2010 Johanni - Nikolaus - Cusanus - Haus
2010 Johanni - Nikolaus - Cusanus - Haus
2010 Johanni - Nikolaus - Cusanus - Haus
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Nikolaus-
Cusanus-Haus
FreiesAltenheime.V.
LebensgemeinschaftimAlter
Hauszeitung
■ 10 Jahre
„Wohnzimmer“
■ Künstlerisches
Arbeiten
Johanni 2010
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INHALT: Seite
Aktuelles in Kürze aus dem NCH ...................................................................... 6
Neue Bewohner ............................................................................................................ 9
10 Jahre „Wohnzimmer“ ......................................................................................... 10
Die gute alte Zeit ......................................................................................................... 13
Totengedenken ............................................................................................................. 16
Eurythmie im Nikolaus-Cusanus-Haus ........................................................... 17
Mitarbeiter ...................................................................................................................... 20
Mitarbeiter arbeiten künstlerisch ........................................................................ 22
Veranstaltungen ........................................................................................................... 29
Farbtupfer im Alltag .................................................................................................. 33
PGH productions present: Frank Wedekind: „Frühlingserwachen“ 42
......................................................................
Derivate: Wie wettet man auf Wetten? ........................................................... 44
Hauszeitung
Herausgeber: NIKOLAUS-CUSANUS-HAUS,
Freies Altenheim e.V., Lebensgemeinschaft im Alter,
Törlesäckerstraße 9, 70599 Stuttgart-Birkach
Telefon 0711 / 45 83 - 0
Auflage Nr. 58: 800
Redaktion: Christiane Grosse, Stefanie Heckle, Annedore Hennig,
Andrea Nickel, Ursula Schütt, Andreas Bockemühl,
Heinz Bollinger, Sören Hirning, Eckehard Rauch,
Frieder Stehle,
Für die Beiträge unserer Bewohnerinnen und Bewohner
danken wir herzlich.
Spendenkonto: Nr. 100 555 004 Volksbank Esslingen (BLZ 61190110)
Johanni 2010
Johanni-Stimmung
Der Welten Schönheitsglanz,
Er zwinget mich aus Seelentiefen
Des Eigenlebens Götterkräfte
Zum Weltenfluge zu entbinden;
Mich selber zu verlassen,
Vertrauend nur mich suchend
In Weltenlicht und Weltenwärme.
Rudolf Steiner
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Hauszeitung
Sehr verehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser,
vor einem Jahr, am 9. Juni 2009, fand der Auftakt-Workshop statt für unser Projekt
„Ausbau der bestehenden Angebote für Bewohnerinnen und Bewohner mit Verhaltensauffälligkeiten,
Verwirrtheitszuständen sowie den allgemeinen Erscheinungsformen
von Desorientiertheit“, kurz gesagt für unser Demenzprojekt. Einen zeitlichen
Rahmen gaben wir uns ebenfalls, bis zum Frühjahr 2010 wollten wir zu ersten
Entscheidungen kommen.
In den verschiedensten Gesprächs- und Arbeitskreisen bewegten und kneteten wir
dieses Thema in personell verschieden zusammengesetzten internen Gruppierungen,
unterstützt durch externe Beratung, Schulungen, Hospitationen und Vortragsredner –
und gerieten dabei nicht selten selbst in die unterschiedlichsten Verwirrtheitszustände.
Schnell stellten wir fest, dass der Ausbau der Tagesbetreuung nicht
parallel mit dem Thema neue bzw. veränderte Wohnformen bearbeitet, verquickt
werden sollte, da zu einer jeweiligen ersten Erprobungsphase unterschiedliche Vorplanungen
und Planungszeiträume erforderlich sind.
Die Projektverantwortlichen, Heimleitung und Bereichsleitungen, verständigten sich
daher gemeinsam darauf, unserem Vorstand die intensive Weiterentwicklung und
den massiven Ausbau unserer bestehenden tagesstrukturierenden Maßnahmen und
Angebote als ersten Schritt vorzuschlagen, und etwa im Oktober diesen Jahres den
zurückgestellten Aufgabenblock erneut aufzugreifen.
Mit voller Kraft ging es nun an die Realisierung des Ausbaus der Tagesbetreuung. In
den Arbeitsgruppen ging es sehr lebhaft zu, an Ideen fehlte es uns nicht –
Vormittags-, Nachmittags-, Abendbetreuung, Gruppengröße von / bis?, Mahlzeiten
in den Gruppen oder in den Aufenthaltsräumen im Bereich, sind räumliche Veränderungen
notwendig, wenn ja, welche, und, und, und / oder, oder, oder!!!??? Für
alles gab es die nachvollziehbarsten Gründe dafür und dagegen, aber letztendlich
mussten unsere Pläne und Vorstellungen ja auch praktikabel und realisierbar sein.
Der Zeitplan wurde eingehalten, am Montag, den 14. Juni sind wir in die Projektphase
gestartet!
Johanni 2010
Um nach wie vor möglichst vielen unserer Bewohnerinnen und Bewohner auch in
Zukunft die bestmögliche Betreuung zukommen lassen zu können, haben wir uns
entschlossen, zwei unterschiedliche „Wohnzimmerarten“ zu erproben.
Das seit zehn Jahren bewährte Wohnzimmer mit Frau Grosse auf Ebene 4 wird von
seither zwei Vormittagen auf fünf aufgestockt und ist gedacht für eine größere
Gruppe überwiegend noch aktiverer Bewohnerinnen und Bewohner.
Ein spezielles Wohnzimmer für die Betreuung demenzerkrankter BewohnerInnen
wird an fünf Vor- und Nachmittagen auf Ebene 1 von Frau Discher und Frau Maier
im Wechsel angeboten. Für die in Frage kommenden Bewohner wurde von den
jeweiligen Bereichsleitungen ein „Wochenstundenplan“ erstellt, in dem die anderen
Aktivitäten, Therapien und regelmäßigen Besuche nach Möglichkeit berücksichtigt
wurden.
Die Projektsteuerungsgruppe wird die Pilotphase begleiten, ebenso die parallel laufende
schriftliche Ausarbeitung der dazugehörenden Konzeption. Wir freuen uns,
dass das Projekt nun angelaufen ist, und sind hochgespannt auf die weitere Entwicklung.
Wir werden an entsprechender Stelle berichten.
Das gesamte Redaktionsteam grüßt Sie herzlich und wünscht Ihnen eine schöne
Sommerzeit und ein wenig Muse zum Lesen der neuesten Ausgabe unserer Hauszeitung.
Heinz Bollinger Ursula Schütt
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Aktuelles in Kürze
aus dem Nikolaus-Cusanus-Haus
Hauszeitung
Zur Johannizeit fällt es beim Blick zurück nicht leicht, sich an die kalte Jahreszeit zu
erinnern, aber der Winter hatte uns lange und fest im Griff. Ein kurzer und nüchterner
Blick auf die Stundenzettel unserer Haustechnik verdeutlicht dies. So sind allein
seit Weihnachten 2009 ca. 200 Überstunden (Stunden außerhalb der Dienstzeit)
durch die Räum- und Schneebereitschaft entstanden. Und, ach ja, es gab – für uns
Jüngere eine neue Erfahrung – Mangelwirtschaft, was das Streusalz betraf.
Am 12. Februar 2010 forderte der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg
die Kostenträger (Pflegekassen und Kommunalverband für Jugend und Soziales
Baden-Württemberg) in unserem Namen zu Pflegesatzverhandlungen auf. Aus
wirtschaftlichen Gründen war eine Anpassung der seit 01. April 2008 gültigen Pflegesätze
unumgänglich. Der Abschluss mit den Kostenträgern belief sich auf eine Erhöhung
des Budgets um 3,98 %. Die neuen Kostensätze gelten ab dem 01.04.2010.
Seit Mitte März sind freitags von 11.00 - 11.30 Uhr wieder Lieder im Innenhof zu
hören! Wir begrüßen Frau Schreiber-Gugel im Kreise der freiwilligen HelferInnen,
und es freut uns sehr, dass sie mit Bewohnerinnen und Bewohnern auf der Empore
Ebene 2 singt.
Bevor sonnige und frühlingshafte Tage sich bei uns einstellten, hatten wir Besuch
von den Aufsichtsbehörden der Stadt. Am 25. März 2010 kamen das Baurechtsamt
und die Feuerwehr zur alle 5 Jahre stattfindenden Brandverhütungsschau. Der
letzte Besuch der Behörde zog den Einbau unserer Brandmeldeanlage nach sich, sodass
Herr Ruthardt die Herren mit gewissem Respekt und Sorge durchs Haus führte.
Und der in diesen Tagen eingetroffene schriftliche Bericht des Baurechtsamtes sollte
die Vorahnung bestätigen! Neben Kleinigkeiten und leichteren Mängeln, die unschwer
zu beseitigen sind, werden umfangreiche und kostenintensive Maßnahmen
gefordert, so zum Beispiel selbstständig schließende Türen in den Aufenthaltsräumen
der Pflegebewohner und den angrenzenden Küchenräumen. Des Weiteren wird
die Entfernung der Möblierung aus der Eingangshalle, der Galerie und den Fluren
gefordert, oder eine Möblierung aus nichtbrennbaren Stoffen ist nachzuweisen.
Dagegen ist der alljährliche unangemeldete Besuch der Heimaufsicht und des
Wirtschaftskontrolldienstes, der am 15. April 2010 stattfand, freundschaftlich und
als Routine zu bezeichnen. In ihrer fünfstündigen Begehung prüften die 4 MitarbeiterInnen
der Behörden, ob die geltenden gesetzlichen Vorschriften und Vorgaben im
Johanni 2010
Hause umgesetzt werden. Wie bei den Besichtigungen in den Vorjahren wurden
auch dieses Mal die Bereiche Hauswirtschaft und Küche geprüft, pflegebedürftige
Bewohnerinnen und Bewohner in ihren Appartements besucht, die Pflegedokumentation
sowie die Dienstpläne eingehend überprüft und mit einem Vertreter des Heimbeirates
gesprochen. In der Schlussbesprechung erhielten wir durchweg positive
Rückmeldungen seitens der Behörden.
Zum April 2010 gab es Veränderungen bei unseren Wohnbereichsleitungen auf
den Ebenen 2 und 3. Herr Roland Reck – bisher WBL auf der Ebene 3 – wollte auf
eigenen Wunsch von der Verantwortung entbunden werden. Frau Patricia Schilling,
WBL der Ebene 2, wechselte auf die Ebene 3, und Frau Eva Blomen, bisher stellvertretende
WBL der Ebene 3, übernahm die Verantwortung für den Wohnbereich der
Ebene 2.
Am Ostermontag, am 05. April 2010, gab es ein Jubiläum zu feiern – den 20. Jahrestag
der Grundsteinlegung des Nikolaus-Cusanus-Hauses. Zum Festakt im Saal
kamen Bewohnerinnen und Bewohner, Angehörige, Vorstände und Mitglieder des
Vereins Nikolaus-Cusanus-Haus e. V., des Fördervereins, der Stiftung, MitarbeiterInnen
und Freunde, die sich dem Hause verbunden fühlen, zusammen.
Herr Bollinger verlas den Grundsteintext, Herr Schenkel-Reichmuth berichtete über
die Biographie unseres Namensgebers Nikolaus von Kues, und Herr Gundolf
Bockemühl erläuterte den Bauimpuls und die besondere Architektur des Nikolaus-
Cusanus-Hauses. Musikalisch umrahmt wurde die Feierstunde durch Frau Waltjen.
Anschließend konnten im Innenhof Bilder und Informationen zur Grundsteinlegung
betrachtet werden, und die frisch gedruckte Chronik zur Geschichte unseres Hauses
erfreute die Anwesenden.
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Hauszeitung
Unsere leider ausgefallene Faschingsfeier fand dieses Jahr am 19. April als Frühlingsfest
statt. Folker Bader, ehemaliger Musikredakteur des SWR Stuttgart, war mit
seinem mobilen Radioprogramm bei uns zu Gast. Gut gelaunt nahmen unsere Bewohnerinnen
und Bewohner an seiner „Frühlings-Radio-Sendung“ teil. Das Programm
enthielt einen bunten Strauß wohlbekannter und beliebter Melodien, bei
denen auch gerne mitgesungen wurde. Folker Bader fand mit seinem „Erinnerungsradio“
und mit Liedern, die kaum noch gespielt werden, sehr viel Anklang!
Die geplante Installierung einer Funkantenne auf dem benachbarten Gebäude
„Hotel Birke“ sorgte in den letzten Monaten im Hause und in Birkach für Diskussionen
und Schlagzeilen. Das Planungsverfahren ist abgeschlossen; der Bau des
Funkmastes kann mit rechtlichen Mitteln nicht verhindert werden. Auch die vielen
Proteste von Bürgern und der Bürgerinitiative Birkach zeigten keine Wirkung. Der
Handybetreiber E-Plus will in Birkach einen Funkmast errichten. E-Plus brachte
sogar das Nikolaus-Cusanus-Haus als „idealen“ Standort für den Sendemast ins Gespräch.
Eine entsprechende Anfrage des Handybetreibers wurde am 11. Mai 2010
vom Vorstand abgelehnt.
Der 25. Mai 2010 wird so manchen Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern in Erinnerung bleiben. Hatten wir doch Demenz Support
Stuttgart samt Fotograf im Hause. Die Firma Demenz Support versteht sich
als Mittler zwischen Wissenschaft und Praxis und hat es sich zur Aufgabe gemacht,
die Lebensqualität von Menschen mit Demenz zu verbessern. Demenz Support berät
Heime bei der Umsetzung von Pflege- und Betreuungskonzepten und ist für Fortbildung
und Projekte verantwortlich. Ihr neuestes, vom Bundesministerium für Arbeit
und Soziales gefördertes Projekt heißt DemOS: Demenz – Organisation – Selbstpflege.
In diesem Projekt stehen die Pflegenden im Mittelpunkt, und die Ausgangsfrage
ist: Was kann für die Pflege der Pflegenden von Menschen mit Demenz getan
werden? Wie lässt sich dafür sorgen, dass sie auch langfristig an ihren Beruf gebunden
und in der Lage bleiben, diesen auszuüben?
Die Fotos für die schriftliche Dokumentation und für die Internetseite zum Projekt
wurden bei uns aufgenommen, und wohl alle BewohnerInnen und MitarbeiterInnen
waren zum ersten Male als Fotomodell tätig!
Red.
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10 Jahre „Wohnzimmer“
Hauszeitung
Am 15. März 2000 begann auf Ebene 4 das „Pilotprojekt Wohnzimmer“: an zwei
Vormittagen trafen sich Bewohner von Ebene 4, um gemeinsam die Zeit zwischen
Frühstück und Mittagessen zu verbringen. Ab September 2001 wurde ein dritter
Vormittag eingerichtet, und seit September 2007 finden vier Vormittage statt:
Montag und Donnerstag für Bewohner der Ebene 3, Mittwoch und Freitag für Bewohner
der Ebene 4.
Seit Mai 2008 findet auf Ebene 1 ein Wohnzimmer mit Frau Discher für Bewohner
der Ebenen 1 und 2 statt.
Seit Beginn haben ca. 135 Bewohner am Wohnzimmer teilgenommen – das heißt:
135 Individualitäten, 135 Schicksale!
Schon an dieser Zahl kann unschwer erkannt werden, dass die Zusammensetzung
der Gruppen einem ständigen Wechsel unterliegt und stets alles „im Fluss“ bleibt, ja
bleiben muss ...
Diese Tatsache spiegelt sich natürlich auch in der Gestaltung und den Inhalten der
Vormittage wider:
Wer kommt heute, wer nicht?
In welcher Tagesverfassung ist der Einzelne?
Für eine Gruppe sind viele Stühle nötig, da viele noch gut zu Fuß sind, für die
andere Gruppe müssen fast alle Stühle weggeräumt werden. – Eine Gruppe singt fast
gar nicht, in der anderen wird im Kanon oder sogar mehrstimmig gesungen.
Vieles ist nicht planbar, sodass täglich eine flexible Kreativität erforderlich ist,
dennoch bedarf es, in dieser besonderen Form der Betreuung, einer Sicherheit
gebenden Struktur mit stets wiederkehrenden Elementen sowie eines in sich stimmenden,
harmonisierenden Rhythmus.
Die Jahres- und Festeszeiten bieten ein unerschöpfliches Reservoir an Inhalten und
sinnvollen Tätigkeiten, die, anknüpfend an die gelebten Leben, in Achtung vor der
Menschenwürde thematisiert und ausgeübt werden können.
Zur Zeit sind es von Ebene 3 ca. 12 und von Ebene 4 ca. 22 Bewohner, die ins
Wohnzimmer kommen können.
Johanni 2010
Es gibt eine große Gruppe von sehr lebhaften, gesprächigen Damen, die gerne eine
gute Unterhaltung über Literatur, Kunst und Religion führt, gelegentlich auch politisiert,
sodass es schon „Stammtisch“-Ausmaße annehmen kann. In dieser Gruppe
beschäftigen wir uns – neben Rätseln, Denk- und Geschicklichkeitsübungen – oft
mit Gedichten, Balladen und der Mythologie. Hier wird gerne nachgefragt, geforscht
und werden Pflanzen bestimmt, es kommen selbstverfasste Gedichte zum Vorschein
und werden vorgetragen. Durch diesen intensiven Austausch ist eine Offenheit entstanden,
die selbst in der großen Gruppe Biographisches zulässt und uns schon manche
bewegende Stunde erleben ließ.
Auch der Humor kommt natürlich nicht zu kurz: Kennen Sie z. B. einen „Laufmann“?
Oder wussten Sie, dass „Morgenstund aller Laster Anfang ist“? Und: „Wer
schläft, sündigt nicht.“ Aber: „Wer sündigt, schläft besser“?
... und dann die Schlagfertigkeiten und Situationskomik, wie Folgendes: beim Spielen
mit dem Ball fiel dieser diesmal besonders oft auf den Boden, und ich musste
zum wiederholten Male unter den Tisch krabbeln, um ihn heraufzuholen, also
stöhnte ich: „O je, gefühltes Alter 92 Jahre!“, woraufhin eine Bewohnerin sagte:
„Ach, das sieht man Ihnen gar nicht an!“
Im Wohnzimmer wird gelebt, gesungen, gespielt, gelacht, auch mal getrauert und
geweint, und damit wird es seinem Namen gerecht. Hier finden wunderbare Menschenbegegnungen
statt, alles ist konkret, direkt und unverstellt ehrlich, jedes
unehrlich-Aufgesetzte
wird sofort entlarvt und
funktioniert nicht.
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Anfänglich von manchen
sehr kritisch beobachtet
und kommentiert: „Ach,
der / die muss jetzt auch
dahin“, hat sich das Blatt
dann gewendet:
„Dürfen Rüstige da auch
teilnehmen?“
Am Montag, den 15. März 2010 haben wir dann unser 10-jähriges Jubiläum gefeiert:
Am Vormittag waren, soweit möglich, alle teilnehmenden Bewohner anwesend, und
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Hauszeitung
wir konnten mit Brezeln, Kuchen und Gebäck viele Gäste begrüßen, die zum
Gratulieren kamen. Herzlichen Dank für die schönen und köstlichen Gastgeschenke!
Am Nachmittag traf sich eine kleinere Gruppe, um ein gemeinsames Abendessen
zuzubereiten. Es gab – auf Wunsch – verschiedene Salate, Kräutergarnelen,
Baguette – und dazu ein Gläschen Sekt. Die „Tafelrunde“ war, wie erwartet und
durch zusätzliche Tische und Stühle vorbereitet, sehr gut besucht. Auch hier:
herzlichen Dank an alle Helfer und Gäste für die Unterstützung!
Wir alle haben den Abend sehr genossen und freuten uns, zum Abschluss endlich
auch einmal Abendlieder singen zu können.
Längst ist das „Wohnzimmer“ kein Pilotprojekt mehr, es hat sich etabliert und
bewährt – und es ist noch „ausbaufähig“, der vorhandene Bedarf ist groß:
„Den Sinn der Welt verwirklicht, die von Weisheit erleuchtete
und von Liebe durchwärmte Tat des Menschen.“
In diesem Sinne
Christiane Grosse
PS: Ja, wir stellen auch Marmelade her.
PPS: Ein Laufmann ist natürlich ein Rollator, eine Gehhilfe.
Rudolf Steiner
Johanni 2010
Im Rahmen des 10-jährigen Bestehens des Wohnzimmers
trug unsere Bewohnerin Frau Volz eines ihrer Gedichte
über die gute alte Zeit vor.
Die gute alte Zeit
Man hört oft von ergrauten Greisen
die guten alten Zeiten preisen –
doch wer von uns wär’ schon bereit,
zu tauschen mit der alten Zeit?
Was hatten früher denn die Leute,
das woll’n wir mal betrachten heute,
keine leichte, sondern Schwerstarbeit,
die gab’s genug in der alten Zeit!
Zur Arbeit ging man noch zu Fuß,
da fuhr weder Auto noch Omnibus,
der Weg, der war oft stundenweit
in dieser guten alten Zeit!
Die Schuhe waren schwer zu tragen,
sie waren mit Eisen und Nägeln beschlagen,
für die Nachkommen standen sie bereit
in dieser guten alten Zeit!
Es gab auch keine Urlaubstage,
das kam gar nie in Frage,
kein Mindestlohn stand zur Debatte,
zufrieden war der Mensch, wenn er Arbeit hatte.
Gesundheitsreform ein Fremdwort noch war,
wenig stand der Arzt bereit –
in dieser guten alten Zeit!
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Hauszeitung
Es gab auch kein elektrisch Licht,
auch Radio und Fernsehen nicht,
man schlief auch noch im Bett zu zweit
in der guten alten Zeit!
Man kuschelte auf Haferstroh,
ein Lieblingsnest auch für den Floh,
der nutzte die Gelegenheit
in der guten alten Zeit!
In der Wohnung gab’s auch kein Klosett,
das Töpfchen stand noch unterm Bett,
dort war es immer griffbereit
in der guten alten Zeit!
Badetag war samstags, für die ganze Familie
eine Bütt mit Wasser stand bereit,
in die stieg eins nach dem andern hinein,
am Schluss weichte man noch die Wäsche drin ein.
Drei Tage in der Waschküche an der Bütt,
eine Waschmaschine, die kannte man nicht,
die Frauen leisteten Schwerstarbeit
in dieser guten alten Zeit!
Es fehlte auch nicht an Kindersegen,
kaum war eins aus den Windeln heraus,
o Schreck, schon wieder tat sich eins regen.
Keine Regierung stand mit Kindergeld bereit
in dieser guten alten Zeit!
Die Renten waren knapp bemessen,
reichten spärlich, kaum zum Essen.
Auch alt zu werden war Seltenheit
in der guten alten Zeit!
Johanni 2010
Ein Fass voll Sauerkraut und Bohnen
tat sich in jedem Haushalt lohnen,
es fehlten noch Konservendosen.
Die Frauen trugen Unterhosen,
die waren ziemlich lang und breit
in dieser guten alten Zeit!
Nur eines wollen wir nicht bestreiten,
es gab auch manche guten Zeiten,
die Menschen rückten näher; sie hatten noch Zeit,
keine Hektik und Stress bestimmten ihr Leben,
und das ist es, wonach wir uns heute noch sehnen.
So war sie wirklich, die alte Zeit,
doch heute ist sie Vergangenheit.
Seid ehrlich nun, wer wäre bereit,
noch so zu leben wie einst
„in der guten alten Zeit“?
Lore Volz
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Johanni 2010
Eurythmie im Nikolaus-Cusanus-Haus
Sprache bewusst als Bewegungsabläufe zu gestalten, diese Kunstform nennt sich
seit knapp 90 Jahren Eurythmie. Der Hintergrund ist, Bewegungen nicht nur nach
den körperlichen Gesetzen zu gestalten, wie in der Gymnastik, oder auch als Ausdrucksmittel
für eine emotionale Willensäußerung, wie beim Ballett. In der Eurythmie
wird der Körper zum Instrument der Seele. Die Gestaltungsmittel dieser Gebärdensprache
liegen in den Gesetzmäßigkeiten der Sprache – das hinter den Worten
liegende soll in Bewegungen der Arme und Beine sowie in Raumformen zum Ausdruck
gebracht werden.
Im NIKOLAUS-CUSANUS-HAUS beschäftigen sich viele Menschen mit der Eurythmie,
als Therapeut, Kursleiter, praktizierender Laie, Patient oder künstlerischer
Profi. Unvergessen sind die grandiosen Auftritte vom Ensemble des Eurythmeums
Stuttgart, welches neben einer Bühne auch eine Ausbildungsstätte betreibt. In der
Winterzeit wird von dieser Bühne immer ein Weihnachtsmärchen eurythmisch gestaltet.
Auch andere Ensembles finden sich in unserem Festsaal zu größeren künstlerischen
Veranstaltungen ein. Neben der Spracheurythmie, die Dichtungen, Märchen
und andere Texte bewegungsmäßig umsetzt, wird hier auch die Toneurythmie, die
Musikstücke wie Sinfonien in
gesetzmäßige, jedoch künstlerisch
variierte Bewegungen
und Formen umsetzt, aufgeführt.
Beispiele für Bewegungsformen im Raum
Einige Bewohner leben bei uns, die in jungen Jahren
eine Eurythmieausbildung absolviert haben. Hier lebte
noch der Pioniergeist durch die Dozenten, die ihre
Impulse direkt durch Rudolf Steiner, den Spiritus
Rector, und besonders auch durch Marie Steiner-von
Sievers, durch deren Einsatz die Eurythmie zu einer wirklichen Bühnenkunst heranwuchs,
erhielten. Eine davon ist Ursula Ziegenbein (* 1935), die sich schon während
ihres Eurythmiestudiums auch mit der Heileurythmie bei Frau Isabel de Jaeger
beschäftigte. Der Impuls der Heileurythmie wurde 1921 innerhalb des Ärztekurses
von Rudolf Steiner entwickelt. Einige Eurythmistinnen und Ärzte haben in der Folge
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Hauszeitung
intensiv weiter daran gearbeitet. Diese Bewegungstherapie basiert auf speziell modifizierten
eurythmischen Lautbewegungen und ist ein wesentlicher Bestandteil innerhalb
der anthroposophischen Medizin.
Zurück zu Frau Ziegenbein, die während ihres Berufslebens immer wieder zwischen
einer festen Anstellung in einem Heim oder einer Waldorfschule und einer freien
Heileurythmie-Praxis wechselte, überwiegend in Stuttgart. Seit 1973 war sie auch
als Dozentin in der Ausbildung von Heileurythmisten tätig. Inzwischen praktiziert
sie noch etwas im Nikolaus-Cusanus-Haus mit Einzelpatienten. Ich führte ein kleines
Interview mit ihr.
Das eurythmische „B“
S. Hirning-Goldberg: Frau Ziegenbein, können Sie
die Wirkensweise der Heileurythmie beschreiben?
Ursula Ziegenbein: Die Wirksamkeit zeigt sich in
der Zusammenarbeit mit dem Arzt. Sie beruht auf
der gestalteten Metamorphose des Lautes, der dem
Wesen der Krankheit entspricht. Denn ein Laut ist
objektiv, der Leib ist aus der Wortwelt gestaltet.
Daher heißt es auch im Prolog des Johannes-
Evangeliums: „Im Urbeginne war das Wort.“ Die
konkreten Zusammenhänge hat dann Rudolf Steiner
erforscht. Durch die individuell angewandte
Heileurythmie kann der Patient in das ihm angemessene
Gleichgewicht zurückfinden, aus dem er
durch die Krankheit gefallen ist.
S. Hirning-Goldberg: Worin unterscheidet sich die
Heileurythmie von der künstlerischen Eurythmie
und der Eurythmie im Schulunterricht?
Ursula Ziegenbein: Die künstlerische Eurythmie regt den Lebensorganismus an, die
Bewegungen innerlich mitzumachen. Die Heileurythmie oder auch hygienische Eurythmie
hat das Ziel, dass man sich selbst in die Harmonisierung bringt. Und die pädagogische
Eurythmie will Heranwachsende unterstützen, ihre höheren Wesensglieder
in die richtige Verbindung zum physischen Organismus zu bringen.
Johanni 2010
In das Nikolaus-Cusanus-Haus kommen regelmäßig zwei externe Heileurythmisten,
Frau Evelyn Warnet und Herr Frank Buchner. Frau Warnet betreut die Eurythmie im
Sitzen. Sie wird in einer der nächsten Hauszeitungen einen eigenen Bericht über ihre
Arbeit und ihre Erfahrungen geben.
Herr Buchner ist vor etwa 10 Jahren durch Vermittlung unserer verstorbenen Bewohnerin
Frau Möhle ins Haus gekommen. Er ist von Montag bis Donnerstag überwiegend
mit der einzeltherapeuthischen Heileurythmie beschäftigt. Die Patienten
werden von Ärzten vermittelt oder kommen auf eigene Initiative. Herr Buchner hält
dann Rücksprache mit dem behandelnden Hausarzt bezüglich der Therapie. Darüber
hinaus betreut Herr Buchner schon seit vielen Jahren jeden Dienstagvormittag einen
Kurs für rüstige Bewohner. Mit Freude an der Bewegung und auch künstlerischem
Anspruch werden hier die Grundelemente der Eurythmie anhand von Texten, wie
zum Beispiel von Goethe, Christian Morgenstern und Rudolf Steiner, erübt. Stabübungen
und die Grundelemente der Toneurythmie kommen ergänzend hinzu. Ein
Ziel dieses Kurses ist es, die Beweglichkeit sowie die räumliche und seelische Orientierung
der Kursteilnehmer zu fördern. Der Kurs ist offen für alle Interessierten,
wobei Grundkenntnisse der Eurythmie vorhanden sein sollten. Wenn es jedoch genügend
Interesse von Anfängern gibt, ist Herr Buchner gerne bereit, einen neuen
Anfängerkurs anzubieten.
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Sören Hirning-Goldberg
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Hauszeitung
Mitarbeiter, die im NIKOLAUS-CUSANUS-HAUS neu angefangen
haben:
Müller, Catharina Pflegebereich E 2
Tiedemann, Anna-Dorothea Pflegebereich E 2
Sordjan, David Pflegebereich E 3
Primke, Simone Empfang
Wir wünschen allen neuen Mitarbeitern einen
guten Start und viel Freude bei der Arbeit.
Mitarbeiter, die das Haus verlassen haben:
Ganster, Nadine Pflegebereich E 2
Kölle, Karen Pflegebereich E 2
Lich, Lilija Pflegebereich E 2
Jauß, Sonja Azubi Pflegebereich E 2
Maunda, Beryl FSJ Pflegebereich E 3
Steinmetz, Dark Pflegebereich E 4
Mwaura, Eunice FSJ Pflegebereich E 4
Cistakov, Sergej Zivi Haustechnik
Wir danken unseren ausgeschiedenen Mitarbeitern und wünschen
ihnen alles Gute.
Johanni 2010
Ihr 15-jähriges Jubiläum im NIKOLAUS-CUSANUS-
HAUS feierten in diesen Tagen:
Im April 2010
Trapp, Margarete Pflegebereich E 2
Im Mai 2010
Santos, Maria-Clara Pflegebereich E 2
Ihr 10-jähriges Jubiläum im NIKOLAUS-
CUSANUS-HAUS feierten in diesen Tagen:
Im März 2010
Grosse, Christiane Wohnzimmer
Im Juni 2010
Eissner, Dieter Aushilfe Haustechnik
Ihr 5-jähriges Jubiläum im NIKOLAUS-
CUSANUS-HAUS feierten in diesen Tagen:
Im Januar 2010
Eyyub-Nejim, Iman Pflegebereich E 2
Im April 2010
Blomen, Eva Pflegebereich E 2
Im Mai 2010
Christ, Olga Pflegebereich E 2
Im Juni 2010
Zoric, Gabrica Hauswirtschaft
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Mitarbeiter arbeiten künstlerisch
Hauszeitung
„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist
nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
Kostbare Zeit - 15 Minuten künstlerisches Schaffen
Friedrich Schiller: „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“
Es ist Mittwoch, 13.45 Uhr. Die Pflegenden des Pflegebereiches Ebene 3 im Nikolaus-Cusanus-Haus
betreten den Malraum. Sie finden sich zur künstlerischen Arbeit
ein, welche einmal in der Woche für eine viertel Stunde stattfindet. Noch sind sie
angeregt ins Gespräch vertieft. Mich kurz grüßend, suchen sie die begonnenen Werke
und nehmen Platz. Es dauert einen Augenblick, bis jeder richtig angekommen ist
und anfangen kann. Zu präsent sind die Inhalte aus der Übergabe, die Gedanken
weilen bei den Bewohnerinnen und Bewohnern und bei den Dingen, die noch zu erledigen
sind.
Dann aber tauchen sie ein in eine andere Welt, die der Farbe, Form und Komposition.
Im Frühjahr vergangenen Jahres entschied sich die Gruppe für ein gemeinsames
Projekt, an welchem zwölf Mitarbeiterinnen dieses Pflegebereiches teilnehmen.
Sie suchten sich ein Bild von August Macke – Farbige Komposition (Hommage à
Johann Sebastian Bach) 1912 – aus, welches farbkopiert und in verschiedene Abschnitte
geteilt wurde, sodass sich jeder einen Bildabschnitt auswählen konnte, um
ihn in einer selbst gewählten Technik umzusetzen. Hierbei sind die Mitarbeiterinnen
sehr kreativ. Begeistert und voller Vorfreude entscheiden sie sich für Mosaik, Malen
mit Wasserfarben, Häkeln, Spachteltechnik, Acryl, Pastell und Ölkreiden. Die fertig
gestalteten Bildabschnitte wollen sie wieder zu einem Gesamtwerk zusammenfügen
und dieses öffentlich im Haus ausstellen.
Inzwischen ist es ruhig geworden im Raum – wahrnehmbar ist die Verbindung der
Einzelnen mit ihrem Bild, die Konzentration. Ab und zu gibt es Fragen zur Technik
oder den Wunsch, gemeinsam mit mir das Bild zu betrachten – und dann ist die Zeit
auch schon um. Schnell werden Pinsel und Wassergläser gereinigt, und eine
geschäftige Atmosphäre entsteht wieder. In den wenigen Minuten künstlerischen
Schaffens war jedoch Ruhe eingekehrt, und die Pflegenden konnten ganz bei sich
sein und ihrer Kreativität freudig freien Lauf lassen. Als sie sich von mir verabschieden,
findet in den wachen Blickkontakten Begegnung statt. „Schade“, sagt
jemand, „dass ich jetzt aufhören muss, jetzt hätte ich richtig Lust, weiterzumachen.“
Johanni 2010
Auf der Pflegestation erleben sich die Pflegenden häufig im Konflikt zwischen
Pflicht, Verantwortung und den eigenen Bedürfnissen. Dies gilt auch für die Freude,
sich kreativ auszudrücken, und so wird der Termin für die künstlerische Arbeit
zunächst in die Schlange der vielen anderen Termine eingereiht. Die Entscheidung
für das schöpferische Tun wird dadurch wie zu einem Springen über ein Hindernis.
Wenn dieser Sprung aber gelingt, „kann ich eintauchen, und es macht mir so viel
Spaß, dass ich dann am liebsten noch länger bleiben würde“, so eine Teilnehmende.
Eine andere ist erstaunt: „Die Zeit ist so kurz, und doch bin ich danach so erfrischt
und angeregt.“ Ihre Kollegin formuliert: „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so
viel Freude beim Malen haben würde. Denn eigentlich kann ich das gar nicht, aber
das ist mir jetzt egal, es macht mir Spaß.“ Eine Pflegende ist überrascht: „Ich bin
immer wieder so überrascht, was dann entsteht, und bin auch begeistert über die
Werke meiner Kolleginnen.“ Die kurze Zeit des künstlerischen Arbeitens scheint
kaum eine Rolle zu spielen für das, was die Mitarbeiterinnen daran erleben. „Ich
kann in dieser Zeit ganz loslassen.“
In diesen Aussagen der Pflegenden kommt zum Ausdruck, was auch ich in dieser
gemeinsamen Zeit erleben kann. Es entsteht eine freudige und lebhafte Stimmung,
in der sie die Zeit miteinander genießen können. Murren und Knurren, dass manchmal
etwas nicht gelingt, gehören dabei auch dazu.
Wie alles begann
Ende 2001 kam ein neuer Bereichsleiter für den Pflegebereich Ebene 2 in die Einrichtung.
Das Team war aufgefordert, sich neu zu finden, was sich schwierig gestaltete.
Der Bereichsleiter suchte deshalb nach Möglichkeiten, den Teambildungsprozess
zu unterstützen. Fragen nach entsprechenden Angeboten führten dann, nach
Gesprächen mit der Gruppe, zu der Entscheidung, dass das Pflegeteam eine gemeinsame
künstlerische Arbeit beginnen wollte.
An einem Tag der Woche wurden von der Übergabezeit 30 Minuten dafür eingeplant.
Durch Veränderungen der Übergabezeiten reduzierte sich die Zeit für die
künstlerische Arbeit in 2005 auf 15 Minuten. Das Experiment startete und war zunächst
einmal zeitlich und ergebnisoffen angelegt. Wenn auch Wünsche und Hoffnungen
damit verbunden waren, so wusste doch keiner von uns, wohin uns der
gemeinsame Weg führen würde.
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Der gemeinsame Weg
Hauszeitung
Hoch motiviert freute ich mich auf die gemeinsame Schaffenszeit, vor allem wollte
ich einen Raum schaffen, in welchem jeder Einzelne ohne Leistungsdruck neue und
interessante, ihm entsprechende Ausdrucksmöglichkeiten finden konnte. Mein
Wunsch war, dass die Pflegenden gerne und ohne Ängste kommen konnten, sie die
schöpferische Quelle in sich entdecken und der individuelle, künstlerische Ausdruckswille
Unterstützung finden würde.
Um dies erreichen zu können, wählte ich freilassende Themen aus und führte die
verschiedenen Techniken spielerisch ein. Auf diese Weise war der Schwerpunkt
mehr auf das Kennenlernen derselben und nicht so sehr auf das Gelingen oder ein
Ergebnis gelenkt. Hierüber fanden Begegnungen mit sich selbst und anderen in
neuer Weise statt. Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine Ebene des Vertrauens,
was sich im gegenseitigen Interesse, den zunehmenden Fragen zur Technik und dem
Staunen über die ungeahnten eigenen Fähigkeiten und die der Kolleginnen und
Kollegen ausdrückte.
In den folgenden Jahren fanden die Mitarbeiterinnen zunehmend ihre Vorlieben und
Möglichkeiten heraus. Sie gewannen auch die Erfahrung, dass sich durch den spielerischen
Umgang mit Material und Technik viele Umsetzungsmöglichkeiten erschlossen.
Dadurch wurden sie mutiger, und das Tun konnte zum freudevollen Ereignis
werden.
In einer Arbeit zum Körperbild wurde dieser neu gewonnene Mut und eine sprühende
Schaffensfreude besonders erlebbar. Eine Mitarbeiterin hatte ich zum Beispiel
im Pflegebereich oder in gemeinsamen Pausen kaum wahrgenommen, da sie meist
ruhig und besonders zurückhaltend war. Auch in der Anfangszeit des künstlerischen
Schaffens wirkte sie sehr verhalten. Mir fiel sie jedoch nach kurzer Zeit dadurch
auf, dass ihre Bilder sehr schnell einen eigenen Stil hatten. Sie erzählte, dass sie
auch in ihrer freien Zeit malte, was vielen Kolleginnen und Kollegen nicht bekannt
war.
Sie begann damit, ihren auf Packpapier mit Graphitstift umrissenen Körper, je nachdem,
wie sie sich in welchem Körperraum fühlte, mit Landschaftsbildern auszugestalten.
Sie hatte großen Spaß dabei, und so wurden die Bilder im Körperinneren
liebevoll gestaltet und in Beziehung zueinander komponiert. Einen ganz besonderen
Ausdruck fand das Werk durch die Gestaltung der Körperumgebung. Hierzu hatte
sie große Farnblätter gesammelt, gepresst und suchte nach einer Möglichkeit, Abdrucke
der Farne herzustellen, um damit das Umfeld der Figur zu gestalten. Auf der
Johanni 2010
Suche nach Möglichkeiten fanden wir in der Werkstatt eine Sprühdose mit einem
Rest blauen Autolacks. Sie besprühte die Farnblätter mit großer Begeisterung und
war sehr glücklich über die Vollendung ihres Kunstwerkes. Mit diesem Werk nahm
sie an einer Ausstellung in der Einrichtung teil. Ihre anfängliche Zurückhaltung war
gewichen, und im Laufe der künstlerischen Arbeit wurde sie von Mal zu Mal mutiger
und in der Gestaltung freier. Unkonventionell suchte sie nach Umsetzungsmöglichkeiten,
das Gesicht war glühend vor Begeisterung, und die Augen leuchteten.
Die Veränderung hat mich tief bewegt und beeindruckt.
Sieben Jahre sind seit dem Start vergangen. Den Ausgangspunkt – die Teambildung
– hatte ich schon kurz nach dem Start nicht mehr im Blick. Gelungen ist sie,
unterstützt durch die künstlerische Arbeit der Pflegenden. Vielmehr aber sind die
15 künstlerischen Minuten für die Mitarbeiterinnen zu einem freien Raum geworden,
in welchem sie aus eigenem Entschluss ihre schöpferische Quelle pflegen
können, basierend auf der Erfahrung, dass diese nicht versiegt. Sie genießen die Zeit
lust- und freudevoll und sehen sie als Auszeit, in welcher sie etwas nur für sich
selbst tun dürfen.
Eine Voraussetzung dafür, dass die Mitarbeiterinnen in diese Arbeit eintauchen
können und sie zu einem freudigen Erlebensmoment wird, ist das Vertrauen in mich.
Sie wissen, dass ich in dieser Zeit verlässlich da bin, um gemeinsam Lösungen zu
suchen. Es bereitet mir unbeschreibliche Freude, sie auf ihrem künstlerischen Weg
zu begleiten.
Rückblickende Äußerungen der Teilnehmenden
Ich habe jetzt Zutrauen und freue mich auf das künstlerische Tun. Es ist für mich
eine Auszeit, in der ich meiner Lust auf Neues und meiner Freude, zu experimentieren,
nachgeben kann.
Ich sehe bei mir eine Entwicklung im Künstlerischen. Durch den experimentellen
Umgang mit Farben, Anregungen und Informationen entstanden neue Möglichkeiten.
Ich bin nun auch zuhause künstlerisch tätig und bin interessiert, vieles auszuprobieren.
Dadurch kann ich Bilder anders anschauen und mich mit dem Künstler
und seiner Zeit beschäftigen. Ich wünsche mir, dass die Arbeit weitergehen soll, sehr
bereichernd finde ich, wenn zwischendurch Bildbetrachtungen stattfinden und wir
auch etwas über die Künstler erfahren. – Ich habe große Lust, noch mehr zu
experimentieren.
Die künstlerische Arbeit ist eine Abwechslung, auch eine neue Erfahrung.
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Hauszeitung
Man kann Gefühle zeigen, es ist auch eine Pause zum Atemholen, man kann
Kreativität leben.
Es ist eine Beschäftigung mit sich selbst, ich nehme mir Zeit für mich und kann vom
Alltag abschalten.
Zuerst ist es eine Pflicht oder Verbindlichkeit, weil wir diese Zeit ausgemacht haben,
aber dann lasse ich mich darauf ein, und es entsteht viel Neues.
Für mich war die künstlerische Arbeit eine Auszeit von der Pflegetätigkeit, schaffte
Abstand zum Alltag in der Pflege und schuf einen Ausgleich dazu. Es war ein
schönes, freudiges Schaffen, Bleibendes entstand und stellte dadurch einen Kontrast
zur Pflegetätigkeit dar.
K. A. ist eine nonverbale Ausdrucksmöglichkeit der Seele, man kann den Gefühlen
freien Lauf lassen, dadurch auch Probleme bewältigen. Ich mache dadurch Erfahrungen
über mich und die Welt, neue und unbekannte Seiten werden sichtbar, die im
Alltag nicht erscheinen können. Es können neue Erfahrungen gemacht werden,
anderes Lernen wird ermöglicht, auch durch den Umgang mit unbekannten Materialien.
Unbewusstes kann ans Licht kommen. Es entsteht Neugier auf Anderes,
Fremdes. Es ist eine Kraftquelle In spielerischer Art kann Lernen über die Grenzen
stattfinden.
Es ist auch eine Art der Entspannung. – Überwindung trotz Belastung war immer
positiv, danach waren wir alle entspannter, gelöster und belebt.
Hinweis: Dieser Artikel erschien im Demenz Magazin „Genussvoll“ 2010.
Resümee
In der Begleitung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fand auch für mich eine
immer neue Auseinandersetzung in diesem Prozess statt. Ich lernte von meinen
Ideen Abstand zu nehmen und immer wieder neu fragend in den Dialog mit ihnen zu
gehen. Es gilt dabei herauszufinden, wodurch sie Unterstützung auf dem künstlerischen
Weg erfahren können, und wahrzunehmen, welche Möglichkeiten – im Sinne
von Freiraum, Offenheit und Motivation – ihnen aktuell zur Verfügung stehen.
Der Pflegealltag fordert ein hohes Maß an Kreativität, Einfühlungsvermögen, Empathie,
Kommunikationsbereitschaft und vieles mehr von den Pflegenden.
Johanni 2010
Durch die künstlerische Arbeit kann die Entfaltung der schöpferischen Kräfte
unterstützt und die Seele in wärmend freudiger Weise gestärkt werden. Dazu braucht
es den freien Entschluss jedes einzelnen.
Dass dies seit Jahren gelingt, achte ich hoch. Mein Respekt und meine Anerkennung
gelten den pflegenden Kolleginnen und Kollegen.
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Renate Matthees
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Hauszeitung
Johanni 2010
Veranstaltungen
Johanni bis Weihnachten 2010
Sonntag 27.06.2010 16.30 Uhr Johannifeier
Samstag 03.07.2010
Sonntag 04.07.2010
Samstag 10.07.2010
16.00 Uhr Sommerfest
mit Musik aus Spanien
15.30 Uhr Kammerkonzert
Stuttgarter Kammerorchester
mit Werken von Schubert, Janacek,
Bruckner und Mozart
10.00 Uhr Monatsfeier der Silberwaldschule
Darstellungen aus dem Unterricht
der Waldorfschule Silberwald
Mittwoch 14.07.2010 17.00 Uhr „Der Kleine Prinz“ von Antoine de
Saint-Exupéry,
aufgeführt von Betreuten der
Karl Schubert-Werkstätten
Leitung: Norbert Heese
Samstag 17.07.2010 17.00 Uhr Orchesterkonzert
9. Sinfonie von Antonín Dvořák
Akademisches Orchester der Universität
Tübingen
Leitung: Tobias Hiller
Sonntag 25.07.2010 10.00 Uhr Eröffnung der Gedächtnisausstellung
Wera und Alfred Bockemühl
Aquarelle, Pastelle und Zeichnungen
Die Ausstellung ist bis 17.10.2010
täglich von 09.00 bis 12.00 Uhr
und von 14.00 bis 17.00 Uhr zu sehen.
- Sommerpause -
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Hauszeitung
Samstag 18.09.2010 17.00 Uhr Duokonzert aus Lübeck
Seul Ki Cheon (Südkorea), Klavier
Mathias Johansen, Cello
Samstag 25.09.2010 19.00 Uhr Solistengala mit dem
Arcata Kammerorchester Stuttgart
mit Werken von J. S. Bach, W. A. Mozart
und F. Mendelssohn-Bartholdy
Leitung: Patrick Strub
Eine Veranstaltung in der Kulturreihe
Birkach des BKV
Mittwoch 29.09.2010 16.30 Uhr Michaelifeier
Samstag 09.10.2010 17.00 Uhr Benefizkonzert
zu Gunsten der Silberwaldschule
Mittwoch 13.10.2010 17.00 Uhr Duo Con Spirito, Stuttgart
Barbara Kolben, Viola
Christoph Weber, Klavier
Samstag 16.10.2010 17.00 Uhr Kammerkonzert
Das Ensemble Gioconda spielt Werke
von Georg Philipp Telemann,
Carlo Ricciotti, Franz Beck,
Friedrich dem Großen und anderen
Sonntag 24.10.2010 10.00 Uhr Ausstellungseröffnung
Samstag 30.10.2010 17.00 Uhr Das Traunsteiner Trio
Franz Schubert, Trio in Es-Dur,
op. 100, D 929
Ekaterina Danilowa, Klavier
Hans Leonhardt, Violine
Michael Schroeter, Violoncello
Mittwoch 03.11.2010 17.00 Uhr „Hörst du, wie die Flammen
flüstern?"
Balladen - dramatisch, spannend!
Rezitiert von Jutta Menzel, Stuttgart
Johanni 2010
Samstag 06.11.2010 17.00 Uhr Musikalisch-literarisches
Herbstprogramm
Dein Theater, Stuttgart
Samstag 13.11.2010 14.30 bis
17.30 Uhr
Martinimarkt
Samstag 20.11.2010 17.00 Uhr Winnender Kammerorchester
Leitung: Manfred Deffner
Sonntag 21.11.2010 16.30 Uhr Totengedenkfeier
Samstag 27.11.2010 19.00 Uhr „Alfons – mein Deutschland“
Alfons versucht, die Deutschen zu
verstehen.
Von und mit ALFONS (Emmanuell
Peterfalvi)
Eine Veranstaltung in der Kulturreihe
Birkach des BKV
Sonntag 28.11.2010 16.30 Uhr Feier zum 1. Advent
Adventsgärtchen mit Musik
im großen Innenhof
Mittwoch 01.12.2010 17.00 Uhr Chor der finnisch-evangelischen
Gemeinde
Vorweihnachtliches Chorkonzert
Samstag 04.12.2010 16.00 Uhr Stuttgarter Advents-Singen
Chor- und Instrumentalmusik
mit Geigen, Flöten, Dudelsack, Harfe,
Zither und Hackbrett
Gesamtleitung: Gerlind und
Herbert Preisenhammer
Donnerstag 16.12.2010
16.30 Uhr
18.00 Uhr
Oberuferer Weihnachtsspiele
Paradeisspiel
Christgeburtspiel
Kumpanei des Nikolaus-Cusanus-
Hauses
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Freitag 17.12.2010
15.00 Uhr
16.30 Uhr
Oberuferer Weihnachtsspiele
Paradeisspiel
Christgeburtspiel
Kumpanei des Nikolaus-Cusanus-
Hauses
Freitag 24.12.2010 16.30 Uhr Weihnachtsfeier
Hauszeitung
Sonntag 26.12.2010 16.00 Uhr Märcheneurythmie
Ein Märchen der Gebrüder Grimm
Eurythmeum Stuttgart – Märchenensemble
– Änderungen vorbehalten –
Johanni 2010
Farbtupfer im Alltag
„Wenn mancher Mensch wüsste, wer mancher Mensch wär‘, gäb‘ mancher Mensch
manchem Mensch manchmal mehr Ehr’!“
Da unsere Hauszeitung nur noch zweimal im Jahr erscheint, schreibe ich nicht mehr
so ausführlich über jede einzelne Veranstaltung. Ich bitte dafür um Ihr Verständnis.
Es ist mir jedoch wichtig, den Alltag zu beschreiben, weshalb dieser Bereich einen
größeren Teil einnehmen kann. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden.
Die Adventszeit wird in unserem Haus immer eingeläutet durch das Adventsgärtlein.
Wir entzünden Kerzen im Gedenken an liebe Verstorbene und schließen
damit die Totengedenkzeit ab. Dabei wird mir immer wieder klar, dass wir oft wenig
über unsere Mitbewohner wissen – oft erfahren wir erst bei der Verabschiedung, wer
da von uns gegangen ist. Manche Mitbewohner können wir leider gar nicht wahrnehmen,
weil sie nicht mehr aufstehen können. Einige leben und erleben nur noch in
ihrem Zimmer, manche sogar lange Jahre. Aber sie leben mit uns, haben unsere Lebensgemeinschaft
ausgesucht, und wir sind – mindestens auf einer geistigen Ebene,
im Schlaf, im „Traumland“ – mit ihnen verbunden. Da ist es schön, dass wir sie bei
einer Verabschiedung noch ein bisschen besser kennenlernen und sie in die geistige
Welt geleiten können. Auch zeigen wir so den Angehörigen unsere Anteilnahme an
ihrem Verlust. Das ist ein schöner Brauch.
Im Advent wird es draußen immer dunkler, bei uns wird es heller: durch diese Zeit
begleiten uns viele Lichter. Aber sie ist auch charakterisiert durch Gebäck, Düfte,
Musik, Dekoration. Eine heimelige Atmosphäre erfüllt das Haus. Wir erinnern uns
gern an das Adventscafé auf der Galerie, das gemeinsame Singen im Festsaal und
mit Frau Waltjen. An das Adventskonzert des Chors der Sing-, Tanz- und Spielkreise
in Baden-Württemberg und des Bundes der Vertriebenen von Stuttgart. Das
Orchester mit Dudelsäcken, Hackbrett und Zither, Liedern und lustigen Geschichten
– sie alle lassen einen ein seltsames Heimweh nach kindlicher Geborgenheit fühlen.
Auch dem Förderverein Flötentöne Steinenbronn, der Flötengruppe der Karl Schubert-Werkstätten
Bonlanden und dem Chor der Christengemeinschaft Stuttgart gilt
unser Dank, dass sie uns in eine andächtige Stimmung eintauchen und uns immer
wieder einhalten lassen. Die Oberuferer Weihnachtsspiele dürfen nicht fehlen, und
es ist jedes Jahr wieder eine große Anstrengung der Mitarbeiter, die wir sehr wohl
zu schätzen wissen, und für die wir dankbar sind, gehören sie doch zu einem
„richtigen“ Weihnachtsfest dazu.
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Hauszeitung
Weihnachten rückt näher, und die Krippen, die im Laufe der Adventswochen
immer reicher wurden, werden ergänzt durch Weihnachtsbäume im ganzen Haus, in
den Speiseräumen der Pflegebereiche und im Café. Wir feiern Weihnachten gemeinsam
im Festsaal. Die Bewohner, die nicht selber hingehen können, werden gebracht.
Musik erklingt, die Weihnachtsgeschichte wird vorgelesen, und dann singen alle gemeinsam
mit Klavierunterstützung. Das ist ganz besonders feierlich.
Im Restaurant und in den Speiseräumen gibt es ein liebevoll vorbereitetes Weihnachtsessen
bei Kerzenlicht, schöner Dekoration und Weihnachtsbaum.
Die Weihnachtszeit ist stark mit dem Gefühl der Ruhe verbunden. Nach der vorweihnachtlichen
Umtriebigkeit ist es wie ein Ausatmen, das gut tut.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag kommt immer das Märchenensemble des Eurythmeum
Stuttgart zu uns. Dieses Mal zeigte es uns den „Teufel mit den drei goldenen
Haaren“. Das war schön! Schon allein zu hören, wie das Märchen erzählt wird, ist
ein Genuss! Dazu kommen ein einfaches, aber schönes Bühnenbild und natürlich die
beweglichen, wandelbaren Darsteller mit ihren ausdrucksvollen Gewändern und Bewegungen.
Diese bewundernswerte Leistung wurde – passend zum Märchen – mit
zwei Körben ganz voller Geschenke belohnt, die ein kleiner Esel brachte, der von
den Künstlern liebevoll empfangen wurde. Was für eine reizende Idee! Wir dankten
mit herzlichem Applaus und gingen bewegt und erfüllt in den Alltag zurück.
Das alte Jahr wird mit einer Silvesterfeier im Festsaal und anschließendem Silvester-Festessen
verabschiedet, und diese Nacht ist absolut nicht ruhig! Dieses Jahr
waren wohl besonders viele böse Geister zu vertreiben. Es ist unglaublich, wie viel
„Geld in die Luft geschossen wird“, aber ich finde, es wird immer so viel Geld für
Menschen in Not gespendet, dass man das durchaus „darf“!
Ich bin sehr froh, dass bei uns die dunkle Jahreszeit nur sehr kurz ist: nach Weihnachten
werden die Tage schon bald ein kleines bisschen länger, und nach dem Jahreswechse1
wird es immer deutlicher. Mit der längeren Helligkeit kam der Schnee.
In Mengen! In Norddeutschland gab es gleich nach den Weihnachtsferien schulfrei
wegen des Schnees! Da passt die Bauernweisheit: „Werden die Tage länger, wird
der Winter strenger!“ Er wollte gar kein Ende nehmen! So viel Schnee hatten wir
schon lange nicht mehr! Das Birkacher Feld war wochenlang tief unter Schnee
versteckt. Als ich in den Asemwald fahren wollte, rutschte der Rollstuhl vom Weg
ab in tiefen Schnee. Ich musste aber gar nicht lange warten: Zwei Frauen, die mit
ihren Hunden dort spazieren gingen, kamen gleich und zogen mich mühsam wieder
Johanni 2010
auf den Weg zurück, an eine Stelle, von der aus ich weiterfahren konnte. Da hatte
ich Glück! – Für den Rückweg habe ich lieber den Bus genommen ...
Die Sternsinger und Frau Marion Tudge, die für uns das „Traumlied des Olav
Ǻsteson“ sang, haben es trotz Schnees geschafft, zu uns zu kommen. Ebenso die
Reutlinger Kumpanei: sie spielte am 7. Januar für uns das Oberuferer Dreikönigspiel.
Dass es Herrn Michael Schreyer gelang, hier seinen Vortrag zu halten, war ein
Glück: machte er uns doch die Finanz- und Wirtschaftskrise als Krise des Systems
durchschaubarer.
Es ist herrlich, wenn die ganze Welt weiß ist: alles sieht sauber und freundlich aus.
Ein besonderer Zauber liegt über der Landschaft, besonders wenn dann auch noch
die Sonne scheint. Auch die Nächte sind bei Schnee heller!
Die Landschaft war weiß, und ins Haus kamen neue Farben: eine neue Ausstellung
begann. Bei der Vernissage zu „Ungesagtem und anderen Bildern“ von Susanne
Elsesser-Magg schlug Herr Dr. Armin Carl Mukhlis den Bogen über die bildenden,
d. h. die räumlichen Künste Architektur, Skulptur und auch Relief zum Bild, das
Formen allein durch Farben bildet. Frau Elsesser-Magg nun verbindet zum Teil
Relief und Bild. Sie arbeitet auch mit Starrheit und Bewegung, die oft durch ein
kleines Element im Bild hervorgerufen wird. Frau Dorota Welz umrahmte den Vortrag
mit kleinen Stücken von Piazzola. – Diese zum Teil wunderbaren Farben begleiteten
uns bis in den April.
Einen Teil der Schönheit einer Winterlandschaft macht auch die Stille aus. Alles ist
von einer Decke zugedeckt und scheint zu schlafen. Auch fallende Schneeflocken
bringen eine unglaubliche Ruhe mit sich. In der Natur herrscht eine geheimnisvolle
Stille, man kann sie geradezu hören.
Ruhe brachten auch die Studenten des Priesterseminars in unseren Festsaal mit dem
iro-schottischen Singspiel „Der Stern steht still“. Nach einer schlichten, aber eindringlichen,
sehr schön gesprochenen Ansprache schritten sie singend durch den
Saal auf die Bühne. Die würdevollen Bewegungen, die ruhigen, getragenen Melodien
und die schönen Farben versetzten uns in ein ehrfürchtiges Staunen, und die
friedvolle Stimmung des Spiels übertrug sich auf das Publikum, das tief gerührt verharrte
und mit dem Applaudieren wartete, bis das Lied auch aus der Ferne nicht
mehr zu hören war!
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Hauszeitung
Genau ein Jahr nach ihrem letzten Auftritt bei uns kamen die Tübinger Studenten
Ende Januar wieder zu uns: am 24.01. sang der Kammerchor Concerto vocale unter
der Leitung von Peter Unterberg Werke von C. Monteverdi (16. Jh.) bis F. Mendelssohn-Bartholdy
(19. Jh.) unter dem Titel „Von Venedig nach Dresden und Leipzig“.
Der Chor besteht nicht nur aus Musikstudenten, und es ist bewundernswert,
wie sich die schönen, reinen Stimmen zu den vielfältigen Klängen harmonisch und
beweglich verbinden. Das war ein schönes Konzert!
Mit einem interessanten Lichtbildervortrag führte uns Herr Alfred Gansel in die
Welt der Götter Nepals ein. Nepal erstreckt sich von 60 m über dem Meeresspiegel
im Süden bis auf 8.848 m im Norden. Da ist der Himalaya. Die Berge tragen heilige
Namen, weil sie Sitz der Götter sind, und deren gibt es viele, so wie auch Ethnien.
Hauptreligionen sind Hinduismus und Buddhismus, die mit anderen Religionen
verflochten sind und friedlich zusammenleben. Die Hauptstadt Kathmandu war
früher eine Königsstadt. Sie liegt in einem Tal, das in alten Zeiten ein See war – bis
ein Gott mit seinem Schwert einen Durchlass schuf. Jetzt fließt da ein Fluss. – Das
war ein schöner erster Einblick, der mit dem Hinweis „l. Teil“ auf eine Fortsetzung
hoffen lässt.
Am 30. Januar verzauberte uns das Akademische Orchester der Eberhard-Karls-
Universität Tübingen unter der Leitung von Tobias Hiller mit märchenhaften, zarten
Klängen, und wir tauchten ein in den „Verzauberten See“ von A. K. Ljadow und begegneten
dem „Schwan von Tuonela“ von J. Sibelius, „Ma mère l‘Oye“ von M. Ravel
und dem „Feuervogel“ von I. Strawinski – der ließ uns allerdings mit seinen feurigen
Klängen wieder auftauchen. Herrlich! Das akademische Orchester ist riesig,
und alle Instrumente sind da: Triangel, Pauken, Harfe, Blech- und Holzbläser –
darunter ein hervorragend gespieltes Englischhorn! – und natürlich viele Streicher,
darunter vier Kontrabässe. Sie nahmen uns gefangen mit Stimmungen vom zartesten
Piano bis zum umwerfenden Fortissimo! Wunderbar!
So ging der Januar zu Ende. Eine Bauernweisheit sagt: „Ist der Januar weiß, wird
der Sommer heiß.“ – Der Januar war weiß – jetzt dürfen wir gespannt sein, wie der
Sommer wird.
Zunächst wandten wir uns jedoch der Fünften Jahreszeit zu: Zwei Dozentinnen aus
dem brasilianischen Porto Allegre machten uns in einer „Musikalischen Zeitreise
von Wien nach Rio“ mithilfe ihrer Viola und ihrer Gitarre mit dem Einfluss von
Wiener Klassik und Biedermeier auf die Entstehung einer brasilianischen Kammermusikform
bekannt, die auf der anderen Seite folkloristischen Ursprungs ist.
Johanni 2010
Lustig ging es in der Komödie „Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni zu, die
das Tournee Theater Stuttgart in einer modernen, witzigen und einfallsreichen
Fassung spielte.
Die Faschingszeit schloss eine heitere Eurythmie ab. Die war köstlich! Die
Kostüme, die Bewegungen und vor allem die Sprache – ein Genuss!
Wir werden von der Pflege immer angehalten, viel zu trinken: Das ist wichtig. Aber
es ist so schwer! Eine Mitbewohnerin saß gedankenverloren vor ihrem Glas, plötzlich
begann sie zu singen: „Trinke, Liebchen, trinke schnell ...“ Das ist aus der „Fledermaus“.
Wir sangen gemeinsam weiter, und es entstand ein schönes Gespräch
über Opernbesuche. Wir stellten fest, dass wir beide die Waldorfschule Uhlandshöhe
besucht hatten. Das war eine Sternstunde. Seitdem haben wir so manches Lied
zusammen gesungen, zum Beispiel auch Geburtstagslieder für unsere Mitbewohnerinnen.
In dieser Zeit sind die Blumenfeen, die die Jahreszeitentische schmücken, sehr
gefordert: Weihnachts- und Dreikönigsdekoration wird ersetzt durch Faschingsfigürchen,
die ersten Primelchen kommen, danach die Karwochen- und die Osterdekoration.
Es muss ständig gewechselt werden, und es gibt immer neue Blumen –
das ist immer hübsch! Auch der „Urwald“ bekam eine besondere Zier: die Yuccapalmen
trieben Blütenbällchen mit lauter kleinen weißen Sternchen, die mit beginnender
Dunkelheit dufteten – süß und schwer! Bei mir steht eine solche Palme direkt
vor der Tür, das genieße ich – aber nicht zu lang: es ist zu stark. An anderer Stelle
findet man Aaronstab, Kamelie und andere Blüten, die Farbtupfer ins Grün malen.
Auch ums Haus herum beginnt der alljährliche Farbreigen, der immer mit der
Hamamelisblüte eröffnet wird. Und die Vögel beginnen, den Morgen mit Gesang zu
begrüßen.
Im Haus gibt es ebenfalls Vögelchen, die zwar nicht singen, aber doch grüßen: sie
künden vom Wohlbefinden des Bewohners, an dessen Tür sie hängen. Es war die
großartige Idee einer lang verstorbenen Mitbewohnerin, den „Kontrolleuren“ mitzuteilen,
dass man wohlauf ist, indem man das Bild des Vogels umdreht. Und der
„Kontrolleur“ wendet es dann wieder um. So wissen diese Bewohner wiederum,
dass auch er wohlauf ist. Das ist eine geschickte Einrichtung für Bewohner, die nicht
jeden Tag von der Pflege besucht werden. Und es ist ein Schritt zu einer Lebensgemeinschaft,
wenn man sich gegenseitig wahrnimmt.
Und wieder fanden wir uns im Saal ein: zu einem Tierfilm im Rahmen des „Großen
Kinos“, in dem uns faszinierende Aufnahmen aus dem Leben des „Volks der Grä-
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Hauszeitung
ser“ gezeigt wurden. Da bekam eine Ameise einen riesigen Regentropfen mitten auf
den Kopf, und ein Mistkäfer kämpfte mit einer ungeheuren Kugel – und erhielt
spontanen Applaus, als er das Hindernis endlich überwunden hatte. Das waren
schöne Bilder!
Eine Gruppe von begeisterten Eurythmisten aus Erewan in Armenien zeigte uns ein
Märchen in ihrer Sprache. Nach einer Einführung in exzellentem Deutsch konnten
wir eintauchen in eine fremde und doch vertraute Welt von herrlichen Bildern,
Farben, Bewegungen und Worten. Die Begeisterung übertrug sich auf uns: es
herrschte fast atemlose Stille im Saal, die sich nur zögernd in Applaus löste!
Während bei uns das Duo „Terra e Aria“ (Erde und Luft) virtuos zarte, flotte Musik
für Flöte und Harfe spielte, tobten „draußen“ Erde und Luft: nach einem schlimmen
Erdbeben in Haiti wurden auch Chile und die Türkei von heftigen Erdbeben, Chile
auch noch von einem Tsunami heimgesucht. Europa, besonders Frankreich und
Deutschland, erlebte einen Sturm wie seit zehn Jahren nicht mehr! Viele, viele Opfer
sind allenthalben zu beklagen. Wir „sind noch einmal davongekommen“!
Als jedoch der ferne Vulkan auf Island ausbrach, waren auch wir betroffen: die
Flughäfen wurden geschlossen, d. h. Gäste kamen nicht an, Urlauber nicht zurück –
und wir erlebten eine außergewöhnliche Stille am Himmel.
Das Wohnzimmer auf Ebene 4 besteht seit zehn Jahren, und im März gab es ein
großes Fest. Das Wohnzimmer ist eine wunderbare Einrichtung, in der sich die
Bewohner mit großer Freude einfinden. Was sie dort basteln, kochen, backen wird
ausgestellt und zum Beispiel auf dem Martinimarkt zum Verkauf angeboten. Am
Festtag kam ich am Nachmittag vorbei, da saßen einige Bewohner und bereiteten ein
Festessen vor. Ich durfte ein Glas Sekt mit selbstgemachtem Holunderbeerensirup
versuchen – das war köstlich!
Auf Ebene 1 gibt es nun auch ein Wohnzimmer, von dem unsere Mitbewohner mit
roten Wangen zurückkommen. Dort wird ebenfalls gebastelt, gebacken und gekocht
– manchmal sogar ein gemeinsames Mittagessen.
Der Vormittag beginnt mit Liedern und Versen, die Frau Discher in großen Buchstaben
in einem Heft zusammengefasst hat. Zur Orientierung in der Zeit werden
Datum und Jahreszeit genannt und entsprechende Lieder gesungen. Der Jahreszeit
entsprechend wird Marmelade gekocht und abgefüllt, werden Ostereier angemalt,
Bratäpfel gebacken oder Plätzchen. Dazu weiß natürlich jede Hausfrau Tipps.
Erinnerungen werden wachgerufen und geteilt. Auch über die Namen der Bewohner
und ihre Bedeutung wird gesprochen. Es werden Spiele wie „Mensch ärgere dich
Johanni 2010
nicht“ oder mit Bällen (sogar mit Flummis!) gespielt. Als die olympischen Winterspiele
in Vancouver stattfanden, gab es auch im Wohnzimmer eine Olympiade:
immer zwei Bewohner traten gegeneinander an. Sie schäumten um die Wette Milch
mit einem Röhrchen auf, formten Brezeln aus Pfeifenreinigern, balancierten Eier
von einem Löffel in den anderen, zogen Gummihandschuhe an – wissen Sie, wie
schwer das ist? –‚ knoteten und entknoteten Tücher – immer unter dem eifrigen
Anfeuern der anderen. Alle waren mit Begeisterung und Freude dabei! Und alle
bekamen eine Medaille in Form einer in Goldpapier gewickelten Schokolade.
An schönen Tagen werden Ausflüge in Wald und Park gemacht, wo Kastanien o. ä.
gesammelt werden – da wird das Herz weit.
Alle – auch und besonders Frau Discher – sind mit großer Freude dabei, und es wird
viel gelacht! Und man ist erstaunt, wie wach Menschen dabei sind, die nur zu
träumen scheinen!
Anfang März lag so viel Schnee, dass das Süddeutsche Salonorchester – mit Stehgeiger,
Flügel, Cello, Kontrabass, einem Klarinettisten, der flugs zum Saxophonisten
wurde, und einem Tenor mit angenehmer, wandelbarer Stimme – vor nicht voll
besetztem Saal spielte. Die vielen und berühmten Arien und Lieder aus Operette und
Film – das ging von Russland bis Spanien und von zart bis fetzig – wurden dem Titel
„Ein Lied geht um die Welt“ gerecht. Es war ein herrlicher Abend voller
Erinnerungen.
Als Frau Dr. Mascher uns in ihrem Dia-Vortrag „Beim Rauschen des Bheri-Flusses“
vom Alltag im Charjahari-Hospital im – flachen – Westen Nepals mit den schwer
arbeitenden, aber zufriedenen Menschen erzählte, schmolz der Schnee langsam, und
man konnte wieder ohne Gefahr hinausgehen.
Zu Frühlingsanfang, am 20. März, war der Schnee tatsächlich weg – vorerst! An
diesem Tag war das PaulusOrchester bei uns und spielte erst Ouverture, Scherzo und
Finale von R. Schumann, dessen 200. Geburtstags heuer gedacht wird, dann das
Klavierkonzert Nr. 2 von J. Brahms mit dem noch nicht einmal 17-jährigen Jonas
Emanuel Haffner, der bravourös und alles auswendig spielte! Das war ein hervorragendes
Konzert.
Wie jedes Jahr waren auch dieses Jahr Chor und Orchester der Filderklinik am
Vorabend des Palmsonntag bei uns und – ja, man kann sagen: feierten mit uns die
Messe in Es-Dur von F. Schubert, die er in seinem Todesjahr schrieb. Wir waren so
bewegt, dass nach dem letzten Akkord eine lange Stille herrschte! – Einen
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Hauszeitung
besonderen Applaus erhielt ein Mitbewohner, der mit Mühe zur Bühne ging, um der
Dirigentin, Frau Monica Bissegger, und dem ersten Geiger einen Kranz umzulegen!
Ich glaube, diese Auszeichnung begleiteten alle Zuhörer mit Anerkennung, war
dieses Konzert doch eine bewegende Einstimmung in die Karwoche.
Geht es auf ein Jahresfest zu, beginnt immer ein geheimnisvolles Tun. Vor Ostern
werden Eier bemalt, Blumen gesteckt, Kuchen gebacken ... Der Ostersonntag beginnt
dann mit einem Jubelchor im Innenhof. Da herrscht eine wunderbare
Stimmung! Zum Frühstück gibt es Ostereier, und der Tisch ist hübsch geschmückt.
Da schmeckt es besonders gut, und es entsteht ein munteres Gespräch.
Vor 20 Jahren wurde der Grundstein für unser Haus gelegt, das feierten wir am
Ostermontag im Festsaal.
Zu diesem Anlass gab es eine Chronik, die einen interessanten, farbenfrohen und
abwechslungsreichen Rückblick über diese schwierige, schöne, ereignisreiche Zeit
gibt.
Nun hatten auch die Wolken ein Einsehen und ließen die Sonne durch, und unser
Garten wurde in Rosa und Weiß getaucht. Zwar blieb der April seinem Ruf treu,
aber es gab doch durchaus warme Tage, an denen nicht nur Blumen und Bäume
erblühten, sondern auch die Seele.
Und schon ging es weiter mit Kammerkonzerten: Annemieke Schwarzenegger und
Bernhard Bücker boten uns Cellikatessen mit Cello und Klavier, darunter eine
Komposition eines ihrer Schüler, die er mit ihren Initialen schuf: A-es-c-h und b-b.
Das war lustig.
Das Ilios-Trio – Geige, Cello und Klavier – und das Trio Orplid – Oboe, Fagott und
Klavier – brachten uns die Sonne Italiens und Spaniens – letzteres zugunsten der
Silberwaldschule – ein Genuss!
Unsere Umgebung spricht unsere Sinne auf verschiedenste Weise an: da sind die
Konzerte, die uns erfüllen, und die Natur mit ihren Düften. Dazu kommen die
„richtigen“ Farbtupfer und auch etwas für den Tastsinn: Am letzten Sonntag im
April wurde eine Ausstellung mit Bildern und Skulpturen eröffnet. Das Besondere
an dieser Ausstellung ist, dass Werke von Vater und Sohn gezeigt werden – von
Vater Karl Kluth und Sohn Simon.
Die Bilder von Simon Kluth sind farbenfroh, und man kann lange davor verweilen:
Johanni 2010
man findet immer noch eine Winzigkeit. Von Karl Kluth sind Linolschnitte zu sehen
und Zeichnungen, die als Vorlagen für die Skulpturen dienten und an berühmte
Vorbilder erinnern, und die ausdrucksvollen, fein gearbeiteten Köpfe und Gestalten.
Die Vernissage wurde umrahmt von barocker Musik, gespielt von einem jungen
Klavier-Trio aus Kassel, das den Eindruck verstärkte, dass die beiden Künstler von
einem liebevoll zugetanen Freundeskreis umgeben waren. Für die Zunge – und zum
Durstlöschen – wurden anschließend Getränke ausgeschenkt, und eine Glasharfenspielerin
erfüllte den Innenhof mit zarten, sphärischen Klängen.
Der Mai brachte die Jugend ins Haus – aber davon zu erzählen lässt sich Frau
Stübler nicht nehmen, und so übergebe ich quasi den Stift.
Mir bleibt nur noch, meiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass es nach einem
verregneten Mai nur besser werden kann!
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Simone von Dufais
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PGH productions present:
Frank Wedekind: „Frühlingserwachen“
Eine Kindertragödie
Hauszeitung
Nach den Musicals „Im Weißen Rössl am Wolfgangsee“ (2008) und „Merlin“
(2009) haben sich Eberhard Riese und die Theater AG auf eine ganz andere Ebene
begeben. Mutig wandten sie sich dem problembeladenen Stück „Frühlingserwachen“
von Frank Wedekind, geschrieben 1891, zu.
Der Selbstmord von Moritz und der Tod der noch kindlichen Wendla durch ein
Abtreibungsverbrechen machen, obwohl nur erdacht, auch nach 110 Jahren betroffen.
Hellsichtig in die Zukunft weisend, klagt Wedekind das herrschende Schulsystem
und die liebesferne Sexualmoral des zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts an.
Noch weit hinein ins 20. Jahrhundert war an eine Loslösung der Sexualität von
Anrüchigkeit und Verdrängung nicht zu denken. Erst vor 50 Jahren wurde durch die
Pille ein eigenverantwortlicher Umgang mit der Liebe möglich. Homosexualität
muss sich heutzutage nicht mehr verstecken.
Leider haben die Schulen mit den Entwicklungen in der Gesellschaft nicht Schritt
gehalten. Der Ruf von Hauptschulen ist schlecht. An den Grundschulen herrscht
gnadenloser Konkurrenzkampf. Und der Leistungsdruck an den G8-Gymnasien ist
schier unerträglich geworden. Extreme Folgen sind nicht selten Selbstmord und
Amoklauf.
Eberhard Riese, Stephan Bronsert und Andreas Medler bieten mit kreativem Mitarbeiten
in unterschiedlichen AGs Entspannung vom täglichen Schulstress an. Mit
„Frühlingserwachen“ entstand so eine wunderbare gemeinsame Produktion.
Stephan Bronsert entwarf ein karges Bühnenbild, tiefschwarz verhängte Wände und
ein zweigeschossiges schwarzes Gerüst. Nur die nötigsten Requisiten dienen den
einzelnen Szenen. Gebündeltes Licht auf die Schauspieler lässt den Bühnenraum
noch dunkler, trauriger werden.
Andreas Medler hat die Musik für sein Schulorchester eingerichtet. Vom Tango über
moderne Weisen, von Rockmusik bis hin zum Bach-Choral verstärkte Musik das
Geschehen auf der Bühne. Die Eingangsmelodie – ergreifend. Dem Orchester und
seinem Dirigenten gebührt ein großes Lob. Den Song, ein Duett über „Ewige, treue
Freundschaft“, hat ein Schüler erdacht und komponiert.
Johanni 2010
Die Arbeit an den Aufführungen des PGH bei uns im Haus ist nur „die Spitze eines
Eisbergs“. Monate vorher wurde „Frühlingserwachen“ in der Schule besprochen,
dafür geprobt, gefiedelt und gebastelt.
Chaos im Festsaal nach Anlieferung allen Zubehörs! Nun müssen die Bübis sich
bewähren. Ameisenähnlich weiß jeder, was er zu tun hat. So lichtet sich das Durcheinander
schon nach wenigen Stunden. Letzte Arbeiten an den Kulissen – Lichtprobe,
und die Bühne gehört den Schauspielern.
Der erste Durchlauf ist einem Rohbau vergleichbar. In den folgenden drei Tagen bis
zur Premiere werden mir „Frühlingserwachen“ und die jungen Schauspieler nicht
mehr aus dem Kopf gehen.
Eberhard Riese lässt sie frei gestalten, entwickelt mit ihnen Darstellung und Sprache.
Er fördert und fordert. Niemals aufgeregt, immer ruhig und geduldig, verbessert
er und befreit die Zaghaften von Nervosität und Lampenfieber. Ohne Mühe verlockt
er seine Schauspieler zu immer lebendigerem Spielen.
Die Doppelbesetzungen entbinden mich der Nennung von Namen. In die Kleider der
Zwanziger Jahre geschlüpft, bewegten sich die jungen Darsteller anders, die Tangotänzer
wunderbar steif und herrisch.
Der „Vermummte“ aus dem Original-Text wurde bei Eberhard Riese zum eleganten
Verführer in Frack und Zylinder, roter Bauchbinde und Maske. Er geleitet am Ende
des Stücks „Frühlingserwachen“ Melchior ins Leben. Der tote Florian kann ihn
nicht ins Schattenreich des Todes ziehen.
Zwei Gräber unter frühlingsgrünen Bäumen. So das Plakat zum Stück.
„Das Leben geht weiter“, ein banaler, vielfach gedankenlos gebrauchter Satz …, ein
Satz, über den nachzudenken sich lohnt.
Auf die Verzauberung (nicht wörtlich!), die uns Eberhard Riese und seine
Theater AG jedes Jahr schenken, folgt am Morgen nach der „Dernière“ ein eiliger
Abschied. – Unwiederbringlich! – Eine Eigenheit der Schülertheater.
Mit „Frühlingserwachen“ durften wir eine der reifsten Aufführungen der
Theater AG sehen. Sie reichte weit über ein „Schülertheater“ hinaus.
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Elsbet Stübler
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Derivate: Wie wettet man auf Wetten?
Hauszeitung
Es ist Februar. Getreidebauer Ueli muss im Herbst die Rechnung für eine neue
Scheune bezahlen. Wenn der Weizenpreis stabil bleibt, ist das kein Problem. Das
Risiko, wegen möglicherweise fallender Preise nach der Ernte seine Scheune nicht
bezahlen zu können, will er aber nicht eingehen. Bäckerin Heidi wiederum hat das
Gerücht gehört, bis zur Ernte könnten die Weizenpreise massiv ansteigen. Heidi und
Ueli schließen nun einen Vertrag, den man auch als Wette oder Versicherung sehen
kann: Die Bäckerin verpflichtet sich, dem Bauern in fünf Monaten, wenn die Ernte
eingefahren wird, 20.000 Franken für 10 Tonnen Weizen zu bezahlen. Steigt in der
Zwischenzeit der Weizenpreis, dann macht Heidi ein gutes Geschäft. Sinkt er aber,
ist das schlecht für Heidi. Ueli aber erhält im Herbst trotzdem genug Geld, um die
Scheune zu bezahlen.
Vom Gerücht der steigenden Weizenpreise hat nicht nur Heidi gehört. Wertpapierhändler
Anton verfügt über geheime Informationen, die ihn kaum an steigenden
Weizenpreisen zweifeln lassen. Er geht deshalb auf Heidi zu und bietet ihr
1.000 Franken, wenn sie ihm ihre Abmachung mit Ueli überträgt. Heidi willigt ein.
Sie hat soeben 1.000 Franken mit dem Verkauf eines Derivates verdient.
Kurz vor der Ernte im August gibt es Unwetter in China. Der Weltmarktpreis für
Weizen steigt um 25 Prozent. Für 10 Tonnen des Getreides zahlt man nun
25.000 Franken. Anton bekommt nach der Ernte von Ueli also Weizen im Wert von
25.000 Franken zum abgemachten Preis von 20.000 Franken. Anton hat somit mit
nur 1.000 Franken Investition einen Gewinn von 4.000 Franken erzielt. Hätte er im
Februar 1.000 Franken direkt in Weizen investiert, so hätte er bei einem Preisanstieg
von 25 Prozent lediglich 250 Franken verdient.
Ein Derivat ist somit nichts anderes als eine Wette auf die Zukunft. Das hat sich
Anton zunutze gemacht – und er hat seine Wette gewonnen (Heidi auch). Ein Derivat
ermöglicht aber auch, sich gegen eine unvorhergesehene negative Entwicklung
zu schützen – wie das Ueli aus Angst vor sinkenden Weizenpreisen getan hat.
Der Begriff „Derivat“ kommt vom lateinischen „derivare“, was „ableiten“ bedeutet.
Der Wert jedes Derivats leitet sich nämlich von einem so genannten „Basiswert“ ab.
Im oben stehenden Beispiel ist der Weizenmarktpreis Basiswert. Dabei sind unendlich
viele Arten von Basiswerten denkbar: etwa Aktien- oder Währungskurse. Möglich
sind sogar Derivatwetten auf zukünftiges Wetter.
Johanni 2010
Mit Derivaten kann mit verhältnismäßig wenig Kapital sehr viel Geld verdient oder
verloren werden. Dieser Effekt heißt „Hebelwirkung“. Dank der Hebelwirkung hat
Anton in unserem Beispiel 4.000 statt nur 250 Franken verdient.
2006 betrug der Wert der weltweit gehandelten Derivate übrigens gut das Achtfache
der weltweiten Wirtschaftserträge. Da Derivate komplizierte Gebilde sind, ist es
aber schwierig, ihren Wert zu berechnen. Dafür gibt es Formeln, und wer diese beherrschen
will, braucht sehr gute Mathematikkenntnisse. Noch komplizierter wird
das Ganze, wenn Derivate „verpackt“ werden. So gibt es zum Beispiel Derivate, die
als Basiswert wiederum Derivate haben. Man wettet nun also auf den zukünftigen
Wert einer anderen Wette. Und auch diese Wette kann wieder als Basiswert eines
dritten Derivats dienen. Schlussendlich handelt man mit Wertpapieren, bei denen
nicht einmal mehr Fachleute wissen, auf welchem Basiswert sie im Kern beruhen.
Diese Verwirrung können HändlerInnen noch vergrößern, indem sie ein Derivat auf
verschiedene Basiswerte stützen.
Beliebt ist auch die Weitergabe von (faulen) Krediten in Derivatform. Man packt sie
sozusagen in schönes Papier ein und verkauft sie weiter. Der Käufer verpackt das
Päckchen ein weiteres Mal und verkauft es erneut. Und so weiter.
Das Ganze geht gut, bis einmal jemand genau hinguckt und merkt, dass im Inneren
der Verpackung beispielsweise faule Hypothekenkredite liegen. Nun will plötzlich
niemand mehr die nett anzusehenden Päckchen kaufen, und die Blase platzt. Jetzt
sind nicht nur diejenigen betroffen, die Kredite an zahlungsunfähige KundInnen
erteilt haben, sondern all jene, die Papiere besitzen, die sich auf diese faulen Kredite
abstützen. Und das sind nicht wenige.
Was nun passiert, hat Gian Trepp bereits 1994 in der WOZ beschrieben: Wenn eine
große Bank wegen unkontrollierter Hebelwirkungen von Derivaten enorme Summen
verliere und deswegen ihre Verpflichtungen im Handel mit anderen Banken über
Nacht nicht mehr erfüllen könne, „droht der gefürchtete Dominoeffekt“. Die geschädigten
Banken würden in Panik geraten und ihre Kredite reduzieren, was immer
mehr Konkurse nach sich ziehen würde. Dann sei die Zentralbank gezwungen einzugreifen,
um einen Zusammenbruch der Finanzmärkte und des Zahlungsverkehrs zu
verhindern. Und wieder einmal müsse der Staat dann aus riskanten Geschäften
entstandene Verluste zu Lasten der Allgemeinheit übernehmen, sagte Trepp voraus.
Man hätte damals offenbar auf Derivate setzen sollen, welche die Zukunftsprognosen
von WOZ-AutorInnen als Basiswert gehabt hätten.
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Dinu Gautier - WOZ vom 02.10.2008