Recht & Gesetz - Kammer der ZiviltechnikerInnen für Steiermark und ...
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Brief des Präsidenten<br />
Präsident Dipl.-Ing. Andreas Turk<br />
Unlängst wollten mein Sohn <strong>und</strong> sein<br />
Fre<strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Bahn von Gleisdorf<br />
nach Weiz fahren. Pünktlich trafen<br />
sie am Bahnhof ein. Am Bahnsteig<br />
daneben fuhr ein Zug ein. Sachlich stellten<br />
beide fest: „Das ist nicht unser Zug“. Dieser<br />
Zug verließ den Bahnhof, aber es kam kein<br />
weiterer. Nach vielen weiteren Minuten stellten<br />
die beiden jungen Männer ebenso sachlich<br />
wie beim ersten Mal fest: „Es war doch unser<br />
Zug.“<br />
Als mir mein Sohn noch am selben Abend<br />
diese Geschichte erzählte, sah ich unseren<br />
Berufsstand <strong>und</strong> unsere <strong>Kammer</strong> am Bahnsteig<br />
stehen. Pünktlich standen wir am Bahnhof.<br />
Der Reformzug fuhr ein <strong>und</strong> verließ den<br />
Bahnhof ohne uns. Lange nachdem <strong>der</strong><br />
Reformzug abgefahren ist, stellen wir sachlich<br />
fest: „Es war doch unser Zug.“<br />
Ein versäumter Zug ist nun mal weg. Es gibt<br />
zwar möglicherweise noch Spätzüge, doch es<br />
bleibt eine verspätete Ankunft <strong>und</strong> möglicherweise<br />
laufen wir Gefahr, zu spät ans Ziel zu<br />
gelangen. Wer zu spät kommt, den straft die<br />
Geschichte!<br />
Beim letzten <strong>Kammer</strong>tag in Wien sollten die<br />
Weichen <strong>für</strong> ein neues Berufsgesetz <strong>und</strong><br />
neues <strong>Kammer</strong>gesetz gestellt werden. Beide<br />
Modelle wurden im Prinzip abgelehnt.<br />
Somit kommt es in nächster Zukunft zu keiner<br />
Öffnung <strong>der</strong> <strong>Kammer</strong> <strong>für</strong> alle freiberuflich<br />
tätigen Techniker. Genau so wenig<br />
kommt es zu einer Verbesserung <strong>der</strong> <strong>Kammer</strong>strukturen.<br />
Es verbleiben zu viele Gremien,<br />
die sich weiterhin gegenseitig ihre<br />
Arbeit erschweren. Die Frustration bei den<br />
Funktionären ist zum Teil sehr hoch. So verwun<strong>der</strong>t<br />
es auch nicht, wenn immer weniger<br />
Kollegen Bereitschaft zeigen, als Vertreter <strong>für</strong><br />
unseren Berufsstand tätig zu werden.<br />
Ich wirkte bei jenem Arbeitskreis mit, <strong>der</strong><br />
eine neue <strong>Kammer</strong>struktur konzipierte. Diese<br />
Struktur sah nur mehr eine einzige <strong>Kammer</strong><br />
<strong>für</strong> ganz Österreich vor. Derzeit sind es ja<br />
bekannterweise fünf <strong>Kammer</strong>n. Die Aufgaben<br />
wären je nach Thema von den einzelnen<br />
B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n getrennt o<strong>der</strong> b<strong>und</strong>esweit<br />
gemeinsam wahrgenommen worden.<br />
Die zwanghafte Gemeinsamkeit zwischen den<br />
Sektionen, auch dort, wo nur eine Sektion<br />
allein betroffen ist, wäre durch einen hohen<br />
Grad an Autonomie ersetzt worden. Die<br />
Kooperation sollte aus Vernunft, nicht aus<br />
Zwang stattfinden.<br />
Der öffentliche Auftraggeber wird vermehrt<br />
bedeutungslos, die privaten Aufträge nehmen<br />
zu. Die Vergabemodalitäten unterliegen enormen<br />
Verän<strong>der</strong>ungen. Der Markt verlangt<br />
Kommentar<br />
umfassende Leistungen. Immer kürzere Fristen<br />
bei höherer Komplexität erfor<strong>der</strong>n neue<br />
<strong>und</strong> innovative Bürostrukturen. Die Halbwertzeit<br />
des Wissens wird immer kürzer,<br />
somit die Anfor<strong>der</strong>ung an Fort- <strong>und</strong> Weiterbildung<br />
höher.<br />
Ein mo<strong>der</strong>nes Berufs- <strong>und</strong> <strong>Kammer</strong>gesetz<br />
muss diese Än<strong>der</strong>ungen berücksichtigen. Die<br />
<strong>Gesetz</strong>e müssen uns die Berufsausübung<br />
erleichtern <strong>und</strong> nicht erschweren. Etwas zu<br />
verteidigen, was nicht mehr besteht, führt zu<br />
Misserfolg <strong>und</strong> vergeudet Energie, welche<br />
weit besser genutzt werden könnte.<br />
Den letzten Zug haben wir lei<strong>der</strong> versäumt.<br />
Ein Blick auf den Fahrplan zeigt, dass <strong>der</strong><br />
nächste Zug nicht so schnell kommen wird.<br />
Ich hoffe, dass die Geschichte uns nicht<br />
strafen wird. ■<br />
(DIPL.-ING. ANDREAS TURK)<br />
<strong>Kammer</strong>Nachrichten 1/02 3