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2010 Johanni - Nikolaus - Cusanus - Haus

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<strong>Nikolaus</strong>-<br />

<strong>Cusanus</strong>-<strong>Haus</strong><br />

FreiesAltenheime.V.<br />

LebensgemeinschaftimAlter<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

■ 10 Jahre<br />

„Wohnzimmer“<br />

■ Künstlerisches<br />

Arbeiten<br />

<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong>


2<br />

INHALT: Seite<br />

Aktuelles in Kürze aus dem NCH ...................................................................... 6<br />

Neue Bewohner ............................................................................................................ 9<br />

10 Jahre „Wohnzimmer“ ......................................................................................... 10<br />

Die gute alte Zeit ......................................................................................................... 13<br />

Totengedenken ............................................................................................................. 16<br />

Eurythmie im <strong>Nikolaus</strong>-<strong>Cusanus</strong>-<strong>Haus</strong> ........................................................... 17<br />

Mitarbeiter ...................................................................................................................... 20<br />

Mitarbeiter arbeiten künstlerisch ........................................................................ 22<br />

Veranstaltungen ........................................................................................................... 29<br />

Farbtupfer im Alltag .................................................................................................. 33<br />

PGH productions present: Frank Wedekind: „Frühlingserwachen“ 42<br />

......................................................................<br />

Derivate: Wie wettet man auf Wetten? ........................................................... 44<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Herausgeber: NIKOLAUS-CUSANUS-HAUS,<br />

Freies Altenheim e.V., Lebensgemeinschaft im Alter,<br />

Törlesäckerstraße 9, 70599 Stuttgart-Birkach<br />

Telefon 0711 / 45 83 - 0<br />

Auflage Nr. 58: 800<br />

Redaktion: Christiane Grosse, Stefanie Heckle, Annedore Hennig,<br />

Andrea Nickel, Ursula Schütt, Andreas Bockemühl,<br />

Heinz Bollinger, Sören Hirning, Eckehard Rauch,<br />

Frieder Stehle,<br />

Für die Beiträge unserer Bewohnerinnen und Bewohner<br />

danken wir herzlich.<br />

Spendenkonto: Nr. 100 555 004 Volksbank Esslingen (BLZ 61190110)


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

<strong>Johanni</strong>-Stimmung<br />

Der Welten Schönheitsglanz,<br />

Er zwinget mich aus Seelentiefen<br />

Des Eigenlebens Götterkräfte<br />

Zum Weltenfluge zu entbinden;<br />

Mich selber zu verlassen,<br />

Vertrauend nur mich suchend<br />

In Weltenlicht und Weltenwärme.<br />

Rudolf Steiner<br />

3


4<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Sehr verehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser,<br />

vor einem Jahr, am 9. Juni 2009, fand der Auftakt-Workshop statt für unser Projekt<br />

„Ausbau der bestehenden Angebote für Bewohnerinnen und Bewohner mit Verhaltensauffälligkeiten,<br />

Verwirrtheitszuständen sowie den allgemeinen Erscheinungsformen<br />

von Desorientiertheit“, kurz gesagt für unser Demenzprojekt. Einen zeitlichen<br />

Rahmen gaben wir uns ebenfalls, bis zum Frühjahr <strong>2010</strong> wollten wir zu ersten<br />

Entscheidungen kommen.<br />

In den verschiedensten Gesprächs- und Arbeitskreisen bewegten und kneteten wir<br />

dieses Thema in personell verschieden zusammengesetzten internen Gruppierungen,<br />

unterstützt durch externe Beratung, Schulungen, Hospitationen und Vortragsredner –<br />

und gerieten dabei nicht selten selbst in die unterschiedlichsten Verwirrtheitszustände.<br />

Schnell stellten wir fest, dass der Ausbau der Tagesbetreuung nicht<br />

parallel mit dem Thema neue bzw. veränderte Wohnformen bearbeitet, verquickt<br />

werden sollte, da zu einer jeweiligen ersten Erprobungsphase unterschiedliche Vorplanungen<br />

und Planungszeiträume erforderlich sind.<br />

Die Projektverantwortlichen, Heimleitung und Bereichsleitungen, verständigten sich<br />

daher gemeinsam darauf, unserem Vorstand die intensive Weiterentwicklung und<br />

den massiven Ausbau unserer bestehenden tagesstrukturierenden Maßnahmen und<br />

Angebote als ersten Schritt vorzuschlagen, und etwa im Oktober diesen Jahres den<br />

zurückgestellten Aufgabenblock erneut aufzugreifen.<br />

Mit voller Kraft ging es nun an die Realisierung des Ausbaus der Tagesbetreuung. In<br />

den Arbeitsgruppen ging es sehr lebhaft zu, an Ideen fehlte es uns nicht –<br />

Vormittags-, Nachmittags-, Abendbetreuung, Gruppengröße von / bis?, Mahlzeiten<br />

in den Gruppen oder in den Aufenthaltsräumen im Bereich, sind räumliche Veränderungen<br />

notwendig, wenn ja, welche, und, und, und / oder, oder, oder!!!??? Für<br />

alles gab es die nachvollziehbarsten Gründe dafür und dagegen, aber letztendlich<br />

mussten unsere Pläne und Vorstellungen ja auch praktikabel und realisierbar sein.<br />

Der Zeitplan wurde eingehalten, am Montag, den 14. Juni sind wir in die Projektphase<br />

gestartet!


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Um nach wie vor möglichst vielen unserer Bewohnerinnen und Bewohner auch in<br />

Zukunft die bestmögliche Betreuung zukommen lassen zu können, haben wir uns<br />

entschlossen, zwei unterschiedliche „Wohnzimmerarten“ zu erproben.<br />

Das seit zehn Jahren bewährte Wohnzimmer mit Frau Grosse auf Ebene 4 wird von<br />

seither zwei Vormittagen auf fünf aufgestockt und ist gedacht für eine größere<br />

Gruppe überwiegend noch aktiverer Bewohnerinnen und Bewohner.<br />

Ein spezielles Wohnzimmer für die Betreuung demenzerkrankter BewohnerInnen<br />

wird an fünf Vor- und Nachmittagen auf Ebene 1 von Frau Discher und Frau Maier<br />

im Wechsel angeboten. Für die in Frage kommenden Bewohner wurde von den<br />

jeweiligen Bereichsleitungen ein „Wochenstundenplan“ erstellt, in dem die anderen<br />

Aktivitäten, Therapien und regelmäßigen Besuche nach Möglichkeit berücksichtigt<br />

wurden.<br />

Die Projektsteuerungsgruppe wird die Pilotphase begleiten, ebenso die parallel laufende<br />

schriftliche Ausarbeitung der dazugehörenden Konzeption. Wir freuen uns,<br />

dass das Projekt nun angelaufen ist, und sind hochgespannt auf die weitere Entwicklung.<br />

Wir werden an entsprechender Stelle berichten.<br />

Das gesamte Redaktionsteam grüßt Sie herzlich und wünscht Ihnen eine schöne<br />

Sommerzeit und ein wenig Muse zum Lesen der neuesten Ausgabe unserer <strong>Haus</strong>zeitung.<br />

Heinz Bollinger Ursula Schütt<br />

5


6<br />

Aktuelles in Kürze<br />

aus dem <strong>Nikolaus</strong>-<strong>Cusanus</strong>-<strong>Haus</strong><br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Zur <strong>Johanni</strong>zeit fällt es beim Blick zurück nicht leicht, sich an die kalte Jahreszeit zu<br />

erinnern, aber der Winter hatte uns lange und fest im Griff. Ein kurzer und nüchterner<br />

Blick auf die Stundenzettel unserer <strong>Haus</strong>technik verdeutlicht dies. So sind allein<br />

seit Weihnachten 2009 ca. 200 Überstunden (Stunden außerhalb der Dienstzeit)<br />

durch die Räum- und Schneebereitschaft entstanden. Und, ach ja, es gab – für uns<br />

Jüngere eine neue Erfahrung – Mangelwirtschaft, was das Streusalz betraf.<br />

Am 12. Februar <strong>2010</strong> forderte der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg<br />

die Kostenträger (Pflegekassen und Kommunalverband für Jugend und Soziales<br />

Baden-Württemberg) in unserem Namen zu Pflegesatzverhandlungen auf. Aus<br />

wirtschaftlichen Gründen war eine Anpassung der seit 01. April 2008 gültigen Pflegesätze<br />

unumgänglich. Der Abschluss mit den Kostenträgern belief sich auf eine Erhöhung<br />

des Budgets um 3,98 %. Die neuen Kostensätze gelten ab dem 01.04.<strong>2010</strong>.<br />

Seit Mitte März sind freitags von 11.00 - 11.30 Uhr wieder Lieder im Innenhof zu<br />

hören! Wir begrüßen Frau Schreiber-Gugel im Kreise der freiwilligen HelferInnen,<br />

und es freut uns sehr, dass sie mit Bewohnerinnen und Bewohnern auf der Empore<br />

Ebene 2 singt.<br />

Bevor sonnige und frühlingshafte Tage sich bei uns einstellten, hatten wir Besuch<br />

von den Aufsichtsbehörden der Stadt. Am 25. März <strong>2010</strong> kamen das Baurechtsamt<br />

und die Feuerwehr zur alle 5 Jahre stattfindenden Brandverhütungsschau. Der<br />

letzte Besuch der Behörde zog den Einbau unserer Brandmeldeanlage nach sich, sodass<br />

Herr Ruthardt die Herren mit gewissem Respekt und Sorge durchs <strong>Haus</strong> führte.<br />

Und der in diesen Tagen eingetroffene schriftliche Bericht des Baurechtsamtes sollte<br />

die Vorahnung bestätigen! Neben Kleinigkeiten und leichteren Mängeln, die unschwer<br />

zu beseitigen sind, werden umfangreiche und kostenintensive Maßnahmen<br />

gefordert, so zum Beispiel selbstständig schließende Türen in den Aufenthaltsräumen<br />

der Pflegebewohner und den angrenzenden Küchenräumen. Des Weiteren wird<br />

die Entfernung der Möblierung aus der Eingangshalle, der Galerie und den Fluren<br />

gefordert, oder eine Möblierung aus nichtbrennbaren Stoffen ist nachzuweisen.<br />

Dagegen ist der alljährliche unangemeldete Besuch der Heimaufsicht und des<br />

Wirtschaftskontrolldienstes, der am 15. April <strong>2010</strong> stattfand, freundschaftlich und<br />

als Routine zu bezeichnen. In ihrer fünfstündigen Begehung prüften die 4 MitarbeiterInnen<br />

der Behörden, ob die geltenden gesetzlichen Vorschriften und Vorgaben im


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

<strong>Haus</strong>e umgesetzt werden. Wie bei den Besichtigungen in den Vorjahren wurden<br />

auch dieses Mal die Bereiche <strong>Haus</strong>wirtschaft und Küche geprüft, pflegebedürftige<br />

Bewohnerinnen und Bewohner in ihren Appartements besucht, die Pflegedokumentation<br />

sowie die Dienstpläne eingehend überprüft und mit einem Vertreter des Heimbeirates<br />

gesprochen. In der Schlussbesprechung erhielten wir durchweg positive<br />

Rückmeldungen seitens der Behörden.<br />

Zum April <strong>2010</strong> gab es Veränderungen bei unseren Wohnbereichsleitungen auf<br />

den Ebenen 2 und 3. Herr Roland Reck – bisher WBL auf der Ebene 3 – wollte auf<br />

eigenen Wunsch von der Verantwortung entbunden werden. Frau Patricia Schilling,<br />

WBL der Ebene 2, wechselte auf die Ebene 3, und Frau Eva Blomen, bisher stellvertretende<br />

WBL der Ebene 3, übernahm die Verantwortung für den Wohnbereich der<br />

Ebene 2.<br />

Am Ostermontag, am 05. April <strong>2010</strong>, gab es ein Jubiläum zu feiern – den 20. Jahrestag<br />

der Grundsteinlegung des <strong>Nikolaus</strong>-<strong>Cusanus</strong>-<strong>Haus</strong>es. Zum Festakt im Saal<br />

kamen Bewohnerinnen und Bewohner, Angehörige, Vorstände und Mitglieder des<br />

Vereins <strong>Nikolaus</strong>-<strong>Cusanus</strong>-<strong>Haus</strong> e. V., des Fördervereins, der Stiftung, MitarbeiterInnen<br />

und Freunde, die sich dem <strong>Haus</strong>e verbunden fühlen, zusammen.<br />

Herr Bollinger verlas den Grundsteintext, Herr Schenkel-Reichmuth berichtete über<br />

die Biographie unseres Namensgebers <strong>Nikolaus</strong> von Kues, und Herr Gundolf<br />

Bockemühl erläuterte den Bauimpuls und die besondere Architektur des <strong>Nikolaus</strong>-<br />

<strong>Cusanus</strong>-<strong>Haus</strong>es. Musikalisch umrahmt wurde die Feierstunde durch Frau Waltjen.<br />

Anschließend konnten im Innenhof Bilder und Informationen zur Grundsteinlegung<br />

betrachtet werden, und die frisch gedruckte Chronik zur Geschichte unseres <strong>Haus</strong>es<br />

erfreute die Anwesenden.<br />

7


8<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Unsere leider ausgefallene Faschingsfeier fand dieses Jahr am 19. April als Frühlingsfest<br />

statt. Folker Bader, ehemaliger Musikredakteur des SWR Stuttgart, war mit<br />

seinem mobilen Radioprogramm bei uns zu Gast. Gut gelaunt nahmen unsere Bewohnerinnen<br />

und Bewohner an seiner „Frühlings-Radio-Sendung“ teil. Das Programm<br />

enthielt einen bunten Strauß wohlbekannter und beliebter Melodien, bei<br />

denen auch gerne mitgesungen wurde. Folker Bader fand mit seinem „Erinnerungsradio“<br />

und mit Liedern, die kaum noch gespielt werden, sehr viel Anklang!<br />

Die geplante Installierung einer Funkantenne auf dem benachbarten Gebäude<br />

„Hotel Birke“ sorgte in den letzten Monaten im <strong>Haus</strong>e und in Birkach für Diskussionen<br />

und Schlagzeilen. Das Planungsverfahren ist abgeschlossen; der Bau des<br />

Funkmastes kann mit rechtlichen Mitteln nicht verhindert werden. Auch die vielen<br />

Proteste von Bürgern und der Bürgerinitiative Birkach zeigten keine Wirkung. Der<br />

Handybetreiber E-Plus will in Birkach einen Funkmast errichten. E-Plus brachte<br />

sogar das <strong>Nikolaus</strong>-<strong>Cusanus</strong>-<strong>Haus</strong> als „idealen“ Standort für den Sendemast ins Gespräch.<br />

Eine entsprechende Anfrage des Handybetreibers wurde am 11. Mai <strong>2010</strong><br />

vom Vorstand abgelehnt.<br />

Der 25. Mai <strong>2010</strong> wird so manchen Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern in Erinnerung bleiben. Hatten wir doch Demenz Support<br />

Stuttgart samt Fotograf im <strong>Haus</strong>e. Die Firma Demenz Support versteht sich<br />

als Mittler zwischen Wissenschaft und Praxis und hat es sich zur Aufgabe gemacht,<br />

die Lebensqualität von Menschen mit Demenz zu verbessern. Demenz Support berät<br />

Heime bei der Umsetzung von Pflege- und Betreuungskonzepten und ist für Fortbildung<br />

und Projekte verantwortlich. Ihr neuestes, vom Bundesministerium für Arbeit<br />

und Soziales gefördertes Projekt heißt DemOS: Demenz – Organisation – Selbstpflege.<br />

In diesem Projekt stehen die Pflegenden im Mittelpunkt, und die Ausgangsfrage<br />

ist: Was kann für die Pflege der Pflegenden von Menschen mit Demenz getan<br />

werden? Wie lässt sich dafür sorgen, dass sie auch langfristig an ihren Beruf gebunden<br />

und in der Lage bleiben, diesen auszuüben?<br />

Die Fotos für die schriftliche Dokumentation und für die Internetseite zum Projekt<br />

wurden bei uns aufgenommen, und wohl alle BewohnerInnen und MitarbeiterInnen<br />

waren zum ersten Male als Fotomodell tätig!<br />

Red.


10<br />

10 Jahre „Wohnzimmer“<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Am 15. März 2000 begann auf Ebene 4 das „Pilotprojekt Wohnzimmer“: an zwei<br />

Vormittagen trafen sich Bewohner von Ebene 4, um gemeinsam die Zeit zwischen<br />

Frühstück und Mittagessen zu verbringen. Ab September 2001 wurde ein dritter<br />

Vormittag eingerichtet, und seit September 2007 finden vier Vormittage statt:<br />

Montag und Donnerstag für Bewohner der Ebene 3, Mittwoch und Freitag für Bewohner<br />

der Ebene 4.<br />

Seit Mai 2008 findet auf Ebene 1 ein Wohnzimmer mit Frau Discher für Bewohner<br />

der Ebenen 1 und 2 statt.<br />

Seit Beginn haben ca. 135 Bewohner am Wohnzimmer teilgenommen – das heißt:<br />

135 Individualitäten, 135 Schicksale!<br />

Schon an dieser Zahl kann unschwer erkannt werden, dass die Zusammensetzung<br />

der Gruppen einem ständigen Wechsel unterliegt und stets alles „im Fluss“ bleibt, ja<br />

bleiben muss ...<br />

Diese Tatsache spiegelt sich natürlich auch in der Gestaltung und den Inhalten der<br />

Vormittage wider:<br />

Wer kommt heute, wer nicht?<br />

In welcher Tagesverfassung ist der Einzelne?<br />

Für eine Gruppe sind viele Stühle nötig, da viele noch gut zu Fuß sind, für die<br />

andere Gruppe müssen fast alle Stühle weggeräumt werden. – Eine Gruppe singt fast<br />

gar nicht, in der anderen wird im Kanon oder sogar mehrstimmig gesungen.<br />

Vieles ist nicht planbar, sodass täglich eine flexible Kreativität erforderlich ist,<br />

dennoch bedarf es, in dieser besonderen Form der Betreuung, einer Sicherheit<br />

gebenden Struktur mit stets wiederkehrenden Elementen sowie eines in sich stimmenden,<br />

harmonisierenden Rhythmus.<br />

Die Jahres- und Festeszeiten bieten ein unerschöpfliches Reservoir an Inhalten und<br />

sinnvollen Tätigkeiten, die, anknüpfend an die gelebten Leben, in Achtung vor der<br />

Menschenwürde thematisiert und ausgeübt werden können.<br />

Zur Zeit sind es von Ebene 3 ca. 12 und von Ebene 4 ca. 22 Bewohner, die ins<br />

Wohnzimmer kommen können.


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Es gibt eine große Gruppe von sehr lebhaften, gesprächigen Damen, die gerne eine<br />

gute Unterhaltung über Literatur, Kunst und Religion führt, gelegentlich auch politisiert,<br />

sodass es schon „Stammtisch“-Ausmaße annehmen kann. In dieser Gruppe<br />

beschäftigen wir uns – neben Rätseln, Denk- und Geschicklichkeitsübungen – oft<br />

mit Gedichten, Balladen und der Mythologie. Hier wird gerne nachgefragt, geforscht<br />

und werden Pflanzen bestimmt, es kommen selbstverfasste Gedichte zum Vorschein<br />

und werden vorgetragen. Durch diesen intensiven Austausch ist eine Offenheit entstanden,<br />

die selbst in der großen Gruppe Biographisches zulässt und uns schon manche<br />

bewegende Stunde erleben ließ.<br />

Auch der Humor kommt natürlich nicht zu kurz: Kennen Sie z. B. einen „Laufmann“?<br />

Oder wussten Sie, dass „Morgenstund aller Laster Anfang ist“? Und: „Wer<br />

schläft, sündigt nicht.“ Aber: „Wer sündigt, schläft besser“?<br />

... und dann die Schlagfertigkeiten und Situationskomik, wie Folgendes: beim Spielen<br />

mit dem Ball fiel dieser diesmal besonders oft auf den Boden, und ich musste<br />

zum wiederholten Male unter den Tisch krabbeln, um ihn heraufzuholen, also<br />

stöhnte ich: „O je, gefühltes Alter 92 Jahre!“, woraufhin eine Bewohnerin sagte:<br />

„Ach, das sieht man Ihnen gar nicht an!“<br />

Im Wohnzimmer wird gelebt, gesungen, gespielt, gelacht, auch mal getrauert und<br />

geweint, und damit wird es seinem Namen gerecht. Hier finden wunderbare Menschenbegegnungen<br />

statt, alles ist konkret, direkt und unverstellt ehrlich, jedes<br />

unehrlich-Aufgesetzte<br />

wird sofort entlarvt und<br />

funktioniert nicht.<br />

11<br />

Anfänglich von manchen<br />

sehr kritisch beobachtet<br />

und kommentiert: „Ach,<br />

der / die muss jetzt auch<br />

dahin“, hat sich das Blatt<br />

dann gewendet:<br />

„Dürfen Rüstige da auch<br />

teilnehmen?“<br />

Am Montag, den 15. März <strong>2010</strong> haben wir dann unser 10-jähriges Jubiläum gefeiert:<br />

Am Vormittag waren, soweit möglich, alle teilnehmenden Bewohner anwesend, und


12<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

wir konnten mit Brezeln, Kuchen und Gebäck viele Gäste begrüßen, die zum<br />

Gratulieren kamen. Herzlichen Dank für die schönen und köstlichen Gastgeschenke!<br />

Am Nachmittag traf sich eine kleinere Gruppe, um ein gemeinsames Abendessen<br />

zuzubereiten. Es gab – auf Wunsch – verschiedene Salate, Kräutergarnelen,<br />

Baguette – und dazu ein Gläschen Sekt. Die „Tafelrunde“ war, wie erwartet und<br />

durch zusätzliche Tische und Stühle vorbereitet, sehr gut besucht. Auch hier:<br />

herzlichen Dank an alle Helfer und Gäste für die Unterstützung!<br />

Wir alle haben den Abend sehr genossen und freuten uns, zum Abschluss endlich<br />

auch einmal Abendlieder singen zu können.<br />

Längst ist das „Wohnzimmer“ kein Pilotprojekt mehr, es hat sich etabliert und<br />

bewährt – und es ist noch „ausbaufähig“, der vorhandene Bedarf ist groß:<br />

„Den Sinn der Welt verwirklicht, die von Weisheit erleuchtete<br />

und von Liebe durchwärmte Tat des Menschen.“<br />

In diesem Sinne<br />

Christiane Grosse<br />

PS: Ja, wir stellen auch Marmelade her.<br />

PPS: Ein Laufmann ist natürlich ein Rollator, eine Gehhilfe.<br />

Rudolf Steiner


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Im Rahmen des 10-jährigen Bestehens des Wohnzimmers<br />

trug unsere Bewohnerin Frau Volz eines ihrer Gedichte<br />

über die gute alte Zeit vor.<br />

Die gute alte Zeit<br />

Man hört oft von ergrauten Greisen<br />

die guten alten Zeiten preisen –<br />

doch wer von uns wär’ schon bereit,<br />

zu tauschen mit der alten Zeit?<br />

Was hatten früher denn die Leute,<br />

das woll’n wir mal betrachten heute,<br />

keine leichte, sondern Schwerstarbeit,<br />

die gab’s genug in der alten Zeit!<br />

Zur Arbeit ging man noch zu Fuß,<br />

da fuhr weder Auto noch Omnibus,<br />

der Weg, der war oft stundenweit<br />

in dieser guten alten Zeit!<br />

Die Schuhe waren schwer zu tragen,<br />

sie waren mit Eisen und Nägeln beschlagen,<br />

für die Nachkommen standen sie bereit<br />

in dieser guten alten Zeit!<br />

Es gab auch keine Urlaubstage,<br />

das kam gar nie in Frage,<br />

kein Mindestlohn stand zur Debatte,<br />

zufrieden war der Mensch, wenn er Arbeit hatte.<br />

Gesundheitsreform ein Fremdwort noch war,<br />

wenig stand der Arzt bereit –<br />

in dieser guten alten Zeit!<br />

13


14 ________________________________________________________________________________________________________________<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Es gab auch kein elektrisch Licht,<br />

auch Radio und Fernsehen nicht,<br />

man schlief auch noch im Bett zu zweit<br />

in der guten alten Zeit!<br />

Man kuschelte auf Haferstroh,<br />

ein Lieblingsnest auch für den Floh,<br />

der nutzte die Gelegenheit<br />

in der guten alten Zeit!<br />

In der Wohnung gab’s auch kein Klosett,<br />

das Töpfchen stand noch unterm Bett,<br />

dort war es immer griffbereit<br />

in der guten alten Zeit!<br />

Badetag war samstags, für die ganze Familie<br />

eine Bütt mit Wasser stand bereit,<br />

in die stieg eins nach dem andern hinein,<br />

am Schluss weichte man noch die Wäsche drin ein.<br />

Drei Tage in der Waschküche an der Bütt,<br />

eine Waschmaschine, die kannte man nicht,<br />

die Frauen leisteten Schwerstarbeit<br />

in dieser guten alten Zeit!<br />

Es fehlte auch nicht an Kindersegen,<br />

kaum war eins aus den Windeln heraus,<br />

o Schreck, schon wieder tat sich eins regen.<br />

Keine Regierung stand mit Kindergeld bereit<br />

in dieser guten alten Zeit!<br />

Die Renten waren knapp bemessen,<br />

reichten spärlich, kaum zum Essen.<br />

Auch alt zu werden war Seltenheit<br />

in der guten alten Zeit!


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Ein Fass voll Sauerkraut und Bohnen<br />

tat sich in jedem <strong>Haus</strong>halt lohnen,<br />

es fehlten noch Konservendosen.<br />

Die Frauen trugen Unterhosen,<br />

die waren ziemlich lang und breit<br />

in dieser guten alten Zeit!<br />

Nur eines wollen wir nicht bestreiten,<br />

es gab auch manche guten Zeiten,<br />

die Menschen rückten näher; sie hatten noch Zeit,<br />

keine Hektik und Stress bestimmten ihr Leben,<br />

und das ist es, wonach wir uns heute noch sehnen.<br />

So war sie wirklich, die alte Zeit,<br />

doch heute ist sie Vergangenheit.<br />

Seid ehrlich nun, wer wäre bereit,<br />

noch so zu leben wie einst<br />

„in der guten alten Zeit“?<br />

Lore Volz<br />

15


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Eurythmie im <strong>Nikolaus</strong>-<strong>Cusanus</strong>-<strong>Haus</strong><br />

Sprache bewusst als Bewegungsabläufe zu gestalten, diese Kunstform nennt sich<br />

seit knapp 90 Jahren Eurythmie. Der Hintergrund ist, Bewegungen nicht nur nach<br />

den körperlichen Gesetzen zu gestalten, wie in der Gymnastik, oder auch als Ausdrucksmittel<br />

für eine emotionale Willensäußerung, wie beim Ballett. In der Eurythmie<br />

wird der Körper zum Instrument der Seele. Die Gestaltungsmittel dieser Gebärdensprache<br />

liegen in den Gesetzmäßigkeiten der Sprache – das hinter den Worten<br />

liegende soll in Bewegungen der Arme und Beine sowie in Raumformen zum Ausdruck<br />

gebracht werden.<br />

Im NIKOLAUS-CUSANUS-HAUS beschäftigen sich viele Menschen mit der Eurythmie,<br />

als Therapeut, Kursleiter, praktizierender Laie, Patient oder künstlerischer<br />

Profi. Unvergessen sind die grandiosen Auftritte vom Ensemble des Eurythmeums<br />

Stuttgart, welches neben einer Bühne auch eine Ausbildungsstätte betreibt. In der<br />

Winterzeit wird von dieser Bühne immer ein Weihnachtsmärchen eurythmisch gestaltet.<br />

Auch andere Ensembles finden sich in unserem Festsaal zu größeren künstlerischen<br />

Veranstaltungen ein. Neben der Spracheurythmie, die Dichtungen, Märchen<br />

und andere Texte bewegungsmäßig umsetzt, wird hier auch die Toneurythmie, die<br />

Musikstücke wie Sinfonien in<br />

gesetzmäßige, jedoch künstlerisch<br />

variierte Bewegungen<br />

und Formen umsetzt, aufgeführt.<br />

Beispiele für Bewegungsformen im Raum<br />

Einige Bewohner leben bei uns, die in jungen Jahren<br />

eine Eurythmieausbildung absolviert haben. Hier lebte<br />

noch der Pioniergeist durch die Dozenten, die ihre<br />

Impulse direkt durch Rudolf Steiner, den Spiritus<br />

Rector, und besonders auch durch Marie Steiner-von<br />

Sievers, durch deren Einsatz die Eurythmie zu einer wirklichen Bühnenkunst heranwuchs,<br />

erhielten. Eine davon ist Ursula Ziegenbein (* 1935), die sich schon während<br />

ihres Eurythmiestudiums auch mit der Heileurythmie bei Frau Isabel de Jaeger<br />

beschäftigte. Der Impuls der Heileurythmie wurde 1921 innerhalb des Ärztekurses<br />

von Rudolf Steiner entwickelt. Einige Eurythmistinnen und Ärzte haben in der Folge<br />

17


18<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

intensiv weiter daran gearbeitet. Diese Bewegungstherapie basiert auf speziell modifizierten<br />

eurythmischen Lautbewegungen und ist ein wesentlicher Bestandteil innerhalb<br />

der anthroposophischen Medizin.<br />

Zurück zu Frau Ziegenbein, die während ihres Berufslebens immer wieder zwischen<br />

einer festen Anstellung in einem Heim oder einer Waldorfschule und einer freien<br />

Heileurythmie-Praxis wechselte, überwiegend in Stuttgart. Seit 1973 war sie auch<br />

als Dozentin in der Ausbildung von Heileurythmisten tätig. Inzwischen praktiziert<br />

sie noch etwas im <strong>Nikolaus</strong>-<strong>Cusanus</strong>-<strong>Haus</strong> mit Einzelpatienten. Ich führte ein kleines<br />

Interview mit ihr.<br />

Das eurythmische „B“<br />

S. Hirning-Goldberg: Frau Ziegenbein, können Sie<br />

die Wirkensweise der Heileurythmie beschreiben?<br />

Ursula Ziegenbein: Die Wirksamkeit zeigt sich in<br />

der Zusammenarbeit mit dem Arzt. Sie beruht auf<br />

der gestalteten Metamorphose des Lautes, der dem<br />

Wesen der Krankheit entspricht. Denn ein Laut ist<br />

objektiv, der Leib ist aus der Wortwelt gestaltet.<br />

Daher heißt es auch im Prolog des Johannes-<br />

Evangeliums: „Im Urbeginne war das Wort.“ Die<br />

konkreten Zusammenhänge hat dann Rudolf Steiner<br />

erforscht. Durch die individuell angewandte<br />

Heileurythmie kann der Patient in das ihm angemessene<br />

Gleichgewicht zurückfinden, aus dem er<br />

durch die Krankheit gefallen ist.<br />

S. Hirning-Goldberg: Worin unterscheidet sich die<br />

Heileurythmie von der künstlerischen Eurythmie<br />

und der Eurythmie im Schulunterricht?<br />

Ursula Ziegenbein: Die künstlerische Eurythmie regt den Lebensorganismus an, die<br />

Bewegungen innerlich mitzumachen. Die Heileurythmie oder auch hygienische Eurythmie<br />

hat das Ziel, dass man sich selbst in die Harmonisierung bringt. Und die pädagogische<br />

Eurythmie will Heranwachsende unterstützen, ihre höheren Wesensglieder<br />

in die richtige Verbindung zum physischen Organismus zu bringen.


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

In das <strong>Nikolaus</strong>-<strong>Cusanus</strong>-<strong>Haus</strong> kommen regelmäßig zwei externe Heileurythmisten,<br />

Frau Evelyn Warnet und Herr Frank Buchner. Frau Warnet betreut die Eurythmie im<br />

Sitzen. Sie wird in einer der nächsten <strong>Haus</strong>zeitungen einen eigenen Bericht über ihre<br />

Arbeit und ihre Erfahrungen geben.<br />

Herr Buchner ist vor etwa 10 Jahren durch Vermittlung unserer verstorbenen Bewohnerin<br />

Frau Möhle ins <strong>Haus</strong> gekommen. Er ist von Montag bis Donnerstag überwiegend<br />

mit der einzeltherapeuthischen Heileurythmie beschäftigt. Die Patienten<br />

werden von Ärzten vermittelt oder kommen auf eigene Initiative. Herr Buchner hält<br />

dann Rücksprache mit dem behandelnden <strong>Haus</strong>arzt bezüglich der Therapie. Darüber<br />

hinaus betreut Herr Buchner schon seit vielen Jahren jeden Dienstagvormittag einen<br />

Kurs für rüstige Bewohner. Mit Freude an der Bewegung und auch künstlerischem<br />

Anspruch werden hier die Grundelemente der Eurythmie anhand von Texten, wie<br />

zum Beispiel von Goethe, Christian Morgenstern und Rudolf Steiner, erübt. Stabübungen<br />

und die Grundelemente der Toneurythmie kommen ergänzend hinzu. Ein<br />

Ziel dieses Kurses ist es, die Beweglichkeit sowie die räumliche und seelische Orientierung<br />

der Kursteilnehmer zu fördern. Der Kurs ist offen für alle Interessierten,<br />

wobei Grundkenntnisse der Eurythmie vorhanden sein sollten. Wenn es jedoch genügend<br />

Interesse von Anfängern gibt, ist Herr Buchner gerne bereit, einen neuen<br />

Anfängerkurs anzubieten.<br />

19<br />

Sören Hirning-Goldberg


20 ________________________________________________________________________________________________________________<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Mitarbeiter, die im NIKOLAUS-CUSANUS-HAUS neu angefangen<br />

haben:<br />

Müller, Catharina Pflegebereich E 2<br />

Tiedemann, Anna-Dorothea Pflegebereich E 2<br />

Sordjan, David Pflegebereich E 3<br />

Primke, Simone Empfang<br />

Wir wünschen allen neuen Mitarbeitern einen<br />

guten Start und viel Freude bei der Arbeit.<br />

Mitarbeiter, die das <strong>Haus</strong> verlassen haben:<br />

Ganster, Nadine Pflegebereich E 2<br />

Kölle, Karen Pflegebereich E 2<br />

Lich, Lilija Pflegebereich E 2<br />

Jauß, Sonja Azubi Pflegebereich E 2<br />

Maunda, Beryl FSJ Pflegebereich E 3<br />

Steinmetz, Dark Pflegebereich E 4<br />

Mwaura, Eunice FSJ Pflegebereich E 4<br />

Cistakov, Sergej Zivi <strong>Haus</strong>technik<br />

Wir danken unseren ausgeschiedenen Mitarbeitern und wünschen<br />

ihnen alles Gute.


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Ihr 15-jähriges Jubiläum im NIKOLAUS-CUSANUS-<br />

HAUS feierten in diesen Tagen:<br />

Im April <strong>2010</strong><br />

Trapp, Margarete Pflegebereich E 2<br />

Im Mai <strong>2010</strong><br />

Santos, Maria-Clara Pflegebereich E 2<br />

Ihr 10-jähriges Jubiläum im NIKOLAUS-<br />

CUSANUS-HAUS feierten in diesen Tagen:<br />

Im März <strong>2010</strong><br />

Grosse, Christiane Wohnzimmer<br />

Im Juni <strong>2010</strong><br />

Eissner, Dieter Aushilfe <strong>Haus</strong>technik<br />

Ihr 5-jähriges Jubiläum im NIKOLAUS-<br />

CUSANUS-HAUS feierten in diesen Tagen:<br />

Im Januar <strong>2010</strong><br />

Eyyub-Nejim, Iman Pflegebereich E 2<br />

Im April <strong>2010</strong><br />

Blomen, Eva Pflegebereich E 2<br />

Im Mai <strong>2010</strong><br />

Christ, Olga Pflegebereich E 2<br />

Im Juni <strong>2010</strong><br />

Zoric, Gabrica <strong>Haus</strong>wirtschaft<br />

21


22<br />

Mitarbeiter arbeiten künstlerisch<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist<br />

nur da ganz Mensch, wo er spielt.“<br />

Kostbare Zeit - 15 Minuten künstlerisches Schaffen<br />

Friedrich Schiller: „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“<br />

Es ist Mittwoch, 13.45 Uhr. Die Pflegenden des Pflegebereiches Ebene 3 im <strong>Nikolaus</strong>-<strong>Cusanus</strong>-<strong>Haus</strong><br />

betreten den Malraum. Sie finden sich zur künstlerischen Arbeit<br />

ein, welche einmal in der Woche für eine viertel Stunde stattfindet. Noch sind sie<br />

angeregt ins Gespräch vertieft. Mich kurz grüßend, suchen sie die begonnenen Werke<br />

und nehmen Platz. Es dauert einen Augenblick, bis jeder richtig angekommen ist<br />

und anfangen kann. Zu präsent sind die Inhalte aus der Übergabe, die Gedanken<br />

weilen bei den Bewohnerinnen und Bewohnern und bei den Dingen, die noch zu erledigen<br />

sind.<br />

Dann aber tauchen sie ein in eine andere Welt, die der Farbe, Form und Komposition.<br />

Im Frühjahr vergangenen Jahres entschied sich die Gruppe für ein gemeinsames<br />

Projekt, an welchem zwölf Mitarbeiterinnen dieses Pflegebereiches teilnehmen.<br />

Sie suchten sich ein Bild von August Macke – Farbige Komposition (Hommage à<br />

Johann Sebastian Bach) 1912 – aus, welches farbkopiert und in verschiedene Abschnitte<br />

geteilt wurde, sodass sich jeder einen Bildabschnitt auswählen konnte, um<br />

ihn in einer selbst gewählten Technik umzusetzen. Hierbei sind die Mitarbeiterinnen<br />

sehr kreativ. Begeistert und voller Vorfreude entscheiden sie sich für Mosaik, Malen<br />

mit Wasserfarben, Häkeln, Spachteltechnik, Acryl, Pastell und Ölkreiden. Die fertig<br />

gestalteten Bildabschnitte wollen sie wieder zu einem Gesamtwerk zusammenfügen<br />

und dieses öffentlich im <strong>Haus</strong> ausstellen.<br />

Inzwischen ist es ruhig geworden im Raum – wahrnehmbar ist die Verbindung der<br />

Einzelnen mit ihrem Bild, die Konzentration. Ab und zu gibt es Fragen zur Technik<br />

oder den Wunsch, gemeinsam mit mir das Bild zu betrachten – und dann ist die Zeit<br />

auch schon um. Schnell werden Pinsel und Wassergläser gereinigt, und eine<br />

geschäftige Atmosphäre entsteht wieder. In den wenigen Minuten künstlerischen<br />

Schaffens war jedoch Ruhe eingekehrt, und die Pflegenden konnten ganz bei sich<br />

sein und ihrer Kreativität freudig freien Lauf lassen. Als sie sich von mir verabschieden,<br />

findet in den wachen Blickkontakten Begegnung statt. „Schade“, sagt<br />

jemand, „dass ich jetzt aufhören muss, jetzt hätte ich richtig Lust, weiterzumachen.“


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Auf der Pflegestation erleben sich die Pflegenden häufig im Konflikt zwischen<br />

Pflicht, Verantwortung und den eigenen Bedürfnissen. Dies gilt auch für die Freude,<br />

sich kreativ auszudrücken, und so wird der Termin für die künstlerische Arbeit<br />

zunächst in die Schlange der vielen anderen Termine eingereiht. Die Entscheidung<br />

für das schöpferische Tun wird dadurch wie zu einem Springen über ein Hindernis.<br />

Wenn dieser Sprung aber gelingt, „kann ich eintauchen, und es macht mir so viel<br />

Spaß, dass ich dann am liebsten noch länger bleiben würde“, so eine Teilnehmende.<br />

Eine andere ist erstaunt: „Die Zeit ist so kurz, und doch bin ich danach so erfrischt<br />

und angeregt.“ Ihre Kollegin formuliert: „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so<br />

viel Freude beim Malen haben würde. Denn eigentlich kann ich das gar nicht, aber<br />

das ist mir jetzt egal, es macht mir Spaß.“ Eine Pflegende ist überrascht: „Ich bin<br />

immer wieder so überrascht, was dann entsteht, und bin auch begeistert über die<br />

Werke meiner Kolleginnen.“ Die kurze Zeit des künstlerischen Arbeitens scheint<br />

kaum eine Rolle zu spielen für das, was die Mitarbeiterinnen daran erleben. „Ich<br />

kann in dieser Zeit ganz loslassen.“<br />

In diesen Aussagen der Pflegenden kommt zum Ausdruck, was auch ich in dieser<br />

gemeinsamen Zeit erleben kann. Es entsteht eine freudige und lebhafte Stimmung,<br />

in der sie die Zeit miteinander genießen können. Murren und Knurren, dass manchmal<br />

etwas nicht gelingt, gehören dabei auch dazu.<br />

Wie alles begann<br />

Ende 2001 kam ein neuer Bereichsleiter für den Pflegebereich Ebene 2 in die Einrichtung.<br />

Das Team war aufgefordert, sich neu zu finden, was sich schwierig gestaltete.<br />

Der Bereichsleiter suchte deshalb nach Möglichkeiten, den Teambildungsprozess<br />

zu unterstützen. Fragen nach entsprechenden Angeboten führten dann, nach<br />

Gesprächen mit der Gruppe, zu der Entscheidung, dass das Pflegeteam eine gemeinsame<br />

künstlerische Arbeit beginnen wollte.<br />

An einem Tag der Woche wurden von der Übergabezeit 30 Minuten dafür eingeplant.<br />

Durch Veränderungen der Übergabezeiten reduzierte sich die Zeit für die<br />

künstlerische Arbeit in 2005 auf 15 Minuten. Das Experiment startete und war zunächst<br />

einmal zeitlich und ergebnisoffen angelegt. Wenn auch Wünsche und Hoffnungen<br />

damit verbunden waren, so wusste doch keiner von uns, wohin uns der<br />

gemeinsame Weg führen würde.<br />

23


24<br />

Der gemeinsame Weg<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Hoch motiviert freute ich mich auf die gemeinsame Schaffenszeit, vor allem wollte<br />

ich einen Raum schaffen, in welchem jeder Einzelne ohne Leistungsdruck neue und<br />

interessante, ihm entsprechende Ausdrucksmöglichkeiten finden konnte. Mein<br />

Wunsch war, dass die Pflegenden gerne und ohne Ängste kommen konnten, sie die<br />

schöpferische Quelle in sich entdecken und der individuelle, künstlerische Ausdruckswille<br />

Unterstützung finden würde.<br />

Um dies erreichen zu können, wählte ich freilassende Themen aus und führte die<br />

verschiedenen Techniken spielerisch ein. Auf diese Weise war der Schwerpunkt<br />

mehr auf das Kennenlernen derselben und nicht so sehr auf das Gelingen oder ein<br />

Ergebnis gelenkt. Hierüber fanden Begegnungen mit sich selbst und anderen in<br />

neuer Weise statt. Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine Ebene des Vertrauens,<br />

was sich im gegenseitigen Interesse, den zunehmenden Fragen zur Technik und dem<br />

Staunen über die ungeahnten eigenen Fähigkeiten und die der Kolleginnen und<br />

Kollegen ausdrückte.<br />

In den folgenden Jahren fanden die Mitarbeiterinnen zunehmend ihre Vorlieben und<br />

Möglichkeiten heraus. Sie gewannen auch die Erfahrung, dass sich durch den spielerischen<br />

Umgang mit Material und Technik viele Umsetzungsmöglichkeiten erschlossen.<br />

Dadurch wurden sie mutiger, und das Tun konnte zum freudevollen Ereignis<br />

werden.<br />

In einer Arbeit zum Körperbild wurde dieser neu gewonnene Mut und eine sprühende<br />

Schaffensfreude besonders erlebbar. Eine Mitarbeiterin hatte ich zum Beispiel<br />

im Pflegebereich oder in gemeinsamen Pausen kaum wahrgenommen, da sie meist<br />

ruhig und besonders zurückhaltend war. Auch in der Anfangszeit des künstlerischen<br />

Schaffens wirkte sie sehr verhalten. Mir fiel sie jedoch nach kurzer Zeit dadurch<br />

auf, dass ihre Bilder sehr schnell einen eigenen Stil hatten. Sie erzählte, dass sie<br />

auch in ihrer freien Zeit malte, was vielen Kolleginnen und Kollegen nicht bekannt<br />

war.<br />

Sie begann damit, ihren auf Packpapier mit Graphitstift umrissenen Körper, je nachdem,<br />

wie sie sich in welchem Körperraum fühlte, mit Landschaftsbildern auszugestalten.<br />

Sie hatte großen Spaß dabei, und so wurden die Bilder im Körperinneren<br />

liebevoll gestaltet und in Beziehung zueinander komponiert. Einen ganz besonderen<br />

Ausdruck fand das Werk durch die Gestaltung der Körperumgebung. Hierzu hatte<br />

sie große Farnblätter gesammelt, gepresst und suchte nach einer Möglichkeit, Abdrucke<br />

der Farne herzustellen, um damit das Umfeld der Figur zu gestalten. Auf der


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Suche nach Möglichkeiten fanden wir in der Werkstatt eine Sprühdose mit einem<br />

Rest blauen Autolacks. Sie besprühte die Farnblätter mit großer Begeisterung und<br />

war sehr glücklich über die Vollendung ihres Kunstwerkes. Mit diesem Werk nahm<br />

sie an einer Ausstellung in der Einrichtung teil. Ihre anfängliche Zurückhaltung war<br />

gewichen, und im Laufe der künstlerischen Arbeit wurde sie von Mal zu Mal mutiger<br />

und in der Gestaltung freier. Unkonventionell suchte sie nach Umsetzungsmöglichkeiten,<br />

das Gesicht war glühend vor Begeisterung, und die Augen leuchteten.<br />

Die Veränderung hat mich tief bewegt und beeindruckt.<br />

Sieben Jahre sind seit dem Start vergangen. Den Ausgangspunkt – die Teambildung<br />

– hatte ich schon kurz nach dem Start nicht mehr im Blick. Gelungen ist sie,<br />

unterstützt durch die künstlerische Arbeit der Pflegenden. Vielmehr aber sind die<br />

15 künstlerischen Minuten für die Mitarbeiterinnen zu einem freien Raum geworden,<br />

in welchem sie aus eigenem Entschluss ihre schöpferische Quelle pflegen<br />

können, basierend auf der Erfahrung, dass diese nicht versiegt. Sie genießen die Zeit<br />

lust- und freudevoll und sehen sie als Auszeit, in welcher sie etwas nur für sich<br />

selbst tun dürfen.<br />

Eine Voraussetzung dafür, dass die Mitarbeiterinnen in diese Arbeit eintauchen<br />

können und sie zu einem freudigen Erlebensmoment wird, ist das Vertrauen in mich.<br />

Sie wissen, dass ich in dieser Zeit verlässlich da bin, um gemeinsam Lösungen zu<br />

suchen. Es bereitet mir unbeschreibliche Freude, sie auf ihrem künstlerischen Weg<br />

zu begleiten.<br />

Rückblickende Äußerungen der Teilnehmenden<br />

Ich habe jetzt Zutrauen und freue mich auf das künstlerische Tun. Es ist für mich<br />

eine Auszeit, in der ich meiner Lust auf Neues und meiner Freude, zu experimentieren,<br />

nachgeben kann.<br />

Ich sehe bei mir eine Entwicklung im Künstlerischen. Durch den experimentellen<br />

Umgang mit Farben, Anregungen und Informationen entstanden neue Möglichkeiten.<br />

Ich bin nun auch zuhause künstlerisch tätig und bin interessiert, vieles auszuprobieren.<br />

Dadurch kann ich Bilder anders anschauen und mich mit dem Künstler<br />

und seiner Zeit beschäftigen. Ich wünsche mir, dass die Arbeit weitergehen soll, sehr<br />

bereichernd finde ich, wenn zwischendurch Bildbetrachtungen stattfinden und wir<br />

auch etwas über die Künstler erfahren. – Ich habe große Lust, noch mehr zu<br />

experimentieren.<br />

Die künstlerische Arbeit ist eine Abwechslung, auch eine neue Erfahrung.<br />

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26<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Man kann Gefühle zeigen, es ist auch eine Pause zum Atemholen, man kann<br />

Kreativität leben.<br />

Es ist eine Beschäftigung mit sich selbst, ich nehme mir Zeit für mich und kann vom<br />

Alltag abschalten.<br />

Zuerst ist es eine Pflicht oder Verbindlichkeit, weil wir diese Zeit ausgemacht haben,<br />

aber dann lasse ich mich darauf ein, und es entsteht viel Neues.<br />

Für mich war die künstlerische Arbeit eine Auszeit von der Pflegetätigkeit, schaffte<br />

Abstand zum Alltag in der Pflege und schuf einen Ausgleich dazu. Es war ein<br />

schönes, freudiges Schaffen, Bleibendes entstand und stellte dadurch einen Kontrast<br />

zur Pflegetätigkeit dar.<br />

K. A. ist eine nonverbale Ausdrucksmöglichkeit der Seele, man kann den Gefühlen<br />

freien Lauf lassen, dadurch auch Probleme bewältigen. Ich mache dadurch Erfahrungen<br />

über mich und die Welt, neue und unbekannte Seiten werden sichtbar, die im<br />

Alltag nicht erscheinen können. Es können neue Erfahrungen gemacht werden,<br />

anderes Lernen wird ermöglicht, auch durch den Umgang mit unbekannten Materialien.<br />

Unbewusstes kann ans Licht kommen. Es entsteht Neugier auf Anderes,<br />

Fremdes. Es ist eine Kraftquelle In spielerischer Art kann Lernen über die Grenzen<br />

stattfinden.<br />

Es ist auch eine Art der Entspannung. – Überwindung trotz Belastung war immer<br />

positiv, danach waren wir alle entspannter, gelöster und belebt.<br />

Hinweis: Dieser Artikel erschien im Demenz Magazin „Genussvoll“ <strong>2010</strong>.<br />

Resümee<br />

In der Begleitung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fand auch für mich eine<br />

immer neue Auseinandersetzung in diesem Prozess statt. Ich lernte von meinen<br />

Ideen Abstand zu nehmen und immer wieder neu fragend in den Dialog mit ihnen zu<br />

gehen. Es gilt dabei herauszufinden, wodurch sie Unterstützung auf dem künstlerischen<br />

Weg erfahren können, und wahrzunehmen, welche Möglichkeiten – im Sinne<br />

von Freiraum, Offenheit und Motivation – ihnen aktuell zur Verfügung stehen.<br />

Der Pflegealltag fordert ein hohes Maß an Kreativität, Einfühlungsvermögen, Empathie,<br />

Kommunikationsbereitschaft und vieles mehr von den Pflegenden.


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Durch die künstlerische Arbeit kann die Entfaltung der schöpferischen Kräfte<br />

unterstützt und die Seele in wärmend freudiger Weise gestärkt werden. Dazu braucht<br />

es den freien Entschluss jedes einzelnen.<br />

Dass dies seit Jahren gelingt, achte ich hoch. Mein Respekt und meine Anerkennung<br />

gelten den pflegenden Kolleginnen und Kollegen.<br />

27<br />

Renate Matthees


28<br />

<strong>Haus</strong>zeitung


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Veranstaltungen<br />

<strong>Johanni</strong> bis Weihnachten <strong>2010</strong><br />

Sonntag 27.06.<strong>2010</strong> 16.30 Uhr <strong>Johanni</strong>feier<br />

Samstag 03.07.<strong>2010</strong><br />

Sonntag 04.07.<strong>2010</strong><br />

Samstag 10.07.<strong>2010</strong><br />

16.00 Uhr Sommerfest<br />

mit Musik aus Spanien<br />

15.30 Uhr Kammerkonzert<br />

Stuttgarter Kammerorchester<br />

mit Werken von Schubert, Janacek,<br />

Bruckner und Mozart<br />

10.00 Uhr Monatsfeier der Silberwaldschule<br />

Darstellungen aus dem Unterricht<br />

der Waldorfschule Silberwald<br />

Mittwoch 14.07.<strong>2010</strong> 17.00 Uhr „Der Kleine Prinz“ von Antoine de<br />

Saint-Exupéry,<br />

aufgeführt von Betreuten der<br />

Karl Schubert-Werkstätten<br />

Leitung: Norbert Heese<br />

Samstag 17.07.<strong>2010</strong> 17.00 Uhr Orchesterkonzert<br />

9. Sinfonie von Antonín Dvořák<br />

Akademisches Orchester der Universität<br />

Tübingen<br />

Leitung: Tobias Hiller<br />

Sonntag 25.07.<strong>2010</strong> 10.00 Uhr Eröffnung der Gedächtnisausstellung<br />

Wera und Alfred Bockemühl<br />

Aquarelle, Pastelle und Zeichnungen<br />

Die Ausstellung ist bis 17.10.<strong>2010</strong><br />

täglich von 09.00 bis 12.00 Uhr<br />

und von 14.00 bis 17.00 Uhr zu sehen.<br />

- Sommerpause -<br />

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30<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Samstag 18.09.<strong>2010</strong> 17.00 Uhr Duokonzert aus Lübeck<br />

Seul Ki Cheon (Südkorea), Klavier<br />

Mathias Johansen, Cello<br />

Samstag 25.09.<strong>2010</strong> 19.00 Uhr Solistengala mit dem<br />

Arcata Kammerorchester Stuttgart<br />

mit Werken von J. S. Bach, W. A. Mozart<br />

und F. Mendelssohn-Bartholdy<br />

Leitung: Patrick Strub<br />

Eine Veranstaltung in der Kulturreihe<br />

Birkach des BKV<br />

Mittwoch 29.09.<strong>2010</strong> 16.30 Uhr Michaelifeier<br />

Samstag 09.10.<strong>2010</strong> 17.00 Uhr Benefizkonzert<br />

zu Gunsten der Silberwaldschule<br />

Mittwoch 13.10.<strong>2010</strong> 17.00 Uhr Duo Con Spirito, Stuttgart<br />

Barbara Kolben, Viola<br />

Christoph Weber, Klavier<br />

Samstag 16.10.<strong>2010</strong> 17.00 Uhr Kammerkonzert<br />

Das Ensemble Gioconda spielt Werke<br />

von Georg Philipp Telemann,<br />

Carlo Ricciotti, Franz Beck,<br />

Friedrich dem Großen und anderen<br />

Sonntag 24.10.<strong>2010</strong> 10.00 Uhr Ausstellungseröffnung<br />

Samstag 30.10.<strong>2010</strong> 17.00 Uhr Das Traunsteiner Trio<br />

Franz Schubert, Trio in Es-Dur,<br />

op. 100, D 929<br />

Ekaterina Danilowa, Klavier<br />

Hans Leonhardt, Violine<br />

Michael Schroeter, Violoncello<br />

Mittwoch 03.11.<strong>2010</strong> 17.00 Uhr „Hörst du, wie die Flammen<br />

flüstern?"<br />

Balladen - dramatisch, spannend!<br />

Rezitiert von Jutta Menzel, Stuttgart


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Samstag 06.11.<strong>2010</strong> 17.00 Uhr Musikalisch-literarisches<br />

Herbstprogramm<br />

Dein Theater, Stuttgart<br />

Samstag 13.11.<strong>2010</strong> 14.30 bis<br />

17.30 Uhr<br />

Martinimarkt<br />

Samstag 20.11.<strong>2010</strong> 17.00 Uhr Winnender Kammerorchester<br />

Leitung: Manfred Deffner<br />

Sonntag 21.11.<strong>2010</strong> 16.30 Uhr Totengedenkfeier<br />

Samstag 27.11.<strong>2010</strong> 19.00 Uhr „Alfons – mein Deutschland“<br />

Alfons versucht, die Deutschen zu<br />

verstehen.<br />

Von und mit ALFONS (Emmanuell<br />

Peterfalvi)<br />

Eine Veranstaltung in der Kulturreihe<br />

Birkach des BKV<br />

Sonntag 28.11.<strong>2010</strong> 16.30 Uhr Feier zum 1. Advent<br />

Adventsgärtchen mit Musik<br />

im großen Innenhof<br />

Mittwoch 01.12.<strong>2010</strong> 17.00 Uhr Chor der finnisch-evangelischen<br />

Gemeinde<br />

Vorweihnachtliches Chorkonzert<br />

Samstag 04.12.<strong>2010</strong> 16.00 Uhr Stuttgarter Advents-Singen<br />

Chor- und Instrumentalmusik<br />

mit Geigen, Flöten, Dudelsack, Harfe,<br />

Zither und Hackbrett<br />

Gesamtleitung: Gerlind und<br />

Herbert Preisenhammer<br />

Donnerstag 16.12.<strong>2010</strong><br />

16.30 Uhr<br />

18.00 Uhr<br />

Oberuferer Weihnachtsspiele<br />

Paradeisspiel<br />

Christgeburtspiel<br />

Kumpanei des <strong>Nikolaus</strong>-<strong>Cusanus</strong>-<br />

<strong>Haus</strong>es<br />

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32<br />

Freitag 17.12.<strong>2010</strong><br />

15.00 Uhr<br />

16.30 Uhr<br />

Oberuferer Weihnachtsspiele<br />

Paradeisspiel<br />

Christgeburtspiel<br />

Kumpanei des <strong>Nikolaus</strong>-<strong>Cusanus</strong>-<br />

<strong>Haus</strong>es<br />

Freitag 24.12.<strong>2010</strong> 16.30 Uhr Weihnachtsfeier<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Sonntag 26.12.<strong>2010</strong> 16.00 Uhr Märcheneurythmie<br />

Ein Märchen der Gebrüder Grimm<br />

Eurythmeum Stuttgart – Märchenensemble<br />

– Änderungen vorbehalten –


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Farbtupfer im Alltag<br />

„Wenn mancher Mensch wüsste, wer mancher Mensch wär‘, gäb‘ mancher Mensch<br />

manchem Mensch manchmal mehr Ehr’!“<br />

Da unsere <strong>Haus</strong>zeitung nur noch zweimal im Jahr erscheint, schreibe ich nicht mehr<br />

so ausführlich über jede einzelne Veranstaltung. Ich bitte dafür um Ihr Verständnis.<br />

Es ist mir jedoch wichtig, den Alltag zu beschreiben, weshalb dieser Bereich einen<br />

größeren Teil einnehmen kann. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden.<br />

Die Adventszeit wird in unserem <strong>Haus</strong> immer eingeläutet durch das Adventsgärtlein.<br />

Wir entzünden Kerzen im Gedenken an liebe Verstorbene und schließen<br />

damit die Totengedenkzeit ab. Dabei wird mir immer wieder klar, dass wir oft wenig<br />

über unsere Mitbewohner wissen – oft erfahren wir erst bei der Verabschiedung, wer<br />

da von uns gegangen ist. Manche Mitbewohner können wir leider gar nicht wahrnehmen,<br />

weil sie nicht mehr aufstehen können. Einige leben und erleben nur noch in<br />

ihrem Zimmer, manche sogar lange Jahre. Aber sie leben mit uns, haben unsere Lebensgemeinschaft<br />

ausgesucht, und wir sind – mindestens auf einer geistigen Ebene,<br />

im Schlaf, im „Traumland“ – mit ihnen verbunden. Da ist es schön, dass wir sie bei<br />

einer Verabschiedung noch ein bisschen besser kennenlernen und sie in die geistige<br />

Welt geleiten können. Auch zeigen wir so den Angehörigen unsere Anteilnahme an<br />

ihrem Verlust. Das ist ein schöner Brauch.<br />

Im Advent wird es draußen immer dunkler, bei uns wird es heller: durch diese Zeit<br />

begleiten uns viele Lichter. Aber sie ist auch charakterisiert durch Gebäck, Düfte,<br />

Musik, Dekoration. Eine heimelige Atmosphäre erfüllt das <strong>Haus</strong>. Wir erinnern uns<br />

gern an das Adventscafé auf der Galerie, das gemeinsame Singen im Festsaal und<br />

mit Frau Waltjen. An das Adventskonzert des Chors der Sing-, Tanz- und Spielkreise<br />

in Baden-Württemberg und des Bundes der Vertriebenen von Stuttgart. Das<br />

Orchester mit Dudelsäcken, Hackbrett und Zither, Liedern und lustigen Geschichten<br />

– sie alle lassen einen ein seltsames Heimweh nach kindlicher Geborgenheit fühlen.<br />

Auch dem Förderverein Flötentöne Steinenbronn, der Flötengruppe der Karl Schubert-Werkstätten<br />

Bonlanden und dem Chor der Christengemeinschaft Stuttgart gilt<br />

unser Dank, dass sie uns in eine andächtige Stimmung eintauchen und uns immer<br />

wieder einhalten lassen. Die Oberuferer Weihnachtsspiele dürfen nicht fehlen, und<br />

es ist jedes Jahr wieder eine große Anstrengung der Mitarbeiter, die wir sehr wohl<br />

zu schätzen wissen, und für die wir dankbar sind, gehören sie doch zu einem<br />

„richtigen“ Weihnachtsfest dazu.<br />

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34<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Weihnachten rückt näher, und die Krippen, die im Laufe der Adventswochen<br />

immer reicher wurden, werden ergänzt durch Weihnachtsbäume im ganzen <strong>Haus</strong>, in<br />

den Speiseräumen der Pflegebereiche und im Café. Wir feiern Weihnachten gemeinsam<br />

im Festsaal. Die Bewohner, die nicht selber hingehen können, werden gebracht.<br />

Musik erklingt, die Weihnachtsgeschichte wird vorgelesen, und dann singen alle gemeinsam<br />

mit Klavierunterstützung. Das ist ganz besonders feierlich.<br />

Im Restaurant und in den Speiseräumen gibt es ein liebevoll vorbereitetes Weihnachtsessen<br />

bei Kerzenlicht, schöner Dekoration und Weihnachtsbaum.<br />

Die Weihnachtszeit ist stark mit dem Gefühl der Ruhe verbunden. Nach der vorweihnachtlichen<br />

Umtriebigkeit ist es wie ein Ausatmen, das gut tut.<br />

Am zweiten Weihnachtsfeiertag kommt immer das Märchenensemble des Eurythmeum<br />

Stuttgart zu uns. Dieses Mal zeigte es uns den „Teufel mit den drei goldenen<br />

Haaren“. Das war schön! Schon allein zu hören, wie das Märchen erzählt wird, ist<br />

ein Genuss! Dazu kommen ein einfaches, aber schönes Bühnenbild und natürlich die<br />

beweglichen, wandelbaren Darsteller mit ihren ausdrucksvollen Gewändern und Bewegungen.<br />

Diese bewundernswerte Leistung wurde – passend zum Märchen – mit<br />

zwei Körben ganz voller Geschenke belohnt, die ein kleiner Esel brachte, der von<br />

den Künstlern liebevoll empfangen wurde. Was für eine reizende Idee! Wir dankten<br />

mit herzlichem Applaus und gingen bewegt und erfüllt in den Alltag zurück.<br />

Das alte Jahr wird mit einer Silvesterfeier im Festsaal und anschließendem Silvester-Festessen<br />

verabschiedet, und diese Nacht ist absolut nicht ruhig! Dieses Jahr<br />

waren wohl besonders viele böse Geister zu vertreiben. Es ist unglaublich, wie viel<br />

„Geld in die Luft geschossen wird“, aber ich finde, es wird immer so viel Geld für<br />

Menschen in Not gespendet, dass man das durchaus „darf“!<br />

Ich bin sehr froh, dass bei uns die dunkle Jahreszeit nur sehr kurz ist: nach Weihnachten<br />

werden die Tage schon bald ein kleines bisschen länger, und nach dem Jahreswechse1<br />

wird es immer deutlicher. Mit der längeren Helligkeit kam der Schnee.<br />

In Mengen! In Norddeutschland gab es gleich nach den Weihnachtsferien schulfrei<br />

wegen des Schnees! Da passt die Bauernweisheit: „Werden die Tage länger, wird<br />

der Winter strenger!“ Er wollte gar kein Ende nehmen! So viel Schnee hatten wir<br />

schon lange nicht mehr! Das Birkacher Feld war wochenlang tief unter Schnee<br />

versteckt. Als ich in den Asemwald fahren wollte, rutschte der Rollstuhl vom Weg<br />

ab in tiefen Schnee. Ich musste aber gar nicht lange warten: Zwei Frauen, die mit<br />

ihren Hunden dort spazieren gingen, kamen gleich und zogen mich mühsam wieder


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

auf den Weg zurück, an eine Stelle, von der aus ich weiterfahren konnte. Da hatte<br />

ich Glück! – Für den Rückweg habe ich lieber den Bus genommen ...<br />

Die Sternsinger und Frau Marion Tudge, die für uns das „Traumlied des Olav<br />

Ǻsteson“ sang, haben es trotz Schnees geschafft, zu uns zu kommen. Ebenso die<br />

Reutlinger Kumpanei: sie spielte am 7. Januar für uns das Oberuferer Dreikönigspiel.<br />

Dass es Herrn Michael Schreyer gelang, hier seinen Vortrag zu halten, war ein<br />

Glück: machte er uns doch die Finanz- und Wirtschaftskrise als Krise des Systems<br />

durchschaubarer.<br />

Es ist herrlich, wenn die ganze Welt weiß ist: alles sieht sauber und freundlich aus.<br />

Ein besonderer Zauber liegt über der Landschaft, besonders wenn dann auch noch<br />

die Sonne scheint. Auch die Nächte sind bei Schnee heller!<br />

Die Landschaft war weiß, und ins <strong>Haus</strong> kamen neue Farben: eine neue Ausstellung<br />

begann. Bei der Vernissage zu „Ungesagtem und anderen Bildern“ von Susanne<br />

Elsesser-Magg schlug Herr Dr. Armin Carl Mukhlis den Bogen über die bildenden,<br />

d. h. die räumlichen Künste Architektur, Skulptur und auch Relief zum Bild, das<br />

Formen allein durch Farben bildet. Frau Elsesser-Magg nun verbindet zum Teil<br />

Relief und Bild. Sie arbeitet auch mit Starrheit und Bewegung, die oft durch ein<br />

kleines Element im Bild hervorgerufen wird. Frau Dorota Welz umrahmte den Vortrag<br />

mit kleinen Stücken von Piazzola. – Diese zum Teil wunderbaren Farben begleiteten<br />

uns bis in den April.<br />

Einen Teil der Schönheit einer Winterlandschaft macht auch die Stille aus. Alles ist<br />

von einer Decke zugedeckt und scheint zu schlafen. Auch fallende Schneeflocken<br />

bringen eine unglaubliche Ruhe mit sich. In der Natur herrscht eine geheimnisvolle<br />

Stille, man kann sie geradezu hören.<br />

Ruhe brachten auch die Studenten des Priesterseminars in unseren Festsaal mit dem<br />

iro-schottischen Singspiel „Der Stern steht still“. Nach einer schlichten, aber eindringlichen,<br />

sehr schön gesprochenen Ansprache schritten sie singend durch den<br />

Saal auf die Bühne. Die würdevollen Bewegungen, die ruhigen, getragenen Melodien<br />

und die schönen Farben versetzten uns in ein ehrfürchtiges Staunen, und die<br />

friedvolle Stimmung des Spiels übertrug sich auf das Publikum, das tief gerührt verharrte<br />

und mit dem Applaudieren wartete, bis das Lied auch aus der Ferne nicht<br />

mehr zu hören war!<br />

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<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Genau ein Jahr nach ihrem letzten Auftritt bei uns kamen die Tübinger Studenten<br />

Ende Januar wieder zu uns: am 24.01. sang der Kammerchor Concerto vocale unter<br />

der Leitung von Peter Unterberg Werke von C. Monteverdi (16. Jh.) bis F. Mendelssohn-Bartholdy<br />

(19. Jh.) unter dem Titel „Von Venedig nach Dresden und Leipzig“.<br />

Der Chor besteht nicht nur aus Musikstudenten, und es ist bewundernswert,<br />

wie sich die schönen, reinen Stimmen zu den vielfältigen Klängen harmonisch und<br />

beweglich verbinden. Das war ein schönes Konzert!<br />

Mit einem interessanten Lichtbildervortrag führte uns Herr Alfred Gansel in die<br />

Welt der Götter Nepals ein. Nepal erstreckt sich von 60 m über dem Meeresspiegel<br />

im Süden bis auf 8.848 m im Norden. Da ist der Himalaya. Die Berge tragen heilige<br />

Namen, weil sie Sitz der Götter sind, und deren gibt es viele, so wie auch Ethnien.<br />

Hauptreligionen sind Hinduismus und Buddhismus, die mit anderen Religionen<br />

verflochten sind und friedlich zusammenleben. Die Hauptstadt Kathmandu war<br />

früher eine Königsstadt. Sie liegt in einem Tal, das in alten Zeiten ein See war – bis<br />

ein Gott mit seinem Schwert einen Durchlass schuf. Jetzt fließt da ein Fluss. – Das<br />

war ein schöner erster Einblick, der mit dem Hinweis „l. Teil“ auf eine Fortsetzung<br />

hoffen lässt.<br />

Am 30. Januar verzauberte uns das Akademische Orchester der Eberhard-Karls-<br />

Universität Tübingen unter der Leitung von Tobias Hiller mit märchenhaften, zarten<br />

Klängen, und wir tauchten ein in den „Verzauberten See“ von A. K. Ljadow und begegneten<br />

dem „Schwan von Tuonela“ von J. Sibelius, „Ma mère l‘Oye“ von M. Ravel<br />

und dem „Feuervogel“ von I. Strawinski – der ließ uns allerdings mit seinen feurigen<br />

Klängen wieder auftauchen. Herrlich! Das akademische Orchester ist riesig,<br />

und alle Instrumente sind da: Triangel, Pauken, Harfe, Blech- und Holzbläser –<br />

darunter ein hervorragend gespieltes Englischhorn! – und natürlich viele Streicher,<br />

darunter vier Kontrabässe. Sie nahmen uns gefangen mit Stimmungen vom zartesten<br />

Piano bis zum umwerfenden Fortissimo! Wunderbar!<br />

So ging der Januar zu Ende. Eine Bauernweisheit sagt: „Ist der Januar weiß, wird<br />

der Sommer heiß.“ – Der Januar war weiß – jetzt dürfen wir gespannt sein, wie der<br />

Sommer wird.<br />

Zunächst wandten wir uns jedoch der Fünften Jahreszeit zu: Zwei Dozentinnen aus<br />

dem brasilianischen Porto Allegre machten uns in einer „Musikalischen Zeitreise<br />

von Wien nach Rio“ mithilfe ihrer Viola und ihrer Gitarre mit dem Einfluss von<br />

Wiener Klassik und Biedermeier auf die Entstehung einer brasilianischen Kammermusikform<br />

bekannt, die auf der anderen Seite folkloristischen Ursprungs ist.


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Lustig ging es in der Komödie „Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni zu, die<br />

das Tournee Theater Stuttgart in einer modernen, witzigen und einfallsreichen<br />

Fassung spielte.<br />

Die Faschingszeit schloss eine heitere Eurythmie ab. Die war köstlich! Die<br />

Kostüme, die Bewegungen und vor allem die Sprache – ein Genuss!<br />

Wir werden von der Pflege immer angehalten, viel zu trinken: Das ist wichtig. Aber<br />

es ist so schwer! Eine Mitbewohnerin saß gedankenverloren vor ihrem Glas, plötzlich<br />

begann sie zu singen: „Trinke, Liebchen, trinke schnell ...“ Das ist aus der „Fledermaus“.<br />

Wir sangen gemeinsam weiter, und es entstand ein schönes Gespräch<br />

über Opernbesuche. Wir stellten fest, dass wir beide die Waldorfschule Uhlandshöhe<br />

besucht hatten. Das war eine Sternstunde. Seitdem haben wir so manches Lied<br />

zusammen gesungen, zum Beispiel auch Geburtstagslieder für unsere Mitbewohnerinnen.<br />

In dieser Zeit sind die Blumenfeen, die die Jahreszeitentische schmücken, sehr<br />

gefordert: Weihnachts- und Dreikönigsdekoration wird ersetzt durch Faschingsfigürchen,<br />

die ersten Primelchen kommen, danach die Karwochen- und die Osterdekoration.<br />

Es muss ständig gewechselt werden, und es gibt immer neue Blumen –<br />

das ist immer hübsch! Auch der „Urwald“ bekam eine besondere Zier: die Yuccapalmen<br />

trieben Blütenbällchen mit lauter kleinen weißen Sternchen, die mit beginnender<br />

Dunkelheit dufteten – süß und schwer! Bei mir steht eine solche Palme direkt<br />

vor der Tür, das genieße ich – aber nicht zu lang: es ist zu stark. An anderer Stelle<br />

findet man Aaronstab, Kamelie und andere Blüten, die Farbtupfer ins Grün malen.<br />

Auch ums <strong>Haus</strong> herum beginnt der alljährliche Farbreigen, der immer mit der<br />

Hamamelisblüte eröffnet wird. Und die Vögel beginnen, den Morgen mit Gesang zu<br />

begrüßen.<br />

Im <strong>Haus</strong> gibt es ebenfalls Vögelchen, die zwar nicht singen, aber doch grüßen: sie<br />

künden vom Wohlbefinden des Bewohners, an dessen Tür sie hängen. Es war die<br />

großartige Idee einer lang verstorbenen Mitbewohnerin, den „Kontrolleuren“ mitzuteilen,<br />

dass man wohlauf ist, indem man das Bild des Vogels umdreht. Und der<br />

„Kontrolleur“ wendet es dann wieder um. So wissen diese Bewohner wiederum,<br />

dass auch er wohlauf ist. Das ist eine geschickte Einrichtung für Bewohner, die nicht<br />

jeden Tag von der Pflege besucht werden. Und es ist ein Schritt zu einer Lebensgemeinschaft,<br />

wenn man sich gegenseitig wahrnimmt.<br />

Und wieder fanden wir uns im Saal ein: zu einem Tierfilm im Rahmen des „Großen<br />

Kinos“, in dem uns faszinierende Aufnahmen aus dem Leben des „Volks der Grä-<br />

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<strong>Haus</strong>zeitung<br />

ser“ gezeigt wurden. Da bekam eine Ameise einen riesigen Regentropfen mitten auf<br />

den Kopf, und ein Mistkäfer kämpfte mit einer ungeheuren Kugel – und erhielt<br />

spontanen Applaus, als er das Hindernis endlich überwunden hatte. Das waren<br />

schöne Bilder!<br />

Eine Gruppe von begeisterten Eurythmisten aus Erewan in Armenien zeigte uns ein<br />

Märchen in ihrer Sprache. Nach einer Einführung in exzellentem Deutsch konnten<br />

wir eintauchen in eine fremde und doch vertraute Welt von herrlichen Bildern,<br />

Farben, Bewegungen und Worten. Die Begeisterung übertrug sich auf uns: es<br />

herrschte fast atemlose Stille im Saal, die sich nur zögernd in Applaus löste!<br />

Während bei uns das Duo „Terra e Aria“ (Erde und Luft) virtuos zarte, flotte Musik<br />

für Flöte und Harfe spielte, tobten „draußen“ Erde und Luft: nach einem schlimmen<br />

Erdbeben in Haiti wurden auch Chile und die Türkei von heftigen Erdbeben, Chile<br />

auch noch von einem Tsunami heimgesucht. Europa, besonders Frankreich und<br />

Deutschland, erlebte einen Sturm wie seit zehn Jahren nicht mehr! Viele, viele Opfer<br />

sind allenthalben zu beklagen. Wir „sind noch einmal davongekommen“!<br />

Als jedoch der ferne Vulkan auf Island ausbrach, waren auch wir betroffen: die<br />

Flughäfen wurden geschlossen, d. h. Gäste kamen nicht an, Urlauber nicht zurück –<br />

und wir erlebten eine außergewöhnliche Stille am Himmel.<br />

Das Wohnzimmer auf Ebene 4 besteht seit zehn Jahren, und im März gab es ein<br />

großes Fest. Das Wohnzimmer ist eine wunderbare Einrichtung, in der sich die<br />

Bewohner mit großer Freude einfinden. Was sie dort basteln, kochen, backen wird<br />

ausgestellt und zum Beispiel auf dem Martinimarkt zum Verkauf angeboten. Am<br />

Festtag kam ich am Nachmittag vorbei, da saßen einige Bewohner und bereiteten ein<br />

Festessen vor. Ich durfte ein Glas Sekt mit selbstgemachtem Holunderbeerensirup<br />

versuchen – das war köstlich!<br />

Auf Ebene 1 gibt es nun auch ein Wohnzimmer, von dem unsere Mitbewohner mit<br />

roten Wangen zurückkommen. Dort wird ebenfalls gebastelt, gebacken und gekocht<br />

– manchmal sogar ein gemeinsames Mittagessen.<br />

Der Vormittag beginnt mit Liedern und Versen, die Frau Discher in großen Buchstaben<br />

in einem Heft zusammengefasst hat. Zur Orientierung in der Zeit werden<br />

Datum und Jahreszeit genannt und entsprechende Lieder gesungen. Der Jahreszeit<br />

entsprechend wird Marmelade gekocht und abgefüllt, werden Ostereier angemalt,<br />

Bratäpfel gebacken oder Plätzchen. Dazu weiß natürlich jede <strong>Haus</strong>frau Tipps.<br />

Erinnerungen werden wachgerufen und geteilt. Auch über die Namen der Bewohner<br />

und ihre Bedeutung wird gesprochen. Es werden Spiele wie „Mensch ärgere dich


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

nicht“ oder mit Bällen (sogar mit Flummis!) gespielt. Als die olympischen Winterspiele<br />

in Vancouver stattfanden, gab es auch im Wohnzimmer eine Olympiade:<br />

immer zwei Bewohner traten gegeneinander an. Sie schäumten um die Wette Milch<br />

mit einem Röhrchen auf, formten Brezeln aus Pfeifenreinigern, balancierten Eier<br />

von einem Löffel in den anderen, zogen Gummihandschuhe an – wissen Sie, wie<br />

schwer das ist? –‚ knoteten und entknoteten Tücher – immer unter dem eifrigen<br />

Anfeuern der anderen. Alle waren mit Begeisterung und Freude dabei! Und alle<br />

bekamen eine Medaille in Form einer in Goldpapier gewickelten Schokolade.<br />

An schönen Tagen werden Ausflüge in Wald und Park gemacht, wo Kastanien o. ä.<br />

gesammelt werden – da wird das Herz weit.<br />

Alle – auch und besonders Frau Discher – sind mit großer Freude dabei, und es wird<br />

viel gelacht! Und man ist erstaunt, wie wach Menschen dabei sind, die nur zu<br />

träumen scheinen!<br />

Anfang März lag so viel Schnee, dass das Süddeutsche Salonorchester – mit Stehgeiger,<br />

Flügel, Cello, Kontrabass, einem Klarinettisten, der flugs zum Saxophonisten<br />

wurde, und einem Tenor mit angenehmer, wandelbarer Stimme – vor nicht voll<br />

besetztem Saal spielte. Die vielen und berühmten Arien und Lieder aus Operette und<br />

Film – das ging von Russland bis Spanien und von zart bis fetzig – wurden dem Titel<br />

„Ein Lied geht um die Welt“ gerecht. Es war ein herrlicher Abend voller<br />

Erinnerungen.<br />

Als Frau Dr. Mascher uns in ihrem Dia-Vortrag „Beim Rauschen des Bheri-Flusses“<br />

vom Alltag im Charjahari-Hospital im – flachen – Westen Nepals mit den schwer<br />

arbeitenden, aber zufriedenen Menschen erzählte, schmolz der Schnee langsam, und<br />

man konnte wieder ohne Gefahr hinausgehen.<br />

Zu Frühlingsanfang, am 20. März, war der Schnee tatsächlich weg – vorerst! An<br />

diesem Tag war das PaulusOrchester bei uns und spielte erst Ouverture, Scherzo und<br />

Finale von R. Schumann, dessen 200. Geburtstags heuer gedacht wird, dann das<br />

Klavierkonzert Nr. 2 von J. Brahms mit dem noch nicht einmal 17-jährigen Jonas<br />

Emanuel Haffner, der bravourös und alles auswendig spielte! Das war ein hervorragendes<br />

Konzert.<br />

Wie jedes Jahr waren auch dieses Jahr Chor und Orchester der Filderklinik am<br />

Vorabend des Palmsonntag bei uns und – ja, man kann sagen: feierten mit uns die<br />

Messe in Es-Dur von F. Schubert, die er in seinem Todesjahr schrieb. Wir waren so<br />

bewegt, dass nach dem letzten Akkord eine lange Stille herrschte! – Einen<br />

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<strong>Haus</strong>zeitung<br />

besonderen Applaus erhielt ein Mitbewohner, der mit Mühe zur Bühne ging, um der<br />

Dirigentin, Frau Monica Bissegger, und dem ersten Geiger einen Kranz umzulegen!<br />

Ich glaube, diese Auszeichnung begleiteten alle Zuhörer mit Anerkennung, war<br />

dieses Konzert doch eine bewegende Einstimmung in die Karwoche.<br />

Geht es auf ein Jahresfest zu, beginnt immer ein geheimnisvolles Tun. Vor Ostern<br />

werden Eier bemalt, Blumen gesteckt, Kuchen gebacken ... Der Ostersonntag beginnt<br />

dann mit einem Jubelchor im Innenhof. Da herrscht eine wunderbare<br />

Stimmung! Zum Frühstück gibt es Ostereier, und der Tisch ist hübsch geschmückt.<br />

Da schmeckt es besonders gut, und es entsteht ein munteres Gespräch.<br />

Vor 20 Jahren wurde der Grundstein für unser <strong>Haus</strong> gelegt, das feierten wir am<br />

Ostermontag im Festsaal.<br />

Zu diesem Anlass gab es eine Chronik, die einen interessanten, farbenfrohen und<br />

abwechslungsreichen Rückblick über diese schwierige, schöne, ereignisreiche Zeit<br />

gibt.<br />

Nun hatten auch die Wolken ein Einsehen und ließen die Sonne durch, und unser<br />

Garten wurde in Rosa und Weiß getaucht. Zwar blieb der April seinem Ruf treu,<br />

aber es gab doch durchaus warme Tage, an denen nicht nur Blumen und Bäume<br />

erblühten, sondern auch die Seele.<br />

Und schon ging es weiter mit Kammerkonzerten: Annemieke Schwarzenegger und<br />

Bernhard Bücker boten uns Cellikatessen mit Cello und Klavier, darunter eine<br />

Komposition eines ihrer Schüler, die er mit ihren Initialen schuf: A-es-c-h und b-b.<br />

Das war lustig.<br />

Das Ilios-Trio – Geige, Cello und Klavier – und das Trio Orplid – Oboe, Fagott und<br />

Klavier – brachten uns die Sonne Italiens und Spaniens – letzteres zugunsten der<br />

Silberwaldschule – ein Genuss!<br />

Unsere Umgebung spricht unsere Sinne auf verschiedenste Weise an: da sind die<br />

Konzerte, die uns erfüllen, und die Natur mit ihren Düften. Dazu kommen die<br />

„richtigen“ Farbtupfer und auch etwas für den Tastsinn: Am letzten Sonntag im<br />

April wurde eine Ausstellung mit Bildern und Skulpturen eröffnet. Das Besondere<br />

an dieser Ausstellung ist, dass Werke von Vater und Sohn gezeigt werden – von<br />

Vater Karl Kluth und Sohn Simon.<br />

Die Bilder von Simon Kluth sind farbenfroh, und man kann lange davor verweilen:


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

man findet immer noch eine Winzigkeit. Von Karl Kluth sind Linolschnitte zu sehen<br />

und Zeichnungen, die als Vorlagen für die Skulpturen dienten und an berühmte<br />

Vorbilder erinnern, und die ausdrucksvollen, fein gearbeiteten Köpfe und Gestalten.<br />

Die Vernissage wurde umrahmt von barocker Musik, gespielt von einem jungen<br />

Klavier-Trio aus Kassel, das den Eindruck verstärkte, dass die beiden Künstler von<br />

einem liebevoll zugetanen Freundeskreis umgeben waren. Für die Zunge – und zum<br />

Durstlöschen – wurden anschließend Getränke ausgeschenkt, und eine Glasharfenspielerin<br />

erfüllte den Innenhof mit zarten, sphärischen Klängen.<br />

Der Mai brachte die Jugend ins <strong>Haus</strong> – aber davon zu erzählen lässt sich Frau<br />

Stübler nicht nehmen, und so übergebe ich quasi den Stift.<br />

Mir bleibt nur noch, meiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass es nach einem<br />

verregneten Mai nur besser werden kann!<br />

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Simone von Dufais


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PGH productions present:<br />

Frank Wedekind: „Frühlingserwachen“<br />

Eine Kindertragödie<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Nach den Musicals „Im Weißen Rössl am Wolfgangsee“ (2008) und „Merlin“<br />

(2009) haben sich Eberhard Riese und die Theater AG auf eine ganz andere Ebene<br />

begeben. Mutig wandten sie sich dem problembeladenen Stück „Frühlingserwachen“<br />

von Frank Wedekind, geschrieben 1891, zu.<br />

Der Selbstmord von Moritz und der Tod der noch kindlichen Wendla durch ein<br />

Abtreibungsverbrechen machen, obwohl nur erdacht, auch nach 110 Jahren betroffen.<br />

Hellsichtig in die Zukunft weisend, klagt Wedekind das herrschende Schulsystem<br />

und die liebesferne Sexualmoral des zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts an.<br />

Noch weit hinein ins 20. Jahrhundert war an eine Loslösung der Sexualität von<br />

Anrüchigkeit und Verdrängung nicht zu denken. Erst vor 50 Jahren wurde durch die<br />

Pille ein eigenverantwortlicher Umgang mit der Liebe möglich. Homosexualität<br />

muss sich heutzutage nicht mehr verstecken.<br />

Leider haben die Schulen mit den Entwicklungen in der Gesellschaft nicht Schritt<br />

gehalten. Der Ruf von Hauptschulen ist schlecht. An den Grundschulen herrscht<br />

gnadenloser Konkurrenzkampf. Und der Leistungsdruck an den G8-Gymnasien ist<br />

schier unerträglich geworden. Extreme Folgen sind nicht selten Selbstmord und<br />

Amoklauf.<br />

Eberhard Riese, Stephan Bronsert und Andreas Medler bieten mit kreativem Mitarbeiten<br />

in unterschiedlichen AGs Entspannung vom täglichen Schulstress an. Mit<br />

„Frühlingserwachen“ entstand so eine wunderbare gemeinsame Produktion.<br />

Stephan Bronsert entwarf ein karges Bühnenbild, tiefschwarz verhängte Wände und<br />

ein zweigeschossiges schwarzes Gerüst. Nur die nötigsten Requisiten dienen den<br />

einzelnen Szenen. Gebündeltes Licht auf die Schauspieler lässt den Bühnenraum<br />

noch dunkler, trauriger werden.<br />

Andreas Medler hat die Musik für sein Schulorchester eingerichtet. Vom Tango über<br />

moderne Weisen, von Rockmusik bis hin zum Bach-Choral verstärkte Musik das<br />

Geschehen auf der Bühne. Die Eingangsmelodie – ergreifend. Dem Orchester und<br />

seinem Dirigenten gebührt ein großes Lob. Den Song, ein Duett über „Ewige, treue<br />

Freundschaft“, hat ein Schüler erdacht und komponiert.


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Die Arbeit an den Aufführungen des PGH bei uns im <strong>Haus</strong> ist nur „die Spitze eines<br />

Eisbergs“. Monate vorher wurde „Frühlingserwachen“ in der Schule besprochen,<br />

dafür geprobt, gefiedelt und gebastelt.<br />

Chaos im Festsaal nach Anlieferung allen Zubehörs! Nun müssen die Bübis sich<br />

bewähren. Ameisenähnlich weiß jeder, was er zu tun hat. So lichtet sich das Durcheinander<br />

schon nach wenigen Stunden. Letzte Arbeiten an den Kulissen – Lichtprobe,<br />

und die Bühne gehört den Schauspielern.<br />

Der erste Durchlauf ist einem Rohbau vergleichbar. In den folgenden drei Tagen bis<br />

zur Premiere werden mir „Frühlingserwachen“ und die jungen Schauspieler nicht<br />

mehr aus dem Kopf gehen.<br />

Eberhard Riese lässt sie frei gestalten, entwickelt mit ihnen Darstellung und Sprache.<br />

Er fördert und fordert. Niemals aufgeregt, immer ruhig und geduldig, verbessert<br />

er und befreit die Zaghaften von Nervosität und Lampenfieber. Ohne Mühe verlockt<br />

er seine Schauspieler zu immer lebendigerem Spielen.<br />

Die Doppelbesetzungen entbinden mich der Nennung von Namen. In die Kleider der<br />

Zwanziger Jahre geschlüpft, bewegten sich die jungen Darsteller anders, die Tangotänzer<br />

wunderbar steif und herrisch.<br />

Der „Vermummte“ aus dem Original-Text wurde bei Eberhard Riese zum eleganten<br />

Verführer in Frack und Zylinder, roter Bauchbinde und Maske. Er geleitet am Ende<br />

des Stücks „Frühlingserwachen“ Melchior ins Leben. Der tote Florian kann ihn<br />

nicht ins Schattenreich des Todes ziehen.<br />

Zwei Gräber unter frühlingsgrünen Bäumen. So das Plakat zum Stück.<br />

„Das Leben geht weiter“, ein banaler, vielfach gedankenlos gebrauchter Satz …, ein<br />

Satz, über den nachzudenken sich lohnt.<br />

Auf die Verzauberung (nicht wörtlich!), die uns Eberhard Riese und seine<br />

Theater AG jedes Jahr schenken, folgt am Morgen nach der „Dernière“ ein eiliger<br />

Abschied. – Unwiederbringlich! – Eine Eigenheit der Schülertheater.<br />

Mit „Frühlingserwachen“ durften wir eine der reifsten Aufführungen der<br />

Theater AG sehen. Sie reichte weit über ein „Schülertheater“ hinaus.<br />

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Elsbet Stübler


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Derivate: Wie wettet man auf Wetten?<br />

<strong>Haus</strong>zeitung<br />

Es ist Februar. Getreidebauer Ueli muss im Herbst die Rechnung für eine neue<br />

Scheune bezahlen. Wenn der Weizenpreis stabil bleibt, ist das kein Problem. Das<br />

Risiko, wegen möglicherweise fallender Preise nach der Ernte seine Scheune nicht<br />

bezahlen zu können, will er aber nicht eingehen. Bäckerin Heidi wiederum hat das<br />

Gerücht gehört, bis zur Ernte könnten die Weizenpreise massiv ansteigen. Heidi und<br />

Ueli schließen nun einen Vertrag, den man auch als Wette oder Versicherung sehen<br />

kann: Die Bäckerin verpflichtet sich, dem Bauern in fünf Monaten, wenn die Ernte<br />

eingefahren wird, 20.000 Franken für 10 Tonnen Weizen zu bezahlen. Steigt in der<br />

Zwischenzeit der Weizenpreis, dann macht Heidi ein gutes Geschäft. Sinkt er aber,<br />

ist das schlecht für Heidi. Ueli aber erhält im Herbst trotzdem genug Geld, um die<br />

Scheune zu bezahlen.<br />

Vom Gerücht der steigenden Weizenpreise hat nicht nur Heidi gehört. Wertpapierhändler<br />

Anton verfügt über geheime Informationen, die ihn kaum an steigenden<br />

Weizenpreisen zweifeln lassen. Er geht deshalb auf Heidi zu und bietet ihr<br />

1.000 Franken, wenn sie ihm ihre Abmachung mit Ueli überträgt. Heidi willigt ein.<br />

Sie hat soeben 1.000 Franken mit dem Verkauf eines Derivates verdient.<br />

Kurz vor der Ernte im August gibt es Unwetter in China. Der Weltmarktpreis für<br />

Weizen steigt um 25 Prozent. Für 10 Tonnen des Getreides zahlt man nun<br />

25.000 Franken. Anton bekommt nach der Ernte von Ueli also Weizen im Wert von<br />

25.000 Franken zum abgemachten Preis von 20.000 Franken. Anton hat somit mit<br />

nur 1.000 Franken Investition einen Gewinn von 4.000 Franken erzielt. Hätte er im<br />

Februar 1.000 Franken direkt in Weizen investiert, so hätte er bei einem Preisanstieg<br />

von 25 Prozent lediglich 250 Franken verdient.<br />

Ein Derivat ist somit nichts anderes als eine Wette auf die Zukunft. Das hat sich<br />

Anton zunutze gemacht – und er hat seine Wette gewonnen (Heidi auch). Ein Derivat<br />

ermöglicht aber auch, sich gegen eine unvorhergesehene negative Entwicklung<br />

zu schützen – wie das Ueli aus Angst vor sinkenden Weizenpreisen getan hat.<br />

Der Begriff „Derivat“ kommt vom lateinischen „derivare“, was „ableiten“ bedeutet.<br />

Der Wert jedes Derivats leitet sich nämlich von einem so genannten „Basiswert“ ab.<br />

Im oben stehenden Beispiel ist der Weizenmarktpreis Basiswert. Dabei sind unendlich<br />

viele Arten von Basiswerten denkbar: etwa Aktien- oder Währungskurse. Möglich<br />

sind sogar Derivatwetten auf zukünftiges Wetter.


<strong>Johanni</strong> <strong>2010</strong><br />

Mit Derivaten kann mit verhältnismäßig wenig Kapital sehr viel Geld verdient oder<br />

verloren werden. Dieser Effekt heißt „Hebelwirkung“. Dank der Hebelwirkung hat<br />

Anton in unserem Beispiel 4.000 statt nur 250 Franken verdient.<br />

2006 betrug der Wert der weltweit gehandelten Derivate übrigens gut das Achtfache<br />

der weltweiten Wirtschaftserträge. Da Derivate komplizierte Gebilde sind, ist es<br />

aber schwierig, ihren Wert zu berechnen. Dafür gibt es Formeln, und wer diese beherrschen<br />

will, braucht sehr gute Mathematikkenntnisse. Noch komplizierter wird<br />

das Ganze, wenn Derivate „verpackt“ werden. So gibt es zum Beispiel Derivate, die<br />

als Basiswert wiederum Derivate haben. Man wettet nun also auf den zukünftigen<br />

Wert einer anderen Wette. Und auch diese Wette kann wieder als Basiswert eines<br />

dritten Derivats dienen. Schlussendlich handelt man mit Wertpapieren, bei denen<br />

nicht einmal mehr Fachleute wissen, auf welchem Basiswert sie im Kern beruhen.<br />

Diese Verwirrung können HändlerInnen noch vergrößern, indem sie ein Derivat auf<br />

verschiedene Basiswerte stützen.<br />

Beliebt ist auch die Weitergabe von (faulen) Krediten in Derivatform. Man packt sie<br />

sozusagen in schönes Papier ein und verkauft sie weiter. Der Käufer verpackt das<br />

Päckchen ein weiteres Mal und verkauft es erneut. Und so weiter.<br />

Das Ganze geht gut, bis einmal jemand genau hinguckt und merkt, dass im Inneren<br />

der Verpackung beispielsweise faule Hypothekenkredite liegen. Nun will plötzlich<br />

niemand mehr die nett anzusehenden Päckchen kaufen, und die Blase platzt. Jetzt<br />

sind nicht nur diejenigen betroffen, die Kredite an zahlungsunfähige KundInnen<br />

erteilt haben, sondern all jene, die Papiere besitzen, die sich auf diese faulen Kredite<br />

abstützen. Und das sind nicht wenige.<br />

Was nun passiert, hat Gian Trepp bereits 1994 in der WOZ beschrieben: Wenn eine<br />

große Bank wegen unkontrollierter Hebelwirkungen von Derivaten enorme Summen<br />

verliere und deswegen ihre Verpflichtungen im Handel mit anderen Banken über<br />

Nacht nicht mehr erfüllen könne, „droht der gefürchtete Dominoeffekt“. Die geschädigten<br />

Banken würden in Panik geraten und ihre Kredite reduzieren, was immer<br />

mehr Konkurse nach sich ziehen würde. Dann sei die Zentralbank gezwungen einzugreifen,<br />

um einen Zusammenbruch der Finanzmärkte und des Zahlungsverkehrs zu<br />

verhindern. Und wieder einmal müsse der Staat dann aus riskanten Geschäften<br />

entstandene Verluste zu Lasten der Allgemeinheit übernehmen, sagte Trepp voraus.<br />

Man hätte damals offenbar auf Derivate setzen sollen, welche die Zukunftsprognosen<br />

von WOZ-AutorInnen als Basiswert gehabt hätten.<br />

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Dinu Gautier - WOZ vom 02.10.2008

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