Braunlage 2011 - Zahnärztekammer Niedersachsen
Braunlage 2011 - Zahnärztekammer Niedersachsen
Braunlage 2011 - Zahnärztekammer Niedersachsen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
GESUNDHEITSPOLITIK<br />
das SGB V. Damit wird die Zielsetzung<br />
der gesetzlichen Sozialversicherung<br />
verlassen. Der Gesetzgeber könnte sich<br />
dies eventuell wünschen, nur dann<br />
müsste er die Zielsetzung der gesetzlichen<br />
Sozialversicherung ändern. Das<br />
ist aber nicht erfolgt. Deshalb gehören<br />
diese Leistungen zum typischen Aufgabengebiet<br />
der privaten Krankenversicherung.<br />
Durch die Vermischung entstehen<br />
Probleme, die der Gesetzgeber offenbar<br />
nicht vorhergesehen hat:<br />
l Die PKV ist körperschaftssteuer-<br />
und versicherungssteuerpflichtig,<br />
die GKV nicht.<br />
l Die PKV unterliegt der Aufsicht des<br />
BaFin, die GKV der des BVA.<br />
l Die PKV muss sich dem Versicherungsvertragsgesetz<br />
und dem Versicherungsaufsichtsrecht<br />
und dem<br />
Bilanzrecht unterwerfen, sie hat die<br />
VVG-Informationspflichtenverordnung<br />
einzuhalten. Die GKV nicht.<br />
l Die Versichertenrechte sind in der<br />
GKV bei Zusatzversicherungen<br />
stark eingeschränkt, die GKV-Tarife<br />
können ohne weitere Begründung<br />
jederzeit beendet werden. Die der<br />
PKV nicht.<br />
l Die PKV muss Rückstellungen bilden,<br />
die GKV nicht.<br />
Die Lösung dieses Dilemmas durch<br />
die aktuelle Koalition sieht nun vor, die<br />
Angebote der Wahltarife eindeutig auf<br />
den Leistungskatalog des SGB V zu beschränken<br />
und die ergänzenden Zusatzleistungen<br />
ausschließlich privaten<br />
Krankenversicherern vorzubehalten.<br />
Die Möglichkeiten zur Kooperation<br />
zwischen Krankenkassen und privaten<br />
Versicherern sollen erweitert werden,<br />
d. h. die Krankenkassen sollen diese<br />
PKV-Tarife anbieten und die Versicherungsfälle<br />
auch abwickeln können.<br />
Doch neue Probleme sind absehbar:<br />
Wie lassen sich die Kosten der Abwicklung<br />
»aus einer Hand« klar von den<br />
Kosten der GKV trennen? Wie werden<br />
die Arzneimittelrabattverträge, die im<br />
Kostenerstattungsverfahren dem Apotheker<br />
ja nicht erkennbar sind und deshalb<br />
keine Wirkung entfalten können,<br />
im Nachgang durch die Kassen behandelt?<br />
Wer kommt in den Genuss des Ra-<br />
70 · ZKN mitteiluNgeN · 2 | <strong>2011</strong><br />
battes, GKV oder PKV? Welche Wettbewerbsverzerrung<br />
im PKV-Bereich entsteht,<br />
wenn bspw. die DAK als KdöR mit<br />
ihrer Neutralitätspflicht einen privaten<br />
Zusatztarif eines einzigen Versicherers<br />
anbietet? Wie erfährt der Patient,<br />
welcher Teil des Erstattungsbetrages<br />
aus dem Topf der GKV und welcher<br />
aus dem der PKV kommt? Fragen, Fragen,<br />
Fragen, die zur Lösung komplizierte<br />
rechtliche Konstrukte erfordern.<br />
Gordisches Beispiel 3<br />
Seitdem der Gesetzgeber im § 73c SGB<br />
V die »Träger von Einrichtungen, die eine<br />
besondere ambulante Versorgung<br />
durch vertragsärztliche Leistungserbringer<br />
anbieten« erfunden hat, die er<br />
in der Gesetzesbegründung um den<br />
mysteriösen Begriff der »Managementgesellschaft«<br />
erweitert, haben einige<br />
Krankenkassen sich an die Exegese<br />
dieser Gesetzesnorm gemacht.<br />
Sie haben den § 73c SGB V für sich so<br />
interpretiert, dass es ihnen erlaubt sei,<br />
Importfirmen für chinesischen Zahnersatz<br />
als Managementgesellschaften<br />
zu betrachten, wenn diese nur eine gewisse<br />
Zahl von Zahnärzten vertraglich<br />
zur Abnahme und Eingliederung ihrer<br />
Billigimporte verpflichtet haben. Die<br />
Krankenkassen wollten sich hiermit<br />
gegenüber den Versicherten als Anbieter<br />
besonders günstiger Zahnersatzbezuschussungen<br />
auszeichnen. »Zahnersatz<br />
zum Nulltarif« lautete die Werbebotschaft,<br />
und zwar bei den Zahnärzten<br />
erhältlich, die bei dieser Ma nagementgesellschaft<br />
unterschrieben haben,<br />
und die auf der Homepage der<br />
Krankenkasse namentlich zu ermitteln<br />
sind.<br />
Nicht nachgedacht hat die Krankenkasse<br />
wohl über die Auswirkungen ihrer<br />
Vorgehensweise. Kann eine Krankenkasse<br />
einen einzigen Importeur<br />
von Zahnersatz bevorzugen? Unterliegt<br />
sie den Ausschreibungsregeln<br />
nach europäischem Recht? Wie lange<br />
dürfen solche Vereinbarungen Gültigkeit<br />
haben, wann muss die Ausschreibung<br />
wiederholt werden, um anderen<br />
Anbietern von Zahnersatz die Gelegenheit<br />
zu geben, in den Wettbewerb einzutreten?<br />
Und der Gesetzgeber hat<br />
Ein gordischer Knoten ist entstanden durch deutsche Bürokraten und Politiker. Während Alexander der Große<br />
diesen Knoten durchschlug oder den Pflock herauszog 1 , an dem er befestigt war, hat Minister Rösler diese Möglichkeit nicht<br />
wohl nicht so recht überlegt, welche<br />
Träger laut SGB V überhaupt besondere<br />
ambulante Versorgung durch vertragsärztliche<br />
Leistungserbringer anbieten<br />
dürfen.<br />
Sind diese »Managementgesellschaften«<br />
vielleicht überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften<br />
mit<br />
Mitgliedern in verschiedenen KZV-Bereichen?<br />
Dann müssten sie allerdings<br />
die diesbezüglichen Vorschriften einhalten,<br />
bspw. einen gemeinsamen<br />
Hauptsitz haben.<br />
Rösler ist nicht Alexander<br />
Die Beispielreihe ließe sich bequem<br />
um weitere hundert ergänzen. Ein gordischer<br />
Knoten ist entstanden, nicht<br />
durch die Götter des klassischen Altertums,<br />
sondern durch deutsche Bürokraten<br />
und Politiker. Während Alexander<br />
der Große diesen Knoten durchschlug<br />
oder den Pflock herauszog 1 , an<br />
dem er befestigt war, hat Minister Rösler<br />
diese Möglichkeit nicht. Anders als<br />
Alexander fehlen ihm die Truppen, um<br />
Persien – sprich das Gesundheitswesen<br />
– zu erobern. So bleibt ihm nur zu<br />
versuchen, den Knoten in Kleinarbeit<br />
zu lösen. Ob er das Gesundheitswesen<br />
auf diese Weise zum Funktionieren<br />
bringt? Ja hat es überhaupt schon einmal<br />
funktioniert?<br />
Funktionierendes<br />
Gesundheitswesen?<br />
Zu beurteilen, ob das Gesundheitswesen<br />
in Deutschland je wirklich funktionierte<br />
– das heißt, seinen eigenen Ansprüchen<br />
gerecht wurde – hängt davon<br />
ab, zu welchem Zeitpunkt wir auf<br />
das Gesundheitswesen schauen wollen.<br />
Gehen wir davon aus, dass erst mit<br />
Bismarcks Einführung der Sozialversicherung<br />
1883 ein Gesundheitswesen<br />
im heutigen Sinne festgestellt werden<br />
kann 2 , so hätten wir einen ersten Zeitpunkt,<br />
ab dem wir dieser Frage nachgehen<br />
können.<br />
Krankenversicherungsgesetz<br />
vom 15. Juni 1883<br />
Zunächst betraf der Versicherungszwang<br />
nur einen kleinen Teil der deutschen<br />
Bevölkerung, nämlich die indus-