würde. E<strong>in</strong> Beispiel hat <strong>der</strong> Gesetzgeber mit Art. 5 des revidierten<br />

StGB vom 13. Dezember 2002 gegeben, das noch nicht<br />

<strong>in</strong> Kraft ist: Gewisse Sexualdelikte s<strong>in</strong>d nach StGB strafbar,<br />

auch wenn sie am Tatort nicht mit Strafe bedroht s<strong>in</strong>d. Bei <strong>der</strong><br />

WGV wäre e<strong>in</strong>e weitere Anpassung notwendig: Art. 122 StGB<br />

müsste, was die WGV angeht, auf Auslandstaten von Auslän<strong>der</strong>n<br />

gegenüber Auslän<strong>der</strong>n anwendbar erklärt werden für den<br />

Fall, dass <strong>der</strong> Täter sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> bef<strong>in</strong>det und nicht ausgeliefert<br />

wird. Wir stehen e<strong>in</strong>er solchen Gesetzesän<strong>der</strong>ung<br />

skeptisch gegenüber. Es wäre jedenfalls abzuwarten, ob das<br />

Bundesgericht <strong>der</strong> hier gefor<strong>der</strong>ten extensiven Auslegung<br />

folgt. Auch für die Gesetzgebung muss das ultima ratio-Pr<strong>in</strong>zip<br />

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