Insel malen. Anschließend werden die Bilder mit Klebeband an den Wänden des Klassenraums befestigt. Dann gehen die Kinder durch den Raum und betrachten die Bilder, wie in einer Ausstellung oder in einem Museum. Zum Abschluss können in der Klasse noch einmal über mögliche aufgetauchte Unterschiede in der Freundes- oder Anführerwahl in ihrem Alltag hier und der Fantasie-Insel gesprochen werden. Gemeinsam kann überlegt werden, welche Eigenschaften ein guter Freund / ein guter Anführer nun wirklich haben sollte. 19
INHALTLICH VERTIEFENDE & KRITISCHE TEXTE FÜR INTERESSIERTE LEHRER/INNEN Beobachtungsverhältnisse von Susanne Lüdemann Das Märchen von Des Kaisers neuen Kleidern ist unter anderem eine Parabel über die sozialen Bedingungen des Sehens. Dabei dekuvriert es ganz nebenbei ein Phantasma, das sich mit (und gegen) Niklas Luhmann als Phantasma der Beobachtung zweiter Ordnung bezeichnen lässt. Um den Preis der Gegenstands Verknappung soll diese nämlich leisten, was Beobachtung erster Ordnung nicht zu leisten vermag. Sie soll einen „universalen Weltzugang“ vermitteln und den Beobachter zweiter Ordnung dadurch allen anderen Beobachtern überlegen machen: „Aber Beobachtung zweiter Ordnung ist ja nicht nur Beobachtung erster Ordnung. Sie ist weniger und sie ist mehr. Sie ist weniger, weil sie nur Beobachter beobachtet und nichts anderes. Sie ist mehr, weil sie nicht nur diesen ihren Gegenstand sieht (= unterscheidet), sondern auch noch sieht, was er sieht und wie er sieht, was er sieht; und eventuell sogar sieht, was er nicht sieht, und sieht, dass er nicht sieht, dass er nicht sieht, was er nicht sieht. Auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung kann man also alles sehen: das, was der beobachtete Beobachter sieht, und das, was der beobachtete Beobachter nicht sieht. Die Beobachtung zweiter Ordnung vermittelt einen universalen Weltzugang.“ Eben so lautet auch das Versprechen, mit dem die Betrüger Andersens Märchenkaiser aufwarten. Angetan mit den fabelhaften neuen Kleidern, soll der Kaiser nicht nur sehen, was seine Untertanen sehen und wie sie sehen, sondern in Sonderheit auch, was sie nicht sehen; eventuell soll er sogar sehen können, dass sie nicht sehen, was sie nicht sehen - und dass sie auch das nicht sehen. Dieser Einblick in das Sehen- und Nichtsehenkönnen der anderen soll es dem Kaiser erlauben, gute und schlechte („dumme“, „amtsuntaugliche“) Untertanen voneinander zu unterscheiden, und ihm so das Herrschen erleichtern – ein praktisches Motiv, das neben die narzisstische Prämie der Allsehendheit tritt, die den Monarchen in die panoptische Position eines absoluten Subjekts bringen soll. Man könnte zwar meinen, dass er in dieser Position - der Position des Souveräns und absolutistischen Herrschers - ohnehin schon sei und deshalb der Dienste jener Betrüger gar nicht bedürfte. Es ist jedoch ein altes Paradox der Fürstenherrschaft, dass man im Zentrum der Macht ganz besonders wenig sieht und deshalb gute Ratgeber braucht. [...] Die Betrüger in Andersens Märchen tauchen also am Platz der Ratgeber auf. Das Kleid, das sie zu weben versprechen, hat allerdings die besondere Eigenschaft, alle Ratgeber überflüssig zu machen: Einem Lügendetektor gleich, soll es den Kaiser in den Stand setzen, allein über wahr und falsch, Wert und Unwert seiner Untertanen zu befinden; es verspricht also, Objektivität dort einzuführen, wo vorher nur die Verantwortung des - besser oder schlechter beratenen - subjektiven Urteils stand. Dass der Kaiser hier überhaupt Bedarf verspürt, zeigt ihn bereits als Angehörigen eines Zeitalters, dem die bloße Autorität des Herrschers nicht mehr reicht, das Gesetz zu machen; aufgeklärter als seine Untertanen, geht es ihm um Wahrheit dort, wo diese sich mit seinem bloßen Befehl begnügen (und folglich sehen, was sie sehen sollen). 20