Weibliche Genitalverstümmelung in der Schweiz - Unicef
Weibliche Genitalverstümmelung in der Schweiz - Unicef
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von 15 Jahren vor. Das Strafmass erhöht sich auf 20 Jahre,<br />
wenn <strong>der</strong> Tatbestand von e<strong>in</strong>em Elternteil, Betreuer o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er<br />
an<strong>der</strong>en mit <strong>der</strong> Autorität über das K<strong>in</strong>d betrauten Person verübt<br />
wird.<br />
Deutschland und die Nie<strong>der</strong>lande s<strong>in</strong>d zwei weitere europäische<br />
Län<strong>der</strong>, die e<strong>in</strong>e ähnliche Position wie Frankreich beziehen.<br />
Das deutsche Strafgesetzbuch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fassung von 2001<br />
kennt den Tatbestand <strong>der</strong> WVG nicht, spezifiziert aber die Tatbestände<br />
Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung,<br />
Misshandlung von Schutzbefohlenen, schwere Körperverletzung<br />
und Körperverletzung mit Todesfolge. Die nie<strong>der</strong>ländische<br />
Regierung hat befunden, dass Artikel 300 bis 309 und Artikel<br />
436 des Strafgesetzbuches auf die WGV anwendbar s<strong>in</strong>d. 7<br />
Grossbritannien und Norwegen h<strong>in</strong>gegen zählen zu den europäischen<br />
Län<strong>der</strong>n, die dem schwedischen Beispiel folgend spezifische<br />
Gesetzesbestimmungen über die WGV e<strong>in</strong>geführt haben<br />
(Prohibition of Female Circumcision Act 1985 und Female<br />
Genital Mutilation Act 2003, beziehungsweise Gesetz Nr. 74<br />
vom 15. Dezember 1995).<br />
Belgien, Dänemark und Spanien (die <strong>Schweiz</strong> wird an an<strong>der</strong>er<br />
Stelle dieser Veröffentlichung ausführlich behandelt) haben<br />
zwar ke<strong>in</strong>e neuen Gesetzesbestimmungen bezüglich <strong>der</strong> WGV<br />
e<strong>in</strong>geführt, aber den bestehenden Gesetzeskorpus <strong>in</strong>sofern<br />
revidiert, als die WGV nun explizit als Tatbestand aufgeführt<br />
wird. Dänemark beispielsweise hat am 28. Mai 2003 die Gesetzesvorlage<br />
386 angenommen, die das Strafgesetzbuch um<br />
e<strong>in</strong>en neuen Abschnitt (Abschnitt 245a) über die WGV ergänzt<br />
und für e<strong>in</strong>e Person, die den E<strong>in</strong>griff mit o<strong>der</strong> ohne E<strong>in</strong>willigung<br />
des Opfers ausführt, e<strong>in</strong>en Freiheitsentzug von 6 Jahren<br />
vorsieht. 8 In Italien wartet e<strong>in</strong>e von <strong>der</strong> Abgeordnetenkammer<br />
am 4. Mai 2004 angenommene Revision von Artikel 583 <strong>der</strong><br />
strafrechtlichen Bestimmungen über Körperverletzung auf die<br />
Zustimmung durch den Senat. Die Revision verweist explizit<br />
auf <strong>Genitalverstümmelung</strong> zum Zwecke <strong>der</strong> Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />
des sexuellen Verhaltens und sieht für den Täter e<strong>in</strong>e Freiheitsstrafe<br />
von 6 bis 12 Jahren vor.<br />
Die E<strong>in</strong>führung spezifischer Gesetzesbestimmungen und die<br />
Revision <strong>der</strong> geltenden Rechtsvorschriften mit dem Ziel, die<br />
WGV explizit als Tatbestand aufzuführen, s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e klare Stellungnahme<br />
des Gesetzgebers. Sie bestätigen, dass die WGV als<br />
strafrechtlicher Tatbestand angesehen wird, <strong>der</strong> nicht kulturell<br />
relativierbar ist. So lehnen beispielsweise die e<strong>in</strong>schlägigen<br />
britischen Gesetzesbestimmungen kulturelle Werte als Rechtfertigung<br />
<strong>der</strong> WGV explizit ab: «For the purpose of determ<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
whether an operation is necessary for the mental health of<br />
a girl it is immaterial whether she or any other person believes<br />
that the operation is required as a matter of custom or ritual»<br />
(Übersetzung: Bei <strong>der</strong> Bestimmung, ob die Operation für das<br />
geistige Wohl e<strong>in</strong>es Mädchens notwendig ist, ist beweisunerheblich,<br />
ob das Mädchen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Person diese aus<br />
Gründen <strong>der</strong> Sitte o<strong>der</strong> Riten für erfor<strong>der</strong>lich hält). 9 Die <strong>in</strong><br />
Frankreich, Deutschland und den Nie<strong>der</strong>landen erfolgte Subsumtion<br />
<strong>der</strong> WGV unter die geltenden Rechtsvorschriften h<strong>in</strong>-<br />
33<br />
gegen reduziert die Gefahr, Geme<strong>in</strong>schaften, <strong>in</strong> denen die WGV<br />
weit verbreitet ist, als Zielgruppe von eigens für sie geschaffenen<br />
Gesetzen zu isolieren.<br />
Der Charakter <strong>der</strong> Rechtvorschriften über die WGV ist e<strong>in</strong>e<br />
wichtige Dimension <strong>der</strong> Reaktion europäischer Gesetzgeber,<br />
aber e<strong>in</strong> umfassendes Verständnis dieser Reaktion bedarf e<strong>in</strong>er<br />
weiteren Analyse, nämlich <strong>der</strong>, <strong>in</strong>wieweit die e<strong>in</strong>schlägigen<br />
Bestimmungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis umgesetzt werden, das heisst, wie<br />
häufig es zu e<strong>in</strong>er strafrechtlichen Verfolgung kommt. So beispielsweise<br />
schlägt sich die <strong>in</strong> den Gesetzen von 1985 und 2003<br />
klar manifestierte Position Grossbritanniens <strong>in</strong> <strong>der</strong> britischen<br />
Strafverfolgung nicht nie<strong>der</strong>. Bis heute wurde ke<strong>in</strong> Fall von<br />
WGV <strong>in</strong> diesem Land vor Gericht gebracht. In Schweden kam<br />
bis 2000 e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Fall vor Gericht, und dies 18 Jahre, nachdem<br />
das Land e<strong>in</strong>e Vorreiterrolle <strong>in</strong> <strong>der</strong> gesetzlichen Reaktion<br />
auf das Phänomen WGV e<strong>in</strong>genommen hatte. In Frankreich<br />
h<strong>in</strong>gegen wurden im gleichen Zeitraum 25 Fälle unter Bezug<br />
auf die geltenden strafrechtlichen Bestimmungen gerichtlich<br />
verfolgt. 1999 beispielsweise verurteilte e<strong>in</strong> Pariser Gericht<br />
e<strong>in</strong>e Frau aus Mali, die 48 Mädchen im Alter von e<strong>in</strong>em Monat<br />
bis zehn Jahren verschnitten hatte, zu acht Jahren Freiheitsentzug,<br />
und 27 Eltern, die ihre Dienste <strong>in</strong> Anspruch genommen<br />
hatten, erhielten e<strong>in</strong>e Freiheitsstrafe auf Bewährung. 10<br />
E<strong>in</strong> Bericht zuhanden <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft für Technische<br />
Zusammenarbeit kommentiert die unterschiedlichen Positionen<br />
Frankreichs und Grossbritannien zu dem Phänomen<br />
WGV folgen<strong>der</strong>massen:<br />
Für den britischen Ansatz sprechen kulturelle Sensibilität<br />
und <strong>der</strong> Wille, mit M<strong>in</strong>oritäten zusammenzuarbeiten, ohne<br />
sie zu krim<strong>in</strong>alisieren. Gegen den britischen Ansatz aber<br />
spricht die Unterordnung unter die kulturelle Sensibilität auf<br />
Kosten <strong>der</strong> Gesundheit und Sicherheit <strong>der</strong> Opfer. Der französische<br />
Ansatz h<strong>in</strong>gegen hat den Vorteil, dass er alle <strong>der</strong><br />
französischen Gerichtsbarkeit unterstellten K<strong>in</strong><strong>der</strong> ungeachtet<br />
ihrer Herkunft schützt, selbst wenn dies Ressentiments<br />
und die Verweigerung, mit lokalen Behörden zusammenzuarbeiten,<br />
hervorbr<strong>in</strong>gt (Übersetzung). 11<br />
Der Berufung auf die geltenden allgeme<strong>in</strong>en strafrechtlichen<br />
Bestimmungen aber zieht nicht zw<strong>in</strong>gend strafrechtliche Verfolgungen<br />
nach sich. Die Rechtslage <strong>in</strong> den Nie<strong>der</strong>landen ist<br />
<strong>der</strong> französischen ähnlich, aber bis heute wurde dort ke<strong>in</strong> Fall<br />
von WGV vor Gericht gebracht.<br />
Die bislang geführte Argumentation konzentrierte sich auf<br />
Rechtsvorschriften, welche die Gefahr e<strong>in</strong>er WGV <strong>der</strong> <strong>in</strong>nerhalb<br />
e<strong>in</strong>es europäischen Landes lebenden Frauen und Mädchen<br />
thematisieren. Die Gesetzgeber s<strong>in</strong>d sich mittlerweile aber<br />
auch <strong>der</strong> Gefahr bewusst, dass das gesetzliche Verbot <strong>der</strong> WGV<br />
im eigenen Lande Immigrantenfamilien veranlassen kann, ihre<br />
Frauen und Mädchen <strong>in</strong>s Heimatland zu schaffen, um dort den<br />
E<strong>in</strong>griff vollziehen zu lassen. Nach schwedischem Recht beispielsweise<br />
kann e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Schweden wohnhafte Person, die e<strong>in</strong>e