29.12.2012 Aufrufe

Weibliche Genitalverstümmelung in der Schweiz - Unicef

Weibliche Genitalverstümmelung in der Schweiz - Unicef

Weibliche Genitalverstümmelung in der Schweiz - Unicef

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Reaktionen auf die weibliche<br />

<strong>Genitalverstümmelung</strong> <strong>in</strong> Europa<br />

WGV an e<strong>in</strong>er Frau o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Mädchens im Ausland <strong>in</strong> die<br />

Wege leitet, selbst dann strafrechtlich verfolgt werden, wenn<br />

die Tat im Ausland verübt wurde. Auch die britische Gesetzgebung<br />

erfasst Operationen, die an Frauen und K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit britischer<br />

Staatsangehörigkeit o<strong>der</strong> dauerhaft britischem Wohnsitz<br />

im Ausland vorgenommen wurden. Laut <strong>der</strong> gesetzlichen Bestimmungen<br />

aus dem Jahre 1993 haben Eltern, die ihre Töchter<br />

zwecks dieser Operation <strong>in</strong>s Ausland gebracht haben, mit<br />

e<strong>in</strong>er Freiheitsstrafe bis zu 14 Jahren zu rechnen. Die norwegische<br />

Gesetzgebung aus dem Jahr 1995 gilt ebenfalls für <strong>in</strong>- und<br />

ausserhalb Norwegens verübte Tatbestände. Je<strong>der</strong> norwegische<br />

Staats- o<strong>der</strong> Wohnbürger, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Norwegen o<strong>der</strong> im Ausland<br />

e<strong>in</strong>e WGV vorgenommen o<strong>der</strong> unterstützt hat, kann <strong>in</strong> Norwegen<br />

strafrechtlich verfolgt werden.<br />

Das zunehmende Bewusstse<strong>in</strong> um die Gefahr, dass dem Gesetzesschutz<br />

europäischer Staaten unterstellte Mädchen und<br />

Frauen zwecks WGV <strong>in</strong>s Ausland gebracht werden, kommt <strong>in</strong><br />

dem Entschied des obersten Gerichts von Sant Feliu de Guixols<br />

<strong>in</strong> Girona vom 13. Mai 2004 zum Ausdruck, das e<strong>in</strong>em Vater<br />

dreier Mädchen aus Gambia verwehrte, se<strong>in</strong>e Töchter zurück<br />

nach Gambia zu schaffen. In Spanien können Personen, die die<br />

WGV praktizieren, gemäss Artikel 149 des Strafgesetzbuches,<br />

Körperverletzung, strafrechtlich verfolgt werden. Dieser Artikel<br />

wurde im September 2003 gemäss Organisationsgesetz<br />

11/2003 revidiert, um die WGV als e<strong>in</strong>e Körperverletzung zu<br />

<strong>in</strong>tegrieren, die mit Freiheitsentzug zwischen 6 und 12 Jahren<br />

o<strong>der</strong> mehr (falls die Tat an e<strong>in</strong>er m<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen Person verübt<br />

wurde) bestraft wird. In e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit heftig diskutierten<br />

Entscheidung hatte <strong>der</strong> Richter befunden, dass den<br />

Mädchen, <strong>der</strong>en zwei ältere Schwestern bereits Opfer e<strong>in</strong>er <strong>in</strong><br />

Gambia vollzogenen WGV geworden waren, <strong>der</strong> Reisepass zu<br />

entziehen und erst bei Erreichen des 18. Lebensjahres zurückzugeben<br />

sei. Der Richter verfügte ferner, dass die Mädchen<br />

sich alle sechs Monate e<strong>in</strong>er mediz<strong>in</strong>ischen Untersuchung zu<br />

unterziehen haben, um zu gewährleisten, dass <strong>der</strong> E<strong>in</strong>griff<br />

nicht <strong>in</strong> Spanien stattf<strong>in</strong>det. 12 Sechs Wochen vor dieser Entscheidung<br />

befand das Pariser Bezirksgericht e<strong>in</strong>en Gu<strong>in</strong>eaner<br />

und se<strong>in</strong>e zwei Frauen e<strong>in</strong>er gewalttätigen Handlung mitschuldig,<br />

die e<strong>in</strong>e Verstümmelung e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen zur Folge<br />

hatte, nachdem nachweislich beide Töchter zwecks WGV nach<br />

Gu<strong>in</strong>ea gebracht worden waren. Der Mann und se<strong>in</strong>e beiden<br />

Frauen erhielten e<strong>in</strong>e Freiheitsstrafe von fünf Jahren auf Bewährung,<br />

den Töchtern wurde Schadenersatz zugesprochen. 13<br />

Die europäischen Staaten s<strong>in</strong>d ebenfalls herausgefor<strong>der</strong>t, die<br />

WGV als Begründung für e<strong>in</strong>en Asylantrag zu berücksichtigen.<br />

1994 gab das UN-Hochkommissariat für Flüchtl<strong>in</strong>ge bekannt,<br />

dass e<strong>in</strong>e Frau als Flüchtl<strong>in</strong>g anzuerkennen sei, wenn sie beziehungsweise<br />

ihre Tochter o<strong>der</strong> Töchter befürchten müssen, <strong>in</strong><br />

ihrem Heimatland Opfer e<strong>in</strong>er Verschneidung zu werden, o<strong>der</strong><br />

davon ausgehen, dass sie dort verfolgt werden, falls sie diesen<br />

E<strong>in</strong>griff verweigern. 14 Diese Position wurde von <strong>der</strong> Europäischen<br />

Kommission unterstützt. 15 Laut Amnesty International<br />

aber wird nur e<strong>in</strong>er verschw<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>gen Anzahl von Frauen<br />

auf dieser Grundlage Asyl gewährt. 16 Die Frage <strong>der</strong> Asylbegründung<br />

erwies sich als Stolperste<strong>in</strong> bei <strong>der</strong> Revision des<br />

italienischen Strafgesetzbuches bezüglich WGV. Am 29. April<br />

2004 wurde die parlamentarische Abstimmung über das Gesetz<br />

vertagt, weil die Anerkennung des Flüchtl<strong>in</strong>gsstatus e<strong>in</strong>er Frau,<br />

die ihr Heimatland verlässt, weil ihr o<strong>der</strong> ihren Töchtern die<br />

WGV droht, auf Wi<strong>der</strong>stand gestossen war. 17<br />

Gesetzliche Ansätze auf europäischer Ebene<br />

Die WGV kann als Verletzung mehrerer Artikel <strong>der</strong> 1950 angenommenen<br />

Europäischen Menschenrechtskonvention angesehen<br />

werden. Artikel 3 stipuliert: «Niemand darf <strong>der</strong> Folter<br />

o<strong>der</strong> unmenschlicher o<strong>der</strong> erniedrigen<strong>der</strong> Strafe o<strong>der</strong> Behandlung<br />

unterworfen werden.» Artikel 9 präzisiert: «Die Freiheit,<br />

se<strong>in</strong>e Religion o<strong>der</strong> Weltanschauung zu bekennen, darf nur E<strong>in</strong>schränkungen<br />

unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen<br />

und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er demokratischen Gesellschaft notwendig s<strong>in</strong>d für<br />

die öffentliche Sicherheit, zum Schutz <strong>der</strong> öffentlichen Ordnung,<br />

Gesundheit o<strong>der</strong> Moral o<strong>der</strong> zum Schutz <strong>der</strong> Rechte und Freiheiten<br />

an<strong>der</strong>er.» Diese Wertvorstellungen werden von <strong>der</strong> Charta<br />

<strong>der</strong> Grundrechte <strong>der</strong> Europäischen Union aus dem Jahre 2000<br />

aufgegriffen, welche die Würde des Menschen (Artikel 1), das<br />

Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit (Artikel 3)<br />

und das Verbot <strong>der</strong> Folter o<strong>der</strong> unmenschlicher o<strong>der</strong> erniedrigen<strong>der</strong><br />

Strafe o<strong>der</strong> Behandlung (Artikel 4) betont.<br />

Der rechtliche Rahmen ist auf europäischer Ebene durchaus<br />

vorhanden, die praktischen Aktivitäten <strong>der</strong> europäischen Institutionen<br />

aber h<strong>in</strong>ken h<strong>in</strong>ter den Entwicklungen auf nationaler<br />

Ebene her. Die Europäische Union hat bislang ke<strong>in</strong>e Rechtvorschriften<br />

erlassen, welche die WGV unter Strafe stellen. Das<br />

EU-Daphne-Programm 2000 – 2003 allerd<strong>in</strong>gs, das <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie auf die Bekämpfung von Gewalttätigkeiten gegen Frauen<br />

und K<strong>in</strong><strong>der</strong> abzielt, anerkennt die WGV als e<strong>in</strong> zunehmend<br />

wichtiges Problem. Der nachfolgende Aspekt ist für das Thema<br />

dieses Kapitels von beson<strong>der</strong>er Bedeutung: In Zusammenarbeit<br />

mit dem International Centre for Reproductive Health <strong>der</strong> Universität<br />

Ghent unterstützt das Daphne-Programm e<strong>in</strong> breit angelegtes<br />

Projekt über verschiedene gesetzliche Antworten auf<br />

die WGV <strong>in</strong> Europa mit dem Ziel, e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche europäische<br />

Gesetzesstrategie zu entwickeln. Die Ergebnisse dieses Projekts<br />

werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Jahreshälfte 2004 erwartet. 18<br />

E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> bislang bedeutendsten legislativen Entwicklungen auf<br />

europäischer Ebene ist die Resolution 1247 <strong>der</strong> Parlamentarischen<br />

Versammlung des Europarates (2001) über die weibliche<br />

Genitalverschneidung. Vor <strong>der</strong> Verabschiedung dieser Resolution<br />

hatte <strong>der</strong> Europarat ke<strong>in</strong>e direkten Massnahmen bezüglich<br />

<strong>der</strong> WGV <strong>in</strong> Europa ergriffen, wohl aber e<strong>in</strong>ige Aufklärungskampagnen<br />

<strong>in</strong> Entwicklungslän<strong>der</strong>n unterstützt. 19 Die Resolution<br />

konstatiert, dass die Praktik <strong>in</strong> den Mitgliedsstaaten des<br />

Europarates beson<strong>der</strong>s unter Immigrantengeme<strong>in</strong>schaften<br />

offensichtlich immer weiter verbreitet ist 20 , und <strong>der</strong> Bericht zur<br />

Resolution bestätigt, dass die WGV <strong>in</strong> Europa nicht als kulturell<br />

relativierbares Phänomen gerechtfertigt werden kann:<br />

34

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!