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dr. med. robert g. jackson - Sapientia

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DR. MED. ROBERT G. JACKSON<br />

NIE<br />

MEHR<br />

KRANK<br />

SEIN<br />

Das Geheimnis langen Lebens<br />

Bearbeitet und herausgegeben<br />

von Dr. Ralph Bircer, Züric<br />

18. Auflage<br />

ALBERT MÜLLER VERLAG – RÜSCHLIKON-ZÜRICH<br />

STUTTGART – WIEN<br />

1


Berectigte Übersetzung aus dem Engliscen,<br />

besorgt von Barbara von Sprecher<br />

Titel der in Kanada erscienenen Originalausgabe: „How to be always well“<br />

Nac<strong>dr</strong>u% verboten – Alle Recte vorbehalten<br />

Albert Müller Verlag, AG, Rüsclikon-Züric, 1968<br />

Aczehnte Auflage<br />

123. bis 130. Tausend der deutscspracigen Gesamtausgabe<br />

Printed in Swizerland<br />

SCANNED BY HARDEN 2001<br />

2


Inhalt<br />

Vorwort von Dr. Ralph Bircher 5<br />

1. Vom Wesen der Krankheit und der Lebenskraft 7<br />

2. Die Grundgesetze des Lebensprinzips 17<br />

3. Natur und Unnatur 24<br />

4. Unsere Nahrungsmittel 35<br />

5. Falsche Ernährungsgewohnheiten 53<br />

6. Die Haut und ihre vernachlässigten Funktionen 66<br />

7. Unterentwickelte Muskeln 73<br />

8. Dr. Jackson stellt sich um 83<br />

9. Die richtige Ernährung 97<br />

10. Gesunde Muskelentwicklung 112<br />

11. Die Pflege der Haut 125<br />

12. Geist, Gefühlsleben und Schlaf 134<br />

13. Schlußbetrachtungen 146<br />

4


Vorwort des Herausgebers<br />

Der Verfasser dieses Buches, einer der meistbekannten Ärzte Amerikas, hat eine<br />

höchst bemerkenswerte Lebensgeschichte. Sie war in ihrem ersten Teil vor allem eine<br />

Krankengeschichte. Geboren von einer schwer herzkranken Mutter als ein<br />

schwächliches Zwillingskind, machte er in Kindheit und Jugend fast alle Krankheiten<br />

durch, die ein heranwachsender Mensch bekommen kann, um dann aber, dank seiner<br />

Begabung und guten Erziehung, die Sorgen seiner Eltern zu belohnen, indem er ein<br />

Mediziner mit angesehener Praxis wurde. Seine Gesundheit hielt sich leidlich bis zum<br />

32. Altersjahr, dann brach sie zusammen, als ob die geringe Lebenskraft, die ihm<br />

zugeteilt war, sich erschöpft hätte. So wurde er in seinen besten Mannes – Jahren<br />

immer mehr ein „wandelndes Siechenhaus“: der Magen war schwer entzündet, die<br />

Zähne fielen aus ihrem Knochenbett heraus, der Dickdarm bildete Geschwüre und<br />

Fisteln, entsetzliche Kopfschmerzen kamen immer wieder und immer häufiger,<br />

Nervenentzündungen raubten den Schlaf, rheumatische Gelenkentzündungen<br />

hinderten die Bewegungen, und ein gefährliches Herzleiden, mit steigendem<br />

Blut<strong>dr</strong>uck und nicht operierbarem Grünen .Star brachten ihn trotz allen Behandlungen<br />

und Kuren so weit, daß ihm, nach dem Urteil der berühmtesten Ärzte seiner Zeit,<br />

höchstens noch vier Monate Lebensmöglichkeit zuzubilligen waren.<br />

So stand es mit Dr. Jackson, als er 49 Jahre alt war: er hatte den sicheren Tod vor<br />

Augen. Da geschah in ihm eine Wandlung. Er wandte sich von den Auffassungen der<br />

<strong>med</strong>izinischen Autoritäten ab und setzte sein ganzes Vertrauen in den in aller<br />

lebendigen Natur wirkenden Schöpfer, beobachtete seine Wege, die ewigen<br />

Ordnungen und Gesetze des Lebens, fügte sich diesen ein, vereinfachte und wandelte<br />

seine Lebensgewohnheiten und . . . genas. So sehr erstarkte und gesundete er im Laufe<br />

einiger Jahre, daß fortan keine Krankheit ihm mehr nahetrat, und daß er selbst noch als<br />

Achtzigjähriger 12 bis 16 Stunden täglich als Arzt, Berater und Vortragender tätig sein<br />

und die sportlichen Leistungen eines etwa <strong>dr</strong>eißigjährigen Mannes vollbringen konnte.<br />

Wie dies möglich war, welche Beobachtungen, Erkenntnisse, Vereinfachungen und<br />

Gewohnheiten ihm, dem früheren Siechenhaus- und Todeskandidaten, diese herrliche<br />

Lebensfrische verschafften, kann man in diesem Buche lesen, und zwar so, daß es im<br />

einsichtigen Leser bei jedem Wort „ja“ sagt: „Ja, das will und kann ich auch!“ Kein<br />

Wunder, daß dieses Buch in Amerika berühmt ist und eine gewaltige Verbreitung<br />

gefunden hat.<br />

Wir leben in einer Zeit erstaunlicher Neuerungen, vor allem auch auf dem Gebiet<br />

der Krankheitsbekämpfung. Cibazol, Penicillin, Streptomycin sind einige Marksteine<br />

auf dem Wege, der zu einem noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehaltenen<br />

Aufstieg in der Bekämpfung infektiöser Erkrankungen führte. Begeisterung hat viele<br />

ob dieser Großtaten ergriffen, und manche Menschen haben heute das Gefühl, man<br />

dürfe jetzt eher eine Krankheit riskieren, weil das Heilen ja so leicht und bequem<br />

gemacht ist. Man nimmt an, daß bald für jede Krankheit ein Wundermittel gefunden<br />

sein wird. Bereits wird ein neuer Anstieg der Ansteckungen an<br />

Geschlechtskrankheiten gemeldet, weil sich auch in dieser Hinsicht Sorglosigkeit<br />

ausgebreitet hat.<br />

Wenige sehen, daß alle diese Triumphe auf einem kleinen Nebenkriegsschauplatz<br />

der Medizin, dem Kampf gegen die Erregerkrankheiten, erzielt worden sind, während<br />

auf dem Hauptkriegsschauplatz, dem Kampf gegen die Zivilisations- oder<br />

5


Degenerations- und Alterskrankheiten, also gerade gegen jene Leiden, die Dr. Jackson<br />

in seiner ersten Lebenshälfte be<strong>dr</strong>ängten, keine ähnlichen Triumphe zu verzeichnen<br />

sind. Hier gibt es nicht einmal einen Stillstand, sondern nur einen schweren Abwehr-<br />

und Rückzugskampf, dessen Ausgang die Fachkundigen mit Sorgen betrachten.<br />

Da sind zum Beispiel die Zuckerkranken, deren Sterblichkeit seit 1930 in der<br />

Weltstadt New York um 65 % zugenommen hat, trotz modernsten<br />

Bekämpfungsmethoden, trotz der so wertvollen Errungenschaft der<br />

Insulinbehandlung! Die Diphtheriegefahr hat man beinahe überwunden, aber an der<br />

Zuckerkrankheit sterben bei uns in der Schweiz 20mal mehr Menschen als an<br />

Diphtherie. — Da ist sodann die gewaltige Gruppe der Herz- und Nierenleiden, die<br />

gegenwärtig rund 500mal mehr Todesfälle verursacht als Scharlach oder Masern;<br />

dabei ist die Zahl der Opfer beständig und anscheinend unaufhaltsam im Steigen<br />

begriffen. Die Sterblichkeitskurve der Herz- und Nierenkranken biegt sich immer<br />

rascher nach oben und wird, falls nicht eine Wendung kommt, in wenigen Jahren eine<br />

Verdoppelung der Todesfälle gegenüber 1930 anzeigen. — Und was für eine<br />

Erleichterung bringt uns der Rückzug der Tuberkulose, der übrigens bereits wieder<br />

einem Vorstoß gewichen ist, wenn gleichzeitig die gewaltige Gruppe der<br />

rheumatischen Krankheiten, die 36mal mehr Krankheitsfälle und 50mal mehr<br />

Invalidität verursachen als die Tuberkulose, in einem noch be<strong>dr</strong>ohlicheren Tempo<br />

anschwillt. Denn nach den Erhebungen von Bruck hat sich beispielsweise beim<br />

Personal der Schweizerischen Bundesbahnen die rheumabedingte Invalidität in den<br />

zehn Jahren von 1926 bis 1935 ver<strong>dr</strong>eifacht! — Mit diesen Hinweisen haben wir aber<br />

erst einen Teil der Zivilisationskrankheiten erwähnt und noch nichts von der Zunahme<br />

der Magen- und Darmkrankheiten, der Nervenleiden, des Krebses gesagt. Von alledem<br />

gibt sich die Öffentlichkeit nur wenig Rechenschaft; dazu steht sie viel zu sehr im<br />

Banne der „Penicillin-Begeisterung“.<br />

Für alle jene Menschen aber, welche diesen Tatsachen, die über kurz oder lang ja<br />

doch zur Geltung kommen, ins Angesicht blicken, wird das Buch Dr. Jacksons, der in<br />

sich die Summe der Zivilisationskrankheiten überwand, ein herrliches, ein erlösendes<br />

Buch sein.<br />

Die Lehren Dr. Jacksons decken sich in allen wesentlichen Punkten mit dem, was in<br />

Europa u. a. Dr. Bircher-Benner seit fünfzig Jahren lehrte. Die beiden Pioniere lernten<br />

sich erst kurz vor dem letzten Kriege kennen und in gegenseitiger Freundschaft und<br />

Verehrung schätzen. Es war Dr. Jacksons aus<strong>dr</strong>ücklicher Wunsch, daß kein anderer als<br />

Dr. Bircher-Benner sein Buch in Europa herausgeben sollte, und als dieser nach<br />

Erfüllung seines Lebenswerkes das Zeitliche segnete, schenkte der Verfasser dem<br />

Unterzeichneten das Vertrauen, diese Aufgabe in sinngetreuer Anpassung des Werkes<br />

an europäische Verhältnisse zu Ende zu führen. Daß die deutsche Ausgabe nun dank<br />

der vorzüglichen Mitwirkung der Übersetzerin, Fräulein Barbara von Sprecher, und<br />

des Albert Müller Verlags erscheinen kann, wird, wie wir wissen, für viele ein<br />

freudiges Ereignis sein.<br />

Erlenbach am Zürichsee<br />

Dr. Ralph Bircher<br />

6


1. KAPITEL<br />

Vom Wesen der Krankheit und der Lebenskraft<br />

Unter allem, was die Schöpfung an Lieblichem und Wohlgefälligem<br />

hervorgebracht bat, ist sicherlich nichts so schön und beglückend wie der Anblick<br />

eines vollkommen gestalteten menschlichen Körpers. Nicht viele von uns wissen<br />

jedoch um diese Schönheit; denn ein falsch gerichtetes und falsch angewandtes<br />

religiöses Gefühl hat in uns eine kleinliche, unreine, unfromme Gesinnung erzeugt, die<br />

den Körper, den geweihten Tempel unserer Seele, verachtet.<br />

Diese Auffassung stammt aus der religiösen Einstellung längstvergangener Zeiten,<br />

als noch Menschen von engem Horizont, Mönche und Frömmler, anstatt geistig<br />

Erleuchteter die Weltanschauung bestimmten. Sie übersahen, daß ein unrein<br />

gescholtener Körper von selbst unreine Gedanken erweckt. Wird der Körper durch die<br />

Bekleidung unseren Blicken entzogen, so ist das eine Herausforderung an sämtliche<br />

Kräfte unserer Phantasie, die alles, was wir angeblich nicht sehen dürfen, nach<br />

Belieben vor unsere Augen zaubern und noch dazu in der unsauberen Form, die den<br />

Dingen durch das Verbot anhaftet.<br />

Betrachten wir unser wahres Selbst aber mit den Augen reifer Geistigkeit, so strahlt<br />

es uns entgegen als Funken des endlosen göttlichen Glanzes, enthüllt sich uns als<br />

Seele, die selber aus dem Staub der Erde den herrlichsten aller Tempel sich zu bauen<br />

vermag; dann befinden wir uns auch in der richtigen geistigen Verfassung, um die<br />

erstaunliche Schönheit des menschlichen Körpers zu erkennen.<br />

Das will natürlich nicht heißen, daß jeder menschliche Körper tatsächlich über alle<br />

Maßen schön zu nennen ist — obwohl es sicherlich im Rahmen des Möglichen liegt,<br />

daß ein jeder es sein könnte; denn nur weil wir den Körper so sehr verachten und<br />

mißhandeln, zeigt er — mit wenigen und darum auffallenden Ausnahmen — eine<br />

unschöne, unterentwickelte Gestalt.<br />

Die Zeit wird aber sicherlich einst kommen, da der biblische Aus<strong>dr</strong>uck „zum Bilde<br />

Gottes“ etwas Konkretes und Greifbares darstellen wird. Er bedeutet, daß wir<br />

tatsächlich zu Gottes Ebenbild geschaffen sind, weil wir in unserer auf höhere<br />

Entwicklung gerichteten Vernunft die schöpferischen Möglichkeiten mitbekommen<br />

haben, uns innerhalb gewisser Grenzen der Naturgesetze zu unserem Frommen selber<br />

zu bedienen. Dann werden wir einsehen, daß niemand den Körper verachten kann,<br />

ohne gleichzeitig auch seinen Erbauer und Bewohner, den göttlichen Funken in uns, zu<br />

beleidigen. Dann werden wir auch aufhören, den menschlichen Körper moralisch zu<br />

werten; wir werden vielmehr in unseren Körpern Tempel erblicken, die unser innerstes<br />

Selbst dem Lebensfunken zur Wohnung baut, und werden durch geduldige Arbeit dem<br />

vor Zeiten durch die alten Griechen erreichten Ideal der Körperschönheit nahekommen<br />

können, es vielleicht sogar zu übertreffen wissen.<br />

Es wird behauptet, daß das alte Griechenland in intellektueller Beziehung den<br />

fortgeschrittensten modernen Staaten weit überlegen gewesen sei; sein<br />

Kulturdurchschnitt stand nach der Meinung mancher Sachverständiger so weit über<br />

demjenigen heutiger Kulturländer, wie die heutigen Kulturnationen sich über primitive<br />

Rassen erhaben dünken. Dieser hohen Kulturstufe entspricht es durchaus, daß die<br />

7


Griechen mit all ihrer Bildung und intellektuellen Fortgeschrittenheit die Schönheit als<br />

oberstes Ideal verehrten; sie priesen sie und verherrlichten sie. Aber ihrer höchsten<br />

Auffassung von Schönheit kam nichts so nahe wie der menschliche Körper. Sie<br />

schufen in Marmor nach, was in Fleisch und Blut um sie herum lebte und ihre im<br />

Geiste geschauten Idealbilder verkörperte.<br />

Und weil sie den menschlichen Körper als vollkommene Erscheinung ansahen,<br />

füllten sich ihre Gedanken mit Bildern der Vollkommenheit, und ihre Lebensweise,<br />

die Nahrung, die körperliche Betätigung, alles richtete sich auf das mit Innigkeit<br />

erstrebte Ziel der Vollkommenheit ein. So erreichten sie denn auch dieses Ziel, und<br />

wir könnten dasselbe tun.<br />

Die Griechen verachteten unschöne Formen, weil sie nach ihrer Auffassung der<br />

Absicht der Natur widersprachen; der Besitzer eines unschönen Körpers stand deshalb<br />

in geringem Ansehen, denn die Verantwortlichkeit für seine Gestalt wurde ihm<br />

auferlegt. Und das Leben der Griechen wurde daher nicht von Schlemmerei und Gier<br />

und nicht von nie<strong>dr</strong>iger Sinnlichkeit bestimmt wie unser modernes Dasein, sondern<br />

von einer ganz großen Liebe zur Keuschheit und zu gesunder Schönheit.<br />

Nie wäre es jenen “barbarischen“ Griechen in den Sinn gekommen, den<br />

menschlichen Körper als etwas Unreines, Unmoralisches zu betrachten oder ihn den<br />

menschlichen Blicken zu entziehen. Ihre Verehrung für das, was unsere prüde<br />

Gesinnung durch schmutzige Vorstellungen entwürdigt und entheiligt hat, ließ sie zu<br />

einer Größe der Auffassung, zu einer Reinheit ihrer Gedankenwelt gelangen, mit der<br />

sich unsere heutige Einstellung nicht entfernt messen kann.<br />

Unser Irrtum liegt darin, daß wir glauben, wir seien Körper, die eine Seele<br />

beherbergen; das Umgekehrte ist der Fall: wir sind Seelen, welche die Macht haben,<br />

sich eigene Wohnstätten zu erbauen.<br />

Es gab eine Zeit, in der die Wissenschaftler die Nichtexistenz Gottes durch<br />

verblüffende Ergebnisse chemischer Experimente beweisen wollten. Statt dessen<br />

ergaben ihre Forschungen, daß sie ihr eigenes Dasein nicht erklären konnten, solange<br />

sie nicht das Dasein Gottes in ihre Berechnungen mit einbezogen. Man stellte die<br />

Elemente, aus denen sich die Körper zusammensetzten, ihre Zahl und ihre<br />

gegenseitigen Verhältnisse fest. Solche Elemente wurden in genauen Proportionen und<br />

unter den denkbar günstigsten Bedingungen für Lebensentfaltung wieder<br />

zusammengefügt, aber die Masse blieb kalt, unbewegt und tot; es fehlte ihr etwas, das<br />

keine Wissenschaft aus ihr herauszuholen, in sie hineinzulegen vermochte, etwas, das<br />

jenseits jeder sinnlichen Erkenntnis lag, jenseits aller menschlichen Einfühlung in<br />

Übernatürliches, jenseits jeder Ahnung, sogar jenseits jeden Phantasiebildes einer noch<br />

so kühnen Einbildungskraft.<br />

Darum verneint die Wissenschaft Gott jetzt nicht mehr. Sie steht heute in tiefster<br />

Ehrfurcht vor jedem verschlossenen Tor, das ins Unbekannte führt. Das Wunder des<br />

mit schöpferischer Intelligenz begabten Menschenkörpers, dieses heiligen Rätsels,<br />

erfüllt sie mit Staunen, und sie erkennt, daß hier, in ihrem eigenen Tempel<br />

eingeschlossen und behütet, die Seele des Menschen wohnt und wirkt, der Funke des<br />

unendlichen Lichtes, der Geist aus Gott.<br />

Vielleicht gebraucht die Wissenschaft das alte Wort „Gott“ nicht gerne und benützt<br />

lieber Aus<strong>dr</strong>ücke wie „Kraft“, „höchste Vernunft“ oder andere Schlagwörter modernen<br />

Gepräges, um diese alles durch<strong>dr</strong>ingende, jedem Zugriff entweichende Macht<br />

anzudeuten. Aber wozu um Namen streiten, die nichts an den Tatsachen ändern ?<br />

8


Die Schöpfungsgeschichte berichtet allerdings, daß Gott den Menschen aus einem<br />

Erdenkloß formte und ihm seinen Odem in die Nase blies; so sei der Mensch eine<br />

lebendige Seele geworden. Wie stimmt das, fragst du, mit der Wissenschaft überein?<br />

Und darauf antworte ich: Überraschend genau sogar. Behauptet doch die<br />

Wissenschaft, daß die ersten Lebensformen unserer Erdkugel auf den von Ebbe und<br />

Flut überspülten Schlammufern der warmen Meere der Urzeiten erschienen. Diese<br />

ersten Lebewesen bestanden aus denselben chemischen Stoffen wie der warme feuchte<br />

Grund ihres morastigen Mutterstrandes.<br />

Jene früheste Lebensform bestand aus einer einzigen mikroskopisch kleinen Zelle;<br />

sie schloß einen Lebensfunken in sich ein, der sie von allen zwar aus demselben Stoffe<br />

bereiteten, aber nicht lebendigen Dingen ihrer Umgebung unterschied. Sobald der<br />

Lebensfunken den kleinen einzelligen Körper wieder verließ, fiel dieser in den<br />

gleichen leblosen Zustand zurück wie die übrige Erdmaterie. Es ist daher einleuchtend,<br />

daß der Körper eines solchen Lebewesens für sein Dasein auf etwas anderem beruhen<br />

mußte als auf der Erdmaterie, aus der er sich gebildet hatte: auf der Lebensessenz, dem<br />

Lebensgeist, der in ihm wohnte und ihn lebendig erhielt. Die Lebensessenz hat die<br />

Fähigkeit, sich aus den Stoffen des Erdbodens einen Körper aufzubauen. Jedes<br />

lebendige Wesen hat diese Fähigkeit. Die Lebensessenz in pflanzlichen Lebewesen hat<br />

die Fähigkeit, diese Stoffe durch die Wurzeln unmittelbar aus dem Boden zu beziehen,<br />

und sie baut sich zur Behausung einen Pflanzenkörper auf. Tierische Lebewesen<br />

führen sich die Erd- oder Mineralstoffe durch Verzehren der Pflanzenkörper zu; sie<br />

verzehren aber damit nur wieder Erdenstaub in organischer Form, was sich durch die<br />

Tatsache beweisen läßt, daß sich tierische Körper rasch in Erdenstaub zersetzen,<br />

sobald der Lebensfunke sie verlassen hat.<br />

Was von der kleinen einzelligen Lebensform am flutgetränkten Meeresstrand vor<br />

vielen Millionen von Jahren wahr gewesen, das gilt aber auch heute noch, und zwar<br />

für jedes einzelne lebende Wesen, den Menschen inbegriffen.<br />

Schon vom Augenblick der Befruchtung an ist die Allkraft — die wir benennen<br />

können, wie wir wollen, ohne daß sich ihre Natur dadurch ändert — im Körper der<br />

werdenden Mutter am Werke; sie vermehrt durch Teilung die Zellen des befruchteten<br />

Eies und legt auf diese Weise den Grund zum körperlichen Wachstum. Nach einiger<br />

Zeit beginnt dieselbe Kraft die sich vermehrenden Zellen zu verändern und ihnen<br />

unterschiedliche Funktionen zuzuteilen; die einen sollen die Nieren bilden, die andern<br />

die Leber, andere wieder das Gehirn, die Nerven, das Herz, die Lungen usw., bis der<br />

ganze Körper geformt ist. Dieser Aufbau des kleinen Körpers durch Aufteilung und<br />

Vermehrung seiner Zellen geschieht buchstäblich „aus dem Staub der Erde“; seine<br />

Mutter führt durch ihr Blut dem wachsenden Gebilde Nahrung zu, die dem Erdboden<br />

entstammt. Die Zellen nehmen, in ihrer Auswahl durch den ihnen innewohnenden<br />

Aufbauwillen geleitet, alle notwendigen Bestandteile auf. So wird der menschliche<br />

Körper aus dem Staub der Erde geschaffen. Es ist darum wahr, was die<br />

Schöpfungsgeschichte berichtet: daß Gott den Menschen nach seinem eigenen Bilde<br />

aus einem Erdenkloß formte, und er formt ihn immer noch weiter.<br />

Aber bis zur Stunde der Geburt hat dieser Körper noch kein unabhängiges eigenes<br />

Leben; erst nach Ablauf einer festgesetzten Zeit wird er aus dem mütterlichen Leib in<br />

die Welt hinausgeboren. Soll er leben, so muß der große Lebensstoff, der Sauerstoff,<br />

ihn wecken und durch<strong>dr</strong>ingen; daher regt sein Lebensfunke — Gott — das kleine<br />

leblose Bündel von Organen zu einer Lebensäußerung an, die es in seinem ganzen<br />

9


isherigen neunmonatigen Dasein der Zellenvermehrung noch nicht gekannt hat: es<br />

atmet. Ein Hauch strömt durch die winzigen Nasenflügel ein, und unter unseren Augen<br />

vollzieht sich das lieblichste Schöpfungswunder; so wird es buchstäblich zur<br />

Wahrheit: „Gott blies dem Menschen seinen Odem in die Nase, und er wurde eine<br />

lebendige Seele.“<br />

Aber erst wenn wir die kosmische Bedeutung dieser Vorgänge mit der ungeheuren,<br />

uns durch diesen Plan der Vorsehung auferlegten Verantwortung erfaßt haben, fangen<br />

wir an, wirklich zu begreifen. Das Lebensprinzip, der Lebensfunke in uns, unser<br />

wahres Selbst stammt aus der Unendlichkeit — aus Gott; und dieses wirkliche Selbst<br />

ist der Baumeister, der unsere Körper aus Erde aufbaut; wir sind der ewigen Quelle —<br />

Gott — verantwortlich für die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit des Baues.<br />

Wir haben also dafür zu sorgen, daß der Bau in gutem Zustand erhalten bleibt und<br />

gegen vorzeitigen Verfall geschützt wird.<br />

Was das bedeutet, will wohl überlegt sein. Könnte uns die unendliche Weisheit<br />

Gottes, die Quelle allen Lebens und der alleinige Ursprung aller Dinge, dort zur<br />

Verantwortung ziehen, wo wir diese Verantwortung zu tragen nicht fähig wären, wo<br />

uns die nötigen Voraussetzungen zur Erfüllung dieser Ansprüche fehlten? Unmöglich.<br />

Wenn daher unser Körper zu einem schönen Tempel erbaut werden kann und soll, so<br />

muß uns die Möglichkeit gegeben sein, einen entsprechenden Bauplan zu entwerfen<br />

und die nötigen Baustoffe richtig zu wählen. Denn die Vorsehung stellt uns keine<br />

Aufgabe, zu deren Erfüllung sie uns nicht auch befähigt hat.<br />

Hier kommt uns nun die Gesundheitslehre zu Hilfe. Ihre Sache ist es, das<br />

einwandfreie Material zum Aufbau unseres Körpers herauszufinden und es uns<br />

anzuzeigen. Solange wir dieser Seite unseres Lebens keine Beachtung schenken,<br />

behandeln wir unseren Körper nicht viel besser als einen lebendigen Abfalleimer; wir<br />

mißachten ihn und denken an nichts an<strong>dr</strong>es als an die Befriedigung seiner Begierden;<br />

wir behängen ihn mit Flitterwerk, putzen ihn auf, bemalen und verschönern ihn nach<br />

Möglichkeit, um die Schäden zu verdecken, die unsere Nachlässigkeit und unsere<br />

sinnliche Haltlosigkeit verursachen. Im Notfall lassen wir durch den Fachmann, den<br />

Arzt, Ausbesserungen vornehmen; in den meisten Fällen wird er, anstatt das<br />

Lottergebäude neu aufzurichten, mit Flickwerk arbeiten, hier eine Lücke zustopfen,<br />

dort eine Schindel ersetzen, da ein gesprungenes Band zusammenlöten oder eine<br />

ausgehängte Türe wieder in ihre Angeln heben. Wie anders die Griechen! Beständig<br />

waren sie vom höchsten Lebensgefühl durch<strong>dr</strong>ungen, wie es uns vielleicht<br />

ausnahmsweise beim Anblick einer schönen Landschaft, eines gewaltigen Gebäudes,<br />

eines erhebenden Schauspiels, eines ergreifenden Bildwerks oder beim Hören eines<br />

tiefgefühlten Tonstücks auch durchflutet. In der Regel aber verbinden die meisten von<br />

uns mit ihrem Körper nicht mehr Lebensgefühl, als eine Kartoffel oder ein Kohlkopf<br />

es allem Anschein nach tut. An Stelle dieses Lebensgefühls empfinden wir die<br />

Schmerzen, das Unbehagen selbstverschuldeter Übelstände, die eine unvermeidliche<br />

Folge unserer sorglosen Inkonsequenz sind: Wahllos, oder vielmehr nur von den<br />

Ansprüchen unserer materiellen Sinne geleitet, nehmen wir die Nahrung, den Baustoff<br />

für den Tempel unserer Seele, in uns auf.<br />

Leider spreche ich hier nicht nur von der Menge der Laien. Wer über das Thema<br />

schon nachgedacht hat, besonders wenn er zu der Gedankenarbeit noch die<br />

Beobachtung hinzufügte, kann sich nicht genug darüber wundern, daß die Ärzte mit<br />

wenigen Ausnahmen die im menschlichen Körper ruhenden Möglichkeiten zu eigener<br />

10


gesunder Schönheitsentwicklung gar nicht in Betracht ziehen; sie ahnen nicht entfernt,<br />

wie ungeheuer groß die Wirkung ausgleichender Nahrung und einer nach gewissen<br />

Gesichtspunkten geordneten Lebensweise auf das Aufblühen körperlicher Schönheit<br />

sein kann. Bis vor kurzer Zeit pflegten die meisten Mediziner, mit Ausnahme<br />

sogenannter „0riginale“ oder gelegentlich eines ganz großen Erleuchteten, auf den<br />

Arzt, der dieser Denkungsart zuneigte, als auf einen verschrobenen Kauz<br />

herabzusehen. Aber diese Mediziner sind selbst nichts Besseres als Flickschuster,<br />

Ausbesserer. Freilich sind es gerade diese unerfreulichen Zustände, die unserer<br />

Ärztegilde ihr fortdauerndes Bestehen unter den bürgerlichen Einrichtungen<br />

gewährleisten. Jedoch welch schöner Traum, sich auszudenken, wie es anders sein<br />

könnte: die gesamte heutige Krankenfürsorge müßte dann weiseren Institutionen den<br />

Platz räumen; wie einst Moses die Israeliten aus Ägypten, so müßte eine neue<br />

Ärzteschaft die zivilisierte Menschheit in das gelobte Land der vollkommenen<br />

Körperentwicklung führen, gemäß den wunderbaren Fortschritten unseres Zeitalters<br />

auf dem Gebiet der Hygiene und der sanitären Einrichtungen.<br />

Die alten Griechen, die wahrscheinlich nichts oder nur wenig von Hygiene und<br />

Sanität wußten, haben es sogar an ihrem eigenen, zu so vollendeter Schönheit<br />

entwickelten Körperbau bewiesen, daß es möglich ist, die Lebensgrundsätze<br />

aufzufinden, welche die Entwicklung einer gesunden, vollkommen proportionierten,<br />

vergeistigten und beseelten Rasse gewährleisten. Unter den heutigen Kulturvölkern<br />

kennen wir keine solchen Rassen mehr. Aber primitive Rassen unserer Zeit beweisen<br />

uns immer noch, daß es Lebensgrundsätze gibt, die den physischen Aufbau<br />

begünstigen und in hohem Maße von Krankheiten freihalten. Sogar unter uns<br />

Zivilisierten beginnt sich die Wahrheit bahnzubrechen; Tausende von Männern und<br />

Frauen in allen zivilisierten Ländern haben nach nicht <strong>med</strong>izinischen Methoden ihren<br />

Körper mit größerer Symmetrie, vollkommenerer Anmut und kräftigerer Gesundheit<br />

ausgestattet, als ihre Mitmenschen es vermochten. Diese Männer und Frauen haben die<br />

Lebensmethoden der alten Griechen zum mindesten teilweise wieder für sich entdeckt,<br />

die uralten Methoden der Natur, die für jeden von uns ein offenes Buch sein sollten —<br />

und es nicht sind. Denn um eigenes Forschen und eigenes Arbeiten geht es hier.<br />

Mein Blick fällt auf einen Fetzen altersfleckigen Papiers, der neben meinem<br />

Schreibblatt liegt. Darauf steht folgendes zu lesen:<br />

„Sydenham, der große Arzt, sagte: Wenn ich meinen allgemeinen Erfolg auf ein<br />

spezielles Rezept zurückführen sollte, so hieße dieses Rezept, daß ich stets meine<br />

eigene Autorität geblieben bin. Nicht, daß ich immer meine wichtigeren Ideen selber<br />

gefunden hätte. Oft siebte ich sie aus dem Gedankengut anderer heraus, häufig aus<br />

ganz versteckten Quellen; aber da ich mich nicht der Autorität oder den Traditionen<br />

der sogenannten Großen anschloß, blickte ich in das Inwendige der Dinge; ich las<br />

alles; das gab mir die Möglichkeit und den Vorteil, ursprünglich zu sein, Tatsachen<br />

aus unbekannten, unerwarteten Quellen zusammenzutragen und auf diese Weise<br />

meiner Zeit einen Schritt voraus zu sein.“<br />

Sydenham erlangte Größe, weil er in Dinge hineinblickte, an denen andere<br />

Menschen achtlos vorübergehen.<br />

Von einem andern Autor führe ich folgende Stelle an: „Sydenhams Platz in der<br />

Geschichte der Medizin ist ihm schon angewiesen worden. Scheinbar war er in der<br />

Wissenschaft hinter seiner Zeit zurück, aber tatsächlich war er ihr in der Praxis voraus.<br />

In akuten Krankheiten erblickte er das Hervortreten jener Aktivität, durch welche die<br />

11


Natur sich selbst zum Recht zu verhelfen sucht — einer Aktivität, über der gewacht<br />

und die so viel als irgend möglich unterstützt werden muß. Chronische Leiden<br />

betrachtete er ebenfalls mit dem Auge des Hippokrates und beurteilte sie als Folgen<br />

von Gewohnheiten oder Fehlern, für die wir in der Hauptsache selber verantwortlich<br />

sind; er begegnete ihnen durch Vorschriften für angemessene Veränderung der Diät<br />

und Lebensweise. Unter speziellen Beiträgen für die Nosologie diagnostizierte er als<br />

erster das Scharlachfieber und klassifizierte den Veitstanz. Ein anderes Leiden, in<br />

dessen Behandlung er besondere Erkenntnisse gewann, war die Gicht.“<br />

Sydenham lebte im siebzehnten Jahrhundert. Unter allen seinen Zeitgenossen, deren<br />

Namen uns überliefert worden sind, glänzt sein Ruhm weitaus am hellsten.<br />

War dieser Stern unseres Berufsstandes ein Anhänger des Herkömmlichen? Nicht<br />

im mindesten! Fürchtete er selbständiges Denken — oder übte er es furchtlos? Nein<br />

auf die erste, und ein entschiedenes Ja auf die zweite Frage.<br />

Um das, was die damaligen „Autoritäten“ verkündeten — ihre eigenartigen, fast<br />

phantastischen Begriffe von Ursachenforschung und ihre Überschätzung menschlicher<br />

Kunstgriffe in der Behandlung von Krankheiten —, kümmerte er sich nicht; er suchte<br />

sich seinen eigenen Weg durch den Irrgarten verwirrender Ideen und Ansprüche seiner<br />

Zeit und kam in bezug auf Krankheitsverursachung und Heilung zu dem<br />

überraschenden Schluß, daß alle Krankheit selbstverschuldet ist und daß ihre Heilung<br />

nur auf dem Wege des ungehinderten Spieles der wiederherstellenden Naturkräfte<br />

erfolgen kann, die im Körper selber und in seiner natürlichen Umgebung vorhanden<br />

sind.<br />

Die moderne Medizin scheint übrigens auf der Schwelle zu den gleichen<br />

Schlußfolgerungen zu stehen, besonders im Hinblick auf Krankheiten wie<br />

Tuberkulose, Rachitis, Skorbut, Beriberi und Pellagra, obgleich sie es selber noch<br />

nicht erkannt hat.<br />

Für jemanden, der dazu neigt, mit der Ansicht, daß Mikroorganismen die Ursache<br />

unserer Krankheiten sind, in Konflikt zu geraten, ist es ermutigend, daß er sich in so<br />

guter Gesellschaft wie Hippokrates und Sydenham befindet, welche beide die<br />

Krankheit als einen weitgehend von Gewohnheiten verursachten Zustand des Körpers<br />

ansahen und nicht als ein unabhängiges Etwas, das von außen in den Körper ein<strong>dr</strong>ingt.<br />

Ich bin sicher, daß diese Anschauung der Krankheitsverursachung bald<br />

Allgemeingut würde, könnten wir uns vom Einfluß des Herkömmlichen und<br />

Überlieferten befreien.<br />

Die durchschnittliche <strong>med</strong>izinische Auffassung ist nämlich die, daß Krankheit<br />

etwas ist, das man „kriegt“. Und doch hat man nie richtig verstanden, was wir denn<br />

eigentlich dabei „kriegen“ — das heißt, was bei einer Erkrankung im Grunde vor sich<br />

geht. Seit den Tagen, da Kranksein gleichviel bedeutete, wie von einem Teufel<br />

besessen sein, sind wir davon überzeugt, daß wir es kriegen oder daß es uns kriegt.<br />

Und als Pasteur daherkam und die innere Verbindung der Bakterien mit dem<br />

Krankheitsprozeß aufzeigte — wie natürlich schien es da, seine Behauptung zu<br />

unterstützen, daß die Bakterien die Ursache unserer Erkrankungen seien. Wir<br />

erwischen den Keim, und wir bekommen die Krankheit. Man sieht deutlich, wie leicht<br />

dieser Gedanke in unser konventionelles Denken paßt und in den uralten Glauben, daß<br />

Krankheiten durch äußere Ursachen veranlaßt werden.<br />

Die meisten Mediziner sind eben leider ausgesprochene Autoritätsverehrer und<br />

konventionelle Denker und können deshalb schwer einsehen, daß es noch irgendeinen<br />

12


Weg außer dem ausgetretenen Pfad konventioneller Überlieferungen geben könnte.<br />

Aristoteles, der „Lehrer der Jahrhunderte“, sagt einmal, daß „der Mann, der für sich<br />

selber beobachtet und denkt, weise ist; daß aber, wer außerdem noch die<br />

Beobachtungen und Gedanken anderer erwägt und auch die Meinungen der<br />

Unbedeutenden nicht verschmäht, ein Lehrer der Jahrhunderte ist“.<br />

Die meisten Menschen, die in irgendeinem wesentlichen Maße der Welt ihren<br />

Stempel aufge<strong>dr</strong>ückt haben, besaßen eben diese Achtung vor der „Meinung<br />

Unbedeutender“; sie hatten zu gleicher Zeit keine besondere Achtung vor den<br />

Meinungen der Maßgebenden. Hätten sie Ansehen und Einfluß bewundert, so wären<br />

sie notwendigerweise gedankengebunden gewesen, und niemals hätte die Welt von<br />

ihnen vernommen.<br />

Vor allem wir Ärzte dürfen uns deshalb nicht blenden lassen. Wir müssen die<br />

Augen öffnen und beobachten, wir müssen auch hören und annehmen, was andere<br />

Menschen, selbst einfache Leute und sogenannte Ungebildete, beobachtet und erfahren<br />

haben. Nur auf diese Weise können wir dem gegen unseren Beruf gerichteten Spott<br />

entgehen, daß wir uns selber nicht gesund zu erhalten wissen und ebenso hilflos<br />

dahinsterben wie die Patienten, die um Rat und Hilfe zu uns kommen.<br />

Ich leugne natürlich keineswegs, daß die Bakterien ihre Rolle im Ablauf der<br />

Krankheit spielen; aber daß Bakterien die primäre Ursache einer Krankheit sind, kann<br />

ich mich nicht zu glauben zwingen, ohne meinen Verstand zu vergewaltigen. Die<br />

innere, selbstgeschaffene, gewohnheitsverursachte Verfassung muß vorher vorhanden<br />

sein, denn ohne sie sind Bakterien machtlos, eine Krankheit hervorzurufen. Wäre es<br />

anders, so müßten wir alle ununterbrochen erkranken, weil wir alle ununterbrochen<br />

mit diesen „Krankheitserregern“ in Verbindung stehen.<br />

Wenn wir aber beständig mit Bakterien in Berührung kommen und doch als<br />

Einzelwesen verhältnismäßig selten erkranken — ist es dann nicht klar, daß hier noch<br />

ein stärkerer Faktor als die Bakterien im Spiele sein muß, etwas, das die Bakterien<br />

erfolgreich bekämpft und die Krankheit verhütet? Dieses Etwas muß ein körperlicher<br />

Zustand, eine körperliche Beschaffenheit sein. Und es ist in der Tat ein körperlicher<br />

Zustand. Sein Name lautet: lebendige Widerstandskraft.<br />

Schon das Kind wird mit dieser Widerstandskraft ins Leben hineingeboren, sonst<br />

würde es bei der Geburt nach der ersten Berührung mit den „Krankheit hervorrufenden<br />

Kleinlebewesen“ fast augenblicklich sterben. Ein jeder Mensch steht in täglicher<br />

Berührung mit diesen Mikroorganismen; wenn wir alle trotzdem tagaus tagein<br />

weiterleben und uns im Durchschnitt eines guten Befindens erfreuen, so muß auch<br />

jeder von uns eine solche lebendige Widerstandskraft besitzen, die den Kontakt mit<br />

Krankheitskeimen zu einer harmlosen Begegnung macht. Man wird aber kaum mit der<br />

Annahme fehlgehen, daß die wenigsten Menschen je daran denken, ihre<br />

Widerstandskraft gegen Krankheiten zu festigen und zu stählen. Und unsere<br />

allgemeinen Lebensgewohnheiten sind ohne Ausnahme dazu angetan, unsere Kräfte zu<br />

schwächen. Trotzdem haben wir noch genug Vitalität, um dem Ansturm der<br />

Krankheiten zu widerstehen; ihr heimtückisches Einnisten können wir freilich nicht<br />

verhindern. Für diese Vitalität sorgt die Natur bei einem jeden einzelnen von uns, wie<br />

sie es schon bei dem neugeborenen Säugling tut.<br />

Das heimtückische Einnisten der Krankheit — ein Thema, das viele Gedanken<br />

weckt. Wie entsteht Krankheit? Ein unheimlicher, anfangs kaum bemerkbarer Vorgang<br />

beeinträchtigt allmählich die Lebenskraft, und eines Tages bricht plötzlich mit akuter<br />

13


Heftigkeit ein Leiden aus; wir stehen wie vom Blitze gerührt! Aber machen wir es uns<br />

gleich klar: lange bevor die Explosion erfolgte, war die Mine gelegt. Durch irgendeine<br />

schließliche Überbeanspruchung wurde die Zündung bewirkt. Es mag nichts weiter<br />

gewesen sein als eine allzu üppige Mahlzeit oder eine übermäßige körperliche<br />

Anstrengung oder eine heftige Gemütsbewegung. Ein voll lebenskräftiger Körper hätte<br />

die Beanspruchung leicht und ohne Schaden ertragen.<br />

Vermag aber lebendige Widerstandskraft bei einem gesunden Menschen den<br />

Ausbruch einer Krankheit zu verhindern, so ist offenbar ihr Fehlen und nicht die<br />

Wirkung der Bakterien die primäre Ursache der Krankheit; das heißt, erst wenn die<br />

lebendige Widerstandskraft versagt, können die Bakterien den Ablauf der Krankheit<br />

beeinflussen.<br />

In welche Richtung verweist diese Erkenntnis den Arzt, wo sieht sie seine wahre<br />

Aufgabe? Natürlich soll er die zerbrochene Puppe wieder flicken, den<br />

Gesundheitsschaden wieder gutmachen; doch niemals kann das sein höchstes Ideal<br />

sein. Das höchste Ideal, das wir anstreben müssen, ist die Erkenntnis, wie menschliche<br />

Körper so lebenstüchtig gemacht werden können, daß sie dem Ansturm der Krankheit<br />

immer erfolgreich widerstehen. Setzen wir diese Erkenntnis in die Tat um, so werden<br />

wir damit unseren Mitmenschen beweisen, daß auch sie von Krankheit und<br />

vorzeitigem Tode verschont bleiben können, sofern sie es nur wollen.<br />

Nach allem, was bisher gesagt wurde, versteht es sich von selbst, daß diese<br />

lebendige Widerstandskraft im Körper nicht durch <strong>med</strong>izinische Mittel oder<br />

irgendwelche menschlichen Künste entwickelt werden kann. Aber woher soll man sie<br />

dann nehmen, wenn man sie verloren hat?<br />

Ich frage mich, ob je ein Arzt einen anderen Hort der Lebenskraft und<br />

Widerstandsfähigkeit entdecken konnte als die aus unerschöpflichem Reichtum<br />

spendende Natur; und dennoch, wie wenige Mediziner haben überhaupt nur erkannt,<br />

welche Rolle diese lebendige Widerstandskraft in der Verhütung von Krankheiten<br />

spielt! Deshalb suchen sie die Krankheit auf alle möglichen künstlichen Arten zu<br />

bekämpfen. Haben sie wohl noch nie überlegt, woher es kommen mag, daß ein<br />

ärztlicher Kunstgriff, eine Medizin beim einen Patienten hilft, beim andern nicht?<br />

Entgeht es ihrer Beobachtung wirklich, daß der Widerstand, den der Lebenswille<br />

einzelner Kranker ihren Übeln entgegensetzt, diese Kranken rettet, während er bei den<br />

anderen zu gering ist, um die gleiche Be<strong>dr</strong>ohung zu bannen? Was kann aber<br />

menschliche Geschicklichkeit dort noch ausrichten, wo die Würfel schon gefallen<br />

sind? Den lebendigen Widerstand, der allein unbezwinglich ist, kann sie jedenfalls<br />

nicht ersetzen, und dieser Widerstand ist im kritischen Augenblick vorhanden oder<br />

nicht vorhanden; dazwischen gibt es nichts.<br />

Wie viele Fragen, die einem denkenden Menschen zu tun geben, erheben sich da.<br />

Was kann die ärztliche Kunst in den beiden Fällen, dem guten und dem bösen,<br />

ausrichten, wie weit reicht ihr Einfluß? Wie mögen sich die einzelnen Zellen in beiden<br />

Fällen verhalten? Und so vieles mehr. Aber werden moderne Ärzte sich je auf eine<br />

derartige Betrachtungsweise einlassen? Hand hoch! — alle, die sich schon die Mühe<br />

genommen haben, über solche Dinge nachzudenken! — Hm — genau wie ich mir's<br />

dachte.<br />

Gerade jene Mediziner aber, die sich noch niemals gründlich mit derartigen<br />

Problemen befaßt haben, sind unduldsam gegen die nicht herkömmliche Denkweise<br />

und gegen das nicht konventionelle Verfahren. Sie gehören alle zu dem Typus, der auf<br />

14


solche Fragen gleich antwortet: „Um Himmels willen, mein Lieber, lassen wir die<br />

Gespräche über Gesundheit!“ Allerdings ist auch keiner von ihnen ein Sydenham, und<br />

keiner von ihnen hat Aussicht, je ein Sydenham zu werden, noch ein Franklin, noch<br />

ein Faraday, ein Napoleon oder Aristoteles, denen der Nichtfachmann, der einfache<br />

Mann, der „gewöhnliche“ Mann neue Gedanken wie glitzernde Juwelen zutragen<br />

durfte.<br />

Nun — ich kann es nicht länger verheimlichen — ich besitze ein Rezept für die<br />

Erlangung lebendiger Widerstandskraft, das die kritischste Untersuchung nicht zu<br />

scheuen braucht. Ich kann es in <strong>dr</strong>ei Wörtern aus<strong>dr</strong>ücken: „Folge der Natur!“ Besser<br />

noch mit vier Wörtern: „Störe die Natur nicht!“<br />

Es ist ein Rezept. „Störe den Gang der Natur nicht, vertritt ihr nicht den Weg.“<br />

Gleichzeitig aber ist es auch ein Gedanke. Überlege, was er bedeutet. Bedenke, was er<br />

alles in sich schließt. Außerhalb des geistigen Gebiets ist er das höchste dem<br />

Menschen erreichbare Ideal.<br />

Kein anderer Beruf als der des Gesundheitsforschers hängt so eng mit der Natur und<br />

ihrem Wesen zusammen. Wir Ärzte geben denn wohl auch in gelegentlichen<br />

Anwandlungen der Ehrlichkeit zu, daß die Natur kuriert hat, wo immer eine Kur<br />

gelungen ist. Aber wie wenig erforschen wir in Wirklichkeit diese Natur und ihre<br />

Wege! Wie sind wir stets geneigt, unsere Behandlungen mit künstlichen Mitteln zu<br />

führen! Wie wenig Beachtung schenken wir den Naturgesetzen, deren Befolgung für<br />

uns, für uns selber, eine vollkommene Befreiung von Erkrankung bedeuten würde.<br />

Wie wenig beobachten wir den Willen der Natur in den Tieren! Diese Geschöpfe sind<br />

denselben Gesetzen von Leben und Tod unterworfen wie wir Menschen. Sie können<br />

erkranken, und sie erkranken, wenn ihre Lebensbedingungen ihnen von den Menschen<br />

aufgezwungen werden. Ganz besonders gilt das für verwöhnte und zu sorgsam gehegte<br />

Haustiere, die um so öfter erkranken, je mehr wir sie verhätscheln. Aber wenn sie<br />

krank sind, dann richten sie sich darnach ein, verweigern zum Beispiel einfach alle<br />

Nahrung — sofern sie sich selber überlassen werden —, verkriechen sich in die<br />

Einsamkeit und verhalten sich vollständig passiv dem Einströmen der kosmischen<br />

Kräfte gegenüber; ohne Einmischung von außen her werden sie auch fast ausnahmslos<br />

wieder gesund, auf dem Wege der Natur.<br />

Können wir in all dem nicht einen Fingerzeig für uns selber entdecken? Wenn wir<br />

ernst machen mit dem Motto: „Störe die Natur nicht“, sicherlich. Denn die erste<br />

Lektion, die es zu lernen gilt, ist die, daß es im Wesen der Natur liegt, nie zu<br />

verweichlichen. Die Lebensbedingungen der Natur sind hart. Wir können zwar<br />

wünschen, sie wären es nicht, aber sie sind Widerstandskraft der Körperzellen sowohl<br />

einzeln als auch in ihrer Zugehörigkeit zu den Organen und ebenso des ganzen<br />

Körpers entwickelt. Und das kann nur geschehen, wenn der Körper systematisch<br />

Anstrengungen zu leisten hat, etwas überwinden, etwas aushalten lernt, Widerstand<br />

leisten muß.<br />

Da ich Diätetiker bin, werden manche meiner Leser der Ansicht sein, daß ich<br />

eigentlich bloß über Ernährung schreiben dürfte. Aber ich gehöre zu einer anderen<br />

Sorte von Diätetikern. Lange genug habe ich diese Dinge studiert, um zu wissen, daß<br />

die beste Diät nur ein bescheidener Teil der gesamten Diätetik ist. Gerade weil die<br />

Diätetik sich in den meisten Fällen auf das Studium der Nahrung beschränkt hat und<br />

viel zu sehr auf die Bemühung, die Nahrungsmittel möglichst leicht verdaulich zu<br />

machen, ist es ihr nicht gelungen, den Platz in unserem Beruf zu gewinnen, der ihr von<br />

15


Rechts wegen gebührt. Unter den gegenwärtig herrschenden Verhältnissen sollte der<br />

Diätetiker zum mindesten die ganze Lebensweise des Patienten leiten. Dann würde er<br />

überraschende Erfolge erzielen. Aber weder der Diätetiker noch irgend jemand anders<br />

wird solche Erfolge erleben, der nicht die Natur mit einem offenen und<br />

unvoreingenommenen Verstand befragt. Selbst die beste Diätetik der Welt kann ohne<br />

natürliche Stimulierung der Abwehrreflexe die Lebenskraft und die<br />

Widerstandsfähigkeit niemals genügend erhöhen und stärken, um den Menschen vor<br />

Erkrankungsgefahr zu schützen. Oder glaubt jemand ernstlich, daß das bloße Essen der<br />

wissenschaftlich vollkommensten Nahrung echte körperliche Tüchtigkeit und gesunde<br />

Widerstandskraft zu erzeugen vermag? Ich jedenfalls hätte allein infolge der<br />

verbesserten Nahrung nicht gesunden können, obwohl ich im Folgenden nicht anstehe,<br />

die Veränderung der Ernährungsweise als den ersten Schritt in der Umstellung auf<br />

gesunde Lebensgewohnheiten zu bezeichnen.<br />

Gehorcht der Mensch den Vorschriften der Natur auf ihren sämtlichen Gebieten,<br />

dann kann er so frei von Krankheit werden und bleiben, wie es die primitiven Rassen<br />

sind und wie es unsere Ureltern in der grauen Vorzeit waren. Und das kann mir<br />

jedermann glauben: nichts gibt eine durch<strong>dr</strong>ingendere Befriedigung, ein stärkeres<br />

Lustgefühl als das Bewußtsein vollkommener, unbezwingbarer Gesundheit.<br />

16


2. KAPITEL<br />

Die Grundgesetze des Lebensprinzips<br />

Merkwürdig, daß es primitiven Rassen — Menschen ohne die elementarsten<br />

Schulkenntnisse, Menschen, welche bloß im Buch der Natur zu lesen verstehen, die<br />

nichts wissen von Hygiene, Diätetik, Psychologie, Wirtschaftslehre oder Körperkultur<br />

— gelingt, stark und kräftig heranzuwachsen, von Krankheiten und Leiden fast<br />

gänzlich verschont zu bleiben und im allgemeinen erst hochbetagt, meist an<br />

Altersschwäche, zu sterben, wenn nicht ein Unfall sie vor der Zeit hinwegrafft.<br />

Ein Gefühl des Neides beschleicht den Kulturmenschen, denn ihn haben die<br />

höheren Mächte nicht in demselben Maße geschützt und begünstigt. Und doch wäre es<br />

zwecklos, die Vorsehung ungerechter Bevorzugung der wild lebenden Geschöpfe<br />

anzuklagen. Ist es nicht vielmehr so, daß sie uns alle vor Krankheit und Leiden<br />

behüten möchte? Sie will sicherlich eine gesunde Menschheit. Sie rüstet den einzelnen<br />

ja auch mit den entsprechenden Kräftevorräten und Verteidigungsmitteln aus. Wenn es<br />

trotzdem unter den Kulturvölkern eine so große Menge kranker Geschöpfe gibt, ist das<br />

zweifellos irgendeinem verderblichen Einfluß zuzuschreiben, der sich den<br />

wohlwollenden Absichten der Natur entgegenstellt. Diesen verderblichen Einfluß<br />

müssen wir für alles Leiden, das Krebs, Tuberkulose, Grippe, Typhus und tausend<br />

andere Übel über die so weise, kluge, tüchtige Kulturmenschheit bringen,<br />

verantwortlich machen. Und dieselbe böse Macht hindert auch eine ganze Armee von<br />

Ärzten, Apothekern, Krankenschwestern an produktiver Arbeit. Sie alle verbrauchen<br />

ihre Zeit und ihre Kräfte zur Linderung von Leiden, die den Menschen gar nicht<br />

befallen sollten.<br />

Diesem Problem möchte ich hier auf den Grund gehen. Wie kommt es nur, daß<br />

primitive, aller Kultur fern lebende wilde Rassen sich ihre Gesundheit ohne Mühe<br />

erhalten können, während bei uns Spitäler und immer wieder Spitäler "gebaut und<br />

beständig mehr Kräfte zur Pflege der Kranken und Leidenden benötigt werden? Wie<br />

ist das zu erklären?<br />

Die seltsame Frage <strong>dr</strong>ängt sich uns auf, ob Gott absichtlich die höchste Blüte seiner<br />

Schöpfung, die Kulturmenschheit, mit so viel Unheil heimsuche.<br />

Für mein Gefühl ist ein solcher Gedanke eine Gotteslästerung. Die meisten<br />

Menschen glauben an einen Schöpfer und denken sich ihn vollkommen. Aus<br />

Vollkommenheit kann aber nur Vollkommenes entstehen, und daher müssen alle<br />

Dinge, die von dem vollkommenen Schöpfer ausgehen, vollkommen sein. Der<br />

Gedanke an einen Schöpfer, der Unvollkommenes schafft oder sein Wohlgefallen an<br />

Not und Elend hat, widerstrebt der Intelligenz jedes denkenden Menschen.<br />

17


Dann muß aber auch die Menschheit, die Gott zu seinem Ebenbilde schuf, das<br />

höchste Produkt seiner vollkommenen schöpferischen Kraft darstellen — und dann<br />

muß auch wieder unser göttlich hoher Vorsatz zurück zum Bilde Gottes streben. Der<br />

menschliche Körper als vollkommenster sichtbarer Aus<strong>dr</strong>uck, als greifbare<br />

Manifestation der Schöpferkraft, hat die Bestimmung, die Vollkommenheit des<br />

Schöpfers widerzuspiegeln.<br />

War es aber des Schöpfers Wille, in unserem Körper göttliche Vollkommenheit zur<br />

Darstellung zu bringen, dann muß uns natürlich auch die Möglichkeit, solche<br />

Vollkommenheit zu erlangen, mitgegeben worden sein. Und allen meinen Lesern<br />

möchte ich es hier sagen: wir haben diese Möglichkeit.<br />

Eine nähere Betrachtung des Problems lehrt uns nämlich, wie ich schon sagte, den<br />

Grund der Bevorzugung primitiver Geschöpfe darin erkennen, daß solche<br />

unverdorbenen Wesen nach den . göttlichen Gesetzen leben, nach den Vorschriften der<br />

Natur. Wer sucht, der findet in der Natur auch tatsächlich die Lebensprinzipien,<br />

welche den Weg zur vollständigen Gesundheit anzeigen. Diese Auffassung wird unter<br />

anderem durch die Tatsache bewiesen, daß primitive Rassen sehr wohl mit der Kultur<br />

in Verbindung treten und dennoch von Krankheiten verschont bleiben können, solange<br />

sie die Lebens-, insbesondere die Ernährungsgewohnheiten der zivilisierten Menschen<br />

nicht annehmen. Auch Tiere, die ihr Leben frei und im Einklang mit den Gesetzen<br />

ihres Schöpfers führen, kennen verminderte Gesundheitszustände nicht. Und wenn wir<br />

bei der zivilisierten Menschheit so viele Mängel entdecken, unter denen primitives<br />

Leben nicht leidet, dann müssen wir die Schuld daran wohl ohne Frage unseren<br />

Kultureinrichtungen, unseren Kulturgewohnheiten zur Last legen.<br />

Nie dürfte daher ein Kranker oder Leidender die Worte über seine Lippen gehen<br />

lassen: „Es ist Gottes Wille“, oder gar: „Sein Wille geschehe“; er sollte sich im<br />

Gegenteil vorwerfen, Gottes Gesetzen bewußt oder unbewußt zum Trotz gelebt und<br />

die unausbleiblichen Folgen auf sich gezogen zu haben, also mehr oder weniger selber<br />

schuld an seinem Unglück zu sein.<br />

Die einfachsten Überlegungen müssen uns zu diesen Schlußfolgerungen hinführen,<br />

und die abstraktesten und tiefsten Spekulationen am Ende auch. Wir brauchen nur die<br />

Lebensgewohnheiten der zivilisierten Welt uns vor Augen zu halten, um diese<br />

Tatsache einzusehen.<br />

Dieses Buch ist aus dem heißen Wunsche heraus entstanden, allen denen zu helfen, die<br />

sich nach einem vollkommenen Körper sehnen. Jeder kann dieses große Ziel erreichen,<br />

die ganze Menschheit hat ein Anrecht darauf. Unser Körper soll ja Palast des Geistes,<br />

Tempel der Seele sein, eine Stätte, die der göttliche Lebensfunke, der schwache Strahl<br />

und Abglanz des großen Lichtes, lange, lange, lange Zeit bewohnen möchte.<br />

Man lese die folgenden Zeilen aufmerksam durch; man nehme die darin enthaltenen<br />

Lehren in sich auf und befolge sie nach dem Buchstaben und nach dem Geiste. Die<br />

Belohnung für verständige und konsequente Durchführung der darin entwickelten<br />

Regeln wird ein junger, froher, kraftstrotzender Körper sein.<br />

Der <strong>med</strong>izinisch gebildete Leser mag im Verlaufe dieses Buches öfters auf<br />

Behauptungen stoßen, die mit den heutigen physiologischen Anschauungen nicht in<br />

allem übereinstimmen. Er wird aber auch bemerken, daß meine Ausführungen bloß<br />

von Auffassungen und niemals von anerkannten physiologischen Tatsachen<br />

abweichen. Ich habe übrigens meine Einstellung erst unter dem Drucke zwingender<br />

Erfahrungen gewonnen und mich bemüht, die in meinem eigenen Falle und in vielen<br />

18


anderen Fällen erhaltenen Ergebnisse befriedigend zu erklären.<br />

Das Buch ist aber auch und ebensosehr für Laien bestimmt. Es enthält daher weder<br />

technische Spitzfindigkeiten noch literarische Schnörkel. Sein Zweck ist, aufzuklären<br />

und zu erziehen, und in dem Sinne, daß Aufklärung in sich selbst der reizvollste aller<br />

Reize ist, wird man ihm hoffentlich auch einen gewissen Reiz nicht absprechen<br />

können.<br />

Wo mir die <strong>med</strong>izinische Sprache über das allgemeine Verständnis hinauszugehen<br />

schien, habe ich mich einer der Laieneinsicht angepaßten Aus<strong>dr</strong>ucksweise beflissen.<br />

Oberflächlich betrachtet, können solche Stellen freilich dazu führen, daß der<br />

Brufs<strong>med</strong>iziner Ideen aus ihnen herausliest, die ich gar nicht vertrete. Ich wußte nicht,<br />

wie ich das vermeiden sollte. Ernstlicher Schaden wird aber schwerlich daraus<br />

entstehen, denn einen anderen Erfolg können solche Stellen unmöglich haben, als daß<br />

die Menschen endlich beginnen, die große Bedeutung einer richtigen Lebensweise<br />

einsehen zu lernen.<br />

�<br />

Die folgenden Ausführungen kann ein Leser, den zu viele prinzipielle<br />

Betrachtungen langweilen, überspringen. Dann täte er freilich besser, gar nicht mehr<br />

weiterzulesen.<br />

Zum Glück gibt es jedoch auch solche Menschen, die sich für Erklärungen<br />

interessieren und die ein Resultat erst dann annehmen, wenn sie die demselben<br />

zugrundeliegenden Gesetze kennengelernt haben. Sie bilden die einzige Gattung Leser,<br />

für die zu schreiben es sich wirklich lohnt. Diese grundsätzlichen Erörterungen —<br />

überhaupt das ganze Buch — sind darum für sie und eigentlich nur für sie geschrieben.<br />

Denn nur Schlußfolgerungen, die auf dauerhafte Prinzipien gegründet sind, werden<br />

einleuchten. Wer meine Auseinandersetzungen heute als gegebene Tatsachen<br />

hinnimmt, kann möglicherweise morgen entgegengesetzten Behauptungen ebenso<br />

willig Gehör schenken. Die einen glauben, nachdem sie erst zweifelten, dann fragten,<br />

dann einsahen und schließlich wußten; die andern haben kurzerhand angenommen; sie<br />

können und werden aber niemals einsehen noch wissen.<br />

Bevor wir daher an die Besprechung der Art und Weise gehen, in welcher ein<br />

menschlicher Körper sich halten muß, um ständige Gesundheit zu erlangen und ein<br />

hohes Alter zu erreichen — wie Blätter und Blumen erst sterben, wenn sie ihre volle<br />

Lebensspanne ausgelebt haben, und dann sanft zur Mutter Erde zurückkehren, um zu<br />

ruhen — möchte ich einige der allerwichtigsten Grundsätze hier anführen und<br />

erläutern, nach welchen der menschliche Körper organisiert ist, damit der Leser den<br />

Bau der Maschine, die er zu lenken und zu bedienen hat, verstehen lernt.<br />

Der menschliche Körper ist das Ergebnis eines in der Materie und durch die Materie<br />

sich offenbarenden Lebensprinzips. Er wird durch die Ansammlung einer ungeheuren<br />

Menge von Einzelleben, Einzelkörpern, die wir „Zellen“ nennen, gebildet.<br />

Diese unter der ordnenden Macht des Lebensprinzips stattfindende Zellenanhäufung<br />

ist aus einer einzigen, ursprünglichen Zelle entstanden, und zwar durch Teilung. Die<br />

ursprüngliche Einzelzelle hat sich in zwei Zellen geteilt; diese beiden teilten sich<br />

wiederum und wurden zu vier, diese zu acht, und so ist es unter dem Einfluß des<br />

Lebensprinzips immer weitergegangen.<br />

Aber während die Zelle der Kontrolle des Lebensprinzips untersteht, geht die<br />

19


Tätigkeit dieses Lebensprinzips selber auch wiederum nach gewissen vom Schöpfer<br />

des Kosmos bestimmten Gesetzen vor sich. Und jede Abweichung von diesen<br />

Gesetzen hat verheerende Folgen für den ganzen Körper.<br />

Die wichtigsten Gesetze für die Auswirkung des Lebensprinzips sind die folgenden:<br />

1. Das Lebensprinzip muß den Körper in Übereinstimmung mit einer schon vorher<br />

festgesetzten äußeren und inneren Form aus dem Staub der Erde, das heißt, aus den der<br />

Erde zugehörenden Stoffen aufbauen.<br />

2. Das Lebensprinzip kann den menschlichen Körper nicht unmittelbar aus Erdstoff<br />

aufbauen, sondern nur auf dem Wege über den vegetabilen Zustand der Erdmaterie. Es<br />

muß sich dieser organischen, erdentnommenen pflanzlichen Stoffe bemächtigen, sie in<br />

ihre ursprünglichen Formen zurückverwandeln und aus diesen dann die Erdelemente<br />

in menschliche Körpersubstanz umbilden. (Die vegetabilen oder pflanzlichen<br />

Lebensformen mußten allen animalischen oder tierischen Lebensformen in der<br />

Schöpfungsordnung vorangehen, um diesen ihren Lebensunterhalt zu sichern. Daher<br />

waren die ersten tierischen Lebensformen ursprünglich dazu eingerichtet, sich von<br />

Pflanzen zu ernähren. Der Ausgangspunkt für die ganze Tierwelt muß das<br />

pflanzenfressende Tier gewesen sein. Alle tierischen Lebensformen müssen aus<br />

unveränderten Pflanzenformen aufgebaut worden sein oder aus der unveränderten<br />

Körpersubstanz anderer Tierformen, die ihrerseits aus unveränderten Pflanzenformen<br />

gebildet wurden. Daraus folgt, daß alle Tiergattungen eingehen und aussterben<br />

müßten, wenn keine Tiere mehr Pflanzen fräßen.)<br />

3. Alle tierischen Lebensformen und damit auch der menschliche Körper erreichten<br />

ihre anatomische und physiologische Vollkommenheit, unendlich lange bevor der<br />

Mensch durch Kochen und Raffinieren seine Nahrung „verbessern“ lernte.<br />

4. Jahrtausende alte rassische Gewohnheiten setzen sich fest und erhalten die Macht<br />

von Naturgesetzen. Es ist für das Individuum wie für die Rasse gefährlich, sich ihnen<br />

entgegenzustellen. Die Größe der Gefahr entspricht der Größe der unternommenen<br />

Veränderung in den Rassengewohnheiten.<br />

5. Die Fähigkeit eines Wesens, sich einen vollkommenen Körper aus völlig natürlicher<br />

Nahrung aufzubauen — aus Nahrung, wie sie unmittelbar aus den Händen der Natur<br />

kommt —, kann nichts anderes bedeuten, als daß vollkommene Tier- oder<br />

Menschenformen nicht von veränderter oder unnatürlicher Nahrung leben können, und<br />

nur bei durchaus natürlicher Kost — wie die Natur sie liefert — gedeihen. Die kleinste<br />

Abweichung von diesem Gesetz bringt eine entsprechende Störung mit sich.<br />

6. Kampf, Überwindung, Anstrengung, das ist das Gesetz allen Wachstums und aller<br />

Entwicklung.<br />

7. Das Arbeitsvermögen aller Körperzellen, Organe oder Körperteile wächst mit der<br />

Ausübung einer bestimmten Funktion oder einer bestimmten Arbeit. Bis zu dem<br />

Punkte, wo Erschöpfung eintritt, niemals aber darüber hinaus, dürfen und müssen die<br />

Kräfte geübt werden.<br />

8. Umgekehrt wird jede Zelle, jedes Organ, jeder Körperteil schwächer und<br />

ungeeigneter zur Ausübung irgendeiner Funktion oder zur Bewältigung einer Arbeit,<br />

je weniger seine volle Funktionskraft geübt wird.<br />

9. Jede Ersatzhandlung, welche an Stelle einer organischen Funktion tritt — die also<br />

einer Zelle, einem Organ oder einem Körperteil eine Arbeit abnimmt, welche diese<br />

selber auszuführen hätten —, schwächt die Zelle, das Organ, den Körperteil und<br />

verringert die ihnen innewohnende Kraft zur Ausübung ihrer Funktionen.<br />

20


10. Die Natur strebt danach, die nicht benützten, die nur schwach arbeitenden und die<br />

gestörten und gehemmten Funktionen der Zellen, Organe und Körperteile zu zerstören.<br />

11. Alles, was sich einer Funktionsbetätigung entgegensetzt oder eine<br />

Funktionstätigkeit verzögert, trägt dazu bei, Funktions- oder Arbeitskraft zu zerstören.<br />

12. Alles, was die Funktions- oder Arbeitskraft irgendeiner Körperzelle, eines Organs<br />

oder eines Körperteils vermindert, verringert damit durch die zirkulatorischen (Blut<br />

und Lymphe) und die nervlichen Beziehungen, welche zwischen allen Zellen, Organen<br />

und Teilen des Körpers auf dem Wege über das sympathische Nervensystem bestehen,<br />

von selbst auch die Funktionskraft jeder anderen Körperzelle, jedes anderen<br />

Körperorgans oder Körperteils.<br />

13. Alles, was die Funktionen oder die Arbeitskraft einer Zelle, eines Organs, eines<br />

Körperteils vermindert, setzt die lebendige Widerstandskraft des Körpers gegen den<br />

Angriff körperschädigender Prozesse (Krankheiten) herab.<br />

14. Wenn alle wichtigen Zellen, Organe und Teile des Körpers einwandfrei<br />

funktionieren, kann der Körper vollkommen genannt werden. Ein vollkommener<br />

Körper ist immun gegen schädliche und zersetzende Einflüsse. Er kann nicht krank<br />

sein und nicht krank werden.<br />

15. Jede wesentliche Körperfunktion vollzieht sich unwillkürlich. Sie wird unabhängig<br />

vom Willen durch den Körpermechanismus, welchen wir das Reflex- oder<br />

sympathische Nervensystem nennen, ausgeführt. Dieser Mechanismus regiert alle<br />

Körperzellen, Organe und Körperteile und verbindet sie untereinander. Solche<br />

unwillkürliche Funktionen heißen „Reflexfunktionen“.<br />

16. Reflexfunktionen entstehen immer als Antwort auf Reize, welche die<br />

funktionierenden Zellen, Organe oder Körperteile von außen erreichen. Solche Reize<br />

werden der Zelle, dem Organ, dem Körperteil auf dem Wege der Nervenfasern<br />

zugeleitet.<br />

17. Die Reflexe bilden die Basis aller Lebensäußerungen. Wird der<br />

Reflexmechanismus des Körpers zerstört, so geht unweigerlich auch das Leben selber<br />

zugrunde.<br />

18. Alle willkürliche Funktion im Körper hängt ursprünglich auch von Reflextätigkeit<br />

ab.<br />

19. Je ungehinderter und ungestörter die Reflexfunktionen arbeiten können, desto<br />

vollkommener sind sie, und desto vollkommener sind auch die funktionierenden<br />

Zellen, Organe und Körperteile. Als äußeres Ergebnis werden auch die Tätigkeiten des<br />

Körpers als Ganzes um so vollkommener ausgeübt; denn die Funktionskraft des<br />

Körpers als Ganzes steigt in demselben Maße, wie die den Körper bildenden Zellen<br />

und Organe und Teile gut arbeiten. Künstliche Eingriffe und Nachhilfen dort, wo die<br />

Natur ihren Anreiz auf die funktionierenden Organe selber ausüben sollte, sind<br />

schädlich. Die Entwicklung und das Wachstum fordern auch hier, gemäß dem schon<br />

angeführten Gesetz, Anstrengung und Arbeit.<br />

20. Die grundlegenden Reflexreize sind diejenigen, die aus der Berührung mit der<br />

unmittelbaren Umgebung entstehen: Körperlicher Kontakt mit den Sonnenstrahlen,<br />

mit Wind, mit Regen, Nebel, Hitze, Kälte, mit der Erde und mit den Gegenständen der<br />

Außenwelt. Gott schuf den Menschen zu einem Leben im Freien. Sein nackter Körper<br />

sollte beständig der Berührung mit seiner Umwelt ausgesetzt sein und die Einflüsse<br />

seiner Umgebung direkt auf sich wirken lassen. Die Menschen sollten nicht in Häusern<br />

wohnen. Sie sollten ihren Körper durch natürliche Ernährung aufbauen und<br />

21


instandhalten; die unveränderten Nahrungsstoffe, die die Natur bietet, sollten selber<br />

natürliche Berührung mit der Umwelt bilden, denn Nahrung und Getränke gehören zu<br />

unserer Umwelt. In dieser Weise lebt die Menschheit wohl mindestens je tausend<br />

Jahre für jedes einzelne Jahr, das sie in Häusern wohnt, den Körper mit Kleidern<br />

zudeckt und die natürlichen Nahrungsstoffe im anmaßenden Glauben, die von Gott<br />

bereitete Kost dadurch bedeutend zu verbessern, künstlich verändert.<br />

21. Nur natürliche Reflexanreize rufen normale organische oder Zellenfunktionen<br />

hervor, also jene Art der Funktionstätigkeit, die die organische Funktionskraft erhält<br />

und steigert und gleichzeitig die lebendige Widerstandskraft erhöht. Mit anderen<br />

Worten: nur natürlich angeregte Organe funktionieren normal.<br />

22. Das Umgekehrte gilt ebenfalls: künstliche oder unnatürliche Reflexreize setzen die<br />

organische Funktionsfähigkeit herab und vermindern den lebendigen Widerstand<br />

gegen Krankheiten. Das bedeutet, daß unnatürlich angeregte Organe oder Körperzellen<br />

nicht normal funktionieren und der Zerstörung anheimfallen.<br />

23. Da die ganze Körpertätigkeit von natürlicher Reflextätigkeit abhängt, stört alles,<br />

was diese stört, unfehlbar auch Funktionen.<br />

24. Jede vollkommen funktionierende Zelle, jedes vollkommen funktionierende<br />

Organ, jeder vollkommen funktionierende Körperteil gibt einen wohltätigen Einfluß<br />

auf jede andere Zelle, jedes andere Organ, jeden anderen Körperteil aus. Und auch hier<br />

trifft das Umgekehrte zu.<br />

25. Jeder Körperteil und jedes Organ dient besonderen Zwecken. Damit sie alle sich<br />

bei Gesundheit erhalten können und von Krankheiten und krankheitsähnlichen<br />

Zuständen frei bleiben, müssen sie die ihnen zugedachte Funktion ausüben. Je näher<br />

sie der vollen Ausübung ihrer Funktion und der Betätigung ihrer ganzen<br />

Leistungskraft kommen, um so vollkommener, um so gesunder und<br />

widerstandsfähiger gegen Krankheit sind sie. Denn jede Zelle, jedes Organ, jeder<br />

Körperteil nimmt nur durch Leistung an Leistungsfähigkeit zu.<br />

26. Nur natürliche Lebensgewohnheiten können natürliches, also normales tierisches<br />

Wachstum hervorbringen. Nur natürliche Lebensgewohnheiten können daher einen<br />

normalen, einen gesunden animalischen Körper aufbauen. Menschliche Körper sind ja<br />

animalische Körper und denselben Gesetzen unterworfen, die alles animalische<br />

Wachstum und alle animalische Gesundheit regieren.<br />

27. Im animalischen Körper gibt es fünf Systeme oder Ketten von Reflextätigkeiten,<br />

deren jede aus einer eigenen, von den anderen getrennten Quelle herrührt.<br />

Kommt ein Kind zur Welt, so atmet es nicht sofort. Erst die Ansammlung von<br />

gasförmiger Kohlensäure (CO²) im Blute und die Berührung der Haut mit der kühlen<br />

Luft regen den Atmungsreflex an, und das Kind tut seinen ersten Atemzug. Die<br />

eingeatmete Luft veranlaßt das Herz zu seinem ersten Schlage nach der Unterbrechung<br />

der Verbindung zwischen dem kindlichen Blutkreislauf und jenem der Mutter, und das<br />

Herz wiederum regt eine ganze Reihe anderer Funktionen zu ihrer ersten Tätigkeit an.<br />

Jede neue Funktion wirkt auf irgendeine andere Funktion als Reflexreiz, bis der ganze<br />

Kreis der Körperfunktionen erreicht und angeregt ist. Der kleine Körper verdankt seine<br />

Belebung also jenem ersten ursprünglichen Reflexreiz der atmosphärischen Luft, die<br />

seine Haut und damit die darin untergebrachten empfindlichen Enden des<br />

Reflexnervensystems berührt.<br />

Die zweite Betätigung des Neugeborenen ist Schreien und Strampeln; das ist seine<br />

Art der Muskelbetätigung. Diese Muskelbetätigung löst wiederum eine andere Reihe<br />

22


eflexbedingter Funktionen aus, ohne welche das Kind sich nicht normal entwickeln<br />

könnte. So wirkt sie auf die Herz- und Lungenfunktionen, auf Verdauung und<br />

Ausscheidung und viele andere lebenswichtige Körperfunktionen.<br />

Die <strong>dr</strong>itte Betätigung des gesunden, das heißt normalen neugeborenen Kindes ist<br />

der Schlaf. Der Schlaf stellt die Antwort auf den Reiz angesammelter Müdigkeitsgifte<br />

dar und dient in der Hauptsache dazu, diese Gifte in der Zeit, in welcher der Körper<br />

passiv daliegt und sich keine neuen Ermüdungsgifte bilden können, abzusondern; er<br />

löst aber auch eine Kette neuer Funktionen aus, ordnet und regiert sie.<br />

Die vierte Reflexhandlung eines normalen neugeborenen Kindes ist die Aufnahme<br />

von natürlicher Nahrung. Auch diese Tätigkeit löst eine neue Kette von<br />

Reflexfunktionen aus, ohne welche das Kind nicht leben könnte.<br />

Die fünfte Kette der Reflexfunktionen ist dem Geiste zugeteilt. Die vorher<br />

besprochenen vier Reflexketten werden schon in den ersten Lebensstunden des<br />

Säuglings zu ihrer Tätigkeit angeregt. Aber erst später entwickelt sich die fünfte, die<br />

geistige Gefühlskette. Der Geist hat große Macht über eine ganze Kette von<br />

körperlichen Funktionen; er löst sie aus, ordnet sie, regiert sie. Er ist ein bedeutendes<br />

reflexerzeugendes Zentrum; in dieser Beziehung ähnelt er den andern vier Ketten,<br />

jedoch unterscheidet er sich in ganz wichtigen Punkten von ihnen, besonders von den<br />

Ketten der Haut-, der Muskel- und der Nahrungsreflexe. Diese Unterschiede sollen<br />

später klargemacht werden.<br />

Ich nenne daher die Haut, die Muskeln, den Schlaf, das Ernährungs- oder<br />

Verdauungssystem und den Geist die fünf ursprünglichen reflexerzeugenden Zentren;<br />

von einem jeden dieser Zentren gehen getrennte Ketten lebendiger, wesentlicher<br />

Reflexe aus. Jede dieser Ketten wird durch natürliche Anreize in Tätigkeit gesetzt: die<br />

Haut durch die Berührung mit ihrer körperlichen Umwelt, die Muskeln durch<br />

Muskelzusammenziehungen, der Schlaf durch angehäufte Ermüdungsgifte, die<br />

Verdauung durch das Einnehmen von natürlicher Nahrung, die geistige Reflexkette<br />

durch schöpferische und zuversichtliche Gedanken.<br />

Diese fünf Ketten bilden des Körpers Verteidigungsmechanismus. Wenn diese fünf<br />

Reflexketten, die alle körperlichen Funktionen regieren, sich in vollkommenem<br />

Zustande befinden, so sind die Funktionen, die sie zu ordnen und zu regieren haben,<br />

auch vollkommen. Und alle fünf Ketten werden in tadelloser Ordnung funktionieren,<br />

wenn ihnen der Kontakt mit ihren natürlichen Stimuli gestattet ist, wenn man sie so<br />

sehr als möglich vor Berührung mit unnatürlichen Anregern behütet und sie nie über<br />

den Punkt hinaus anstrengt, wo Erschöpfung einsetzt. Funktionieren sie einwandfrei,<br />

dann ist der Körper vollkommen zu nennen. Ist aber der Körper wirklich vollkommen,<br />

dann ist er vollständig immun gegen Krankheit, und das so lange Zeit, als er seine<br />

Vollkommenheit nicht wiederum durch irgendeine gesundheitsuntergrabende<br />

Gewohnheit, die den Gesetzen der Natur zuwiderläuft, einbüßt.<br />

Diese Grundgesetze sollten verschiedene Male durchgelesen werden, ehe man zum<br />

Kommenden übergeht. Der Leser wird Vorteil davon haben, wenn er überdies im<br />

weiteren Verlauf des Buches von Zeit zu Zeit dazu zurückkehrt. Denn wenn die<br />

Grundgesetze nicht gut verstanden und dem Gedächtnis nicht eingeprägt sind, so kann<br />

die Gesundheitsphilosophie, die dieses Buch vertritt, nicht genügend ein<strong>dr</strong>ücklich<br />

aufgefaßt werden, und das bloße Lesen wäre vergebliche Mühe.<br />

23


3. KAPITEL<br />

Natur und Unnatur<br />

Vom Körper aus gesehen ist nach dem bisher Gesagten das recht, was natürlich ist;<br />

infolgedessen kann, was unnatürlich ist, nicht recht sein — es muß falsch sein. In dem<br />

Maße, in dem eine Lebensgewohnheit dem Natürlichen sich nähert, der Absicht,<br />

welche die Natur oder Gott für uns hegt — in eben diesem Maße sind unsere<br />

Lebensgewohnheiten richtig. In dem Maße aber, als sie unnatürlich sind, müssen sie<br />

verkehrt sein, denn sie sind dann gegen den Willen der Natur, gegen den Willen<br />

Gottes.<br />

Kann irgendein Unterschied bestehen zwischen der Verkehrtheit einer bloß<br />

körperlichen Gewohnheit und der Verkehrtheit einer unrichtigen seelischen oder<br />

geistigen Haltung gegenüber dem ewigen Prinzip des Rechten? Nach meiner<br />

Betrachtungsweise nicht. Eine Tat wird zum Unrecht, wenn sie dem entgegengesetzt<br />

ist, was Gott unter den gegebenen Verhältnissen beabsichtigte. Wenn Gott uns<br />

gebietet, unseren Mitmenschen zu lieben, so ist es eine Verkehrtheit, ein Unrecht, ihn<br />

nicht zu lieben, und es ist unrecht, weil es Gottes Absichten, seinen Willen,<br />

entgegengesetzt ist. Wenn Gott uns irgend etwas Körperliches gebietet, zum Beispiel<br />

spazierenzugehen, und wir weigern uns — widersetzen wir uns da nicht Gottes Willen,<br />

handeln wir da nicht entgegengesetzt seiner Absicht, ebenso entschieden, als wenn wir<br />

unseren Mitmenschen zu lieben uns weigerten? Sicherlich. Und ebenso gewiß kann<br />

Widersetzlichkeit gegen Gottes Willen sich nicht in verschiedenen Abstufungen<br />

unterscheiden. Entweder tun wir, was Gott von uns getan haben möchte, und werden<br />

gesegnet, oder wir weigern uns, Gottes Willen zu tun, und bleiben ohne Segen, werden<br />

im Gegenteil unsere Weigerung entsprechend büßen müssen.<br />

Schon seit annähernd zwei Generationen ist es sowohl der Wissenschaft wie auch<br />

dem interessierten Tierzüchter bekannt, wie eng Qualität, Sorte und Quantität des<br />

tierischen Futters mit der Qualität des Tieres selber zusammenhängen; in der Aufzucht<br />

der Tiere wird berücksichtigt, daß ihre Qualität wie auch ihre Gesundheit neben den<br />

Einflüssen der Vererbung fast gänzlich von der Art und Beschaffenheit ihres Futters<br />

und von tierhygienischen Maßnahmen abhängen. Um bei der Zucht eines Tieres das<br />

beste Ergebnis zu erzielen, muß es nach gewissen bekannten Regeln behandelt werden.<br />

Werden diese Regeln streng eingehalten, so folgen darauf von selbst positive<br />

Ergebnisse. Nicht von Menschen sind diese Regeln aufgestellt worden, sondern Gott<br />

24


hat sie uns gegeben. Wir nennen sie natürliche Regeln oder natürliche Gesetze. Aber<br />

diese natürlichen Gesetze sind da, um befolgt zu werden. Der Tierzüchter findet seinen<br />

Vorteil darin, ihnen zu gehorchen. Nichts erscheint uns selbstverständlicher, solange<br />

Tiere in Frage kommen. Wie selten wenden wir jedoch diese natürlichen Gesetze auf<br />

uns selber an, und wie wenige sind bis jetzt überhaupt auch nur bis zu einer Erkenntnis<br />

des Tatbestandes durchge<strong>dr</strong>ungen!<br />

Denn nicht bloß die Geister der Unwissenden sind verschlossen. Auch viele<br />

gebildete Leute, Hochschulprofessoren, Ärzte, Juristen, Geistliche, haben die neuen<br />

Gedanken noch nicht aufgenommen. Sie glauben noch immer, daß die Gesetze der<br />

Natur, was menschliche Lebensgewohnheiten betrifft, nach Belieben gehandhabt<br />

werden könnten, ohne sich gegen ihren Übertreter zu kehren; sie ahnen nicht einmal,<br />

daß die Tausende und aber Tausende von Jahren einfacher Lebensgewohnheiten<br />

unserer Urvorfahren vor der Kulturepoche den Einfluß einer ewigen Bindung an<br />

ähnliche Gewohnheiten hatten. Und doch müßten so gelehrte Köpfe wissen, daß lang<br />

anerzogene Rassengewohnheiten, wie wir schon feststellten, zu Gesetzen werden und<br />

alle Kraft echter Naturgesetze erhalten, und daß wir sie nicht außer acht lassen dürfen,<br />

ohne Individuum und Rasse zu gefährden. Der Typus des menschlichen Körpers ist so<br />

und nicht anders geworden, weil er sich der physischen Umgebung gemäß entwickelt<br />

hat, in die er hineingestellt war. Das gilt ebensosehr für den gesamten Aufbau des<br />

menschlichen Körpers als auch für seine Endbestimmung. Die Stoffe, aus denen er in<br />

unausdenkbar langen Zeitstrecken aufgebaut worden ist, hat der Lebensgeist aus der<br />

physischen Umgebung des Menschen gezogen. Der Lebensgeist, das Lebensprinzip,<br />

ohne welches kein tierischer Körper lebendig wird noch lebendig bleibt, bestimmte<br />

und formte diesen Körper so, daß er in seine physische Umgebung passen sollte, und<br />

daß er sich auch weiterhin nicht anders als aus Stoffen, die dieser Umgebung<br />

natürlicherweise entstammen, aufbauen kann.<br />

Wenn wir uns also zum Beispiel von nicht natürlicher Kost nähren, liefern wir<br />

unserm Körper Nahrung, die gegenüber dem Aufbaustoff, den unsere Ureltern<br />

verwendeten. uni unsere Art zu entwickeln, teilweise verändert ist — und damit<br />

brechen wir das Nahrungsgewohnheitsgesetz, das durch jahrtausendlange Anwendung<br />

von unsern Ahnen festgelegt wurde.<br />

Man beachte den Aus<strong>dr</strong>uck „natürlich“. In ihm liegt das Geheimnis der<br />

vollkommenen Gesundheit beschlossen. Natürlichkeit ist der einzige zuverlässige<br />

Führer zum Rechten in unseren physischen Lebensgewohnheiten. Dennoch scheint es<br />

fast, als ob wir zivilisierten Menschen uns nach Kräften anstrengten, um so unnatürlich<br />

wie nur möglich zu leben.<br />

In unseren Lebensgewohnheiten lassen wir uns ja bekannterweise viel lieber von<br />

Wünschen und Begierden leiten anstatt von „Müssen“ und „Sollen“. Wunsch und<br />

Begierde haben aber keine natürliche Verwandtschaft mit dem Rechten; dagegen sind<br />

„Müssen“ und „Sollen“ vom Rechten, vom Richtigen, das geschehen muß, untrennbar,<br />

sei es auf moralischem oder auf physischem Gebiet. Wer sich durch seinen Wunsch<br />

oder seine Begierde regieren läßt, wird ziemlich sicher einen bitteren Tag der<br />

Abrechnung erleben. Wer jedoch seine Lebensgewohnheiten nach dem „Sollen“ und<br />

dem „Müssen“ einrichtet, darf einen täglichen und immer wachsenden Lohn ernten.<br />

Wir pflegen den Körper als Hemmschuh für unsere Geistigkeit zu betrachten, wir<br />

vernachlässigen, verachten und mißhandeln ihn. In Wahrheit ist bloß der<br />

vernachlässigte Körper unserem Geist, seinem Streben und seiner Entwicklung ein<br />

25


Hindernis. Die Seele kann sich nicht aufschwingen, der Geist sich nicht erheben und<br />

sich nicht mit dem Allgeist verbinden, wenn er in einem siechen, giftverseuchten<br />

Körper haust, den die Folgen des Ungehorsams gegen das göttliche Gebot entstellen.<br />

Ein Körper, den Wünsche und Bedürfnisse leiten, wird, da ihn die Sinne regieren,<br />

selber sinnlich sein. Der Geist, der in solch sinnengebundenem Körper wohnt, ist<br />

erdverhaftet und unrein.<br />

Kein Mechanismus kann ersonnen werden, der von zwei verschiedenen<br />

Energiequellen in Betrieb gehalten wird. Energie kann zwar aus Holz, Kohle, Öl,<br />

Wasser, Wind gezogen werden; aber der Mechanismus, durch den jede dieser<br />

Energiequellen ihre potentielle Energie liefert, ist anders. Sogar verschiedenen Arten<br />

von Kohle müssen die Heizkessel gut angepaßt werden, wann immer man Leistung<br />

und Wirtschaftlichkeit in Betracht zieht. Und jeder lebendige Körper ist ein solcher<br />

Mechanismus für Entwicklung, Aufspeicherung und Verwertung von Energien.<br />

Hunderte von Modellen Energie entwickelnder Mechanismen gibt es. Für den<br />

wirksamen Betrieb eines jeden Apparates ist es aber unerläßlich, daß er mit der Art<br />

Brennstoff, mit der Art Futter versehen wird, für welche ihn der Lebensgeist, der ihm<br />

seine Entwicklung schenkte, bestimmt hat. Ich wünschte, dieser Punkt setzte sich im<br />

Geiste des Lesers so fest, daß er unter keinen Umständen mehr übersehen würde. Man<br />

betrachte diese positive Tatsache nicht als rein abstraktes Prinzip, welches auf den<br />

Einzelnen keine Anwendung findet. Sie bezieht sich auf jedes menschliche Wesen als<br />

Individuum und kollektiv auch auf die Rasse als Ganzes; sie betrifft uns selber in<br />

ungeheuer direkter Weise und muß uns interessieren, wie nichts anderes Materielles<br />

uns interessieren und ergreifen kann.<br />

Die Nahrung ist aber noch mehr als bloß Brennstoff des lebenden Körpers. Sie ist<br />

auch das Konstruktionsmaterial für den Körper. Jedermann kennt die Grundsätze<br />

architektonischer Bauten und weiß, daß ein Gebäude nicht vollkommener sein kann als<br />

das Material, welches zu seinem Aufbau Verwendung findet. Die Schwäche des<br />

ganzen Gebäudes liegt in der Schwäche einer einzigen, der schwächsten Stelle, und<br />

diese schwächste Stelle entscheidet über die Dauerhaftigkeit und Tragkraft des Ganzen<br />

— ebenso wie ein schwaches Glied in einer Kette das Maß für die Haltbarkeit der<br />

Kette ist. Jedermann erkennt sofort die Richtigkeit dieses Prinzips, wenn es auf<br />

bekannte bauliche Verhältnisse angewendet wird. Dasselbe Prinzip gilt aber natürlich<br />

auch für lebendige Bauten, die unsere Körper ja sind.<br />

Die meisten Ärzte wissen jedoch nur in sehr akademischer Weise, daß menschliche<br />

Körper aufgebaut sind, ebenso entschieden aufgebaut wie Wolkenkratzer oder große<br />

Kathe<strong>dr</strong>alen. Diese Tatsache sollten wir alle uns beständig vergegenwärtigen, und wir<br />

sollten unseren Geist auf die Betrachtung dieses Aufbaus einstellen. Dann erst würden<br />

wir verstehen, von welch wesentlicher Bedeutung die Kost ist, die wir essen, und wie<br />

unsere Nahrung sehr weitgehend die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit, die<br />

Widerstandskraft oder Widerstandslosigkeit unserer Körper bestimmt.<br />

Will man sich aber in diese Frage. die wohl die wichtigste unseres irdischen Daseins<br />

ist, vertiefen, so gilt es vor allem, sich darüber klar zu werden, was wir unter dem<br />

Aus<strong>dr</strong>uck „Nahrung“ denn eigentlich verstehen.<br />

Als Nahrung bezeichnen wir jede Substanz, welche, nachdem der Körper sie<br />

aufgenommen hat, seine Gewebe erbaut, seine abgenutzten Zellen ersetzt, ihn mit<br />

Kräften und mit tierischer Wärme versieht und ihn belebt.<br />

Dieser letzte Punkt ist der wahre Eckstein der Definition. Die meisten Definitionen<br />

26


von Nahrung lassen ihn allerdings aus, womit gerade das Wichtigste vergessen bleibt.<br />

Denn wenn unsere Nahrung nicht Leben enthält und dieses auf uns zu übertragen<br />

imstande ist, können wir nur so lange frisch und gesund sein, überhaupt existieren, als<br />

unser ererbter Vorrat an Lebenskraft ausreicht.<br />

Ein zweites Haupterfordernis gesunder Nahrung ist, daß sie nicht säure-, sondern<br />

basenbildend sei. Warum diese Bedingung so unerläßlich ist, soll hier erläutert<br />

werden. Es ist dabei notwendig, etwas ausführlicher zu werden, damit der Leser in die<br />

wirklichen Zusammenhänge eingeführt wird.<br />

Das gesunde menschliche Blut ist alkalisch, also das genaue Gegenteil von sauer.<br />

Wird das Blut sauer, so liegt eine Erkrankung vor, welche die Ärzte als „Azidose“<br />

bezeichnen. Damit ist freilich nicht gemeint, daß das Blut effektiv sauer wird; es<br />

besteht in einem solchen Falle eine relative Azidose, was bedeutet, daß der Körper im<br />

Verhältnis zu seinen alkalischen Bestandteilen mehr saure Bestandteile enthält als in<br />

normalen Zeiten. Das Blut eines lebenden Geschöpfes kann nämlich gar nicht ganz<br />

sauer werden, denn im gleichen Augenblick ginge der Körper an positiver Azidose<br />

zugrunde, weil die Zellen in einem sauren Medium nicht leben können. Aber auch<br />

relative Azidose ist an sich schon eine Krankheit, obwohl sie durch die Lehrbücher<br />

und die Autoritäten noch nicht genügend als solche erkannt ist; und oben<strong>dr</strong>ein ist sie<br />

auch noch die erste Ursache der meisten unserer unbedeutenderen oder gewöhnlichen<br />

und vieler unserer schweren Krankheiten. Relative Azidose ist der Entkräfter, der<br />

anderen anscheinend direkteren Ursachen erlaubt, ihre Wirkung zu entfalten, und ohne<br />

den sie keine Wirksamkeit erlangen könnten.<br />

Das normale Blut enthält mehr basische Elemente als saure; das ist notwendig, denn<br />

die Basen neutralisieren die Säuren, indem sie sich in harmlose Salze verwandeln. Im<br />

menschlichen Körper besteht ein gewisses normales Verhältnis zwischen basischen<br />

und sauren Elementen, das die Gesundheit gewährleistet. Jede Zunahme der Säuren<br />

über dieses normale Verhältnis hinaus wird dementsprechend die Gewebe reizen.<br />

Nicht aus diesem Grunde allein wird zum Beispiel bei der Brightschen Krankheit der<br />

Fleischgenuß untersagt, aber es ist ein Grund mehr für das Fleischverbot. Eine<br />

Zunahme der Basen ist selten und reizt nicht, weil die normale Körperreaktion basisch<br />

ist. Basen beruhigen im Gegenteil die Zellenstrukturen und die aus Zellen aufgebauten<br />

Organe und Gewebe.<br />

Woher stammen nun wohl die Säuren, die in unserem Körper entstehen?<br />

Eine bedeutende Quelle für Körpersäuren ist die Zersetzung der Körpergewebe,<br />

insbesondere der Arbeit leistenden Gewebe. Auch die Fettgewebe liefern durch ihre<br />

Verbrennung und Abnützung Säuren ins Blut. Eine <strong>dr</strong>itte Quelle für Säuren sind die<br />

Speisen, die wir essen. Natürlich kann hier eingewendet werden, daß alle diese <strong>dr</strong>ei<br />

Quellen im Grunde der Nahrung entstammen, und das ist richtig, da die Körpergewebe<br />

ja nichts anderes als umgebildete Nährstoffe sind. Aber wir erhalten einen klareren<br />

Überblick über die Ursachen der Azidose und ihre Beziehungen zur Gesundheit, wenn<br />

wir die Unterscheidung zwischen den aus der Ernährung direkt und den aus dem<br />

Körper fließenden Quellen machen. Denn die einen können nicht an ihrer Entstehung<br />

verhindert oder in ihrer Zu- oder Abnahme kontrolliert werden, wohl aber die andern.<br />

Säuren, die durch die Abnutzung des Körpers entstehen, können in ihrer Bildung nicht<br />

beeinflußt werden, außer auf indirektem Wege, zum Beispiel durch tüchtige<br />

Körperbewegung im Freien, bei welcher die vermehrte Sättigung des Blutes mit<br />

Sauerstoff, die solchen Übungen folgt, in größerem Maße die Ausscheidung der<br />

27


Zellenabfallstoffe begünstigt. Aber unter bewußte Kontrolle dürfen die Säuren gar<br />

nicht gestellt werden, selbst wenn es eine Möglichkeit dafür gäbe. Sie sind<br />

physiologisch bedingt.<br />

Mit Säurenahrung verhält es sich anders. Säure, die aus der Kost stammt, kann in<br />

ihrer Entstehung sehr wohl kontrolliert werden. Azidose ist auch nie eine Folge der<br />

Körperzellenabnützung. So oft Azidose auftritt, kann jedesmal konstatiert werden, daß<br />

sie von eingenommenen Säuren herrührt und darum auf alle Fälle hätte vermieden<br />

werden können. Da Azidose also ein Zustand ist, den das Individuum selber für sich<br />

herbeiführt, sollte auch das Individuum selber die Verantwortung, das volle Lob oder<br />

den vollen Tadel dafür erhalten und annehmen. Wäre Azidose ein wohltuender<br />

Zustand, dann dürfte der Mensch, der sich in ihm befindet, frohlocken über diesen aus<br />

eigener Kraft herbeigeführten Segen; ist der Zustand aber ein verderblicher, dann ist<br />

für den, der Bescheid weiß, Anlaß zu zerknirschender Beschämung vorhanden; vor<br />

allem ist dann die Verwunderung darüber, warum „Gott mich so heimsucht“, durchaus<br />

unangebracht.<br />

Die Nahrungsstoffe lassen sich in „säureüberschüssige“ und „basenüberschüssige“<br />

einteilen. Die „säureüberschüssigen“ sind Nährsubstanzen, die nach Zersetzung durch<br />

die Körpersäfte in ihre chemischen Elemente einen Überschuß an sauren Elementen<br />

gegenüber den basischen im Blut und in den Geweben zurücklassen.<br />

„Basenüberschüssige“ Nahrung ist solche, bei welcher nach Zersetzung im Körper ein<br />

Überschuß von basenbildenden Elementen gegenüber den säurebildenden im Blut und<br />

in den Geweben zurückbleibt.<br />

Nach ihrer säure- oder basenbildenden Kraft kann man die beiden folgenden<br />

Gruppen von Nahrungsmitteln unterscheiden:<br />

Säurebildner<br />

Alle Fleischnahrung (Wildbret, Fisch usw. inbegriffen)<br />

Nüsse (außer Mandeln)<br />

Erdnüsse<br />

Böhnchen, Trockenerbsen, Linsen<br />

Alle Körnerfrüchte, insbesondere weißes Mehl, verfeinerte Getreidespeisen und<br />

polierter Reis<br />

Zucker<br />

Tee, Kaffee, Kakao<br />

Alle Fette und Öle (Butter ist bloß, wenn im Übermaß genossen, säurebildend;<br />

in mäßigen Mengen ist sie neutral)<br />

Eiweiß<br />

Käse<br />

Basenbildner<br />

Alle Früchte (süß oder sauer, frisch oder getrocknet)<br />

Alle Gemüse (frisch oder gedörrt. Blattgemüse sind bessere Basenbildner als<br />

Wurzelgemüse)<br />

28


Mandeln<br />

Paranüsse<br />

Milch (in allen Formen)<br />

Die Nahrungsklassen, die relative Vermehrung der Säuren oder der sauren Salze im<br />

Körper hervorrufen, sind den Diätforschern und den Biochemikern genügend bekannt,<br />

ebenso diejenigen, welche eine Mehrung der alkalischen Salze in den Körpergeweben<br />

verursachen. Aber für den Laien und oft auch für den Arzt, der sich in Diätfragen noch<br />

nicht eingearbeitet hat, ist es oft nicht ganz leicht, sich eine richtige Vorstellung von<br />

dem Unterschied zwischen Säure und säurebildend und zwischen Basen und<br />

basenbildend zu machen. Wahrscheinlich wundert er sich darüber, daß Früchte wie die<br />

Zitronen und die Tomaten, die für den Geschmack und bei der Lackmusprobe so<br />

ausgesprochen sauer sind, trotzdem so starke Alkalibildner sein können. Da diese<br />

Unterscheidung überaus wichtig ist, werde ich versuchen, sie klarzulegen.<br />

Säure bezieht sich auf eine Substanz, welche im Kontakt mit einem chemischen<br />

Reagens eine Säurereaktion zeigt. Zum Beispiel wird eine Säurelösung, gleichgültig<br />

welcher Farbe sie sei, blaues Lackmuspapier rot färben, ein Beweis für ihre<br />

Säurehaltigkeit. Säurebildend ist hingegen ein Nahrungsstoff, der unter dem Einflusse<br />

der Verdauungssäfte im Magen Säuren bildet. Dasselbe, aber entgegengesetzt, gilt von<br />

den Alkalien.<br />

Betrachten wir beispielsweise die Zitrus – Früchte: Orangen- oder Zitronensaft<br />

zeigen beide, wenn man sie mit einem chemischen Reagens in Verbindung bringt, eine<br />

starke Säurereaktion, und dennoch zählen sie beide zu. unseren besten Alkalibildnern.<br />

Die Erklärung liegt darin, daß der saure Bestandteil nicht mineralisch ist und der<br />

alkalische oder basenbildende seiner Natur nach mineralisch. Die organische Säure<br />

wird rasch oxydiert und verschwindet als Kohlensäure und Wasser, während das<br />

basische Mineral als Natrium, Kalium usw. zurückbleibt, um sich mit anderen Stoffen<br />

zu Salzen zu verbinden. Gewöhnlich bildet es mit Kohlenstoff Karbonate und<br />

Bikarbonate von Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium, Lithium usw., die<br />

Mineralsalze eben, welche den alkalischen Zustand des menschlichen Blutes<br />

aufrechterhalten.<br />

Die Säure, die sich in Zitrusfrüchten befindet, ist Zitronensäure; aber sie ist nicht<br />

nur in freiem, sondern auch stets in gebundenem Zustande vorhanden und bildet in<br />

Verbindung mit Basen eine andere, gänzlich verschiedene Substanz, ein lösbares Salz.<br />

Die Stoffe, mit welchen die Zitronensäure sich verbunden hat, sind die alkalischen<br />

Minerale: Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium usw. Wenn diese Salze in den<br />

Verdauungsweg aufgenommen sind, werden sie wieder in ihre Bestandteile zersetzt —<br />

freie Zitronensäure einerseits und freie Minerale, Kalzium, Natrium, Kalium usw.<br />

andererseits. Das Säureelement, das frei geworden ist, vereinigt sich mit dem<br />

Sauerstoff der anderen Nahrung oder des Wassers; es wird oxydiert und scheidet sich<br />

im Schweiß, im Urin, im Atem aus, wie Wasser und Gas, und läßt die mineralischen<br />

Alkalien zurück. Aber diese bleiben nicht frei. Fast unverzüglich bilden sie neue<br />

Verbindungen, indem sie mit der Kohle aus der Stärke, aus dem Zucker oder aus fetten<br />

Speisen sich zusammentun und wiederum lösliche Salze bilden: Natrium-, Kalium-,<br />

Kalziumbikarbonate usw.; als solche werden sie ins Blut geführt, dessen normale, aus<br />

stark sauren Früchten gebildete Basen sie sind. Diese Früchte werden also zwar als<br />

29


sauer empfunden und sauer genannt, sind aber basenbildend, das heißt, sie verwandeln<br />

sich im Körper zu Basen, obwohl sie außerhalb des Körpers sauer sind. Der Arzt, der<br />

selber kein Diätetiker ist, hat freilich die Gewohnheit, ihren Genuß für alle<br />

Säureerkrankungen des Körpers zu untersagen; aber in Wirklichkeit gehören diese<br />

Früchte zu den allerbesten Mitteln gegen Versäuerungszustände.<br />

Manche Spezialisten setzen Pflaumen, Zwetschgen, Rhabarber und Preiselbeeren<br />

auf die Liste der Säurebildner, weil sie kleine Mengen von Oxalsäure oder<br />

Hippursäure enthalten, die nicht leicht oxydierbar sind und daher durch die Nieren als<br />

Salze dieser Säuren ausgeschieden werden müssen; sie greifen deshalb die Nieren in<br />

gewissem Maße an. Aber ich kann das Bedenken gegen diese Früchte dennoch nicht<br />

teilen, es sei denn, daß es sich um einen Körper handelte, dessen Nieren ihre normale<br />

Leistungsfähigkeit bereits eingebüßt haben. Normale Nieren werden alle solchen<br />

Säurereste leicht ausscheiden (wie sie übrigens beständig aus anderen Quellen<br />

herrührende Reste auszuscheiden haben) und keinerlei Anhäufungen im Körpersystem<br />

zulassen, welche Ursache für Azidoseerkrankung werden könnten. Alle diese Früchte<br />

enthalten außerdem noch andere Fruchtsäuren von großem körperaufbauendem und<br />

belebendem Werte. Wollte man allerdings hauptsächlich von ihnen leben, so wäre die<br />

Situation eine andere, weil es denkbar wäre, daß sich dann Ansammlungen bildeten.<br />

Sie versäuern zwar den Urin, was gewöhnlich als Anzeichen dafür genommen wird,<br />

daß sie dem Blute Säurereste zuführen; sie dürfen aber doch nicht als für das Blut<br />

säurebildend angesehen werden, sondern sind das Gegenteil.<br />

Wären Zwetschgen säurebildend, dann müßte ich schon längst unter Versäuerung<br />

leiden, denn ich verzehre oft innert zwei oder <strong>dr</strong>ei Tagen an die zwei Pfund<br />

gewöhnliche Zwetschgen. Ich esse sie allerdings eingeweicht und nie gekocht oder gar<br />

mit Rohrzucker.<br />

Die Bekömmlichkeit der säure- und basenbildenden Nahrungsmittel ist ein<br />

vielumstrittenes Problem. So viel ist jedoch sicher: äße man reichlich und genügend<br />

von Speisen, die von allen Forschern als einwandfrei basenbildend angesehen werden,<br />

so bräuchte man sich nicht davor zu fürchten, auch von solchen Speisen in<br />

vernünftigen Mengen zu essen, die von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet nicht<br />

ganz einwandfrei sind*.<br />

Nach der obigen Liste kann aus mindestens einem Dutzend Gemüsen und doppelt so<br />

vielen Früchten samt einem Dutzend Beerenarten, die alle Basenbildner sind, gewählt<br />

werden. Mit sechzig oder mehr köstlichen Frucht- und Gemüsesorten und oben<strong>dr</strong>ein<br />

noch Milch in verschiedenartigster Beschaffenheit einerseits und mit der langen Liste<br />

säurebildender Nahrungsmittel andererseits ist es jedem einzelnen anheimgestellt, sein<br />

Blut nach Belieben normal alkalisch oder anomal azidotisch zu halten, indem er seine<br />

Diät auf basen- oder säurebildende Kost einstellt.<br />

Aber während dies theoretisch gesprochen leicht sein müßte, ist es praktisch nicht<br />

ganz so einfach. Meine eigene Erfahrung lehrt mich, daß ein durchschnittliches<br />

Verhältnis von etwa zwanzig Prozent Säurebildnern gegen achtzig Prozent<br />

Basenbildner wenigstens annähernd eingehalten werden sollte, um das richtige<br />

Gleichgewicht zwischen säurebildenden und basenbildenden Nahrungsstoffen und auf<br />

diese Weise dem Blute einen nicht sauren, einen basischen Zustand zu sichern. Wenn<br />

nicht achtzig Prozent unserer Nahrungsmenge basenbildend sind, das heißt im Blute<br />

und in der Lymphe Basen bilden, dann stauen wir in unserem Blute und den<br />

Zellenzwischenräumen Säurerückstände auf<br />

30


Diese Säurereste reizen die Zellen, stören früher oder später ihre Tätigkeit und<br />

leiten Krankheiten in den aus Zellen bestehenden Organen ein.<br />

Es ist nun aber eine feststehende Tatsache, daß wir an Hand der obigen<br />

Nahrungsmittelliste selber nachprüfen können, daß wohl mindestens achtundneunzig<br />

Prozent der Nahrung zivilisierter Menschen säurebildend sind, und daß sich im Blut, in<br />

der<br />

* Hier wendet eine gewisse Schule ein, die versäuernde oder alkalisierende Eigenschaft der<br />

Nahrungszufuhr brauche nicht beachtet zu werden, denn der Organismus verfüge glücklicherweise über<br />

eine Regulation, die das Blut immer in bestimmtem Grade leicht alkalisch halte. Es ist tatsächlich für den<br />

zivilisierten Menschen ein großes Glück, daß diese Regulation unerhört leistungsfähig ist, denn wenn sie<br />

aufhört, so hört bald auch das Leben selber auf, und bestünde sie nicht, so bestünde die seit einigen<br />

Generationen übersäuerte zivilisierte Menschheit längst nicht mehr. Aber eben die ständige Belastung<br />

und Überlastung dieser Regulation führt zu ungenügender Alkalireserve und schließlich zum<br />

Zusammenbruch in Form einer Azidose und, durch Umschlagen ins Gegenteil, zur Alkalose.<br />

Gesundheitsstörungen und mangelnde Widerstandskraft durch Übersäuerung zeigen sich aber, selbst<br />

wenn das Saurebasengleichgewicht im Blut noch aufrechterhalten wird, schon lange vorher.<br />

Anm. des Herausgebers.<br />

Lymphe und in den festeren Geweben Säurereste aufspeichern.<br />

Dieser Punkt darf nicht oberflächlich erledigt werden. Er ist nicht nur wichtig — er<br />

ist wesentlich. Man versuche, sich ein Bild davon zu machen, was es heißt: zwanzig<br />

Prozent der täglichen Nahrungsmenge gegen achtzig Prozent der täglichen<br />

Nahrungsmenge. Wenn wir also unsere Kost für einen Tag in fünf Portionen von<br />

gleicher Größe teilen, so dürfte eine dieser Portionen säurebildend und vier dieser<br />

Portionen müßten alkalibildend sein. Ein Teil und vier Teile. Ein Fünftel gegen vier<br />

Fünftel. Das bedeutet, daß nur ein Fünftel der Speisemenge, die man an einem Tage<br />

verzehrt, aus Fleisch, Eiern, Fisch, Wildbret, Geflügel, tierischen Bestandteilen<br />

überhaupt, Brot, Getreidespeisen und allem, was Mehl enthält, aus Fetten,<br />

Zuckerwaren, Zucker, Konserven, Gelees, Tafelsirupen, Honig, Sodawasser,<br />

Eiskremen, Tee, Kaffee, Kakao, Schokolade und alkoholischen Getränken bestehen<br />

darf. Wenn weißes Brot, raffinierte Getreidespeisen wie Getreideflocken,<br />

Weizenschleim, Stärkemehl, des Keimes entledigtes Kornmehl, ausgewalzter Hafer<br />

und ähnliches mehr in der Speisenzusammenstellung stark vertreten sind, so sollte<br />

noch weniger als ein Fünftel des Quantums aus saurer Kost bestehen, denn solche<br />

Nährstoffe werden durch den Verfeinerungsprozeß in der Mühle noch künstlich<br />

gesäuert. Vier Fünftel der täglichen Nahrungsmenge müssen aus der Liste der<br />

Vegetabilien, der Früchte und der Milchprodukte, gewählt werden. Weitaus das beste<br />

in dieser Auswahl sind die Zitrusfrüchte, die Blattgemüse (vorzugsweise roh zu essen)<br />

und die Milch, welche man wenn möglich nicht sterilisiert und nicht pasteurisiert<br />

trinken sollte.<br />

Überwacht man in dieser Weise die Aufnahme der säure- und der basenbildenden<br />

Speisen, so kann die relative Azidose leicht vermieden werden. Auf dieselbe Art kann<br />

man auch jeglicher Überanstrengung der Organe und der Zellen und allem übrigen,<br />

was den Körper befällt, wenn die Organe überreizt und überlastet sind, vorbeugen.<br />

Wie verhält es sich nun mit der Diät der zivilisierten Menschheit? Sie besteht zu<br />

einem großen Teil aus Fleisch, Eiern, Geflügel, Fetten, weißem Brot und unendlich<br />

vielen Getreideprodukten, aus Klößen, Eierkuchen und Waffeln bis zu Mürbekuchen<br />

und Pasteten; aus Getreideflocken, Getreideschleim und ähnlichen verfeinerten<br />

Zerealien, aus geschälten Kartoffeln, poliertem Reis, Pfannkuchen, Backwerk,<br />

31


Konserven, Sirupen, großen Mengen raffinierten weißen Zuckers. Dazu kommen noch<br />

Zuckerwaren. Eiscreme und so viele gefrorene Süßspeisen, süße Getränke,<br />

Sodawassergebräue. Ungezählte Tausende sind Gewohnheitstrinker, was Tee, Kaffee<br />

oder Kakao betrifft; unzählige sind Alkoholiker.<br />

Wer eigentlich nimmt Früchte, Gemüse, Milch und Molkereiprodukte in den<br />

täglichen Nahrungsbestand auf? Und doch sind sie unsere kräftigsten Alkalibildner.<br />

Wer betrachtet sie in Wirklichkeit als Bestandteile seiner täglichen Nahrung, als die<br />

eigentlichen aufbauenden Speisen? Die Antwort lautet leider: überaus wenige.<br />

Millionen berühren kaum je ein einziges dieser Produkte. Millionen gegen jedes<br />

Dutzend Leute, welche einer weiseren Einsicht folgen und sie Bestandteil ihrer<br />

täglichen Mahlzeiten sein lassen!<br />

Freilich, so wahr diese Behauptung auch leider im allgemeinen ist, so darf zum<br />

Glück doch zugegeben werden, daß sie langsam weniger richtig zu werden beginnt.<br />

Aber bis zum Ziele ist noch ein weiter Weg zu gehen.<br />

0 ja, viele Kulturmenschen essen gewissermaßen Gemüse; aber sollen diese<br />

Gemüse nicht dazu dienen, das Fleisch, den Fisch oder die Eier zu begleiten,<br />

hervorzuheben, gewissermaßen einen Rahmen um sie zu bilden, vielleicht um alle <strong>dr</strong>ei<br />

zusammen? Und zudem: werden nicht die Gemüse in der großen Mehrheit der Fälle<br />

gesotten, ausgesotten . . . und wird nicht das Wasser, in dem sie gekocht worden sind,<br />

den Schüttstein hinunterbefördert? Ja, auch das ist wahr. Und sind so widernatürlich<br />

zubereitete Gemüse nicht tatsächlich für ihren Zweck, Basenbildner zu sein,<br />

verdorben? Ach ja, ach ja!<br />

Und werden die Früchte von den Leuten, die sie wirklich als Nahrung essen (es sind<br />

ihrer wenige), nicht geschält und dann gekocht und dann mit mehr oder weniger,<br />

gewöhnlich aber mit mehr, säurebildendem weißem Zucker bestreut? Und zerstört<br />

nicht dieses Schälen, Kochen und Zuckern sämtliche basenbildenden Wirkungen<br />

dieser Früchte? Gewiß! Was ist da zu sagen? Nichts — oder dann nur das eine, daß die<br />

Ernährungsweise der Mehrzahl der modernen Menschen azidosebildend ist.<br />

Hörst du das gerne? Nein? Ich auch nicht.<br />

Aber noch immer hege ich den Verdacht, daß dieser oder jener meiner Leser mir<br />

zurufen könnte: „Pah, die zivilisierte Menschheit lebt schon seit vielen Jahrhunderten<br />

von dieser Kost und mit diesen Gewohnheiten! Was kann es schaden, wenn wir so<br />

weitermachen?“ Ja, lieber Leser, wo hast du denn deine Augen? Oder wirkt der<br />

Anblick des körperlichen Elends, das die zivilisierten Bewohner der fünf Kontinente<br />

überflutet, beruhigend auf dein Gemüt? Vielleicht, Leser, bist du selbst ein Opfer der<br />

Zivilisation; es dürfte sich dann lohnen, daß du Vorsicht übest. Wer Vorsicht übt,<br />

braucht nicht unter allen Umständen ein Opfer zu bleiben.<br />

Aber welche Kost ist denn nun eigentlich ideal? Welche Kost behütet vor Azidose?<br />

In welcher Nahrung finden wir die notwendigen lebenspendenden Elemente, und<br />

welche ist mineralreich und basenbildend, wie es der Körper benötigt?<br />

Allein die natürliche! Natürliche Kost enthält unfehlbar die Eigenschaften, die wir zum<br />

Aufbau unseres Körpers und zu seiner Erhaltung einzig benötigen; sie ist alkalibildend<br />

und mineralreich; sie ist vor allem selbst lebendig und daher lebenspendend.<br />

Ich möchte dem Leser noch einen Gedanken in bezug auf basische Mineralien und<br />

hohen Blut<strong>dr</strong>uck vermitteln. Unheilbarer hoher Blut<strong>dr</strong>uck wird durch das Ein<strong>dr</strong>ingen<br />

von Kalk in die Arterienwände verursacht, wodurch die sogenannten<br />

Pfeifenstielarterien entstehen, welche durch Druck von innen leicht zerrissen werden.<br />

32


Kalium ist ein Agens, das die festen Gewebe im Körper schmiegsam erhält und vor<br />

Verhärtung und Versteifung bewahrt. Natrium hat in unserem Körper die Aufgabe,<br />

Blut und Lymphe in einem Zustande größter Fliissigkeit zu erhalten und ihr Zäh- und<br />

Dickwerden zu verhindern. Enthält aber unsere Nahrung wenig Kalium, dann wird<br />

auch unser Körper arm an dieser Substanz sein, und die festen Gewebe, so auch die<br />

Arterienwände, müssen an Elastizität dementsprechend einbüßen und sich verhärten.<br />

Dann passen sie sich nicht mehr so willig dem einströmenden Blute an, so oft die<br />

Herzkammern sich zusammenziehen und ihren Inhalt in die Arterien pumpen wollen.<br />

Der nie<strong>dr</strong>ige Natriumgehalt des Blutes macht dieses dick und zäh, und das Herz muß<br />

schwerer arbeiten, um es durch die steifen, nur teilweise mithelfenden Arterien zu<br />

pressen. Solches Blut kann nicht so leicht in die Kapillaren <strong>dr</strong>ingen; es staut sich davor<br />

und übt rückwärts in die Arterien einen Druck aus, der den Blut<strong>dr</strong>uck in den<br />

unelastischen Röhren erhöht. Je höher der Druck in den Arterien ist, desto mehr<br />

verdicken sich die Arterienwände zum Schutze und Ausgleich; desto größer ist aber<br />

auch die Anstrengung, welche vom Herzen verlangt wird. Und nun läuft das Unheil<br />

ohne Unterbrechung im Kreis herum, wie es das 7. Kapitel („Unterentwickelte<br />

Muskeln“) näher beschreibt. Überdies hat das Kalzium im Blute eine stärkere<br />

Tendenz, sich wegen Mangels an Natrium in den Arterienwänden zu kristallisieren,<br />

denn es ist eine der Aufgaben des Natriums, das Kalzium im Blute flüssig zu erhalten.<br />

Verfeinerte Körnernahrung und gekochte, verwässerte Früchte- und Gemüsespeisen<br />

entbehren dieser hauptsächlichsten Mineralien und ihrer belebenden Eigenschaften.<br />

Rohe Früchte und Gemüse und Vollmehl- und Vollkornspeisen spenden Mineralien<br />

und dementsprechend Energien aufs reichlichste*.<br />

Man sollte versuchen, all diese Dinge nicht als akademische Tatsachen anzusehen,<br />

sondern als Tatbestände, die unsere Lebensgewohnheiten betreffen und daher unser<br />

Leben und uns selber in ganz direkter Weise interessieren müssen; in einer Weise, in<br />

der uns nichts anderes Materielles interessieren und ergreifen kann.<br />

Sowohl durch unsere Abhängigkeit vom Gesetz der Volksgewohnheiten als auch<br />

durch die Entwicklung und Anpassung unserer Körpermechanik sind wir also zur<br />

Kontrolle unserer täglichen Mahlzeiten gezwungen. Unsere tägliche Diät enthält aber<br />

im allgemeinen anstatt der notwendigen achtzig Prozent nicht mehr als etwa<br />

anderthalb bis zwei Prozent basenbildender, mineralreicher, lebendiger, natürlicher<br />

Nahrungsstoffe. Eine solche Diät begünstigt die Aufspeicherung von Säureresten und<br />

Abfallstoffen im Blut und in den Körpergeweben, die die Zelleneinheiten, aus welchen<br />

unsere lebenswichtigen Organe sich zusammensetzen, reizen und überladen, die<br />

Funktionen dieser Organe stören und sie letzten Endes vernichten.<br />

Ist es da ein Wunder, daß Krankheit und frühzeitiges Sterben sich überall<br />

einschleichen? Sollten wir uns nicht vielmehr darüber verwundern, daß der<br />

menschliche Körper solchen Anstürmen jahrelang widerstehen kann?<br />

Das alles muß anders werden. Und dazu ist vor allem nötig, daß wir lernen,<br />

natürliche Kost von unnatürlicher zu unterscheiden.<br />

Einen gewissen Verdacht gegen die Natürlichkeit unserer Kulturnahrungsmittel<br />

mag der Leser nach allem Gesagten nun schon von selber hegen. Mit dieser<br />

Einstellung wird er imstande sein, tiefer in die Frage der Natürlichkeit oder<br />

Unnatürlichkeit zivilisierter Kost einzu<strong>dr</strong>ingen.<br />

* Näheren Einblick gewähren hier die Dr. Jackson anscheinend nicht bekannten Forschungen von<br />

33


Eppinger und Kaunitz von der Wiener Medizinischen Klinik (1938). Der entscheidende Vorgang im<br />

Verlauf der Ernährung spielt sich danach nicht im Darm, sondern beim Übergang der Nährflüssigkeit<br />

von den äußersten Verästelungen des Blutadersystems, den Kapillaren, in die lebenden Zellen des<br />

Organismus ab, ein Vorgang, der sich gleichzeitig im ganzen Körper millionenfach vollzieht. Die<br />

Nährflüssigkeit muß dabei durch zwei feine Häutchen und einem Zwischenraum treten. Dasselbe gilt in<br />

umgekehrter Richtung für die von den Zellen ans Blut abzugehenden Abfallstoffe. Dieses Hindurchtreten<br />

geschieht nicht, wie man früher glaubte, nach dem bekannten Naturgesetz, wonach sich beidseitig ein<br />

Ausgleich der Flüssigkeitszusammensetzung vollzieht, vielmehr wird gerade umgekehrt und im Gegensatz<br />

zu diesem Naturgesetz eine möglichst große Gegensatzspannung der Flüssigkeitszusammensetzung<br />

erstrebt. Das Blut soll z. B. Kochsalz enthalten, die Zelle aber nicht; die Zelle hingegen soll reich an<br />

Kalium sein, das Blut aber nicht. In der lebendigen Zelle, so muß angenommen werden, sitzt eine<br />

souveräne Instanz, die das Kalium heranziehen und das Natrium wegstoßen kann, und die in gleicher<br />

Weise eine Auswahl (Selektion) unter den herangeführten Stoffen der Nährflüssigkeit vornimmt. Je<br />

gesünder die Zelle, desto kräftiger kann sie diese Fähigkeit ausüben, je kränker, desto mehr vollzieht sich<br />

ein Ausgleich; wenn die Zelle stirbt, erlischt alle Gegensatzspannung, und es tritt ein vollständiger<br />

Ausgleich ein. Bei fast allen Wienern, welche von Eppinger und Kaunitz untersucht wurden, auch bei den<br />

Nichtkranken, war diese vitale Spannung stark herabgemindert und zugleich die Widerstandsfähigkeit<br />

gegenüber Krankheiten verringert. Versuche, die Selektionsfähigkeit der Zellen durch Zufuhr von<br />

Mineralstoffgemischen und verschiedene Diätarten wiederherzustellen, ergaben, daß dieses Ziel einzig<br />

und allein durch vegetabile Rohdiät (im Sinne Bircher-Benners) sicher und verhältnismäßig rasch<br />

erreicht werden kann, und daß dadurch zugleich bei den Kranken eine intensive Heilungstendenz einsetzt.<br />

Anm. des Herausgebers.<br />

Aus der vorherrschenden Verwendung im täglichen Speisezettel ergibt sich folgende<br />

Abstufung in bezug auf Häufigkeit des Gebrauchs: Getreidespeisen, Fleisch,<br />

Kartoffeln, Milch, Eier, Zucker, Konserven, Gemüse und Früchte. Bei einem großen<br />

Teil der Menschen jedoch, die für zivilisiert gelten wollen, nimmt Milch einen noch<br />

nie<strong>dr</strong>igeren Platz als den ihr hier zugeteilten ein.<br />

Betrachten wir diese Liste, so sind wir merkwürdigerweise gezwungen zuzugeben,<br />

daß jeder einzelne Posten ein natürliches Nahrungsmittel darstellt, in dem Sinne, daß<br />

es kein künstlich zusammengestelltes Produkt ist. Wenn wir dabei stehenbleiben<br />

würden, müßten wir den Schluß ziehen, daß die Nahrung der Kulturmenschen in<br />

keinem wesentlichen Punkt für die überall herrschenden Krankheiten der Zivilisation<br />

verantwortlich gemacht werden darf. Aber bevor wir überhaupt ein Urteil fällen,<br />

wollen wir uns fragen, welches die Zubereitungsmethoden dieser Nahrungsmittel sind.<br />

Greifen die Herstellungsverfahren in irgendeiner deutlichen Weise das Wesen der<br />

einzelnen Nahrungsmittel an, verändern sie ihre Qualität? Mit dieser Frage wird das<br />

Ernährungsproblem erst interessant, so interessant, daß wir diesen Punkt ausführlich<br />

betrachten müssen.<br />

34


4. KAPITEL<br />

Unsere Nahrungsmittel<br />

Wenn wir die Qualität unserer Nahrungsmittel betrachten, so läßt sich folgende<br />

Einteilung vornehmen:<br />

Getreidenahrung Mehl und seine Produkte, Brot usw.<br />

Kuchen, Backwerk, Pudding usw.<br />

andere Getreidespeisen<br />

Reis<br />

Fleischnahrung Rind, Schwein, Schaf, Ziege, Wildbret,<br />

Geflügel, Fisch, Schalentiere usw.<br />

Molkereiprodukte Milch, Rahm, Buttermilch, Butter, Käse, Quark usw.<br />

Zucker Rohrzucker, Melasse, Zuckersirup, Kornsirup<br />

Früchtekonserven in Zucker eingemachte Früchte<br />

in Essig eingemachte Früchte<br />

gedörrte Früchte<br />

Gemüsekonserven durch Erhitzung konserviertes Büchsengemüse<br />

in Essig konserviertes Gemüse<br />

gedörrtes Gemüse<br />

durch Kälte konserviertes Gemüse<br />

Frisches Gemüse<br />

Kartoffeln<br />

35


Honig<br />

Süße Früchte<br />

Frisches Obst<br />

Nüsse, Mandeln usw.<br />

In dieser Reihenfolge wollen wir die einzelnen Nahrungsmittel nunmehr betrachten.<br />

Mehl. Wenn man die Getreidekörner durch Mahlen, Zer<strong>dr</strong>ücken oder Zerstampfen<br />

pulverisiert, bis sie zu dem feinen Staub zerrieben sind, den wir Mehl nennen,<br />

verändern sich ihre Eigenschaften für Nahrungszwecke nicht wesentlich; sie bleiben<br />

Energie erzeugendes Brennmaterial und Aufbaustoff für den Körper. Solche<br />

Zerkleinerung tut mit den Körnern nur das, was in jedem Falle die Zähne besorgen<br />

müssen, bevor die Speise geschluckt, verdaut und vom Körpermechanismus verwendet<br />

werden kann. — Aber es gibt Mehl und Mehl; es gibt nämlich auch weißes,<br />

gebeuteltes Mehl. Das ist Mehl, aus dem die Kleie, der fettige Keim und das braune<br />

Mehl vermittelst Siebens durch Beutelseide entfernt worden sind. Die Beutelseide, ein<br />

sehr feinmaschiges Gewebe, läßt wenig anderes zwischen den Maschen hindurch als<br />

die Stärke und den Kleber (das Gluten) der Getreidekörner. Der Rückstand, der viele<br />

der besten Salze, Fette, Zellstoffe und Vitamine dieser Körner enthält, wird als<br />

Abfallprodukt und Viehfutter verkauft. Dieses bedeutet, daß das weiße Mehl keine<br />

Wachstumsvitamine enthält. Auch Kalzium, Phosphor, Magnesium und Fluor, aus<br />

denen sich die harte Substanz der Zähne und des sie bedeckenden Schmelzes bildet,<br />

Kalzium und Phosphor, welche die Knochen aufbauen, Natrium und Kalium, Eisen,<br />

Schwefel und alle anderen wichtigen mineralischen Stoffe sind großenteils aus dem<br />

weißen Mehl entfernt worden, zu dem einzigen Zwecke, dasselbe weiß zu machen,<br />

was die geschäftliche Rentabilität verbessern soll.<br />

Durch diesen Raffinierungsprozeß entfernen die Müller so viele der wertvollsten<br />

körperbelebenden und körperaufbauenden Elemente, die als Erwecker der Lebenskraft<br />

und als Bildner des Körpers nötig sind.<br />

Damit hat es jedoch nicht sein Bewenden, denn einige der auf diese Weise<br />

entfernten Bestandteile braucht der Körper <strong>dr</strong>ingend zur richtigen Verwertung der<br />

Stoffe, die nach der Verfeinerung noch im weißen Mehl zurückbleiben. Diese Stoffe<br />

können deshalb vom Körper auch nicht verarbeitet werden.<br />

Weißes Brot ist so naturwi<strong>dr</strong>ig, daß Tiere, die man ausschließlich damit füttert, an<br />

mehrfacher Neuritis erkranken und bald eingehen, wenn diese einseitige Fütterung<br />

beibehalten wird.<br />

Fast ohne Ausnahme ist die "Weißbrotgewohnheit der zivilisierten Menschheit<br />

zudem auch eine Frischbrotgewohnheit. Die meisten Menschen sind der Ansicht, daß<br />

das Brot am besten schmecke, wenn es erst wenige Stunden alt sei oder gerade aus<br />

dem Backofen komme; auf jeden Fall dürfe es nicht älter sein als vierundzwanzig<br />

Stunden. Es ist aber eine altbekannte Tatsache, daß solches Brot unverdaulich und<br />

daher als Nahrung unbrauchbar und ohne belebenden Einfluß ist. Es enthält nämlich<br />

noch große Mengen von Hefegasen und kann sich in seinem teigigen Zustand<br />

unmöglich mit dem Speichel vermischen, ohne den im Magen überhaupt nichts<br />

verdaut wird. Jedermann weiß das, und dennoch ißt nahezu jedermann frisches Brot.<br />

Frisches weißes Brot wird zum größten Teil durch Gärung in Produkte aufgelöst,<br />

die den Körper vergiften, anstatt ihn zu ernähren, die seine Gewebe nicht aufbauen und<br />

36


seine Zellen nicht beleben, sondern sie im Gegenteil zerstören — es sei denn, die<br />

Verdauung gehe in einem außerordentlich kräftig arbeitenden System derart<br />

beschleunigt vor sich, daß nichts Nachteiliges sich ereignen kann. Aber nicht jeder, der<br />

an Verdauungsstörungen leidet, hat das Glück, im Magen die entsprechenden<br />

Belästigungen zu spüren. Nur Personen mit empfindlichem Magen merken die<br />

Warnung. Und oft sind sie die Bevorzugten, denn ihre Leiden lehren sie, den Magen,<br />

dieses feingebaute Organ, mit Rücksicht zu behandeln.<br />

Zum Thema des weißen Brotes gehört auch noch die Feststellung, daß frisches Brot<br />

keineswegs an Verdaulichkeit und gesundheitsförderndem Wert gewinnt, wenn man<br />

Butter und Konfitüre in irgendeiner Form dick darauf streicht, um das Ganze mit<br />

wenigen heißhungrigen Bissen im Munde zu einer teigigen Masse zu zerkauen und es<br />

dann hinunterzuschlingen. Auch durch rasches Anrösten einer dünnen braunen<br />

Schicht, die die zähe Teigmasse des Brotinnern bedeckt, wird frisches weißes Brot<br />

nicht bekömmlicher, ebensowenig dadurch, daß die gerösteten Brotschnitten mit<br />

Butter bestrichen werden, denn die schmelzende Butter durch<strong>dr</strong>ingt die<br />

Stärkekörnchen so ausgiebig mit Fett, daß die Verdauungsenzyme diese Körnchen<br />

unmöglich erreichen können.<br />

Natürlich gilt alles Gesagte in demselben, ja noch in verstärktem Maße auch für<br />

heiße Teebiskuits, Backwerk, üppige Puddinge, reiche oder einfache Kuchen, die man<br />

aus weißem Mehl, Zucker, Eiern, Backpulver, mürbem Teig, Obstkonserven,<br />

Fruchtgelee, frischem oder gedörrtem Obst, Gewürzen usw. bereitet. Alle diese<br />

Speisen sind so weit von Nahrungsnatürlichkeit entfernt wie der Osten vom Westen.<br />

Mag solches Essen auch scheinbar verdaut werden — es kann kein natürliches<br />

menschliches Fleisch bilden noch den lebendigen Körper aufbauen, und was es nicht<br />

kann, tut es auch nicht.<br />

Getreidespeisen. Auch sie üben größte Belebungskraft aus, wenn sie nicht durch<br />

künstliche Prozesse ihrer Qualität als natürliche Nahrungsmittel beraubt werden. Man<br />

muß aber leider sagen, daß die modernen Getreidenahrungsmittel — von sehr wenigen<br />

Ausnahmen abgesehen — keineswegs als natürliche Kost gelten dürfen. Der Hersteller<br />

dieser Produkte weiß oft nicht, daß das allgemein übliche Entfernen des<br />

Lebenskeimes, der Kleie und des braunen Mehls, auch die Pflanzenfette, die reichen<br />

Mineralsalze, die Vitamine entfernt. Und in vielen Fällen würde die Erkenntnis dieser<br />

Tatsache wenig ausrichten, weil sie mit der Rendite in Widerstreit gerät; Berufszweck<br />

ist ja der Geschäftsgewinn.<br />

Getreideprodukte, die noch Keimlinge und Kleie enthalten, verderben leichter. Sie<br />

sind energiehaltiger, und die instinktiv handelnden Insekten wissen das; darum suchen<br />

sie gerade solche Produkte auf, um ihre Eier darin abzulegen. Unbeirrbarer Instinkt<br />

läßt sie das Richtige finden. Wie steht es dagegen mit dem Instinkt der<br />

Menschenmütter, die ihre Kinder so reichlich mit Weißbrot nähren?<br />

Es ist nachgewiesen worden, daß weiche, teigige Getreidenahrung die<br />

Speichelabsonderung nicht anregt, und doch hängt die Verdauung der Körnerfrüchte<br />

von der Speichelabsonderung ab, weil sie vorwiegend stärkehaltig sind. Die<br />

Magensäfte können Stärke überhaupt nicht verdauen. Sobald die Magensäfte sich<br />

durch die Magen<strong>dr</strong>üsen in das Mageninnere ergießen, hört jede Stärkeverdauung, die<br />

im Magen noch vor sich gehen könnte, nachdem die Speise beim Durchgang durch<br />

den Mund mit Speichel vermischt worden ist, augenblicklich auf. Denn die Stärke<br />

37


kann im Magen durch den Speichel nur verdaut werden, solange er alkalisch bleibt,<br />

und da die saure Magensekretion den alkalischen Speichel neutralisiert, muß die<br />

Stärkeverarbeitung aufhören, sobald die Magensäfte dazutreten. Daher ist es sehr<br />

wichtig, daß die stärkehaltigen Getreidespeisen gründlich mit Speichel vermengt<br />

werden, bevor sie in den Magen hinunter gelangen. Und aus dem gleichen Grunde ist<br />

es notwendig, Zerealien zu genießen, die die Speichelabsonderung anregen, weil es<br />

schwierig ist, die teigigen, weichen Bissen so lange im Mund zu behalten, bis der<br />

Speichel sie vollkommen durch<strong>dr</strong>ungen hat.<br />

Getreidenahrung, die das Ganze des Kornes enthält, kann nicht pappig und weich<br />

werden; die kleiehaltige Zellulose und das braune Mehl verhindern das.<br />

Die ausgewalzten, geflockten und zerstampften Zerealien werden leicht teigig,<br />

dagegen die in den altmodischen Tuffstein- oder den modernen Stahlwalzenmühlen<br />

gemahlenen nicht. Solche Körnerfrüchte können nicht teigig werden, nicht einmal,<br />

wenn man sie stundenlang kocht. Ihr körniger Charakter regt von selbst den Fluß des<br />

Speichels im Munde an, und dies wird unterstützt durch die mechanische Anregung<br />

der kleiehaltigen Zellulose. Beide, die Zellulose und die Körner, erhöhen die Porosität<br />

der Nahrungsmasse, so daß sie sich bequem mit dem Speichel, der ihre Stärke<br />

verdauen soll, vermischen kann. Aus diesen Gründen sind die körnigen Zerealien allen<br />

andern als Getreidenahrung vorzuziehen; sie sind die natürlichen Zerealien.<br />

Es ist wichtig, die Getreidespeisen unmittelbar vor der Mahlzeit zu kochen; auch<br />

sollten sie schnell gekocht werden. Das Kochen ist die einzige unnatürliche Prozedur<br />

bei Vollkornnahrungsmitteln. Daher sind sie völlig natürlicher Kost um so näher, je<br />

kürzere Zeit sie gekocht und je rascher sie gegessen werden, nachdem sie sich leicht<br />

abgekühlt haben.<br />

Dagegen gehören die ausgewalzten und zerstoßenen Getreidepräparate und die in<br />

der Fabrik vorgekochten nicht zu den natürlichen Nahrungsmitteln, ebensowenig die<br />

ganz gekochten, die geflockten und klein geschnittenen, die zum Essen fertig gerichtet<br />

sind. Diese Art Nahrung kann die greifbare Substanz unseres Körpers wohl aufbauen<br />

helfen, aber den Körper niemals mit genügend Kraft und Widerstandsfähigkeit<br />

versehen.<br />

Ganze Getreidekörner tragen, solange sie nicht gekocht worden sind, noch immer<br />

das lebensweckende Prinzip in ihrem Keime; unter entsprechenden Verhältnissen<br />

werden sie keimen, und aus ihnen wird sich eine neue Pflanze, ein neues Leben<br />

entwickeln. Aber wenn ein Samenkorn einmal durchgekocht ist, so ist es leblos, und<br />

kein neues Leben kann sich mehr daraus entfalten, gleichviel, ob es den Keim noch<br />

besitzt oder nicht, denn der Keim selber ist nun tot.<br />

Getreidekörner, die in der Fabrik gekocht wurden und hernach im Handel auf den<br />

Verbrauch warten, kann man in bezug auf ihre belebenden Qualitäten in dieselbe<br />

Klasse einreihen wie Fleischnahrung, die nicht unmittelbar nach dem Töten des Tieres<br />

verzehrt wird. Beide haben durch die lange Trennung von ihrem kraftspendenden<br />

Prinzip ihre anregende Lebenskraft verloren, und wer sich ausgiebig von ihnen<br />

ernährt, darf nicht auf Zufuhr von Vitalität oder auf die Ausbildung einer großen<br />

Widerstandsfähigkeit gegenüber den be<strong>dr</strong>ohlichen Einflüssen des Lebens hoffen.<br />

Früher oder später muß dieser zersetzende Prozeß zu körperlicher Krankheit führen.<br />

Wenn die Getreidenahrung aber in richtiger Weise, nicht pappig und weich, aus<br />

ganzen Körnern zubereitet wird, so daß die kleiehaltige Zellulose den fettigen,<br />

mineralreichen Keim und das gut mineraldurchsetzte braune Mehl neben dem weißen<br />

38


aus dem Innern des Getreidekorns beibehält, darf man sie zu den natürlichsten aller<br />

menschlichen Nahrungsmitteln rechnen.<br />

Reis. Der Reis ist gleichfalls eine Körnerfrucht, die besonders in Asien weite<br />

Verbreitung gefunden hat. Die zivilisierten Rassen „verfeinern“ den Reis im<br />

allgemeinen auf ähnliche Weise wie die Getreidekörner. Die äußere Kleie- oder<br />

Zellstoffhülle wird dabei entfernt, und mit ihr der fettige Lebenskeim sowie ein großer<br />

Teil der mineralischen Salze und Vitamine. Nachdem ihm so sein Zellstoff, seine<br />

Mineralsalze und seine Vitamine entzogen worden sind, wird der „polierte“ oder<br />

„geschälte“ Reis befeuchtet und mit Talk, dem Stoff, der im Handel als Talgpulver<br />

verkauft wird, überzogen, um die Körner noch weißer zu machen. Als natürliches<br />

Nahrungsmittel im Sinne der vorangegangenen Ausführungen kann nur der<br />

ungeschälte Reis betrachtet werden.<br />

Fleischkost. Auch der Körper eines kurz zuvor getöteten Tieres, das sich im<br />

Augenblick seiner Tötung in voller Gesundheit befand, kann einwandfreie<br />

menschliche Nahrung liefern, denn solch ein tierischer Körper enthält jeden<br />

aufbauenden Stoff in genau den Proportionen, die der menschliche Körper braucht (*1.<br />

Ich spreche freilich vom tierischen Körper und nicht von seinen Muskeln oder seinem<br />

Fett, den einzigen Teilen, die der zivilisierte Mensch gewöhnlich als Nahrung zu sich<br />

nimmt.<br />

Verteidiger der Fleischkost bringen immer wieder das Argument vor, daß<br />

fleischessende Stämme wie die Eskimos bei fast ausschließlicher Fleischkost kräftig<br />

und gesund sein können. Sie verschweigen aber, daß die Eskimos keineswegs nur<br />

Muskelfleisch und Speck essen. Sie würden das auch nicht zu behaupten wagen, denn<br />

es wäre gelogen. Eskimos und andere hauptsächlich Fleisch essende Stämme<br />

verzehren die Leber, das Herz, das Bauchfell und andere Organe, das Fett und<br />

manchmal auch die Muskeln; außerdem — und das ist die Hauptsache — trinken sie<br />

große Mengen tierischen Blutes; sie essen ihre Tiernahrung frisch geschlachtet und zu<br />

einem großen Teil roh. Wird das Fleisch so genossen, dann muß man es<br />

selbstverständlich auch eine natürliche Nahrung nennen.<br />

Es ist dann wie jede natürliche Nahrung reich an Energiespendern, Salzen,<br />

Wachstums- und Ersatzvitaminen (*2.<br />

Aber essen die zivilisierten Völker das Fleisch je auf diese Art? Nicht daß ich<br />

wüßte! Bei ihnen muß es gut ausgeblutet und gewöhnlich auch gelagert sein, damit es<br />

als genießbar gilt. Daß Knochen, Knorpel, Gehirn, innere Organe und vor allem Blut<br />

in frischem Zustande menschliche Nahrung sein könnten, das kommt den meisten<br />

Angehörigen zivilisierter Völker gar nicht in den Sinn.<br />

Die Entziehung der lebendigen Kraft durch das Kochen des Fleisches läßt sich freilich<br />

zur Not als bloß passives oder negatives Übel ansehen; weit gefährlicher und<br />

gesundheitsschädigender ist das Lagern des Fleisches, wodurch es zart und weich<br />

werden soll. In dem Augenblick, da das Leben aus dem Körper entweicht, beginnt die<br />

Verwesung.<br />

*1) Richtiger ist es, zu sagen: die der menschliche Körper für seinen Aufbau braucht. Da der<br />

Aufbaubedarf des menschlichen Körpers beim Erwachsenen aber nur 1/20 bis 1/25 seines Betriebsbedarfs<br />

ausmacht, entspricht solche Nahrung nicht dem Gesamtbedarf.<br />

39


Anm. des Herausgeben.<br />

*2) Die Dr. Jackson wohl noch nicht bekannten, sehr genauen Ergebnisse der dänischen Höygaard-<br />

Expedition., erzielt bei Untersuchungen an den Angmagsalik – Eskimos in Ostgrönland, bieten hier<br />

wertvolle Ergänzung. Diese vom Welthandel abgeschlossenen Eskimos leben fast allein von dem, was sie<br />

erlegen und sammeln können, ein sehr mühsames und dürftiges Leben am Rande menschlicher Existenz-<br />

und Anpassungsmöglichkeit. Ihre Nahrung ist immerhin sehr naturnah und ihre Gesundheit, wenigstens<br />

in jungen Jahren, besser als die der mit europäischen Lebensmitteln versorgten Westgrönländer. Die<br />

Angmagsalik – Eskimos leben zu mehr als 9/10 von Fleisch und im übrigen von gesammelten Land- und<br />

Meerpflanzen. Ihr täglicher Nährstoffverbrauch beträgt durchschnittlich: 299 g Eiweiß, 169 g Fett, 122 g<br />

Kohlehy<strong>dr</strong>ate. Das Fleisch wird, trotz des kalten Klimas, zur Hauptsache unerhitzt und roh genossen, in<br />

erster Linie Blut und Fett, dann innere Organe und nur, wenn der Hunger groß ist, auch noch<br />

Muskelfleisch. Kochsalz wird verabscheut. Der Durst ist sehr groß. Bei solcher Nahrung, die zwar<br />

naturnah, aber sehr einseitig ist, haben diese Eskimos als junge Leute eine recht gute Gesundheit; aber<br />

schon mit 35 Jahren, also in der Mitte des Lebens, werden sie durch Arteriosklerose derart schwerfällig,<br />

daß die Männer bei ihrer lebenswichtigen Verrichtung, der Jagd, bald umkommen und kaum je über 50<br />

Jahre alt werden (mittlere Lebensdauer: 27 ½ Jahre!). Es gibt wohl nichts, was besser als dies die<br />

Tatsache beleuchten würde, daß die Natur den Menschen nicht als Fleischesser geschaffen hat, es sei denn<br />

der Umstand, daß jenes Volk, das fast ohne Fleisch, aber hauptsächlich von ungekochter oder wenig<br />

erhitzter Nahrung, namentlich von Obst, Getreide und Grüngemüse, leben muß, nämlich das Volk von<br />

Hunsa am Karakoram, nach den Untersuchungen von Sir Robert McCarrison nicht nur bemerkenswert<br />

frei von Krankheiten ist, sondern überdies sehr alt wird und dabei jugendliches Aussehen und große<br />

Beweglichkeit bewahrt (siehe Ralph Bircher, „Hunsa — das Volk, das keine Krankheit kennt“, Hans<br />

Huber Verlag, Bern).<br />

Anm. des Herausgebers.<br />

Je mehr Zeit verstreicht, um so größer wird bei allen Nahrungsmitteln der Verlust<br />

an energischen Eigenschaften, und, um so größer wird auch, besonders beim Fleisch,<br />

die Gefahr der Verwesungsgifte. Ob gefroren oder nicht, das Fleisch wimmelt wenige<br />

Stunden nach der Tötung des Tieres von Fäulnisbakterien. Diese Mikroorganismen<br />

können sich unmöglich vermehren, ohne jene Gifte zu erzeugen, die ihrem<br />

Lebensprozeß entstammen. Wenn man also Fleisch ißt, muß man auch die<br />

Verwesungsprodukte mitessen.<br />

So gleicht, das muß klargestellt werden, die Art des Fleischessens, wie sie in<br />

zivilisierten Ländern geübt wird, dem Fleischgenuß bei den Eskimos in ähnlicher<br />

Weise, wie etwa Nektar und Ambrosia einer angebrannten Mehlsuppe gleichen<br />

mögen. Wir dürfen nicht vergessen, daß Fleisch schlecht wird, lange bevor unser<br />

Geruchsinn es bemerkt, und wir dürfen auch nicht vergessen, daß es eben der Zerfall<br />

ist, der das gelagerte Fleisch „zart“ macht. Die meisten zivilisierten Menschen wollen<br />

ihre Fleischnahrung aber recht zart haben.<br />

Eingemachtes Fleisch, Pökel- und Rauchfleisch, überhaupt alle Arten von<br />

konserviertem Fleisch, haben als Nahrungsmittel den Nachteil, daß sie ihrer<br />

Natürlichkeit gänzlich beraubt sind. Erstens werden sie erst lange nach der Tötung des<br />

Tieres verzehrt; das lebendige Prinzip fehlt ihnen also schon seit langem. Zweitens<br />

werden sie ausgiebig bei hohen Temperaturen gekocht; dadurch wird alles zerstört,<br />

was noch an Vitamin A und C in ihnen enthalten sein könnte. Drittens sind sie oft mit<br />

Salz oder anderen konservierenden Chemikalien durchsetzt, was wiederum die geringe<br />

Menge von Mineralsalzen, die sie enthalten, vermindert oder zerstört.<br />

Diese Behauptungen sind weder Theorie noch Phantastereien. Die Erfahrungen<br />

vieler Polarforscher haben bewiesen, daß Büchsenfleisch sowie alle nicht frischen<br />

Fleischarten auch in ungesalzenem Zustand nicht vor Skorbut schützen, während<br />

frisch geschlachtetes ungesalzenes Fleisch den Skorbut an der Weiterentwicklung<br />

hindert, ja, ihn noch in vorgeschrittenem Stadium heilen kann. Doch muß es frisch<br />

40


geschlachtetes, nicht ausgeblutetes, ganz (oder fast ganz) roh genossenes Fleisch sein,<br />

und mit ihm zusammen muß möglichst viel von den inneren Organen wie Leber, Herz,<br />

Milz, Gehirn usw. verzehrt werden. Auf diese Weise genossen, ist Fleisch natürliche,<br />

energetische Nahrung; wie man es aber bei uns genießt, ist es eine denkbar<br />

unnatürliche Speise.<br />

Fleischbrühen, Fleischextrakte und Suppenwürfel, mögen sie im Handel noch so<br />

hoch angepriesen werden, haben nicht den geringsten wahren Nährwert, und man kann<br />

sie unter keinen Umständen mehr als Energiespender bezeichnen. Die Hitze löst das<br />

tierische Eiweiß nicht auf, und alle Mineralsalze, die sich aus dem Fleisch in die Brühe<br />

auflösen lassen, werden durch das lange Erhitzen, das bei der Zubereitung nötig ist,<br />

zerstört. Ein berühmter englischer Arzt und Physiologe, Dr. Abernethy, antwortete auf<br />

die Frage nach dem Nährwert guter Fleischbrühe, sie sei ungefähr auf dieselbe Stufe<br />

zu setzen wie guter Urin. Das ist durchaus wahr. Eine Analyse der Fleischbrühe ergibt<br />

einen ganz ähnlichen Befund wie eine Harnanalyse — und warum sollte es anders<br />

sein? Urin ist eine wässerige Lösung der verbrauchten Mineralsalze und des<br />

Körpereiweißes aus Endprodukten der Verdauung, vor allem von Fleisch und anderer<br />

eiweißhaltiger Nahrung herrührend. Fleischbrühe ist die wässerige Lösung von<br />

Extraktivstoffen, welche zum großen Teil aus den Abfallprodukten des<br />

Eiweißstoffwechsels und verbrauchten Mineralsalzen bestehen, die das Tier vor seiner<br />

Tötung noch nicht ausgeschieden hatte. Die „anregende“ Wirkung sagt nichts<br />

zugunsten der Fleischbrühe aus. Viele Gifte wie Alkohol und Kokain regen anfänglich<br />

auch an; nachher entkräften sie; die Entkräftung tritt aber erst in späteren Stadien oder<br />

gar erst im Endstadium ein. Die Reaktion auf alle künstlichen Reizmittel ist<br />

Depression. Meine feste Überzeugung ist, daß mancher Kranke, der durch Frucht- und<br />

Gemüsesäfte hätte genesen können, durch den Genuß von Fleischbrühe und anderen<br />

schädlichen Gaben sogenannter Krankendiät so schwer geschädigt worden ist, daß der<br />

Fall hoffnungslos wurde.<br />

Eier. Eier, die mit oder ohne Schale leicht gekocht oder weich gesotten werden,<br />

sind natürliche Nahrungsmittel, denn durch sehr leichtes Kochen wird ihnen nichts<br />

entzogen, es wird nichts hinzugefügt und auch nichts Wesentliches verändert. Aber<br />

hartgesottene Eier sind durch das lange Kochen entkräftet, obwohl sie noch immer als<br />

Körperbaustoff gelten können. Rühreier, Eieromeletten und Spiegeleier sind ihrer<br />

Natürlichkeit beraubte Nahrungsmittel, genau so wie hartgesottene Eier, mit dem<br />

einzigen Unterschied, daß die letztgenannten schwerer verdaulich sind. Alte oder<br />

eingetrocknete Eier sind ungesund, aus dem gleichen Grunde wie altes gelagertes<br />

Fleisch schlecht ist.<br />

Milch. Vor allem muß gesagt werden, daß die Milch in den Städten nie ganz frisch<br />

ist; sie ist sogar oft abgestanden, und diese abgestandene Milch lassen viele Leute<br />

noch zu Hause herumstehen, manchmal gar bis zum nächsten Tag. Während dieser<br />

Zeit schwinden und degenerieren die Gesundheit spendenden Eigenschaften der Milch<br />

viel rascher als die körperaufbauenden. — Ferner wird die in den Städten verbrauchte<br />

Milch vor dem Verkauf meistens noch pasteurisiert oder sterilisiert, was bekanntlich<br />

die Vitamine vermindert oder zerstört. Wie wahr das ist, sieht man an der Tatsache,<br />

daß die Ärzte Säuglingen, die bei pasteurisierter Milch erkranken, zur Heilung rohe<br />

Milch verschreiben. — Man sucht die Pasteurisierung damit zu rechtfertigen, daß sie<br />

41


gewisse Krankheitskeime tötet. Da aber nicht alle schädlichen Keime getötet werden,<br />

sondern gerade einige der bösartigsten lebendig bleiben, wird der Wert des Verfahrens<br />

als Schutzmaßregel oft angezweifelt. Es muß auch zugegeben werden, daß rohe Milch<br />

besser kräftigt und dem Körper größere Widerstandskraft verleiht. Rohe Milch ist<br />

daher jeder präparierten weit vorzuziehen, wenn man sie in sauberem Zustand erhalten<br />

kann.<br />

Die Erzeugnisse der Natur sind eben, wie wir zwar wissen sollten, aber leider<br />

immer noch nicht genügend wissen, in ihrer Art vollkommen, und wir dürfen uns<br />

keine Eingriffe unter dem Vorwand der Verbesserung an ihnen erlauben. Gerade die<br />

subtilen Energiestoffe des natürlichen Zustandes sind sehr leicht veränderlich und<br />

zerstörbar.<br />

Milch ist die vollkommene Nahrung für Kleinkinder. Für alle Stufen über dem<br />

Säuglingsalter jedoch fehlen ihr Eisen, Kohlehy<strong>dr</strong>ate und Zellulose oder<br />

Rohfaserstoffe. Wollte ein Erwachsener ausschließlich von Milch leben, was er wohl<br />

tun könnte, so wäre er gezwungen, weit mehr zu sich zu nehmen, als für alle anderen<br />

Bedürfnisse seines Körpers notwendig ist, nur damit ihm genügend Eisen,<br />

Kohlehy<strong>dr</strong>ate und Ballaststoffe zugeführt werden. Das Übermaß an Eiweißstoffen und<br />

Salzen jedoch, das dem Körper auf diese Weise zugeführt wird, kann mit weit weniger<br />

Reizung und Anstrengung der Ausscheidungsorgane wieder weggeschafft werden als<br />

eine gleiche Übermenge dieser Substanzen aus irgendeiner anderen Nahrungsquelle,<br />

ganz besonders aus Fleischgerichten.<br />

Selbstverständlich nimmt man bei dieser Feststellung an, daß die Milch natürlich,<br />

rein und frisch sei. Wenn ihre Natur dagegen durch irgendeinen Eingriff verändert<br />

wird, so ist die Behauptung, daß ein Erwachsener mit ihr ohne zusätzliche Nahrung<br />

völlig gesund leben könne, falsch.<br />

Unsere Milchversorgung ist aber oft schon von Anfang an unnatürlich, weil wir mit<br />

falscher Fütterung des Viehes beginnen. Die Kühe bekommen besonders rationell<br />

ausgedachtes Futter, das die Milchabsonderung mächtig fördert. Dieses Futter besteht<br />

größtenteils aus Abfällen menschlicher Nahrungsmittel, die in Fabriken verarbeitet<br />

werden. Es sind dies diejenigen Teile unserer Nahrungsmittel, welche die<br />

„Sachverständigen“ um der Verfeinerung willen entfernen ließen. Einige dieser<br />

Abfälle stammen aus Getreidemühlen, andere aus Branntweinbrennereien und<br />

Brauereien, andere aus Rübenzuckerraffinerien und wieder andere, wie die Melassen,<br />

aus Rohrzuckerraffinerien. Es sind selbstverständlich die billigsten Abfälle, mit Salzen<br />

überladen. Sie stammen aus allen möglichen Quellen, aber alle sind so unnatürlich wie<br />

unsere menschlichen Nahrungsmittel. Die Milch, die von so ernährten Kühen geliefert<br />

wird, muß unnatürlich sein und ist es auch; das gefütterte Vieh ist ebenso ungesund<br />

wie die Menschen, die es dazu zwingen, solches Futter zu fressen und daraus Milch zu<br />

produzieren.<br />

Alle Ärzte wissen heute, daß die Vitamine der Milch vermindert werden oder —<br />

vor allem das Vitamin C — ganz verschwinden, wenn die Kühe Trockenfutter statt<br />

Frischfutter bekommen; man kann sich daher leicht vorstellen, was für einen Einfluß<br />

gar jenes entartete Futter, das unsere Milchkühe erhalten, auf die Marktmilch haben<br />

muß.<br />

Aber das ist noch nicht alles. Vielfach bleiben die Milchkühe Tag und Nacht<br />

angebunden in ihren oft ganz ungelüfteten Ställen, und oft läßt man den Kot sich<br />

anhäufen, bis der Gestank so arg wird, daß ein Mensch, der nicht daran gewöhnt ist,<br />

42


nicht mehr atmen zu können glaubt. Man bedenke doch: die Kühe sind von der Natur<br />

dazu bestimmt, frei zu weiden, reine Luft einzuatmen und sich von Nahrungsstoffen,<br />

wie sie Gott erschuf, zu ernähren. Nun werden sie an Ketten gelegt und zum Teil mit<br />

Abfällen gefüttert... Würde unser eigener Organismus seiner natürlichen Bestimmung<br />

gemäß arbeiten, wenn er so behandelt würde? Gewiß nicht; er täte es nicht, weil er es<br />

nicht tun könnte.<br />

Doch da ist mir unversehens ein Irrtum aus der Feder geflossen. Leben denn nicht<br />

auch wir Menschen in Häuser eingesperrt, abgeschlossen von Gottes herrlicher freier<br />

Luft? Ist nicht unsere Haut eingepackt in so und so viele unnatürliche Hüllen?<br />

Ernähren wir uns nicht großenteils von widernatürlicher Kost? Ja, freilich, und deshalb<br />

kann unser Organismus nicht funktionieren, wie Gott es haben möchte. Und der<br />

Organismus einer Kuh kann unter solchen Umständen eben auch nicht funktionieren,<br />

wie er sollte.<br />

Aber das ist immer noch nicht alles. Wenn die Kühe gemolken werden, so geschieht<br />

das meistens in dunstigen Ställen. Nach dem Melken scheidet man wohl auch die<br />

Milch, um hernach den Rahm und die entrahmte Milch wiederum in gewissen<br />

Proportionen von Milch und Butterfett zu hochwertiger Milch zu mischen, die eine<br />

vorgeschriebene Menge von Rahm enthalten muß. Dann wird die Milch zwanzig oder<br />

<strong>dr</strong>eißig Minuten lang auf 65 bis 70° C erwärmt, darauf rasch abgekühlt und bis zur<br />

Ablieferung an die Konsumenten kalt aufbewahrt.<br />

All dieses wird einem der empfindlichst organisierten Nahrungsstoffe angetan. Daß<br />

solche Manipulationen die lebenspendenden Eigentümlichkeiten dieses fein<br />

reagierenden Nährstoffes nicht beeinträchtigen, kann im Ernst niemand glauben.<br />

Riesige Mengen solcher Milch werden verdunstet, kondensiert, pulverisiert. Allein<br />

die Vereinigten Staaten produzieren jährlich anderthalb bis zwei Millionen Pfund<br />

konservierter Milch. Ich verurteile diese Milchkonservierungsverfahren nicht. Bei<br />

unserer heutigen sozialen Organisation mögen sie Vorteile bieten, vielleicht sogar<br />

notwendig sein. Aber wir sollen wissen, daß solche Nahrungsmittel entwertet sind, und<br />

uns dadurch anspornen lassen, etwas in dieser Richtung zu tun.<br />

Rahm. Ohne Zweifel leben diejenigen, die sich den Luxus von viel „gutem, dickem<br />

Rahm“ gestatten, bei im übrigen gleichen Lebensbedingungen nicht so lange wie die,<br />

welche gezwungen sind, Vollmilch zu nehmen. — Tiere und wildlebende Menschen<br />

kennen keinen einzigen abgetrennten Teilnahrungsstoff, wie es unter anderem der<br />

Rahm ist. Die Natur hat wohl den Rahm als einen Bestandteil der Milch selber<br />

geschaffen; das ganze Gemisch gehört aber zusammen, und alle wildlebenden<br />

Geschöpfe, die sich von Milch ernähren, konsumieren die ganze unveränderte Milch.<br />

Nur der Kulturmensch in seinem unaufhörlichen Bestreben, Gott und die Natur zu<br />

überbieten, ist auf den Gedanken gekommen, eine verfeinerte, konzentrierte Milch in<br />

Form von Rahm zu gebrauchen. Das soll freilich den Rahm als Nahrung nicht<br />

herabsetzen, wenn er durch genügend andere natürliche Kost ausgeglichen wird.<br />

Streng zu rügen ist aber jedenfalls die Gewohnheit, Rahm zu genießen.<br />

Buttermilch. In der Buttermilch fehlt ein sehr wichtiges Nahrungselement, das<br />

Butterfett; der natürliche Ausgleich ihrer Bestandteile ist daher verlorengegangen.<br />

Zwar hat die Milchsäure, welche die Buttermilch sauer werden läßt, einen hemmenden<br />

Einfluß auf die Entwicklung der Fäulnisbakterien in den Eingeweiden und ihre<br />

43


Giftproduktion. Dieser Vorteil wird aber durch die oft große Zeitspanne, die vergeht,<br />

bis die dem lebenden Tiere abgenommene und von seinem Lebenskreislauf getrennte<br />

Milch zu Butter wird, zunichte gemacht. Wenn man jedoch genug frische, süße Milch<br />

in ihrem natürlichen Zustand zu sich nimmt, ist es unwahrscheinlich, daß der Genuß<br />

von Buttermilch in vernünftigen Mengen großen Schaden anrichten kann. Es kann<br />

sogar sein, daß sie für gewisse Personen, nämlich für starke Konsumenten von „gut<br />

gelagertem Muskelfleisch“, sehr bekömmlich ist. Der Dickdarm solcher Menschen ist<br />

mit Fäulnisbakterien förmlich durchsetzt, und die Milchsäurebazillen, welche die<br />

Buttermilch sauer machen, sind die natürlichen Feinde dieser Fäulniserreger. Bloß<br />

dürfte Buttermilch nicht zu Fleischmahlzeiten genossen werden.<br />

Noch von einem andern Gesichtspunkte aus ist Buttermilch entwertete Nahrung und<br />

daher in gewissem Maße unbekömmlich, und zwar in bezug auf die Salzmenge, die sie<br />

enthält. Da schon kleine Zugaben von Salz in der Buttermilch auf den menschlichen<br />

Körper nachteilig wirken, um wie viel schlimmer sind dann die Fälle, in denen Leute,<br />

wie ich selber gesehen habe, halbe Teelöffelvoll Salz in die ohnehin salzige<br />

Buttermilch schütten — dies übrigens ein neuer Beweis dafür, daß Kulturmenschen<br />

leben, wie sie wollen, nicht wie sie sollen.<br />

Butter. Dieselben Bemerkungen, die ich bereits über den Rahm machte, gelten auch<br />

für die Butter. Sie kann in gewissem Sinne als natürliches Produkt betrachtet werden;<br />

dennoch ist sie eine sehr unnatürliche Nahrung. Natürlich ist sie in dem Sinne, daß sie<br />

nicht auf künstlichem Wege hergestellt wird, aber unnatürlich insofern, als die Natur<br />

sie nicht in der Form, in welcher wir sie genießen, liefert. — Kein wilddiebendes<br />

Wesen nimmt irgendein ähnlich einseitiges Nahrungsmittel zu sich. Nur die<br />

zivilisierten Menschen konnten auf den Gedanken der Lostrennung und selbständigen<br />

Verwertung dieses Bestandteiles eines der wichtigsten Nahrungsmittel verfallen.<br />

Käse. Dieselbe Unnatürlichkeit zeichnet auch Käse jeder Gattung aus. Käse ist<br />

keine natürliche Kost, denn er ist von den anderen Bestandteilen der natürlichen<br />

Vollmilch abgesondert worden. Es ist zwar nicht zu bestreiten, daß die<br />

körperaufbauenden Eigenschaften des Käses gut sind, aber ich habe schon mehrmals<br />

darauf hingewiesen, daß wir mehr als Körperaufbau brauchen; wir brauchen auch<br />

Widerstandsfähigkeit und Lebenskraft, und beide finden sich in den natürlichen<br />

Nahrungsstoffen nicht mehr. wenn unsere „Verbesserungskunst“ sich an ihnen<br />

versucht hat.<br />

Alle diese Milchprodukte, ich wiederhole es, lehne ich nicht ab; ich versuche nur<br />

aufzuzeigen, daß sie ihre Natürlichkeit verloren haben. Diese teilweise Entwertung<br />

sollte durch Konsumierung genügender Mengen von Nahrungsmitteln, welche die<br />

Mängel ausgleichen, aufgehoben werden.<br />

Zucker. Unter Zucker versteht man meistens das aus dein Saft des Zuckerrohrs oder<br />

der Zuckerrübe zubereitete Produkt, wie es im Handel vertrieben wird. In seinem<br />

braunen, unraffinierten, leicht feuchten Zustand ist dieser Zucker in gewissem Sinne<br />

ein natürliches Nahrungsmittel, das — mit aromatischen Eigenschaften ausgestattet —<br />

aus einem Saccharid- oder Süßstoff, Eiweißstoffen, gewissen Harzen, Gummi und<br />

Mineralsalzen besteht. In Wirklichkeit ist unser Zucker aber doch kein Naturprodukt!<br />

Natürlich ist nur der Saft, aus dem man ihn bereitet. doch wird dieser Saft bei der<br />

44


Zuckerfabrikation künstlich durch Hitze konzentriert, und dabei werden die<br />

natürlichen Verhältnisse zwischen den einzelnen Bestandteilen, aus denen er<br />

zusammengesetzt ist, zerstört. Ein ausgiebiger Gebrauch sogar des „natürlichen“<br />

braunen Zuckers wird daher ohne Zweifel das Gleichgewicht jeder denkbaren Diät<br />

beeinträchtigen.<br />

Aber in seinem „natürlichen“ braunen Zustand wird der Zucker heutzutage selten<br />

benützt. An seine Stelle ist fast überall der weiße, raffinierte Zucker getreten. In<br />

solchem Zucker ist tatsächlich von seiner Natur nichts übrig geblieben als der<br />

Süßstoff, das Saccharid. Nachdem der Zucker mittels Filterung durch gebrannten<br />

Knochenstaub oder Mehl gebleicht worden ist, behandelt man ihn mit Waschblau, um<br />

ein noch intensiveres Weiß zu erzielen, nicht unähnlich der Wäsche, die nach ihrer<br />

Reinigung auch „gebläut“ wird. In welcher Menge auch immer man diesen weißen<br />

Zucker verzehrt, und gleichgültig, welche Speisenauswahl dies betrifft, stets wirkt er<br />

gleichgewichtsstörend in der allgemeinen Zusammensetzung der körperaufbauenden<br />

Nährstoffe, denn weißer Zucker, das ist nicht schwer einzusehen, ist so weit entfernt<br />

von Natürlichkeit wie die Hölle vom Himmel.<br />

Rohrzucker, brauner oder weißer, ist chemisch betrachtet ein Polysaccharid. Dies<br />

bedeutet unter anderem, daß er nicht direkt ins Blut aufgenommen werden kann. Bevor<br />

er als Nahrung wirken kann, muß er durch die Säfte gewisser Zellen, die dem<br />

Verdauungskanal entlang angeordnet sind, in ein Monosaccharid verwandelt werden,<br />

eine einfachere Form von Zucker. Hierin liegt ein großer diätischer Nachteil. Wird<br />

Rohrzucker allein gegessen, so geht diese Umwandlung ohne Schwierigkeit vor sich.<br />

Aber ohne Zugabe verzehrter Rohrzucker hat die unangenehme Eigenschaft, die<br />

Schleimhäute des Magens zu stark zu reizen. Außerdem kann weißer Zucker niemals<br />

in irgendeinem Sinne auch nur als körperaufbauend angesehen werden, während<br />

brauner, roher Rohrzucker wenigstens einige körperbildende Stoffe in Form von<br />

mineralischen Salzen liefert; aber sogar brauner Zucker kann größtenteils nur<br />

Körperwärme produzieren, und weißer Zucker überhaupt nichts anderes.<br />

Trotz alledem stehen wir der rätselhaften Tatsache gegenüber, daß an recht heißen<br />

Sommertagen die Leute gesüßte Getränke in großen Mengen hinunterstürzen und<br />

süße, kalte Cremes und Gefrorenes verschlucken, in der Einbildung, sich abzukühlen,<br />

obwohl es erwiesen ist, daß jeder Schluck dem Körper zusätzliche Warme zuführt.<br />

Weißer Zucker versieht den Körper mit einer unglaublichen Menge von<br />

Körperwärme. Erhält der Körper aber zuviel dieser Wärme, was sehr leicht<br />

vorkommen kann, so werden zu große Anforderungen an den die Körperwärme<br />

regelnden Mechanismus gestellt, denn der Körper ist weder anatomisch noch<br />

physiologisch darauf eingerichtet, so konzentrierte Wärmezufuhr auszunützen. Es<br />

leuchtet daher ohne weiteres ein, daß es für den menschlichen Organismus<br />

physiologisch unmöglich ist, von solcher Nahrung ausgiebigen Gebrauch zu machen,<br />

ohne die Organe zu überanstrengen. Anderseits wird der Zucker, in größeren Mengen<br />

mit anderen Speisen zusammen genossen, nur langsam aufgenommen, und während<br />

dieses Vorgangs kann, besonders in einem langsam arbeitenden Magen, eine Gärung<br />

stattfinden, durch welche Kohlendioxyd (C02) und andere Säuren erzeugt werden,<br />

unter Umständen auch etwas Alkohol.<br />

In Anbetracht der Menge anderer Wärme zuführender Nahrungsmittel, der Fette<br />

und der Stärken, die man zu gleicher Zeit zu sich nimmt, sollte selbstverständlich die<br />

Zuckerration zuweilen noch doppelt vorsichtig bemessen werden.<br />

45


Eine Gefahr des Zuckers liegt auch in seiner unnatürlichen Konzentration. Die<br />

Natur erzeugt den Zucker im Zuckerrohr und in der Zuckerrübe, die ihn in mehr oder<br />

weniger starker Verdünnung enthalten. Tiere fressen diese Futtermittel in ihrem<br />

ganzen, unbeeinträchtigten Zustande, und dies bekommt ihnen sehr gut dank der in<br />

diesem Zuckergehalt vorhandenen Kohlehy<strong>dr</strong>ate und der damit verbundenen Harze,<br />

Gummistoffe, Salze usw. Plantagenarbeiter sollen sehr zum Vorteil ihrer Gesundheit<br />

das rohe Zuckerrohr kauen; Arbeitstiere fressen es und gewinnen daraus die genannten<br />

Nahrungsqualitäten in den von der Natur gewählten Verhältnissen und in<br />

vollkommener Zusammenstellung. Es ist ja auch nicht anders zu erwarten, als daß der<br />

Genuß natürlicher Nahrungsmittel letzten Endes alle Bedürfnisse besser befriedigt als<br />

der beste Ersatz. Man gebe der Natur die Möglichkeit freier Verfügung, und sie wird<br />

stets (scheinbar) Wunder wirken. Das Unnatürliche dagegen verwüstet die<br />

Einrichtungen des menschlichen Körpers; und der Teufel der Unnatürlichkeit ist von<br />

der Zivilisation zum Götzen erhoben worden, der ihr Verderben bringt. Primitive<br />

Menschen und wilde Tiere wissen nichts von Zuckerkrankheit; sie kennen allerdings<br />

auch den raffinierten Zucker nicht.<br />

David Livingstone, so wird berichtet, fristete sein Leben in Afrika lange Zeit<br />

hindurch mit einer täglichen Ration von wenigen Stücken Zuckerrohr. Er erfreute sich<br />

Jahr für Jahr bester Gesundheit, wohingegen keiner seiner weißen Begleiter das Klima<br />

der äquatorischen Urwälder länger als ein Jahr aushalten konnte, weil sie mit der<br />

komplizierten Kost, deren sie zu bedürfen glaubten, nicht zweckmäßig ernährt waren.<br />

Weißer Zucker ist nun zwar der konzentrierteste Nahrungsstoff, den wir besitzen. In<br />

Nordamerika aber verbraucht jeder Mann, jede Frau, jedes Kind durchschnittlich<br />

hundert Pfund im Jahr, und das ist zuviel. Außerdem konsumieren die Amerikaner<br />

noch riesige Mengen der nächstkonzentrierten Nährstoffe, des weißen Mehls und der<br />

verfeinerten Getreidespeisen, die ebenfalls bedeutende Wärme erzeugende Wirkungen<br />

ausüben. Dazu werden noch große Quantitäten entwerteter, geschälter und<br />

entwässerter, gesalzener und zerstoßener oder zu Brei gerührter und gebackener<br />

Kartoffeln gegessen, gleich große Mengen konzentrierter Tafelsirupe, verfeinerte<br />

Erzeugnisse der Zuckerraffinerien geschluckt, Konfitüren, Marmeladen, Fruchtgelees,<br />

alle mit weißem Zucker hergestellt, verzehrt. Deshalb ist Nordamerika mit seiner<br />

Anzahl von Zuckerkranken führend in der Welt.<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der Gebrauch von Zucker in seinem<br />

raffinierten Zustande für uns überhaupt bloß möglich ist, weil die gute Natur ihre<br />

Gaben uns Sterblichen freigebig austeilt und uns einen Überschuß an Lebenskraft über<br />

unsere täglichen Bedürfnisse hinaus zugesprochen hat, der uns befähigt, eine Zeitlang<br />

bedeutende Anstrengungen der Organe und der Zellen auszuhalten. Aber niemand<br />

kann wissen, wie lange es dauert, bis dieser Überschuß beim einzelnen erschöpft ist.<br />

Ahornzucker ist auch Rohrzucker und, solange er nicht raffiniert wird, ein<br />

natürliches Produkt. Aber in unserer zivilisierten Welt findet er zu selten Verwendung,<br />

um irgendeinen wirklichen Einfluß zu haben. Und in den jüngsten Jahren hat sich die<br />

Verfeinerungsleidenschaft auch auf ihn ausgedehnt, obwohl bis jetzt noch nicht sein<br />

ganzer Ahorncharakter aus ihm herausraffiniert werden konnte.<br />

Zuckersirup (Melasse). Das ist die nicht kristallisierbare „Mutterflüssigkeit“, die aus<br />

dem kristallisierten braunen Zucker während der Zuckerbereitung aus Zuckerrohr<br />

abgezogen wird. In früheren Zeiten des Plantagenzuckers und sogar in den Anfängen<br />

46


des Raffinierens hatten die Melassen jede Eigenschaft des Rohrsaftes, weil bloß ein<br />

Teil der Süßstoffe als Zucker aus ihnen entfernt worden war. Aber die Melassen aus<br />

modernen Raffinerien sind etwas ganz anderes. Sozusagen alle Saccharose ist entfernt,<br />

und eine sehr stark schmeckende Flüssigkeit bleibt zurück, die im allgemeinen als zu<br />

reich an Salzen angesehen werden muß. Während weißer Zucker an Mineralsalzen arm<br />

ist, ja nahezu keine enthält, entdecken wir bei den Melassen den entgegengesetzten<br />

Fehler, weil die besonderen Salze, welche die Natur dem Zucker beigibt und die in<br />

ihm verbleiben sollten, fast gänzlich in die Melasse übergehen. So sind die Melassen<br />

ebensoweit von der natürlichen Beschaffenheit des Zuckers entfernt wie der Zucker<br />

selber, nur in entgegengesetztem Sinne.<br />

Kornsirup (Glukose). In der Theorie wird der Kornsirup für eine zuträgliche<br />

Nahrung gehalten, und wenn er chemisch rein wäre, sollte er so leicht verdaulich sein<br />

wie reiner Honig, denn auch Glukose ist ein Monosaccharid und kann direkt, das heißt,<br />

ohne Umsetzung, verdaut werden. Überdies ist Glukose gerade die Form, auf welche<br />

Zucker oder Kohlehy<strong>dr</strong>ate aller Gattungen durch die Zellentätigkeit des Körpers<br />

zurückgeführt werden, bevor der Blutkreislauf sie aufnimmt. Reine Glukose würde<br />

daher eine große Energieersparnis für den Körper bedeuten, weil kein Kraftaufwand<br />

mehr benötigt wird, um sie für die Aufnahme und die endliche Oxydierung in den<br />

Geweben zwecks Freimachung von Körperenergie und Wärme vorzubereiten.<br />

Allerdings müßte die Glukose in kleinen Mengen gebraucht werden, damit Übermaß<br />

vermieden wird.<br />

In der Praxis läßt sich gegen Kornsirup einwenden, daß er ebenso konzentriert und<br />

dadurch ebenso naturfremd ist wie weißer Zucker, ebenso arm an mineralischen<br />

Salzen, Gummi, Harzen, aromatischen Eigenschaften, Zellulose und Vitaminen. Auch<br />

ist er selten chemisch rein, denn durch die Chemikalien, die bei seiner Erzeugung<br />

verwendet werden, wird er leicht verdorben, und der Konsument hat keine<br />

Möglichkeit zu erkennen, ob die Ware rein ist oder nicht.<br />

In der Wahl zwischen unverdorbenem Kornsirup und raffiniertem weißem Zucker<br />

zu gleichen Teilen müßte der Vorzug jedoch immerhin dem Kornsirup gegeben<br />

werden, da er die Gefahr der Gärung während des Verdauungsprozesses. nicht in sich<br />

trägt. Er muß sich diesem Prozesse ja gar nicht unterziehen; wie er ist, kann er sofort<br />

absorbiert werden. Glukose in reinem Zustand mag sogar von vielen als gutes<br />

Nahrungsmittel angesehen werden; doch wer der Natur folgen will, wird sich seine<br />

eigene Meinung darüber bilden, die mit derjenigen der Glukosefabrikanten nicht ganz<br />

übereinstimmen kann.<br />

Konservierte Früchte. Alle Arten süß eingemachter Früchte sind in weißem Zucker<br />

konserviert. Sogar in natürlichem braunem Zucker eingemacht, wären sie weit entfernt<br />

von einem natürlichen Nahrungsmittel; aber der unausgeglichene weiße Zucker<br />

verdirbt sie vollständig.<br />

In Rohrzucker eingemachte Früchte erzeugen fast immer Gärung, es sei denn, sie<br />

werden nur in bescheidenen Mengen genossen. Für die meisten Leute sind sie schwer<br />

verdaulich. In viel Zucker eingemachtes Obst ist immer schädlich.<br />

In Essigsaucen eingemachte Früchte sind überhaupt keine Früchte mehr und<br />

besitzen auch keinen der den Früchten eigenen Nährwert. Über ihre Unnatürlichkeit<br />

kann daher kein Zweifel herrschen.<br />

47


Dagegen stehen Früchte, welche durch Dörren, das heißt Wasserentziehung,<br />

konserviert wurden, frischen Früchten näher im Wert, wenn das Dörren in der<br />

richtigen Art und Weise stattgefunden hat. In gedörrten Früchten ist nicht bloß eine<br />

Überfülle an Mineralsalzen vorhanden, sondern auch ein großer Reichtum an Energie<br />

in dem überaus reichhaltigen Fruchtzuckervorrat. Dieser Fruchtzucker ist ein<br />

Monosaccharid und wird ohne Umsetzung durch die Säfte des Verdauungskanals<br />

verarbeitet. Er wird unmittelbar absorbiert und dient daher dem Körper sofort als<br />

Quelle von Lebensenergie, ohne die Körperkräfte zur Vorbereitung der Oxydation in<br />

Anspruch zu nehmen, ein Vorgang, durch den in vielen Fällen potentielle Energie erst<br />

in verfügbare verwandelt werden muß.<br />

Früchte haben auch, ob in gedörrtem oder in frischem Zustand genossen,<br />

darmregulierende Wirkung und verhindern auf diese Weise die Bildung von Fäulnis<br />

und Verwesung im Verdauungskanal.<br />

Getrocknete Früchte kommen gleich nach den rohen Früchten. Die besten<br />

getrockneten Früchte sind die an der Sonne gedörrten, denn sie erhalten durch die<br />

Aufnahme gewisser Energieschwingungen der Sonnenstrahlen den Impuls zur<br />

Belebung. Jedoch auch die in Dörranlagen getrockneten Früchte haben<br />

ausgesprochenen Nährwert; ihnen ist bloß das Wasser entzogen worden, und wenn<br />

natürliches rohes Obst nicht zu haben ist, können sie ausgezeichnete Dienste leisten.<br />

Werden aber die Früchte während der Trocknung geschwefelt oder mit andern<br />

Chemikalien behandelt, was so oft geschieht, damit sie ihre Farbe beibehalten, so<br />

verändern sie sich selbstverständlich zu ganz unnatürlicher Nahrung.<br />

In Büchsen oder Flaschen mit wenig oder keinem Zucker eingemachtes Obst ist viel<br />

wertvoller als solches, das zu Marmelade, Gelee, Fruchtsaft usw. in stark zuckerigen<br />

Lösungen verarbeitet wurde. Derartiges Obst büßt zwar durch das Schälen und das<br />

Erhitzen einen Teil seines Vollwertes ein, aber es wäre unwahr, zu behaupten, daß in<br />

der richtigen Weise eingemachte Früchte in irgendeiner Beziehung schädlich seien.<br />

Der Genuß wirkt weniger gesundheitsfördernd als der Genuß der natürlichen Früchte;<br />

aber sie sind sehr viel wertvollere Kost als süß konserviertes Obst in allen Formen.<br />

Vor allem haben sie nicht den Nachteil der Verbindung mit einer Menge Rohrzucker.<br />

Wenn nun aber auch solche Früchte in Zeiten, wo natürliches Obst nicht zu haben<br />

ist, an dessen Stelle treten können, darf man doch nie vergessen, daß sie in<br />

Wirklichkeit kein vollwertiger Ersatz für natürliches Obst sind. Diese Feststellung gilt<br />

für alle Nahrungsmittel, die in irgendeiner Weise behandelt werden.<br />

Eingemachtes Gemüse. Beim Einmachen von Gemüsen wird meist die Einwirkung<br />

von Hitze zu Hilfe genommen. Der größte Nachteil solcher Methoden ist, daß dabei<br />

die Vitamine leicht zerstört werden. Freilich besteht noch ein anderer Nachteil. Je<br />

rascher nämlich eine Speise verzehrt wird, nachdem sie gekocht worden ist, desto<br />

gesünder ist ihre Wirkung; denn die Speisen verlieren nach dem Kochen ihre<br />

Lebenskraft spendende Wirkung bald. Alle Nahrungsmittel, die lange aufbewahrt<br />

werden, büßen, auch wenn sie nicht gekocht worden sind, an Kraftwirkung ein. Altes<br />

Obst und Gemüse, altes Fleisch und alte Eier sind weniger wertvolle Nahrung als die<br />

gleichen Lebensmittel im frischen Zustand. Ich will damit nicht sagen, daß sie die<br />

Fähigkeit, Knochen und Gewebe aufzubauen, verlieren; aber sie haben keine Kraft<br />

mehr, den Körper zu beleben, ihn mit Widerstandskraft auszustatten. Büchsengemüse<br />

erscheinen zwar äußerlich noch als natürliche Nahrungsmittel, enthalten aber dennoch<br />

48


keine Naturkraft mehr. Die unnatürlichste Art der Gemüsekonservierung ist das<br />

Einpökeln. Wie die Essigfrüchte keine Früchte mehr sind, so kann auch das<br />

eingepökelte Gemüse nicht als wirkliches Gemüse angesehen werden, weil es im<br />

Körper nicht mehr als Gemüse wirkt. Beim Einpökeln tritt ja noch ein anderer<br />

Bestandteil zur Kochhitze hinzu: der Essig, durch den die Verdaulichkeit und der<br />

Nährwert schwer beeinträchtigt werden.<br />

Frisches Gemüse. Dies wäre ein lohnendes Thema für ein ganzes Buch. Viele<br />

Kapitel könnte ich füllen mit der Beschreibung der Verfahren, durch welche die<br />

zivilisierte Menschheit dieses wertvollste aller Nahrungsmittel verdirbt. Leider kann<br />

ich nur allgemein auf diese Verkehrtheiten hinweisen. Ich hoffe jedoch, daß es mir<br />

gelingt, den Leser davon zu überzeugen, wie außerordentlich wichtig es ist,<br />

aufzuwachen und sich abzuwenden von den falschen Auffassungen und Methoden<br />

einer unwissenden Vergangenheit.<br />

Die Gemüse sind ganz bedeutende Energiespender, eine natürliche Quelle kräftiger<br />

Belebung des menschlichen Körpers. Besonders vorteilhaft ist, daß sie auch beim<br />

Lagern verhältnismäßig lange ihre lebenspendende Kraft beibehalten. Und doch<br />

bezieht der Kulturmensch nur geringe Lebensimpulse aus dieser großen natürlichen<br />

Quelle. Warum? Weil man die Gemüse bei der Zubereitung verdirbt.<br />

Es ist eine Tatsache, daß die meisten in unseren Küchen zubereiteten Gemüse zu<br />

stark gekocht — und gewöhnlich verkocht werden. „Gute Köche“ und „gute<br />

Köchinnen“ sind meistens überzeugt, daß Gemüse gekocht werden müssen, bis sie<br />

weich sind, und bei blättrigen Gemüsen bedeutet dies das Stadium, wo sie beinahe ihre<br />

ganze ursprüngliche Farbe verloren haben. Kluge Leute würden diese Dummheit nicht<br />

begehen, wenn sie wüßten, daß die Gemüse desto lebensärmer werden, je länger man<br />

sie kocht. Auch würde sie niemand so weich gekocht verzehren, wenn es allgemeiner<br />

bekannt wäre, wie wertvoll für die Verdauung und die Erhaltung der Zähne das Kauen<br />

der weniger durchgekochten oder rohen Gemüse ist. Und davon abgesehen: wie sehr,<br />

wie vollständig zerstört so langes Kochen den feinen Geschmack und das zarte, den<br />

Gemüsen eigene Aroma! So entwertend und daher töricht das allgemein übliche lange<br />

Kochen der Gemüse aber auch ist, es stellt doch erst die letzte der Maßnahmen zur<br />

Nahrungsentwertung dar, deren sich „gute Köche“ schuldig machen.<br />

„Gute Köche“ waschen zuerst das Gemüse sehr gründlich. Das geschieht auch ganz<br />

zu Recht, vorausgesetzt, daß es bei einem bloßen Abwaschen bleibt. Aber oft läßt man<br />

die Gemüse lange Zeit im Wasser liegen und wäscht sie dann noch gründlich durch.<br />

Ich habe bereits erläutert, welchen Wert die mineralischen Salze für die Übertragung<br />

der Lebenskraft auf den menschlichen Körper und daher für dessen Gesundheit haben.<br />

Wenn man nun die Gemüse in der oben beschriebenen Art einweicht, so wird ein<br />

beträchtlicher Teil der wertvollsten Mineralsalze herausgeschwemmt, und ebenso ein<br />

Teil des zarten Aromas, das an diese Salze gebunden ist.<br />

Der „gute Koch“ geht aber noch weiter. Er — oder sie — gießt das Wasser, in dem<br />

das Gemüse gekocht worden ist, unfehlbar in den Schüttstein. Die „allerbesten Köche“<br />

tun sogar noch mehr: Sie kochen die Gemüse zweimal in Wasser und gießen nach<br />

jedem Kochen das Wasser sorgfältig ab. Und die „wirklich Sachverständigen“ fügen<br />

dem Kochwasser stets ein wenig Salz und eine Messerspitze Soda bei.<br />

Wie viele mineralische Salze, Vitamine und andere energiespendende Stoffe<br />

enthalten die Gemüse nach all diesen Prozeduren der „Fachleute“ noch? Ich will es<br />

49


glatt heraussagen, für den Fall, daß jemand die Antwort nicht selber finden sollte:<br />

keine. Der Leser könnte seine Familie ebensogut mit Sägemehl füttern.<br />

Eine weitere schlechte Angewohnheit der „guten Köche“ besteht darin, fettes<br />

Fleisch mit gewissen Gemüsen wie Kohl, Rosenkohl usw. zusammen zu kochen. Auch<br />

den Brauch, die Wurzelgemüse wie Rüben, Karotten, Runkelrüben und andere dick zu<br />

schälen, darf ich nicht verschweigen. Das ist zwar schlechte Praktik; sie kann aber<br />

hingehen, wenn die Gemüse nicht allzu „gut“ durchgekocht werden; denn im<br />

Gegensatz zu den Körnerfrüchten sind Salze und Zellulose in den Wurzelgemüsen in<br />

der Regel gleichmäßig durch die ganze Substanz der Wurzel verteilt, abgesehen von<br />

wenigen Ausnahmen, zu denen die Kartoffel gehört.<br />

Wie sollen denn aber Gemüse gekocht werden? Ich antworte, daß die meisten aus<br />

den schon angegebenen Gründen überhaupt nicht gekocht werden sollten. Das Kochen<br />

zerstört ihre lebenspendenden Kräfte, wenn auch nicht immer die körperaufbauenden<br />

Eigenschaften. Gekochte Gemüse sind tote Gemüse. Ungekochte Gemüse sind<br />

Energieträger und Lebenspender, bis sie in Zersetzung übergehen. Diese<br />

lebenspendende Beschaffenheit wird man begreifen können, wenn man bedenkt, wie<br />

lange Zeit ungekochtes Gemüse sich „hält“, wie rasch dagegen gekochtes verdirbt. Die<br />

Bakterien der Zersetzung können die lebende Gemüsepflanze nur schwer angreifen;<br />

die gekochte jedoch, aus der das Leben mit seiner Kraft entflohen ist, bietet dem<br />

Angriff der Gärungs- und Fäulnismikroben freies Feld. Bauen wir unseren Körper aus<br />

diesen entwerteten, vitaminarmen und naturwi<strong>dr</strong>igen Nahrungsmitteln auf, aus<br />

gekochten Gemüsen, denen die Minerale, die Salze und die Lebenskräfte entzogen<br />

wurden, die von Soda durchtränkt und von Hitze zerstört sind, so bedeutet das<br />

geradezu eine Einladung an die Bakterien, uns zu überfallen.<br />

Leider wird wohl ein Menschenalter vergehen, bevor diese Wahrheiten über<br />

Lebenskraft spendende Nahrung in den Köpfen der Kulturmenschen Eingang zu<br />

finden beginnen. Bis dahin werden die meisten von uns gekochtes, totes Gemüse<br />

essen. Welch trostreiche und erfreuliche Aussicht!<br />

Wenn das Gemüse aber schon gekocht sein muß, so sollte es wenigstens richtig<br />

gekocht werden — sofern man überhaupt bei einer verkehrten Handlung von einer<br />

richtigen Art der Ausführung sprechen kann. Es gibt freilich Gemüse, welche gekocht<br />

werden müssen — aber auch sie dürfen niemals stark gekocht werden. Die richtige Art<br />

des Kochens für alle Gemüse ist Backen oder Dünsten. Weder Butter noch Fett noch<br />

Salz noch Würze dürfen während des Kochens hinzugefügt werden.<br />

Kartoffeln. Der Kartoffel müssen wir als Hauptnährstoff nach den Körnerfrüchten<br />

einen besonderen Abschnitt einräumen. Die Kartoffel besteht zum großen Teil aus<br />

Stärke. Ihre durchschnittliche Zusammensetzung ist folgende: 2½ % Eiweißstoffe,<br />

½ % Mineralstoffe, 20% Kohlehy<strong>dr</strong>ate (hauptsächlich Stärke) und 76 % Wasser. Aus<br />

dieser ungefähren Analyse geht hervor, daß die Kartoffel eine ungewöhnlich große<br />

Menge Mineralstoffe enthält. Das allein schon ist von außerordentlicher Bedeutung;<br />

besonders wichtig ist jedoch, daß diese Mineralstoffe in der Hauptsache aus Natrium,<br />

Kalium, Kalzium und Eisen bestehen, alles Alkalien oder Basen, und zwar —<br />

abgesehen vom Kalzium — die für die Erhaltung unserer Gesundheit wichtigsten<br />

Basen. Deshalb ist die Kartoffel das einzige stärkereiche, von den zivilisierten Völkern<br />

benützte Nahrungsmittel, welches dem Blut und den Geweben einen Überschuß an<br />

basischen Mineralstoffen gegenüber den Säuremineralien liefert. Sie hat für ein so<br />

50


stärkereiches Nahrungsmittel eine ungewöhnlich gute chemische Beziehung zum Blut<br />

und ist eine erstklassige Energiequelle. Sie ist auch eine der verhältnismäßig seltenen<br />

Quellen für das Vitamin C, jenen wichtigen Wirkstoff, der Skorbut verhütet.<br />

Kartoffeln enthalten zum mindesten zwei Drittel mehr Eisen — Pfund gegen Pfund<br />

gewogen — als die teuerste Sorte Rosinen, und Rosinen werden ja ihres Eisengehalts<br />

wegen allgemein geschätzt. Stellt man auch noch die Preise einander gegenüber, so<br />

müssen Kartoffeln als die weitaus billigste Quelle für das vom menschlichen Körper<br />

benötigte Eisen gelten. Ihr Eiweißgehalt ist zwar relativ gering, jedoch von höchster<br />

Qualität.<br />

Alle diese wertvollen Eigenschaften können sich aber nur entfalten, wenn die<br />

Kartoffel richtig zubereitet wird, das heißt, wenn man ihre natürlichen Säfte<br />

zusammenhält, um sie mitverzehren zu können. Das ist bloß dann der Fall, wenn man<br />

die Kartoffeln in ihrer Schale röstet, brät oder kocht. Niemals dürfen sie wiederholt<br />

aufgewärmt werden. Außerdem geht aus allem, was schon bei den anderen<br />

Nahrungsmitteln gesagt worden ist, klar hervor, daß die Kartoffel ihre belebende und<br />

energiespendende Wirkung um so besser ausüben kann, je weniger sie über den<br />

frühesten Zustand der Schmackhaftigkeit hinaus gekocht wird.<br />

Was aber machen unsere Köche und Köchinnen aus diesem wertvollen Nährmittel?<br />

Fast immer werden die Kartoffeln geschält, und dann läßt man sie meist längere Zeit,<br />

manchmal einen halben Tag lang, in Wasser liegen, gießt es aber ab, bevor die<br />

Kartoffeln aufs Feuer kommen. So gehen die wertvollen Mineralsalze verloren, denn<br />

sie lösen sich im Wasser auf und werden mit ihm fortgegossen. Schließlich kocht man<br />

die Kartoffeln in Salzwasser, bis sie „mehlig“ sind, und gießt dann auch das<br />

Kochwasser ab. Was geht mit dem Wasser verloren? Nur Wasser? 0 nein: die<br />

Gesundheit läuft sprudelnd und gurgelnd in Form von Vitamin C, Kalzium, Natrium,<br />

Eisen, etwas Chlor, Phosphor, Magnesium, Schwefel und anderem mehr durchs<br />

Schüttsteinloch hinunter.<br />

Auf diese Weise gekochte Kartoffeln befinden sich schon in einem denkbar<br />

unnatürlichen Zustand. Nun werden sie aber oft noch in heißem Fett gebraten und mit<br />

Pfeffer und Salz schmackhaft gemacht, manchmal auch mit Butter vermischt und zu<br />

Brei gestoßen. Häufig schneidet man sie auch in Scheiben und Stäbchen und bäckt sie<br />

im kochenden Fett als pommes frites, Nie wird ein guter Koch auf die Idee kommen,<br />

sie einfach in der Schale zu kochen oder zu backen, denn das wäre viel zu simpel. Was<br />

ein Beweis mehr für meine Behauptung ist, daß die zivilisierte Welt den richtigen Weg<br />

verlassen hat, um möglichst unnatürlich zu leben. Selbstverständlich wäre diese<br />

Tatsache von geringer Bedeutung, wenn unnatürlich leben (das heißt den<br />

Naturgesetzen zuwider leben) keine bösen Folgen hätte. Aber gibt es denn irgendeine<br />

noch so kleine, gegen die Absichten der Natur ausgeführte Handlung, die ohne<br />

schädliche Folgen bleibt? Wer kann auch nur ein einziges solches Beispiel nennen?<br />

Die Frage beantwortet sich schon, indem man sie stellt, und kein vernünftiger Mensch<br />

wird sie überhaupt ernstlich stellen.<br />

Honig. Was braucht der Mensch künstlichen, raffinierten, konzentrierten Zucker,<br />

um sein Bedürfnis nach Süßigkeit zu befriedigen, wo wir doch im Honig einen<br />

durchaus natürlichen Süßstoff besitzen? Der Honig war seit den grauen Anfängen der<br />

uns bekannten Menschheitsgeschichte und wahrscheinlich schon unendliche Zeiten<br />

vorher der einzige Süßstoff; unsere Zuckergewohnheit ist erst 7 bis 12 Jahrzehnte alt.<br />

51


Seither genügt uns der Honig, dieser köstlichste aller Süßstoffe, dieses edle Erzeugnis<br />

der Natur, nicht mehr; in lächerlicher Gier verlangen wir nach unnatürlichem Sirup,<br />

nach naturwi<strong>dr</strong>igen Zuckersäften und gezuckerten Speisen. Die Insekten sind klüger<br />

als wir.<br />

Honig ist reich an Zuckereigenschaften, sehr reich (ungefähr 25 %) an<br />

Mineralsalzen, reich an Gummistoffen, Harzen und aromatischen Eigenschaften. Er ist<br />

ein natürliches Monosaccharid. Kaum im Magen aufgenommen, ist er bereit,<br />

augenblicklich ins Blut überzugehen, ohne daß die Verdauungssäfte dabei chemische<br />

Umsetzungsarbeit zu leisten hätten. Er reizt die Schleimhäute eines normalen Magens<br />

nicht. Er wirkt leicht abführend. Er neigt nicht zur Gärung und auch nicht dazu,<br />

Gärung in anderen Nahrungsmitteln hervorzurufen, wie es der weiße Zucker tut.<br />

Freilich ist der Honig so wohlschmeckend, daß man leicht in Versuchung gerät, zuviel<br />

davon zu verzehren.<br />

Süße Früchte. Eine weitere ausgiebige und köstliche Quelle von Süßstoffen zur<br />

Befriedigung des Bedürfnisses nach Zuckernahrung (dessen allgemeines<br />

Vorhandensein physiologisch begründet sein muß) bieten die von Natur süßen<br />

Früchte, die Datteln, Feigen, Rosinen usw., die alle viel natürlichen Zucker enthalten,<br />

ein Monosaccharid, das keiner Verdauung noch Umsetzung bedarf. Diese Früchte<br />

nähren den Körper, wie sie ihn auch kräftigen, und ihr Genuß trägt dazu bei, der<br />

Fäulnis anderer Speisen im Darme vorzubeugen; zu gleicher Zeit helfen sie den Darm<br />

entleeren.<br />

Frisches Obst. Frisches Obst ist von allen Nahrungsmitteln, die wir kennen, der<br />

beste Basenbildner für Blut und Körperl-gewebe, gerade wie der raffinierte Zucker<br />

unter allen menschlichen Nahrungsstoffen zu den größten Säurebildnern gehört.<br />

Frische Früchte sind auch eine der besten Quellen des sehr unbeständigen Vitamins C,<br />

das dem Skorbut und einer ganzen Reihe von ähnlichen, aber weniger leicht<br />

erkennbaren Beschwerden — wahrscheinlich frühen und langsam fortschreitenden<br />

Formen des Skorbuts — entgegenwirkt.<br />

Wenn wir uns überessen oder zwischen den Mahlzeiten essen, wenn wir ausgiebig<br />

Fleisch, Eier, Käse, Fisch und andere stark eiweißhaltige Kost zu uns nehmen,<br />

vermehren sich die Fäulnisbakterien unter dem im Verdauungskanal enthaltenen<br />

Nahrungsabfall außerordentlich rasch. Die von diesen Bakterien erzeugten<br />

Zersetzungsprodukte werden vom Blute übernommen und bilden die wichtigste<br />

Ursache für die Erscheinungen der Selbstvergiftung. Frische Früchte aber haben die<br />

Kraft, die Fäulnisbakterien abzutöten und auf diese Weise die Selbstvergiftung zu<br />

verhüten. Frische säuerliche Früchte besitzen diese Kraft in höherem Grade als süße<br />

oder als getrocknete, die sie jedoch auch in einem gewissen Maße aufweisen. Jeder<br />

Fleischesser sollte sich daher zum mindesten für einen Tag wöchentlich — besser<br />

noch mehrere Tage hintereinander — auf reine Obstdiät setzen, um das Einnisten von<br />

Krankheiten hinauszuschieben.<br />

Aber welcher zivilisierte Mensch, außer etwa einem verschrobenen Sonderling,<br />

wird Obst in einer anderen Gestalt als den säurebildenden Konserven zur<br />

menschlichen Nahrung rechnen? Und doch muß ein Mensch, der lernen will, nie mehr<br />

krank zu sein, gerade das Gegenteil einsehen. Früchte können zarte Gaumenfreuden<br />

bereiten, aber das ist nicht ihre Bestimmung im Plane der Natur. Sie sollen nicht erst<br />

52


am Ende einer Mahlzeit genossen werden und den bereits überfüllten Magen noch<br />

weiter füllen, und man soll sie eigentlich auch nicht zwischen den Mahlzeiten essen.<br />

Die frischen Früchte gehören zu unseren wichtigsten und besten Nahrungsmitteln und<br />

müssen als wesentlicher Teil mancher ganzen Mahlzeit verwendet werden, eigentlich<br />

als ihr Hauptbestandteil. Wird aber je zwischen den Mahlzeiten gegessen, so sollen es<br />

doch Früchte sein; nur sollte man sie nicht eine Stunde vor oder zwei Stunden nach<br />

einem Mahl verzehren, besonders nicht, wenn die Mahlzeit stärkehaltig war.<br />

Nüsse, Mandeln usw. Wer würde diese Früchte je als normalen Bestandteil einer<br />

Mahlzeit ansehen? 0 ja, gelegentlich als Nachtisch, wenn der Magen schon bis zur<br />

Sättigung gefüllt ist. Aber selbst dann werden sie nicht als Nährmittel angesehen; sie<br />

gelten höchstens als netter kleiner Abschluß einer Mahlzeit. Und doch gehören sie zu<br />

den vollkommensten Nahrungsstoffen der Natur. Warum verweigert der zivilisierte<br />

Mensch ihnen dann den Platz, der ihnen unter den körperaufbauenden Stoffen<br />

zukommt? Warum weist er ihnen eine körperzerstörende Rolle zu, indem er sie nach<br />

allem übrigen Essen in den Magen stopft, wenn wenig Aussicht mehr besteht, daß sie<br />

überhaupt noch verdaut werden können?<br />

5. KAPITEL<br />

Falsche Ernährungsgewohnheiten<br />

Man könnte die Zivilisation freilich beglückwünschen, wenn die künstliche<br />

Zubereitung der natürlichen Nahrungsmittel die einzige Übertretung der<br />

Ernährungsgesetze bilden würde. Aber zu dieser Unnatürlichkeit gesellen sich<br />

betrüblicherweise noch andere ungemein törichte Gewohnheiten, die an sich schon<br />

genügen, den menschlichen Körper schwer zu schädigen. Es ist zwar unmöglich, alle<br />

diese Unsitten im einzelnen zu betrachten; aber ich kann es mir nicht versagen,<br />

wenigstens einige davon, die auffallendsten, kurz zu besprechen.<br />

Da ist unter anderem das Würzen der Speisen! Sind Würzen zuträgliche<br />

Nahrungsbestandteile? Sie haben mit Nahrung überhaupt nichts zu tun. Und ist es dem<br />

Menschen natürlich, seine Speisen zu würzen? Gib einem kleinen Kind oder sogar<br />

einem gesund entwickelten, größeren Kinde irgendeine Würze zu kosten und<br />

53


eobachte, wie es sich dann verhält. Mehr noch: gib einem einfach lebenden<br />

Menschen, dessen Begriffe über die Ernährung nicht verfälscht worden sind von dem<br />

Bedürfnis, die Geschenke der Natur fortwährend aus eigener Machtvollkommenheit zu<br />

„verbessern“, irgendeine pikante Speisebeilage und beobachte sein Verhalten. Nach<br />

einigen solchen Versuchen wird niemand mehr behaupten wollen, daß gewürzte<br />

Speisen natürlich sind. Sie befriedigen kein natürliches physiologisches Bedürfnis.<br />

Der Wunsch nach Würze in den Speisen liegt nicht in unserer Natur; die<br />

Gewohnheit der gewürzten Speisen ist vielmehr eine erworbene Gewohnheit der<br />

zivilisierten Menschheit. Als solche muß sie eine unnatürliche Gewohnheit sein. Das<br />

wird durch die Tatsache bestätigt, daß kein Tier dazu gebracht werden kann, scharf<br />

gewürztes Futter zu fressen.<br />

Einige dieser Würzen regen die motorischen Funktionen des Magens an und<br />

veranlassen ihn, sich rascher zu entleeren; aber sie verringern die Sekretionskraft der<br />

Magen<strong>dr</strong>üsen. Andere Würzen beeinträchtigen zu gleicher Zeit die Entleerungs- und<br />

die Sekretionsfunktionen des Magens. Alle Würzen erzeugen durch ihre<br />

Reizeigenschaften leicht Entzündungszustände der Magenschleimwände. Diesen<br />

Nachteilen der Würzen steht kein einziger Vorteil zum Ausgleich gegenüber.<br />

Fast alle Personen, die an Magengeschwüren und Magenkrebs leiden, sind<br />

Liebhaber pikanter Speisen. Sie sollten allerdings diesen Ausgang voraussehen, denn<br />

es ist bekannt, daß lokale und beständige Reizung eine der Grundursachen der<br />

Entstehung von Krebsgeschwülsten ist.<br />

Es gibt ein Gesetz, das uns befähigt, zu verstehen. warum letzten Endes alle Würzen<br />

schädlich sein müssen, das Gesetz der primären und der sekundären Wirkungen der<br />

Kräfte, der Wirkung und ihrer Gegenwirkung. Auf jede primäre Wirkung oder<br />

Kraftentfaltung folgt die sekundäre, der Rückschlag, die Gegenwirkung, und die<br />

Gegenwirkung ist länger ausgedehnt als die ursprüngliche Wirkung. Dieses Gesetz<br />

kann jeder selbst auf folgende, sehr einfache, aber wirksame Weise überprüfen:<br />

Nach einer endlos langen Wanderung erreicht man müde und jeder weiteren<br />

Anstrengung abgeneigt den Fuß eines hohen, steilen Hügels, vor dessen Anblick in<br />

diesem lahmen Zustande der Mut und die Kräfte versagen. Die natürliche Reaktion<br />

würde darin bestehen, daß man sich mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung<br />

anschickt, seine müden Glieder auszustrecken. In diesem Augenblick soll als Anreger<br />

der ermatteten Nerven- und Muskelkräfte ein hilfreicher „Freund“ erscheinen, der uns<br />

mit der Peitsche in einer Rekordzeit den ganzen Hügel hinauf bis zum Gipfel jagt.<br />

Dann ist man freilich oben; aber der Zauber des Atemschöpfens, das einen unten am<br />

Fuß des Hügels erfrischt und befähigt hätte, die Anhöhe ohne Überanstrengung zu<br />

erreichen, stellt sich jetzt nicht ein. Im Gegenteil, tagelang wird man die Übermüdung<br />

dieses erzwungenen, raschen Aufstieges noch spüren, was deutlich beweist, daß die<br />

Gegenwirkung von länger anhaltender Dauer ist als die vorherige Wirkung.<br />

Das gleiche gilt für alle künstlichen Reizmittel; ihre Endwirkung ist herab<strong>dr</strong>ückend<br />

und lähmend.<br />

Auch die Umkehrung ist wahr. Künstliche Beruhigungsmittel wirken letzten Endes<br />

unweigerlich aufreizend, wenn sie längere Zeit eingenommen werden. Ein lange mit<br />

Beruhigungsmitteln behandelter Patient wird meistens hoffnungslos nervös. Wer das<br />

in den „Grundgesetzen“ (s. S. 31 ff.) erwähnte. Gesetz begriffen hat, nach dem eine<br />

gestörte Funktion allmählich ganz zerstört wird, kann nichts anderes erwarten.<br />

Gastrische oder Magensekretion ist eine normale Funktion. Wenn sie allein durch<br />

54


natürliche Anregungen, die freilich nur von natürlicher Nahrung ausgehen, zur<br />

Tätigkeit gereizt wird, dann wird diese Tätigkeit nie versagen. Das ist eine<br />

unbestreitbare Tatsache.<br />

Eine bekannte Autorität auf dem Gebiete der Ernährungskunde, Dr. Kellogg, sagt in<br />

bezug auf die Würzen: „Der Mensch ist das einzige animalische Wesen, das überlegten<br />

Selbstmord durch Selbstvergiftung verübt, indem er seine Nahrung verdirbt, bevor er<br />

sie einnimmt. Der durchschnittliche Mensch leidet unter chronischer Vergiftung. Er<br />

nimmt Gifte verschiedenster Herkunft zu sich, die in ihrer Anhäufung pro Kopf eine<br />

Dosis von mehr als 3,25 Gramm alle vierundzwanzig Stunden für jeden Mann, jede<br />

Frau und jedes Kind in den Vereinigten Staaten ergeben. Er beginnt den Tag mit einer<br />

Dosis Gift in Form von Kaffee, um sich aufzuwecken. Nach dem Frühstück raucht er<br />

eine Zigarre, um Magen und Nerven zu beruhigen. Vor dem Mittagsmahl stürzt er<br />

einen Whisky oder einen Aperitif hinunter, um seinen Appetit anzuregen. Später findet<br />

er eine Tasse Tee notwendig, die ihn aus der Benommenheit des frühen Nachmittags<br />

wecken soll, und am Abend braucht er ein Betäubungsmittel, um einschlafen zu<br />

können, am Morgen darauf wohl noch ein abführendes Getränk. Zu all diesen Giften<br />

kommt noch die absichtliche Verfälschung seiner Kost durch Beimischung toxischer<br />

Substanzen, Pflanzenabsonderungen, welche durch ihren scharfen, beißenden und<br />

brennenden Geschmack allein schon von der Natur als Giftpflanzen gekennzeichnet<br />

sind und dem Menschen nicht bekommen. Diese Produkte, die nur ihrer<br />

geschmackverbessernden Eigenschaft wegen benützt werden, haben keinen Nährwert<br />

und heißen Würzen.“<br />

�<br />

Noch viel schlimmer als die Würzen wirken aber die Getränke unseres modernen<br />

Lebens. Finden wir — vom Menschen abgesehen — in der ganzen Schöpfung auch<br />

nur ein einziges Wesen, das ein natürliches Produkt verändert, um daraus ein Getränk<br />

zu bereiten? Die Frage ist bald beantwortet. Das natürliche Getränk des Tieres ist<br />

Wasser. Milch könnte man vielleicht noch als natürliches Getränk ansehen, aber in<br />

Wirklichkeit ist Milch eine Nahrung. Das gleiche kann vom Blute gesagt werden. Es<br />

gibt gewisse fleischfressende Tiere, von denen man erzählt, daß sie ihr Opfer bloß<br />

töten, um sein Blut zu trinken. Aber bei näherer Untersuchung finden wir heraus, daß<br />

dieser Trunk für das Tier eine Mahlzeit war. Es bleibt also wahr, daß für alle Tiere<br />

Wasser das einzige natürliche Getränk ist.<br />

Und was trinkt der Mensch, der zivilisierte Mensch? Ich glaube fast, es wäre<br />

leichter festzustellen, was wir nicht trinken. Die hauptsächlichsten Getränke lassen<br />

sich jedoch immer hin aufzählen: Wasser, Tee, Kaffee, Kakao, Schokolade,<br />

Limonaden, Sodawassermischungen, Bier, Wein, Schnaps und Liköre. Suchen wir aus<br />

dieser Reihe die natürlichen Produkte heraus.<br />

Da steht zuerst Wasser, — ohne Zweifel eine natürliche Flüssigkeit.<br />

Damit ist's aber schon zu Ende — es folgt Tee. Tee ist ein Aufguß auf getrocknete<br />

Blätter einer asiatischen Pflanze. Ist ein Aufguß ein Naturprodukt? Nein! Dann ist also<br />

Tee auf keinen Fall ein natürliches Getränk. Menschliche Künstelei hat hier ein<br />

natürliches Produkt in ein Genußmittel umgewandelt. Ein Aufguß zieht niemals alle<br />

natürlichen Bestandteile und Säfte aus der Substanz; überdies können einige der<br />

ausgezogenen Säfte schädlicher Natur sein. Beim Tee ist dies der Fall. Übergießt man<br />

55


Teeblätter mit kochendem Wasser, so wird ein giftiges Alkaloid, das Tein (identisch<br />

mit Koffein) und eine zusammenziehende Substanz, das Tannin (Gerbsäure),<br />

herausgezogen, und wer Tee genießt, trinkt damit 15 bis 23 Prozent einer Flüssigkeit,<br />

die herb und zusammenziehend auf die Drüsen der Magensekretion wirkt. Auch durch<br />

kurzes Ziehenlassen vermeidet man die Entstehung dieser schädlichen Extrakte nicht,<br />

obwohl viele das glauben.<br />

Und der Kaffee! Ist Kaffee ein natürliches Getränk? Geröstete und gemahlene<br />

Kaffeebohnen werden beliebig lange Zeit mit Wasser gekocht; hernach wird die so<br />

erhaltene Flüssigkeit gesiebt. Das Rösten und Kochen kann aber der Natürlichkeit<br />

dieses Getränkes schwerlich dienen. Schon die rohen Bohnen enthalten Mengen<br />

(durchschnittlich 1½ %) des Alkaloids Koffein, das der <strong>med</strong>izinischen Wissenschaft<br />

als kräftig wirkendes Gift bekannt ist. Außerdem enthält die Rohbohne bis zu 6<br />

Prozent Tannin (Gerbsäure), da sich durch das Rösten in die Gerbstoffe Katechu und<br />

Pyrogallol verwandelt, die nach dem Ausspruch einer ärztlichen Autorität für „giftiger<br />

als Karbolsäure“ gelten müssen. Als Folge des Röstens entstehen überdies noch<br />

mehrere andere Giftstoffe, die sogenannten Produkte unvollkommener Verbrennung,<br />

wie Kreosot, Pyridin usw. Aber das stärkste Gift im Kaffee ist das Koffein. Die<br />

anderen Gifte lassen wir beiseite und sagen davon bloß so viel, daß sie, während eine<br />

Tasse Kaffee niemanden töten kann, doch eine kumulative (anhäufende) Wirkung<br />

haben, welche sich früher oder später unweigerlich bemerkbar macht. Das kann weder<br />

geleugnet noch vermieden werden.<br />

Das Koffein jedoch wartet nicht lange, um den Kaffeetrinker mit den Folgen seiner<br />

Unzuträglichkeit zu beglücken. Der Kaffeetrinker fällt bald der Kaffeegewohnheit<br />

anheim; er braucht den Kaffee. Er braucht eine Stärkung, und der Kaffee ist eine<br />

solche. Er ist nervös, er kann sich nicht konzentrieren, bis er nicht seine Ankurbelung<br />

in Form eines kräftigen Kaffeetrunkes erhalten hat.<br />

Die Gewohnheit, sich durch Getränke künstlich anzuregen oder zu betäuben,<br />

erschöpft die Nervengewebe rasch teilweise und schließlich ganz. Wir wissen aber,<br />

daß nur natürlich angeregte Organe normal arbeiten können, während unnatürlich<br />

angeregte Funktionen, Organe oder Teile des Körpers nach und nach ausgeschaltet und<br />

zerstört werden. Welchen Unterschied macht es, ob man Koffein aus einem<br />

chemischen Laboratorium oder aus der täglichen Kanne Kaffee bezieht und in sein<br />

Blut aufnimmt? Es ist dasselbe Reizgift.<br />

„Ja, aber ich merke doch, daß ich diese Anregung brauche; ich bin ein ganz anderer<br />

Mensch, wenn ich eine Tasse Kaffee getrunken habe.“ Diese oft gehörte Äußerung<br />

bildet den besten Beweis dafür, daß der Sprechende dem Kaffee verfallen ist. Wenn<br />

man eine Pfeife Tabak oder eine Zigarette oder einen Schluck Schnaps oder eine<br />

Morphiumspritze oder eine Tasse Tee oder Kaffee braucht, so ist man einem<br />

Rauschgift verfallen. Und dieses „Bedürfnis“ ist ein klares Symptom dafür, daß das<br />

Gift sein tödliches Werk begonnen hat. Wer solche Anregungen „braucht“, ist ein<br />

anomaler Mensch, und je mehr solche Menschen ihre Nerven mit künstlichen<br />

Reizmitteln weiterzwingen, desto anomaler werden sie.<br />

Reizgetränke dienen zur Aufpeitschung. Aber im gleichen Verhältnis wie die<br />

Nerven zu ihrer Betätigung durch ein künstliches Reizmittel (z. B. das alkaloidisch<br />

stark anregend wirkende Koffein aus Tee und Kaffee) angetrieben werden, erschöpfen<br />

sie sich, und dann können sie auf einen natürlichen Anreiz nicht mehr reagieren.<br />

Diesen Erschöpfungszustand infolge künstlicher Anregung empfindet der Mensch als<br />

56


Unbehagen, Abneigung, Schwäche oder Unfähigkeit und Reizbarkeit, je nach dem<br />

Grade der Nervenerschlaffung. Die Unfähigkeit und die Reizbarkeit verschwinden<br />

auch nicht eher, als bis der Gewohnheitssünder einer neuen Aufmunterung in Form<br />

von Koffein, Kokain oder Morphium teilhaftig geworden ist.<br />

Es bedarf nicht vieler Worte, um nachzuweisen, daß diese unnatürlichen<br />

Reizgetränke in keiner Weise dem Aufbau des natürlichen, normalen, gesunden<br />

Menschenkörpers zuträglich sein können. Welches ist dann aber wohl ihr Einfluß auf<br />

den sich entwickelnden Körper? Wer kann leugnen, daß diese starken Gifte, die die<br />

modernen Menschen so allgemein und regelmäßig zu sich nehmen, ihre große Rolle<br />

als Ursache der Krankheitszustände in der zivilisierten Welt spielen? Kakao ist mit<br />

Tee und Kaffee verwandt; sein alkaloidisches Gift ist Theobromin, das in Goulds<br />

<strong>med</strong>izinischem Wörterbuch als „ein dem Koffein und dem Xanthin nahe verwandtes<br />

Alkaloid“ definiert wird.<br />

Dr. Kellogg gibt den Koffeingehalt verschiedener gebräuchlicher Getränke in<br />

folgenden Prozentsätzen an:<br />

Kakao 1,00 %<br />

Koka-Kola 1,00 bis 1,2 %<br />

Kaffee (gerösteter) 0,75 bis 2,05 %<br />

Kola 2,00 %<br />

Maté 1,115 %<br />

Schwarztee 1,35 bis 1,75%<br />

Was ich über Tee und Kaffee gesagt habe, gilt auch für die übrigen oben aufgezählten<br />

gifthaltigen Getränke. Es ließe sich noch so vieles gegen ihren häufigen Gebrauch<br />

sagen, daß man aus reiner Bescheidenheit darauf verzichten muß, um den Leser nicht<br />

zu langweilen.<br />

Sind aber vielleicht Sodawassermischungen und Limonaden natürliche Getränke?<br />

Leider ebensowenig. Wenn man bis zu einem gewissen Grade von Unterschieden in<br />

der Unnatürlichkeit der unnatürlichen Dinge sprechen kann, dann sind<br />

Sodawassermischungen in der Regel noch unnatürlicher als Tee oder Kaffee. Und<br />

infolge ihrer allgemeinen Verbreitung und ihres Verbrauchs durch alt und jung greift<br />

ihre zerstörende Wirkung noch weiter aus. Diese Behauptung klingt vielleicht<br />

manchem merkwürdig; das kommt aber bloß von der allgemeinen Verständnislosigkeit<br />

gegenüber dem Gedanken, daß nur natürliche Reizmittel dem Körper die Anregung zu<br />

aufbauender Arbeit zu vermitteln vermögen. Dieser Ausgangspunkt allen Fortschritts<br />

zum Verständnis des Problems, wie der menschliche Körper aufzubauen ist, um gegen<br />

Krankheitseinflüsse durchaus geschützt zu sein, muß sich endlich einmal in den<br />

Köpfen der Leute mit der Überzeugungskraft einer grundlegenden Wahrheit<br />

festsetzen; dann wird die oben aufgestellte Behauptung von selber erkannt werden.<br />

Die Limonaden und Sodawassermischungen sind zum Beispiel verantwortlich für<br />

eine starke Zunahme der Verwendung raffinierten Zuckers, unter dessen unmäßigem<br />

Verbrauch die zivilisierte Welt ohnehin schon leidet. Außerdem werden diese<br />

Getränke fast immer eiskalt genossen, was nichts weniger als bekömmlich ist. Sie<br />

enthalten Mischungen aller möglichen, sich nicht miteinander vertragenden und<br />

dadurch unverdaulichen Substanzen. Sie werden zu allen Tages- und Nachtzeiten<br />

konsumiert, meistens zwischendurch, wenn der Magen ruhen und neue Kräfte für die<br />

57


nächste Mahlzeit sammeln sollte. Sie verderben den Appetit für die natürlichen,<br />

körperaufbauenden Speisen und beeinträchtigen die potentiellen<br />

Verdauungsfunktionen so sehr, daß die nächste Mahlzeit, sogar wenn man sie richtig<br />

und natürlich zusammenstellt, als körperaufbauende Kost nahezu entwertet ist und<br />

dadurch mehr schadet als nützt.<br />

Der schlimmste Schaden kommt dem Körper aber von dem hohen Prozentsatz an<br />

Koffein, den der Mensch in den Sodawassergetränken oft ahnungslos zu sich nimmt,<br />

weil viele davon heute Koffeinhaltige Reizmittel wie Kola und Koka-Kola enthalten,<br />

die die Nerven noch schädlicher beeinflussen als Kaffee. Und diese Getränke werden<br />

mit Vorliebe von Knaben und Mädchen in ihren Entwicklungsjahren getrunken. In<br />

Amerika gibt es unendlich viele junge Männer und junge Frauen, die bekennen, daß<br />

sie ohne die Anregung eines solchen koffeinhaltigen Reizmittels nicht auskommen<br />

können. Und Europa ist auch in dieser Beziehung ein guter Schüler der Neuen Welt.<br />

Aufmerksamkeit muß man dem Koffeingehalt auch beim Maté schenken. Das ist<br />

ein Tee, der durch Aufguß von heißem Wasser auf die getrockneten Blätter<br />

südamerikanischer Stechpalmenarten hergestellt wird. Obwohl der Koffeingehalt nach<br />

der Tabelle auf S. 105 groß ist, wird der Maté von vielen Nahrungsreformgeschäften<br />

als Koffeinfreies Getränk angepriesen und als Ersatz für Koffeinhaltigen Tee, Kaffee<br />

oder Kakao empfohlen. Die Verkäufer sind dabei zweifellos guten Glaubens und von<br />

dem, was ihnen die Maté – Lieferanten erzählt haben, überzeugt. In Wirklichkeit steht<br />

der Maté, den man auch Yerba-Maté und Paraguaytee nennt, im Koffeingehalt den<br />

anderen Reizgetränken der zivilisierten Menschheit nicht nach.<br />

Koffein ist aber freilich nicht die einzige, den Lebensprozeß be<strong>dr</strong>ohende und<br />

zerstörende Substanz dieser Getränke. Sie enthalten alle noch verschiedene andere<br />

schädliche Stoffe, von denen ich hier nur einen nennen will: die Harnsäure.<br />

Tausenden ist heutzutage rotes Fleisch oder sogar Fleisch überhaupt vom Arzt<br />

verboten, und Tausende essen aus eigener Einsicht keines, weil es Harnsäure (und die<br />

ähnlich zusammengesetzten und wirkenden Purinstoffe) enthält. Diese Menschen<br />

leiden vielleicht an Nervenentzündungen, Gelenkentzündungen oder anderen durch die<br />

Harnsäure verursachten Krankheiten und beschränken sich deshalb sehr einsichtsvoll<br />

im Genuß harnsäurehaltigen Fleisches oder verzichten gänzlich darauf.<br />

Aber dieselben Leute fahren arglos fort, sich an Tee, Kaffee oder Kakao, oft sogar<br />

recht unmäßig, gütlich zu tun. Die hier folgende Liste zeigt deutlich, wie wenig<br />

konsequent ein solches Verhalten ist.<br />

Harnsäure und Purinstoffe<br />

Promille<br />

Suppe (mit Knochen zubereitet) . . . . . . . . . 0,08<br />

Suppe (mit Fleisch zubereitet) . . . . . . . . . 0,24<br />

Kraftbrühe für Kranke (acht Stunden gekocht) . . . 1,21<br />

Beefsteak . . . . . . . . . . . . . . . . . 0,22<br />

Lamm (Schlegel vom Rost, kalt) . . . . . . . . 0,26<br />

Kalb (Kotelette) . . . . . . . . . . . . . . 0,60<br />

Schafsleber . . . . . . . . . . . . . . . . . 1,12<br />

Hering (frisch) . . . . . . . . . . . . . . . 0,03<br />

Hering (geräuchert) . . . . . . . . . . . . . 1,11<br />

Bückling . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0,38<br />

58


Fleischsaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 8,62<br />

Kakao . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10,24<br />

Kaffee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12,15<br />

Tee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30,38<br />

Welche Dummheit, die Fleischspeisen aus dem Speisezettel wegzulassen und dafür<br />

Tee, Kaffee und Kakao weiterzutrinken, die ungefähr 20- bis 170mal soviel Harnsäure<br />

und ähnlich zusammengesetzte und wirkende Purinstoffe enthalten.<br />

Aber so machen wir es in der Zivilisation. Lange Jahre habe auch ich es so töricht<br />

getrieben; deshalb darf ich andere nicht verurteilen, die es ähnlich machen. Ich mußte<br />

aber natürlich, bevor ich mich befreien konnte, den Weg ins Freie erst sehen, — und<br />

ich sah ihn damals noch nicht; ich versuchte nicht einmal, ihn zu sehen, bis meine<br />

Hände so stark zitterten, daß ich die Tasse mit harnsäurereichem, koffeingesättigtem<br />

Tee oder Kaffee kaum mehr zum Munde führen konnte und mein verkrüppeltes altes<br />

Herz bei jedem Schlage auszusetzen <strong>dr</strong>ohte. Nein, ich habe kein Recht, auf irgend<br />

jemanden Steine zu werfen!<br />

Und nun zu einer weiteren Torheit des modernen Speisesystems. Wie sinnlos ist<br />

doch die Zusammensetzung der einzelnen Mahlzeiten! Da kombiniert man zum<br />

Beispiel die täglichen Speisezettel aus entwerteten, untereinander meist unvereinbaren<br />

Nahrungsmitteln, die ihre völlige und normale Verdauung gegenseitig teils<br />

erschweren, teils überhaupt verhindern. Unvereinbar heißt in diesem Zusammenhang,<br />

daß solche Speisen entgegengesetzt gearteter Verdauungssäfte bedürfen, um<br />

verarbeitet zu werden. Es ist erwiesen, daß eine Speise, die bloß in einem<br />

Säure<strong>med</strong>ium verdaut werden kann, nicht zu gleicher Zeit mit einer anderen Speise,<br />

welche nur basischer Beeinflussung zugänglich ist, vom Verdauungsapparat bewältigt<br />

wird. Reagiert die eine Speise auf eine alkalische, die andere auf eine saure<br />

Verdauungsflüssigkeit, so wird die eine, die sich mit der vorhandenen Flüssigkeit nicht<br />

verträgt, sich zersetzen, ungesunde Reize ausüben und allgemein vergiftend wirken,<br />

während die andere, durch die Anwesenheit der ersten gestört, auch nur<br />

unvollkommen verdaut werden kann und daher in Gärung und Zerfall übergeht, außer<br />

in einem besonders kräftigen Magen.<br />

Eiweißstoffe werden, soweit der Magen in Betracht kommt, vom Pepsin und der<br />

sauren Absonderung der Magen<strong>dr</strong>üsen verdaut. Stärkestoffe können durch diese<br />

sauren Magensäfte überhaupt nicht verdaut werden; sie müssen durch tüchtiges Kauen<br />

mit dem alkalischen Speichel, der durch die Speichel<strong>dr</strong>üsen im Mund ausgeschieden<br />

wird, gut vermengt werden; die Verdauung geschieht dann während des Kauens und<br />

wird bei geeigneten Nahrungsverhältnissen unter dem Einfluß des Speichelenzyms<br />

oder Ferments, Ptyalin genannt, mindestens zwei Stunden nach Ankunft im Magen<br />

fortgesetzt. Der Aus<strong>dr</strong>uck „geeignete Nahrungsverhältnisse“ bedeutet hier aber unter<br />

anderem, daß Stärkenahrung nicht zu gleicher Zeit mit vorwiegend eiweißhaltigen<br />

Speisen genossen werden soll.<br />

Die Natur hat unsere Verdauungsorgane auf eine wunderbare Art diesem<br />

Tatbestand angepaßt. Befindet sich nämlich nur stärkehaltige Nahrung im Magen, so<br />

ist kein saurer Magensaft nötig, um sie zu verdauen, und unser Verdauungssystem ist<br />

so eingerichtet, daß dann auch nur wenig Magensaft ausgeschieden wird. Der Speichel<br />

soll die Stärke verdauen; aber in dem Augenblick, wo er mit der Säure des Magens in<br />

Berührung kommt, wird er unfähig, diese Verdauungsarbeit zu leisten; darum hält die<br />

59


Natur so lange mit der Absonderung des Magensaftes zurück; sie geht darauf aus, die<br />

stärkereiche Nahrung ganz verdauen zu lassen. Wenn nun aber eiweißreiche Kost wie<br />

mageres Fleisch, Fisch, Wildbret, Käse oder Eier in den Magen gelangen, so ist zu<br />

deren Verdauung Magensäure unbedingt nötig. In einem solche Falle ist es für die<br />

Natur wichtiger, die eiweißreichen als die stärkereichen Nahrungsmittel zu verdauen,<br />

denn wenn die eiweißreichen nicht verdaut werden, zersetzen sie sich rasch und<br />

verwandeln sich in Gifte. Deshalb wird im Magen beim Eintreffen eiweißreicher<br />

Nahrung sofort Magensäure abgesondert, um die Eiweißverdauung zu beschleunigen,<br />

und die Stärkeverdauung, die von dem hineingekauten Speichel besorgt wird, muß<br />

alsbald abgebrochen werden. In Gegenwart von Magensaft kann sie, wie gesagt,<br />

unmöglich weitergehen.<br />

Die zivilisierten Menschen essen nun aber beständig sozusagen reine Stärkenahrung<br />

mit sozusagen reiner Eiweißnahrung während ein und derselben Mahlzeit, sogar in ein<br />

und demselben Bissen. Die Fleischpasteten zum Beispiel sind eine solche<br />

Zusammenstellung von fast reinem Eiweiß und reiner Stärke. Die Körnchen dieser<br />

Stärke werden beim Kauen ganz in Fett eingehüllt; Eiweiß- und Stärkebestandteile<br />

werden im Munde ununterscheidbar miteinander vermengt. Was geschieht dann wohl<br />

damit? Werden beide Bestandteile vollkommen verdaut oder wenigstens einer davon?<br />

Die Frage ist so naiv, daß man nur darüber lächeln kann.<br />

Ja, ich weiß es nur zu gut, Tausende von Kulturmenschen leben in dieser Weise<br />

jahraus, jahrein, Tag für Tag, Mahlzeit für Mahlzeit. Aber ich weiß auch, wie die<br />

Meute der Krankheiten und Seuchen hinter ihnen herjagt, Krankheiten, die einfachere<br />

oder wilde Völker nicht plagen, weil diese Völker sich anders ernähren. Und ich weiß<br />

auch, daß alle diese Seuchen und Krankheiten nicht ohne Grund so blühen und<br />

gedeihen.<br />

Da gibt es zum Beispiel Sandwiches, belegt mit Schinken, Braten, Käse, Eiern; es<br />

gibt weißes Brot und Fleisch oder Eier, Fisch oder Käse; all dies wird in hundert<br />

Kombinationen bei jeder Mahlzeit verzehrt. In den gleichen Magen werden Kaffee,<br />

Tee, Milch, Kakao, Essigfrüchte, pikante Saucen, Würzen, Bratensäfte, Liköre,<br />

Kuchen, Puddinge, Pasteten, Nüsse, saure Früchte, eisgekühlte und mit Sodawasser<br />

vermischte Getränke gestopft und geschüttet.<br />

Man verstehe, daß ich nicht unbedingt alle diese Speisen verurteile. Ich betrachte<br />

augenblicklich bloß die Unvereinbarkeit der meisten Speisefolgen, wie sie allgemein<br />

Brauch sind. Gibt es einen Mann, der sämtliche Bestandteile einer sogenannten „guten,<br />

reichlichen Mahlzeit“ miteinander mischt (genau so, wie sie in einem<br />

durchschnittlichen Magen nach einer üppigen Mahlzeit sich vermengen), um dann<br />

dieses unmögliche Durcheinander zu verzehren? Er müßte von Sinnen sein. Wenn aber<br />

solch ein Gemengsel nicht gegessen werden kann und deshalb niemand daran denkt, es<br />

außerhalb des Magens zu mischen und es uns als Speise vorzusetzen — was für<br />

Überlegungen und Betrachtungen führen uns dann dazu, diese selbe Vermengung<br />

innerhalb des Magens vorzunehmen?<br />

In diese Rubrik gehört auch die Gewohnheit, ausgesprochen saure Speisen<br />

zusammen mit Stärkenahrung zu verzehren. Wer eine „gute Verdauung“ hat, kann<br />

diese Praktik zwar wohl eine Weile betreiben, ohne örtliche Beschwerden zu<br />

verspüren, aber gerade die Leute mit der berühmten „guten Verdauung“ leiden oft in<br />

späteren Jahren an schwer oder gar nicht zu kurierenden Magenerkrankungen. Noch<br />

öfters leiden sie dann aber an ganz anderen Krankheiten, die oberflächlich betrachtet<br />

60


mit dem Verdauungssystem oder mit der Ernährungsweise in gar keinem<br />

Zusammenhang stehen, an chronischen Krankheiten, deren Ursachen in Geheimnis<br />

gehüllt scheinen, und die daher als „von Gott gesandt“ getragen werden müssen.<br />

Saure Grapefrüchte oder Orangen und stärkehaltige Getreidespeisen oder weißes<br />

geröstetes Brot werden sehr oft zusammen gegessen. Nach allem, was oben über die<br />

Stärkeverdauung durch den Speichel gesagt worden ist, kann man leicht verstehen, daß<br />

stärkehaltige Speisen, die mit sauren Früchten zusammen genossen werden, weder im<br />

Mund noch im Magen die notwendige sorgfältige Verdauung finden. Die Magensäfte<br />

können Stärke eben nicht verarbeiten, und auch der Speichel kann es in Gegenwart<br />

von Säuren nicht. Was wird auf diese Weise aus solcher unverdauten Stärke? Ich habe<br />

es bereits erklärt und brauche es nicht zu wiederholen. Aber welche Sinnlosigkeit, mit<br />

guten Nahrungsmitteln so zu verfahren! Denn Stärkenahrung ist gute Nahrung.<br />

Unverdaute Stärkenahrung ist dagegen natürlich nicht gute Nahrung. Wenn sie lange<br />

unassimiliert im Verdauungskanal bleibt, so wirkt sie wie Gift *.<br />

Wird sie hinuntergeschluckt, ohne zuvor gründlich durchgekaut und mit Speichel<br />

vermischt worden zu sein, wird sie zusammen mit stark eiweißhaltiger Kost genossen,<br />

wird sie zu gleicher Zeit mit stark saurer Nahrung aufgenommen, so muß sie den<br />

Magen fast gänzlich unverdaut passieren, Stärke, die mit anderer, ihre Verdauung<br />

hindernder Nahrung in den Magen kommt, verläßt ihn aber erst, wenn die anderen<br />

Nährstoffe durch die Magensäfte genügend aufgelöst sind, um aus dem Magen<br />

auszutreten. Das dauert gewöhnlich vier bis sechs, manchmal sogar acht Stunden. In<br />

solchen Fällen geht die Stärke leicht in Gärung über, und es bilden sich Kohlensäure,<br />

Alkohol und organische Säuren.<br />

Allerdings zerfallen nicht alle Stärkestoffe auf diese Weise, wenn der Magen kräftig<br />

arbeitet und die Verdauung der andern Speisen, die durch seine Säfte verarbeitet<br />

werden sollen, rasch vollendet. In solchen Fällen gehen die Nährstoffe mit dem<br />

halbflüssigen Speisebrei weiter in den Darm und werden durch die Absonderungen der<br />

Bauchspeichel<strong>dr</strong>üse und der in den Schleimhäuten liegenden Zellen verdaut.<br />

* Die Erfahrung der Bircher-Benner-Schule lehrt, daß diese Unverträglichkeiten, wie jene von sauren<br />

Früchten und Stärke, nur bei denaturierter Nahrung und übermäßiger Nahrungszufuhr eine Rolle<br />

spielen, aber bei naturnaher, ökonomischer Kost ihre Bedeutung verlieren, insbesondere wenn richtig<br />

gekaut wird.<br />

Anm. des Herausgebers.<br />

Aber in einem langsam verdauenden Magen — wie ihn die meisten Menschen heute<br />

haben — wird unter solchen Umständen nur wenig nicht in Gärung übergegangene<br />

Stärke mehr vorhanden sein.<br />

Nicht minder unverständig und schädlich ist das gedankenlose, nervös gehetzte<br />

Hinunterschlingen der Speisen. Die meisten Menschen verschlucken, was sie essen,<br />

mit kaum größerer Aufmerksamkeit, als ein Hund auf einen Bissen Fleisch verwendet,<br />

obwohl sie ihre Nahrung zum mindesten mit der gleichen Sorgfalt kauen sollten, die<br />

ein Hund einem Knochen zuwendet. Rein aus Stärke bestehende oder auch nur<br />

stärkereiche Nahrungsstoffe können, wie wir schon gesehen haben, durch die<br />

Magensäfte nicht verdaut werden, sondern nur durch das Ptyalinferment, das mit dem<br />

Speichel zusammen abgesondert wird; der Speichel aber kann sich mit der Stärke nur<br />

vermischen, wenn er durch gründliches Kauen in die Speisen hineinge<strong>dr</strong>ückt wird.<br />

Gerade die stärkehaltigen Speisen werden aber in den meisten Fällen verschlungen,<br />

61


ohne daß sie mit dem Speichel überhaupt in Verbindung kommen, außer da und dort<br />

beim raschen Durchgang der Speisemasse durch den Mund. Man versuche, sich diese<br />

Stärkemengen vorzustellen, wie sie ohne Speichelzusatz in den Magen gelangen und<br />

dort nicht verdaut werden können, worauf sie in der feuchten Wärme des von<br />

Bakterien wimmelnden Magens vier bis sechs Stunden dem Einfluß des<br />

Säure<strong>med</strong>iums ausgesetzt bleiben. Was wird aus ihnen? Können sie sich in<br />

höchstgradige Körperenergie verwandeln? Unter keinen Umständen. Die Stärke hat in<br />

solchen Fällen die Neigung, zu gären und sich in Alkohol, organische Säuren und<br />

Kohlensäure zu zersetzen. Das sind nun aber just Stoffe, die in keiner Weise Nahrung<br />

darstellen, die vielmehr alle die empfindlichen Schleimhäute des Magens reizen und<br />

depressive Wirkungen ausüben. Dabei ist dieses hastige Hinunterwürgen die<br />

Gewohnheit von vielleicht fünfundneunzig Prozent oder mehr der kultivierten<br />

Menschheit, besonders der Amerikaner und Kanadier, die so ungestüm dahinleben,<br />

daß sie den Genuß eines beschaulichen Mahles kaum kennen.<br />

Zu allen diesen Verkehrtheiten kann sich dann noch die Gefahr der „Übermenge“<br />

gesellen, der Schaden, der verursacht wird, wenn man mehr Speisen verzehrt, als der<br />

Körper braucht. Mancher wird fragen, was es einem Körper schaden kann, wenn er<br />

mehr Nahrung erhält, als er benötigt? Kann der Körper nicht verwenden, was er<br />

braucht, und das übrige zurückweisen? Ja, das versucht er auch. Aber der Körper kann<br />

nicht Nahrung zurückweisen und es dabei bewenden lassen. Jede Nahrung, die in den<br />

Körper eingeht, muß entweder in ihm zum Aufbau verwendet werden, oder sie muß im<br />

Körper verbrannt oder, wenn sie nicht benötigt wird, rasch ausgeschieden werden;<br />

sonst schädigt sie den Körper. Der Körper will und kann nicht mehr Aufbaustoffe<br />

gebrauchen, als zu seinem Wachstum und zur Instandhaltung seiner Gewebe<br />

notwendig sind. Er kann nicht mehr Nahrungsstoffe oxydieren oder verbrennen, als er<br />

zur Erhaltung seiner Wärme und Energie benötigt. Was über diese beiden Zwecke<br />

hinausgeht, ist die „Übermenge“. Der Überschuß muß als Ballast in Form von Fett<br />

aufgespeichert oder als Abfall zum Körper hinausgeworfen werden. Das erfordert aber<br />

eine große Anstrengung von seiten der Organe und verbraucht daher eine Menge<br />

Körperenergie, denn die Übermenge muß, obwohl sie auf keinen Fall dem Körper<br />

zugute kommen und keinem nützlichen Zweck dienen kann, dennoch verdaut,<br />

absorbiert, in den Kreislauf geleitet, durch die inneren Organe erlesen werden; ihre<br />

Gifte müssen neutralisiert, ihre Kohlehy<strong>dr</strong>ate in Leberzucker verwandelt, all ihre<br />

Bestandteile durch vielfältige Prozesse hindurchgeführt werden, bis sie in die<br />

einfachen Elemente zerlegt sind, wie sie die Körperflüssigkeiten enthalten; hernach<br />

muß der Körper sie nochmals aus diesen Flüssigkeiten herausziehen und durch die<br />

Nieren, die Leber, die Haut, die Lungen und die in den Schleimhäuten des Darmes<br />

enthaltenen Zellen endlich ausscheiden. Dies alles muß geschehen, um die Anhäufung<br />

fremder Stoffe im Körper, die ihn schließlich töten würden, zu verhindern. Aber die<br />

Anstrengungen, die der Körper und seine Organe machen müssen, um diese<br />

Übermengen an Nahrung loszuwerden, nehmen dem Organismus oft mehr Kräfte fort,<br />

als ihm durch die Speisen, die er verdauen und assimilieren konnte, zugeführt worden<br />

sind.<br />

Und das ist noch nicht alles. Die besondere und anhaltende Anstrengung, die auf<br />

�<br />

62


diese Weise den Organen des Körpers zugemutet wird, damit sie sich der<br />

überschüssigen Nahrung erwehren, überanstrengt sie, reizt sie und erschöpft sie. Der<br />

Leser möge selber urteilen, wohin solche Überanstrengungen, wenn lebenswichtige<br />

Organe sie beständig leisten müssen, auf die Dauer führen werden. Insbesondere möge<br />

der Leser versuchen zu entscheiden, welchen Einfluß diese zusätzliche Anstrengung<br />

auf Organe haben muß, die nicht genügend ernährt sind, weil ihnen dauernd<br />

naturwi<strong>dr</strong>ige Nahrung zugeführt wird.<br />

Ungemein wichtig ist sodann die Frage der Verdauung. Die Gewohnheit träger<br />

Verdauung hat man „die Mutter der meisten menschlichen Krankheiten“ genannt.<br />

Träges Verdauen ist aber im Grunde genommen gar keine Gewohnheit, sondern in<br />

Wirklichkeit eine Folge schlechter Gewohnheiten und daher ein Symptom.<br />

Daß träge Verdauung eine unnatürliche Erscheinung ist, beweist der Umstand, daß<br />

dieses Übel bei den primitiven Völkern durchaus unbekannt ist, ebenso bei den wilden,<br />

vom Menschen in keiner Weise beeinflußten Tieren.<br />

Wenn trotzdem Verdauungsbeschwerden bei den zivilisierten Menschen zur<br />

Gewohnheit geworden sind, so müssen dafür die verschiedensten Ursachen wie<br />

Unwissenheit, Nachlässigkeit, Herkommen und Sitte, Prüderie, der Glaube an<br />

abführende Drogen und Medizinen und anderes mehr verantwortlich gemacht werden.<br />

Unwissenheit besteht in sehr vielen Fällen schon in bezug auf die Tatsache, daß der<br />

Darminhalt mindestens ebenso viele Male entleert werden muß, als Mahlzeiten<br />

eingenommen werden; geschieht das nicht, so beginnen die im Darm enthaltenen<br />

Abfälle sich zu zersetzen, und die Produkte dieser Zersetzung gehen als Gifte ins Blut<br />

über.<br />

Aus dieser Unwissenheit entsteht die zweite Ursache der Verdauungsbeschwerden:<br />

Nachlässigkeit der Frage der Darmentleerung gegenüber.<br />

Viele Leute stellen sich die unteren Darmabschnitte als eine Art Reservoir für die<br />

nicht verdaubaren und nicht assimilierbaren Nahrungsreste vor, die hier gut<br />

aufgehoben sind und ruhig warten können, bis es der Bequemlichkeit oder der Laune<br />

des Besitzers paßt, sich dieser Ansammlungen zu entledigen. Auf diese Weise<br />

vernachlässigt man die Forderungen des Körpers und überhört sie mit der Zeit ganz<br />

und gar. In Wirklichkeit ist die Entleerung des Darmes eine sehr wichtige<br />

Körperfunktion, so wichtig und „wesentlich“ wie die Nahrungsaufnahme selber. Wie<br />

jede andere Körperfunktion verbessert sie sich in ihrer Leistungsfähigkeit durch<br />

regelmäßige Ausübung. Wie jede andere Körperfunktion büßt sie an Präzision und<br />

Zuverlässigkeit in dem Maße ein, in dem sie nicht ausgeübt wird; im Verhältnis der<br />

Störungen ihres Ablaufs bereitet sich ihre eigene Zerstörung vor. Die Tatsache, daß<br />

der Darm den Versuch, sich zu entleeren, bald aufgibt, wenn sein Anreiz überhört oder<br />

ihm Widerstand geleistet wird, ist einer der alltäglichsten Beweise für ein solches<br />

Naturgesetz. Träge Verdauung ist daher bloß ein Zeichen dafür, daß die verhinderte,<br />

zurückge<strong>dr</strong>ängte und nicht ausgeübte Funktion der Darmentleerung auf dem Wege ist,<br />

zerstört zu werden und zu verschwinden.<br />

Wenn die Nachlässigkeit, von der wir eben sprachen, die normale, spontane<br />

Funktion der Darmentleerung gestört und teilweise zum Verschwinden gebracht hat,<br />

nimmt der zivilisierte Mensch oft seine Zuflucht zu Abführmitteln und Medizinen. In<br />

diesen Fällen bildet das Einnehmen von Mitteln eine mit der schon bestehenden<br />

�<br />

63


Gewohnheit zusammenwirkende Ursache der Verdauungsbeschwerden; oft ist es aber<br />

auch selber die Grundursache. Die Menschen der Zivilisation überessen sich leicht und<br />

häufen dann, wie wir gesehen haben, zuviele Speisen und zu viele Arten von Speisen<br />

in ihren Verdauungsorganen an. Sogar wenn sie dem Entleerungs<strong>dr</strong>ange stets folgen,<br />

verursacht dies Übermaß von Nahrung Kopfweh oder andere Symptome<br />

unerfreulicher Art, und es ist eine allgemein verbreitete Unsitte, in solchen Fällen<br />

zwecks Erleichterung zu Arzneimitteln zu greifen. Arzneimittel in der Gestalt von<br />

abführenden oder reinigenden Drogen tun für den Darm, was er selber zu tun<br />

ermächtigt, ja verpflichtet werden sollte. Aber nur natürliche Anreize können normale<br />

Funktionen herbeiführen; unnatürlich angeregte Funktionen unterliegen einer<br />

unabwendbaren Zerstörung. Daher folgt der Benutzung solcher abführenden Arzneien<br />

wiederum Verdauungsträgheit, in manchen Fällen bald, in anderen erst später, aber in<br />

allen Fällen letzten Endes.<br />

Viele Leute glauben, es gebe eine für die Entleerung besonders geeignete Tageszeit,<br />

sagen wir beispielsweise des Abends vor dem Schlafengehen oder im halben<br />

Vormittag oder in der Mitte des Nachmittags, und ihrer Meinung nach schickt sich<br />

kein anderer Augenblick des Tages dafür. Andere gibt es — prüde, anständige Leute<br />

—, die von der Idee besessen zu sein scheinen, daß das Entleeren des Darminhaltes<br />

eine Art entehrender Tätigkeit ist, die in größter Heimlichkeit vollbracht werden muß,<br />

weil anständige Leute derartige Gewohnheiten eigentlich gar nicht haben dürfen.<br />

Solche Menschen leiden lieber, als daß sie sich von der Gesellschaft anderer<br />

zurückziehen, wenn dieser so wichtige Befehl der Natur an sie ergeht — besonders<br />

wenn Personen des anderen Geschlechts anwesend sind.<br />

Solche Einstellungen sind gefährlich, denn sie mißachten den Willen der Natur.<br />

Allerdings gibt es einen Zeitpunkt für die Entleerung des Darmes, der<br />

natürlicherweise der richtige ist; das ist der Augenblick, in welchem die Natur die<br />

Entleerung verlangt. Diesen Ruf zu überhören und die Erwiderung darauf zu<br />

verzögern, heißt, der Ausübung der notwendigen Funktion ein Hindernis, den Willen,<br />

entgegensetzen. Eine Funktion zu erschweren oder ihr Widerstand zu leisten, bedeutet<br />

jedoch, sie zerstören helfen.<br />

Die Darmentleerung ist aber gewiß eine körperliche Funktion, und welch wichtige<br />

noch dazu. Verdauungsbeschwerden sind sicher das Symptom einer Verminderung<br />

oder Herabsetzung dieser Funktion. Deshalb müssen sie nach dem nicht zu<br />

umgehenden und nicht einzuschränkenden Gesetz der Natur die Funktionsfähigkeit<br />

und Arbeitskraft eines jeden anderen Organs unseres Körpers vermindern.<br />

Neben diesem gewissermaßen passiven Aspekt der Verdauungsbeschwerden muß aber<br />

auch ihre aktive Ursache untersucht werden, die auf gewisse, im Verdauungssystem<br />

selber wirkende Einflüsse zurückzuführen ist. Diese Einflüsse werden fast immer und<br />

fast ganz durch unrichtige, das heißt naturwi<strong>dr</strong>ige Nahrung ausgelöst.<br />

Unsere Ureltern, deren anatomischer Aufbau — infolgedessen auch der Aufbau des<br />

Verdauungsapparates — sozusagen vollkommen war, lebten von roher, unverfeinerter,<br />

faseriger Pflanzennahrung. Zur Verarbeitung solcher Nahrung ist ein langer,<br />

muskulöser Verdauungskanal erforderlich, denn die körperaufbauenden und<br />

körperbelebenden Stoffe sollen langsam durch die aus den Zellen des<br />

Verdauungskanals stammenden Enzyme verflüssigt, aus den faserigen Abfallstoffen<br />

ausgesogen und in die verzweigten Blutgefäße der Darmwände aufgenommen werden.<br />

Natürlich gleitet die Nahrung nicht ohne Antrieb durch das Verdauungssystem, die<br />

64


Natur hat vielmehr für diesen Zweck einen erstaunlich kunstvollen Mechanismus<br />

geschaffen, die Muskulatur der Darmwände, welche die Nahrung langsam<br />

vorwärtsschiebt.<br />

Die Bewegung beginnt am oberen Magenausgang, mit einer ringartigen<br />

Zusammenziehung der kreisförmigen Muskelfasern, die den Darmkanal bilden. Diese<br />

Zusammenziehung gleitet dann langsam den Kanal hinunter und wirkt dabei ähnlich<br />

wie ein Ring, der von außen über einen gefüllten Schlauch gezogen und daran entlang<br />

hinabgeschoben wird. Auf diesem Wege schiebt der „Ring“, wenn er enger ist als der<br />

Schlauch, natürlich eine gewisse Menge des Schlauchinhalts vor sich her. Beim<br />

Darmkanal wiederholt sich diese Bewegung innerhalb einer Minute mehrmals;<br />

infolgedessen wird im Ablauf weniger Stunden eine ganz beträchtliche<br />

Nahrungsmenge vorangeschoben und schließlich bis zum Ausgang des Kanals, der<br />

etwa neun Meter vom Anfang entfernt liegt, gebracht. Diese ringförmige<br />

Zusammenziehung und die dadurch hervorgerufene kreisförmig wellenartige<br />

(peristaltische) Vorwärtsbewegung erfolgt auf der Länge des Verdauungskanals<br />

ungezählte Male, und sie soll den Inhalt in ungefähr neun Stunden von einem bis zum<br />

andern Ende befördern, wenn der Kanal in gesundem Zustand ist.<br />

Die vorwärtstreibende Funktion des Darmkanals ist nicht im geringsten von<br />

unserem Willen abhängig; es ist eine Reflexfunktion. Wie alle Reflexfunktionen muß<br />

auch sie durch die Fühlungnahme natürlicher Anreize mit den empfindlichen<br />

Ausläufern des Reflexnervensystems angeregt werden, bevor sie in Tätigkeit treten<br />

kann. In den Darmwänden liegen Nervenenden. Der natürliche Kontaktreiz wird durch<br />

die faserigen Abfallstoffe in der Nahrung gebildet. Der Verdauungsapparat unserer<br />

Voreltern hat sich in Anpassung an die zähe, faserige Nahrung ihres Lebensbedarfes<br />

entwickelt. Dieser Typus von Verdauungsapparat ist uns überliefert worden, was uns<br />

ein für allemal an das zähe, faserige Nahrungsmaterial unserer Voreltern bindet.<br />

Waren sie bei ihrer Ernährungsweise zur Entwicklung dieses Verdauungssystems<br />

gezwungen, so sind andererseits wir gezwungen, dem von ihnen übernommenen<br />

Verdauungssystem seine richtige Nahrung, dieselbe Art Ernährung, auf die hin es sich<br />

entwickelt hat, zuzuführen. Die beiden gehören zusammen; sie verdanken sich<br />

gegenseitig ihr Dasein.<br />

Wie steht es nun aber mit unserer modernen Nahrung? Wir haben bereits gesehen,<br />

daß unsere Zivilisation die menschliche Nahrung verfeinert, wo es irgend angeht, und<br />

daß aus ihr entweder durch Mahlen und Sieben oder durch Schälen und auf alle<br />

erdenklichen anderen Arten die Hauptmenge ihres faserigen Abfallmaterials entfernt<br />

wird. Auf diese Weise bleibt natürlich eine zartere, feinere Kost zurück. Aber ist<br />

zartere, feinere Kost ein Vorteil für die körperliche Gesundheit? Die Entfernung des<br />

faserigen Abfallmaterials beraubt unsere Nahrung der natürlichen Anregung zur<br />

Muskelbetätigung der Darmwände, durch welche die Speisemenge vom<br />

Magenausgang zum Ausgang des Darmkanals geschoben wird. Auf diese Weise wird<br />

die Darmtätigkeit verlangsamt, was zu einer Zersetzung der Eiweißstoffe und zu einer<br />

überstarken Gärung der Kohlehy<strong>dr</strong>ate führt. Die Zersetzung begünstigt die Bildung<br />

depressiver Gifte, die Gärung das Entstehen erregender Säuren, die Entzündungen der<br />

Darmwand herbeiführen können. Solche Entzündungen der Wände des<br />

Verdauungskanals verzögern aber die Fortbewegung der Speisemasse noch mehr und<br />

stören auch auf andere Weise ihre Verdauung. Die Innenwand des Kanals bedeckt sich<br />

dann nämlich mit Schleim, welcher die Absonderung der Verdauungssäfte nachteilig<br />

65


eeinflußt. Die Verdauung erleidet auf diese Weise eine Behinderung, was zu einer<br />

weiteren übernormalen Gärung und Zersetzung der Eiweißstoffe führt. Schließlich<br />

trocknet die Abfallmasse aus und kann nur mehr mit Schwierigkeit durch den Kanal<br />

geschoben werden, so daß die Bewegung nochmals verlangsamt wird. Daraus folgt<br />

noch mehr Zersetzung, noch mehr Gärung und noch mehr Flüssigkeitsentzug. Das ist<br />

eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt, ein Kreislauf ohne Ausgang, der zu<br />

einer chronischen Körpervergiftung führt; denn nicht nur veranlaßt die Verlangsamung<br />

Gärung und Zersetzung, sondern sie gibt auch länger ausgedehnte Gelegenheit für die<br />

Überleitung der so erzeugten Giftstoffe in das Blut.<br />

Und das ist immer noch nicht alles. Es ist unmöglich, aus unserer Nahrung die<br />

faserigen Bestandteile zu entfernen, ohne ihr gleichzeitig gewisse physiologisch<br />

wertvolle Salze zu entziehen. Diese Mineralstoffe sind nicht nur sehr wichtig für das<br />

Wohlbefinden des ganzen Körpers, sie sind besonders wichtig für die lokale Struktur<br />

des Darmes, für die ihn auskleidenden Drüsen, die Muskeln, die seine Wände bilden,<br />

und die Nerven, die dieses Gefüge kontrollieren und regieren. Fehlen diese Salze, so<br />

vermehren sich die Fäulnisbakterien in den viel zu langsam durch den Darmkanal<br />

geschobenen Speiseresten mit unglaublicher Geschwindigkeit. Die Fäulnisbakterien<br />

erzeugen aber nicht nur Gifte, die ins Blut übergehen und die Ausscheidungsorgane<br />

belasten, sondern sie reizen auch örtlich und verursachen schließlich<br />

Entzündungszustände der Darmwände, die sogenannte Kolitis. Der arme Patient ist<br />

dann wirklich auf schlechtem -Wege. Denn wenn durch Verfeinerung der Kost die<br />

natürliche Anregung des Darmsystems wegfällt, so erhalten die Muskeln nicht mehr<br />

den normalen Anreiz, ziehen sich nicht mehr normal zusammen und arbeiten daher<br />

nicht mehr normal. Als Endergebnis zieht die Nichtausübung der Darmfunktion den<br />

Verlust der Funktionsfähigkeit nach sich; die Muskeln werden immer schwächer und<br />

geben schließlich ihre Tätigkeit auf.<br />

Das sollte eigentlich genügen, um dem Leser auch in diesem Zusammenhang<br />

wieder deutlich zu machen, wie schwer die wichtige Funktion der Eingeweidemuskeln<br />

durch die unnatürliche Verfeinerung unserer Kost behindert wird. Um diese Tatsache<br />

kommt man nicht herum. Da die Kenntnis dieser Dinge von größter Wichtigkeit für<br />

alle zivilisierten Menschen ist, sollten solche Warnungen durch die Radiosender<br />

verkündet werden. Wer könnte dann noch weiterhin die übliche verfeinerte Kost als<br />

Hauptnahrung beibehalten?<br />

6. KAPITEL<br />

Die Haut und ihre vernachlässigten Funktionen<br />

Hätte uns die Natur für ein Leben in Kleidern und Häusern eingerichtet, so hätte sie<br />

uns ohne Zweifel mit geeigneten Schutzvorrichtungen in die Welt gesetzt, wie sie auch<br />

der Schnecke ihr Gehäuse mitgibt. Denn wir können mit Sicherheit annehmen, daß die<br />

66


Natur keine notwendige Vorsorge außer acht läßt und nichts den Launen des Zufalls<br />

preisgibt.<br />

Wenn die Natur uns nun einerseits nicht mit Häusern und Kleidern versehen hat und<br />

daher wohl beabsichtigte, daß wir ohne diese Schutzvorrichtungen leben sollten, was<br />

wir — die menschliche Familie — ja auch ungezählte Jahrtausende getan haben, so hat<br />

sie uns andererseits doch auch nicht wehrlos dem wechselnden Schicksal überlassen,<br />

das uns aus unserer Umgebung erwächst.<br />

Wir sind gewohnt, die Haut als schützende Hülle für den Körper zu betrachten, die<br />

gleichzeitig das Blut am Austritt aus dem Körper verhindern soll. Aber damit haben<br />

wir nicht tief genug unter der Oberfläche geforscht.<br />

Bei näherer Betrachtung der menschlichen Haut finden wir, daß sie ein äußerst<br />

kompliziertes und wichtiges Organ ist. „0rgan“ — das hätte der Leser wohl nicht<br />

vermutet. Und dennoch stimmt es! Die Haut ist unser Kleid und unser Haus — die<br />

Schutzvorrichtung gegen die plötzlichen Veränderungen in unserer Umwelt. In ihr hat<br />

unser Abwehrmechanismus seinen Sitz, und diese Vorrichtung ist unendlich viel<br />

vollkommener als alles, was wir uns als Bekleidung und Behausung ausdenken<br />

können.<br />

Wie sieht dieser Abwehrmechanismus aus?<br />

Vor allem ist die Haut eine isolierende Bedeckung. Unser Körper entwickelt seine<br />

eigene innere Wärme. Die normale Haut hält diese Wärme bei kaltem Wetter<br />

zusammen und stößt sie bei heißem Wetter aus. Die Haut verhütet auch, daß die<br />

atmosphärische Kälte Zutritt zu den tiefer liegenden Teilen des Körpers erhält. Hätten<br />

wir die Haut nicht, so würde der Körper im Winter erfrieren und in sommerlicher<br />

Hitze verschmachten.<br />

Die Haut atmet auch. Sie ist sozusagen eine zusätzliche Lunge, die belebenden<br />

Sauerstoff aufnimmt und giftige Kohlensäure sowie andere gasförmige Gifte und im<br />

Schweiße gelöste Giftstoffe ausstößt.<br />

Die Haut enthält auch Talg<strong>dr</strong>üsen, deren Absonderung, eine ölige Substanz, sich<br />

über ihre Oberfläche ausbreitet. um die Haut weich und geschmeidig zu erhalten und<br />

ihr Rauhwerden und Springen zu verhindern.<br />

Die bloße oberflächliche Schönheit des Körpers, seine äußere Erscheinung, wie sie<br />

hauptsächlich im Antlitz zum Aus<strong>dr</strong>uck kommt, ist zu einem großen Teil von dem<br />

Zustand der Hautfunktion des ganzen Körpers abhängig.<br />

Die Haut ist also eines der wichtigsten Organe unseres Körpers und hat eine<br />

ungeheure Bedeutung. Sie ist für unser Leben so wichtig. daß der Mensch rasch<br />

sterben müßte, wenn alle Hauttätigkeit ausgeschaltet würde.<br />

Das ist keine Phantasie und auch keine bloße theoretische Behauptung. Anläßlich<br />

einer Papstwahl in Rom wurde ein schönes, gesundes Kind mit Goldfarbe bestrichen,<br />

um einen Engel darzustellen. In ganz kurzer Zeit starb das Kind, weil die Haut nicht<br />

mehr arbeiten konnte, Dieses Beispiel ist bekannt, desgleichen die Tatsache, daß<br />

Verbrennungen, die größere Teile der Haut zerstören, zur Selbstvergiftung und damit<br />

zum Tode führen, selbst wenn gar keine anderen Organe verletzt sind.<br />

Ist ein so wichtiges Organ nicht eingehender Betrachtung wert? Unbedingt.<br />

Anatomisch gesehen, besteht die Haut aus einer großen Menge<br />

übereinandergelagerter Zellen, die unregelmäßig auf verschiedene Schichten verteilt<br />

sind. Die wenigen äußeren Zellenschichten bestehen aus einer hornigen Substanz und<br />

enthalten keine Blutgefäße. Diese Schichten, die miteinander die Oberhaut oder<br />

67


Epidermis bilden, schützen die Oberfläche unseres Körpers vor leichten<br />

Beschädigungen durch Reibung und verhindern das Austreten des Blutes. Die tieferen<br />

Schichten wimmeln von kleinen, Kapillaren genannten Blutgefäßen, die eine sehr<br />

wichtige Rolle beim Ausgleichen der Körpertemperatur spielen und sie unabhängig<br />

von der Außentemperatur konstant auf 36 bis 37 ° C erhalten. Diese Blutgefäße stehen<br />

in naher Verbindung mit dem sympathischen oder Reflexnervensystem und werden<br />

ausschließlich von ihm kontrolliert.<br />

Organe, die unter der Kontrolle des Reflexnervensystems stehen, können von<br />

unserer Einsicht oder unserem Willen nicht beeinflußt werden; sie reagieren nur auf<br />

Anreize, die sie durch irgendeine außerhalb ihrer selbst liegende Quelle erhalten, sei es<br />

durch die Sekretion eines andern Organs oder einer Drüse des Körpers, sei es durch<br />

einen physikalischen Einfluß, wie Einwirkung von Hitze oder Kälte. Und diese vom<br />

Reflexnervensystem her kontrollierten Organe funktionieren nur dann normal, wenn<br />

sie durch die Einwirkung ihrer natürlichen Reizquellen dazu angeregt werden.<br />

Miteinander bilden die Blutgefäße, die so zahlreich in den tieferen Lagen der Haut<br />

und in den unmittelbar unter der Haut liegenden Geweben verteilt sind, ein riesiges,<br />

stark verzweigtes System winzig kleiner Röhren mit elastischen Wänden. Dieses<br />

System wird von zum Reflexnervensystem gehörenden Nervenfasern, deren<br />

hochempfindliche Enden als „Fühler“ in der Hautoberfläche eingebettet sind,<br />

kontrolliert. Stellen wir uns diese kleinen Röhren vor, wie sie, um ihre<br />

Leistungsfähigkeit zu vergrößern, ihre dehnbaren Wände auseinanderziehen, wenn die<br />

empfindlichen Nervenenden der Hautoberfläche mit äußerer Hitze in Berührung<br />

kommen, während sie sich bei äußerer Kälte zusammenziehen. Denken wir uns einen<br />

heißen Tag. Die erhitzte Atmosphäre tritt mit den Nervenenden der Haut in Berührung,<br />

was die Blutkapillaren veranlaßt, sich auf ihren doppelten Umfang auszudehnen.<br />

Dabei füllen sich die Kapillaren mit warmem rotem Blut vom Innern des Körpers her,<br />

und dessen Wärme wird nun in den Raum gestrahlt, so lange, als die äußere Hitze das<br />

Blut zu den Hauptkapillaren zieht.<br />

Es geht dabei aber noch mehr vor sich. Über die ganze Haut sind zwei Systeme<br />

kleiner, senkrecht zur Hautoberfläche stehender Drüsengebilde verteilt, die Fett<strong>dr</strong>üsen<br />

und die Schweiß<strong>dr</strong>üsen, die innen in geschlossenen Säckchen enden. Ein Netz von<br />

Blutkapillaren umgibt diese geschlossenen Säckchen, besonders die der<br />

Schweiß<strong>dr</strong>üsen. Wenn die äußere Temperatur so hoch steigt, daß sie die Körperwärme<br />

über die normalen 37 ° C hinauftreibt, so dehnen sich diese Kapillaren aus und füllen<br />

sich mit warmem Blut aus dem Körperinnern; die Ausscheidungszellen, die die<br />

Innenwand der Schweiß<strong>dr</strong>üsen bekleiden, ziehen dann große Mengen warmer<br />

Flüssigkeit in Form von Schweiß aus dem Inhalt dieser ausgedehnten Blutgefäße.<br />

Dieser warme Schweiß breitet sich in dünnem Überzug über die Oberfläche der Haut<br />

aus, so daß die Wärme rasch in den Raum ausstrahlt. Je höher die äußere Hitze steigt,<br />

desto energischer setzt diese Wärmestrahlung und Wärmeentziehung durch<br />

Schweißabsonderung ein. Sowie aber die äußere Hitze sinkt, vermindert sich auch die<br />

Schweißabsonderung in demselben Maße. Dieser Ausgleich der Körperwärme<br />

geschieht ganz unabhängig vom bewußten Wollen oder von der Erkenntnis, einzig und<br />

allein durch den Mechanismus der Reflexnerven und ihre empfindlichen, in der Haut<br />

liegenden Endfühler.<br />

Natürlich kann Schwitzen auch durch andere Mittel hervorgerufen werden als durch<br />

die Einwirkung äußerer Wärme, zum Beispiel bei großen Muskelanstrengungen durch<br />

68


die innere Wärme des Körpers. Tatsache ist aber jedenfalls, daß 90 Prozent der<br />

Wärmeausstrahlung des Körpers durch die Haut erfolgen.<br />

Weiter enthält die Haut noch den pigmentbildenden Mechanismus, eine Vorkehrung<br />

der Natur, durch die eine Schicht dunkler Farbstoffe (Pigmente) in den tieferen Lagen<br />

der Haut gebildet wird, wenn der nackte Körper lange Zeit den Sonnenstrahlen<br />

ausgesetzt ist. Der Zweck dieser Einrichtung besteht darin, gewisse erhitzende,<br />

reizende und schädliche Bestandteile der Sonnenstrahlen vom Innern des Körpers<br />

fernzuhalten.<br />

Besonders wichtig ist die Art und Weise, wie die Haut die Körperwärme zurückhält<br />

und sie verhindert, in den Raum zu entweichen, wenn die atmosphärische Kälte die<br />

Körpertemperatur unter ihren normalen Stand herabzusetzen <strong>dr</strong>oht. Die ganze<br />

Oberfläche unseres Körpers ist mit feinen Härchen bedeckt, die teils sichtbar, teils<br />

unsichtbar sind. An den Wurzeln dieser Härchen (richtiger gesagt: am Grunde der<br />

kleinen Haarwurzelknollen) befinden sich kleine Muskeln, die „Haaraufrichter“<br />

(Arrectores pilorum) genannt werden. Das eine Ende dieser Muskeln ist an den<br />

Haarwurzeln befestigt, das andere an der unteren Seite der Haut. Wenn starke Kälte<br />

auf die Haut einwirkt und eine Herabsetzung der inneren Körperwärme <strong>dr</strong>oht, ziehen<br />

sich diese kleinen Muskeln zusammen, und die feinen Härchen richten sich auf. Das<br />

ist die Erscheinung der „Gänsehaut“. Aber der Zweck dieser Zusammenziehung ist<br />

nicht, die Haare „zu Berge“ stehen zu lassen, vielmehr pressen sich dann die lose<br />

zusammenhängenden Zellen, die unsere Außenhaut bilden, gegeneinander, so daß<br />

sozusagen alle Zwischenräume geschlossen werden. Auf diese Weise wird der Körper<br />

gegen das Einströmen der äußeren Kälte abgeriegelt; überdies wird dadurch die<br />

Abstrahlung der Körperwärme nach außen verhindert. Zu gleicher Zeit werden die<br />

Schweiß<strong>dr</strong>üsen veranlaßt, ihre Öffnungen in der Hautoberfläche zusammenzuziehen,<br />

und die Zellen, welche die Innenwände dieser Drüsen bekleiden, erhalten den Befehl,<br />

die Schweißausscheidung zu unterbrechen. So wird die unmerkliche Ausdünstung, die<br />

fast ununterbrochen über den ganzen Körper stattfindet, um die Körperwärme<br />

auszustrahlen, abgeschnitten. Weiter werden die Blutgefäße in der Haut und<br />

unmittelbar darunter angewiesen. sich zusammenzuziehen, wodurch das in ihnen<br />

enthaltene Blut in das warme Innere des Körpers zurückge<strong>dr</strong>ängt wird; daher wird die<br />

Haut bei der ersten Fühlungnahme mit starker äußerer Kälte stets etwas blasser. Der<br />

Kontakt der Kälte mit der Haut wirkt aber als starker Anreiz auf die Atmungsorgane,<br />

und während die oben beschriebenen Vorgänge stattfinden, hat der Körper bereits<br />

begonnen, tiefer zu atmen und mit jedem Atemzug große Mengen von Sauerstoff in<br />

das Blut überzuführen. Dieser Sauerstoff wirkt als Reizmittel auf das Herz, das seine<br />

Schläge beschleunigt und seine Tätigkeit steigert; dadurch wird das Blut, mit Wärme<br />

geladen, zur Hautoberfläche zurückgetrieben. Inzwischen ist an die Kapillaren in der<br />

Haut der Befehl ergangen, sich wieder auszudehnen, um diesen Rückstrom von<br />

warmem Blut zu ermöglichen, und wiederum gehorchen sie unverzüglich, was man<br />

selbst feststellen kann, weil die Haut im Kontakt mit der Kälte nach einer kurzen<br />

Weile rot wird. Aber die Hautzellen sind jetzt zusammengepreßt, ihre Zwischenräume<br />

sind geschlossen und die Drüsengänge desgleichen; daher kann das in die<br />

Oberflächenkapillaren ge<strong>dr</strong>ängte warme Blut seine Wärme nicht nach außen abgeben;<br />

sie strahlt vielmehr nach innen und verhindert so ebenfalls den Kältezutritt nach dem<br />

Körperinnern. Nun kommt aber noch etwas dazu. Als der Kontakt der Haut mit der<br />

Kälte den Körper veranlaßte, tiefer zu atmen und auf diese Weise mehr Sauerstoff<br />

69


aufzunehmen, machte sich dieser Sauerstoff unverzüglich daran, die noch nicht<br />

verarbeiteten Kohlehy<strong>dr</strong>ate der letzten Mahlzeit zu verbrennen, um noch mehr<br />

Körperwärme freizumachen. Sind keine solchen Kohlehy<strong>dr</strong>ate vorhanden, so<br />

verbrennt der Sauerstoff das Körperfett. Außerdem bewirkt er die beschleunigte<br />

Verbrennung der Zellenabfallstoffe im Körper und deren Ausscheidung als Gas oder<br />

Flüssigkeit oder in anderer Form.<br />

Dieser umfangreiche Verbrennungsprozeß entwickelt zusätzliche Körperwärme, die<br />

durch die Zusammenpressung der äußeren Hautzellen und die Schließung der<br />

Schweiß<strong>dr</strong>üsen weitgehend im Körper zurückgehalten wird.<br />

So dient derselbe Verteidigungsmechanismus einem doppelten Zweck: in der<br />

Sommerhitze schützt er den Körper vor dem Verbrennen und im Winter vor dem<br />

Erfrieren. Die Art seiner Tätigkeit hängt ganz von der Art der natürlichen Anreize ab,<br />

die auf die empfindlichen Nervenenden in der Hautoberfläche wirken.<br />

Die Berührung der Haut mit ihrer Umgebung hat aber noch andere Folgen. Wenn<br />

das Blut durch tiefes Atmen, das dem Kontakt der Haut mit der äußeren Kälte folgt,<br />

reicher mit Sauerstoff geladen wird, muß auch das Herz mit größerer Kraft und<br />

Schnelligkeit arbeiten. Dadurch wird das sauerstoffreiche Blut in alle Organe gepumpt.<br />

Da die Organe aus Stoffen aufgebaut sind, die ihnen durch das Blut zugeführt werden,<br />

haben sie auf diese Weise die Möglichkeit, neue Aufbaustoffe aufzunehmen und dafür<br />

die alten, verbrauchten wieder an das Blut zurückzugeben. Gewisse Organe, wie zum<br />

Beispiel die Sekretions<strong>dr</strong>üsen, haben dabei noch den Vorteil erhöhter Zufuhr von<br />

Rohstoffen zur Bildung der Absonderungen, die sie dem Körper liefern, um ihm auf<br />

diese Weise Wirkstoffe zuzuführen, ohne die bestimmte Organe oder Drüsen nicht<br />

arbeiten können. Andere Drüsen haben die Aufgabe, dem kreisenden Blute Giftstoffe<br />

zu entnehmen und sie so aus dem Körperhaushalt zu entfernen. Den ersten Vorgang<br />

nennen wir Sekretion, den zweiten Exkretion.<br />

Die gesteigerte Tätigkeit des Herzens, der Blutgefäße, der Lungen, der Drüsen im<br />

ganzen Körper, der Haut selber, und die gesteigerten rhythmischen<br />

Zusammenziehungen der Muskelfasern über den ganzen Körper erzeugen gleichfalls<br />

zusätzliche Wärme, die in den Blutstrom übertritt und von ihm ununterbrochen der<br />

Haut zugeführt wird; infolgedessen vermag die äußere Kälte, mit der der Körper in<br />

Kontakt ist, nicht in ihn einzu<strong>dr</strong>ingen.<br />

Wir sehen aus diesen Darlegungen, daß in unserem Körper als Folge der<br />

Kälteeinwirkung auf unsere Haut eine ganze Kette von Reflextätigkeiten stattfindet;<br />

diese Kette nenne ich die „Hautreflexkette“. Ihre Funktionen können aber nur dann<br />

kräftig angeregt werden, wenn die Haut dauernd ihre natürlichen Anreize aus ihrer<br />

Umgebung erhält. Mit anderen Worten: die Haut soll immer fähig und bereit sein, den<br />

Körper gegen die Angriffe, die ihm aus seiner Umwelt erwachsen, zu verteidigen; die<br />

Kraft dazu erhält sie von selbst infolge der beständigen Anstrengung, die Umwelt zu<br />

meistern.<br />

Allerdings gilt das nur für die normale, gesunde menschliche Haut. Und hier stoßen<br />

wir gleich auf eine Schwierigkeit. Wie viele Menschen unserer Zeit haben eine<br />

normale, gesunde Haut? Leider nur wenige!<br />

Pusteln, Ausschlag und alle Arten von ähnlichen Entstellungen sind freilich<br />

Beweise nicht nur einer kranken Haut, sondern auch eines kranken Körpers. Die Haut<br />

kann nicht mit Ausschlag versehen oder anderswie gereizt sein, wenn der Körper ganz<br />

gesund ist. Diese Behauptung wird, das weiß ich, ungefähr neunundneunzig Prozent<br />

70


meiner Leser verblüffen; das kommt, ich wiederhole es, von der Gewohnheit, nicht<br />

unter die Oberfläche der Dinge zu schauen.<br />

Es ist in diesem Rahmen unmöglich, alle Funktionen der Haut eingehend zu<br />

studieren. Wir wollen hier nur eine derselben, die Verteidigung gegen die Umwelt,<br />

herausgreifen und näher betrachten; dasselbe Prinzip beherrscht auch ihre andern<br />

Funktionen.<br />

Betrachten wir einmal die Gewohnheit der zivilisierten Menschheit, den Körper in<br />

mehrere Schichten sozusagen luftdicht abschließender Kleidungsstücke einzuwickeln.<br />

Wie in aller Welt kann sein Abwehrmechanismus erstarken, wenn jedes erdenkliche<br />

Hindernis zwischen ihn und seine natürlichen Anreizquellen gelegt wird, ohne deren<br />

Einwirkung er gar nicht in normale Funktion treten kann?<br />

Es versteht sich von selbst, daß ein von so schwächlicher Haut bedeckter Körper<br />

keine Freude an der Berührung mit kaltem Wasser hat; er schreckt davor zurück. Er<br />

schreckt vor Kälteberührungen jeder Art zurück, und nichts beweist deutlicher, daß<br />

seiner Abwehrbedeckung die Lebenskraft entzogen ist, daß die Natur ein Sühnegeld<br />

für das übertretene Gesetz einfordert und das zu wenig benützte, in seinen Funktionen<br />

beständig gestörte Organ verkümmern läßt.<br />

Aber nicht allein die Abwehrfunktion der Haut wird zerstört und muß verkümmern, in<br />

jeder Zelle des Körpers wird eine ähnliche Abwehreinrichtung vernichtet, denn die mit<br />

der Haut verbundenen Funktionen bilden ja, wie wir gesehen haben, eine ganze lange<br />

Kette. Die Haut ist das reflexerzeugende Zentrum, und wenn der Reflex aus<br />

mangelnder Anregung nicht mehr erzeugt wird, muß die ganze Kette der Funktionen<br />

versagen. Kein Wunder, wenn Zugluft in den zarten und empfindlichen inneren<br />

Organen Erkältungen und Krankheiten hervorruft, die unnatürliche und daher durchaus<br />

unnötige Erscheinungen sind.<br />

Und doch gibt es viele Menschen — darunter auch die nicht denkenden Ärzte —, die<br />

viele und schwere Kleider als gesund betrachten, weil sie den Körper „vor der Wut der<br />

Elemente zuverlässig beschützen“. Solche Leute, seien sie Laien oder <strong>med</strong>izinische<br />

Fachleute, sind nie tiefer in diese Probleme einge<strong>dr</strong>ungen, sondern stets an der<br />

Oberfläche geblieben. Hätten sie tiefer geforscht, so hätten sie sich vielleicht doch<br />

gefragt, wie es kommt, daß Hände und Gesicht in Berührung mit derselben Kälte, die<br />

jeden anderen, gewöhnlich durch viele übereinanderliegende Kleidungsstücke<br />

beschützten Körperteil aufs empfindlichste und heftigste reizen würde, nicht im<br />

geringsten leiden. Und sie hätten sich wohl auch um eine Erklärung der allen Ärzten<br />

mit ausgedehnter Vorstadtpraxis in großen Industriestädten bekannten Tatsache<br />

bemüht, daß unter dem oft nur halbbekleideten, zerlumpten, ungewaschenen<br />

Nachwuchs der untersten Bevölkerungsklassen Erkältungen, Bronchialerkrankungen,<br />

Influenza, Lungenentzündung, usw. verhältnismäßig selten vorkommen. Ich habe eine<br />

ziemliche Erfahrung auf diesem Gebiet und kann davon sprechen.<br />

Ich behaupte keineswegs, daß solche Krankheiten in ärmlichen Verhältnissen nur<br />

vereinzelt auftreten, dennoch kann man ihr Vorkommen selten nennen, verglichen mit<br />

ihrem Wüten unter den wohlhabenden, gutgekleideten Bürgern derselben Städte, die<br />

oft in solchem Ausmaße darunter leiden, daß der Beobachter längst aufgehört hat, sich<br />

darüber zu verwundern, ja, daß sie als Beigabe zu den natürlichen Lebensbedingungen<br />

angesehen werden, die jenseits menschlicher Verantwortung liegt. Diesen Zustand<br />

finden wir aber nur in der Zivilisation und nirgends in den unzivilisierten Ländern,<br />

nirgends bei natürlich lebenden Menschen, die weniger „gut gekleidet“, weniger „gut<br />

71


genährt“, weniger „gut untergebracht“ sind als wir. Das mahnt zum Aufsehen.<br />

Wer da glaubt, es sei wichtig, sich „gut zu kleiden“, und dabei an dicke, schwere<br />

Kleidung denkt, findet auch keine Erklärung für die merkwürdige Erscheinung jener<br />

Indianer an der Küste des Stillen Ozeans, die ich manchmal barfuß in wässerigem,<br />

schmutzigem Schnee umherwaten sah, nur mit baumwollenen Hemden und<br />

zerschlissenen Hosen bekleidet oder auch bloß in einer Ärmelschürze als einziger<br />

Körperbedeckung, die aber in keiner Weise unter der Kälte zu leiden, noch sie<br />

überhaupt zu empfinden schienen. Die Indianer selbst aber hatten eine Erklärung.<br />

Einen Alten fragte ich, wie er es mache, um die Kälte so gut auszuhalten und<br />

anscheinend nicht einmal zu fühlen. Er antwortete: „Bei mir alles Gesicht.“ Das ist die<br />

Erklärung dieses Phänomens in einer Nußschale. Wir lernen daraus nicht nur, daß die<br />

wirklich normale Haut den Kontakt mit äußerer Kälte in jeder Form ertragen kann,<br />

sondern auch, daß eine solche natürliche Anregung für sie ein Bedürfnis und ein<br />

Genuß ist.<br />

So läßt sich auch begreifen, wie eine kleine Musikantentruppe von den Philippinen,<br />

die im Jahre 1904 eine Tournee in den Vereinigten Staaten machte, nachdem sie<br />

vorher an der Weltausstellung in St. Louis tätig gewesen war, eines Tages lächelnd<br />

durch die verschneiten Straßen von Philadelphia gewandert kam, ohne weitere<br />

Bekleidung als ihre Hosen; der klatschnasse Schnee <strong>dr</strong>ückte sich glucksend zwischen<br />

den Zehen hindurch, die Flocken lagen hell auf der nackten Haut und schmolzen dort;<br />

die Männer schienen die Kälte gar nicht zu beachten. Ich sah dieselben Männer später<br />

im Hörsaal, wo ich mithalf, am Beispiel ihrer Füße einer Gruppe von<br />

Orthopädiestudenten den vollkommenen Fuß zu demonstrieren, und hatte Gelegenheit,<br />

mit verschiedenen von ihnen zu sprechen. Sie erzählten mir, in ihrer Heimat hätten sie<br />

nie Schnee gesehen; aber sie empfanden die Kälte nicht, und ich konnte ihnen dies<br />

glauben, denn ihre Haut fühlte sich durchaus warm an. Ich ließ es mir angelegen sein,<br />

nachträglich zu erfahren, ob sie sich auf diesem Marsch durch den Schnee erkältet<br />

hätten; doch sie lachten über die Vermutung, daß sie sich hätten erkälten können.<br />

Diese Beobachtungen führen alle zu derselben Feststellung: daß die zivilisierten<br />

Menschen ihr normales Verhalten weitgehend verloren haben; es hat sich in ihnen die<br />

Vorstellung herausgebildet, das Endziel des Lebens sei nicht körperliche Ertüchtigung,<br />

sondern Bequemlichkeit und physisches Behagen. Man kann zwar nicht bestreiten, daß<br />

dies der Endzweck der Kultur ist, aber das Endziel des Lebens ist es keineswegs.<br />

Es gibt zwei Lebensauffassungen. Die eine zielt auf behagliches Wohlleben, die<br />

andere auf körperliche und seelische Tüchtigkeit, Lebendigkeit, Männlichkeit. Die<br />

Grundidee der ersten Auffassung läßt sich in dem Bild einer Schlange darstellen, die<br />

soeben eine Beute verschlungen hat und sich nun an einem sonnigen Plätzchen<br />

zusammenrollt, um ihr Verdauungsschläfchen zu halten. Die Grundidee der zweiten<br />

Auffassung symbolisiert der Jagdhund, der an der Leine zerrt, das Rennpferd, das<br />

ungeduldig wiehernd mit seinen Hufen scharrt. Der bequeme Mensch scheut sich<br />

davor, sich körperlichen Beschwerden auszusetzen, und trachtet daher, jede<br />

Anstrengung zu vermeiden und sein Dasein in einer weichen, trägen, schläfrigen<br />

Weise zu genießen. Der gesunde, tatenfreudige Mensch dagegen sucht Anstrengungen<br />

auf, setzt sich den Einwirkungen der Umwelt aus und trachtet so, die dem Körper<br />

innewohnende Verteidigungskraft durch Übung zu stärken, wie man es mit seinen<br />

Muskeln oder seinem Gedächtnis macht, wenn man sie zu entwickeln wünscht; das<br />

Endziel ist körperliche Tüchtigkeit, welche Lebenskraft und Widerstandsfähigkeit<br />

72


erzeugt.<br />

Die Anhänger dieser lebendigen Lebensauffassung wissen, daß der Körper nur<br />

durch Überwinden von Schwierigkeiten lernen kann, Schwierigkeiten zu überwinden;<br />

nur durch Widerstandsleistung wird er widerstandsfähig; nur durch Kraftentwicklung<br />

bis zur Grenze der Erschöpfung kann er sich kräftigen. Und ob diese Leute nun von<br />

physiologischen oder natürlichen Gesetzen schon etwas gehört haben oder nicht, sie<br />

wissen jedenfalls, daß die Körperfunktionen nur durch immerwährendes, kräftiges<br />

Funktionieren und durch beständige Erfüllung der ihnen zugedachten Aufgaben zur<br />

vollen Ausübung ihrer Kräfte fähig werden können.<br />

Jedermann, sogar der Anhänger des schlaffen und weichen Lebens, der Genüsse<br />

und des üppigen Behagens, weiß, wie notwendig es ist, die willkürlichen Muskeln<br />

regelmäßig und hart arbeiten zu lassen, um kräftige Beweglichkeit zu erreichen. Er<br />

sieht aber in dieser Tatsache nicht das allgemeine Prinzip oder das natürliche Gesetz,<br />

das auf alle Organe und Funktionen anzuwenden ist. Verehrer der weichen Lebensart<br />

können dieses Prinzip auch gar nicht sehen, denn wir alle finden überall nur das,<br />

wonach wir suchen. Und die schlaffen Menschen suchen bloß Ausreden für ihr<br />

Verhalten und immer neue Gelegenheiten, sich zu pflegen und zu verwöhnen. Nur von<br />

dem Menschen, der selber wünscht, körperlich tüchtig zu werden, also Tüchtigkeit<br />

sucht, können wir erwarten, daß er die Naturgesetze erkennt, die darauf hinzielen,<br />

solche körperliche Tüchtigkeit zu entwickeln.<br />

In unserer Zivilisation gibt es allerdings noch sehr wenige Anhänger dieser<br />

Körperbereitschaft. Die meisten Kulturmenschen sind Anhänger von Luxus und<br />

Verweichlichung. Sie sind nach und nach zu dem Glauben gelangt, daß es vorteilhafter<br />

sei, die natürlichen Abwehrkräfte des menschlichen Körpers durch stellvertretende<br />

Einrichtungen menschlicher Erfindung zu ersetzen und durch sie den Körper<br />

beschützen zu lassen, anstatt seine natürlichen Abwehrkräfte genügend zu verwerten,<br />

und künstlichen Schutz nur im Notfall in Anspruch zu nehmen.<br />

73


7. KAPITEL<br />

Unterentwickelte Muskeln<br />

Der Kulturmensch kann sich an Torheiten und Unnatürlichkeiten nicht genug tun. Er<br />

feiert auf allen Lebensgebieten wahre Orgien gedankenloser oder eigenwilliger<br />

Übertretungen der Naturgesetze. Selbst wenn ich fünfzig Bücher über naturwi<strong>dr</strong>ige<br />

Lebensgewohnheiten der Kulturmenschheit schreiben würde, käme ich damit immer<br />

noch an kein Ende. Man kann ohne zu übertreiben behaupten, daß jede Gewohnheit,<br />

die den zivilisierten Menschen vom Wilden unterscheidet, unnatürlich ist.<br />

Diese Kritik rechtfertigt sich, wie auf allen andern, so auch auf dem Gebiete der<br />

Muskeltätigkeit. Die Funktion der Muskeln besteht darin, zusammenzuziehen —<br />

Stärke auszuüben. Und das heißt mehr, als bloß die Körperteile in Bewegung zu<br />

setzen. In dieser Richtung liegt sogar ihre geringste Bedeutung, denn solche Aufgaben<br />

können auch von stellvertretenden Kräften ausgeführt werden.<br />

Die Muskelfunktion liegt bei schätzungsweise fünfundneunzig Prozent der<br />

zivilisierten Menschheit brach; sie wird jedenfalls nur schlecht geübt. Die Folgen<br />

bleiben denn auch nicht aus. Ist es wohl ein bloßer Zufall, daß unsere Muskeln so fest<br />

und großer Kraftentwicklung fähig sind? Ich bin im Gegenteil davon überzeugt, daß<br />

ihre Beschaffenheit Teil eines Planes ist. Der Plan aber deutet auf einen Geist, der ihn<br />

entworfen hat. Nehmen wir einen solchen Geist an, so schließen wir auf einen Zweck;<br />

dieser Zweck bezieht sich auf eine Funktion, die Funktion auf ein Bedürfnis, das<br />

Bedürfnis auf eine Notwendigkeit — und zwar die Notwendigkeit, das Organ so zu<br />

gebrauchen, wie es seiner Beschaffenheit nach zum Gebrauch bestimmt ist. Damit sind<br />

wir am Ende und zugleich wiederum am Ausgangspunkt des Kreises.<br />

Das bloße Vorhandensein unserer Muskeln verlangt Benützung. Wenn das wahr ist,<br />

so ist auch wieder wahr, daß ihre Dicke, ihre Stärke eine kräftige Benützung<br />

verlangen. Die Natur macht keine Fehler. Sie versieht uns nicht mit Organen, die fähig<br />

sind, eine große Funktionskraft auszuüben, ohne von uns auch diese Ausübung in<br />

weitestgehendem Maße zu verlangen. Und dieses Verlangen können wir nicht<br />

ungestraft überhören. Diese Wahrheit müssen wir uns sehr gut merken. Er ist der<br />

Fluch der Zivilisation, daß wir solche Wahrheiten rein theoretisch erfassen. Wir<br />

versuchen beständig, die Natur zu hintergehen und uns ihr zu entziehen.<br />

Das Vorhandensein der kräftigen Muskeln deutet auf die Notwendigkeit einer<br />

gewaltigen Verausgabung an Muskelkräften. Das ist nicht meine Folgerung, es ist die<br />

der Natur. Und hinter den Folgerungen und Forderungen der Natur steht die ganze<br />

Gewalt der Naturgesetze. Gehorche oder zahle, benütze oder verliere; das sind die<br />

Argumente der Natur. Gehorchen heißt: einfach und natürlich leben. Natürlich leben<br />

heißt: normal sein. Normal sein heißt: einen vollkommenen Körper besitzen. Einen<br />

vollkommenen Körper besitzen heißt: frei von Krankheit und ihr nicht unterworfen<br />

sein.<br />

Gewisse Gesetze für natürliches Leben, für einfaches Leben, die jedermann bei<br />

richtigem Willen gut verstehen und befolgen kann, sind als Richtschnur für unser<br />

persönliches Leben aufgestellt, damit der Mensch in Übereinstimmung mit ihnen<br />

seinen vollen Erdenzyklus vollbringen und sich eines langen, kraftdurchpulsten<br />

Daseins erfreuen kann. Aber der einzelne nimmt sich nicht einmal die Mühe, zu<br />

74


untersuchen, welche Art Leben die Natur von ihm fordert; er bemüht sich bloß zu<br />

ergründen, wie er am liebsten lebt. Dieser Mangel an Achtung vor den natürlichen<br />

oder göttlichen Gesetzen und die Einstellung auf das eigene Selbst werden zu ihrer<br />

Zeit ihren Preis gebieterisch fordern. Krankheit und meistens ein früher Tod — immer<br />

jedenfalls ein weit früherer Tod, als es in der Absicht der Natur lag, wie lange auch der<br />

einzelne Lebensablauf dauern mag — werden der zu zahlende Tribut sein.<br />

Es ist ja gar nicht zu vermeiden, daß die zivilisierten Lebenseinrichtungen<br />

unnatürlich sind, solange die moderne Menschheit an der allgemein verbreiteten<br />

Überzeugung festhält, daß Behaglichkeit, Muße, Fernhalten jeder körperlichen,<br />

geistigen und moralischen Anstrengung, Übersättigung, leckere und verfeinerte<br />

Speisen, kurz, üppige Verweichlichung die wahren Ziele des Lebens sind. Ich stelle<br />

mir vor, daß solche und ähnliche Selbsttäuschungen auf folgende Art entstanden sein<br />

mögen:<br />

Ein Mensch in mittlerem Lebensalter hält sich schon seit Jahren von körperlicher<br />

Betätigung zurück, weil er sich schonen zu müssen glaubt. Eines Tages verlangen<br />

unerwartet eingetretene Umstände von ihm die Anstrengung seiner Kräfte bis an ihre<br />

äußerste Grenze. Er bricht zusammen und stirbt wohl gar in der Folge. Logische<br />

Schlußfolgerung: die Körperanstrengung hat ihn umgebracht. Aber dieser Schluß ist<br />

verkehrt — ganz und gar verkehrt. Er hatte sich so lange geweigert, den Befehl der<br />

Natur auszuführen und seine Muskeln in Übung zu erhalten, bis der Augenblick<br />

gekommen war, in dem er dafür zahlen mußte — und er hat gezahlt.<br />

Wir pflegen zu verallgemeinern, und als Basis für unsere Verallgemeinerungen<br />

dienen uns die täglichen Beobachtungen; aber während wir beobachten, bleiben wir an<br />

der Oberfläche der Dinge und untersuchen sie nicht genügend tief. Weil Menschen<br />

manchmal nach geleisteten Anstrengungen zusammenbrechen, sagen wir, die<br />

Anstrengung habe sie umgeworfen. Wir überlegen nicht, warum diese bestimmte<br />

Anstrengung ihnen verhängnisvoll wurde. Müßten wir es oft erleben, daß<br />

Anstrengungen einen Menschen töten, dann hätten wir einigen Grund zu solchen<br />

Behauptungen. Aber wir wissen doch schließlich auch, daß es eine Ausnahme ist,<br />

wenn Menschen nach einer Anstrengung zusammenbrechen oder gar sterben; daher<br />

sollte unsere richtige Folgerung die sein, daß wir die Schuld an der Katastrophe in<br />

Ereignissen oder Verhältnissen suchen, welche dieser Anstrengung vorausgingen.<br />

Physiologisch lassen sich so <strong>dr</strong>astische Fälle der Überanstrengung durch den<br />

Vergleich mit Gartenschläuchen und Autoreifen verständlich machen.<br />

Die Funktion eines Gartenschlauchs ist, Wasser zu fassen und weiterzuleiten,<br />

während die eines Autoreifens darin besteht, gepreßte Luft zu umschließen und<br />

Gewicht zu tragen. Beide Verwendungszwecke setzen Biegsamkeit und pralle<br />

Elastizität voraus, besonders wenn die Beanspruchung längere Zeit dauert. Und jeder,<br />

der sich in diesen Dingen auskennt, weiß, daß die beste Art — eigentlich die einzige<br />

—, die Geschmeidigkeit des Schlauches und des Reifens zu erhalten, darin besteht,<br />

beide möglichst oft zu benutzen. Je mehr man Wasserschläuche und Autoreifen<br />

benützt, je größere Anforderungen man, ohne zu übertreiben, an sie stellt, desto länger<br />

behalten sie ihre wesentlichen Eigenschaften, die sie befähigen, der Beanspruchung zu<br />

genügen. Legt man sie zur Seite, ohne sie zu benützen, so sind sie nach wenigen<br />

Monaten hart und unbrauchbar geworden.<br />

Das alles gilt auch von unseren Blutgefäßen und dem Herzen. Die Blutgefäße sind<br />

elastische Röhren, deren Wandung aus unwillkürlichen Muskelfasern und elastischen<br />

75


Geweben besteht und die vom Reflexnervensystem kontrolliert werden. Ihre Funktion<br />

ist, den verschiedenen Teilen des Körpers das Blut zuzuführen. Die dazu erforderliche<br />

Pumparbeit leistet das Herz, ein mit großen Kammern versehenes Muskelgebilde, das<br />

sich beständig in raschem Wechsel zusammenzieht und wieder ausdehnt.<br />

Beim Ausdehnen des Herzmuskels füllen die Herzkammern sich mit Blut; zieht der<br />

Herzmuskel sich dann zusammen, so wird dieses Blut in bestimmte Blutgefäße — die<br />

Arterien — gepreßt, Muskelschläuche, deren elastische Wände sich ausdehnen, um<br />

das Einfließen zu erleichtern.<br />

Gleich darauf läßt aber das Herz in seiner Spannung nach, weil es sich ausdehnen<br />

muß, um seine Kammern neu zu füllen; infolgedessen schwindet der Druck, der das<br />

Blut in die Arterien getrieben hat. Während die Herzkammern sich ausdehnen, um sich<br />

wieder frisch zu füllen, schließt sich eine Klappe am Eingang der Arterien zum<br />

Herzen. Aber der Kreislauf des Blutes darf keinen Augenblick innehalten, wenngleich<br />

die Pumpkraft des Herzens während der Zeit seiner Wiederauffüllung von dem<br />

Blutstrom in den Arterien abgeschlossen ist. Deshalb ziehen sich die elastischen<br />

Wände der Arterien, die sich vorher ausgedehnt hatten, jetzt wieder zu ihrem<br />

Normalzustand zusammen und pressen dadurch das Blut erst in die Kapillaren, von<br />

dort in die Venen und dann zurück zu den Lungen und zum Herzen. Die Arterien<br />

haben sich aber kaum auf ihren gewöhnlichen Umfang reduziert, so pumpt ihnen das<br />

Herz eine neue Blutwelle zu, und sie müssen sich ungesäumt wieder ausdehnen, um<br />

das Blut aufzunehmen.<br />

Dieser Prozeß geht, solange der Körper lebt, sechzig- bis hundertmal in der Minute vor<br />

sich. Er geht vor sich, ob die willkürlichen Muskeln genügend Arbeit haben oder<br />

nicht; aber wenn die willkürlichen Muskeln nicht aktiv arbeiten, so ist die Stärke und<br />

die Häufigkeit der Herzschläge und die Menge des durch die Arterien getriebenen<br />

Blutes geringer als bei aktiver Muskelbetätigung. Machen die willkürlichen Muskeln<br />

eine vom Willen diktierte aktive Anstrengung, so muß auch das Herz größere Arbeit<br />

leisten, und dabei wird mehr Blut in die Arterien gepumpt, die dadurch zu noch<br />

stärkerer Ausdehnung und häufigeren Zusammenziehungen gezwungen werden, weil<br />

sie nur dann den verstärkten Blutkreislauf bewältigen können. Diese aktive<br />

Arbeitserhöhung der Arterienwände bedeutet also entsprechende Übung.<br />

Ruhen die Muskeln unseres Körpers, so befinden sie sich in latenter Spannung, jenem<br />

gänzlich passiven Zustand, der einen nicht gelähmten, ruhenden von einem gelähmten<br />

Muskel unterscheidet. Dauert dieser tatenlose Zustand an, so greift die Natur mit ihrem<br />

Gesetz ein und zerstört die untätigen Muskeln nach und nach; sie werden schlaff,<br />

schrumpfen zusammen und verlieren ihre Stärke, ein Zustand, der Atrophie genannt<br />

wird, und der sich schon nach einer verhältnismäßig kurzen Zeit der Ruhe und des<br />

Müßigseins bemerkbar macht. Die Muskeln beginnen alsbald steif und unelastisch zu<br />

werden. Gut durchgearbeitete Muskeln sind weich, nachgiebig und spannkräftig.<br />

Steife, aber schlaffe Muskeln zeigen dagegen zu geringe physiologische Tätigkeit an.<br />

Aber Muskel ist Muskel, und was hier von den willkürlichen Muskeln gesagt wurde,<br />

gilt natürlich auch von den unwillkürlichen.<br />

Bleiben die willkürlichen Muskeln untätig, so wird zum Beispiel auch vom Herzen<br />

eine mehr oder weniger nur passive Anstrengung verlangt. Bei längerer Dauer der<br />

Passivität ist das Herz überhaupt nur noch zu solch passiven Anstrengungen fähig; es<br />

verfällt dann auch mit der Zeit der Atrophie infolge Nichtgebrauchs. Und weil<br />

Muskeln, die einige Zeit nicht aktiv benützt worden sind, nicht nur schlaff und<br />

76


schwach, sondern auch starr und steif werden, so fangen die Wände der Blutgefäße an,<br />

steif und unelastisch zu werden, wenn der Körper aufhört, sich aktiv anzustrengen.<br />

Sind sie unelastisch, so dehnen sie sich nicht mehr normal aus, um das Blut, das aus<br />

den Herzkammern ausgestoßen wird, aufzunehmen; das Blut muß aber doch durch sie<br />

hindurchgehen. Es wird daher immer schwieriger für das sich zusammenziehende<br />

Herz, das in seinen Kammern enthaltene Blut durch die Arterien zu treiben. Von Herz<br />

und Blutgefäßen wird ein größerer Kraftaufwand als der normale verlangt, und<br />

geringere Kraft als die normale steht zur Verfügung. Die Folge ist, daß das Herz eine<br />

außergewöhnliche Anstrengung machen muß, um das Blut in die Arterien, die sich<br />

nicht ausdehnen wollen, zu pressen. Dadurch erhöht sich der Druck des Blutes in den<br />

Arterien, und wir erleben das Phänomen des gesteigerten Blut<strong>dr</strong>ucks.<br />

Die Natur tut zwar bekanntermaßen alles ihr Mögliche, um jeglichen organischen<br />

Gewebezerfall aufzuhalten oder auszugleichen. Wenn die Herzklappen undicht sind<br />

und einen Teil des Blutes bei der Zusammenziehung der Arterienwände zurückfließen<br />

lassen, so werden die Wände nach und nach dicker und dadurch stärker, um so den<br />

Verlust an Arbeitsleistung auszugleichen. Dasselbe macht die Natur im Falle von<br />

Arterien, die durch Mangel an regelmäßiger physiologischer Übung unelastisch<br />

geworden sind. Jede vergrößerte Anstrengung des Herzens, das Blut mit gesteigerter<br />

Kraft in die Arterien zu pressen, bedeutet für die Arterienwände eine vergrößerte<br />

Aufgabe. Die Natur kommt ihnen zu Hilfe und legt neue Gewebeschichten an die<br />

Arterienwände, um sie zu verdicken. Aber dieses Gewebe ist nicht elastisch und hat<br />

eher die Neigung, sich zusammenzuziehen, als sich zu strecken oder auszudehnen. Es<br />

macht zwar die Arterienwände stärker, aber auch steifer und unelastischer, was<br />

wiederum vom Herzmuskel größere Anstrengungen verlangt. Durch diese vermehrte<br />

Anstrengung des Herzens steigt die Spannung in den Arterien. Zunehmende Spannung<br />

birgt aber die Gefahr eines Gefäßbruches in sich; darum verdickt und verstärkt die<br />

Natur die Wände der Arterien aufs neue. Auf diese Weise werden sie noch steifer, und<br />

der dann nötige neue Kraftaufwand des Herzens macht sie nur noch spröder. Endlich<br />

beschließt die Natur, energisch einzugreifen, und beginnt, zwecks neuerlicher<br />

Verstärkung, in den Arterienwänden Kalk abzulagern. Das Ergebnis sind die<br />

sogenannten „verkalkten“ Arterien, die spröde und brüchig wie Pfeifenstiele sind. Jetzt<br />

aber hat die Natur alles getan, was in ihrer Macht liegt; sie hat ihren letzten Trumpf<br />

ausgespielt. Ihre Maßnahmen haben das Leben um einige Jahre verlängert, aber nun<br />

muß der Kampf zwischen Herz und Arterien zu einer Entscheidung kommen. Die<br />

Arterien wollen sich einfach nicht mehr ausdehnen; das Herz besteht jedoch darauf.<br />

daß sie es tun sollen, und so streiten sie miteinander, und jeder Teil beharrt auf seinem<br />

Recht. Das Herz setzt seine ganze mächtige Kraft dafür ein, das Blut in die Gewebe zu<br />

senden, die nach Blut und immer mehr Blut schreien. Die Arterien verweigern den<br />

vollen Dienst: „Wir können nur noch so und so viel Blut übernehmen und weiterleiten,<br />

aber nicht mehr, denn wir können uns nicht mehr wie früher ausdehnen und anpassen.“<br />

Und sie versuchen, so viel Blut wie möglich wieder zurück in die Herzkammern zu<br />

senden. Ist es so weit gekommen, dauert es nicht mehr lange, bis wir hören, daß Herr<br />

X oder Frau Y einem Herzleiden erlegen ist, einer Angina pectoris, einem Schlaganfall<br />

— das Herz oder die Blutgefäße geben eben schließlich den aussichtslosen Kampf auf.<br />

Es kann aber auch ein anderes gefäßreiches Organ eines Tages plötzlich versagen. Wir<br />

wollen uns unter diesem Gesichtspunkt die Nieren etwas näher ansehen.<br />

Die meisten Organe des Körpers sind in eine Decke unelastischen Fasergewebes<br />

77


eingehüllt. Das ist auch bei den Nieren der Fall. Innerhalb dieser Hülle besteht die<br />

Niere aus vielen Blutgefäßen und ausscheidenden Zellen, die in der Hülle<br />

unausdenkbar eng zusammenge<strong>dr</strong>ängt sind. Wird durch das<br />

Wiederherstellungsverfahren der Natur neues Gewebe zur Nachhilfe oder zum Ersatz<br />

hinzugefügt, so entsteht innerhalb der Hülle ein der Menge der neu hinzugefügten<br />

Zellen entsprechender erhöhter Druck. Durch diesen Prozeß erhöht sich aber auch der<br />

Druck des in den Nierengefäßen zirkulierenden Blutes, und die Niere hat aus dieser<br />

doppelten Quelle einen bedeutenden Druck zu ertragen. Die unendlich vielen<br />

Blutgefäße, die die Sekretionszellen mit Blut versorgen müssen, damit sie ihre Arbeit<br />

als Giftentferner ausführen können, lassen die Größe dieses Druckes vermuten.<br />

Schließlich beginnt dieser vergrößerte Druck auf die Sekretionszellen die Funktionen<br />

der Nieren zu stören; später erzeugt er Entzündungszustände, welche die Ärzte als<br />

Nephritis, Brightsche Krankheit usw. diagnostizieren, Krankheiten, die den Körper<br />

dadurch umbringen, daß sie sein giftausscheidendes Filter, die Nieren, zerstören.<br />

In ähnlicher Weise kann auch das Gehirn oder die Leber unter zunehmendem Blut<br />

und Gewebe<strong>dr</strong>uck den Zerfall des Körpers herbeiführen.<br />

Schließlich darf nicht übersehen werden, daß das Herz, welches alle anderen<br />

Organe mit Blut versorgt, damit sie sich mit den ihnen durch das Blut zugeführten<br />

Stoffen immer wieder erholen und neu aufbauen können, auch sich selbst Blut<br />

zuführen muß, um leistungsfähig zu bleiben. Das Herz hat deshalb seine eigenen<br />

Blutgefäße, die sich leider nur allzu oft in der oben beschriebenen Weise verändern;<br />

findet eine solche Degeneration bei einem Menschen statt, so kann er mit keinem<br />

langen Leben mehr rechnen.<br />

Welches Organ als erstes klein beigeben muß, hängt von verschiedenen Umständen<br />

ab: von erblicher Belastung, von der vorgeburtlichen und nachgeburtlichen Pflege, von<br />

der Berufs- oder Beschäftigungsart des Erwachsenen, von der Diät und andern<br />

persönlichen Gewohnheiten sowie von Eigenschaften und Anlagen, unter denen die<br />

Seelen- und Gefühlsstärke des Individuums nicht die geringste ist.<br />

Der plötzliche Tod eines Freundes, des sportfeindlichen Lebemanns, den du durch die<br />

Zeitung erfährst, beein<strong>dr</strong>uckt dich tief. Seine Angehörigen verstehen diesen<br />

Schicksalsschlag nicht, denn nie schien der Verstorbene gesünder zu sein als<br />

unmittelbar vor der unbegreiflichen Katastrophe. Aber die Tragödie ist in Wirklichkeit<br />

nicht im geringsten unverständlich, besonders nicht im Hinblick auf die<br />

Lebensgewohnheiten des Verstorbenen. Würden sich seine Nächsten zu einer kleinen<br />

Denkarbeit über die Naturgesetze und ihre Unverletzlichkeit entschließen, so würden<br />

sie erkennen, daß der Gang der Dinge sich seit Jahren genau voraussehen ließ. Jeder<br />

klarblickende Mensch hätte feststellen müssen, daß der tote Freund, der seine Muskeln<br />

nie ausbilden wollte, dafür aber um so mehr die Verdauungsfunktionen in Tätigkeit<br />

hielt, einst den Preis körperlicher Degeneration zu zahlen haben würde, die in einem<br />

gewissen Stadium stets den Tod nach sich zieht. Wahrscheinlich war von den<br />

atrophierten Muskeln eine ungewöhnliche und plötzliche Anstrengung gefordert<br />

worden. Sie taten ihr Bestes; aber dabei erzeugten sie eine viel größere Menge von<br />

Körpergiften, als es bei normaler Entwicklung der Fall gewesen wäre, denn sie hatten<br />

außergewöhnlich viel zu leisten. Die Organe, deren Funktion die Ausscheidung dieser<br />

Körpergifte ist, litten natürlich gleichfalls an Schwund infolge Nichtgebrauchs. Da sie<br />

unter der Kontrolle des Reflexnervensystems stehen, konnten sie nicht vom Willen<br />

aufgepeitscht werden, unverzüglich in Aktion zu treten, wie die willkürlichen<br />

78


Muskeln. Infolgedessen häuften sich die nicht ausgeschiedenen Körpergifte im Blute<br />

an. Dieses giftbeladene Blut sollte nun nicht bloß jede andere Zelle im Körper<br />

ernähren und mit Energie versehen, sondern außerdem die atrophierten und schon<br />

etwas steifen Blutgefäßwände und das auch schon mitgenommene Herz. Und das<br />

geschwächte Herz und die unelastischen Blutgefäße sollten zur selben Zeit, da sie, statt<br />

mit frischem, mit giftgetränktem Blut versehen wurden, wegen der vergrößerten<br />

Anstrengung der willkürlichen Muskeln noch mehr Blut herbeischaffen und diesen<br />

plötzlich aktiv arbeitenden Muskeln noch mehr Energie liefern, weil die der aktiven<br />

Tätigkeit entwöhnten Muskeln auch wieder einer übernormalen Kraftzufuhr bedurften.<br />

Das schon bis zu einem gewissen Grade unfähige Herz strengte sich an, der<br />

Anforderung zu genügen; es arbeitete rasch und ungestüm. Aber die starren Arterien<br />

verweigerten die Ausdehnung, die nötig war, um mehr Blut durchziehen zu lassen.<br />

Dadurch wurden die Forderungen an das Herz ungeheuer vergrößert. Und die<br />

arbeitenden Muskeln riefen <strong>dr</strong>ingend nach mehr und immer mehr Energienachschub,<br />

während der Blutstrom durch die Produkte der Muskelanstrengung und das<br />

gleichzeitige Versagen der Ausscheidungsorgane immer mehr Gift aufzunehmen<br />

gezwungen war. Das Herz gab alles her, dessen es fähig war, bis — die Katastrophe<br />

eintrat.<br />

Vielleicht hatte dein Freund ein schwaches Herz, das sich von der zunehmenden<br />

Unelastizität rascher überwältigen ließ; dann starb er an „Herzschwäche“. Vielleicht<br />

waren seine Blutgefäße von ererbter schwächlicher Struktur; dann brauchte nur die<br />

Wand eines kleinen Äderchens in der Gehirnsubstanz zu platzen, und er starb an einem<br />

Bluterguß ins Hirn oder an einem Schlaganfall. Vielleicht brach irgendein anderes<br />

lebenswichtiges Organ zuerst zusammen. Sicher ist auf alle Fälle, daß deines Freundes<br />

Tod vom Mißbrauch seiner wesentlichen Organe herrührt und daß verweichlichende,<br />

allzu nachsichtige Lebensmethoden sein Ende beschleunigt haben. In Wirklichkeit<br />

starb er an den Irrtümern der Zivilisation — vor allem an den verhängnisvollen Folgen<br />

des Glaubens, daß kultureller Fortschritt und körperliches Wohlbehagen dasselbe<br />

seien, denn er wurde nicht durch die plötzlich notwendig gewordene körperliche<br />

Anstrengung getötet, sondern vielmehr durch die so lange Zeit andauernde<br />

Vermeidung jeder körperlichen Anstrengung, durch Bequemlichkeit, Verwöhntheit,<br />

Luxus — ein Leben, das unseren Wünschen gemäß eingerichtet ist, anstatt nach den<br />

unveränderlichen Grundsätzen der Natur —, ein solcher Anschauungsunfug zeitigt<br />

bedenkliche Früchte!<br />

Jedoch auch hier reicht der Segen richtigen Verhaltens weiter als bloß bis zu den<br />

nächsten Resultaten. Gerade im Falle der Muskeln sind die von ihnen ausgehenden<br />

Einflüsse auf die andern Körpergebiete interessant. Je strenger die Muskeln arbeiten,<br />

desto mehr verbrauchte Zellen werden abgebaut und desto mehr wächst auch der<br />

Bedarf an Sauerstoff. Je größer dieser Bedarf, desto tiefer geht der Atem, da die<br />

Lungenatmung neben der Aufnahme durch die Haut der einzige Weg ist, auf welchem<br />

Sauerstoff in den Körper gelangen kann. Je tiefer aber die Atmung, desto stärker<br />

werden die Zwerchfell-, die Brust- und Bauchmuskeln beansprucht. Tiefe Atmung ist<br />

überhaupt die einzige Möglichkeit, die Muskeln des Zwerchfells, der Brust und des<br />

Unterleibs in Übung zu erhalten. Außerdem ist die größere Senkung und Hebung des<br />

Zwerchfells während eines tiefen Atemzuges von vorteilhaftester Wirkung auf Leber,<br />

Magen und Eingeweide.<br />

Jedermann, der einigermaßen zu beobachten versteht, muß erkennen, wie die<br />

79


Verdauungstätigkeit durch eine kräftige und systematische Übung der willkürlichen<br />

Muskeln im Freien angeregt wird. Wenn aber die Verdauungsfähigkeit durch<br />

Muskelarbeit vorteilhaft unterstützt wird, so trifft auch das Umgekehrte zu; daß die<br />

Verdauungstätigkeit durch Mangel an Muskelübung degeneriert. Etwas anderes<br />

können wir auch gar nicht erwarten, denn der nicht voll beanspruchte Körper braucht<br />

natürlich nicht die volle Nahrungsmenge; daher besteht eine geringe<br />

Verdauungsnotwendigkeit. Die Natur spart ihre Kräfte und pflegt nicht mehr Leistung<br />

zu produzieren, als zur Verdauung der Nahrung, die sie braucht, um die körperlichen<br />

Funktionen auszuführen, notwendig ist. So verringert sich die Verdauungsfähigkeit<br />

durch verminderte Ausübung der Verdauungsarbeit.<br />

Und keine einzige andere Funktion gibt es im menschlichen Körper, die nicht auf<br />

ähnliche Weise gestört würde, wenn die willkürlichen Muskeln nicht voll, nicht<br />

regelmäßig und nicht <strong>dr</strong>außen im Freien arbeiten.<br />

Leider ist es nur zu wahr, daß die Bewohner der zivilisierten Länder mehr und mehr<br />

eine sitzende Lebensweise führen. Die allgemeine Verbreitung des Automobils, des<br />

Personenaufzugs, der Autobusse, der Straßen- und der Eisenbahn wird über kurz oder<br />

lang dahin führen, daß die Mehrzahl der modernen Menschen verlernt, die<br />

Bewegungsmuskeln zu gebrauchen. Sogar die Landbevölkerung fährt heutzutage, wo<br />

sie nur kann, anstatt wie früher zu Fuß zu gehen. Und in vielen Berufen, die<br />

ursprünglich die Muskeln stark beanspruchten, übernehmen heute Maschinen einen<br />

beständig wachsenden Teil der früher nötigen Muskelarbeit. So üben in vielen<br />

Industriegebieten die in den Fabriken beschäftigten Menschen zur Hauptsache nur<br />

noch die Aufsicht über mechanische Einrichtungen und Apparate aus, die ihrerseits die<br />

wirkliche Arbeit verrichten. Das alles wird von den meisten Leuten mit Stolz als<br />

„Fortschritt der Zivilisation“ gerühmt. Würden diese Erscheinungen in richtiger Weise<br />

kontrolliert, so könnten sie auch tatsächlich Fortschritte für die Menschheit bedeuten.<br />

Aber die eigenwillige Art des Kulturmenschen, alle Lebensgewohnheiten seiner Laune<br />

und seinen stets wechselnden Wünschen und Begierden anzupassen, bildet eine<br />

ständig wachsende Gefahr für sein wirkliches Glück und Wohlergehen.<br />

�<br />

Als Ergänzung zum Thema „Die Muskeln und ihre Arbeit“ müssen wir noch das<br />

Problem der wahren und der falschen Muskelanstrengung und Muskelbeanspruchung<br />

untersuchen.<br />

Anspannung — Entspannung — Ruhe! das ist der Rhythmus sinnvoller<br />

Lebensführung, in den unsere Zivilisation Störung und Unordnung bringt. Die<br />

zivilisierten Menschen sind die einzigen Geschöpfe, deren Muskeln sich fast beständig<br />

in Spannung befinden (bald mehr, bald weniger), während sie zu allen Zeiten<br />

vollkommen entspannt sein sollten, außer in den Augenblicken, da sie im Begriffe<br />

sind, eine ihnen aufgetragene Arbeit auszuführen; nur dann sollten die Muskeln oder<br />

Muskelgruppen arbeiten — und zwar nur die an dieser Tätigkeit beteiligten; alle<br />

anderen sollten ihren Ruhestand beibehalten. Wenn wir einmal zu dieser Einsicht<br />

gelangt sind, müssen wir zugeben, daß fast die ganze moderne Menschheit ihre<br />

Muskelkräfte in unnötigen Zusammenziehungen und Ausdehnungen, die durch keine<br />

positive Aufgabe des täglichen Lebens verlangt werden, gedankenlos vergeudet. Was<br />

bedeutet das? Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß keine einzige körperliche<br />

80


Tätigkeit ohne einen Anreiz aus dem Nervensystem ausgeführt werden kann.<br />

Ununterbrochene Nervenanspannung aber heißt ununterbrochene Nervenverausgabung<br />

(und unaufhörliche Muskelverausgabung desgleichen), für die dem Körper nichts<br />

zurückerstattet wird; und solche Verschleuderung der Nervenkräfte führt unfehlbar am<br />

Ende zu nervöser Erschöpfung.<br />

Beobachte die Menschen, mit denen du zu tun hast, wie sie, anstatt Ruhe suchend auf<br />

ihren Stuhl niedersinken und sich von ihm tragen zu lassen, ihn vielmehr in<br />

unbewußter Verkrampfung nach unten <strong>dr</strong>ücken; ihre Hände, Arme und Beine sind<br />

gestrafft, als sollten sie den Stuhl mühsam zusammenhalten. Oft sind außerdem die<br />

Brustmuskeln so steif angespannt, daß tiefes Atmen praktisch unmöglich wird. Andere<br />

Menschen — vielleicht du selbst — pressen die Zähne zusammen; ihre Kehle ist<br />

verkrampft, die Nackenmuskeln sind steif. Und wie gespannt sind die Beinmuskeln<br />

jenes Mannes; seine Füße schlagen einen wütenden Takt, oder seine Finger trommeln<br />

zur Begleitung einer inneren Rastlosigkeit, die sich ein Auspuffventil sucht. Beobachte<br />

die Leute in der Eisenbahn, im Auto oder im Straßenbahnwagen; wie steif sitzen sie<br />

da, <strong>dr</strong>ücken sich an die Lehne oder halten sich unbequem auf dem vordersten Rand<br />

ihres Sitzes in Schwebe; Arm-, Bein-, Nacken- und Brustmuskeln sind in härtester<br />

Spannung; jeder Stoß, jede Erschütterung des Fahrzeugs schleudert sie mit<br />

gewaltsamem Ruck in eine andere Richtung, anstatt daß sie sich mit gelockerten<br />

Muskeln und losen Gelenken allen Schwankungen und Erschütterungen der Bewegung<br />

überlassen. Andere spazieren mit krampfhaften Schritten und versteiften Armen, die<br />

im Rhythmus ihrer harten Tritte eckig auf und ab schwingen, einher, und dabei<br />

spannen sie die Muskeln des Nackens und der Hände derart an, daß oft die Nägel in<br />

den Handflächen Ein<strong>dr</strong>ücke hinterlassen. Man gewöhnt sich an solche Spannungen so<br />

sehr, daß man damit schlafen geht und wieder aufsteht, und löst sich inmitten des<br />

Schlafes die Spannung von selber, so kann man sogar dadurch erwachen.<br />

Da ruht eine Frau auf ihrem Liegestuhl. Ihr steifer Hals hält den Kopf in die Höhe<br />

gereckt, anstatt daß er sich zu sanfter Ruhe in die Kissen schmiegt; oder sie <strong>dr</strong>ückt ihn<br />

auf das Kopfkissen hinunter, als ob sie dieses mit Gewalt niederhalten müßte, anstatt<br />

daß das Kissen den lose herabfallenden Kopf weich betten und stützen darf und jeder<br />

Muskel nachläßt und sich entspannt, wie es Kinder, Katzen und Hunde tun, wenn sie<br />

sich zum Schlaf legen. Will man den Arm jener Frau leicht in die Höhe heben, so ragt<br />

die Hand daran wahrscheinlich steif in die Luft hinaus, anstatt weich und gelöst vom<br />

Gelenk herabzuhängen. Entzieht man dann unbemerkt die Unterstützung und läßt den<br />

Arm ohne Halt, so bleibt er (statt schlaff und wie leblos herabzufallen) steif<br />

angespannt im Leeren ausgestreckt, weil seine Muskeln unbewußt angespannt worden<br />

sind; das aber ist vollständig unnötig, denn die Muskeln brauchen den Arm ja nicht<br />

hochzuhalten, solange eine andere Hand ihn unterstützt.<br />

Dort packt ein Mann seine Feder hastig, um in nervösem Ruck seinen Namen zu<br />

schreiben, anstatt diese Prozedur mit derselben bedächtigen Aufmerksamkeit zu<br />

vollziehen, mit der ein Säugling seine kleine Faust ins Mündchen steckt. Auf dem<br />

Bahnsteig steht ein Mann, der alle paar Minuten seine Uhr aus der Tasche zieht,<br />

obwohl er genau weiß, daß der Zug erst in einer Stunde abfahren wird. Und da ist eine<br />

Frau, die flach und kurz atmet und von Zeit zu Zeit einen tiefen Seufzer ausstößt, den<br />

ihr die Natur aufzwingt, um ihrem Körper den nötigen Sauerstoff zu verschaffen,<br />

welchen ihr oberflächliches, nervöses Atmen ihr nicht zuführen kann. Und dort sitzen<br />

Frauen eckig und verkrampft zuvorderst auf ihren Stühlen, gestikulieren heftig und<br />

81


unruhig, halten sich straff aufrecht und schnattern mit schneidenden Stimmen<br />

aufeinander ein; ihre Gesichtsmuskeln sind hart angezogen, und ich möchte wetten, sie<br />

sehen in wenigen Jahren alt und verwittert aus. Hier noch ein Mann und eine Frau, die<br />

Messer und Gabel und Löffel oder ein Stück Brot an sich reißen oder sich hastig von<br />

einer Platte bedienen, als ob sie eine Partie Schnipp-Schnapp spielten, anstatt anmutig<br />

ihre Hand nach dem Gewünschten auszustrecken, wie ein sehr kleines Kind es tun<br />

würde; ihr Fehler ist nicht der Mangel an guten Manieren, der Fehler ist, daß ihre<br />

Nerven und Muskeln sich nicht zu benehmen wissen.<br />

Nur beständig und auch bewußt gelockerte Muskeln und Gelenke kann man in<br />

anmutiger Gelassenheit zu den beabsichtigten Zwecken und mit der äußersten<br />

Genauigkeit in Raum- und Zeiteinteilung bewegen.<br />

Ein jeder beobachte sich nun selber einmal auf diese Dinge hin. Wahrscheinlich wird<br />

man dann viele Anzeichen körperlicher Spannungszustände bei sich selbst entdecken!<br />

Laß jemanden deinen Arm in die Höhe heben und gib acht, ob deine Hand lose vom<br />

Gelenk herunterhängt oder steif in die Luft hinaussteht. Wenn die unterstützende Hand<br />

sich unvermittelt zurückzieht — fällt dann dein Arm hernieder, als ob er lahm wäre?<br />

Lege dich hin, laß jemanden deinen Kopf von einer Seite zur andern rollen und<br />

plötzlich innehalten, und beobachte, ob dein Kopf augenblicklich aufhört, sich zu<br />

bewegen, und in der genauen Lage bleibt, in der er sich befand, als die Hand, die ihn<br />

bewegte, sich zurückzog, und ob diese Lage ungezwungen ist, oder ob der Kopf von<br />

selbst in eine andere Lage zurückrollt (wodurch die Anstrengung automatisch gelöst<br />

wird) und darin verharrt, wie der Kopf eines toten, schlaffen Körpers in der Lage<br />

verharren würde, in der er seinem Gewichte nach am günstigsten liegt. Oder bewegt<br />

sich dein Kopf in der Richtung, in welche die Hand ihn führte, weiter? In<br />

neunhundertneunundneunzig von tausend Fällen wird er das tun. Bist du nicht zufällig<br />

der tausendste Fall, so befindest du dich in einem Zustand chronischer Muskel- und<br />

Nervenspannung, die deine lebendige Nervenkraft beständig abnutzt.<br />

Beobachte dich, wenn du deine Hand nach irgendeinem Gegenstand ausstreckst, und<br />

sieh, ob Hand und Arm, die du für diesen Zweck benützest, die einzigen Teile deines<br />

Körpers sind, die den Impuls zur Bewegung erhalten; prüfe, ob ihre Bewegung<br />

krampfhaft ist, ob die Hand sich heftig und unkontrolliert ausstreckt und zurückzieht<br />

(Fall 1) oder überlegt und völlig sicher das gewünschte Ding aufhebt, ohne die<br />

geringste Hast im Wesen, in den Nerven und in den Muskeln, im Gegenteil, mit einem<br />

Gefühl vollständiger Gelassenheit (Fall 2). Im ersten Fall verschwendest du deine<br />

Lebenskraft in Überanspruchung deiner Kräfte und untergräbst deine Gesundheit<br />

zwecklos vorzeitig; im zweiten Fall bist du auserwählt, bei im übrigen gleichen<br />

Bedingungen viele Jahre länger als nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft zu<br />

leben. Beobachte dich, wenn du spazieren gehst, ob dein ganzer Körper unbiegsam<br />

und starr im Takte deiner steifen, ruckweisen Schritte gestoßen wird. Dann erschöpfst<br />

du rasch deinen Vorrat an Lebenskräften — an den Kräften, die die Natur dir zum<br />

Schutze gegen Krankheiten mitgegeben hat. Oder schwingst du deine Beine in freien,<br />

ausziehenden Schritten, folgt dein ganzer Körper rhythmisch ihren Bewegungen, und<br />

schwingen deine Arme dazu mehr oder weniger wie Dreschflegel in harmonischem<br />

Takt? Dann vermehrst du beständig deinen Vorrat an Lebenskraft, indem du jeweilen<br />

nur die für die momentane Verrichtung notwendige Kraft ausgibst.<br />

In dieser Weise solltest du jede einzelne bewußte Tätigkeit daraufhin untersuchen,<br />

ob deine Bewegungen wohl erwogen und überlegt und frei erfolgen und ob du nicht<br />

82


mehr Kräfte dafür ausgibst, als sie beanspruchen. Oder ob deine Bewegungen aufs<br />

geratewohl und übermäßig heftig geschehen, wobei mehr oder weniger jeder andere<br />

Muskel des Körpers auch ins Spiel gezogen wird. Nur wenn du mit einer bewußten<br />

Anstrengung und unermüdlicher Selbstkontrolle die angeborenen schlechten<br />

Gewohnheiten abzulegen trachtest, kannst du dich von ihrer Sklaverei befreien und<br />

unnütze Kraftausgabe vermeiden.<br />

Und nun möchte ich den Leser bitten, eine halbe Stunde lang alles, was wir bis jetzt<br />

besprochen haben, in seinem Geiste zu erwägen, insbesondere die Tatsache, daß der<br />

Mensch geschaffen worden ist, um im Freien, ohne Haus und Körperbedeckung zu<br />

leben und sich von der unverfälschten Kost zu ernähren, die die Natur ihm bietet, wie<br />

die Urväter der menschlichen Rasse es einst getan haben müssen, und wie die<br />

Primitiven unserer Epoche es immer noch tun. Des weiteren soll der Leser bedenken,<br />

daß „unheilbar kranke“ zivilisierte Menschen oft zu primitiven Lebensgewohnheiten<br />

zurückkehren und dann vollkommene Gesundheit wiedererlangen, trotz der „Härte“<br />

einer solchen Lebensweise oder wohl gerade ihretwegen.<br />

Nachdem der Leser all dies reiflich erwogen hat, ist er sicherlich fähig, seine Lage<br />

selber zu beurteilen. Das gilt vor allem für den kranken Leser, an den ich jetzt einige<br />

Fragen richten möchte.<br />

Kranker Leser, ist es immer noch deine aufrichtige Überzeugung, daß Gott in<br />

seinem unerforschlichen Ratschluß es für gut hielt, dich mit deiner Krankheit zu<br />

schlagen? Oder glaubst du jetzt, daß deine Kränklichkeit eine Beleidigung Gottes ist,<br />

ein Zustand, den du selber mit deinem eigenen Ungehorsam und dem deiner Vorfahren<br />

über dich gebracht hast; ein Zustand, den du damit verschuldet hast, daß du die<br />

göttlichen, gesundheitschützenden Gesetze verachtest und tust, was du wünschest, und<br />

nicht, was du sollst? Ist es dir jetzt möglich, zu erkennen, daß Gott ein guter Gott ist,<br />

und daß seine Absicht war, du solltest immer gesund und glücklich sein wie die<br />

meisten seiner ungezählten Geschöpfe? Daß er dich mit Abwehrkräften versehen hat,<br />

deren Mechanismus, wenn ihm die Möglichkeit freien Funktionierens gegeben wird,<br />

dich automatisch gegen Krankheiten unempfänglich macht, wenigstens im gleichen<br />

Grade, wie die primitiven Rassen es sind; daß er aber, wenn er auf Widerstand stößt,<br />

deinen Körper den unheimlichen, vernichtenden Gewalten ausliefert, die schließlich zu<br />

Krankheit und zu vorzeitigem Tode führen?<br />

Die Antwort auf diese Fragen ist wichtig.<br />

Wenn du nach reiflicher Überlegung immer noch nicht glaubst, daß du durch deine<br />

Lebensweise selber die Schuld an deinen Krankheiten trägst, dann lies nicht weiter,<br />

denn du wirst dich in diesem Falle für die Schlüsse, die ich im folgenden aus den<br />

früheren Betrachtungen ziehen will, ganz sicher nicht interessieren!<br />

Wer mir aber sein Verständnis und seine Zustimmung bis hierher nicht versagt hat, der<br />

möge mir auch noch weiter folgen und mit mir den modus operandi erforschen, durch<br />

welchen eine verhältnismäßige Unverletzlichkeit gegenüber Krankheitseinflüssen<br />

durch ausgleichende, natürliche Mittel erreicht werden kann. Ich stütze mich dabei auf<br />

die Erkenntnis, daß der Mensch vom Schöpfer als vollkommenes Wesen erschaffen<br />

worden ist — so vollkommen, daß er die Vollkommenheit seines Schöpfers<br />

widerspiegeln und darstellen sollte. Und ich vertrete die Überzeugung, daß der<br />

�<br />

83


menschliche Körper seiner Natur nach der Krankheit nicht unterworfen ist, weil Gott<br />

den Menschen mit einem Mechanismus versehen hat, der ihm erlaubt, verderbliche<br />

Einflüsse von sich fernzuhalten: mit lebendiger Widerstandskraft. Darf dieser<br />

Mechanismus voll, kräftig und unbehindert funktionieren, so bleibt der Mensch stets<br />

im Besitz seiner ungestörten Lebensvollkommenheit; er ist beständig widerstandsfähig<br />

und — immer gesund.<br />

8. KAPITEL<br />

Dr. Jackson stellt sich um<br />

In diesem Kapitel will ich nicht theoretisieren; ich will von eigenen Erfahrungen<br />

erzählen.<br />

Wie ist es mir gesundheitlich ergangen? Wußte ich von vornherein besser Bescheid<br />

als meine Fachkollegen? Hatte ich tiefere Einsichten oder ein höheres Wissen um die<br />

Wege zur Gesundheit als der einfachste meiner Nebenmenschen?<br />

Anfänglich keineswegs! Was ich hier über mich in dieser Hinsicht zu sagen habe,<br />

ist kein stolzer Bericht, sondern eine Beichte.<br />

Auch ich war einst „kultiviert“ genug, um an den Wert eines „guten, nahrhaften<br />

Frühstücks“ als nötige Unterlage für den arbeitsreichen Tag zu glauben. Viele Jahre<br />

lang aß ich früh morgens meinen großen Teller voll Porridge, darauf eine<br />

Schweinskotelette oder ein Beefsteak und Kartoffeln; oder Würste und Eierkuchen;<br />

oder Schinken und Eier; oder gebratenen Speck und Eier. Auf diese nahrhaften<br />

Speisen folgten Toast und Marmelade — natürlich dick mit Butter bestrichener Toast.<br />

Dazu nahm ich eine Tasse guten Kaffee oder Tee, oft auch mehrere Tassen. Über<br />

meinen Porridge schüttete ich stets reichlich Zucker und Rahm, um mich zu kräftigen.<br />

Denn verwandelt sich Zucker nicht in Körperwärme und Energie, und wird nicht<br />

Butter noch ein wenig rascher in dieselbe so wünschenswerte Körperwärme und -<br />

energie umgesetzt? Und sind nicht Schweinskoteletten, Beefsteaks, Würste, Schinken,<br />

Speck, Eier gewebebildende Nahrungsmittel, die die Muskeln, die Organe, die<br />

Verbindungsgewebe des menschlichen Körpers aufbauen und erneuern helfen?<br />

Selbstverständlich! Und braucht der Körper nicht Wärme und Energie, körperbildende<br />

und erneuernde Stoffe, um Tag für Tag weiterleben zu können? Natürlich! Dann sind<br />

also solche Mahlzeiten am Morgen vor Beginn der Arbeit das Beste, was man sich zur<br />

Kräftigung und Stärkung für sein Tagewerk ausdenken kann.<br />

So dachte ich einst wirklich selber auch. Und aus diesen und ähnlichen Überlegungen<br />

heraus verzehrte ich zum Frühstück stets verschiedene so „nahrhafte“ Speisen.<br />

Allerdings lernte ich dieses üppige Essen erst langsam und allmählich. Doch<br />

unterstützte mich meine damalige Gesundheitsphilosophie darin aufs kräftigste. Als<br />

Kind hatte man mich mit Porridge zum Frühstück aufgezogen. Als ich älter und<br />

verständiger wurde, machte ich mir klar, daß Porridge allein für einen ausgewachsenen<br />

Mann schwerlich genügen kann, besonders wenn dieser Mann beständig das Gefühl<br />

von Leere im Magen hat und lange vor der Mittagsmahlzeit schon wieder ganz<br />

schwach vor Hunger ist. Daher handelte ich nach meiner Logik und fügte meinem<br />

gewohnten Morgenimbiß einige kräftigere Gänge hinzu. Ich begann damit, zu meinem<br />

Teller Porridge noch ein Ei und etwas Toast zu essen. Bald wurden es zwei Eier; dann<br />

kamen Schinken und Speck hinzu. So ging es weiter — bis ich schließlich bis zum<br />

84


Platzen gefüllt vom Frühstückstisch aufstand. Aber schon lange vor dem Mittagessen<br />

hatte ich wieder das Gefühl eines leeren Magens. Darum mußte die Mittagsmahlzeit<br />

gleichfalls reichlich sein. Ich nahm Kartoffelbrei und Koteletten oder Beefsteak, dazu<br />

zartes, weißes Brot und Marmelade oder Pastete und Milch oder Kaffee. Abends kam<br />

dann die Hauptmahlzeit, das eigentliche Essen: Suppe, Braten, Kartoffeln, Brot,<br />

manchmal gekochtes Gemüse, dazu Pudding oder Pastete oder auch beides<br />

miteinander; und wieder Milch oder Kaffee.<br />

Ist es zu glauben? Trotz diesen „nahrhaften“ Mahlzeiten fühlte ich mich doch<br />

allemal bald wieder schwach und leer, bis ich neuerdings etwas zu essen bekam. Und<br />

je „nahrhafter“ die Mahlzeiten waren, desto stärker war dieses Hungergefühl.<br />

Aber was sollte ich denn tun? Ich konnte bei den Mahlzeiten unmöglich mehr essen,<br />

und es gab auch keine noch nahrhafteren Speisen. Nur häufiger essen konnte ich, so<br />

oft dieses Hungergefühl sich meldete. Und das tat ich auch. Ich aß vier- und fünfmal<br />

des Tags. Trotzdem spürte ich am frühen Morgen dieselbe innere Schwäche. Und<br />

damit schien es immer schlimmer zu werden, je reichlicher ich aß. Oft war ich von<br />

dieser Beobachtung völlig niederge<strong>dr</strong>ückt, denn ich brachte diese Kraftlosigkeit immer<br />

mit Mangel an Nahrung in Zusammenhang. Es war lächerlich.<br />

Eine andere Erscheinung erstaunte mich außerordentlich: das allmähliche Auftreten<br />

regelmäßiger Kopfschmerzen. Später, als in meinem Symptomkomplex auch<br />

Verdauungsschwierigkeiten eine Rolle zu spielen begannen, hätte ich mir diese<br />

Kopfschmerzen wohl erklären können. Aber in jenen Tagen, als ich die<br />

Anfangsgründe der Theorie des „guten, nahrhaften“ Essens studierte, schien meine<br />

Verdauung normal zu funktionieren — ich sage aus<strong>dr</strong>ücklich: schien.<br />

Nichtsdestoweniger mußte ich am Ende jeder Woche ein Abführmittel nehmen,<br />

später zweimal die Woche, um die Kopfschmerzen zu beseitigen. Es gab Zeiten, wo<br />

auch solche Mittel die Kopfschmerzen nicht zu unter<strong>dr</strong>ücken vermochten. Dann nahm<br />

ich meine Zuflucht zu Kohle-Teer-Derivaten, meistens Azetanilid. Aber da Azetanilid<br />

das Herz angreift und mein Herz nicht stark war, fügte ich als Anregung für das Herz<br />

Koffein hinzu.<br />

Tatsache war und blieb, daß ich zwar beständig große Mengen guten, nahrhaften<br />

Essens verzehrte, daß es aber offensichtlich mit mir abwärts ging. Meine<br />

Verdauungsorgane wurden widerspenstig und wollten ihre Arbeit trotz der<br />

kräftigenden Kost, die ich in sie hineinschüttete, nicht mehr verrichten. Indem ich dem<br />

konventionellen Glauben an „gute, nahrhafte Kost“ huldigte, brachte ich mich an den<br />

Rand des Grabes.<br />

Ich hätte schon damals erkennen können, daß irgend etwas an meiner Auffassung<br />

dieses Problems nicht stimmte, denn sicherlich hätte gute, reichliche Kost das<br />

Schwächegefühl in mir besiegen müssen, wenn dessen Ursache mangelnde Ernährung<br />

war. Die Mehrnahrung schien aber gerade die gegenteilige Wirkung hervorzurufen.<br />

Statt auf Grund dieser Erfahrung die Stichhaltigkeit meiner Ernährungstheorien in<br />

Zweifel zu ziehen und der Stimme des gesunden Menschenverstandes Gehör zu<br />

schenken, beharrte ich, ohne mich um Näheres zu bekümmern, bei den<br />

konventionellen Ernährungsansichten der Vergangenheit, genau wie die übrigen<br />

neunundneunzig Prozent zivilisierter Nichtwisser, die nach dem Sprichwort „sich ihre<br />

frühen Gräber selber mit den Zähnen schaufeln“. Zudem richtete ich meine übrigen<br />

Lebensgewohnheiten in Übereinstimmung mit meinen verkehrten Ernährungsideen<br />

ein.<br />

85


Weil „viel gute, nahrhafte Kost“ eine Notwendigkeit für mich war, beschloß ich,<br />

meine körperliche Betätigung einzuschränken, damit die Energie meines Körpers sich<br />

völlig der Aufnahme und Verarbeitung meiner Nahrung und damit dem Wiederaufbau<br />

meiner Kräfte zuwenden könne. Ich ging nicht mehr spazieren — ich gab meine<br />

Sportspiele auf —, ich verzichtete nahezu auf jede Bewegung und tat nichts mehr als<br />

essen und schlafen.<br />

Natürlich wußte ich, warum ich alle diese Leiden zu ertragen hatte, wie es meine<br />

<strong>med</strong>izinischen Kollegen auch wußten. Ich war eben krank. Aber warum war ich denn<br />

krank? So vorwitzig darf man nicht fragen; die Krankheit kommt über einen, ehe<br />

man's gedacht, und niemand weiß den Grund dafür. Sie packt einen, nicht wahr? Wer<br />

hätte das nicht schon selber erlebt!<br />

Das war meine Philosophie, und es ist noch heute weitgehend die Philosophie<br />

meiner Berufsgenossen. Ich war krank — niemand wußte, weshalb, und ich mußte<br />

mich durch den Genuß guter, reichlicher Nahrung wieder erholen; dabei sollte meine<br />

Natur durch eine Unmenge von Tränken und Mitteln, verdauungsfördernden,<br />

blutreinigenden, anregenden, beruhigenden, abführenden, schmerzstillenden<br />

Medizinen, „unterstützt“ werden. Mehr konnte man wahrhaftig nicht tun.<br />

Aber mein kranker Körper wollte trotz alledem nicht gesund werden. Im Gegenteil, es<br />

wurde nur immer schlimmer. Mein Blut<strong>dr</strong>uck stieg auf 212; mein Herz schlug<br />

chaotisch und wild, und der große Sir William Osler, den ich als ärztliche Autorität zu<br />

Rate zog, hatte bereits sein vernichtendes Urteil über mich ausgesprochen. Jedem<br />

Luftzug konnte ich zum Opfer fallen.<br />

Kein Wunder übrigens, daß ich so krank war, bin ich doch einst — mehr als achtzig<br />

Jahre sind es schon her — von einer herzkranken Mutter weit <strong>dr</strong>außen am Rande der<br />

Zivilisation als schwächliches Zwillingskind geboren worden. Man ernährte mich<br />

mühsam, und ich gedieh unter den primitiven und unhygienischen Lebensverhältnissen<br />

jener Grenzgegend nur kümmerlich. Ich blieb schwach, kränkelte meist und machte<br />

ungefähr alle Kinderkrankheiten der Reihe nach durch. Zwar floß mein Leben bis zu<br />

meinem zweiund<strong>dr</strong>eißigsten Altersjahr noch einigermaßen leidlich dahin. Dann aber<br />

kam es zu einem vollständigen Zusammenbruch. Ich lag gleichzeitig mit fast allen<br />

Krankheiten der Verdauungsorgane außer dem Krebs darnieder, besaß keine Kontrolle<br />

mehr über meine Muskeln und Nerven und hatte die verschiedenartigsten<br />

Halluzinationen. Ich verlor acht Zähne durch hochgradige Paradentose, mußte wegen<br />

einer Fistel operiert werden, und zwar ohne Anästhesie, weil ich dazu körperlich zu<br />

geschwächt gewesen wäre. Ich verblutete beinahe an einem heftig entzündeten<br />

Geschwür im Dickdarm. Furchtbare Kopfschmerzen warfen mich immer wieder für<br />

zwei bis <strong>dr</strong>ei Tage hilflos ins Bett, und das ging jahrelang so weiter. Mit<br />

vierundvierzig Jahren war mein Körper durch Neuritis und Arthritis verkrüppelt. Mit<br />

fünfundvierzig Jahren geriet mein Herz in einen hoffnungslosen Zustand, der keine<br />

Aussicht auf Heilung mehr zuließ. Und dennoch mußte ich weiterleben.<br />

Mit neunundvierzig Jahren litt ich am Grünen Star, und man sagte mir voraus, ich<br />

würde in längstens vier Jahren gänzlich erblinden. Mit dem linken Auge konnte ich<br />

nicht mehr die Finger zählen. Ich verlor auch den Geruchsinn, den Geschmacksinn und<br />

das Gehör im linken Ohr. Für den Grünen Star war eine Operation nach Ansicht eines<br />

Spezialisten die einzig richtige Behandlung, aber meine Schwäche ließ keine<br />

Operation zu.<br />

Um diese Zeit war meine schwere Herzkrankheit so weit vorgeschritten, daß ich die<br />

86


<strong>dr</strong>ei Stufen zu meiner Erdgeschoßwohnung kaum mehr ersteigen konnte. Es schwamm<br />

mir dabei vor den Augen, ich verlor den Atem, hatte Schwindelanfälle und mußte<br />

mich am Türpfosten festhalten, bis ich wieder sah. Man hätte meine Herzschläge auf<br />

vier Schritt Entfernung hören und sozusagen durch die Weste hindurch sehen können.<br />

Düstere Aussichten — um so düsterer, als meine Ärzte zu ihrer trüben Prognose auf<br />

Grund meiner Familiengeschichte vollkommen berechtigt zu sein schienen. Denn mein<br />

Vater hatte elf Geschwister gehabt, die alle an Herzkrankheiten gestorben waren. Er<br />

selbst starb mit <strong>dr</strong>eiundvierzig Jahren, und das war das höchste Alter, das bis dahin in<br />

seiner Familie erreicht worden war. Schon sein eigener Vater war an einer<br />

Herzkrankheit gestorben. Dasselbe Schicksal hat später meinen Bruder und meine<br />

Schwester ereilt. Auch meine Mutter war, wie schon berichtet, herzkrank und während<br />

vierzehn Jahren fast ununterbrochen ans Bett gefesselt. Etwa in der Hälfte dieser<br />

vierzehn Jahre brachte sie mich zur Welt. Ich frage: kann man sich eine belastendere<br />

Familiengeschichte vorstellen? Nein, ich selbst mußte durchaus der Prognose<br />

beistimmen. Ich war nach bestem ärztlichem Wissen und Ermessen verloren.<br />

Aber ich sollte erfahren, daß es sogar für den hoffnungslos Abgelebten noch einen<br />

Weg zu dem schönen Ziele der dauernden Gesundheit gibt, einen Weg, den die Kunst<br />

der Mediziner bisher noch nicht genügend in Betracht gezogen hat. Das ist der Weg<br />

der Natur!<br />

Als ich allen Mut und jede Hoffnung aufgegeben hatte, da ereignete sich. das<br />

Wunder, das mir Rettung bringen sollte. Es ereignete sich auf eine unscheinbare,<br />

unauffällige Weise.<br />

Eines Tages, kaum <strong>dr</strong>ei Wochen nach dem vernichtenden Spruch des großen Sir<br />

William Osler, trat eine junge Mutter mir mit einer unerwarteten Frage in den Weg,<br />

ahnungslos, welche Bedeutung diese Frage für mich gewinnen sollte; sie zwang mich<br />

zum Nachdenken und in der Folge sogar dazu, meine ganzen Ansichten über<br />

Gesundheit und Krankheit von Grund auf zu ändern. Und damit rettete sie mir das<br />

Leben! Ich sah ein, daß der Grundfehler die Verblendung der Menschheit in der<br />

Anlage ihrer Lebensgewohnheiten war. Daraufhin habe ich mich kompromißlos<br />

umgestellt. Allerdings habe ich seither schwerlich noch ein Anrecht darauf, mich<br />

zivilisiert zu nennen, denn ich gestehe gerne ein, daß meine Lebensgewohnheiten<br />

seither nicht mehr die der zivilisierten Menschen sind.<br />

Aber das ist es ja gerade: mein Lebensgefühl ist auch nicht mehr das der<br />

zivilisierten Menschheit. Ich bin nicht mehr krank — ich scheine in der Tat gegen alle<br />

Krankheitsübertragungen immun zu sein. Angst vor Ansteckungen und körperlichen<br />

Leiden kenne ich nicht mehr; denn dieselben Krankheiten, von denen ich vor Jahren<br />

heimgesucht wurde und die täglich Hunderte von Menschen dahinraffen, lassen mich<br />

seit meiner Umstellung vollständig in Ruhe.<br />

Doch mit diesen Feststellungen greife ich dem Gang der Dinge vor. Den Leser wird<br />

zunächst die Frage interessieren, die mir das Leben gerettet hat. An meinem damaligen<br />

Wohnort hatte ich mir einen gewissen Ruf als Kinderarzt erworben. Die oben<br />

erwähnte junge Mutter, schön, munter und keck, erschien eines Tages in meiner<br />

Sprechstunde, begleitet von einer Wärterin, die ein Kindchen trug, sicherlich das<br />

ärmste, abgezehrteste Würmchen, das ich je gesehen hatte.<br />

�<br />

87


Nach der Untersuchung sagte ich, im Bemühen, die junge Frau zu beruhigen, unter<br />

anderem, sie brauche sich nicht zu sorgen; wenn sie die Nahrung des Kindes seiner<br />

Verdauungs und Aufnahmefähigkeit anpasse, so daß auch die Ausscheidung der<br />

Abfallstoffe regelmäßig vor sich gehen könne, und wenn dem Kinde die notwendige<br />

hygienische Sorgfalt zuteil werde, dann werde es wie Unkraut aufwachsen und<br />

gedeihen.<br />

Daraufhin schaute die junge Frau mich belustigt an und fragte mit einem<br />

spöttischen Blick auf meine armselige, zusammengefallene Gestalt: „Herr Doktor,<br />

wann hört dieses Prinzip auf, im Leben eines Menschen wirksam zu sein?“<br />

Selbstverständlich konnte ich ihr nicht antworten; ich wich daher mit ein paar<br />

nichtssagenden Worten aus. Damit war die Angelegenheit, soweit sie meine Klientin<br />

betraf, erledigt; sie hatte ihren kleinen Spaß auf Kosten meiner verfallenen, elenden<br />

Körperlichkeit gehabt. Aber für mich war die Sache noch nicht abgetan. Der Mutter<br />

gegenüber hatte ich eine Antwort umgangen; in meinem Innern konnte ich dem durch<br />

ihre Frage aufgeworfenen Problem jedoch nicht aus dem Wege gehen. Ich wurde es<br />

nicht los, so sehr ich mich auch bemühte, es mir aus dem Kopf zu schlagen. Den<br />

ganzen Abend dachte ich an nichts anderes mehr. Wann, in der Tat, wann hörte dieses<br />

Prinzip im Leben eines Menschen zu wirken auf? Eine eigentümliche Überlegung<br />

wurde in mir wach. Konnte es möglich sein, daß das Prinzip, welches ich meiner<br />

Klientin auseinandergesetzt hatte, auch für erwachsene Menschen galt — auch für<br />

mich selbst? Und daß ich die vielen Jahre meines Leidens nur seiner Nichtanwendung<br />

zu verdanken hatte? War es dankbar, daß ich die Wunderwirkungen der Natur noch<br />

nicht genügend kannte? Lag es überhaupt in der Absicht der Natur, den Menschen mit<br />

Leiden und Krankheit heimzusuchen? Wenn im zarten Säuglingsalter der menschliche<br />

Körper durch bloße Anpassung der Nahrung an seine Aufnahme-, Verdauungs- und<br />

Ausscheidungsfähigkeit sowie durch vernünftige Sorgfalt und Hygiene immer gesund<br />

erhalten werden kann — wann begann dann der Lebensabschnitt, in dem diese Regel<br />

versagte? Und warum versagte sie auf einmal? Sonderbar, daß die Frage sich mir nie<br />

zuvor gestellt hatte. Jedenfalls mußte ich die Antwort darauf finden; sonst würde ich<br />

nicht einschlafen können.<br />

In der Hauptsache gingen meine Gedanken wie gewöhnlich im Kreis; aber von Zeit<br />

zu Zeit wagten sie sich doch aus der konventionellen, ewig gleichen Linie in eine neue<br />

Richtung und spähten irgendeinen unbekannten Weg entlang, der bisher — da ich als<br />

Arzt gewohnt war, die Pfade der Autoritäten zu wandeln und nicht nach rechts noch<br />

nach links zu blicken — von mir gar nicht beachtet worden war. Genau so ergeht es<br />

den meisten meiner Berufskollegen noch heute; neue Gedanken bleiben ihnen<br />

verschlossen bis irgendeine Autorität sie anerkannt und bestätigt hat.<br />

Während jener Nacht überlegte ich hin und her. Stets kehrten dabei die Worte<br />

wieder, die ich der jungen Frau zum Troste gesagt hatte: „Sorgen Sie dafür, daß die<br />

Nahrung Ihres Kindes seiner Fähigkeit zu verdauen und auszuscheiden entspricht;<br />

lassen Sie ihm die nötige hygienische Sorgfalt zuteil werden, und es wird wie Unkraut<br />

wachsen und gedeihen.“ Darauf folgte dann stets sogleich die Frage der jungen Frau:<br />

„Wann hört dieses Prinzip im Leben des einzelnen Menschen zu wirken auf?“ Diese<br />

beiden Sätze wurden das „Sesam, öffne dich“ zu meiner Errettung. Immer wieder<br />

funkelten mich die schwarzen, mutwilligen Augen meiner Klientin an und prüften<br />

meine armselige Gestalt von Kopf bis Fuß; und nun begann ich mit einem Male mich<br />

dieser Gestalt zu schämen, die zuvor Gegenstand meines tiefsten Erbarmens gewesen<br />

88


war.<br />

Ich erinnerte mich plötzlich, daß die Natur mir in meinen jungen Jahren einen<br />

wohlgestalteten, wenn auch nicht sehr kräftigen noch in irgendeiner Weise<br />

auffallenden Körper verliehen hatte. Zum ersten Male erkannte ich, daß ich nie im<br />

Leben darüber nachgedacht hatte, wie dieser Körper behandelt werden sollte. Ich<br />

begriff jetzt, daß ich meinen Körper immer nur so behandelt hatte, wie es mir die<br />

augenblickliche Laune, der momentane Wunsch eingab; dabei waren diese Launen und<br />

Wünsche größtenteils nicht aus mir selber aufgestiegen, sondern — echtes<br />

Kennzeichen der Gaben unserer Zivilisation — aus den Launen und Wünschen anderer<br />

entstanden. Das Ergebnis konnte gar nicht anders ausfallen.<br />

Denn Launen sind meistens gegen den Lauf der Natur gerichtet. Aber gegen die<br />

Natur gehen kann nur zu einem einzigen Ergebnis führen — und in meinem Falle war<br />

ich selber dieses Ergebnis. Versucht man, ein solches Ergebnis zu korrigieren, ohne<br />

die Launen, die es verursacht haben, auszuschalten und ohne das Leben wieder in die<br />

gleiche Richtung mit der Natur zu bringen — mit anderen Worten: wird das Ergebnis<br />

der unnatürlichen Gewohnheiten mit ähnlichen unnatürlichen Mitteln korrigiert, dann<br />

gewinnt man zwangsläufig neuerdings ein unnatürliches Resultat. In meinem Fall war<br />

dieses korrigierte Resultat wiederum ich.<br />

Nachdem ich mir diesen Tatbestand gründlich vergegenwärtigt und klar erkannt<br />

hatte, daß ich mit meiner damaligen Behandlung nirgends anders als im Grabe landen<br />

würde, hatte ich um so mehr Mut, etwas ganz Neues zu unternehmen. Neu war es<br />

wenigstens für meine eigene Erfahrung. Ich beschloß nämlich, mich hinfort ebenso<br />

treu und bedingungslos auf die Natur zu verlassen wie bisher auf künstliche Mittel;<br />

dann mußte sich rasch erweisen, ob diese Natur wirklich mein Bestes wollte und mich<br />

zur Gesundheit führen konnte, und ob sie mich wirklich mit den dazu nötigen<br />

Aufnahme- und Abwehrkräften versehen hatte. Mit einem Wort: die Einsicht, die ich<br />

in der langen Stille jener Nacht gewann, war die, daß mir nicht mehr zu helfen war,<br />

wenn nicht die Natur selber mir noch helfen konnte.<br />

Ohne Aufschub machte ich mich denn auch daran, im offenen Buch der Natur zu<br />

forschen und zu suchen. Dabei wurde mir eines sofort klar: Mit der konventionellen<br />

Arzneimittelbehandlung mußte ich endgültig Schluß machen. Aber wie gründlich<br />

mußte ich mein Denken und Handeln noch umstellen, um mich dem Willen der Natur<br />

auch nur einigermaßen anzupassen!<br />

Ja, eine vollständige Umstellung meiner früheren Auffassung von<br />

Krankheitsverursachung und Heilungsmöglichkeiten vollzog sich in mir. Krankheit<br />

war für mich fortan nicht mehr ein Übel, das mich unvorbereitet ereilt oder das ich<br />

„bekommen“ konnte, sondern ein ursprünglich in meinem eigenen Körper durch<br />

meine eigenen Lebensgewohnheiten entwickelter Zustand.<br />

Es war merkwürdig, wie rasch ich von diesem Augenblick an das Groteske meiner<br />

früheren Einstellung erkannte. Ich schämte mich meiner vollkommen unfähigen<br />

Intelligenz, die mich durch so viele Jahre, welche reich und wertvoll hätten sein<br />

können, in der Sklaverei entkräftender und lebensuntergrabender Gewohnheiten<br />

gehalten hatte, Jahre des frühen Mannesalters, in denen meine Kräfte sich auf ihrem<br />

Höhepunkt hätten auswirken sollen, in Wirklichkeit aber brachlagen.<br />

Ich erkannte auch: erlaubte ich meinem Körper nicht, sich selber zu verteidigen und<br />

seine Kräfte zu üben, so konnte ich nie mehr hoffen, ihn zu natürlichem<br />

Lebenswiderstand, zur Entwicklung einer Schutzkraft gegen die in und außer ihm<br />

89


waltenden zerstörenden Einflüsse zu erziehen. Diese Entdeckung und das Wissen, daß<br />

während unendlicher Zeiträume unsere primitiven Vorfahren unbekleidet im Freien<br />

gelebt hatten, waren für mich ein Fingerzeig, wie ich vorgehen mußte.<br />

Das Naturgesetz, nach dem willkürliche Muskeln durch das einfache Verfahren, sie<br />

alle täglich ein oder mehrere Male für kurze Zeit durchzuarbeiten, zu großer<br />

Vollkommenheit entwickelt werden können, mußte nach meinen Überzeugungen und<br />

Beobachtungen auch alle anderen Funktionen regieren. Es mußte möglich sein, auch<br />

die volle Funktionsfähigkeit der Kette der Hauttätigkeiten zu erreichen, die ein so<br />

wichtiger Teil des Abwehrmechanismus unseres Körpers sind, wie überhaupt die volle<br />

Funktionsfähigkeit aller fünf Reflexketten.<br />

Nun war es nur noch notwendig, einen Durchführungsplan zu entwerfen, welcher<br />

der Forderung nach direkter Fühlungnahme der Haut mit kaltem Wasser, kalter Luft,<br />

Sonne und Wind, nach Übung und Massage für Haut und Muskel, nach natürlicher<br />

Anregung des Verdauungssystems entsprach. Es gab da vieles zu berücksichtigen.<br />

Wie sinnlos war es doch, die Gesundheit durch große Mengen guten, nahrhaften<br />

Essens aufbauen zu wollen und dabei gar nicht auf die Zusammensetzung dieser<br />

Speisen zum Zwecke ihrer Verarbeitung im Verdauungskanal zu achten, gar nicht ihr<br />

Verhalten gegenüber den verschiedenen Sekretionen dieses Kanals zu berücksichtigen.<br />

Wie sinnlos war es auch, in keiner Weise zu überlegen, ob die verzehrten<br />

Nahrungsmittel nach Menge und Art mit den Absorptionskräften meines<br />

Verdauungsapparats in Einklang standen. Wie sinnlos endlich, ganz zu übersehen,<br />

welche verheerenden Wirkungen überreichliche Kost in meinem Körper hervorrufen<br />

mußte, wenn meine Verdauungswerkzeuge nicht genügten, alles gründlich zu<br />

verarbeiten.<br />

Meine Schlußfolgerung war daher die folgende: Ein mit Nahrung gefüllter Körper<br />

kann entweder ein Apparat zur Erzeugung von Gesundheit oder ein Mechanismus zur<br />

Erzeugung von Krankheit sein. Ist die genossene Nahrung natürlich und<br />

lebensvermittelnd — stellt man sie so zusammen, daß ihre Bestandteile sich gut<br />

miteinander vertragen —, werden genügende Mengen davon verzehrt, um den Körper<br />

aufzubauen, seine verbrauchten Stoffe zu ersetzen und ihn stets wieder frisch zu<br />

beleben, und werden dennoch im Hinblick auf Menge und Beschaffenheit der Nahrung<br />

die verdauenden, absorbierenden, assimilierenden und eliminierenden Kräfte nie über<br />

ihre Leistungsfähigkeit hinaus in Anspruch genommen — dann kann der Körper gar<br />

nichts anderes als Gesundheit zubereiten und aufbauen, soweit nur Nahrungseinflüsse<br />

in Betracht kommen.<br />

Besteht aber die tägliche Kost aus einem Durcheinander verschiedener „gut und<br />

reichlich nährender“ Speisen, die wahllos (das heißt ohne die geringste Rücksicht auf<br />

die Frage gegenseitiger Verbindungsmöglichkeit) zusammengestellt werden oder den<br />

quantitativen Notwendigkeiten nicht entsprechen (sei es im Zuviel, sei es im Zuwenig)<br />

—ist die Nahrung bloß toter Baustoff statt lebendige und lebensspendende Substanz<br />

—, werden die Organe von ihr überlastet und haben sie nicht die Kraft, sich zu<br />

befreien — was kann dann der Körper mit allem Fleiße anderes als Schwäche und<br />

Krankheit aufbauen?<br />

Natürlich muß nicht unter allen Umständen nach einer kurzen Periode unvernünftiger<br />

Lebensweise sogleich auch Krankheit einsetzen; aber auf unsichtbare Art entwickelt<br />

sich doch ein Krankheitszustand, der bei längerer Fortsetzung des unvernünftigen<br />

Lebens früher oder später in Erscheinung tritt und das Leben des Verblendeten<br />

90


abkürzt. Das ist sogar dann wahr, wenn der unmäßige, aber erblich vielleicht sehr gut<br />

ausgestattete und ausgiebig mit Lebenskraft versehene Mensch hundert Jahre lebt. Bei<br />

richtiger Lebensweise hätte er mit seiner vortrefflichen Konstitution leicht<br />

hundertfünfundzwanzig oder sogar hundertfünfzig Jahre alt * werden, hätte den<br />

Jüngeren viele Jahrzehnte lang ein Beispiel und Vorbild sein können.<br />

Im Lichte dieser Schlußfolgerung betrachtet, erschien es mir plötzlich<br />

verwunderlich, daß ich überhaupt noch am Leben war. Ich hatte bisher der<br />

Zusammenstellung<br />

* Auch wenn heute festzustehen scheint, daß der Mensch ein höheres Alter als 115 bis 120 Jahre nicht<br />

erreichen kann, so verliert die Betrachtungsweise des Verfassers dadurch nichts von ihrer Richtigkeit.<br />

Anm. des Herausgebers<br />

meiner Speisen niemals auch nur einen Gedanken gewidmet. Es war mir nie<br />

eingefallen, daß von einer Speisenmischung, die zum Teil (Proteine) nur in einem<br />

Säure<strong>med</strong>ium, zum andern Teil (Stärken) nur unter dem Einfluß des Mundspeichels<br />

und daher nur in einem alkalischen Medium verarbeitet werden kann, der eine oder der<br />

andere Teil im Magen einfach nicht verdaut wird. Ich hatte nicht einmal daran gedacht,<br />

daß der viele weiße Zucker, den ich unter meine Speisen mischte und der des Körpers<br />

Verlangen nach Wärme und Energie rasch zu stillen scheint, die gleichzeitige<br />

Verdauung aller anderen Nahrungsstoffe unmöglich macht oder diese zum mindesten<br />

in Verbindungen und Bestandteile auflöst, die meine Körpergewebe vergiften und die<br />

Ausscheidungsorgane über Gebühr belasten mußten.<br />

Erst jetzt wurde mir klar, daß ich mich auf zwei Arten zugrunderichtete: erstens,<br />

weil ich die Nahrung zu mir nahm, die meinen Körper nicht beleben konnte; zweitens,<br />

weil meine Kost ein Übermaß (besonders an Eiweißstoffen) aufwies, das meinen<br />

Körper noch der wenigen Lebenskraft beraubte, die er aus den ihm zugefügten<br />

Nahrungsmischungen zu ziehen imstande war.<br />

Ich wußte nun, daß mein Körper an chronischer Vergiftung litt, fast wörtlich<br />

abgenutzt war und schwer gegen die Überlastung mit zu reichlichem, nahrhaftem<br />

Essen kämpfen mußte, denn ich aß damals Mengen, die <strong>dr</strong>ei hart arbeitenden Männern<br />

genügt hätten.<br />

Einige Zeit riet ich umsonst an dem Rätsel meines ständigen Hungers herum, des<br />

Gefühls, das ich „Leere“ und „innere Schwäche“ nannte und das unfehlbar wenige<br />

Stunden nach dem Genuß einer Mahlzeit sich einstellte, auch wenn ich, wie ich damals<br />

bereits deutlich erkannte, viel zu viel gegessen hatte. Schließlich erinnerte ich mich,<br />

wie oft ich als junger Bursche im Wachstumsalter eine Mahlzeit übersprungen hatte,<br />

obwohl reichliche Nahrung in der Entwicklungsperiode besonders wichtig ist — aber<br />

ich durchstreifte damals Felder und Wälder und spürte, sogar wenn ich hungrig war,<br />

niemals die haltlose Leere, die mich in meiner Krankheitszeit beständig quälte. Immer<br />

deutlicher erkannte ich, daß das Schwächegefühl, welches mich überfiel, sobald ich<br />

einige Stunden ohne Nahrung gewesen war, eine gewisse Verwandtschaft mit der<br />

Depression und dem Verlangen des Gewohnheitstrinkers oder eines<br />

Rauschgiftsüchtigen aufwies; auch der Trinker oder der Morphinist erlebt diesen<br />

Zusammenfall, sobald die Wirkung des letzten Genusses sich verloren hat und die<br />

sekundäre Folgeerscheinung der Depression, Hilflosigkeit und Vergiftungsarbeit,<br />

einsetzt.<br />

Ich sah jetzt, warum die reichlichen Mahlzeiten und das häufige Essen in mir dies<br />

Schwächegefühl und diese Empfindung von Leere hervorriefen, so daß ich immer<br />

91


egieriger nach mehr Nahrung verlangte. Es kam daher, daß ich, je mehr ich aß, desto<br />

mehr Gifte durch den unverwendbaren Nahrungsüberschuß in mir anhäufte. Um der<br />

nieder<strong>dr</strong>ückenden und schwächenden Wirkung dieser Gifte zu begegnen, glaubte ich<br />

immer noch mehr essen zu müssen. So vergrößerten sich die Giftvorräte beständig, um<br />

die primären Anreize daraus zu gewinnen, die zur Bekämpfung der sekundären<br />

Rückschlagswirkung des Giftes aus den eingenommenen Speisen dienen sollten.<br />

Ich brauche hier die lange Reihe von Gedanken und Überlegungen, die mich in den<br />

folgenden Wochen immer wieder beschäftigten, nicht zu wiederholen. Der Leser, der<br />

mir bis jetzt aufmerksam gefolgt ist, wird auch diese Einzelheiten mit erleben können<br />

und sich vorzustellen vermögen, was mir geschenkt wurde, als ich im Buch der Natur<br />

zu lesen begann. Ich erkannte plötzlich, wie verschieden die Gewohnheiten aller<br />

natürlich lebenden Geschöpfe, auch des natürlichen oder primitiven Menschen, von<br />

den Gewohnheiten der zivilisierten Menschheit sind.<br />

Freilich, nachdem ich begreifen gelernt hatte, daß ich vergiftet, chronisch vergiftet<br />

und etwas Ähnliches wie ein Gewohnheitstrinker war, wußte ich zunächst kaum, was<br />

ich mit dieser Erkenntnis anfangen sollte. Doch eins wollte ich auf alle Fälle sofort<br />

tun, nämlich weniger Nahrung zu mir nehmen. Aber wieviel weniger? Und welche<br />

Nahrung weglassen? Mußte ich mein gewohntes, gutes, nahrhaftes Essen nur<br />

einschränken — oder brauchte ich eine ganz andere Art Kost? Wie konnte ich wissen,<br />

wieviel und was ich essen sollte? Wie konnte ich meinen Körper von den Giften der<br />

früheren Überernährung befreien? Diese und ähnliche Fragen überlegte ich tagelang,<br />

und inzwischen bemühte ich mich, weniger zu essen, obwohl es noch immer<br />

reichliche, „nahrhafte“ Mahlzeiten waren. Reichliche Mahlzeiten, aber sie waren<br />

gegen früher schon genügend eingeschränkt, um mir die ganzen Qualen zu<br />

verursachen, die eine Entziehungskur dem Trinker oder dem Morphinisten bereitet,<br />

wenn er seinem Schnaps, seiner Spritze, seiner Pille entsagen muß.<br />

Um die lange Geschichte abzukürzen, sei gesagt, daß ich endlich eine Zeitlang zu<br />

fasten beschloß. Ich begründete diesen Entschluß vor mir selber damit, daß sich, wenn<br />

ich nun keine Nahrung zu mir nehmen würde, auch keine Gifte mehr in mir bilden<br />

konnten, und daß die Oxydationsvorgänge alle Körper- und Zellenabfallstoffe, alle<br />

Nahrungsrückstände und Fremdsubstanzen in meinem Körper, die den normalen<br />

Ablauf der Funktionen hinderten, verbrennen und ausscheiden müßten.<br />

Nie werde ich die Erschöpfung jener ersten <strong>dr</strong>ei Fasttage vergessen. Ich war der<br />

Trinker ohne seinen Stimulus. Wer je einen solch armen Wicht zu beobachten<br />

Gelegenheit hatte, wird begreifen, wie wenig Reiz das Leben damals für mich haben<br />

konnte.<br />

Aber am vierten Tage war alles verändert. Das Gefühl der Leere, das ich Hunger<br />

genannt hatte, war fort. Eine große Last schien von mir genommen.<br />

Frage: Wie kommt es, daß man sich beständig hungrig fühlt, solange man zu viel<br />

ißt, und daß der Hunger aufhört, wenn man <strong>dr</strong>ei Tage lang nichts gegessen hat? Wer<br />

die Antwort nicht kennt, wird dieses Rätsel kaum lösen können. Deshalb will ich die<br />

Lösung lieber gleich verraten. Zu viel Nahrung erzeugt eine Vergiftung, die zuerst das<br />

Nervensystem anregt und es dann nieder<strong>dr</strong>ückt. Diese Depression ist verbunden mit<br />

einer Reizung der Nerven – Enden in den Magenschleimhäuten durch die<br />

Zersetzungsprodukte, die bei einer Überlastung der Verdauungsorgane mit<br />

überschüssiger oder ungeeigneter Nahrung entstehen. Darin liegt die Ursache dieses<br />

„Hungers“. Läßt man den Magen durch Fasten ausruhen, so daß die angesammelten<br />

92


Nahrungsgifte ausgeschieden werden können, dann verschwindet der sogenannte<br />

Hunger nach <strong>dr</strong>ei Tagen, weil die Ursache entfernt ist.<br />

Natürlich, wenn es bei mir wahrer Hunger gewesen wäre, so hätte ich nach <strong>dr</strong>ei Tagen<br />

gänzlicher Nahrungsenthaltung richtig vor Hunger gelitten; aber das war nicht der Fall.<br />

Ich fühlte mich nach dem Fasten wohler, schlief besser und konnte mit größerer<br />

Klarheit denken; mein Herz schlug regelmäßiger und meine Nerven waren ruhiger als<br />

seit vielen Jahren. Diese Besserung nahm noch während zwei ganzen Wochen zu. Am<br />

Ende dieser vierzehn Tage hatte ich eine Auseinandersetzung mit dem berüchtigten<br />

Sensenmann und warf ihn kurzweg zum Haus hinaus. Seither habe ich ihn nicht mehr<br />

gesehen und gedenke noch viele Jahre lang den Kontakt mit ihm nicht wieder<br />

aufzunehmen, es sei denn, daß mir ein Unfall zustößt.<br />

Während der ersten vierzehn Fastentage trank ich stündlich zwei Gläser Wasser. In<br />

der <strong>dr</strong>itten Woche fuhr ich mit Fasten fort, doch fügte ich den zwei Gläsern Wasser,<br />

die ich weiterhin stündlich trank, den Saft je einer Apfelsine bei.<br />

Nach diesen <strong>dr</strong>ei Fastenwochen war meine Zunge sauber, mein Geist klar, mein<br />

Schritt fest; nur die Füße waren ein bißchen schwer und die Knie schwach, besonders<br />

beim Treppensteigen. Doch ich konnte nun die sechs Stufen zu meiner Terrasse ohne<br />

Schwindel hinaufsteigen, und ich konnte laufen, beides Dinge, die ich am Anfang<br />

meiner Fastenzeit und viele Jahre vorher überhaupt nicht gewagt hätte.<br />

Ich beendete mein Fasten in der folgenden Weise: Am ersten Tage der vierten Woche<br />

fügte ich dem Glas warmen Wassers, das ich alle zwei Stunden zu mir nahm, je zwei<br />

gestrichene Teelöffel Malzmilch bei, am nächsten Tag <strong>dr</strong>ei, am übernächsten vier. Am<br />

vierten Tage nahm ich nach dem Frühstück die vier gestrichenen Teelöffel Malzmilch<br />

in einem halben Glase frischer Milch, aufgefüllt mit kochendem Wasser. Am fünften<br />

und sechsten Tage dasselbe. Am siebenten Tage ergänzte ich dieses Frühstück durch<br />

einen Teller ungezuckertes Apfelmus. Mittags nahm ich in kleinen Schlücken ein Glas<br />

warme Vollmilch und um sechs Uhr abends noch einmal ungezuckertes Apfelmus. Am<br />

achten Tage dasselbe wie am siebenten, mit dem Unterschied, daß ich dem Apfelmus<br />

morgens und abends einen Teelöffel Honig beifügte. Am neunten Tage dasselbe wie<br />

am achten, nur noch eine Tasse Milch morgens und abends zum Apfelmus mit dem<br />

Honig; Milch und Apfelmus kaute ich gut ineinander. Am zehnten wie am neunten<br />

Tage, bloß mittags die doppelte Menge Milch. Am elften wie am zehnten, doch fügte<br />

ich dem Mittagsmahl eine Tasse Vollkornporridge bei, die sogenannte „Römerkost“,<br />

einen aus Vollkörnern verschiedener Getreidearten gemischten, regelrecht gekörnten<br />

Grützebrei, mit Vollmilch, aber ohne Zucker zu essen. Dann ging ich allmählich zu<br />

meiner normalen Kost über, die ich später noch beschreiben werde.<br />

Ich muß hier besonders betonen, daß es für den Enderfolg sehr wichtig ist, wie man<br />

vom Fasten zur Normalkost übergeht. Die Verdauungsfunktionen gehorchen dem<br />

nervösen Reflexsystem; sie haben nichts zu tun mit unserem Verstand oder mit<br />

unserem Willen. Wenn die Verdauung des Fastens wegen ein paar Tage lang ausfällt,<br />

so darf sie nur langsam zu ihrer vollen Tätigkeit zurückgeführt werden. Während<br />

dieser Zeit darf man den Verdauungsorganen nur die leichteste Arbeit zumuten und die<br />

Nahrungsmenge nur allmählich vergrößern. Wird dieser Grundsatz streng eingehalten,<br />

so schadet das Fasten auf keinen Fall; im Gegenteil, es verjüngt und belebt den ganzen<br />

Körper.<br />

Von nun an hielten die „Römerkost“ und die Früchte meinen Darm in normaler<br />

Tätigkeit und ermöglichten <strong>dr</strong>eimal täglich eine vollständige Entleerung. Dieses<br />

93


Ergebnis erhielt ich zwar erst nach einiger Zeit; aber meine erschlafften Darmmuskeln<br />

stärkten sich zusehends unter dem Einfluß der durch die Zellulose im Grützebrei<br />

gesteigerten Verdauungstätigkeit, genau so wie meine Arm- und Beinmuskeln<br />

kräftiger wurden, nachdem ich begonnen hatte, sie täglich zu üben. Mit der Kräftigung<br />

der Darmmuskeln verschwand dann auch jegliche Neigung zur Verstopfung.<br />

Freilich ging noch lange nicht alles glatt. Ich hatte vielmehr noch schwere Kämpfe zu<br />

bestehen, bevor ich wirklich gesund war, denn ich erlebte zahlreiche Rückfälle und<br />

Zusammenbrüche, die ich in der Hauptsache meiner Eile, gesund zu werden,<br />

zuschreiben muß. Ich sah damals noch nicht ein, daß ein Körper, der so viele Jahre<br />

lang mißhandelt worden war, nicht in wenigen Wochen oder Monaten geheilt werden<br />

konnte; diese Weisheit wollte erst gelernt sein. Auch auf dem Gebiet der Haut- und der<br />

Muskelpflege entdeckte ich erst ganz allmählich, daß man nach jahrelanger<br />

Verzärtelung seines Körpers nicht unvermittelt entgegengesetzte Maßnahmen<br />

ergreifen und sozusagen ins andere Extrem übergehen darf, ohne Gesundheit und<br />

Nervenkraft aufs schwerste zu gefährden. Die bisher unausgebildeten Funktionen<br />

können nur langsam und stufenweise zu erhöhter Leistungsfähigkeit gebracht werden,<br />

so wie die Natur selber ihre Geschöpfe gedeihen läßt.<br />

Mein tägliches Bad begann ich mit lauen, dann kühlen, dann kalten Abwaschungen.<br />

Hernach stellte ich mich in die Wanne und wusch meinen ganzen Körper mit einem<br />

triefend nassen Waschlappen, erst lauwarm, später kühl, noch später kalt ab. Die dazu<br />

nötigen Bewegungen führte ich immer sehr rasch aus, unter tiefem Atemholen, um<br />

eine schnelle Zirkulation und auf diese Weise genügend innere Wärme zu erzeugen.<br />

Schließlich war meine Haut so abgehärtet, daß ich die kalte Dusche oder die kalte<br />

Abwaschung mit Genuß über mich ergehen ließ, und jetzt kann ich meine<br />

Abwaschung so kalt nehmen, wie das Wasser mitten im Winter direkt aus dem<br />

Ontario-See kommt; dann steige ich aus der Wanne und stelle mich mit meinem<br />

nassen Körper vor ein offenes Fenster, auch wenn die Außentemperatur unter Null ist<br />

und der Nordwind voll auf meinen nassen Körper bläst, der unter meinem Massieren<br />

und Beklopfen langsam trocknet. Das ist ein herrliches Gefühl, aber nur der darf<br />

diesen Versuch wagen, dessen Abwehrmechanismus in vollkommener Ordnung ist<br />

und der durch langsame, vorsichtige Fortschritte bereits einen hohen Grad von<br />

Vollkommenheit seines Körpersystems erreicht hat. Auch diese Luftbäder habe ich nur<br />

allmählich in mein Tagesprogramm aufgenommen; ich begann damit, meine Haut<br />

zuerst ein paar Minuten lang kühler Luft auszusetzen und während dieser Zeit<br />

unablässig kräftige Muskelbewegungen und rasche Massage zu machen, um mich<br />

nicht zu erkälten. Nach und nach erst verlängerte ich die Prozedur. Und mit derselben<br />

Vorsicht setzte ich auch meine Haut erst allmählich und das Zeitmaß langsam<br />

steigernd im Freien der Sonnenbestrahlung aus; hier ist im Anfang ganz besondere<br />

Vorsicht geboten.<br />

Gewiß, es ist schwer, sich dem langsamen Tempo solcher Fortschritte anzupassen.<br />

Aber wir dürfen eines nie vergessen: daß die Natur bedächtig arbeitet und nichts<br />

überhastet. Sie hatte bei mir viele Jahre lang geduldig jede Mißhandlung meines<br />

Körpers ertragen, bevor sie begann, mich wirklich leiden zu lassen. Nun mußte ich,<br />

während sie mich langsam und sorgfältig wiederaufbaute, das Leiden in Kauf nehmen.<br />

Auf diese Weise blieben die Waagschalen im Gleichgewicht.<br />

Natürlich beging ich am Anfang meiner Diätänderungsversuche Fehler über Fehler.<br />

Ich erinnere mich unter anderem noch, wie ich zuerst meine Vollmehl- und<br />

94


Vollkornspeisen beständig zu lange Zeit der Hitze aussetzte, nicht ahnend, daß diese<br />

falsche Behandlung das darin enthaltene Lebensprinzip zu einem großen Teil zerstört.<br />

Schließlich lernte ich, das Vollkorn nicht länger als <strong>dr</strong>ei bis fünf Minuten zu kochen<br />

und es dann zwanzig bis <strong>dr</strong>eißig Minuten zugedeckt zur Seite zu stellen; damit blieb<br />

das ihm innewohnende, aller Krankheit und Zersetzung trotzende Lebensprinzip<br />

erhalten. Seither habe ich auch gelernt, es vollkommen ungekocht zu essen, damit mir<br />

nichts von dem gesundheitsaufbauenden Werte, den die Natur in die Getreidekörner<br />

gelegt hat, entgeht. Niemand, der es nicht schon versucht hat, kann genügend<br />

ermessen, wie köstlich auch dieses ungekochte Gericht schmeckt.<br />

Die anfänglichen Niederlagen entmutigten mich nicht; ich gab nicht mehr nach; ich<br />

kämpfte unver<strong>dr</strong>ossen weiter. Auf diese Weise ergab sich nach und nach eine<br />

Tagesordnung, die ich hier rasch skizziere.<br />

Ich schlafe das ganze Jahr in einem ungeheizten Raume, die Fenster sind weit offen,<br />

das Bett vor Durchzug geschützt, und trage keine Nachtkleider, weder Pyjama noch<br />

Nachthemd, decke mich aber so gut zu, daß ich mich im Bett behaglich warm fühle.<br />

Am frühen Morgen werfe ich die Decken über das Fußende des Bettes zurück und<br />

turne eine halbe Stunde lang nackt auf dem Bette liegend, stets bei offenem Fenster,<br />

ohne mich um die Kälte zu kümmern. Ist die Temperatur unter Null, so öffne ich die<br />

Fenster natürlich nicht ganz so weit wie bei milderem Wetter; aber offen bleiben sie<br />

immer. Mit meiner Morgengymnastik verbrenne ich alles, was an nicht gebundener<br />

Nahrungsenergie und an Speiseresten noch in meinem Körper vorhanden ist; so<br />

verhindere ich die Anhäufung von Abfallstoffen in meinem Körper, welche die<br />

Tätigkeit meiner Gewebezellen beeinträchtigen könnten.<br />

Nach diesem Bett – Turnen gehe ich ins Badezimmer, öffne das Fenster, wenn es<br />

nicht eingefroren ist, trinke <strong>dr</strong>ei Glas Wasser, heiß oder kalt, wie es mir im Augenblick<br />

beliebt, besorge meine Morgentoilette, turne noch einmal stehend und arbeite dabei<br />

alle Muskeln des Körpers gut durch, namentlich die Lenden- und Unterleibsmuskeln.<br />

Dann folgt ein kurzes kaltes Bad, rasche, kräftige Massage und aufs neue Muskel- und<br />

Atemübungen.<br />

Nach diesen Prozeduren fühle ich mich selbst bei großer Kälte durch und durch<br />

warm und wunderbar angeregt. Ich kleide mich an (Sommer und Winter ohne<br />

Unterwäsche) und begebe mich auf einen acht Kilometer langen Marsch. Weste und<br />

Mantel lasse ich selbst bei kältestem Wetter zu Hause. Im Sommer ziehe ich so wenig<br />

Kleider an, als Anstand und Gesetz es zulassen. Auf dem langen, raschen, energischen<br />

Spaziergang beschleunige ich die Sauerstoffaufnahme durch tiefes Atmen und sichere<br />

damit die Verbrennung der Nahrungsreste. Wenn ich in meiner Ordination ankomme,<br />

prickelt es in allen Zellen und Nerven meines sauberen Körpers — äußerlich sauber<br />

durch das kalte Bad und die Massage und innerlich durch die Verbrennung der<br />

überflüssigen Energien und Abfallstoffe.<br />

Jede Zelle verlangt nun nach Nahrung. Ich nehme sie in ihrer lebenskräftigsten<br />

Form — lebendige Früchte. Der in diesen Früchten enthaltene Zucker muß nicht<br />

einmal umgewandelt werden; er tritt unmittelbar als Energie in Tätigkeit. Auch das<br />

körperbelebende Prinzip der lebendigen Früchte wird unmittelbar wirksam. Zu dem<br />

Obst (bestehend aus den Früchten der Jahreszeit, Äpfeln, Orangen und Grapefruits<br />

oder — zumal im Winter — süßen Früchten wie Datteln, getrockneten Weintrauben,<br />

Feigen, Zwetschgen usw.) nehme ich Milch oder Getreidekaffee.<br />

Weil mein Körper innerlich und äußerlich sauber ist, ist auch mein Geist klar, und<br />

95


weil mein Frühstück aus lebendiger Nahrung besteht, besitze ich hernach physische<br />

Energien im Überfluß. Deshalb stürze ich mich auf die Arbeit des Tages, wie ein<br />

feuriges Pferd sich in Trab und Galopp setzt. Woher dieser Eifer kommt, wird der<br />

Leser leicht einsehen.<br />

Zum Mittagessen nehme ich Milch und eine große Schüssel körniger<br />

Vollmehlgrütze, deren Zubereitung ich selber ausgedacht habe; oder ich esse<br />

Vollkornbrot mit Butter, Honig (außer den süßen Früchten die einzige Süßigkeit, die<br />

ich mir erlaube) und Getreidekaffee; ferner einen großen, blätterigen Salat mit<br />

Zwiebeln, Radieschen, Blumenkohl, Sellerie oder Tomaten, je nach der Jahreszeit.<br />

Das Nachtessen besteht fast immer aus einem großen Salat wie mittags, aus Käse<br />

oder Quark, Nüssen oder Nußbutter. Im Winter kommt oft noch gedämpftes Gemüse<br />

hinzu, mit Butter und Salz serviert. Im Sommer hingegen besteht das Nachtmahl oft<br />

auch nur aus Beeren und Milch. Häufig nehme ich auch im Winter abends nur süße<br />

Früchte und Milch oder Nüsse und getrocknete Weintrauben und eine Tasse<br />

Getreidekaffee.<br />

Gelegentlich lebe ich auch einen oder mehrere Tage lang ausschließlich von<br />

saftigen Früchten und „Halb-und-Halb“ (halb frische Milch und halb siedendes<br />

Wasser), damit die Verdauungsorgane und das Blut gereinigt werden, ausruhen<br />

können und die Darmflora sich verbessert. Durch die Vollgetreidespeisen, den Käse,<br />

die Milch, die sich alle nur langsam zersetzen und die mich daher nicht (wie Fleisch<br />

oder Fisch) vergiften können, wird mein Körper ausgiebig mit Aufbau- und<br />

Ersatzstoffen versorgt. Die vielen Mineralstoffe in den Getreidespeisen, den blättrigen<br />

Gemüsen und Früchten wirken den Gärungsprodukten kräftig entgegen; das<br />

Früchtefasten tötet die Fäulnisbakterien oder bezwingt sie. Mein Blut bleibt bei dieser<br />

Nahrung normal basisch und rein, meine Gewebe sind säurefrei und die Organe<br />

entlastet. Mein Körper ist geschmeidiger als die Körper junger Menschen, die sich von<br />

säureüberschüssiger Kost nähren. Durch die sorgfältige Haut- und Muskelpflege<br />

erhalte ich ihn sozusagen unempfindlich gegen Schmerzen und Beschwerden und stets<br />

vollkommen leistungsfähig.<br />

Ohne je einen Pausentag einzuschieben, marschiere ich täglich etwa sechzehn<br />

Kilometer und bin trotz meinen achtzig Jahren überhaupt nie müde. Ich kann zwölf bis<br />

fünfzehn Stunden täglich höchst angespannt arbeiten und betätige mich auf<br />

verschiedenen geistigen und körperlichen Gebieten nebeneinander. Meine Denkkraft<br />

ist klarer, leichter und beweglicher als in irgendeiner früheren Lebensperiode. Dies ist<br />

zum Beispiel mein erstes Buch, und das Manuskript — nicht die Maschinenabschrift<br />

— wurde an den Samstagnachmittagen und -abenden von zehn Wochen, deren Tage<br />

mit anstrengender Arbeit ausgefüllt waren, niedergeschrieben.<br />

Ich halte mich nicht damit auf, nach rückwärts zu schauen und nach einer<br />

vergangenen besten und schönsten Zeit meines Lebens zurückzuschielen: jetzt ist die<br />

beste, jetzt ist die schönste Zeit. Im Vorgefühl der immer größeren Dinge, die noch für<br />

mich zu tun sein werden, und in der Gewißheit sicheren Erfolges blicke ich beständig<br />

nach vorne in die Zukunft. Ich fühle mich trotz meinem hohen Alter durchaus jung,<br />

denn meine geistige Haltung ist die der Jugend.<br />

Ich bin so gesund, daß ich seit fünfundzwanzig Jahren nicht einmal mehr erkältet<br />

war, obwohl ich früher fast jedem Luftzug zum Opfer fiel. Heute bin ich meiner<br />

Gesundheit sicher; jedenfalls ist meine Aussicht, hundertzwanzig Jahre alt zu werden,<br />

größer als die Aussicht eines durchschnittlichen <strong>dr</strong>eißigjährigen Mannes, der das<br />

96


allgemein übliche Leben führt, auf Erreichung des sechzigsten Lebensjahres. Ein<br />

Mensch ist alt, wenn seine Gesundheit untergraben und nicht mehr widerstandsfähig<br />

ist, und ein Mensch ist jung, wenn sein Geist und sein Körper gesund sind.<br />

Könnte ich mit meiner früheren Lebenseinstellung alles leisten, was ich heute<br />

leiste? Könnte ich täglich von halb sechs Uhr morgens bis halb elf Uhr nachts auf den<br />

Beinen sein und Jahr um Jahr so leben, ohne je Ferien zu machen? Keineswegs, denn<br />

ich habe es lange Zeit hindurch versucht und mich damit beinahe umgebracht. Jeder<br />

Mensch, sei er, wer er wolle, wird, wenn er so lebt, wie ich gelebt habe — und wie es<br />

fast alle zivilisierten Menschen tun —, trotz scheinbarer Gesundheit viele Jahre früher<br />

sterben, als sein natürliches Leben dauern könnte, selbst jener, der zufällig eine so<br />

starke Konstitution geerbt hat, daß er dieses Leben hundert Jahre lang aushält; denn<br />

Menschen von so außerordentlich widerstandsfähiger Anlage könnten bei biologisch<br />

richtiger Lebensführung mit Leichtigkeit noch viel länger leben und bis zu ihrem Tode<br />

tatkräftige und nützliche Glieder der Gemeinschaft sein.<br />

Ich erzähle meine Erfolge nicht zu meinem Ruhm. Ich erzähle sie, um zu zeigen,<br />

was jeder erreichen kann, solange sein Körper sich noch durch natürliche Mittel<br />

erneuern läßt. Mir selbst blühten die Erfolge und ermutigenden Ergebnisse auf dem<br />

Wege der Gesundheitserneuerung schon recht bald. Bereits vier Jahre nachdem ich<br />

durch eifriges Nachdenken den Heilungsweg einer gesundheitsbringenden<br />

Lebensführung entdeckt hatte, kletterte ich als einziger unter zwölfen, die an dem<br />

Versuch teilnahmen, die fünfzig Stockwerke des Washingtoner Monuments hinauf; die<br />

andern kamen nicht über das achtzehnte Stockwerk hinaus, obwohl der älteste von<br />

ihnen fünf Jahre jünger war als ich und zwei von den anderen weniger als <strong>dr</strong>eißig Jahre<br />

alt waren. Ich stieg dann auch wieder zu Fuß hinunter. Es war an einem jener heißen,<br />

feuchten Julitage, für die Washington berüchtigt ist.<br />

Solche Ergebnisse können gewiß auch für Mutlose, denen die nötige Änderung<br />

ihrer Lebensgewohnheiten schwer erscheint, Ansporn und begehrenswerte Belohnung<br />

sein. Und ich kann aus meiner reichen und freudigen Erfahrung heraus enthusiastisch<br />

bestätigen: sie sind es in der Tat!<br />

97


9. KAPITEL<br />

Die richtige Ernährung<br />

Leider besitzen wir die hohen Instinktqualitäten nicht mehr, die den Menschen der<br />

Urzeit befähigten, sich über das Tierreich hinaus zu entwickeln, und die seine<br />

Evolution aus jenem primitiven, instinktgeleiteten, noch rohen Wesen in das<br />

beobachtende, überlegende, denkende, urteilende Geschöpf, das der Mensch heute ist,<br />

begünstigten. Wie sollen wir unter diesen Umständen entscheiden, welche Nahrung<br />

wir essen müssen, um normale Körperreflexe zu schaffen und so die beständige<br />

Gesundheit zu fördern?<br />

Dafür gibt es einen einzigen Weg, und das ist das Studium des großen, offenen<br />

Buches der Natur. Dieses Buch sagt uns alles, was wir wissen müssen. Befragen wir es<br />

im Geiste der unvoreingenommenen Wißbegierde, dann werden wir die Wahrheit ohne<br />

Schwierigkeit erfahren. Wir müssen dabei freilich jene geistige Einstellung vermeiden,<br />

die überall nur nach Unterstützung einer vorgefaßten Meinung Ausschau hält.<br />

Und welches ist die erste Lektion, die die Natur uns über Ernährung gibt? Sobald<br />

wir in ihrem Buche zu lesen beginnen, wird es uns auffallen, daß nirgends von<br />

verbesserter, verfeinerter, konservierter, eingemachter, eingepökelter, gereinigter Kost<br />

die Rede ist, sondern allein von natürlicher Kost. Kein Tier wird unter natürlichen<br />

Bedingungen denaturierte Nahrung zu sich nehmen, wenn es natürliche bekommen<br />

kann.<br />

Und das normale Tier, das sich seine Nahrung aus der Natur holt, verzehrt diese<br />

Nahrung auch vollständig. Die reinen Pflanzenfresser fressen die ganze Pflanze, die<br />

ganze Wurzel oder die ganze Frucht. Sie zerteilen, schälen, verwässern, kochen sie<br />

nicht. Sie gießen nicht ab, <strong>dr</strong>ücken nicht aus, kochen nicht wieder auf. Sie salzen und<br />

pfeffern nicht, sie mischen, vermusen und zerhacken sie nicht. Sie machen daraus<br />

keinen Mischmasch aller möglichen Substanzen, die sich nicht miteinander vertragen<br />

und niemals vollständig verarbeitet werden können. Der Instinkt sagt dem Tier, daß es<br />

von einer Pflanze alles ohne andere Zutaten braucht, damit sein Körper in<br />

Vollkommenheit aufgebaut und ergänzt wird. Die ganze Pflanze, die ganze Wurzel,<br />

den ganzen Samen, die ganze Frucht zu fressen, ist für die pflanzenfressenden Tiere<br />

eine Artgewohnheit und als solche ein Gesetz geworden, von dem sich die Art oder<br />

98


das einzelne Tier nur unter Gefährdung des Lebens und des Artbestandes entfernen<br />

kann. Der Instinkt, den die Natur dem Tier gegeben hat, sorgt dafür, daß es sich von<br />

diesem Gesetze weder losreißen kann noch will.<br />

Dasselbe gilt für die fleischfressenden Tiere, die Karnivoren. Sie fressen aus ihrem<br />

unbeirrbaren Instinkt heraus das ganze Tier, das sie erbeutet haben. Täten sie es nicht,<br />

sie gingen aus Mangel an lebenswichtigen, aufbauenden und<br />

funktionskontrollierenden Nährfaktoren, an Mineralsalzen und Vitaminen zugrunde.<br />

Aber nicht nur Tiere üben die Praktik aus, den ganzen tierischen oder pflanzlichen<br />

Nahrungskörper zu verzehren, auch bei den noch lebenden primitiven Menschenrassen<br />

gilt diese Gewohnheit. Das ist für uns interessant, denn diese Menschen gleichen ja in<br />

ihrer Wesensart unseren Urvorfahren, durch deren Generationenreihen unser Körper<br />

zu seiner heutigen anatomischen und physiologischen Vollkommenheit ausgebaut und<br />

ausgebildet wurde. Die Eskimos, die fast ausschließlich von Tierfleisch leben, essen<br />

nicht bloß die zuvor gut ausgebluteten Muskeln wie die zivilisierten Völker, sondern<br />

sie essen das ganze Tier, Blut, Hirn, Magen, Eingeweide, Lungen, Nieren, Leber,<br />

Milz, Bauchspeichel<strong>dr</strong>üse, Knorpel und die weicheren Knochen; sie essen sozusagen<br />

alles außer den harten Knochen, den Hufen, Hörnern und Haaren. Und alle diese<br />

eßbaren Teile verzehren sie vielfach roh.<br />

Die Tiere, die den Menschen (und den fleischfressenden Tieren) als Nahrung dienen,<br />

haben zu ihrer Lebenszeit ihren ganzen Körper durch Pflanzenkost aufgebaut. Sie<br />

haben auf diese Weise — durch das Medium der Pflanze — vom Boden, von der<br />

Sonne und dem Wasser die zum Aufbau ihrer Organe nötigen Stoffe erhalten, welche<br />

die Pflanze direkt aus dem Boden, der Luft und dem Wasser beziehen und in ihre<br />

Struktur einbauen kann, während das dem Tiere nicht möglich ist. Aber das Tier,<br />

welches die ganze Pflanze frißt, kann die verschiedenen Stoffe, die in den einzelnen<br />

Teilen der Pflanze enthalten sind, nicht gleichmäßig in alle seine Körperteile<br />

aufnehmen. Kalk und Phosphorsalze z. B. werden zum größten Teil in die Knochen<br />

und die Zähne verarbeitet, Natriumsalze in die flüssigen Gewebe (das Blut, die<br />

Lymphe und die Galle), die Vitamine in die inneren Organe usw. Um alle diese<br />

wichtigen Bestandteile in sich aufnehmen zu können, muß das nur fleischfressende<br />

Tier und muß auch der Mensch, der sich weitgehend von Fleisch nährt, den ganzen<br />

Tierkörper verzehren. Das Tier, das von dieser Regel abweichen würde, müßte<br />

Zugrundegehen, und der Mensch auch. Ein Ausweg und eine Rettung läge in dem<br />

Verzehren der ganzen Substanz irgendwelcher Pflanzen — das kommt aber für nur<br />

fleischfressende Tiere nicht in Betracht. Natürlich kann ein Wesen, wenn es intelligent<br />

genug ist, gewisse Pflanzenteile zur Ausfüllung der Lücken in seiner Kost, die durch<br />

nur teilweises Verzehren des tierischen Körpers entstehen, verwenden. Aber solche<br />

Weisheit besitzen selbst unter den Menschen nur wenige und diese wenigen auch nur<br />

bis zu einem gewissen Grade. Allen anderen Kreaturen sind diese Dinge ein Buch mit<br />

sieben Siegeln, das ihnen wohl auch immer versiegelt bleiben wird.<br />

Eine andere Lehre, die uns die Natur erteilt, ist, daß die Nahrung genossen werden<br />

sollte, ohne vorher gewürzt zu werden. Kein wildes Tier frißt sein Futter gewürzt. Es<br />

muß allerdings zugegeben werden, daß manche Tiere eine große Vorliebe für Salz<br />

haben und weit herumstreifen, um Salzlecken zu finden. Aber dieses Salz bedeutet für<br />

die Tiere nicht Beigabe zu ihrer Kost oder Würze ihrer Nahrung, die mit dieser<br />

zusammen eingenommen die Absonderung der Verdauungssäfte stören und lokale<br />

Reizungen, Überfressen, Entzündungszustände und schlechte Verdauung hervorrufen<br />

99


könnte, sondern spezielles Bedürfnis. Die Eskimos lehnen alles Salz ab, und das gilt<br />

von vielen primitiven Völkern. Diese Völker wollen im allgemeinen auch von anderen<br />

Würzen und Nahrungsbeilagen nichts wissen. Das Verzehren von Salz ist also kein<br />

Bedürfnis, sondern eine Gewohnheit; wer einige Monate lang Verzicht leistet, wird<br />

kaum mehr Vergnügen daran finden. Was früher dem Geschmacke so angenehm war,<br />

dünkt ihn nun unnatürlich und scharf. Dasselbe gilt für alle anderen Würzen. Wir<br />

können daraus erkennen, daß das Salzen und Würzen unserer Speisen tatsächlich eine<br />

unnatürliche Gewohnheit ist.<br />

Kann aber eine unnatürliche Gewohnheit, eine gedankenlos anerzogene<br />

Gepflogenheit (denn sie muß erst anerzogen werden), eine Gewohnheit, die der<br />

Nahrung etwas beifügt, das in keiner Weise zu ihr gehört, eine Gewohnheit, gegen die<br />

zum Beispiel unverdorbene Kinder instinktiv eingestellt sind, irgendwelche Vorteile<br />

gegenüber den natürlichen Gewohnheiten bieten? Selbstverständlich nicht. Die Natur<br />

ist so allmächtig und allweise, weil sie gewissermaßen das Faktotum, die<br />

Vertrauensperson unseres Schöpfers ist. Sie macht keine Fehler. Sie hat alle eßbaren<br />

Dinge in ihrer natürlichen Gestalt lieblich und köstlich geschaffen; nur der durch<br />

langewährende verkehrte Nahrungsgewohnheiten verbildete Geschmack wird die<br />

natürliche Kost nicht mehr ohne weiteres zu schätzen wissen.<br />

Wenn wir im Buche der Natur weiterforschen, dann gewinnen wir noch eine andere<br />

unschätzbare Erkenntnis über die Ernährung unseres Körpers.<br />

Tiere in ihrem Naturzustand, aber auch wilde (also natürlich lebende) Menschen,<br />

wählen für ihre Mahlzeit, wenn möglich, eine einzige Nahrungsart, eine einzige<br />

Speise. Der Affe klettert auf einen Baum und frißt zur Stillung seines Hungers Nüsse.<br />

Oder er klettert auf einen anderen Baum und frißt dessen Früchte. Der Wilde klettert<br />

auf den Baum oder lagert sich darunter, um eine Mahlzeit von Nüssen oder von<br />

Früchten zu verzehren; vielleicht gräbt er auch Wurzeln aus oder sammelt Kräuter und<br />

läßt sich nieder, um sie zu essen; oder er tötet ein Tier und verschlingt alles, was daran<br />

eßbar ist. Jedenfalls verliert er seine Zeit nicht mit dem Sammeln von Nüssen,<br />

Früchten, Blättern und Wurzeln, um sie dann mit dem Fleisch eines erlegten Tieres zu<br />

genießen; er ißt eine einzige Speise, und davon so viel, als sein Appetit verlangt. Dann<br />

ist er satt bis zu seiner nächsten Mahlzeit, die er erst wieder einnimmt, wenn sein<br />

Hunger sich aufs neue regt und ihn zwingt, frische Nahrung, wie sie aus der Hand der<br />

Natur kommt, zu suchen. Überhaupt kennen die Primitiven eine solche<br />

Regelmäßigkeit im Essen, wie sie bei uns herrscht, nicht. Sie müssen umherstreifen,<br />

um Nahrung zu finden, müssen sich kräftig bewegen, bevor sie ihre Mahlzeit<br />

einnehmen. Wir ersehen daraus, daß Bewegung vor der Mahlzeit eine<br />

Rassengewohnheit und physiologisch dem Körper notwendig ist. Die Bewegung vor<br />

dem Essen schafft ein Bedürfnis der Körperzellen nach Nahrung. Und dieses<br />

natürliche Bedürfnis sichert die beste und rascheste Verwendung der eingenommenen<br />

Nahrung durch den Körper, sichert schnelle und vollständige Verdauung, so daß in der<br />

verzehrten Kost keine unnatürliche Gärung der Fäulnis oder irgendein anderer<br />

ausartender Prozeß entstehen kann.<br />

Wenn wir uns nun sagen müssen, daß es vollkommen undenkbar ist, daß<br />

instinktgeleitete Tiere von der Natur irregeführt und zu andern als einwandfreien<br />

Körperaufbaugewohnheiten angehalten werden, so gelangen wir auf dem Wege der<br />

Beobachtung zu der unbestreitbaren Schlußfolgerung, daß natürliche, ganze<br />

Nahrungsmittel und unkomplizierte Mahlzeiten die natürlichen Anreize des Magen-<br />

100


Darm-Reflexsystems darstellen. Und wir erkennen auch allmählich, welche<br />

Nahrungsmittel wir, wenn nicht ausschließlich, so doch in der Hauptsache bevorzugen<br />

sollen.<br />

Im folgenden habe ich verschiedene Listen unserer gebräuchlichsten<br />

Nahrungsmittel zusammengestellt, nach denen jeder Leser leicht die richtige Auslese<br />

treffen kann, um auf diese Weise von Anfang an Mahlzeiten zu vermeiden, deren<br />

Bestandteile sich gegenseitig bekämpfen und schädigend wirken.<br />

LISTE 1<br />

Stärkehaltige Gemüse und andere stärkehaltige Speisen<br />

(gekocht bzw. gebacken zu essen)<br />

Kartoffeln Reis<br />

Bohnen Sago<br />

Karotten Tapioka<br />

rote Rüben Getreidespeisen<br />

weiße Rüben (alt) Brot<br />

Pastinaken Spaghetti<br />

Artischocken Nudeln<br />

Grünkern Kuchen<br />

alle Körnernahrung Puddinge<br />

(Diese Speisen vertragen sich mit den Speisen in den Listen 2, 3 und 7; bei schwacher<br />

Verdauung sollen sie jedoch nicht mit Speisen der Liste 7 gemischt werden.)<br />

LISTE 2<br />

Nicht stärkehaltige Gemüse<br />

(gewöhnlich gekocht zu essen)<br />

Kohl Eierfrüchte (Aubergines, Melanzani)<br />

Blumenkohl Kürbis<br />

Wirsingkohl Kardätschen (Cardon)<br />

Rosenkohl Lotos (eßbarer Judendorn, ägyptische Bohnen)<br />

Kohlrüben eßbarer Eibisch<br />

Karotten Spargel<br />

rote Rüben Spinat<br />

weiße Rüben (jung) grüne Erbsen Sellerie<br />

101


Pastinaken Endivien<br />

Artischocken Tomaten<br />

Grünkern Löwenzahnblätter<br />

grüne Bohnen Lauchblättriger Bocksbart (Haferwurz)<br />

Zwiebeln<br />

Werden die Gemüse gekocht, so sollen sie nur mit Butter und sehr wenig Salz oder mit<br />

saurem Rahm angerichtet werden; der Rahm darf jedoch nie mit Getreidestärke oder<br />

Mehl verdickt werden. (Diese Gemüse vertragen sich mit allen anderen Speisen.)<br />

LISTE 3<br />

Nicht stärkehaltige Gemüse (vorzugsweise roh zu essen)<br />

Großblättriger Salat rote Rüben<br />

Lattich Pastinaken (jung)<br />

Endivien Radieschen<br />

Spinat Zwiebeln<br />

Brunnenkresse Sellerie<br />

Petersilie Gurken<br />

Kapuzinerkresse Pfefferschoten<br />

Kapuzinerblüten Tomaten<br />

Karotten (jung) grüne Erbsen (jung)<br />

weiße Rüben (jung) reife Oliven<br />

(Diese Gemüse vertragen sich mit allen anderen Speisen.)<br />

LISTE 4<br />

Eiweißnahrung<br />

Alle Fleischnahrung (einschließlich Süß- und Salzwassertiere)<br />

Eier Buttermilch<br />

Käse Nüsse<br />

Quark Hülsenfrüchte<br />

Milch<br />

(Diese Speisen vertragen sich mit den Speisen der Listen 2, 3, 7 und 8.)<br />

LISTE 5<br />

102


Säureüberschüssige Nahrung<br />

(Siehe auch die Liste der säurebildenden Nahrungsmittel S. 52)<br />

Alle Fleischnahrung<br />

Kaffee<br />

(das Fleisch aller Tiergattungen und Kakao<br />

alle Teile des einzelnen Tieres) alle Fette<br />

Alle Körnernahrung<br />

Eiweiß<br />

(besonders weißes Mehl, verfeinerte Käse<br />

Getreidespeisen und polierter Reis) getrocknete Bohnen<br />

Zucker getrocknete Erbsen<br />

Tee<br />

Nüsse (einschließlich Erdnüsse)<br />

getrocknete Linsen<br />

(Speisen aus dieser Liste sollen nur 1/5 der täglichen Nahrungsmenge ausmachen.)<br />

LISTE 6<br />

Basenüberschüssige und basenbildende Nahrung<br />

(Siehe auch die Liste der basenbildenden Nahrungsmittel S. 53)<br />

Alle Früchte<br />

(vor allem die Zitrusfrüchte)<br />

Paranüsse<br />

Alle Gemüse<br />

Milch (einschließlich Buttermilch und<br />

(besonders die nicht stärkehaltigen<br />

Arten; vgl. die Listen 2 und 3)<br />

Quark)<br />

Kartoffeln Vollmehl- und Vollkornprodukte<br />

Eidotter Mandeln<br />

(Speisen aus dieser Liste sollen wenigstens vier Fünftel der täglichen<br />

Nahrungsmittelmenge ausmachen.)<br />

LISTE 7<br />

Süße Früchte<br />

Süße Äpfel vollreife Bananen<br />

Melonen reife Beeren<br />

milde, gut ausgereifte Birnen Rosinen, Feigen und Datteln<br />

milde, gut ausgereifte Pfirsiche süße Trauben<br />

(Süße Früchte vertragen sich mit allen anderen Speisen, außer wenn schwache<br />

Verdauung vorliegt; dann darf man solche Früchte nicht<br />

mit stärkehaltiger Nahrung mischen.)<br />

LISTE 8<br />

Säuerliche und saure Früchte<br />

103


Äpfel Grapefruits<br />

Birnen Zitronen<br />

Pfirsiche Trauben<br />

Zwetschgen Beeren<br />

Pflaumen Preiselbeeren<br />

Orangen Rhabarber<br />

(Diese Früchte vertragen sich mit den Speisen in den Listen 2, 3 und 4.)<br />

Den am Anfang dieses Kapitels aufgestellten Grundsätzen fügen wir nun noch aus<br />

den Kapiteln III, IV und V gewonnene Erkenntnisse bei, welche wir hier kurz<br />

rekapitulieren.<br />

Will man sich dauernd bei guter Gesundheit erhalten, so muß man sich immer<br />

vergegenwärtigen, daß die einzelnen Mahlzeiten möglichst einfach sein sollen, sowohl<br />

in ihrer Zusammenstellung als auch in ihrer Zubereitung, und daß sie natürlicher<br />

Nahrung so nahe als nur möglich kommen müssen.<br />

�<br />

Für Menschen, die immer gesund bleiben wollen, muß die Nahrung nicht nur vom<br />

Lebensprinzip durch<strong>dr</strong>ungen sein, sondern auch das Lebensprinzip übermitteln. Totes<br />

Fleisch, verfeinerte und schon zum voraus zubereitete Mehl- und andere<br />

Kornprodukte, raffnierter Zucker und ähnliche unlebendige Kost kann, wie wir<br />

einsehen lernten, niemals diese Forderung erfüllen. „Lebendige“ Nahrung müssen wir<br />

anderswo suchen. Wir finden sie im Vollkorn, das nur einem ganz kurzen Kochprozeß<br />

unmittelbar vor Einnahme der Mahlzeit unterworfen wird, ferner in nichtsterilisierter<br />

und nichtpasteurisierter (vorzugsweise roher) Milch, ganz leicht gekochten Eiern,<br />

Nüssen, rohen oder nur ganz leicht gekochten Gemüsen und Früchten, die immer roh<br />

verzehrt werden sollen.<br />

Wichtig ist weiter, daß man mindestens vier Fünftel der täglichen Kost aus der Liste<br />

basenüberschüssiger Nahrungsmittel (Liste 6) wählt, während höchstens ein Fünftel<br />

aus Liste 5 kommen darf, welche die säureüberschüssigen Nahrungsmittel aufzählt.<br />

Mit anderen Worten: vier Fünftel der täglichen Nahrungsmenge müssen aus Vollmehl-<br />

und Vollkornprodukten, Mandeln, Paranüssen, Eidottern, Milch, Gemüsen und<br />

Früchten bestehen, mit besonderer Bevorzugung der Früchte, blätteriger Gemüse und<br />

Salate. Solch eine Speise - Zusammenstellung gewährleistet normale Basenzufuhr und<br />

birgt keinerlei Gefahren für organische Reizung oder Überanstrengung.<br />

Anhand dieser Weisungen sollte es für jeden mit durchschnittlicher Intelligenz<br />

begabten Menschen leicht sein, nach ein paar Minuten der Überlegung sich für jeden<br />

Tag einen Speisezettel zusammenzustellen, der den Anforderungen eines nach<br />

vollkommener Gesundheit strebenden Körpers genügt. Täglich sind höchstens <strong>dr</strong>ei<br />

Mahlzeiten zulässig, und diese müssen so einfach als möglich sein. Eine soll aus<br />

Früchten oder aus Früchten und Milch oder aus Salat und Milch bestehen. Die zweite<br />

soll stärkehaltig sein, das heißt ein Stärkegericht aus Liste 1 aufweisen mit Beigabe<br />

von Salat (oder säuerlichen Früchten in zweiter Wahl, jedoch nur bei guter<br />

104


Verdauung). Die <strong>dr</strong>itte muß eine Eiweißmahlzeit sein mit einer Speise aus Liste 4 und<br />

einem Salat nebst zwei Gemüsen (oder mehreren, wenn man Verlangen danach<br />

empfindet). Beschränkt man sich auf zwei Mahlzeiten, so wird die hier an erster und<br />

die an <strong>dr</strong>itter Stelle genannte Speisefolge abwechselnd ausgelassen.<br />

Die Obstmahlzeit ist zwar schnell zubereitet; einige Betrachtungen darüber sind<br />

aber dennoch wichtig.<br />

Im Sommer sollen die saftigen Früchte sauer oder säuerlich sein; im Winter wählt<br />

man vorzugsweise süße, getrocknete Früchte, besonders wenn man leicht unter<br />

Kältegefühl leidet.<br />

Unter sauren Früchten verstehe ich solche, welche Milch schnell gerinnen machen.<br />

Säuerlich sind sie, wenn die Milch langsam gerinnt und die Gerinnsel als feine<br />

Flocken erscheinen. Nicht sauer sind alle Früchte, die süße Milch überhaupt nicht<br />

gerinnen machen.<br />

Saure und säuerliche Früchte, außer Zwetschgen, dürfen mit einem Stärkegericht<br />

zusammen gegessen werden, jedoch nur, wenn die Verdauung gut ist und keine<br />

Gärungen zu befürchten sind.<br />

Ich habe nie einsehen können, warum gewisse Leute getrocknete Früchte und<br />

saftige, frische Früchte bei einer Mahlzeit nicht miteinander essen wollen. Beide<br />

enthalten die gleichen Elemente und unterscheiden sich hauptsächlich durch den<br />

höheren oder geringeren Wasser- und Zuckergehalt. Aber alle Früchte, auch die<br />

getrockneten, enthalten Wasser und Zucker in gewissen Proportionen, und wenn die<br />

getrockneten und die saftigen wegen der Verschiedenheit dieser Proportionen nicht<br />

zusammen gegessen werden dürften, so sollten auch die verschiedenen Arten der<br />

saftigen Früchte nicht gemeinsam verzehrt werden, denn auch sie unterscheiden sich<br />

durch ihren Wasser- und Zuckergehalt voneinander.<br />

Wird aber als Grund angeführt, daß ihre Verdauungszeit verschieden ist, so führt<br />

das natürlich zur Forderung von Einspeisemahlzeiten, ein Prinzip, das in der Theorie<br />

sehr richtig, in der Praxis jedoch kaum durchführbar ist, weil die Verdauungszeiten so<br />

ziemlich aller Nahrungsmittel voneinander abweichen.<br />

Auf alle Fälle habe ich nie die geringste schlechte Erfahrung damit gemacht, daß<br />

ich Früchte aller Art ohne irgendwelche Beschränkung esse und sie auch in der Diät<br />

meiner Patienten verwerte. Sogar dort, wo Gase sich zwar bilden, ebenso rasch aber<br />

wieder abgehen, verbiete ich die gemischten Früchte nicht, denn solche Gase haben<br />

auch günstige Wirkungen: sie setzen die Muskeln des Verdauungskanals in Bewegung<br />

und bieten ihnen daher Gelegenheit zur Übung. Nur in sogenannten „statischen“<br />

Fällen, wo die Gase keinen Abgang haben, die Darmwände auseinanderzerren und<br />

damit die Muskeln überanstrengen und schließlich lähmen, verschreibe ich die<br />

einzelnen Fruchtsorten allein. Verdauungsmuskeln, die in guter Übung gehalten<br />

werden, können übrigens niemals zu träger Verdauung führen.<br />

Die einzige Unterscheidung, die ich im allgemeinen mache, ist diejenige, daß ich<br />

süße Früchte besonders anempfehle, wenn mehr Körperwärme und Energie benötigt<br />

wird, und saftige Früchte, wenn im Gegenteil Kühlung und Reinigung der Säfte<br />

erforderlich ist.<br />

Beide Obstarten vertragen sich mit Milch, und sogar die sauersten Früchte bilden mit<br />

ihr geradezu ideale Kombinationen. Viele Leute, darunter auch viele Ärzte, fürchten<br />

diese Zusammenstellung in der gleichen Mahlzeit, weil die sauren Früchte die Milch<br />

gerinnen lassen. Diese Furcht ist aber ganz unbegründet; die Milch muß nämlich<br />

105


gerinnen, bevor sie verdaut werden kann. Und gerade die Patienten, denen der<br />

gemeinsame Genuß von Milch und sauren Früchten von ihrem Arzt verboten wird,<br />

sind dieser Zusammenstellung gewöhnlich besonders bedürftig. Wenn Milch nämlich<br />

in einen stark säuredurchsetzten Magen gelangt (in die Art Magen, für die der Arzt sie<br />

womöglich überhaupt verbietet), dann gerinnt sie nicht sofort, sondern bildet zuerst<br />

einen zähen Klumpen, wie es in Fällen, wo der Magen sie wieder zurückgibt,<br />

beobachtet werden kann. Wäre dieselbe Milch vor dem Hinunterschlucken von<br />

Fruchtsäften durchsäuert oder mit sauren Früchten zusammen gekaut worden, so wäre<br />

sie zu einem sehr feinen, zarten Quark geronnen, den die Magensäfte ohne weiteres<br />

hätten verdauen können. Dies läßt sich beweisen, indem man einem Glase frischer<br />

Milch einen Suppenlöffel voll Zitronensaft beifügt; es bildet sich unverzüglich ein<br />

weicher, feiner Quark. Rührt man ihn durcheinander, so sieht man ihn sich noch feiner<br />

brechen. Solche gesäuerte Milch, die einem Säugling gereicht werden kann, ist eines<br />

der besten Nahrungsmittel für einen übersäuerten Magen. Bei dieser Gelegenheit mag<br />

nochmals kategorisch darauf hingewiesen werden, daß Milch eine Nahrung ist und<br />

kein Getränk.<br />

Die Säure des Obstes beruht auf einem in ihm enthaltenen sauren Salz, das aus einer<br />

nichtmineralischen Säure (Zitronen- oder Apfelsäure) und einer alkalischen<br />

Mineralsubstanz oder Base besteht. Fast unmittelbar nach dem Genuß einer sauren<br />

Frucht, eines sauren Fruchtsaftes oder einer fruchtdurchsäuerten Milchmischung wird<br />

der saure Bestandteil, indem er sich mit Sauerstoff verbindet und als Kohlendioxyd<br />

und Wasser ausscheidet, verbrannt. In diesem Prozeß wird Körperwärme und Energie<br />

frei, und die basischen Mineralsubstanzen (Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium<br />

usw.) bleiben zurück, um die Säure des Magens zu verringern und sich mit dem<br />

Kohlendioxyd zu anderen Salzen zu verbinden: zu den basischen Karbonaten und<br />

Bikarbonaten von Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium usw., den normalen Basen<br />

des menschlichen Blutes. Nur bei Menschen, die eine Idiosynkrasie (krankhafte<br />

Abneigung) gegen Früchte haben, halte ich mit der Mischung saurer Früchte mit Milch<br />

zurück. Solche Leute sind aber meiner Erfahrung nach selten; nach ein- oder<br />

zweitägigem Fasten, sobald sie wirklich hungrig sind, würden auch sie eine<br />

Fruchtmahlzeit ohne die geringsten Beschwerden ertragen können. Diese Tatsache<br />

beweist, daß von einer wirklichen Idiosynkrasie gegen Obst bei den betreffenden<br />

Personen nicht die Rede sein kann. Schuld an ihrer scheinbaren Unfähigkeit, Obst zu<br />

essen, trägt vielmehr der durch falsche oder zu reichliche Nahrung gereizte Zustand<br />

ihres Magens.<br />

Saftige Früchte oder süße Früchte können nach einer Eiweißmahlzeit als Nachtisch<br />

dienen. Der Schwerarbeiter sollte die süßen Früchte bevorzugen, der Geistesarbeiter<br />

die sauren. Der erste braucht energiespendende, der zweite blutreinigende Kost.<br />

Manche Diätautoritäten verurteilen jede Zusammenstellung von Früchten mit<br />

Stärken; das scheint mir allgemein betrachtet auch ganz richtig zu sein. Ich habe aber<br />

dennoch beobachtet, daß eine Kombination von säuerlichen Früchten mit Stärken<br />

gelegentlich entschieden vorteilhaft wirken kann. Sogar wenn im Magen tatsächlich<br />

Gärung stattfindet, wird ein Apfel ihr fast augenblicklich Einhalt tun und auch eine<br />

nochmalige Gärung in den unteren Teilen des Verdauungskanals verhüten. Solche<br />

Einzelheiten muß jedoch jedermann für seinen eigenen Fall selber herauszufinden<br />

trachten.<br />

Alle Melonen- und Kürbisarten können sowohl zu den Gemüsen als auch zu den<br />

106


Früchten gerechnet werden; aber bei schlechter Verdauung sollte man sie nur als<br />

leichte Einzelmahlzeit allein genießen und nichts anderes dazu essen, weil sie sich<br />

besonders schwer mit anderen Nährstoffen verbinden. Vor allem an heißen Tagen<br />

kann man sie ausgezeichnet allein als Mittagessen servieren.<br />

Gemüse sollte man, wenn sie überhaupt gekocht werden müssen, backen oder<br />

dünsten. Die blätterigen Gemüse muß man gut waschen, die Wurzel – Gemüse mit<br />

einer Gemüsebürste gründlich abreiben, im Notfall sogar mit Seife, worauf man sie<br />

natürlich besonders sorgfältig abspülen muß. Dagegen darf man sie niemals abschaben<br />

oder abkratzen. Alle Wurzelgemüse, die in der Schale gebacken oder gedünstet<br />

werden, durchsticht man vor dem Kochen oder währenddessen mit einer Gabel an<br />

verschiedenen Stellen. Kartoffeln schmecken zwar besser gebraten oder gebacken;<br />

aber durch diese Zubereitung verlieren sie viel von ihren besten Eigenschaften, denn<br />

die Schale verkohlt, bevor das Innere ganz durchgebacken ist, und das zerstört die<br />

wertvollen Eiweißstoffe und einige der wichtigsten Salze, die sich in der Schale und in<br />

einer Zellenschicht unmittelbar darunter befinden. Doch wenn man im übrigen nach<br />

einer gut zusammengestellten Diät lebt, so mag der Genuß gebratener oder gebackener<br />

Kartoffeln hingehen, das heißt, dieser Punkt braucht einen nicht zu be<strong>dr</strong>ücken.<br />

Trotzdem muß ich hier hervorheben, wie köstlich die Kartoffel schmecken kann, wenn<br />

sie nicht ganz bis zu der bekannten mehligen Zartheit weichgekocht ist und wenn die<br />

Schale runzelig, aber noch nicht braun oder schwarz versengt ist. Eine kleine Zähigkeit<br />

oder Härte dürfen die Kartoffeln ruhig behalten; dadurch gewinnt ihr Nährwert und für<br />

den Liebhaber sogar ihr Wohlgeschmack.<br />

Werden Gemüse aus irgendeinem Grunde gekocht, so darf nicht mehr Wasser<br />

verwendet werden, als nötig ist, um sie vor dem Anbrennen zu schützen. Das Wasser<br />

wird nicht abgeschüttet, sondern nach Geschmack gesalzen, Butter hinzugefügt und<br />

Trockenmilch im Verhältnis von einem Fünftel Milch auf vier Fünftel Gemüsebrühe<br />

damit vermischt; heiß serviert gibt das eine höchst schmackhafte Sauce. Man verliert<br />

auf diese Weise nichts von den Gemüsesalzen. Getreidestärke- und Weißmehlzusatz<br />

zum Verdicken der Saucen sind zu vermeiden. Die einzigen Zutaten seien ein wenig<br />

Salz, Butter, Rahm (oder Trockenmilch). Magere Leute, die Fett gut vertragen, können<br />

auch Ölsaucen genießen.<br />

Getrocknete Bohnen jeder Art, desgleichen getrocknete Erbsen, Linsen und Erdnüsse<br />

sind reich an Stärken und Proteinen. Da nun aber Stärken und Eiweißstoffe sich<br />

gegenseitig nicht vertragen, so sind die genannten Gemüsefrüchte schwer verdaulich<br />

und sollten mit nichts anderem zusammen genossen werden, weder mit anderen<br />

Stärken noch mit anderen Eiweißprodukten. Nur Salate oder gekochte Gemüse darf<br />

man zu ihrer Ergänzung herbeiziehen. Damit zusammen stellen sie aber auch eine<br />

vollständige und genügende Mahlzeit dar.<br />

�<br />

Während sich Obst- und Gemüsemahlzeiten rasch zubereiten lassen, muß die<br />

Stärkemahlzeit sehr sorgsam ausgewählt werden.<br />

Aus Liste 1 wählen wir irgendeines der Stärkegerichte, vielleicht Vollkornporridge<br />

oder Vollkornbrot. Dazu suchen wir uns aus der Liste 3 oder der Liste 7 (oder aus<br />

beiden Listen) so viel aus, wie wir wollen, und bereiten daraus einen Salat, den wir mit<br />

Mayonnaise oder Rahm anrichten können. Den Vorzug würde ich allerdings der<br />

107


Zubereitung ohne Zutaten geben. Jedenfalls darf die Salatsauce zu einer<br />

Stärkemahlzeit nicht sauer sein oder gar Essig enthalten. Denjenigen, die Öl gut<br />

vertragen und nicht zu Fettansatz neigen, steht es frei, den Salat mit Öl ohne Säuren<br />

anzumachen, an heißen Sommertagen mit Beschränkung, bei kaltem Wetter nach<br />

Belieben.<br />

Ist die Mahlzeit für einen körperlich arbeitenden Menschen bestimmt, so kann ihr<br />

Stärkebestandteil reichlich bemessen werden; der Geistesarbeiter und der Mensch mit<br />

sitzender Arbeitsweise braucht weniger Stärkenahrung. Der Muskelarbeiter darf auch<br />

unbedenklich als Nachtisch eine tüchtige Portion süßer Früchte oder eine rechte<br />

Menge Honig verzehren; der Mensch mit sitzender Lebensweise muß sich in dieser<br />

Hinsicht Beschränkungen auferlegen, es sei denn, er erhält seinen Körper in täglicher<br />

kräftiger und regelmäßiger Übung. Der Muskelarbeiter kann auch ein Glas Milch<br />

dazunehmen oder sogar Milch und Rahm mischen, während sitzend Arbeitende nur<br />

halb Milch und halb heißes Wasser trinken sollen.<br />

Porridge oder Getreidebrei (natürlich Vollkorngetreidebrei) ist immer gut zu kauen.<br />

Wer nicht genügend Selbstüberwindung aufbringt, um Getreidebrei gut zu kauen, hat<br />

nicht viel Aussicht, das Ziel der beständigen Gesundheit zu erreichen, denn<br />

Selbstdisziplin muß man üben, wenn man auch nur die geringsten Erfolge erzielen<br />

will. Der Besitz einer zuverlässigen Gesundheit hängt von einwandfrei<br />

funktionierenden Organen ab, und diese wieder von vollkommen arbeitenden Nerven;<br />

eine unbeherrschte Lebensführung ist aber das gerade Gegenteil von vollkommen<br />

arbeitenden Nerven.<br />

Die Aufnahme ungeeigneter und unnatürlicher Nahrung ist eine der Hauptursachen<br />

für die Unbeherrschtheit der Nerven. Wer seine Nerven nicht in der Gewalt hat,<br />

braucht um so <strong>dr</strong>ingender natürliche, grobe Vollkornnahrung, schon um daran (z.B.<br />

gerade mit Kauen) die wahre Nervenbeherrschung zu erlernen. Man sollte nötigenfalls<br />

mit gebackenen Vollkornspeisen beginnen, die leichter zu kauen sind. solange die<br />

Nerven einem noch nicht gehorchen.<br />

Was übrigens das Kochen der Getreidenahrung betrifft, so scheint die Zivilisation<br />

vollkommen falsch orientiert zu sein, und die Schuld daran trägt zum großen Teile die<br />

Wissenschaft. Gelehrte haben die Darmausscheidungen untersucht und<br />

herausgefunden, daß nach langem Kochen eine größere Menge Stärke im<br />

menschlichen Verdauungsapparat absorbiert wird als nach kürzerer Kochzeit; sie<br />

schließen daraus, daß längeres Kochen mehr Energie je Stärkeeinheit freimacht.<br />

Indessen zerstört, wie wir wissen. langes Kochen und nachheriges Stehenlassen das<br />

lebendige Prinzip in der Kost. Der altmodische schottische Porridge, der aus Hafer so<br />

zubereitet wird, daß man bloß die äußeren Hüllen entfernt und ihn dann zwischen<br />

Steinen zermalmt, oder die Getreidespeisen primitiver Völker, die aus zwischen<br />

Steinen zermahlenen und nur wenige Minuten auf roheste Art aufgekochten Körnern<br />

bestehen, mögen rauher und weniger appetitanregend sein als unser moderner<br />

Porridge; aber sie tragen in sich, was unsere modernen Getreidespeisen nicht mehr<br />

geben können: lebendige Energie, die sie dem Esser direkt mitteilen. Das<br />

Lebensprinzip wird ihnen nicht durch komplizierte Verfeinerungsvorgänge oder<br />

Zubereitungskünste entzogen, und der Verzehrer solcher Speisen erhält durch sie, was<br />

der moderne Mensch sonst von nirgendsher beziehen kann, nämlich lebendigen<br />

Widerstand gegen Krankheit. Granuliertes Vollkorn, das <strong>dr</strong>ei bis fünf Minuten in<br />

rascher Hitze gekocht wird, verliert seine belebende Wirkung nicht, wenn es binnen<br />

108


einer halben Stunde nach diesem kurzen Kochen gegessen wird. Aber längere<br />

Hitzeeinwirkung raubt ihm seine lebenspendende Kraft; es kann dann noch<br />

Körpersubstanz bilden, aber keine Energie mehr schaffen. Natürlich wird roh<br />

zubereitete Körnernahrung nicht vollständig verdaut, und das ist ein Energieverlust.<br />

Aber ein Ausgleich (und mehr als das) findet dadurch statt, daß die Körner zum Teil<br />

unverdaut in den Darm gelangen, wo sie sich in Milchsäure zersetzen (dieselbe Säure<br />

wie in dicker Milch), die der wirksamste Gegner der Fäulniskeime im Darm ist. Dies<br />

ist der Grund dafür, daß ich grobkörnige Getreidespeisen den feingemahlenen<br />

vorziehe.<br />

Leicht verdauliche Speisen sind auch sonst keineswegs immer von Vorteil für<br />

unsere Verdauungsfähigkeit, die wie alle übrigen Funktionen schwach wird und sich<br />

mehr oder weniger verliert, wenn die an unsere Verdauungsorgane gestellten<br />

Anforderungen sie nicht in vollem Maße beschäftigen.<br />

Es gibt Diätetiker, die alle Körnernahrung verpönen, sogar Vollkornspeisen. Solche<br />

Ernährungsforscher werden schwerlich imstande sein, eine befriedigende Antwort auf<br />

die Frage zu erteilen, warum die Bulgaren, welche seit Jahrhunderten von schwarzem<br />

Roggenbrot und saurer Milch mit Zusatz einiger Gemüse leben, die höchstgewachsene<br />

und langlebigste Rasse der ganzen zivilisierten Menschheit sind. Jeder<br />

zweihundertfünfzigste Bulgare erreicht ein Alter von hundert Jahren, während die<br />

bestklassierten der andern zivilisierten Länder, wie die Vereinigten Staaten, Kanada,<br />

Großbritannien, Deutschland, Frankreich usw., nur einen Hundertjährigen auf<br />

zehntausend Einwohner aufweisen. Viele der bulgarischen Hundertjährigen vollenden<br />

außerdem noch mehr als ein Jahrzehnt über ihre hundert Jahre hinaus. Natürlich<br />

entspringt dieses einzigartige Ergebnis auch noch einem andern Prinzip, für das ich<br />

beständig eintrete, nämlich der Einfachheit und Natürlichkeit der Mahlzeiten: die<br />

Herstellung ihrer Speisen geschieht auf denkbar einfachste Weise, so daß das<br />

lebendige Naturprinzip nicht verlorengeht.<br />

Um dieselbe Erkenntnis noch von anderer Seite zu stützen, betrachte man auch die<br />

Hochlandschotten, die zweitkräftigste und körperlich tüchtigste Gruppe aller<br />

zivilisierten Völker. Viele Jahrhunderte lang haben die Hochlandschotten<br />

hauptsächlich von natürlicher, unverfeinerter Hafergrütze und Milch gelebt. Macaulay<br />

behauptet sogar, vor 1745 sei dem einkehrenden Wanderer in der Hütte eines<br />

schottischen Hochländers eine Kost vorgesetzt worden, die in keiner Weise feiner<br />

gewesen sei als das Futter für das Vieh. Doch was hat diese grobe, natürliche Nahrung<br />

aus dem Hochländer gemacht!<br />

Wir kommen nun zu der Protein- oder Eiweißmahlzeit, die eine Speise aus Liste 4<br />

— aber nicht mehr als eine — umfassen soll. Wer über fünfundzwanzig Jahre alt ist,<br />

sollte als allgemeine Regel kein Fleisch wählen, außer in sehr kleinen Mengen und mit<br />

genügend basenbildenden Früchten und Gemüsen als Gegengewicht. Es ist niemals<br />

von Vorteil, mehr als ein Viertelpfund mageres Fleisch pro Tag zu verzehren, ganz<br />

gleichgültig, welche Art Arbeit verrichtet wird. — Haben wir eine Eiweißspeise<br />

gewählt, so können wir aus den Listen 3, 7 und 8 aussuchen, was uns gefällt, und alles<br />

in einen Salat mengen, den wir wiederum mit Öl und Mayonnaise oder mit Rahm oder<br />

sogar mit Trockenmilch anmachen. Dann fügen wir aus Liste 2 zwei oder mehrere<br />

Gemüse bei, nach denen uns gelüstet, und dünsten sie, bis sie weich sind, aber nie so<br />

lange, bis sie zerfallen oder ihre natürliche Farbe verlieren. Vor allem Blattgemüse<br />

sollten nie verkocht werden; sie schmecken vortrefflich, lange bevor sie in diesen<br />

109


eiigen Zustand kommen; auch haben sie dann noch ihre vollen lebendigen<br />

Wirkungen, die sich bei zu langem Kochen verlieren. Diese gedünsteten Gemüse<br />

werden nur mit Butter und sehr wenig Salz angerichtet, niemals mit irgendeiner<br />

anderen Sauce.<br />

Der Schwerarbeiter kann zu den Gemüsen noch Kartoffeln nehmen, im Dampf<br />

gekocht oder gebacken, aber unter keinen Umständen geschält und auch nicht<br />

gebraten, und nie mit einer Sauce serviert, der noch Stärkemehl beigemengt wurde.<br />

Besser ist es, die Kartoffeln mit Butter anzurichten oder mit der Sauce des<br />

Hauptgerichtes — gegebenenfalls der echten Fleischsauce, falls Fleisch serviert wird.<br />

Der körperlich Arbeitende kann auch seinem Salat nach Belieben Öl beifügen, denn er<br />

braucht kraftbildende Nahrung, und Stärken und Öle sind kraftbildend.<br />

�<br />

Die hier besprochenen Diätvorschriften eignen sich im allgemeinen für jede Klasse<br />

von Arbeitern, denn sie versehen jeden Menschen, wenn die aus der Überernährung<br />

stammenden. Gifte schon ausgeschieden sind, mit genügender Energie. Sollten aber<br />

sehr beanspruchte Muskelarbeiter, die ihre Kräfte täglich in ungewöhnlichem Maße<br />

ausgeben, noch intensivere Nahrungszufuhr brauchen, so mögen sie der Obstmahlzeit,<br />

wenn die Früchte aus Liste 7 gewählt wurden, sehr trocken geröstete<br />

Vollkornsemmeln oder gut durchgeröstetes Vollkornbrot hinzufügen. Die Scheiben<br />

müssen aber durch und durch geröstet sein, das heißt, es dürfen unter der dünnen<br />

verkohlten äußeren Schicht keine weichen Stellen zurückbleiben. Das geröstete Brot<br />

darf mit einer ausgiebigen Portion Butter gegessen werden; auch kann man ein wenig<br />

Honig darauf streichen, da von allen diesen Nahrungsmitteln sehr viel Energie<br />

ausgeht. Steigert man dann noch die Menge der süßen Früchte gegenüber den saftigen,<br />

so hat man eine Diät, die wahre Ströme von Energie liefert und auch den sehr schwer<br />

Arbeitenden belebt und stärkt. Der Mensch mit sitzender Lebensweise hingegen sollte<br />

zum mindesten eine Mahlzeit des Tages ganz aus Früchten und Milch oder<br />

Heißwassermilch bestehen lassen.<br />

�<br />

Wir fassen das Gesagte nun nochmals kurz zusammen.<br />

Die Nährstoffe aus Liste 1 dürfen nie mit solchen aus Liste 4 vermengt werden, außer<br />

wenn die Verdauung sehr kräftig und gesund ist; selbst dann ist Vorsicht und<br />

Maßhalten am Platze. Kartoffeln können von dieser Regel ausgenommen werden.<br />

doch darf man sie auch nicht beständig mit den gegensätzlichen Nahrungsstoffen<br />

zusammen genießen. Ist hingegen die Verdauung der schwache Punkt des Patienten,<br />

stellt sich also regelmäßig Gärung ein, dann wäre die Gewohnheit, Eiweißstoffe mit<br />

ihnen entgegengesetzten Nährstoffen, selbst Kartoffeln, zu vermischen, ein<br />

Verbrechen gegen die Gesundheit. Bei kräftiger Verdauung wird eine kleine Menge<br />

Kartoffeln, die gut mit Speichel durchsetzt worden ist, in zehn oder fünfzehn Minuten<br />

verdaut sein, und dies läßt kaum Zeit für die Unterbrechung der Verdauung durch<br />

Sekretion der sauren Magensäfte. Diese Ausnahme ist bloß deshalb möglich, weil gut<br />

mit Speichel durchsetzte Kartoffeln von allen Stärkespeisen am raschesten ausgenützt<br />

werden; überdies sind die Kartoffeln in sich selbst ausgesprochen basisch, im Hinblick<br />

110


auf ihren Reichtum an Natrium und Kalium.<br />

Die Speisen der Liste 8 dürfen ebenfalls nicht mit denen der Liste 1 vermischt<br />

werden.<br />

Wenn auch die Speisen der Liste 1 sich chemisch gegenseitig vertragen, ist es doch<br />

nicht ratsam, mehrere davon gemeinsam zu verzehren. Der Hauptgrund für diese<br />

Einschränkung liegt in ihrer zu großen Verschiedenheit, und wir haben gesehen, daß<br />

wir bei ein und derselben Mahlzeit nach möglichster Einfachheit trachten müssen.<br />

Überdies sind die Verdauungszeiten der, in dieser Liste aufgezählten Nahrungsmittel<br />

meist sehr verschieden, und das vermehrt die dem Sekretionsmechanismus<br />

erwachsende Belastung. Schließlich besteht bei einer solchen Zusammenstellung<br />

mehrerer Speisen aus Liste 1 die Gefahr einer zu großen Stärkemenge und überhaupt<br />

einer zu großen Nahrungszufuhr. Abwechslung in der Speisenfolge ist die<br />

Hauptursache von Überladung des Magens.<br />

Eine mit einer Speise aus Liste 4 zusammengestellte Mahlzeit kann man eine<br />

Protein- oder aufbauende Mahlzeit nennen. Dazu ist zu bemerken, daß nicht zwei der<br />

in Liste 4 enthaltenen Speisen zusammen gegessen werden dürfen; sonst entsteht<br />

ernstlich gefährdender Überschuß an Eiweißnahrung. Die meisten Leute führen sich zu<br />

viele Eiweißstoffe zu, sogar wenn sie sich auf eine einzige eiweißhaltige Speise<br />

beschränken; dadurch werden besonders die Nieren in Mitleidenschaft gezogen.<br />

Milch und Fleisch sollten niemals miteinander genossen werden, sonst werden das<br />

Blut und die Gewebe mit Eiweiß und den giftigen Endprodukten des<br />

Eiweißstoffwechsels überladen. Dazu kommt, daß Milch und Fleisch sich zwar<br />

chemisch miteinander vertragen, daß aber die Milch zu ihrer raschen Verdauung eine<br />

milde, Fleisch hingegen eine scharfe Säure braucht; diese scharfe Säure wirkt auf das<br />

Milchprotein derart ein, daß es einen dichten Klumpen bildet, an Stelle eines feinen<br />

leichtverdaulichen Breies.<br />

Ich will nicht unterlassen, hier nochmals daran zu erinnern, daß die Zellulose- oder<br />

holzartigen Abfallstoffe, die sich in jedem rohen Nahrungsmittel und in jeder nicht<br />

durch menschliche Kunst gänzlich entarteten Kost finden, von größter Wichtigkeit für<br />

die gesunde, natürliche Tätigkeit der Verdauungsmuskeln und -<strong>dr</strong>üsen sind.<br />

Zucker, Süßigkeiten, Sirup, Honig usw. sollten nicht zusammen mit Fleisch<br />

gegessen werden, denn Zucker verwandelt sich fast unmittelbar in Wärme und<br />

Zellenenergie. Wenn aber der Zellenbedarf an Energie so rasch befriedigt wird,<br />

verlangsamt sich die Eiweißverdauung. Daher tritt als Folge solcher Vermischungen<br />

von Fleisch und Süßigkeiten sehr oft Zersetzung ein.<br />

Der Schwerarbeiter braucht nicht viel mehr Nahrung von Liste 4 als ein Mensch mit<br />

sitzendem Beruf. Aber der Schwerarbeiter braucht viel mehr Bestandteile der Liste 1,<br />

um die in seiner Muskelarbeit verausgabte Energie wieder zu ersetzen; er braucht auch<br />

mehr Nahrung aus den Listen 2 und 3, um die Säuren zu neutralisieren, welche die<br />

Auflösung so vielen Zellgewebes und so vieler krafterzeugender Nahrung gebildet hat.<br />

An dieser Stelle wird vielleicht bei manchen Lesern die Frage auftauchen, ob nicht bei<br />

intensiver Bekämpfung des Säureüberschusses schließlich auch ein schädlicher<br />

Basenüberschuß entstehen könne? Sei ohne Besorgnis, Leser! Es können sich niemals<br />

zu viele Basen bilden, weil unser Körper durch seine eigene Lebenstätigkeit beständig<br />

Säuren erzeugt und die aus der Nahrung gewonnenen Basen uns das einzige Mittel<br />

liefern, diese Säuren wieder aus dem Körper zu entfernen; auch die aus der Nahrung<br />

stammenden Säuren müssen auf diese Weise wieder fortgeschafft werden. Im Hinblick<br />

111


auf diese doppelte Säurequelle sind wir gezwungen, darauf zu achten, daß unsere Diät<br />

zu vier Fünfteln aus basenbildenden Nahrungsstoffen besteht und nur zu einem Fünftel<br />

ihrer Menge aus Säurebildnern. Übrigens werden die Basen auch im Verdauungskanal<br />

selber noch benötigt.<br />

Ich habe den Ein<strong>dr</strong>uck, jetzt alles gesagt zu haben, was ernsthaften<br />

Gesundheitssuchern die Zusammenstellung ihrer täglichen Nahrung erleichtern kann,<br />

muß aber der Vollständigkeit halber noch ein Wort über die Getränke beifügen, denn<br />

von meinen Patienten werde ich beständig gefragt, ob man vor, während oder nach<br />

dem Essen trinken soll und was für Getränke empfehlenswert sind.<br />

Ich selbst trinke zehn oder fünfzehn Minuten vor den Mahlzeiten Wasser; aber<br />

wenn ich Lust habe, trinke ich auch während des Essens oder nach dem Essen. Nur<br />

vermeide ich es grundsätzlich, Speise und Getränke zu gleicher Zeit zu genießen, das<br />

heißt, beide im Munde zu vereinigen. Bloß Milch kaue ich gründlich mit den Früchten<br />

untereinander, bevor ich sie hinunterschlucke; aber ich betrachte Milch, wie ich schon<br />

mehrfach gesagt habe, nicht als ein Getränk, sondern als eine Speise. Gewöhnlich rate<br />

ich meinen Patienten, nach den Mahlzeiten zu trinken, um zu verhindern, daß sie ihre<br />

Nahrung mit dem Getränk hinunterspülen. Wer genügend Selbstbeherrschung hat,<br />

Speise und Getränk nicht gleichzeitig zu genießen, das heißt, die Speise erst gut<br />

durchzukauen und hinunterzuschlucken, bevor er trinkt, der mag ohne weiteres<br />

zwischen den einzelnen Bissen des Essens trinken. Das Getränk soll nicht zu heiß und<br />

nicht zu kalt sein.<br />

Leute, die ihre Speisebissen ohne Flüssigkeit nur schwer hinunterschlucken können,<br />

gestehen dadurch ein, daß sie den mit dem Munde zusammenhängenden<br />

Sekretions<strong>dr</strong>üsen durch ihre Gewohnheit, während des Essens zu trinken, bereits<br />

Schaden zugefügt haben. Es ist von größter Wichtigkeit, daß sie die Fähigkeit wieder<br />

erlangen, ihr Essen ohne die Beihilfe einer anderen Flüssigkeit als der des Speichels zu<br />

kauen und zu schlucken; die Speichel<strong>dr</strong>üsen müssen dadurch, daß man sie zwingt, zu<br />

arbeiten, wieder in ihre rechtmäßigen Funktionen eingesetzt werden.<br />

Von allen Seiten fragt man mich nach der Bekömmlichkeit des Getreidekaffees.<br />

Dieses Getränk ist selbstverständlich bekömmlich, wenn man es genießt, ohne es mit<br />

Zucker zu verderben. Für viele ist ein warmes (nicht heißes) Getränk unentbehrlich,<br />

aus langer Gewöhnung, schwacher Verdauungsfähigkeit und geringer Vitalität heraus.<br />

Aber Tee und Kaffee sind für solche Leute gefährlich; denn wenn sie auch als erste<br />

Wirkung die Lebensfunktion steigern, so erfolgt rasch darauf die depressive<br />

Gegenwirkung. Ich selbst trinke meinen Getreidekaffee uneingeschränkt von<br />

irgendwelchen Vorschriften.<br />

Versuchen wir es doch einmal ernstlich, unsere Lebensweise nach den ewig<br />

gültigen Gesetzen zu regeln, die ich hier erläutert habe. Wir dürfen gewiß sein, daß die<br />

Natur nur unser Bestes will und uns zuverlässig hilft, wenn wir bestrebt sind, ihren<br />

Willen zu erfüllen. Und sollten wir bereits siebzig Jahre alt sein, wir können mit<br />

völliger Sicherheit auf viele weitere Jahre rüstiger und ersprießlicher Tätigkeit<br />

rechnen, sobald wir uns vor dem Willen der Natur beugen; wir werden von immer<br />

klarerer Intelligenz getragen sein, und unsere Kräfte werden uns nicht mehr im Stiche<br />

lassen; alle unsere Pläne werden wir noch ausführen dürfen. Denn ein Leben im<br />

Einklang mit den Gesetzen, die Gott deutlich in das offene Buch der Natur eingetragen<br />

hat, muß unweigerlich zum Erfolg führen *.<br />

112


* Hier weicht unsere Auffassung von der des Verfassers ab. Es liegt nicht allein in der Hand des<br />

Menschen, ob der beschriebene Weg Hilfe bringt und in welchem Grade er die volle Gesundheit herstellt.<br />

Es ist stets auch eine Gnade dabei. und es wäre vermessen, aus der Einordnung in die Lebensgesetze, und<br />

wäre sie noch so vollkommen, ein Anrecht auf vollständige Gesundung ableiten zu wollen. Der<br />

Menschenblick vermag niemals die ganze Situation zu übersehen, auch wenn die Krankheitserforschung,<br />

die Diagnostik, noch so verfeinert und vertieft, der Blick des Arztes noch so erfahren und geschult ist.<br />

Aber selbst dann, wenn es für eine eigentliche Genesung zu spät war, ja in völlig verzweifelten Fällen,<br />

vermag dieser Weg dennoch eine unwahrscheinlich große Hilfe zu bringen, und es wird keinen Fall geben,<br />

wo er sich nicht lohnt.<br />

Anm. des Herausgebers.<br />

10. KAPITEL<br />

Gesunde Muskelentwicklung<br />

Es gibt, wie ich schon dargelegt habe, zwei Arten von Muskelarbeit: die passive und<br />

die aktive.<br />

Bei den willkürlichen Muskeln kann man als passive Betätigung die Anstrengung<br />

bezeichnen, die beispielsweise zum Sitzen zu Hause oder im Büro oder zu müßigem<br />

Herumlungern ohne Willensbetätigung genügt. Aktive Muskelarbeit ist eine<br />

Anstrengung, die weiter geht, die durch den Willen gelenkt und unterstützt wird und<br />

bei längerer Anspannung die willkürlichen Muskeln ermüdet.<br />

Bei den unwillkürlichen Muskeln versteht man unter passiver Arbeit den<br />

Kraftaufwand, der benötigt wird, um den Körper am Leben zu erhalten. Auf das Herz<br />

und die Blutgefäße angewendet, ist es das Maß von Anstrengung, das diese Organe zu<br />

leisten haben, wenn der Körper in der oben beschriebenen Weise sich passiv verhält.<br />

Aktive Arbeit jedoch wird von diesen Organen geleistet, wenn die willkürlichen<br />

Muskeln über ihr passives Verhalten hinaus in Anspruch genommen werden. Der<br />

Leser erinnert sich, daß ich bereits gezeigt habe, daß aktive Arbeit der willkürlichen<br />

Muskeln auch die Leistungen aller unwillkürlichen Muskeln in genau entsprechendem<br />

Maße erhöht. Die Bedeutung des einwandfreien Funktionierens der Muskelreflexkette<br />

geht aus dieser Feststellung klar hervor.<br />

In bezug auf die Stimulierung dieser ganzen Kette von Muskelfunktionen ist zu sagen,<br />

daß wie überall die natürliche Anregung die einzig normale ist. Und die natürliche<br />

113


Anregung liefern aktive, vom Willen und von der Intelligenz geleitete<br />

Muskelübungen. Deshalb müssen mit größtmöglicher Konsequenz zu bestimmten<br />

Tageszeiten (oder mindestens zu einer bestimmten Zeit an jedem Tage) von allen<br />

unseren willkürlichen Muskeln gewisse Anstrengungen verlangt werden.<br />

Wie sollen wir bei solchen Übungen vorgehen? Wie bringen wir System hinein?<br />

Sollen wir uns irgendeiner Turngruppe anschließen oder in unserem Heim kostspielige<br />

Apparate installieren? Ist es nötig, einen großen Teil unserer kostbaren Zeit für solche<br />

Leibesübungen zu opfern? Keineswegs. Es mag sein, daß es durch spezielle Methoden<br />

und mit besonderen Hilfsmitteln ausgezeichnet gelingt, sich Körperkraft und<br />

Beherrschung der Muskeln anzueignen, — ich weiß aber darüber nichts auszusagen,<br />

denn ich habe mich mit dieser Frage nie beschäftigt. Meine Entwicklung hat mir<br />

gezeigt, daß solche Methoden und Hilfsmittel nicht nötig sind. Meine Muskeln sind,<br />

das darf ich wohl sagen, nahezu vollkommen durchtrainiert; dennoch habe ich niemals<br />

auch nur eine Minute lang eine Turnhalle oder ein Turngerät benutzt oder meine<br />

Übungen mit irgendwelchen anderen Mitteln als mit einem Bett, einer Wand und einer<br />

Türe ausgeführt, und diese „Geräte“ stehen ja jedem Menschen zur Verfügung.<br />

So einfach meine Methode aber auch ist, sie entwickelt doch jeden wichtigen<br />

willkürlichen Muskel des ganzen Körpers, und es ist klar, daß der Vorteil körperlicher<br />

Übungen um so größer sein wird, je besser man sie organisiert und je systematischer<br />

man sie durchführt.<br />

Ich gebe im folgenden eine Zusammenstellung solcher Übungen, die so ziemlich<br />

jeden wichtigeren willkürlichen Muskel des Körpers berücksichtigt. Für weitere<br />

Übungen, die man übrigens mit der Zeit auch selber zusammenstellen lernt, braucht<br />

man bloß eines der vielen, überall erhältlichen, zum Teil trefflichen Gymnastikbücher<br />

zu befragen. Frauen müssen nicht befürchten, von solchen Übungen knotige,<br />

männliche Muskeln zu bekommen. Sie könnten es gar nicht, selbst wenn sie es<br />

wollten, denn sie sind anders gebaut als die Männer.<br />

Gut durchgeübte weibliche Muskeln geben den Körper- und Gliederformen nur um<br />

so schönere, vollkommenere Linien; viele Artistinnen. Turnerinnen, Schwimmerinnen<br />

usw. liefern den Beweis dafür.<br />

Muskelübungen<br />

1. Lege dich im Bett flach auf den Rücken, so daß die Hände unter dem Kopf auf dem<br />

Kissen ruhen. Hebe den ganzen Körper zwischen Kopf und Fersen vom Bett in die<br />

Höhe. Sinke wieder aufs Bett zurück und entspanne die Muskeln. Wiederhole diese<br />

Übung zuerst fünfmal, nach und nach öfters, zum Schluß fünfzigmal.<br />

2. Lege dich im Bett flach auf den Rücken. Kreuze die Arme über der Brust, so daß die<br />

Hände die entgegengesetzten Ellbogen fassen. Hebe den Körper zu sitzender Stellung<br />

empor und ziehe zu gleicher Zeit stark an den Armen und Händen. Lasse den Körper<br />

wieder auf das Bett zurücksinken. Wiederhole zuerst fünfmal, nach und nach öfters,<br />

zuletzt fünfzigmal.<br />

3. Lege dich im Bett auf die rechte Seite, den Kopf aufs Kissen. Hebe den Körper in<br />

die Höhe, bis er nur auf der Seite des Kopfes, am äußersten Ende der Schulter und der<br />

Füße ruht. Lasse den Körper zurücksinken. Wiederhole fünf- bis fünfundzwanzigmal.<br />

Wiederhole dieselbe Übung auf der linken Seite liegend.<br />

114


4. Lege dich im Bett auf die rechte Seite mit der rechten Hand auf der linken Seite<br />

knapp über der Hüfte. Hebe den Körper von den Hüften aufwärts so weit als möglich<br />

seitwärts und schlage zu gleicher Zeit mit der geschlossenen linken Faust nach unten<br />

gegen die Füße. Falle zurück aufs Bett und ziehe die Faust zur Schulter zurück.<br />

Wiederhole die Bewegung und schlage bei jedem Heben des Körpers mit der<br />

geschlossenen Faust nach unten gegen die Füße. Fünf- bis fünfundzwanzigmal.<br />

Dieselbe Übung bei Linkslage mit geschlossener rechter Faust.<br />

5. Lege dich im Bett auf die rechte Seite. Strecke den rechten Arm nach auswärts und<br />

hinunter. Lege das linke Knie in die rechte Hand und halte die Hand durch den Druck<br />

des Knies zum Bette nieder, während die auf den rechten Arm ausgeübte Spannung<br />

den Oberkörper vom Bett so weit als möglich in die Höhe hebt. Lasse den Körper<br />

wieder zurücksinken und wiederhole die Übung fünf- bis fünfundzwanzigmal.<br />

Dieselbe Übung auf der linken Seite liegend.<br />

6. Lege dich im Bett auf den Rücken. Fasse das Kopfende des Bettes oder der<br />

Obermatratze mit beiden Händen. Hebe die Beine nach oben und hinunter, bis die<br />

Zehen das Kopfende berühren. Mit zunehmender Kraft lege dich weiter unten auf die<br />

Matratze, bis du das Kopfende nur eben noch erreichen kannst. Wiederhole fünf- bis<br />

fünfundzwanzigmal.<br />

7. Lege dich im Bett auf den Bauch. Hebe den Körper auf Ellbogen und Zehen, bis die<br />

Oberarme bei den Schultergelenken vollständig ausgestreckt sind. Lasse den Körper<br />

zurücksinken. Wiederhole fünf- bis zwanzigmal.<br />

8. Bauchlage im Bett. Ziehe das Gesicht hinunter, bis die Oberstirne auf dem Bett<br />

liegt. Falte die Hände mit verschränkten Fingern hinter der Hüfte. Hebe den Körper<br />

zwischen Stirne und Zehen vollständig vom Bett auf, so daß nur Stirne und Zehen das<br />

Gewicht tragen. Laß dich wieder zurücksinken und wiederhole die Übung fünf- bis<br />

fünfundzwanzigmal, anfangs jedoch unter keinen Umständen mehr als fünfmal.<br />

9. Behalte dieselbe Lage bei. Verschränke Hände und Finger unterhalb der Hüfte.<br />

Ziehe die Arme nach oben, daß es durch die Arme bis in die Schultern spürbar ist, und<br />

hebe die Beine und den Oberkörper zu gleicher Zeit so viel als möglich hinauf und<br />

nach rückwärts; während der Körper sich aufhebt, werden die Schultern möglichst<br />

nach rückwärts gezogen. Fünfundzwanzig- bis fünfzigmal.<br />

10. Bauchlage im Bett. Lege die Handflächen auf der Höhe der Achselhöhlen aufs<br />

Bett. Halte Rückgrat und Beine steif und stoße den ganzen Körper eine volle<br />

Armlänge weit hinauf, so daß er nur mehr auf den Händen und den Zehen ruht;<br />

Rückgrat ganz gerade. Zurück aufs Bett. Fünf- bis zwanzig- oder <strong>dr</strong>eißigmal.<br />

11. Stelle dich mit dem Rücken gegen einen Spiegel. Drehe den Körper, ohne die Füße<br />

auf dem Boden zu bewegen, und versuche, im Spiegel dir direkt ins Gesicht zu sehen.<br />

Nach rechts und nach links zu machen. Zwanzigmal.<br />

12. Pantoffeln ausziehen. Leicht einwärts stehen. Langsam auf die Fußspitzen heben<br />

und langsam hinuntersinken, bis die Absätze wieder den Boden berühren. Fünfzigmal<br />

oder öfter.<br />

13. Gleiche Stellung. Vorderen Teil des linken Fußes so weit als möglich nach oben<br />

heben, den Absatz auf dem Boden lassen; dasselbe rechts. Jeder Fuß fünfundzwanzig-<br />

bis fünfzigmal.<br />

14. Stelle die Füße ungefähr 25 cm auseinander, Hände über der Hüfte in die Seite<br />

gestützt. Weit nach vorn beugen bei gestreckten Beinen. Schwinge den Körper im<br />

Beugen nach rechts, dann weiter soviel als möglich rückwärts, dann weiter herum nach<br />

115


links bis wiederum nach vorne zum Ausgangspunkt. Dasselbe links herum. Jede Seite<br />

zehn- bis zwanzigmal.<br />

15. Beuge den Kopf weit nach rechts und lege die rechte Hand oben auf den Kopf.<br />

Hebe den Kopf mit den Nackenmuskeln in die Höhe, während die rechte Hand<br />

Widerstand leistet. Dasselbe nach links. Fünf- bis zwanzigmal.<br />

16. Beuge den Kopf vorwärts, bis das Kinn das Brustbein berührt, und verschränke die<br />

Finger hinter dem Kopf. Hebe mit den Nackenmuskeln den Kopf wieder in die Höhe;<br />

leiste mit den ineinandergreifenden Händen Widerstand. Zehn- bis <strong>dr</strong>eißigmal.<br />

17. Lege den Kopf weit zurück und beide Handwurzeln unter das Kinn. Richte den<br />

Kopf mit den Nackenmuskeln wieder auf und leiste mit Händen und Armen<br />

Widerstand. Zehn- bis <strong>dr</strong>eißigmal.<br />

18. Stelle die Füße etwa 15 cm auseinander. Beuge dich rechts hinunter und berühre<br />

die äußere Seite des rechten Beines so tief unter dem Knie wie möglich. Hebe<br />

gleichzeitig den linken Arm in die Höhe und über den Kopf. Dasselbe auf der linken<br />

Seite. Zwanzig- bis fünfzigmal.<br />

19. Gleiche Stellung. Schließe die Hände fest zu Fäusten. Drehe die Arme nach<br />

auswärts, bis die Daumen direkt rückwärts weisen. Kehre dann die Bewegung um und<br />

<strong>dr</strong>ehe die Arme nach innen, auch wieder so weit, bis die Daumen rückwärts gerichtet<br />

sind. Bei beiden Bewegungen müssen die Muskeln gegenseitigen Widerstand leisten.<br />

Zwanzig- bis fünfzigmal nach jeder Richtung.<br />

20. Gleiche Stellung. Verschränke die Hände hinter den Hüften. Ziehe die Schultern<br />

tief abwärts, dann rückwärts, aufwärts und vorwärts bis zum Ausgangspunkt. Hernach<br />

dieselbe Übung in umgekehrter Rotation. In jeder Richtung zwanzigmal oder mehr.<br />

21. Stehe auf den Fußballen, die Füße 25 bis 30 cm auseinander; die Absätze dürfen<br />

den Boden nicht berühren. Gehe in die Kniebeuge, bis die Hüften die Absätze<br />

berühren, hebe gleichzeitig die Arme auswärts, bis sie in einem rechten Winkel in<br />

Schulterhöhe vom Körper abstehen. Erhebe dich wieder, bis du aufrecht stehst und<br />

lasse die Arme zur Seite fallen. Fünf- bis fünfzigmal.<br />

22. Stelle dich ungefähr 75 bis 90 cm von einer Wand entfernt auf. Lege die<br />

Handflächen etwa 50 cm voneinander entfernt an die Wand. Lasse den Körper nach<br />

vorne fallen, bis die Brust fast die Mauer berührt. Halte den Fall durch die Arme auf,<br />

strecke die Arme wieder gerade aus und stoße den Körper eine Armlänge weit zurück.<br />

Zehn- bis fünfzigmal.<br />

23. Schwinge die Zimmertür halb auf. Stelle dich ungefähr 30 cm von ihrer freien<br />

Kante auf. Gib ihr mit einer Hand einen raschen Stoß, als ob du sie zuschlagen<br />

wolltest; halte sie mit der anderen Hand in ihrem Schwung in Armeslänge auf und<br />

schlage sie in die entgegengesetzte Richtung zurück. Fünfundzwanzig- bis<br />

einhundertmal. Sehr rasch und kräftig.<br />

24. Stehe gerade aufgerichtet (so gerade und in die Höhe gereckt wie möglich) etwa 90<br />

cm von einer Wand entfernt. Strecke die Arme aus und bemühe dich, die Wand zu<br />

erreichen (es ist unmöglich, aber strenge die Muskeln so kräftig wie möglich an, um<br />

sie zu stärken). Ziehe die Arme zurück. Wiederhole fünfmal.<br />

Erhebe dich auf die Fußspitzen und strecke die Arme gerade abwärts, als ob du den<br />

Fußboden erreichen wolltest. Ziehe die Arme zu den Schultern zurück und lasse die<br />

Absätze wieder auf den Boden nieder. Fünfmal, sehr energisch.<br />

Erhebe dich auf die Fußspitzen. Strecke die Arme in Schulterhöhe nach den beiden<br />

Seiten, als ob du die beiden entgegengesetzten Zimmerwände berühren wolltest. Ziehe<br />

116


die Arme zu den Schultern zurück, Absätze wieder auf den Boden hinunter. Fünfmal,<br />

energisch.<br />

Erhebe dich auf die Fußspitzen. Strecke die Arme gerade in die Höhe, wie um die<br />

Decke zu erreichen; versuche es mit aller Anstrengung. Ziehe die Arme zurück und<br />

senke die Absätze auf den Boden. Fünfmal.<br />

Mit dem Rücken etwa 60 cm von der Wand entfernt. Arme in die Höhe und<br />

rückwärts strecken, wie in der Bemühung, die obere Tapetenleiste nach oben und<br />

rückwärts zu erreichen. Arme wieder zurück und Körperhaltung wieder senkrecht.<br />

Fünfmal.<br />

25. Stehe auf einem Fuße und strecke die Arme nach vorne so weit wie möglich aus;<br />

strecke zugleich den freien Fuß möglichst weit nach hinten, mit rückwärts gestreckten<br />

Zehen, als ob du die vor dir liegende Wand mit den Fingerspitzen und die<br />

entgegengesetzte Wand mit den Fußspitzen berühren wolltest. Ziehe die Arme und das<br />

Bein zurück, den Fuß gegen die Hüfte, und beuge gleichzeitig das Bein, auf dem du<br />

stehst, leicht. Dann wirf die Arme und das freie Bein wiederum in ihrer vollen Länge<br />

in die frühere Position und strecke das stehende Bein wiederum vollständig. Fünfmal.<br />

Wiederhole auf dem anderen Bein.<br />

Die ersten zehn Übungen sind (vollzählig oder teilweise) gleich nach dem<br />

Erwachen (beim ersten Aufstehen) zu machen; daran schließt sich die Morgentoilette<br />

mit dem Bad. Dann folgen die Muskelübungen 11 bis 23.<br />

Die Übungen können eine Viertelstunde bis zu einer Stunde dauern, je nachdem,<br />

wie oft man jede einzelne wiederholt. Sicherlich kann jeder vernünftige Mensch<br />

täglich fünfzehn Minuten für diese normalisierende Muskelarbeit erübrigen, bis die<br />

Muskeln so weit an Kraft und Geschmeidigkeit zugenommen haben, daß die Übungen<br />

von selber weiter und weiter betrieben werden, aus reiner Freude an der ihnen<br />

folgenden Steigerung des Lebensgefühls.<br />

Wer durch alle diese Übungen hindurchgegangen ist, hat jeden einzelnen<br />

bedeutenderen willkürlichen Muskel geübt, und bei einiger Vorsicht hat sich auch<br />

jegliche Überanstrengung vermeiden lassen. Im Anfang darf vor allem nichts<br />

übertrieben werden.<br />

Wohl üben die einzelnen Bewegungen nicht alle Körpermuskeln, aber sie trainieren<br />

die wichtigsten Gruppen. Sie sollten unbekleidet in einem kühlen oder kalten oder zum<br />

mindesten gut gelüfteten Raum gemacht werden. Beginnt man damit im Winter und in<br />

einem nördlichen Klima, so kann man sie zuerst in einem geheizten Zimmer bei<br />

offenem Fenster machen; später in einem Zimmer, das durch Offenlassen des Fensters<br />

zum voraus abgekühlt wurde. Hat aber das Fenster des Schlafzimmers die ganze Nacht<br />

offengestanden, wie es richtig ist, so dürfen die Übungen, wenn die Hautmuskeln, die<br />

Drüsenelemente und die Hautkapillaren begonnen haben, auf den Kältereiz zu<br />

reagieren, ohne Nachteil in einem kalten Raum stattfinden, das heißt, bei geöffneten<br />

Fenstern und ohne Heizung im Zimmer; denn dann ist man bereits gegen Erkältungen<br />

gefeit.<br />

Wer im Sommer mit der Durchführung dieser Übungen beginnt, kann sie von<br />

Anfang an in einem Raum mit geöffneten Fenstern machen. Kommt der Herbst, so<br />

bleiben die Fenster die ganze Nacht hindurch offen, zum mindesten spaltbreit. Folgt<br />

dann der Winter, so braucht das betreffende Zimmer in der Nacht nicht mehr geheizt<br />

zu werden, und auch die Übungen können den ganzen Winter hindurch in dem<br />

ungeheizten Raum bei offenem Fenster ausgeführt werden, selbst an kalten Tagen. Die<br />

117


Kälte wirkt auf den vollbelebten Körper wie eine Herausforderung zum Kampf, zum<br />

Widerstand seiner Lebenskraft gegen ihren Angriff; der Sieg aber liegt immer auf<br />

seiten des lebendurch<strong>dr</strong>ungenen Individuums, und die Kampfes- und Siegesfreude<br />

wird den Körper noch mehrere Stunden nach beendeter Übung durchströmen. Der<br />

Mensch mit gestählter Lebenskraft wird auch kräftigen Geistes sein und alle<br />

Gelegenheiten aufsuchen, um seine Widerstandsfähigkeit an den harten Bedingungen<br />

der Umwelt zu erproben.<br />

Ist der Winter in der betreffenden Gegend sehr kalt, so können die Fenster ohne<br />

Nachteil geschlossen werden, obwohl der lebenskrafthungrige Mensch bald auf dem<br />

Punkte angelangt sein wird, wo er die schlimmste Kälte nicht mehr fürchtet. Er wird je<br />

länger desto begieriger der Aufforderung zum Widerstand Folge leisten.<br />

Der Anfänger muß natürlich sehr vorsichtig sein und sich im Beginn vor<br />

Überanstrengungen hüten, denn ein Zuviel kann leicht Muskelentzündungen zur Folge<br />

haben, die in schlimmeren Fällen die Übungen monatelang unterbrechen. In den ersten<br />

Wochen sollten die Übungen gerade oft genug ausgeführt werden, daß man die<br />

verschiedenen Bewegungen erlernt, außer man ist schon durch frühere<br />

Muskelbetätigung an ähnliche Anstrengungen gewöhnt. Das Erlernen dieser<br />

Bewegungen wird allmählich die Spannkraft vergrößern, und nach und nach kommt<br />

der Zeitpunkt, wo man die einzelnen Übungen immer öfter wiederholen kann.<br />

Bei großer Kälte müssen die Übungen natürlich immer mit genügendem Schneid<br />

und rascher Frische ausgeführt werden, damit die Zirkulation in Gang bleibt.<br />

Indirekt können wir, wie ich schon sagte, durch Betätigung der willkürlichen Muskeln<br />

auch die unwillkürlichen Muskeln beeinflussen. Viele Leser werden wissen, daß der<br />

Arzt Verdauungskranken mit Vorliebe Körperübungen anrät, und wer diesen Rat<br />

befolgt, erkennt auch seine Zweckmäßigkeit. Das Geheimnis des Erfolgs liegt in der<br />

erhöhten Tätigkeit der Drüsen und Muskeln in den Wänden des Verdauungskanals.<br />

Wir wissen zwar, daß die Übung der willkürlichen Muskeln keine direkte Beziehung<br />

zu den Muskeln des Verdauungsapparates hat, und könnten uns fragen, woher es dann<br />

eigentlich kommt, daß die Tätigkeit der einen auf den Zustand der anderen einwirken<br />

kann. Die Antwort lautet, daß das Reflexnervensystem die verschiedenen<br />

Körpergebiete miteinander verbindet und den auf die willkürlichen Muskeln<br />

ausgeübten Reizimpuls auf die unwillkürlichen überleitet. Diese gegenseitigen<br />

Beziehungen führen dazu, daß alles, was einer einzelnen Region des Körpers zustößt,<br />

gleichzeitig auch alle andern beeinflußt, es sei im Guten oder im Schlimmen. Erhöhte<br />

Verdauungstätigkeit zum Beispiel ist einerseits eine Funktion der Muskelreflexkette;<br />

anderseits aber bildet diese selbe Verdauungstätigkeit eine der Reflexfunktionen der<br />

Magenreflexkette, denn alle im Magen verarbeitete Nahrung sendet einen Reizimpuls<br />

in das Muskelsystem des Darmkanals.<br />

Es ist auch erwiesen, daß die Wirkung gesunder Muskelbetätigung ähnlich wie die<br />

Wirkung direkter Sonnenbestrahlung des nackten Körpers das Blut fähiger zur Abwehr<br />

der Bakterien macht und vor allem einen tiefen und weitreichenden Einfluß auf die<br />

Drüsentätigkeit ausübt. Dieser Einfluß ist die Folge natürlicher Anregungen der diese<br />

Funktionen regelnden Reflexe.<br />

Zahlreiche Körperorgane sind Drüsen. Drüsen bauen sich selber aus den im Blute<br />

treibenden Aufbaustoffen auf; daneben erzeugen sie besondere Wirkstoffe zur<br />

Verwendung in anderen Organen, und das ist ihre Funktion in unserem körperlichen<br />

Dasein. Oft sind die von manchen Drüsen hergestellten Wirkstoffe die natürlichen<br />

118


Anreger für richtiges Funktionieren anderer Drüsen, und ohne diesen Anreiz bliebe<br />

jede Tätigkeit dieser anderen Drüsen aus. Je mehr solche Wirkstoffe ihnen geliefert<br />

werden, desto normaler vollzieht sich ihre Tätigkeit und ihre eigene Sekretion. Diese<br />

Sekretion zweiten Grades, wenn man es so nennen will, ist ebenfalls ein natürlicher<br />

Anreiz für noch andere Drüsen, und so fort, bis der gesamte Kreis der Drüsenfunktion<br />

erfaßt und angeregt ist.<br />

Sogar die Wissenschaft erkennt dies jetzt an. Ich führe einen Ausspruch von Sir<br />

Almoth Wright an, der wohl als Autorität gelten darf, auch bei solchen, die andere<br />

Beweise ablehnen: „Erst vergangenes Jahr habe ich herausgefunden, daß das Blut von<br />

Fußballspielern nach dem Spiel abwehrkräftiger gegenüber Bakterien ist als vorher.<br />

Ich nenne Fußball, das ich als Spiel übrigens nicht mag, bloß als ein Beispiel<br />

körperlicher Betätigung. Nach jedem Spiele ist die Abwehrkraft und die Ausdauer<br />

gegenüber den Bakterien größer.“<br />

Wie kann man sich diese Zunahme an Widerstandsfähigkeit des Blutes gegen<br />

Bakterien anders erklären als durch die größere Sättigung mit Sauerstoff und die<br />

vermehrte Drüsentätigkeit, durch welche die Hormon- und Enzymproduktion<br />

gesteigert und Kohlendioxyd und die Gewebeschlacken zusammen mit den<br />

Nahrungsresten ausgeschieden werden?<br />

Wenn für meine Behauptung, daß die Funktionsfähigkeit aller Organe und<br />

Körperteile mit normal angeregter Benützung wächst und daß keine Funktion normal<br />

angeregt werden kann, ohne daß die normalen Funktionen des ganzen übrigen Körpers<br />

auch mit angeregt werden, wenn für diese Behauptung eine physiologische Grundlage<br />

besteht, dann kann das Ergebnis gar kein anderes sein.<br />

Intensivere Muskelbenützung bedeutet tieferes und häufigeres Atmen. Schnelleres<br />

und tieferes Atmen vergrößert die Aneignung von Sauerstoff und die Ausscheidung<br />

von Kohlendioxyd. Schon für sich bedeutet das einen reineren Blutstrom, der<br />

sicherlich kräftigere Abwehr gegen die Bakterien leistet als ein weniger reiner. Aber<br />

dieses reinere, sauerstoffreichere Blut wird auch noch rascher durch die Drüsen<br />

gepumpt, liefert mehr Rohstoffe für die Sekretion, welche die Drüsen verarbeiten<br />

müssen, und bringt ihnen zweifellos natürliche Anregungen zu größerer<br />

Funktionsleistung in dem vermehrten Sauerstoff und in den von anderen Drüsen<br />

bereiteten Hormonen und Enzymen, besonders des endokrinen Typus'. Diese Hormone<br />

und Enzyme beeinflussen gegenseitig sich und andere Drüsen und bewirken<br />

infolgedessen Drüsensekretionen im ganzen Körper. Und da diese vermehrte Sekretion<br />

durch eine Kette von aufeinander wirkenden, natürlich angeregten Reflexen<br />

hervorgerufen wird, die in erster Linie durch die vermehrte Funktionsleistung einer<br />

Gruppe wichtiger Organe, der willkürlichen Muskeln, in Tätigkeit versetzt werden, so<br />

ist es nicht nur vernünftig, anzunehmen, sondern wäre es sehr unvernünftig, nicht<br />

anzunehmen, daß diese vermehrten, im Blutstrom schwimmenden Drüsenprodukte<br />

ihre tiefe Wirkung auf das Blut haben müssen. Und weiter wäre es ebenso<br />

unvernünftig, sie nicht als dem Blute und damit dem Körper äußerst zuträglich<br />

einzuschätzen; denn ihre tiefe Wirkung ist das Ergebnis natürlicher Anreize. Alles<br />

aber, was dem Körper zuträglich ist, muß ihm — das versteht sich eigentlich von<br />

selbst — zum Schutze dienen, das heißt, zur Stützung seiner Abwehrfähigkeit. Dieser<br />

Schutz ist nun aber nicht irgendeine zugunsten des Körpers ausgeübte Leistung von<br />

außen, sondern er beruht auf einer dem Körper innewohnenden und in ihm selber<br />

entwickelten Eigenschaft. Wir sagen von solch einem Körper, daß er vitaler,<br />

119


lebendiger ist; daher muß er auch gegenüber den Gegensätzen von Vitalität und<br />

Lebendigkeit — der Krankheit und dem Tode — widerstandsfähiger sein.<br />

Auch der noch in Vorurteilen befangene Denker muß zugeben, daß alles, was die<br />

bakterientötende Kraft des Blutes erhöht, krankheitsvorbeugend wirkt; es muß nämlich<br />

im gleichen Maße des Körpers natürliche Unempfindlichkeit erhöhen.<br />

Doch wenn wir hierbei stehenbleiben würden, so hätten wir erst die halbe Lektion<br />

gelernt.<br />

Wenn vermehrte körperliche Übung die Abwehrkräfte im Körper gegen Krankheit<br />

verstärkt, dann folgt daraus, daß, je anstrengender eine Übung ist, bis zu dem Punkt,<br />

wo die Erschöpfung einsetzt — aber niemals darüber hinaus —, desto<br />

widerstandsfähiger oder immuner der Körper werden muß.<br />

Und da die Umkehrung auch immer wahr bleibt, so weiß man auch dieses: je mehr<br />

man es unterläßt, seinen Körper bis zur vollen Grenze seiner Leistungsfähigkeit in<br />

Übung zu erhalten, um so weniger widerstandsfähig, um so weniger immun gegen<br />

Krankheit und Tod wird man.<br />

Da unsere Voreltern einer beständig wechselnden Umgebung ausgesetzt waren und<br />

keine äußeren Mittel besaßen, sich gegen die Veränderungen ihrer Umwelt zu<br />

verteidigen, wurde an ihren Abwehrmechanismus ununterbrochen der Anspruch<br />

gestellt, sich zu verteidigen und zu schützen. Der Mechanismus mußte bis zur Grenze<br />

seiner Leistungsfähigkeit arbeiten. Und wir wissen, daß eine solche beständige Übung<br />

der eine und einzige Weg ist, auf welchem Organe und Funktionen ihre volle normale<br />

Leistungsfähigkeit gewinnen und sich erhalten können. Wir wissen auch, daß Organe<br />

oder Funktionen, die ihre Tätigkeit nicht ausüben, nach und nach zerstört werden.<br />

Diese Gesetze sind allgemein und immer gültig, und deshalb beziehen sie sich<br />

ebensogut heute auf uns wie vor Urzeiten auf unsere primitiven Vorfahren.<br />

Der Leser wird sicherlich, falls er nicht völliger Neurotiker ist, schon an sich selber<br />

die belebende Wirkung erfahren haben, die jeder Muskelübung folgt, das Blut durch<br />

den Körper jagt und ihm im Austausch gegen die Giftgase Sauerstoff zuführt, wenn<br />

die Übung so lange durchgehalten wird, als sie ohne zu große Ermüdung geleistet<br />

werden kann. Diese Belebung ist physiologisch. Sie entsteht durch die Ausübung der<br />

Muskelfunktionen, der Arbeit, die von der Natur den Muskeln zugedacht ist. Das<br />

Gefühl des Kräftezuwachses ist die Belohnung für gut getane Arbeit.<br />

Aber die Verbesserung der Art, des Charakters eines gewöhnlichen Muskels überträgt<br />

sich auf alle andern Teile des Körpers und damit natürlich auch auf das Herz und die<br />

Blutgefäße. Diese übertragene Verbesserung erzeugt wiederum eine Verbesserung<br />

aller übrigen Körperfunktionen. Das geht in erster Linie so vor sich, daß die<br />

allgemeine Muskelverbesserung den diese Muskeln beherrschenden Nervenzellen des<br />

Reflexnervensystems übermittelt wird. Die Nervenzellen fühlen, wie die Verbesserung<br />

in den durchgearbeiteten Muskeln sich ansammelt, und übertragen die verbesserte<br />

Note oder Qualität auf jede Zelle, jedes Organ und jeden Körperteil. Herz und<br />

Blutgefäße und die Verdauungsorgane erhalten selbstverständlich auch ihr Teil.<br />

Noch auf andere Weise hilft der verbesserte und verbessernde Tonus der Muskeln<br />

dem Herzen und den Blutgefäßen.<br />

Unsere Vorstellung von dem durch Zusammenziehungen des Herzmuskels in alle<br />

Teile des Körpers gepumpten Blut ist gewiß vollkommen richtig. Aber der<br />

Blutkreislauf ist noch durch einen andern wichtigen Faktor bedingt, der mit der<br />

Zusammenziehung der willkürlichen Muskeln zusammenhängt. Es ist schwierig,<br />

120


diesen Faktor verständlich zu machen, ohne in recht trockene, anatomischphysiologische<br />

Betrachtungen über das Herz und die Blutgefäße zu geraten. Ich werde<br />

trachten, mich so kurz wie möglich zu fassen und den Leser so wenig wie möglich zu<br />

langweilen.<br />

Wenn das Blut in die Arterien gepreßt wird, dehnen sich die Arterienwände aus,<br />

und wenn das Herz seine Kammern wieder füllt, so schließt sich eine Klappe am<br />

Ausgang der Herzkammer, damit das Blut nicht wieder zurückfließen kann. Das Blut<br />

befindet sich nun aufgestaut in den Arterien, deren Wände einen Druck darauf<br />

ausüben. Zwischen den Arterien und den Venen befinden sich mikroskopisch kleine<br />

Gefäße, die Blutkapillaren. Die weit ausgedehnten, elastischen Arterien trachten<br />

danach, wieder in ihre normale, unausgedehnte Lage zurückzukommen; dabei treiben<br />

sie das Blut in die Kapillaren und aus ihnen in die Venen. Die Arterien führen das Blut<br />

unter dem Impuls des Herzschlages vom Herzen weg; unmittelbar hinter der Blutsäule<br />

schließen sie sich, worauf das Blut durch die Kraft des Herzschlages und die elastische<br />

Zusammenziehung der Arterienwände vorwärtsgetrieben wird.<br />

Aber in den Venen fehlt die direkte Kraft des Herzschlages, die ihnen helfen würde,<br />

das Blut wieder ins Herz zurückzubefördern, was außerdem noch zum größten Teil<br />

gegen die Schwerkraft geschehen muß. Die dazwischenliegenden Kapillaren halten die<br />

Stärke des Impulses auf; auch haben die Venen keine dicken, elastischen Wände wie<br />

die Arterien. Die den Rückfluß des Blutes durch die Venen zum Herzen hauptsächlich<br />

bewirkende Kraft ist die Zusammenziehung der willkürlichen Muskeln.<br />

In den Venen sind in bestimmten, mehr oder weniger regelmäßigen Abständen<br />

Klappen angebracht, welche die Arterien nicht besitzen. Sind die Venen mit Blut<br />

gefüllt, so ziehen sich die willkürlichen Muskeln zusammen, <strong>dr</strong>ücken die Venen flach<br />

und <strong>dr</strong>ängen das Blut von den Kapillaren weg zum Herzen hin, wobei sein<br />

Zurückfließen durch die Klappen verhindert wird. Man beobachtet dabei, daß, je<br />

weniger die Muskeln benützt werden, desto größer die Tendenz des Blutes zu<br />

Stockungen und Rückstauungen gegen die Kapillaren hin ist, was dem Herzen und den<br />

Arterien neue Aufgaben zuweist und ihre Tätigkeit auf der anderen Seite der<br />

Kapillaren erschwert.<br />

Das ist aber noch nicht alles. Der ungeübte Muskel ist schlaff; er hat seine gute<br />

Qualität verloren. Das heißt, daß die dünnen Wände der Venen nicht die normale<br />

Unterstützung eines gesunden, kräftigen Muskels erhalten. Die Venenwände zeigen<br />

dann die Tendenz, nachzugeben und sich auszudehnen; infolgedessen schließen die<br />

Klappen nicht mehr recht und lassen Blut zurückfließen, was die Stockung und das<br />

Zurückstauen gegen die Kapillaren noch vergrößert; die ganze Last der Arbeit liegt<br />

dann auf dem Herzen und den Arterien.<br />

Daß in meinem eigenen Fall ursprünglich alle diese Zirkulationsstörungen<br />

vorhanden waren, war aus den Anschwellungen und Krümmungen der Venen unter<br />

der Haut, aus meinen kalten, leicht bläulichen Händen und Füßen, aus dem häufigen<br />

Gefühl des „Eingeschlafenseins“ der Glieder und aus dem Vorhandensein von<br />

Hämorrhoiden zu erkennen.<br />

Als ich begann, jeden Tag zu turnen, fing ich auch an, das venöse Blut gegen das<br />

Herz zurückzutreiben, indem ich meine Muskeln mehr oder weniger kräftig anspannte;<br />

mit jeder derartigen Zusammenziehung zwang ich das venöse Blut in die Richtung<br />

zum Herzen zurück. Das verringerte vorübergehend die Anstauungen in der verkehrten<br />

Richtung und erleichterte in demselben Maße auch den Druck auf Herz und<br />

121


Blutgefäße auf der anderen Seite der Kapillaren. Jede Vermehrung meiner<br />

Muskeltätigkeit vergrößerte auch die Entlastung des Herzens und der Arterien. Und<br />

wie diese Muskeltätigkeit in regelmäßigen Fortschritten kräftiger wurde, wuchs auch<br />

die Kraft der Muskeln, und damit ihre Fähigkeit, den Wänden der Venen die normale<br />

Muskelunterstützung zu leihen und den Venenklappen zu einwandfreiem<br />

Funktionieren zu verhelfen. So verlor sich allmählich der Rückwärts<strong>dr</strong>uck des sich<br />

aufstauenden venösen Blutes, und Herz und Arterien wurden von ihrer Überlastung<br />

nach dieser Seite hin befreit.<br />

Aber ich muß hier innehalten. Die genaue und ausführliche Liste der Vorteile, die<br />

der menschliche Körper aus kräftigen Freiluftübungen seiner willkürlichen Muskeln<br />

zieht, kann nicht zu Ende geführt werden, so lang ist sie.<br />

Zum Abschluß dieser Muskelbetrachtung sei aber noch ein<strong>dr</strong>inglich gesagt, daß die<br />

Muskeln, um sich kräftig und voll zu entwickeln, nicht ununterbrochen geübt werden<br />

müssen. Ununterbrochene oder auch nur übermäßige Betätigung wäre im Gegenteil ihr<br />

Verderben. Jedermann weiß ja, daß es zum Beispiel nicht nötig ist, ununterbrochen zu<br />

laufen, um einen guten Atem zum Laufen zu bekommen. Notwendig ist nur, daß die<br />

Muskeln systematisch und regelmäßig geübt werden, das heißt, in genügend kurzen<br />

Zeitabständen, damit der Wert der vorhergehenden Übung nicht wieder verlorengeht,<br />

bevor die nächste Übung einsetzt, denn die einander folgenden Übungen sollten sich<br />

unterstützen und ihre Wirkung soll sich anhäufen (kumulieren). Übung und Erholung,<br />

Tätigkeit und Ruhe: das ist das Gesetz. Dann werden allmählich die Muskeln an<br />

Umfang und Kraft wachsen, und die Geschicklichkeit, die ihr Gebrauch verlangt, wird<br />

sich nach und nach einstellen. Die Muskelfunktion wie auch die Zirkulationsfunktion,<br />

von welcher zum Beispiel die Fähigkeit des langen Atems weitgehend abhängt,<br />

werden durch die Benützung, gemäß dem Gesetze der Verbesserung der<br />

Funktionsfähigkeit, immer tauglicher.<br />

Umgekehrt bilden sich Muskeln zurück, wenn sie nicht täglich geübt werden.<br />

Genau das gleiche gilt ja von jeder anderen Fähigkeit auch. Vernachlässige eine<br />

einzige deiner Anlagen und Begabungen, und die Organe oder Funktionen bilden sich<br />

zurück, sie schwinden. Der übermäßige Gebrauch führt aber zur selben Folge; das darf<br />

man nie vergessen.<br />

In der Pathologie unterscheidet man zwei Arten von Atrophie oder Schwund der<br />

Körpergewebe: die Atrophie infolge Unterbenutzung und die Atrophie infolge<br />

Überbenutzung. Die überbenützten Muskeln erleiden ebensolche Verheerungen wie<br />

die unterbenützten. Auch solche Muskeln werden steif, antworten nicht mehr<br />

bereitwillig auf die Anreize der Nerven und können sich bei zu großer Überbürdung<br />

entzünden. Ein noch schlimmeres Stadium ist die Veränderung der Muskelfibern zu<br />

Fibergewebe, wodurch die Fähigkeit des Sichausdehnens und Zusammenziehens und<br />

damit die Funktionsfähigkeit verschwindet. Vollständige Zerstörung — aber durch<br />

Überbenützung. Als Beispiel nenne ich das überarbeitete Herz, das unter der<br />

Anstrengung, sein Blut durch kranke, steif zusammengezogene Arterien zu treiben,<br />

zugrundegeht. Auch die Fähigkeiten eines überarbeiteten Hirns und überanstrengter<br />

Nerven gehen zurück und verkümmern. Welchen Körpervorgang man auch<br />

beobachtet, immer wieder findet man, daß jedes Organ bis zu seiner vollen<br />

Leistungsfähigkeit ausgenützt, dann aber einige Zeit außer Betrieb gesetzt werden<br />

muß, sozusagen zur Wiederherstellung und Instandsetzung.<br />

Sinnlose Verschwendung rächt sich also auch auf diesem Gebiet, wie auf allen<br />

122


andern. Und zweifellos findet die größte Vergeudung menschlicher Energie auf dem<br />

Gebiete der unbewußten Nerven- und Muskelanstrengungen durch willkürliche<br />

Muskelanspannung statt, durch die Unfähigkeit des Menschen, die Muskeln und die<br />

Nerven locker zu lassen, jede Spannung, jede Anstrengung und jede unnötige<br />

Zusammenziehung zu vermeiden, kurz, immer gelöst und gelockert zu sein, außer<br />

wenn die Anspannung durch einen bestimmten Willensakt zu einem bestimmten<br />

Zwecke angeregt wird.<br />

Überflüssige Nerven- und Muskelanspannung ist der Fluch der Zivilisation. Der<br />

Wilde kennt keine Spannung; die primitiven Völker, die schon mehrere Grade über<br />

dem Lebensniveau eines Wilden stehen, kennen auch keine. Kleine Kinder kennen sie<br />

nicht, bevor sich nicht das Bewußtsein ihrer Individualität entwickelt hat, das bei den<br />

zivilisierten Völkern schon sehr früh hervortritt.<br />

Der Mensch mit angespannten Muskeln kann im Eisenbahnzug, im Dampfer, im Auto<br />

den Bewegungen und rhythmischen Schwingungen des Fahrzeuges nicht nachgeben;<br />

er wird ruckartig herumgeschleudert und leistet jedem Stoß mühevollen Widerstand.<br />

Auf hundert verschiedene Arten, deren man sich völlig unbewußt bleibt, verrät man in<br />

seinen Bewegungen solche gewaltsame Anspannungen und verschleudert seine<br />

Muskel- und Nervenkraft. Erst bei eingehender Selbstbeobachtung erkennt man diesen<br />

Verlust. Will man eine willkürliche Muskelanstrengung unternehmen, bei der man<br />

vielleicht bloß einen Arm oder eine Hand zu bewegen braucht, so spannt man<br />

wahrscheinlich die Hals- und Gesichtsmuskeln gleichfalls an, vielleicht sogar die<br />

Muskeln der Brust und des Unterleibs noch dazu. Dann bewegt man den Arm oder die<br />

Hand mit unsanftem Ruck, ohne Genauigkeit in der Ausführung der Bewegung oder in<br />

der Zielrichtung, anstatt daß eine jede Bewegung mit Überlegung und äußerster<br />

Präzision, ohne die geringste Spur von tastender Ungeschicklichkeit oder Unsicherheit<br />

der ausführenden Glieder, ausgeführt würde.<br />

Das allzu Heftige und Krampfhafte ist Gewohnheit der Zivilisation, und wer in der<br />

Zivilisation lebt, vielleicht aus einer schon seit mehreren Generationen zivilisierten<br />

Familie stammt und sich nicht bewußt aus dieser Gewohnheit der falschen Muskel-<br />

und Nervenspannung heraustrainiert, der wird ihr ohne Rettung verfallen.<br />

Wer nicht bewußt solche Nerven- und Muskelüberanstrengungen in sich selber<br />

bekämpft und besiegt, kann das Ziel der dauernden Gesundheit unmöglich erreichen.<br />

Der Stuhl, auf dem du sitzest, muß dich tragen, nicht du darfst ihn hinunter<strong>dr</strong>ücken;<br />

du darfst auch nicht dich selber darauf in der Schwebe halten, dein Körper muß darauf<br />

ruhen wie etwa ein Sack Mehl, den man darauf stellt.<br />

Wenn jemand deinen Arm berührt, so muß der Arm im Schultergelenk lose<br />

baumeln wie ein Dreschflegel oder ein Stück Holz, das mit einer Schnur an ein<br />

anderes gebunden ist.<br />

So gelöst und locker muß deine Haltung sein, daß dein Kopf, wenn jemand ihn mit<br />

der Hand in die Höhe hebt und seine Hand gleich darauf zurückzieht, augenblicklich<br />

herunterfällt, als ob er mit deinem Körper nicht zusammenhinge; jedenfalls darf er<br />

nicht steif in die Luft hinausstehen und erst langsam wieder in seine alte Stellung<br />

zurückkehren, von den verkrampften Halsmuskeln getragen und gezogen.<br />

Die Muskelfunktionen sind nicht in Ordnung, solange man die willkürlichen<br />

Muskeln nicht so beherrscht, daß jede Bewegung überlegt und gleitend (anstatt<br />

ruckweise) vor sich geht, wie rasch sie auch ausgeführt werden mag. Kraft und<br />

Anspannung dürfen nur in den beabsichtigten Handlungen willkürlicher Muskeln<br />

123


angewendet werden.<br />

Das alles bedeutet natürlich, daß zunächst der Geist und die Nerven unter die<br />

Kontrolle des Bewußtseins genommen werden müssen. Durch sie erlangt man Gewalt<br />

über die Muskeln und damit die Möglichkeit, im Laufe eines Tages mehr Kräfte zu<br />

ersparen, als für die Ausübung des härtesten Tagewerkes nötig sind. Daß eine solche<br />

Ersparnis möglich ist, habe ich an mir selbst erfahren.<br />

Wie man die wunderbare Maschine seines Körpers ganz unter seine Gewalt und<br />

Kontrolle bekommt, kann ich hier nur kurz erläutern. Die Muskeln und Nerven<br />

vollständig zu entspannen, so oft sie nicht direkt beansprucht werden, ist jedenfalls<br />

eine Kunst, die nicht viele Menschen beherrschen. Beobachte einmal die Katze, den<br />

Hund, ein schlafendes Kind, und sieh, wie bei ihnen jeder Körperteil sich durchaus<br />

von seiner Unterlage tragen läßt, vom Fußboden, vom Stuhl, vom Bett, auf dem er<br />

ruht. Wie wenig versteht der zivilisierte Mensch noch diese vollständige Hingabe an<br />

die Ruhe!<br />

Um wieder dazu zu kommen, muß man sich zunächst über die im eigenen Körper<br />

vorhandenen Muskelspannungen klar werden. Zu diesem Zweck legt man sich flach<br />

auf den Rücken, am besten auf dem harten Fußboden, und überläßt sich der tragenden<br />

Unterlage, als ob man ein bloßes Knochenbündel wäre und keinen eigenen Willen<br />

hätte. Wenn man die Glieder nicht mehr anspannt, werden sie schwer herabfallen.<br />

Stelle sie dir nun vor, als ob sie kraftlos und unfähig wären, sich aus eigenem Antrieb<br />

zu bewegen oder etwas anderes zu leisten, als nutz- und zwecklos und schwer<br />

aufzuliegen. Stelle dir vor, dein Kopf wäre gänzlich außerhalb deiner eigenen<br />

Kontrolle, wie wenn er nicht durch den Hals mit deinem Körper zusammenhinge, und<br />

die Nackenmuskeln wären nicht vorhanden. So oft du diese Entspannungsübung<br />

machst, wirst du jedesmal Spannungen in dir selber gewahren, die du am Anfang gar<br />

nicht auflockern kannst. Während du mit den Krampfempfindungen in den Armen<br />

oder im Nacken kämpfst, wird dir vielleicht plötzlich bewußt, wie starr deine<br />

Beinmuskeln oder die Unterleibs- oder die Brustmuskeln angezogen sind.<br />

Fortwährende Übung wird dich aber bald fördern.<br />

Während du auf einer Liegestatt ruhst und dich bemühst, jede Kontrolle und<br />

Willkür im Spiele deiner Muskeln auszuschalten, lasse jemanden deinen Arm oder<br />

dein Bein oder deinen Kopf in die Höhe heben. Bist du vollkommen entspannt, so wird<br />

der Arm oder das Bein in den Gelenken, der Kopf in den Halswirbeln ganz lose sein.<br />

Wenn die unterstützende Hand unter deinen Nacken greift, um dich von dort aus<br />

emporzuheben, so bleibt dein Kopf nach unten hängen wie der Kopf eines<br />

Ohnmächtigen. Wird die Hand unerwartet zurückgezogen, dann fällt das in die Höhe<br />

gehobene Glied plötzlich dumpf auf das Lager zurück, als wärest du besinnungslos.<br />

Beim Gehen lasse die Arme von den Schultern aus hin- und herschwingen (lasse sie<br />

schwingen, aber schwinge sie nicht selber!), als ob sie schwer an deinen Schultern<br />

befestigt herunterhingen, und als ob es nicht in deiner Macht stünde, sie aufzuhalten<br />

oder in Schwung zu setzen. Schleudere deine Beine nicht mit einem Ruck vorwärts,<br />

sondern versuche dir vorzustellen, daß dein Körper beständig nach vorne fällt, worauf<br />

die Beine einfach rhythmisch nach vorne schwingen, um den Körper vor einem Fall zu<br />

bewahren.<br />

Sitze niemals auf dem Rand eines Stuhles, sondern voll auf dem ganzen Sitz.<br />

Drücke nie hart gegen die Rückenlehne, mit zusammengepreßten Händen und<br />

gespannten Nacken- und Beinmuskeln, sondern lehne dich in aller Ruhe und zwanglos<br />

124


an; laß alle Muskeln lose gehen: der Stuhl muß dich tragen.<br />

Mache abends vor dem Schlafengehen die auf Seite 213 f. unter Nr. 24 und 25<br />

angegebenen Streckübungen; entspanne daraufhin den Körper, bis jeder Nerv und<br />

jeder Muskel bis ins kleinste gelöst ist. Laß deinen Kopf schwer sein, das Kissen muß<br />

ihn tragen; auch deine Arme sollen schwer sein, das Bett muß sie tragen. Dein ganzer<br />

Körper muß willen- und kraftlos sein, unfähig zu jeder Anstrengung. Auch der Geist<br />

soll sich lösen; versuche dir vorzustellen, du seiest unfähig, einen klaren Gedanken zu<br />

fassen. Mit solchen Übungen wirst du bald den ganzen Körper so weit beherrschen,<br />

daß du ihn veranlassen kannst, sich im Schlafe willig zu entspannen.<br />

Wenn wir tagsüber alle unnötigen Spannungen der Nerven und Muskeln zu<br />

vermeiden trachten und ihre Tätigkeit allein auf die willkürlichen Bewegungen und<br />

notwendigen Anstrengungen beschränken, wenn wir den Körper lehren, im Schlafe<br />

nachzugeben, dann wird er endlich wieder in die glückliche Lage versetzt, die<br />

Ausstrahlungen der Muskelreflexe mit vollem Gewinn in sich wirken zu lassen. Denn<br />

es ist wahr: je besser die Muskeln bei unkontrollierten Nerven durch Übungen<br />

ausgebildet sind, desto schlimmer für den Körper; er ist dann wie eine mächtige<br />

Maschine, deren mechanische Führung in schlechtem Zustande ist. Eine solche<br />

Maschine wird sich bald zugrunderichten; je kräftiger sie arbeitet, desto rascher und<br />

gründlicher geht sie ihrer Zerstörung entgegen.<br />

Aber eine gesunde Kontrolle der Nerven- und Muskelentspannungen kann nicht<br />

allein durch den Willen ausgeführt werden. So sehr der Wille zur Durchführung der<br />

Normalisierung der fünf Reflexketten notwendig ist, so sehr ist es außerdem auch<br />

nötig, jede einzelne der fünf Reflexketten durch regelmäßigen Kontakt mit ihren<br />

natürlichen Anregern zu entwickeln, um in der soeben beschriebenen Weise durch<br />

Übungen des Geistes und des Willens die Herrschaft über Nerven und Muskeln zu<br />

gewinnen. Werden alle fünf Ketten genügend trainiert, so wird es leicht sein, die<br />

Nerven und Muskeln zu einwandfreiem Funktionieren zu bringen, wie die Natur es<br />

von ihnen haben will. Dann wird auch keine Krankheit dir mehr etwas anhaben<br />

können, und dein Körper wird dann seiner Bestimmung gemäß ein Palast für den<br />

Geist, ein Tempel der Seele, eine würdige Behausung für den dir innewohnenden<br />

Funken des unendlichen Lebens sein.<br />

125


11. KAPITEL<br />

Die Pflege der Haut<br />

Trotz der großen Bedeutung der Ernährungsfrage muß ich hier ein<strong>dr</strong>inglich<br />

wiederholen, daß die beste Diät der Welt unzulänglich ist, wenn sie als einziges Mittel<br />

den menschlichen Körper gegen Krankheiten schützen soll. Sie wird ihn länger vor<br />

Verfall und endgültiger Zerstörung bewahren als eine unrationelle Ernährungsweise,<br />

aber auf die Ausbildung der übrigen vier Reflexketten können wir unter keinen<br />

Umständen verzichten, wenn wir eine allgemeine Normalisierung anstreben.<br />

So ist es zum Beispiel selbstverständlich, daß Gifte ins Blut ein<strong>dr</strong>ingen, wenn der<br />

Hauttätigkeit nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird. Denn nach den Nieren<br />

ist die Haut das wichtigste Ausscheidungsorgan. Im Grunde genommen ist sie sogar<br />

wichtiger als die Nieren selber, denn wenn die Nieren zu arbeiten aufhören, kann der<br />

Körper noch tagelang weiterleben, wohingegen er binnen wenigen Minuten stirbt,<br />

sobald die Haut an ihrer Ausscheidung verhindert wird.<br />

Richtige Hautpflege bedeutet, wie wir schon wissen, die Haut regelmäßig der<br />

direkten Berührung mit ihren natürlichen Anregern —Sonne, Luft und Wasser —<br />

126


auszusetzen; denn auch der Abwehrmechanismus der Haut ist für die Erhaltung seiner<br />

Vollkommenheit dem Gesetze unterworfen, daß nur natürlich stimulierte Körperteile,<br />

Organe und Zellen normal funktionieren können; ferner der Umkehrung dieses<br />

Gesetzes, nach welcher alle nicht auf natürliche Weise stimulierten Zellen, Organe und<br />

Funktionen einer allmählichen, langsamen Zerstörung anheimfallen. Dieser<br />

Abwehrmechanismus kann unsern Körper außerdem nur dann wirksam gegen<br />

schädliche Einflüsse verteidigen, wenn wir ihm gestatten, diese Verteidigung wirklich<br />

selbständig durchzuführen.<br />

Entgegen dieser Notwendigkeit hat der zivilisierte Mensch sich besondere<br />

Schutzeinrichtungen ausgedacht, künstlich durchwärmte Häuser, bequeme und warme<br />

Kleidung, Sonnen- und Regenschirme und viel anderes mehr. Sie sollen den<br />

natürlichen Abwehrmechanismus seiner Funktionen entheben und ihn entlasten. Und<br />

doch gehört der menschliche Körper in alle Naturvorgänge, in Sturm und Wetter,<br />

Sonnenschein und Regen, wie Gras oder Blumen oder Bäume hineingehören. Er wird<br />

zart und empfindlich, wenn ihm die direkte Beziehung zur Umwelt entzogen wird —<br />

falls es ihm überhaupt gelingt, auf die Dauer weiterzuleben.<br />

Eine Entlastung des Abwehrmechanismus der Haut zerstört also letzten Endes seine<br />

Kräfte und Fähigkeiten und muß logischerweise die von der Natur gewollte Immunität<br />

des Körpers mit zerstören. Wollen wir diese Immunität wieder herstellen, so muß auch<br />

der sie beschützende Abwehrmechanismus in allen seinen Teilen frei arbeiten dürfen.<br />

Die hergebrachten Sitten und die Erfordernisse des Lebens in der Zivilisation machen<br />

es nun natürlich unmöglich, unseren nackten Körper regelmäßig Wind und Wetter<br />

auszusetzen. Daher wird der Abwehrmechanismus der Haut immerzu behindert und<br />

beständig zu wenig oder überhaupt nicht benützt. Infolgedessen wird die Natur ihn<br />

langsam, aber unerbittlich zerstören, wenn wir nicht etwas tun, um die Störungen,<br />

welche die Lebensgewohnheiten der Zivilisation mit sich bringen, auszugleichen.<br />

Geschieht das nicht, so muß unser Körper notwendigerweise seine Fähigkeit verlieren,<br />

sich der Angriffe von außen zu erwehren. Der erste plötzliche Wechsel in der<br />

Temperatur, der erste beißende kalte Wind, das erste Durchregnetwerden, die erste<br />

Zugluft bringt ihm eine Erkältung. Anstatt bald zu verschwinden, nistet sich das<br />

Unwohlsein ein. Möglicherweise entsteht daraus eine Influenza, dann eine<br />

Lungenentzündung, eine Rippen- oder Brustfellentzündung, schließlich Tuberkulose.<br />

Ein vollständig lebenskräftiger Körper dagegen wird schon die Erkältung, aber auch<br />

jede Folgekrankheit abweisen, weil ein vollständig lebenskräftiger Körper sich gegen<br />

Krankheiten erfolgreich zu wehren versteht.<br />

Wie gesagt, können wir modernen Menschen nicht beständig unbekleidet<br />

umhergehen, aber wir vermögen dafür etwas anderes zu tun, nämlich die Bekleidung<br />

auf ein Mindestmaß zu verringern und möglichst poröse Stoffe zu wählen, die der Luft<br />

und einigem Licht den Zutritt zur Haut gestatten. Im Sommer ist das leicht<br />

durchzuführen. Ich selber trage das ganze Jahr hindurch keine Unterkleider, und die<br />

leichten äußeren Kleider sind sogar im Winter so porös, daß die kühlen und kalten<br />

Winde überall hineinpfeifen können. Dann erst fühle ich mich ganz wohl.<br />

Der Anfänger in der richtigen Hautpflege wird allerdings sogar im Sommer noch<br />

Unterkleider tragen wollen; sie sollte aber jedenfalls ganz leicht und lose gewoben<br />

sein. Nur dann kann es uns gelingen, die Hautatmung und die Hautabwehrfähigkeit zu<br />

beleben; dadurch wird in der ganzen Kette der Hautfunktionen die funktionelle<br />

Tätigkeit angeregt. Kommt dann der Winter, so darf die Bekleidung keinesfalls<br />

127


geändert werden. Ich kann nur immer wiederholen: man trage so wenig Kleider, als<br />

Gesetz und Sitten es gestatten, und diese Kleider sollen offen, porös, leicht und nicht<br />

anliegend sein, überdies möglichst hell in der Farbe.<br />

Wenn man sich zu einer solchen Umstellung in seiner Bekleidung erst mitten im<br />

Winter entschließt, muß man natürlich mit größter Vorsicht zu Werke gehen, und das<br />

um so mehr, je mehr die Haut bisher verweichlicht worden ist. Trägt man schwere,<br />

undurchlässige Kleider, so muß man damit fortfahren, bis der Frühling wärmeres<br />

Wetter bringt. Dagegen kann man dichte Unterkleidung gegen poröse von gleichem<br />

Gewicht austauschen, oder zwei dünne Schichten an Stelle einer dicken, dichten<br />

tragen. Dieser Wechsel wirkt nur günstig.<br />

Natürlich muß mein Rat, sich so leicht wie möglich zu kleiden, richtig ausgelegt<br />

werden. Selbstverständlich ist zum Beispiel, daß ein Mann, der verhältnismäßig<br />

bewegungslos auf seinem Fuhrwerk sitzt oder irgendeine andere Art Arbeit, bei der er<br />

sich nicht recht bewegen kann, im Freien verrichten muß, in unsern nördlichen Breiten<br />

im Winter niemals leichte Bekleidung tragen darf. Aber wer sein eigenes<br />

geschlossenes Auto führt oder in der Straßenbahn fährt, der braucht sich auch bei<br />

kaltem Wetter nicht nach der schlechten Gewohnheit zivilisierter Menschen<br />

einzuwickeln. Indessen müssen Menschen, deren Arbeit das Tragen schwerer,<br />

undurchlässiger Kleidung verlangt, ihre Haut ganz besonders pflegen und trainieren<br />

um die Nachteile der dicken Bedeckung aufzuheben.<br />

Denn es ist eben doch eine hochwichtige Tatsache, daß die Haut atmet. Wie die<br />

Lungen scheidet sie Kohlensäure aus und nimmt dafür Sauerstoff auf. So sollte es<br />

wenigstens sein; aber wenn die Haut durch dicke Kleidung von der Außenluft<br />

abgeschnitten ist, dann muß sie die ausgeatmeten Giftstoffe, die sich in den sie<br />

umgebenden dichten Hüllen ansammeln, weil sie keinen Ausweg finden, wiederum in<br />

sich aufnehmen und dem Blute von neuem zuführen. Sogar die Schweiß<strong>dr</strong>üsen, diese<br />

wichtigen Ausscheidungsorgane für die Gifte des Körpers (s. S. 125ff.), verlieren ihre<br />

Arbeitsfähigkeit, wenn der Körper beständig dicht bekleidet ist. Ist die Unterkleidung<br />

aus Wolle, so wird der Schweiß von der Wolle aufgesogen und bleibt in beständiger<br />

Berührung mit der Hautoberfläche; viele ausgeschiedene Giftstoffe werden auf diese<br />

Weise wieder in den Körper zurückgeführt und müssen hernach durch die Nieren<br />

entfernt werden, was für diese Organe eine ungeheure Mehrbelastung bedeutet.<br />

Überlegen wir uns nun, daß Zurückhaltung der Körpergifte der Hauptfaktor für das<br />

Altern des Körpers ist und in ungünstigen Fällen den Körper sogar töten kann, dann<br />

wird uns vielleicht endlich klar, von welch großer Bedeutung ein tadelloses<br />

Funktionieren der Hautatmung und -ausscheidung ist.<br />

Daß meine Haut ihre Funktionen voll ausübt, ist übrigens auch der Grund dafür, daß<br />

ich sozusagen niemals müde bin; ich vermeide eben alle Prozesse, die die<br />

Ausscheidung der Körpergifte behindern können, und trachte im Gegenteil die<br />

Bildung neuer Gifte zu verringern.<br />

Das Tragen poröser Kleidung ist aber im Grunde genommen nur eine passive<br />

Maßnahme; wir müssen für die Gesundheit der Haut auch aktiv arbeiten. Wie arbeiten<br />

wir aktiv an der Normalisierung der Haut? Die Antwort auf diese Frage lautet: durch<br />

Baden. Drei Arten von Bädern müssen wir der Haut in regelmäßigen Abständen<br />

zukommen lassen: Licht-, Luft- und Wasserbäder. Diese regelmäßigen Abstände<br />

müssen allerdings kurz genug sein, um die Wirkungen der Bäder sich anhäufen zu<br />

lassen; die Wirkungen dürfen nicht abklingen, bevor neue hinzukommen.<br />

128


Unsere Hygieniker (Gesundheitsforscher) empfehlen ihren Patienten allerdings<br />

gemeinhin nur eine einzige Art von Bädern, die Wasserbäder, und begründen diese<br />

Vorschrift mit einer einzigen Notwendigkeit — gerade der geringsten —, nämlich mit<br />

der Sauberkeit. Aber die äußere Reinhaltung des Körpers und seiner Kleidung und<br />

Umgebung allein macht die wahre körperliche Sauberkeit noch nicht aus; sie bewirkt<br />

nur, daß der Körper sauber aussieht. So wie auch Schmutz, der äußerlich an uns klebt,<br />

uns nicht im wirklichen Sinne des Wortes schmutzig macht, sondern nur bewirkt, daß<br />

wir schmutzig aussehen. Was uns in Wirklichkeit beschmutzt, das ist der Schmutz,<br />

den wir im Innern unseres Körpers mit uns herumtragen und nicht absondern. Der<br />

Verdauungskanal wird, solange er die Aufgabe erhält, nur jene Art von Nahrung, für<br />

die er eingerichtet ist, zu verarbeiten, normal und einwandfrei funktionieren und sich<br />

seiner Schlacken ganz von selbst entledigen; denn in seiner Kost findet er die<br />

natürliche Anregung zu jener vollkommenen Funktionsfähigkeit, wie sie durch die<br />

Ahnen der Menschenrasse in der endlosen Länge der Evolutionszeitalter gemäß ihren<br />

Umweltbedingungen entwickelt wurden. Ändert man jedoch diese Art der Ernährung,<br />

die die Rolle des Verdauungsanregers spielt, dann verschwindet die Ausgeglichenheit<br />

zwischen den Nahrungsstoffen und der Apparatur, welche sie anregen sollen, und<br />

damit verschwindet auch ihre natürliche gegenseitige Anpassung. Es verbleiben dann<br />

unverarbeitete Reste in den Verdauungswegen, welcher der Körper nicht mehr allein<br />

Herr wird. Dazu kommt aber noch, daß mit der fortschreitenden Zivilisation das Leben<br />

in rascherem Rhythmus abläuft; das bedingt einen intensiveren Nahrungsverbrauch, so<br />

daß die Abfallstoffe im Körper sich vermehren und anhäufen.<br />

Was aber bedeutet Ansammlung der Abfallstoffe und geringere<br />

Ausscheidungskraft? Nur eins, nämlich eine Anhäufung von Schmutz, die dem<br />

Bedürfnis nach Sauberkeit ins Gesicht schlägt.<br />

Wir sehen auch hier, wie verhängnisvoll es für den Menschen gewesen ist, daß er,<br />

der seinen Körper so nehmen muß, wie er ist, und ihn nicht nach Belieben der einen<br />

oder der anderen Lebensweise anpassen kann, eigenmächtig seine Lebensbedingungen<br />

von den großen Naturgesetzen losgelöst hat. Sein Verdauungskanal, der für sehr<br />

einfache, rauhe, zellulosereiche, mineralreiche Kost eingerichtet ist, muß verfeinerte,<br />

mineralarme, konzentrierte und komplizierte Nahrung verarbeiten. Entsprechend der<br />

törichten Gewohnheit des Kulturmenschen, viel zu viel und üppig zu essen, sind seine<br />

Eingeweide denn auch wahre Giftreservoire und Schmutzbehälter, um so mehr, als sie<br />

in den meisten Fällen weit davon entfernt sind, normal zu funktionieren und sich<br />

regelmäßig zu entleeren. Und doch ist weiter nichts als ein klein wenig kluge,<br />

überlegte Besinnung nötig, um die Entwicklung eines so widerlichen Körperzustandes<br />

zu verhindern. Die Erfordernisse sind nur diese: natürliche Nahrung, regelmäßige<br />

Ausscheidung, Muskelübung, tägliches tüchtiges Marschieren, Anregung der<br />

Hautreflexe durch Licht, Luft und kühles Baden, regelmäßiger Schlaf und<br />

Beherrschung der Geistes- und Gefühlsregungen.<br />

Tatsache ist, daß die Zivilisation auch aus dem Bad ein weiteres Instrument zur<br />

Verringerung unserer Vitalität und lebendigen Widerstandskraft gemacht hat, weil sie<br />

im allgemeinen bloß die ästhetische Notwendigkeit, die Notwendigkeit der<br />

Appetitlichkeit, A<strong>dr</strong>ettheit und rein äußerlich gewerteten Ordentlichkeit als<br />

Begründung für unsere Badegewohnheiten billigt und weil die meisten Leute<br />

überhaupt nichts anderes kennen als das Wasserbad.<br />

Wie sollen wir denn baden?<br />

129


Vor allem eins: können die Bäder im Freien genommen werden, so ist das<br />

unbedingt ein großer Vorteil. Nicht umsonst betrachtet man Strandbäder als gesunde<br />

Einrichtung. In unseren nördlichen Klimaverhältnissen ist zwar diese Methode im<br />

Winter nicht durchführbar, so sehr es gerade dann notwendig wäre, den schädlichen<br />

Wirkungen der vielen übereinandergelegten Kleiderschichten entgegenzuarbeiten.<br />

Aber wenn es einem nicht möglich ist, das Beste zu tun, so ergreift die Weisheit das<br />

Zweitbeste und wendet es an. So müssen wir für den Winter das Baden in einem<br />

gutgelüfteten Raum anstreben; durch das offene Fenster sollte womöglich direktes<br />

Licht auf den Körper fallen, denn es ist jetzt allgemein bekannt, daß gewöhnliches<br />

Glas für die Heilstrahlen des Sonnenlichts, die ultravioletten Strahlen, nicht<br />

durchlässig ist, während bei geöffnetem Fenster der nackte Körper wenigstens<br />

einigermaßen wie im Freien von ihnen durchstrahlt wird. In jedem Falle sollte der<br />

Körper im Lichtraum des offenen Fensters stehen, damit die bewegte Luft ihn<br />

umwehen kann. Und während er auf diese Weise in Luft badet, sollte man ihn kräftig<br />

und unablässig massieren, um ihn dadurch beständig zu tiefem Atmen und damit zur<br />

Aufnahme von Sauerstoff zu veranlassen. So bildet sich auch die nötige Wärme, die an<br />

die Oberfläche steigt und die äußere Kälte am Ein<strong>dr</strong>ingen verhindert.<br />

In dieser Art muß der Körper täglich einige Minuten lang direkt der Luft ausgesetzt<br />

bleiben, und zwar lange genug, damit man ihn gleichzeitig mit den Händen von oben<br />

bis unten, inbegriffen die Kopfhaut und die Fußsohlen, massieren kann. Darauf folgen<br />

die gleichfalls vor dem offenen Fenster auszuführenden Muskelübungen, zu denen<br />

man sich entschlossen hat, und hernach kommt das kühle oder kalte Wasserbad. Kühl<br />

muß es zum mindesten sein, um eine nennenswerte Wirkung zu haben; sämtliche<br />

Hautfunktionen werden ja durch kühle oder kalte Hautberührungen in viel höherem<br />

Maße angeregt. Man versuche zur Nachprüfung dieser Behauptung einen unerwarteten<br />

Guß kalten Wassers auf irgendeine unbedeckte, für gewöhnlich beschützte Stelle der<br />

Haut, und beobachte, was mit dem Atmen geschieht. Tief? Das kann man wohl sagen.<br />

Das beweist, daß unsere Haut der Sitz von Reflexen ist, die uns, durch kalte<br />

Berührungen angeregt, zu tieferem Atmen zwingen. Das ist auch der Grund, warum<br />

der Arzt das neugeborene Kind mit Wasser bespritzt, wenn es nicht sofort atmet.<br />

An Stelle eines Bades genügt natürlich auch eine Dusche oder eine Abwaschung<br />

mit kaltem Wasser; die Temperatur des Wassers muß dann zum mindesten so tief sein<br />

wie die des Raumes, dessen Fenster geöffnet ist. Wer noch nicht viel Widerstandskraft<br />

besitzt, muß sich im Anfang damit begnügen, sich lauwarm mit dem Schwamm<br />

abzuwaschen. Später geht er dazu über, die Haut erst mit einem in lauwarmes Wasser<br />

getauchten Schwamm rasch abzureiben, dann den Schwamm in kühleres und immer<br />

kühleres Wasser zu tauchen, und so fort, bis vollkaltes Wasser benützt wird. Für<br />

empfindliche Anfänger ist es auch ratsam, Schwamm oder Waschlappen gut<br />

auszuwinden, um jedes Spritzen zu vermeiden. Die nicht Überempfindlichen können<br />

sofort mit ganz kaltem Wasser beginnen; sie sollten bloß darauf achten, bei der ersten<br />

Abreibung Schwamm oder Waschlappen gut auszuwinden, bei jeder Wiederholung<br />

aber mehr Wasser darin zu lassen, bis zu vollkommen triefender Nässe. Auch die<br />

empfindlichste Haut kann lernen, die kälteste Abreibung schließlich als angenehm zu<br />

empfinden; es mag jedoch in manchen Fällen nötig sein, vor solchen Abreibungen<br />

durch ein paar kräftige Übungen und tiefes Atmen die Zirkulation anzuregen.<br />

Nach dem Bade, der Dusche oder der Abwaschung wird die ganze Körperoberfläche<br />

gründlich mit den Fäusten abgeklopft und die Haut nochmals eingehend massiert, bis<br />

130


sich eine kräftige Reaktion einstellt, die jedes Kältegefühl überwindet. Man <strong>dr</strong>ehe<br />

sodann das Handtuch zu einer festen Rolle, erfasse sie mit beiden dicht<br />

nebeneinanderliegenden Händen — Handflächen nach unten — und mache rasch<br />

schlagartige Bewegungen vor- und rückwärts in Schulterhöhe, während der Körper im<br />

Takte vor- und rückwärts mitschwingt; diese Übung wiederholt man, sobald man ein<br />

wenig trainiert ist, hundertmal. Dann schleudere man die von den Schultern aus nach<br />

vorne gestreckten Arme sehr schnell von einer Seite auf die andere, auch hundertmal.<br />

Hernach reibe man sich mit dem Handtuch von oben bis unten ab, stelle sich so nahe<br />

wie möglich beim Fenster auf und lasse seine Haut in der von außen hereinströmenden<br />

Luft trocknen, während man den Körper von der Kopfhaut bis zur Fußsohle mit den<br />

Fäusten bearbeitet und anschließend sehr rasch massiert. Der Vorgeschrittene wird ein<br />

Vergnügen darin finden, seinen Körper nicht mit einem Handtuch abzureiben, sondern<br />

ihn in der beschriebenen Weise einzig und allein an der Luft trocknen zu lassen, nach<br />

dem Beispiel unserer Voreltern, die keine Handtücher kannten und deren Haut daher<br />

nach der Berührung mit Regen, Nebel und Tau auf dieselbe Art trocknen mußte.<br />

Man könnte denken, daß die erste Berührung der unbedeckten Haut mit der eiskalten<br />

Luft in einem die ganze Nacht offenen Raume bei Temperaturen von null Grad und<br />

darunter einen ziemlichen Schock für die Konstitution bedeutet. Das ist aber nicht der<br />

Fall, wenn die Arrectores pilorum (die kleinen Muskeln, die unsere Körperhaare<br />

aufrichten; s. S. 126 f.) die Hautkapillaren und die Haut<strong>dr</strong>üsen normal funktionieren<br />

gelernt haben, so daß sie auch auf diesen natürlichen Kontakt normal reagieren. Dann<br />

isolieren diese Einrichtungen unverzüglich den Körper gegen den Zu<strong>dr</strong>ang der Kälte<br />

von außen und verhindern das Ausströmen der inneren Wärme. Und da die erste<br />

Reflexwirkung der Kälte auf die Haut vermehrte Sauerstoffzufuhr ins Blut auf dem<br />

Wege vertiefter Atmung ist, so steigt sofort auch die Körpertemperatur.<br />

Das alles gilt natürlich nur für die normalisierte Haut; von der nicht abgehärteten<br />

Haut kann niemand erwarten, daß sie sich über kalte Luft oder kalte Bäder freut; sie<br />

darf sich daher erst nach und nach an diese Prozeduren heranwagen. Wer eine solche<br />

verweichlichte Konstitution hat, soll das Fenster zum Bett-Turnen nur öffnen, wenn<br />

das Zimmer geheizt ist; war jedoch das Fenster schon die Nacht über offen, dann<br />

schließt man es vor Beginn der Übungen und turnt in dem geschlossenen, aber<br />

ungeheizten Raume. Nach den Übungen wird das Fenster wieder geöffnet, damit der<br />

nackte Körper, der durch das Turnen vollständig durchwärmt ist, ein paar Sekunden<br />

lang Licht und Luft genießen kann; vorsichtshalber muß die Haut währenddessen<br />

gründlich gerieben und geklopft werden. Geschieht das, so ist es fast unmöglich —<br />

falls man durch die Übungen wirklich warm geworden ist —, daß dieses Luft- und<br />

Lichtbad einem schadet.<br />

Bei Patienten mit niederer Vitalität, bei Kranken oder von schwerer Krankheit<br />

Genesenden muß man den Raum für die Übungen im Winter heizen, aber zuvor muß<br />

er unbedingt gründlich gelüftet werden; das Fenster wird bei den Übungen bloß an<br />

milderen Tagen geöffnet. Wer aber nicht krank oder rekonvaleszent ist, der bleibe<br />

auch im Badezimmer nach seinem Bade so lange wie möglich unbekleidet; am Anfang<br />

öffne er das Fenster erst nach dem Bade. Später kann man damit beginnen, es während<br />

des Badens offenstehen zu lassen, und noch später öffnet man es schon beim Betreten<br />

des Badezimmers, außer bei ungewöhnlich kalter Witterung. Die Haut wird<br />

verhältnismäßig rasch so weit entwickelt sein, daß sie selbst die kältesten Kontakte als<br />

angenehm empfindet. Geht man in vorsichtigen Abstufungen zu Werke, so kann von<br />

131


einer Erkältungsgefahr nicht die Rede sein. Im Gegenteil: diese Gefahr wird sich<br />

täglich verringern, denn durch das Klopfen, Massieren und Reiben wird die Haut heiß<br />

und trocken, und führt man die Bewegungen genügend rasch aus, so werden nach und<br />

nach sämtliche Abwehrkräfte der Haut zu immer größerer Stärke entwickelt.<br />

Nach dieser Massage kleide man sich rasch an.<br />

Wir sollten uns nun aber doch einmal eingehend Rechenschaft darüber geben, was<br />

wir eigentlich tun, wenn wir uns in der oben beschriebenen Weise verhalten. Das stellt<br />

sich uns bei schärferer Überlegung folgendermaßen dar:<br />

Wenn ich ein kaltes Bad nehme oder meinen unbekleideten Körper der frischen<br />

Luft und den Sonnenstrahlen aussetze, so tue ich für meine Haut und ihre<br />

empfindlichen Reflexendungen und anderen Nebenorgane das gleiche, was der direkte<br />

Einfluß von Sonne, Regen, Nebel und Kälte für diesen Teil des Abwehrmechanismus<br />

unserer Vorfahren tat, die im Freien unbekleidet lebten. So gelingt es mir, unsern<br />

Fehler, die Haut nicht allen Einflüssen der Umwelt direkt auszusetzen, einigermaßen<br />

wieder auszugleichen. Aber ich rege auch gleichzeitig die ganze Kette aller anderen<br />

Reflextätigkeiten an, wenn ich den Hautreflexmechanismus in Gang setze, und auf<br />

dem Wege der schon öfters erwähnten Zwischenverbindungen erreiche ich den ganzen<br />

Körper. Bei systematischer Durchführung dieser Vorschriften genügt schon eine kurze<br />

Zeit täglich, um Erfolg zu verbürgen. Das Haupterfordernis ist Regelmäßigkeit. Genau<br />

wie in der Entwicklung der Muskeln pünktlich wiederholte kurze Übungen heilsamer<br />

sind als anhaltende Anstrengungen, so ist auch in bezug auf die Hautpflege<br />

Regelmäßigkeit durchaus die Hauptsache.<br />

Wie ich schon mehrfach betont habe, braucht der Anfänger keineswegs gleich den<br />

vollen Anforderungen Rechnung zu tragen. Diese höchsten Ansprüche darf sich erst<br />

der stellen, dessen körperliches Befinden so weit normalisiert ist, daß er plötzliche<br />

Veränderungen der Umwelteinflüsse als Belebung und Anregung seiner geistig und<br />

körperlich stets zunehmenden Kräfte empfindet. Ein solcher Mensch hat — auf<br />

anderen Wegen zwar — die zuverlässige Gesundheit des Primitiven erreicht, der sich<br />

beständig frei den Elementen aussetzt und sich natürlich niemals erkältet; denn sein<br />

Abwehrmechanismus und seine Hautatmung arbeiten einwandfrei.<br />

Es erübrigt sich, dem Leser zu sagen, daß diese Methode das genaue Gegenteil der<br />

Gemütlichkeits- und Bequemlichkeitsideen ist, auf welchen die modernen<br />

Lebensgewohnheiten fußen. Die Menschheit irrt, wenn sie Luxus und Behagen als<br />

wichtigstes Ziel ihres materiellen Daseins betrachtet; nein, Anstrengung und Mühe<br />

sind das Grundgesetz jeglicher Entwicklung und Vervollkommnung, und die Strafen<br />

für die Übertretung dieses Grundgesetzes sind Degeneration und Verfall. Wird uns<br />

aber für unsere Mühe auch ein einigermaßen entschädigender Gewinn zuteil? Das<br />

hängt von unserer Einsicht — oder besser gesagt, von unserem Charakter ab.<br />

Ich habe dieses Buch für die Verständigen, die Klugen, die Interessierten, die<br />

Gläubigen, die Lebensdurstigen und Hochgesinnten geschrieben, die Mühe und Arbeit<br />

nicht scheuen, um ihr Ziel zu erreichen. Die Trägen und Gemächlichen werden ihm<br />

kein Interesse abgewinnen; ich gestehe offen, daß umgekehrt auch ich ihnen kein<br />

Interesse entgegenbringe. Mögen sie in feiger Ruhe bei ihren Fleischtöpfen verharren<br />

und sich von stumpfen Genüssen unter kraftlosem Dahinträumen den mannigfachen<br />

Leiden und Krankheiten entgegenführen lassen, die sie an irgendeinem Punkte ihres<br />

Lebens mit Sicherheit erwarten.<br />

Dem kräftigen Charakter aber biete ich hier einen Rettungsplan an, der ihn, wenn er<br />

132


ihm genügend treu bleibt, den gleichen glanzvollen Lebensweg führen wird, den ich<br />

selber schon seit so vielen Jahren gehe und dem ich, wenn kein Unfall mich vorzeitig<br />

ereilt, noch lange Zeiten zu folgen hoffe.<br />

Denen, die die nötigen Anstrengungen auf sich nehmen, verspreche ich wachsende<br />

Freuden und eine ungeahnte Steigerung aller ihrer Kräfte und Möglichkeiten, bis alle<br />

Anstrengungen und Mühen ihnen überhaupt nur mehr als Belohnungen erscheinen<br />

werden, denn ihr Wesen hat dann andere Bedürfnisse und wird von anderen Genüssen<br />

angezogen.<br />

Ist das bloßes Gerede? Die Tatsache, daß ich in längst verflossenen Zeiten selten ohne<br />

eine Erkältung war, mich aber seither in zweiund<strong>dr</strong>eißig Jahren nie mehr erkältet habe,<br />

spricht für sich selbst. Und welch unerhörten Zuschuß an Vitalität hat diese<br />

Entwicklung meinem Körper gebracht! Denn wenn ich am frühen Morgen nach den<br />

beschriebenen Übungen und dem Licht-, Luft- und Wasserbad zum Gang in meine<br />

Sprechstunde auf die Straße trete, dann übernimmt mich oft die Lust, wie ein<br />

Schulkind zu rennen, so gewaltig und unbezwingbar schäumt jugendliche Lebenskraft<br />

in mir auf und <strong>dr</strong>ängt nach außen. Im Winter dauert es dann noch etwa anderthalb<br />

Stunden bis zum Sonnenaufgang, und dennoch ist es mir allemal, als sprühte die<br />

Atmosphäre rings um mich noch von der Strahlenenergie des Vortages und<br />

durch<strong>dr</strong>änge alles belebend meinen Körper. Man mag dieses Phänomen erklären, wie<br />

man will — Tatsache bleibt, daß ich nach einem langen Morgenmarsch verjüngt und<br />

von Lebenskraft förmlich überströmend in meinem Arbeitszimmer ankomme. Wenn<br />

ich dann nach einem belebenden Frühstück die Tagesarbeit aufnehme, bin ich mit<br />

meinen achtzig Jahren genau so vergnügt und unternehmungslustig wie ein<br />

Sechzehnjähriger. Dann ist es oft mein erstes, daß ich eine Tür an ihrer freien Kante<br />

packe und mit voller Wucht hundertmal hin und her schwinge. Den ganzen Tag<br />

brodeln die Kräfte; wenn ich es nicht mehr aushalten kann, springe ich über Stühle<br />

oder schaue, wie hoch ich stoßen oder schlagen kann; oder ich tanze den „Froschtanz“<br />

(den hier so genannten ungarischen Tanz), eine Geschicklichkeitsprobe, die mir nur<br />

wenige Dreißigjährige nachmachen; oder ich beginne an Ort und Stelle zu rennen oder<br />

die Beine zu balancieren; oder ich mache Luftsprünge und klappe die Fersen zweimal<br />

zusammen, bevor ich wieder den Boden berühre; oder ich mache Stoßübungen gegen<br />

die Wand oder gegen den Fußboden. Ich möchte ununterbrochen summen und singen<br />

vor Lust, und manchmal tue ich es auch, weil ich diesem Drang einfach nachgeben<br />

muß.<br />

Nach vollbrachtem Tagewerk erliege ich auf meinem Heimweg sehr oft der<br />

Versuchung, eine lange Strecke aus purer Lebenslust buchstäblich zu rennen,<br />

besonders in der Winterkälte. Übrigens marschiere ich im Monat zusammengerechnet<br />

mindestens <strong>dr</strong>eihundert Kilometer und fühle mich nie, aber wirklich nie müde. Noch<br />

kürzlich lief ich eine Strecke von mehr als acht Kilometern in siebenundvierzig<br />

Minuten, obwohl ich in der vorangegangenen Nacht infolge eines Abendvortrags mit<br />

anschließender, lange dauernder Diskussion nur fünf Stunden geschlafen hatte.<br />

Immer noch bin ich sehr gut imstande, zehn bis zwölf Stunden täglich zu arbeiten,<br />

und das tue ich auch, die Sonn- und Feiertage eingeschlossen. Nur die Weihnachts-<br />

und Neujahrstage und manche Sonntagabende behalte ich für gesellige<br />

Verpflichtungen und Familienanlässe frei.<br />

Natürlich muß zugegeben werden, daß es nicht notwendig ist, in dem Bestreben, die<br />

Hauttätigkeit anzuregen, so weit zu gehen, wie ich es tue. Aber wer sich einmal dem<br />

133


Erlebnis der Wiedergesundung verschrieben hat, der fühlt die Begierde nach immer<br />

weiteren normalisierenden Maßnahmen; er genießt schließlich die Berührung mit dem<br />

kältesten Wasser, mit dem schärfsten Wind.<br />

Ich bin — wie gesagt — jetzt bereits achtzig Jahre alt und erfreue mich des klarsten<br />

Verstandes; zu keiner früheren Zeit war er klarer. Ich fühle mich nie einen Augenblick<br />

unwohl.<br />

Ich fürchte mich vor keiner Krankheit und weiß, daß ich Grund habe, mich nicht zu<br />

fürchten. Auf Jahre hinaus plane ich Arbeiten auf körperlichem und geistigem Gebiet<br />

und träume davon, nach und nach alles das noch nachzuholen, was ich in jenen Jahren,<br />

die man Jugend und mittleres Alter nennt, so gerne getan hätte und meiner armseligen<br />

Gesundheit wegen nicht habe tun können. Immer noch besitze ich das ganze Feuer, die<br />

ganze Lebendigkeit der Jugend, und oben<strong>dr</strong>ein die Erfahrung eines — wie man es<br />

heute noch nennt — langen Lebens. Wer das hört, wird sicher nicht mehr fragen, ob<br />

die Belohnung der großen Anstrengungen wert ist. Und niemand wird meine<br />

überschwengliche Beschreibung dieser Belohnung als bloßes Gerede hinstellen.<br />

Ich erkläre feierlich, daß dieselbe Belohnung, die mich nun schon seit langer Zeit<br />

beglückt und in immer höherem Maße auch in Zukunft beglücken wird, auch jedem<br />

andern Menschen zuteil werden kann, der sich ein krankheits- und leidensfreies Dasein<br />

sichern möchte, vorausgesetzt, daß die Gewebe seines Körpers nicht bereits der<br />

Zerstörung so stark anheimgefallen sind, daß sich ein Versuch zu ihrer<br />

Wiederbelebung gar nicht mehr lohnt.<br />

Wer diese Einsicht in seine eigenen Möglichkeiten nicht hat, dem habe ich nichts zu<br />

sagen. Er muß, soweit ich es übersehen kann, den Weg der Selbsttäuschung<br />

weiterwandern, der ihn von Gesundheit zu Krankheit, von Krankheit zu künstlichen<br />

Heilmitteln und schließlich zu vorzeitigem Altern und frühem Tode führen wird. Das<br />

Altern kommt immer zu früh, wie lange Jahre auch der Körper schon auf dieser Erde<br />

geweilt haben mag. Es ist das Brandmal der Zivilisation.<br />

Nein, Gott will, daß wir lange leben sollen auf der Erde, die er uns gegeben hat,<br />

länger, weit länger, als die Jahre, die wir heute noch fälschlicherweise mit „Alter“<br />

bezeichnen. Und er will auch, daß wir bis zum Ende warmblütig, hellsinnig und<br />

hochgemut bleiben sollen, um dann einst in den kühlen und stillen Stunden eines<br />

frühen Morgens leise unsere Augen zu schließen und aus diesem Leben hinaus in ein<br />

anderes Leben hinüberzugleiten, wie ein Samenkorn, das ein leichter Frühlingswind<br />

sanft in die Ferne weht, damit es an einem andern Orte niederfällt, in anderes Er<strong>dr</strong>eich<br />

ein<strong>dr</strong>ingt und neues Leben zum Licht emporsendet.<br />

134


12. KAPITEL<br />

Geist, Gefühlsleben und Schlaf<br />

Es ist eine wahre Glückseligkeit, seinen eigenen Körper als vollkommen zu<br />

empfinden, im Vergleich mit weniger disziplinierten Körpern seine Schönheit und<br />

Tadellosigkeit zu erkennen und mit Bestimmtheit zu wissen, daß man nie wieder krank<br />

zu werden braucht.<br />

Die Frage der vollkommenen Gesundheit hat aber noch eine andere Seite. Der Mensch<br />

ist kein rein physisches Wesen; er ist ebensosehr auch Geist und Seele. Angenommen<br />

darum, ein primitives Leben könnte den erstrebten vollkommenen physischen Körper<br />

entwickeln, — was würde aus der geistigen und der seelischen Seite des Menschen,<br />

der zu solchem primitivem Leben zurückkehrte? Ohne Zweifel könnte er sich nur<br />

wenig über sein körperliches Dasein hinaus entwickeln; er würde Zu einem<br />

prachtvollen Tier, und das wäre höchstwahrscheinlich alles. Aber ein herrliches Tier<br />

zu werden, ist schwerlich des Menschen Bestimmung; soll er doch nach den<br />

Offenbarungen der Lichtquellen des Geistes und der Seele streben und durch sie zum<br />

135


Bewußtsein seiner Beziehung zur Gottheit gelangen.<br />

Freilich, erst wenn die Dringlichkeit und Härte der Erfordernisse des primitiven<br />

Lebens nachgelassen haben und der Mensch seine Kräfte nicht mehr in der bloßen<br />

Anstrengung, sein Dasein zu fristen. verbraucht, erst dann können seine geistigen<br />

Anlagen Zeit und Gelegenheit finden, sich auszubilden.<br />

Es sieht demnach so aus, als ob es im Plane der Natur läge, die Strenge des absolut<br />

primitiven Lebens zu mildern, um der geistigen Entwicklung des Menschen diese Zeit<br />

und Gelegenheit zu verschaffen.<br />

Anderseits wissen wir aber und erfahren es täglich aufs neue, daß die<br />

Gemütsverfassung eines Menschen, sein geistiger und moralischer Zustand in hohem<br />

Maße von seiner physischen Beschaffenheit abhängen. Wer körperlich mitgenommen<br />

ist, kann sich nur unter beständigem Kraftaufwand auf einer gewissen geistigen und<br />

moralischen Höhe erhalten; ein solcher Kampf <strong>dr</strong>oht die Körperkräfte noch tiefer zu<br />

untergraben, denn jeder Kampf zehrt am vorhandenen Energiebestand. Dagegen tritt<br />

bei dem physisch vollkommenen Individuum geistige, moralische und Gemütsstärke<br />

von selbst in Erscheinung. Den physisch Zugrundegerichteten zieht seine Schwäche<br />

auch moralisch nach unten: er muß hart kämpfen, wenn er Widerstand leisten will. Der<br />

physisch Vollkommene jedoch muß sich Gewalt antun, um unrecht handeln zu<br />

können*.<br />

Wie könnte dies auch anders sein?<br />

Hat jemand körperliche Vollkommenheit erlangt, so dankt er diese Errungenschaft<br />

seiner eigenen strengen Disziplin, dem Gehorsam gegenüber dem „du sollst“ auf allen<br />

* Diese Zeilen können vielleicht mißverstanden werden. Dr. Jacksons weitere Ausführungen zeigen, daß<br />

auch nach seiner Auffassung ein vollgesunder Körper als Werkzeug und Tempel des Geistes sowohl dem<br />

Bösen wie dem Guten dienen kann. Ohne Zweifel ist aller Ungesundheit des Körpers an sehr viel mehr<br />

Bosheit, Gereiztheit, Härte, seelische Erkrankung, Angst und Unfrieden schuld. als die meisten Menschen<br />

auch nur ahnen. Wer den von Dr. Jackson beschriebenen Weg ging, hat viel Sühne dargebracbt und<br />

Gnade erlebt, er hat Ehrfurcht vor Schöpfer und Geschöpf gelernt, den Segen geduldiger und<br />

beharrlicher Einordnung, die Bedeutung der Angewöhnung heilsamer Gewohnheiten erfahren und tief in<br />

die Sümpfe und über die lichten Höhen des Lebens geblickt. Darin liegt eine große Chance, daß auch seine<br />

Seele geläutert und sein Geist geklärt wurde.<br />

Anm. des Herausgebers.<br />

Gebieten des Körpers, des Gemüts, des Geistes und der Moral. Er hat sich gute<br />

Gewohnheiten erworben, und gute Gewohnheiten haften dem Menschen ebenso zäh an<br />

wie schlechte.<br />

Es versteht sich von selbst, daß das Umgekehrte ebenso wahr ist; Nachlässigkeit in<br />

der Ernährung und den übrigen Lebensgewohnheiten, die begieriges Wünschen an die<br />

Stelle des einfachen „du sollst“ setzt, entwickelt in uns bedenkliche Neigungen zur<br />

Disziplinlosigkeit.<br />

Oh, wollten alle Lehrer der Religion und der Ethik nur erfassen, daß unsere<br />

täglichen Lebensgewohnheiten nach dem, was wir tun sollen, geordnet werden<br />

müssen, anstatt nach dem, was wir zufällig wünschen! Welche Basis zur Aufrichtung<br />

moralischen und religiösen Lebens — eines Lebens geistiger Erhebung an Stelle<br />

ritualistischer Formalität — könnte gelegt werden, wenn unsere Kinder von klein auf<br />

im Zusammenhang mit Nahrung, körperlicher Übung, Kleidung und anderem mehr<br />

nicht beständig gefragt würden: „Magst du das?“ oder „magst du es nicht?“, sondern<br />

wenn ihnen mit Liebe und Festigkeit gesagt würde, daß diese und jene Ordnungen dem<br />

Gesetz der Natur, dem Gesetz Gottes entsprechen und infolgedessen eingehalten<br />

werden müssen! Wie würde eine solche Auffassung schon das junge Herz der Kleinen<br />

136


für den Gedanken der Pflicht gewinnen und jedem Ansturm der Begierde<br />

entgegenarbeiten! Was könnte eine solche Jugenderziehung in unserer alten Welt<br />

voller blinder, irregeführter Menschen bedeuten!<br />

Aber die Hüter der Religion und der moralischen Werte übersehen die Verbindung, die<br />

zwischen unseren täglichen Lebensgewohnheiten und der geistigen Entwicklung<br />

besteht; sie sehen fälschlicherweise den Körper als sündig an und bekämpfen,<br />

verdammen und vernachlässigen seine Ansprüche als nebensächlich und unwert.<br />

Damit schädigen sie das Gefäß, das unser individuelles, persönliches Ego, die Seele,<br />

birgt, die ein Funke der Allseele ist. Mit ein wenig Nachdenken hätten die Menschen,<br />

die den Aufbau unserer religiösen Gedankenwelt begründen halfen, erkennen müssen,<br />

daß dieser so wunderbare Körper uns nicht bloß zu dem Zwecke gegeben worden sein<br />

kann, ihn so lange mit Verachtung zu behandeln und ihn zu vernachlässigen, bis er in<br />

unserer Seele Neigungen hervorruft, die mit ihren besten Bestrebungen in<br />

Widerspruch stehen, um ihn dann als sündenbeladenes Objekt zu schmähen und zu<br />

kreuzigen. Welche Gotteslästerung! Ist nicht der Körper eine Schöpfung Gottes? Und<br />

darf ein von Gott geschaffenes Werk mißhandelt werden, darf es krank sein?<br />

Widersinniger, ehrfurchtsloser Gedanke!<br />

Man muß sich nicht wundern, daß die Idee der Gottheit die Phantasie der<br />

Menschenmassen nicht zu gewinnen vermag, solange Krankheit und körperliches<br />

Leiden als von Gott gewolltes Menschenlos angesehen werden. Aus diesem Grunde<br />

wird es auch schwierig sein, Leute zu finden, die ihren religiösen Übungen<br />

ausdauernder und inniger obliegen, als ich meine Körperübungen durchführe. Mir<br />

scheint, die Seele könne sich nicht ganz ungehindert kundtun, solange sie einen<br />

zerrütteten, häßlichen, schwammiges. oder vielleicht auch nur einen gleichgültigen,<br />

noch nicht individuell geformten Körper bewohnen muß.<br />

Und anderseits: welch einfältiger Dünkel veranlaßt uns überhaupt, zu glauben, die<br />

Menschheit sei nicht denselben Lebens- und Gesundheitsgesetzen unterworfen wie<br />

alle anderen Lebewesen? Sind sie nicht alle Gottes Geschöpfe? Ihr Beispiel ermahnt<br />

uns im Gegenteil: Hört auf, euch zu verweichlichen; kehrt zu der ursprünglichen<br />

Einfachheit in euren Lebensgewohnheiten zurück, damit alle Funktionen eures<br />

Körpers auf natürliche Weise angeregt werden! Von anomalen körperlichen<br />

Bedingungen kann nur ein törichter Mensch normale, optimistische, vorwärts und<br />

aufwärts weisende geistige Reaktionen erwarten. Kein einigermaßen einsichtsvoller<br />

Beurteiler wird annehmen, daß aus verkehrten Lebensverhältnissen heraus sich eine<br />

Lebensstimmung entwickelt, die den ganzen Menschen, Körper und Seele, auf die<br />

Höhen eines veredelnden Glaubens und zu jener vollkommenen Zufriedenheit führt,<br />

die mit körperlicher Vollkommenheit und Gesundheit zusammengeht.<br />

Wirklicher Glaube ist eine strahlende, lebenspendende, begeisternde Kraft. Leider<br />

verwechseln wir nur zu leicht Resignation mit Glauben, obwohl beide einander<br />

entgegengesetzte Geistesverfassungen sind. Der Glaube ist positiv, er herrscht, er<br />

siegt, er überwindet alle Hindernisse. Die Resignation ist negativ, sie gibt nach, sie<br />

fügt sich. Männer und Frauen mit lebendigem Glauben brauchen nicht zu resignieren.<br />

Der alles besiegende Glaube an die ihnen verliehenen Kräfte und an ihre hohe<br />

Bestimmung als Kinder Gottes trägt sie durch ihr ganzes, langes Leben hindurch, und<br />

da er von einer zuverlässigen physischen Gesundheit gestützt wird, kann er den<br />

religiösen Glauben, den Glauben an Gott, nur vertiefen und befestigen. Eine Klarheit,<br />

Reinheit und Einsicht wird dem Geiste verliehen, wie sie der körperlich nicht<br />

137


vollwertige Mensch unmöglich erfahren kann.<br />

Wer anders denkt, verwechselt die bloße ererbte, in einem schweren, plumpen Körper<br />

wohnende brutale Stärke mit Vitalität. Die beiden sind grundverschiedene Anlagen.<br />

Der niederstirnige Samson wird selten einen vergeistigten Glauben haben und ebenso<br />

selten wahre, überquellende Vitalität. Samson - Naturen sind selten langlebig und<br />

vollbringen auch selten große Dinge in dieser Welt. Wir müssen zu einer anderen<br />

Auffassung über Vitalität gelangen und sie nicht mit rein physischer Kraft<br />

verwechseln. Sie kann natürlich mit physischer Stärke gepaart sein, aber sie ist ihr<br />

nicht verwandt und kann auch dort bestehen, wo größere physische Kraft fehlt.<br />

Vitalität bedeutet Leben oder Kraft zum Leben — zum Widerstehen und zum<br />

Durchhalten. Wo diese Kraft stark entwickelt oder schon von Natur vorhanden ist, dort<br />

findet man immer hohen Glauben, Selbstvertrauen, moralischen und physischen Mut,<br />

die Fähigkeit, alle Schwierigkeiten zur Seite zu schieben oder sich ihnen<br />

entgegenzustemmen, unverzagt immer weiterzukämpfen, bis der scheinbar<br />

unbezwingbare Widerstand endlich der Macht des Glaubens nachgibt und der Pfad zu<br />

weiterem Fortschritt und größerem Erfolg offenliegt.<br />

Die Emanationen eines solchen harmonischen Gefühls- und Geisteslebens sind eine<br />

positive Macht, die mit der Fackel des Glaubens vorausleuchtet zum Siege über<br />

Umstände und Verhältnisse, welche den meisten gewöhnlichen Menschen als<br />

unübersteigbare Hindernisse erscheinen.<br />

Deshalb ist die Pflege der Reflexkette der Gefühle und Gedanken so wichtig,<br />

desgleichen die Pflege der Reflexkette des Schlafes, die in ähnlichem Maße die<br />

allgemeine Lebensbereitschaft und -tüchtigkeit beeinflußt.<br />

Ich habe bisher der besseren Übersicht zuliebe die beiden Reflexketten des Schlafes<br />

und der Gefühle und Gedanken behandelt, als ob beide zum Körper in der gleichen<br />

Verbindung stünden wie die andern <strong>dr</strong>ei Ketten; das Verhältnis ist aber in den beiden<br />

Fällen sehr verschieden. Die <strong>dr</strong>ei Ketten der Verdauungs-, der Haut- und der<br />

Muskelfunktionen gehören ausgesprochen jede einem besondern Organ an, das ihr<br />

primäres reflexerzeugendes Zentrum ist. Die geistigen oder Gefühlsreflexe jedoch<br />

haben keine abgegrenzten Beziehungen zu einzelnen Körperteilen oder Organen. Zwar<br />

weisen die Funktionen dieser Reflexkette eine bestimmte Verbindung mit dem Geiste<br />

auf — aber was ist der Geist? Er ist kein greifbares Organ. Ja, er steht nach<br />

allgemeiner Annahme wohl in Beziehung zum Gehirn; aber der Geist ist mit dem<br />

Gehirn nicht so eindeutig verbunden wie die andern Reflexketten mit der Haut, den<br />

Muskeln und dem Verdauungskanal. Wenn wir auch wissen, daß das Gehirn auf<br />

irgendeine Art an der Entstehung von geistigen Ein<strong>dr</strong>ücken und Bewegungen beteiligt<br />

ist und daher eine wichtige Rolle auch im Gemütsleben spielt, so kann doch nicht<br />

bewiesen werden, daß es Gedanken oder Gefühle direkt erzeugt — wenigstens nicht<br />

mit derselben Eindeutigkeit, mit der wir zum Beispiel die Ergebnisse von Muskelarbeit<br />

erkennen können.<br />

Anderseits scheint es, als ob doch sozusagen jede Reflextätigkeit des Körpers durch<br />

das geistige Wesen des Menschen beeinflußt würde. Dagegen kennen wir keine<br />

einzige Reflexbewegung oder körperliche Funktion, die vollständig von Geistes- oder<br />

Gemütserscheinungen abhängt. Auch weiß man von keinen natürlichen physikalischen<br />

Anregern, mit denen irgendwelche Organe in Kontakt treten müßten, bevor die<br />

Gefühlsreflexe in Tätigkeit gesetzt werden können.<br />

Da jedoch diese Reflexe so eng mit den geistigen Lebensäußerungen verbunden<br />

138


sind, stehe ich, obwohl der Geist kein Organ ist, nicht an, sie dem Geiste<br />

zuzuschreiben, um die Darstellungsweise zu vereinfachen.<br />

Es ist natürlich von geringer praktischer Bedeutung, ob ich im Recht bin, wenn ich<br />

dem Geiste die Stellung eines primären reflexerzeugenden Zentrums anweise und die<br />

Kette der von Gemütsbewegungen veranlaßten Reflexe als geistige oder<br />

Gefühlsreflexkette bezeichne. Praktisch wichtig, ja wesentlich ist bloß, daß wir das<br />

Vorhandensein dieser Kette von Reflexen und ihre wichtige Rolle in der<br />

Aufrechterhaltung beständiger Gesundheit erkennen.<br />

Doch wo sollen wir, wenn, wie oben gesagt, ein physikalischer natürlicher Anreger<br />

nicht besteht, ihren natürlichen Anreger suchen? Ich sehe ihn, wenn ich es recht<br />

überlege, einzig im Gedanken selber. Ein Gesundheitsgedanke erweckt in jedem<br />

Körperorgan und in jeder Körperzelle durch die Vermittlung der<br />

Zwischenbeziehungen des Reflexnervenmechanismus Reflexe der Gesundung und<br />

Wiederherstellung. Unglücklicherweise können wir ebenso leicht auch einen Kreis<br />

schädigender, übler Einflüsse auslösen, wenn wir negative und zerstörerische<br />

Gedanken aufkommen lassen.<br />

Diese Beeinflussungsmöglichkeit vom Geist her ist denn auch der Grund, warum<br />

der Arzt sich so sehr bemüht, in seinen Patienten die richtige geistige Haltung<br />

gegenüber ihrer Krankheit oder ihrem Leiden anzuregen. Zwar denkt er dabei<br />

jedenfalls nicht an die Auswirkungen der Gefühlsreflexkette, die er vielleicht gar nicht<br />

kennt; aber er weiß, daß die feste Entschlossenheit, koste es, was es wolle, wieder<br />

gesund zu werden, und die Zuversicht, daß dies geschehen wird, den denkbar<br />

günstigsten Einfluß auf den Ausgang jedes Krankheitszustandes hat. Weder der<br />

Anhänger der Christlichen Wissenschaft noch der Geistheiler denkt an die Funktionen<br />

der Gefühlsreflexkette; aber die richtige geistige Haltung übt in allen Fällen eine<br />

vorteilhafte therapeutische Wirkung aus.<br />

Fast jeder Mensch kennt Fälle schwerer Krankheit, die von sorgfältigen und<br />

tüchtigen Ärzten schon als hoffnungslos aufgegeben worden waren und dann doch<br />

geheilt werden konnten, obwohl jeder einzelne physische Faktor ein unheilvolles Ende<br />

befürchten ließ. Solche unerwarteten Heilungen bringen die ärztliche Kunst oft<br />

unverdient in Mißkredit. Der Arzt kann eben seine Schlüsse nur aus den physischen<br />

Symptomen ziehen. Die geistigen Faktoren kann er nicht mit der gleichen Sicherheit<br />

abschätzen; er ist aber daher auch nicht imstande, die möglichen Reflexwirkungen<br />

genau zu berechnen.<br />

Weniger bekannt ist unter Laien der umgekehrte Fall, den der Arzt gleichfalls oft<br />

erlebt. Es gibt Kranke, die vom rein körperlichen Standpunkt aus jeden Grund zur<br />

Gesundung haben, so daß der behandelnde Arzt sich völlig zuversichtlich über den<br />

Ausgang ihres Leidens ausspricht. Trotzdem zeigt sich dann keine Besserung. Auch in<br />

solchen Fällen ist es oft ungerecht, den Arzt zu beschuldigen. Der Arzt konnte nicht<br />

sehen, daß unterirdisch eine Reihe unvorteilhafter Reaktionen des Geistes oder des<br />

Gemüts am Werke waren und die günstigen physischen Reaktionen störten und<br />

endlich zerstörten. Wenn nun Krankheitsgedanken der Krankheit Vorschub leisten und<br />

Gesundheitsgedanken die Wiederherstellung der Gesundheit fördern, so muß doch<br />

sicherlich Gesundheitsdenken auch dem gesunden Menschen helfen, seine Gesundheit<br />

zu erhalten. Gesundheitsdenken bildet den Grundstein zu dem Gebäude der<br />

Gesundheit und damit zur Unempfänglichkeit für Krankheiten. Man muß unbedingt<br />

zugeben, daß ungeheure aufbauende Kräfte im Gesundheitsdenken liegen, die<br />

139


ununterbrochen Ordnung im Chaos schaffen und zur Vervollkommnung der<br />

Lebensformen zwingen. Denn sie wirken unfehlbar und ohne zu irren. Was dabei<br />

vielleicht manchmal unser verwirrtes und zaghaftes Denken abschreckt, ist oft nur das<br />

Wegfegen von Hindernissen, damit das Feld für die freie Entfaltung dieser Kräfte<br />

geräumt wird. Die Natur arbeitet in Vollkommenheit für die Vollkommenheit.<br />

Krankheit ist nicht Vollkommenheit und deshalb unnatürlich, das heißt, sie entspricht<br />

nicht der Tendenz der Natur. Alles Leiden ist ein Beispiel für den Ungehorsam des<br />

Menschen gegenüber den Gesetzen der Natur, und diese Widersetzlichkeit wird von<br />

der Natur rücksichtslos geahndet.<br />

Ich beginne damit, daß ich Gesundheitsgedanken in mir herumtrage — indem ich<br />

erkenne, daß meine vollkommene Gesundheit der Wille der Natur ist. Dann überlege<br />

ich und überzeuge mich davon, daß die Natur, wenn sie mich vollkommen gesund<br />

haben will, mich auch für ihren Zweck ausgestattet haben muß. Auf diese Weise<br />

arbeiten gewisse Reflexe, die meine Körperzellen und Organe günstig beeinflussen.<br />

Diese günstigen Wirkungen erleichtern mir das klare Weiterdenken durch das Problem<br />

hindurch, wie ich gesund leben kann. Ich vergegenwärtige mir so immer deutlicher,<br />

was die Natur von mir verlangt; denn was sie von mir verlangt, ist das, was ich<br />

hernach tun muß, wenn ich gesund sein und bleiben will.<br />

Nun ist es freilich gut denkbar, daß man die Haut durch den Kontakt mit ihrer<br />

Umgebung, die Muskeln durch energische Bewegung genügend zur Tätigkeit anregt,<br />

daß man seine normale Zeit in einem gutgelüfteten Zimmer schläft und seine<br />

Innenwelt nach bestem Vermögen mit optimistischen, bejahenden und aufbauenden<br />

Gedanken und Gefühlen füllt und dennoch durch das Verzehren unnatürlicher und<br />

entkräftender Nahrung alle Funktionen der Ernährungskette stört. Durch die<br />

gegenseitigen Beziehungen des Reflexnervensystems werden dann auch alle andern<br />

Körperfunktionen von dieser Störung berührt und beeinträchtigt, der Schlaf und das<br />

Gemüts- und Geistesleben selbstverständlich mit. Sowohl die Kette der<br />

Hautfunktionen als auch die der Muskelbetätigung könnte hier an Stelle der genannten<br />

Ernährungskette unter den gleichen Verhältnissen eingesetzt werden, ohne daß die<br />

Schlußfolgerung im geringsten verändert würde. Aber für die Kette des Schlafes und<br />

der geistigen Bewegungen trifft dies nach meinem Dafürhalten nicht zu.<br />

Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß eine ungünstige Kette der geistigen oder<br />

Gefühlsreaktionen entsteht, wenn alle <strong>dr</strong>ei primären reflexerzeugenden Zentren mit<br />

bestimmter organischer Zugehörigkeit normal funktionieren. Dies kommt daher, daß<br />

das ganze Nervensystem und nicht bloß sein großer Mittelpunkt, das Gehirn, an den<br />

geistigen und gefühlsmäßigen Reaktionen teilnimmt. Und wenn sämtliche <strong>dr</strong>ei<br />

primären reflexerzeugenden Zentren, die mit der Haut, den Muskeln und dem<br />

Verdauungskanal zusammenhängen und überall mit den entsprechenden Nerven in<br />

Verbindung sind, normal funktionieren, so ist es ziemlich sicher, daß auch der<br />

Nervenmechanismus normal funktioniert, in welchem Falle keine unerwünschten<br />

Gefühlsreaktionen eintreten können. Das zeigt die Wichtigkeit der natürlichen<br />

Anregung von Haut, Muskeln und Verdauung für den Geist und das Gemütsleben.<br />

Nichtsdestoweniger ist es für Personen in scheinbar vollkommener Gesundheit<br />

möglich, krank und sogar leidend zu werden; die erste vom Normalen abweichende<br />

Reflexreaktion erfolgte scheinbar durch eine heftige Gemütsbewegung, etwa durch<br />

den plötzlichen tragischen Tod eines geliebten Menschen oder durch irgendein anderes<br />

erschütterndes Ereignis. Es ist eine altbekannte Tatsache, daß Furcht lähmt und daß<br />

140


Schmerz, Angst, Zorn und Kummer, wenn sie groß genug sind, sogar töten können.<br />

Auch diese Gemütsbewegungen stehen in keiner direkten Verbindung mit irgendeinem<br />

Organ, sondern gehören dem Geiste an, und der Geist ist ihr Organ. Doch können sie<br />

die Körperorgane so stark beeinflussen, daß sie deren Funktionen lahmlegen und —<br />

wenn sie zum Beispiel das Herz betreffen — wirklich das Leben zu vernichten<br />

vermögen. Diese lähmende Wirkung auf die Organe geschieht nie direkt, sondern sie<br />

wird aus dem geistigen oder seelischen Gebiet durch die Beziehung des<br />

Reflexnervenmechanismus auf das körperliche oder organische Leben übertragen.<br />

Hier ist der Ort, als ungemein wichtigen Faktor in der Entwicklung einer<br />

beständigen Gesundheit den Willen einzusetzen. Der Wille muß geübt werden, um den<br />

Geist gegen schädigende, ungünstige Ein<strong>dr</strong>ücke verschlossen zu halten oder in Fällen,<br />

wo dies nicht möglich ist, ihn dagegen zu stählen. Nur positive, aufbauende Gedanken<br />

dürfen walten; alle nieder<strong>dr</strong>ückenden und darum zerstörenden Gedanken müssen<br />

zielsicher abgewiesen oder aufgelöst werden. In dieser Richtung kann man selber viel<br />

tun. Denn nicht nur Freud und Leid, die Dinge, die von außen her an uns herantreten,<br />

bewegen unser Gemüt. Nein, auch Mißtrauen, Gier, Neid, Eifersucht, Auflehnung,<br />

Trotz, Niedergeschlagenheit, Angst, Furcht, Sorge, Untreue, Grausamkeit, Zorn, Haß<br />

— ebenso aber auch Empfindungen der Güte, der Liebe, der Großmut und<br />

Barmherzigkeit, also Stimmungen, die weitgehend unserer eigenen Entscheidung<br />

unterliegen, kommen als zerstörende oder aufbauende, negative oder positive, Leben<br />

und Kräfte entfaltende Faktoren in Betracht. Meiner Überzeugung nach kann ein<br />

vollständig normal arbeitender Körper die fürchterlichsten Katastrophen aushalten. Es<br />

ist allerdings schwer, positiv darüber zu urteilen, denn bei welchen Menschen unserer<br />

modernen Zivilisation arbeitet der Körper vollständig normal? Aber so viel ist sicher:<br />

je einwandfreier die Reflexketten funktionieren, desto zuverlässiger wird auch die<br />

aufbauende Empfindung des Glaubens an die göttliche Vorsehung jeden aufsteigenden<br />

zerstörerischen Gedanken abweisen.<br />

Ähnlich wie mit der Reflexkette des Geistes verhält es sich mit dem Schlaf, bis zu<br />

dem Punkte, wo er freiwillig oder durch irgendeinen ungewöhnlichen Umstand<br />

unterbrochen oder verhindert wird. Dann wird er sehr rasch zu einem primären<br />

reflexerzeugenden Zentrum für die Aussendung von anomalen Funktionsanreizen über<br />

alle Reflexketten; zuerst wird davon die Kette der Gemüts- und Geistesbewegungen in<br />

Mitleidenschaft gezogen. Aber die Kette des Schlafes hat auch gewisse eigene<br />

Aspekte, die für sich betrachtet werden wollen.<br />

Die wahren Ursachen des Schlafes hat die Wissenschaft bisher noch nicht<br />

einwandfrei feststellen können. Ein Grund für das Schlafbedürfnis ist jedenfalls, daß<br />

der Körper, während er sich in völliger Ruhe befindet, die Möglichkeit erhält, seine<br />

Müdigkeitsgifte gänzlich auszuscheiden und auf diese Weise seine unter dem Einfluß<br />

dieser Gifte sinkenden Kräfte zu erneuern.<br />

Wir unterscheiden allgemein gesprochen zwei Arten von Schlaf, welche auf zwei<br />

verschiedenen Voraussetzungen beruhen. Auf der einen Seite kennen wir den<br />

natürlichen und ruhespendenden Schlaf, auf der andern den toxischen und<br />

betäubungsähnlichen. Der natürliche Schlaf beruht auf Müdigkeit, der toxische Schlaf<br />

auf Mattigkeit. Müdigkeit entsteht durch geistige oder physische Anstrengung<br />

innerhalb der physiologischen Grenze — diesseits des Punktes, wo die Erschöpfung<br />

einsetzt oder vielmehr zu <strong>dr</strong>ohen beginnt. Mattigkeit kann verschiedene Ursachen<br />

haben — alles, was die Vermehrung und Anhäufung giftiger (toxischer) Stoffe im<br />

141


Blute begünstigt und ihre Ausscheidung verhindert: Überanstrengung des Geistes oder<br />

des Körpers über die physiologische Grenze hinaus, Überernährung, zu rasches<br />

Verzehren der Nahrung, falsch zusammengestellte Mahlzeiten, übersäuerte Kost, der<br />

es an natürlichen Basen gebricht, ungenügendes oder ungeeignetes Baden, zu dicke<br />

Kleidung, falsche geistige Einstellung, verkehrter Gebrauch unserer geistigen und<br />

seelischen Fähigkeiten, indem wir dunklen, nieder<strong>dr</strong>ückenden oder gar zerstörenden<br />

Gedanken oder Gefühlen erlauben, unseren Geist zu erfüllen. besonders in den<br />

Augenblicken vor dem Einschlafen.<br />

Den natürlichen und ausruhenden Schlaf kennzeichnet ein leicht bereites Einschlafen<br />

zu sanftem, traumlosem Schlummer; steigen dennoch Träume auf, so sind sie<br />

glücklich und erfreulich. Aus solchem Schlafe wacht man hell auf und ist sofort wach,<br />

fröhlich und für die Aufgaben des kommenden Tages bereit, welcher Art immer sie<br />

sein mögen. Keine geistige oder physische Trägheit beschwert einen, kein Gähnen,<br />

kein unausgeschlafenes Gefühl, sondern Körper und Geist sind durch<strong>dr</strong>ungen von<br />

einem Empfinden des Erholtseins und äußerster Lebensbereitschaft.<br />

Der toxische und lethargische (dumpfe) Schlaf ist das genaue Gegenteil davon,<br />

außer in dem einzigen Punkte, daß er den Menschen gleichfalls rasch, doch zu rasch<br />

überfällt. Sein Opfer schläft sozusagen schon, bevor sein Haupt das Kissen berührt.<br />

Träume kommen oft, und sie sind gewöhnlich unerfreulich oder gar<br />

schreckenserregend. Der Schläfer erwacht nur schwer und muß gewöhnlich mehrere<br />

Male geweckt werden. Ist er endlich wach, so gähnt er und streckt sich und bedauert<br />

die Notwendigkeit, auflehen zu müssen; seine Tagespflichten erscheinen ihm<br />

beschwerlich und gar nicht als Freuden. Oft ist er noch weit in den Tag hinein nicht<br />

vollwach, manchmal bis zum Nachmittag. Sein Geist bleibt in eine Wolke gehüllt, und<br />

seine Aufmerksamkeit heftet sich nicht willig an die Gegenstände. Geistige Arbeit<br />

quält solch einen Menschen, wenigstens während der ersten Tageshälfte, oft sogar<br />

darüber hinaus. Seine Gedanken sind düster und fügen ihre Ge<strong>dr</strong>ücktheit noch zu der<br />

bereits so unseligen Verfassung, vermehren dadurch die Ermüdungsgifte in seinem<br />

Körper und vergrößern auf diese Weise wiederum die Neigung zu bleiernem Schlaf.<br />

Kennt man aber die Ursachen des bleiernen, toxischen Schlafes, dann kann man<br />

ihnen auch vorbeugen, insbesondere durch Normalisierung der Ernährungs-, Haut- und<br />

Muskelfunktionen. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß der<br />

Mensch um so weniger Schlaf zu benötigen scheint, in je reinerem und basischerem<br />

Zustande das Blut und die Gewebe sich befinden. Um so rascher wird auch der<br />

Schläfer zum hellen Wachsein aufwachen, wenn die Wolke des Schlafes sich verzogen<br />

hat.<br />

Es muß zugestanden werden, daß der entkräftete Körper durch die anomalen<br />

Empfindungen, welche in ihm entstehen, für negative und zerstörerische Anträge an<br />

den Geist verantwortlich gemacht werden kann. Der Geist gibt diese Anregungen in<br />

Form von anomalen Anreizen der ganzen Kette der unter seiner Kontrolle stehenden<br />

Funktionen weiter, und diese übertragen sie auf die übrigen Reflexzentren. Auf diese<br />

Weise wird der ganze Körper zwar vom Geiste aus negativ, zerstörerisch beeinflußt,<br />

aber dieser geistige Einfluß ist in seiner Entstehung auf den negativen körperlichen<br />

Zustand zurückzuführen und könnte daher in einem gewissen Sinne als Ausstrahlung<br />

einer der <strong>dr</strong>ei ersten Ketten aufgefaßt werden. Immerhin wird er, sobald er geweckt<br />

und von welcher Seite immer er in Bewegung gesetzt wird, so wirksam in der<br />

Kontrolle anderer Funktionen, daß ich nicht umhin kann, ihn selber primär zu nennen.<br />

142


Die praktisch einzunehmende Haltung ist demnach diese, daß Schlaf und Gedanke<br />

in ihrer Wirkung als primäre reflexerzeugende Zentren auftreten können, daß aber die<br />

Natur ihrer Reflextätigkeit mehr oder weniger von der funktionellen Vollkommenheit<br />

oder Unvollkommenheit der <strong>dr</strong>ei anderen Ketten abhängt.<br />

Vergegenwärtigen wir uns dies nun aber, so sollten wir vor allem andern uns<br />

bemühen, die <strong>dr</strong>ei ersten Ketten stets durch die uns von der Natur zur Verfügung<br />

gestellten Mittel in funktioneller Vollkommenheit zu erhalten. Denn wenn der Körper<br />

durch unsere Weigerung, die Haut, die Muskeln und das Ernährungssystem so zu<br />

behandeln, wie die Natur es verlangt, seine Kräfte verliert und sich Gifte in ihm<br />

ansammeln, und wenn auf diese Weise in den <strong>dr</strong>ei ersten Ketten negative und<br />

zerstörerische Reflexe auftreten, dann erhalten die beiden Ketten des Schlafes und des<br />

Geistes auch unnatürliche Anreize. Darum werden sie dann als primäre<br />

reflexerzeugende Zentren auch negative oder destruktive Anreize ins Werk setzen, und<br />

dadurch muß schließlich unsere körperliche Vitalität herabgemindert, muß auch die<br />

Widerstandsfähigkeit gegen Krankheitseinflüsse und alle den Körper schädigenden<br />

Prozesse geschwächt werden.<br />

Die Kenntnis dieser Tatsache setzt uns in den Stand, die beiden letzten Reflexketten<br />

als eine Art Gesundheitsbarometer zu benützen. Denn wenn wir unsern Schlaf nicht<br />

mehr als erfrischend und belebend genießen, wenn wir nicht verjüngt und neugestärkt,<br />

begierig nach der Aufgabe des Tages verlangend daraus erwachen, oder wenn unsere<br />

Stimmung verdüstert, be<strong>dr</strong>ückt, verneinend ist, ver<strong>dr</strong>ießlich, überkritisch, Unheil<br />

voraussehend, anstatt positiv, erfreulich, aufrichtend oder gar begeisternd, dann<br />

erkennen wir daran, daß wir unsere ersten <strong>dr</strong>ei Reflexketten vernachlässigen, und daß<br />

wir früher oder später diese Vernachlässigung mit verminderter Vitalität und mit dem<br />

Verluste unserer natürlichen Immunität gegen Krankheit bezahlen müssen.<br />

Seit ich die Auswahl und Bemessung meiner Nahrung mit Sorgfalt treffe, erlebe ich<br />

solche Störungen nur mehr höchst selten. Wenn sie aber je wieder auftreten — sie<br />

künden sich vielleicht im Beginn bloß mit einem kaum spürbaren Schweregefühl in<br />

Beinen und Füßen oder mit verringerter Frische oder verminderter Lust zum<br />

Aufwachen und zur Muskelbetätigung am frühen Morgen an —, so ergreife ich die<br />

Gelegenheit sofort beim Schopfe und faste oder genieße einen oder zwei Tage lang<br />

nichts als Früchte und Milch; dann dauert es nicht lange, so fühle ich mich wiederum<br />

zu allen Taten bereit, kann des Morgens zu jeder Stunde aufstehen, turnen und kalt<br />

baden, und sobald ich auf der Straße stehe, packt mich wieder diese unbändige Lust,<br />

einen kleinen Wettlauf mit mir selber zu veranstalten. Die Alkalisierung meines Blutes<br />

durch den Genuß von Früchten und Milch hat die Menge der in meinem Blute<br />

befindlichen Abfallstoffe wiederum herabgesetzt und die Müdigkeitsgifte<br />

ausgeschieden. hat meine Körperzellen wieder mit Lebenskraft gefüllt, und das ganze<br />

bewußte.<br />

Gefühl, das mich beherrscht, ist Leben, Vitalität, die sich in geistiger Frische und<br />

Klarheit und kaum zu bändigender Körperkraft aus<strong>dr</strong>ücken.<br />

In dieser Verfassung kann ich nicht länger als fünf Stunden schlafen, und oft<br />

genügen vier Stunden. Aber die Zellen meines Körpers fühlen sich so erleichtert durch<br />

die Ausscheidung der Müdigkeitsgifte, daß ich weitere <strong>dr</strong>ei oder vier Stunden<br />

vollständig entspannt ruhen kann, was in seiner belebenden und giftbefreienden<br />

Wirkung einem gesunden Schlafe sehr nahe kommt. Eine andere Eigenart dieser<br />

Erfahrung ist, daß die Tage, welche einem solchen vierstündigen Schlafe folgen,<br />

143


geistig und körperlich oft meine tätigsten und erfolgreichsten sind. Die Abwesenheit<br />

der Ermüdungsgifte und die normale basische Blutbeschaffenheit erklären dies.<br />

So sehen wir wiederum, daß die Wirkungen der normalisierten, organisch<br />

fundierten großen Reflexketten zusammenarbeiten, um dem primären<br />

reflexerzeugenden Zentrum, mit dem der Schlaf verbunden ist, einen Impuls zu geben.<br />

Wenn sie in- und auswendig den Körper sauber und das Blut basisch erhalten, dann ist<br />

der Einfluß auf die Reflexkette des Schlafes wohltätig, konstruktiv und belebend. Im<br />

umgekehrten Falle ist er zerstörend, vermindert die Lebenskraft und führt zu<br />

Krankheit. All dies läßt sich mit gleicher Überzeugung auch von der Reflexkette der<br />

geistigen und seelischen Bewegungen sagen.<br />

Wie wichtig ist es daher, den Geist zu schulen, damit er lernt, jeden störenden,<br />

unglückbergenden, verzweifelten Gedanken von sich zu weisen. Eine<br />

Geistesverfassung, die mit sich selber und der Welt nicht im Frieden ist, wirkt wie<br />

starkes Gift und darf von dem, der den Schlaf sucht, nicht geduldet werden.<br />

Das beste Mittel, das ich kenne, um den friedvollen geistigen Zustand herbeizuführen,<br />

der normalen gesunden Schlaf gewährleistet, ist, konstruktive Gedanken zur Hilfe<br />

herbeizuziehen und an die Stelle der destruktiven zu setzen. Meine persönliche<br />

Methode besteht in einer Art Ritual, das ich vor dem Einschlafen im Geiste ausführe.<br />

Die letzten Gedanken des bewußten Geistes vor dem Einschlafen bleiben während der<br />

sämtlichen Schlafstunden auf die Zellintelligenzen wirksam; auf diese Weise wird<br />

mein Geist im Zustand des Schlafes ein Laboratorium wirksamer positiver Kräfte an<br />

Stelle zerstörender Gifte.<br />

Mein Ritual enthält unter anderem folgendes Bekenntnis: „Gott, mein Vater, ist gut; er<br />

ist ganz Güte. Er will daher für mich nur das Beste. Er muß darum für mich Jugend<br />

und Gesundheit beabsichtigen. Ich brauche bloß seinen Gesetzen zu gehorchen.“ Diese<br />

Gedanken bringe ich auf viele verschiedene Arten zum Aus<strong>dr</strong>uck. Dann beginne ich<br />

ein anderes Thema: „Ich bin ein Geschöpf des vollkommenen Schöpfers. Als solches<br />

muß ich vollkommen geschaffen sein. Ich muß darum die Möglichkeit und die Kraft<br />

besitzen, physisch vollkommen und damit immer gesund und immun gegen<br />

Krankheiten zu sein. Ich brauche nur seinen Gesetzen zu gehorchen.“ Auf diesen<br />

Gedankengang lasse ich eine Zusammenstellung ähnlich aufbauender und erhebender<br />

Gefühle folgen und sage: „Öffne mir den Weg zum Verständnis dafür, daß die Fehler<br />

und Mängel meiner Nebenmenschen von den meinigen sich nur durch ihre Art<br />

unterscheiden und daß ich an ihrer Stelle genau so falsch gehandelt hätte wie sie; öffne<br />

mir so den Weg dazu, daß ich weder Feindschaft noch bösen Willen gegen sie hege.“<br />

Ein viertes Beispiel: „Schenke mir die Weisheit, die Notwendigkeit einzusehen, daß<br />

mein Körper physisch vollkommen werden muß — ein Tempel für die Seele, die er<br />

beherbergt — und daß er daher gegen jedes Übel immun werden muß, eine geeignete<br />

Wohnstätte für den Funken aus dem Unendlichen, welcher mein wahres Wesen ist.<br />

Gib mir die Kraft des Willens, nach dieser Erkenntnis zu handeln, und gib mir den<br />

Glauben, der von meinen Handlungen auch die Ergebnisse zuversichtlich erwartet.“<br />

Das ist der Weg zu geistiger Gesundheit und geistiger Sauberkeit, jener Sauberkeit,<br />

die so weit über die bloße, körperliche Sauberkeit hinausgeht und sich so viel höher<br />

darüber erhebt, als der Geist oder die Seele über den physischen Körper erhaben ist. Es<br />

ist der Zustand des Geistes, der unablässig bemüht ist, aus dem Körper, dem<br />

materiellen Selbst, möglichst viel zu machen. Niemand darf aus dieser Definition<br />

herauslesen, es handle sich um Bemühungen, möglichst viel für den Körper und das<br />

144


Selbst zu erlangen; das wäre die Antithese zu geistiger Sauberkeit. Denn darin liegen<br />

ja gerade alle Wurzeln unserer Laster, unserer Unzulänglichkeiten im kommerziellen,<br />

sozialen, häuslichen und sexuellen Leben; es ist der geistige Zustand unserer<br />

modernen Welt, und seine Wirkungen bedeuten für die Gesundheit der zivilisierten<br />

Menschheit genau das gleiche wie die Anhäufungen körperlichen Schmutzes. Der<br />

Geist ist uns auf keinen Fall dazu verliehen worden, damit wir mit seiner Hilfe viel für<br />

den Körper erreichen, sondern damit wir möglichst viel aus dem Körper machen. Es<br />

darf nicht sein, daß unsere Geistigkeit dazu dient, den Tempel der Seele, der unser<br />

Körper ist, mit den entarteten Gewohnheiten unserer Kultur zu entweihen und zu<br />

zerstören.<br />

Dieser Tempel ist durch das Lebensprinzip aufgebaut worden, jenen kleinen Funken<br />

aus der großen bildenden Kraft der Unendlichkeit. Und da jeder menschliche Geist ein<br />

kleiner Strahl des unendlichen Lichtes, der unendlichen Weisheit ist, so dürfen wir<br />

sicherlich annehmen, daß dieser Weisheitsstrahl dem kleinen Kraftfunken verliehen<br />

wurde, um ihn zu befähigen, seiner Aufgabe, aus dem Staub der Erde einen erhabenen<br />

Tempel der Seele zu schaffen, gerecht zu werden.<br />

Aber wenn der menschliche Körper nur auf gut Glück mit alten, unwerten Stoffen<br />

aufgerichtet worden ist und der Hütte eines Armenhäuslers ähnlicher sieht als dem<br />

hohen Tempel, der er sein sollte, dann kann der Geist, der ihm angehört, auch keinen<br />

höhern Ansprüchen Genüge leisten. Und in der Tat ist der Geist, der sich auf die<br />

Launen und Begierden des Fleisches einläßt, den größten Gefahren des Entgleisens<br />

und Beschmutztwerdens ausgesetzt. Mit andern Worten: solch ein Geist, der sich<br />

bemüht, für den Körper möglichst viel zu erreichen, anstatt durch den Körper<br />

möglichst viel zu leisten, ist ein ungesunder, ein unsauberer Geist. Das heißt nicht<br />

unbedingt, daß er sich zu niederen Handlungen hinreißen läßt, aber auch schon der<br />

Widerstand gegen Versuchungen bringt die Harmonie in Unordnung und zerstört das<br />

Gleichgewicht. Wird der gleiche Kraftaufwand zu der Überlegung benützt, wie der<br />

Körper dem göttlichen Plane gemäß aufgebaut und unterhalten werden kann, so<br />

wachsen die harmonischen, belebenden, bejahenden, konstruktiven Einflüsse.<br />

Es ist auffallend, daß der verhätschelte Körper der Sinnlichkeit verfällt; denn<br />

Sinnlichkeit hat ihren Sitz im Geistigen. Und als Gegenwirkung wird die Sorge für die<br />

Begehrlichkeiten des Fleisches (anstatt für die Bedürfnisse des Körpers als Tempel der<br />

Seele) auch wieder den Geist in Sinnlichkeit verstricken. Ein sinnlicher Geist ist ein<br />

unsauberer Geist, der nur zerstörenden, krankheitsfördernden Einfluß auf den Körper<br />

haben kann.<br />

Wer vor Krankheit geschützt leben möchte, muß deshalb zuallererst lernen, wie<br />

dieser Körper in aller Vollkommenheit, die er nach dem vollkommenen Plane des<br />

Schöpfers hat, aufzubauen und zu pflegen ist; dieses Studium wird ihm helfen, Geist<br />

und Körper rein zu erhalten.<br />

Wenn aber geistige Sauberkeit von der Qualität des Denkens abhängt, von der<br />

überlegten Sorgfalt, die man der Entwicklung und Tätigkeit des Körpers zuwendet, so<br />

besteht die Sauberkeit der Seele darin, nur die besten, die positivsten und hilfreichsten<br />

Gedanken in den Geist treten zu lassen. Mit dem Körper und seinen Zuständen<br />

beschäftigt sich die Seele überhaupt nicht.<br />

Konstruktive Gedanken kehren sich nach außen; sie haben keine andere Verbindung<br />

zum Selbst, als daß sie bestrebt sind, das freundliche, höhere, bessere Selbst zum<br />

Aus<strong>dr</strong>uck zu bringen. Solche Gedanken befassen sich mit allem Menschlichen; ihr<br />

145


Bestreben ist nicht bloß, das Schlechte nicht zu tun, sondern auch, das Schlechte gar<br />

nicht zu denken. Sehen sie einen andern Böses tun, so suchen sie ihn zu verstehen und<br />

zu decken, und fänden sie auch keine andere Entschuldigung für ihn als die<br />

menschliche Unvollkommenheit. Solche Menschen, die sich von ihrer Seele führen<br />

lassen, nähren keine Feindschaften, hegen keinen Groll und keine Erbitterung, sondern<br />

lassen sich von der allesbegreifenden Barmherzigkeit leiten, die der Sünden Menge<br />

(anderer Leute!) deckt. Einer hat vor vielen Jahrhunderten das Vorbild zu solcher<br />

Gesinnung gegeben, er, der aus seinen Todesqualen am Kreuze noch die Fürbitte zum<br />

Himmel rief: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“<br />

Ich weiß, es gibt Menschen, und ich schätze sie auf etwa neunzig Prozent meiner<br />

Leserschaft, denen das, was ich hier über die geistige und seelische Sauberkeit<br />

schreibe, nichts Persönliches sagt. Es berührt sie nicht in ihrem Innersten. Es ist ihnen<br />

zu wenig real, zu unpraktisch, zu abstrakt. Stehen sie vielleicht auf einer Stufe, von der<br />

aus geistige und seelische Dinge noch gar nicht erkennbar sind?<br />

Dabei nennen sich gerade solche Leute gerne eifrige Christen, Jünger und<br />

Nachfolger Jesu, des Verkünders der Barmherzigkeit. Wie halten sie es allerdings mit<br />

dem Stein, den Jesus den zu werfen auffordert, der ohne Sünde ist?<br />

Dieser Stein eben beweist uns, daß seelische Sauberkeit doch keine so<br />

phantastische, so unreale Forderung ist, wie die meisten Menschen es glauben. Denn<br />

wie könnten wir irgendeinen anderen Übeltäter verdammen, wenn wir wissen, daß<br />

seine Sündhaftigkeit nur in der Qualität von der unsrigen verschieden ist? Etwa<br />

deshalb, weil wir in unseren eigenen Entgleisungen die Beweggründe und die Größe<br />

der Versuchungen kennen und in den seinen nicht? Das wäre wohl keine<br />

Veranlassung, den Stein zu werfen.<br />

Um daraus die praktische Folgerung zu ziehen, wollen wir hier konstatieren, daß es<br />

sich für den gesunden, „sauberen“ Menschen niemals um etwas anderes handeln kann<br />

als um die sogenannte idealistische Lebensauffassung, auch wenn Handlungen anderer<br />

in Frage kommen. Unter keinen Umständen dürfen wir uns das Recht herausnehmen,<br />

unsere eigenen Fehltritte Irrtümer zu nennen und die unserer Brüder oder Schwestern<br />

Sünden oder Verbrechen.<br />

Etwas mitempfindendes Denken sollte uns zeigen, daß wir, wenn wir gerecht sein<br />

wollen, die Geschichte des „Verbrechens“ kennen müssen, ja, daß wir, um sie in allen<br />

ihren Aspekten zu kennen, auch die ganze Lebensgeschichte des „Verbrechers“ oder<br />

„Sünders“ kennen sollten, sogar seine vorgeburtliche Geschichte. Nachdem wir dann<br />

alles erfahren haben, was mit dem in Frage stehenden Falle zusammenhängt, finden<br />

wir höchstwahrscheinlich, überwältigt von Mitgefühl, keine Verdammung mehr<br />

möglich.<br />

Man wird mich fragen, was diese Betrachtungen mit unserem Thema der beständigen<br />

und zuverlässigen Gesundheit zu tun haben. Genug, um uns zu beschäftigen. Die<br />

kritische „Besser-als-du“-Haltung gegenüber unseren Mitmenschen ist stets das<br />

Zeichen einer ungesunden, unsauberen Seele; es ist zwar die Haltung der großen<br />

Mehrheit „gebildeter“ Menschen — aber was will das bedeuten? Sind es doch eben die<br />

Menschen, die sich durch Krankheit und Krankheitsfurcht auszeichnen, und sollte da<br />

keine Beziehung aufgedeckt werden können? Ich glaube, daß sie ohne weiteres<br />

sichtbar ist. Weil ein unsauberer Geist und eine unsaubere Seele gleich zersetzend auf<br />

den Körper wirken wie eine unsaubere Haut oder ein unsauberes Körperinneres, indem<br />

sie als Furcht, Ärger, Haß und verwandte Leidenschaften die sprudelnden Quellen<br />

146


unseres Lebens vergiften, müssen wir, wenn wir eine natürliche Unbesiegbarkeit vor<br />

den Angriffen der Krankheit erreichen wollen, in einer idealistischen Haltung auch die<br />

einzig praktische erkennen lernen. Sicherlich ist es jedem von uns möglich, seine<br />

Beobachtungsgabe so weit zu entwickeln, daß es ihm gelingt, den Balken im eigenen<br />

Auge zu entdecken, den man doch herausziehen soll, ehe man daran geht, den Splitter<br />

aus des Bruders Auge zu entfernen.<br />

Um noch einmal zu der praktischen Seite der Frage zurückzukehren, sei hier noch<br />

erwähnt, daß der große russische Gelehrte und Forscher Metschnikow nach Jahren<br />

eingehendster Untersuchungen dieser Zusammenhänge festgestellt hat, daß wir ewig<br />

weiterleben könnten, wenn wir es nur verstünden, die Ansammlung von Giften in<br />

unserem Körper zu verhindern.<br />

Laßt uns daher den festen Entschluß fassen, unseren Körper inwendig und<br />

auswendig von Giften und Unsauberkeit frei und unsern Geist rein zu halten; laßt uns<br />

unsere besten Gedanken an die Frage wenden, wie unser Körper zu seiner<br />

Höchstleistung veranlaßt werden kann. Unsere höhere, seelische Natur wollen wir<br />

gesund und sauber erhalten, indem wir nur solchen Gedanken Zutritt gewähren, die die<br />

Taten unserer Nebenmenschen gerecht beurteilen, mit demselben Maße, das wir von<br />

unseren Brüdern und Schwestern unsern schlechtesten Taten gegenüber erhoffen.<br />

Fügen wir diese Regeln geistiger Ordnung zu den in diesem Buche so ausführlich<br />

behandelten Vorschriften für die körperliche Verhaltungsweise, so können wir sicher<br />

sein, daß uns nach Ablauf einer angemessenen Zeit das angehäufte „Kapital“ die<br />

herrlichsten „Zinsen“ in Form von Kraft und Gesundheit abwerfen wird. Meine<br />

eigenen „Zinsen“ scheinen eine vollkommene Unempfindlichkeit gegenüber allen<br />

Arten von Krankheiten zu sein. Und wäre es auch nur im Hinblick auf die unendliche<br />

Erleichterung unseres täglichen Lebens, wir fänden die Belohnung den Kampf und die<br />

Anstrengung wert. Nun bleibt es aber gar nicht nur bei dem leichteren, sorgloseren<br />

Leben, denn die Ergebnisse unserer Mühe gehen weit darüber hinaus. Unser Leben<br />

wird nicht nur seiner Schwere und Mühseligkeit beraubt; es wird auch von Licht und<br />

Freude in einem bisher nie gekannten Maße durchströmt; und unser Licht und unsere<br />

Freude werden auch in andere Leben hinüberstrahlen.<br />

14. KAPITEL<br />

Schlußbetrachtungen<br />

Wenn Gott uns die Möglichkeit gegeben hat, immer gesund zu sein, so sind wir auch<br />

für den Zustand unserer Gesundheit verantwortlich. Aus dieser Tatsache heraus wird<br />

Krankheit zur Sünde, oder sie ist die Folge einer Sünde gegen die Lebensgesetze des<br />

Körpers. Der Körper, der krank ist, hat gesündigt. Er hat den göttlichen Regeln und<br />

Gesetzen zur Erhaltung der Gesundheit entgegengehandelt; er hat darum Gottes Willen<br />

147


übertreten. Die zivilisierte Menschheit ist krankheitsempfänglich geworden, weil sie<br />

sich von ihrer eigenen Überheblichkeit leiten ließ und nicht durch ihren Verstand und<br />

ihre Beobachtung. Sie hat nicht erfaßt, daß Luxus und Behagen, Befreiung von<br />

körperlicher Anstrengung und Befriedigung aller materiellen Wünsche und<br />

Leidenschaften, die ihr als einzig begehrenswerte Lebensziele erscheinen, nicht das<br />

Wesentliche an unserer Kultur sind, sondern bloße Auswüchse, unnatürliche Schosse<br />

der Zivilisation. Die allereinfachste Beobachtung und Überlegung zeigt deutlich, daß<br />

das Gesetz jedes Wachstums die Anstrengung ist; und der einzige Weg, um<br />

Widerstandskraft sowohl im physischen als auch im geistigen und seelischen Leben zu<br />

wecken und zu entwickeln, ist beständige Übung im Überwinden. Nachgiebigkeit<br />

gegen die Lockungen des Behagens, des weichen Lebens ist der sichere Weg zu<br />

körperlicher, psychischer, ethischer und geistiger Verweichlichung, Entkräftung,<br />

Krankheit und verfrühtem Tode.<br />

Es gibt keine Lobpreisung, deren Töne hoch genug gestimmt wären, um genügend<br />

wiederzugeben, was der empfindet, welcher aus einem krankheitsbe<strong>dr</strong>ohten Leben den<br />

Weg zur disziplinierten Lebensführung und damit zum beglückenden Bewußtsein<br />

einer beständig wachsenden und zum Schluß vollkommenen Gesundheit gefunden hat.<br />

Solche Menschen können nicht mehr abtrünnig werden, sie werden höchstens<br />

zeitenweise kleine Rückfälle erleben.<br />

Die wirklichen Schwierigkeiten beginnen erst bei denen, die weniger vital, weniger<br />

überlegt, weniger strebsam und erfolgreich sind, als sie es ihren natürlichen<br />

körperlichen und geistigen Anlagen nach sein könnten, wenn sie ein physiologisch<br />

richtiges, natürliches Leben führen würden; sie empfinden das Bedürfnis nicht, ihre<br />

sich selber aufgebürdete, aus ihren verkehrten Lebensbedingungen entstandene Last<br />

abzuwerfen, weil ihnen ihr Zustand gar nicht als anormal erscheint. Der<br />

durchschnittliche Mensch ist eben ein seltsames Wesen, und merkwürdigerweise<br />

besitzt nicht jeder den berühmten gesunden Menschenverstand. Auf alle Fälle trifft<br />

man nicht oft die Begabung und den Sinn für Gesundheitsfragen Wenn einer nicht<br />

wirklich in tiefer Not steckt, hält es schwer, ihn davon zu überzeugen, daß seine<br />

Lebensweise verkehrt ist. Und sogar wenn er sich davon überzeugen läßt, wird er<br />

meistens der Macht der Gewohnheit nachgeben und in seinen anerkanntermaßen<br />

verkehrten Lebensgewohnheiten verharren. Wahrscheinlich gilt das für<br />

neunundneunzig Prozent der ganzen Menschheit.<br />

Der Kranke muß infolgedessen bis zu dem Punkte geführt werden, wo er zur<br />

Wiedererlangung einer normalen physischen und psychischen Vitalität und Gesundheit<br />

selber zu arbeiten beginnt; von diesem Augenblick an liegt es in seiner eigenen Hand,<br />

allmählich bis zu einem vibrierenden, lebendigen Glauben durchzu<strong>dr</strong>ingen; ohne diese<br />

große Arbeit bleibt er bald am Wegrand liegen.<br />

Sollte ich nun aber von denen, die ihre selbstaufgeladene Last als beschwerlich<br />

erkannt haben, gefragt werden, wie sie es denn anstellen sollen, sich davon zu<br />

befreien, was zu tun und was zu lassen ist, und womit und wann man beginnen soll, so<br />

ist die einzige logische Antwort: Sofort! Sofort, aber allmählich!<br />

Der Neuling ist dabei zwei Gefahren ausgesetzt. Entweder nimmt er die<br />

Neuordnung seiner Lebensgewohnheiten mit solcher Vehemenz in Angriff und ändert<br />

von einem Tage zum andern seine Lebensweise so gründlich, daß sein entkräfteter<br />

Körper infolge der Heftigkeit der Umstellung tiefgehende Störungen erleidet; oder er<br />

nimmt die Umstellung so zimperlich und matten Herzens und immer wieder<br />

148


abbrechend in Angriff, daß sein kraftloser Körper zwar keinen Schock, aber auch<br />

keinen Vorteil davon empfängt.<br />

Beide Methoden der Anpassung an die neuerkannten Grundsätze sind natürlich<br />

vollkommen falsch. Wer seine Lebensgewohnheiten sinnvoll neugestalten will, sollte<br />

vor allem der Tatsache eingedenk bleiben, daß der Körper sich nicht radikalen<br />

Änderungen seiner Lebensgewohnheiten von einem Augenblick zum andern anpassen<br />

kann, auch wenn er dadurch zu der einzig richtigen Lebensweise gelangt.<br />

Die Umgestaltung von Gewohnheiten muß langsam, aber beharrlich durchgeführt<br />

werden.<br />

Eine Pflanze, welche in falschem Boden wächst, an einer Stelle, zu der die<br />

Sonnenstrahlen keinen Zutritt haben, wird besser gedeihen, sobald man sie in andere<br />

Erde verpflanzt und sobald die Sonne sie bescheinen kann. Aber um diese<br />

Verpflanzung zu bewerkstelligen, darf man sie keinesfalls mit einem Ruck aus der<br />

Erde reißen und einfach in ein neues Loch im Boden stecken, auch wenn es der beste<br />

Nährboden der Welt ist; auch darf man sie nach der Verpflanzung nicht gleich<br />

unvermittelt und schutzlos den heißen Sonnenstrahlen aussetzen. Um ein gutes<br />

Ergebnis zu erhalten, muß solch eine Umpflanzung vielmehr mit großer Sorgfalt und<br />

Zartheit geschehen. So darf aber auch die Menschenpflanze, die in einem ihr nicht<br />

zusagenden Er<strong>dr</strong>eich falscher physischer und psychischer Lebensgewohnheiten nicht<br />

gedeihen kann, nur nach und nach in eine ihr besser entsprechende „Atmosphäre“<br />

versetzt werden; sogar wenn ihre bisherigen Lebensgewohnheiten für sie verderblich<br />

waren, darf man diese Gewohnheiten nicht allzu plötzlich ändern, weil gerade die<br />

verminderte Vitalität bei einer solchen Umstellung die größte Vorsicht gebietet. Wird<br />

die Umstellung mit einem Schlage vorgenommen, dann sind ihre Wirkungen in jedem<br />

Fall gefährlich, in vielen Fällen zerstörend. Die Natur ist in ihren Anpassungen<br />

langsam. Sie wechselt nicht über Nacht, auch nicht von einer falschen Gewohnheit zu<br />

einer richtigen.<br />

Plötzliche Veränderungen stiften bei raschen Enthusiasten oft Unheil, so wohltuend<br />

die Wirkungen bei vorsichtiger, schrittweiser Anpassung sein können. Das gilt schon<br />

für Gesunde, trifft aber in noch höherem Maße bei chronisch Kranken zu. Chronisch<br />

Kranke sind aber selten geduldig und ausdauernd. Und doch kann ihre Heilung nur<br />

langsam vor sich gehen, weil ihre Erkrankung auch nur ein langsamer Prozeß war. Der<br />

Körper wird täglich teilweise abgebrochen und teilweise wieder neu aufgebaut. Wenn<br />

die Lebensgewohnheiten nicht mehr im Einklang mit den Gesetzen der Natur stehen,<br />

werden die abgebrochenen Zellen beständig durch Zellen geringeren Wertes ersetzt;<br />

auf diese Weise wird der Körper nach und nach chronisch krank. Ändert man aber die<br />

Lebensweise und paßt man die Gewohnheiten wiederum den gesunden Gesetzen der<br />

Natur an, so werden die sich täglich verbrauchenden Zellen allmählich durch<br />

vollkommene Zellen ersetzt. Dieser Prozeß muß in langsamen Übergängen stattfinden,<br />

sonst führt er zum Zusammenbruch des ganzen Körpers. Mit der Zeit jedoch<br />

vermehren sich die vollkommenen Zellen im Verhältnis zum Ganzen, und mit ihrer<br />

Zunahme wächst auch das Wohlbefinden und die Überzeugung wiederkehrender<br />

Gesundheit. Von diesem Zeitpunkt an wird die Genesung rascher vorwärtsschreiten,<br />

weil sie erwartet wird.<br />

Die Natur läßt sich nicht hetzen und jagen. Unsere Aufgabe besteht darin, in ihre<br />

Art einzu<strong>dr</strong>ingen und uns ihren Willen in kleinen, allmählichen Steigerungen zu eigen<br />

zu machen; man muß ihr Zeit lassen, dann wird man die Wunder erleben, die sie im<br />

149


stillen vorbereitet.<br />

Nicht besser als dem Übereifrigen geht es dem ängstlichen, allzu vorsichtigen<br />

Experimentator, der heute irgendeine kleine Änderung in seiner Lebensweise<br />

vornimmt, morgen aber schon vergißt, sie zu wiederholen, und vielleicht auch noch an<br />

mehreren folgenden Tagen die kleine neuzuerwerbende Gewohnheit unterläßt.<br />

Hernach wird er sich vielleicht ihrer erinnern und sie wieder hervorholen, dann aber<br />

von neuem vernachlässigen und vergessen, und so endlos weiter. Ein solcher Mensch<br />

wird wahrscheinlich zu dem Schlusse gelangen, daß es „keinen Wert hat, sich<br />

umzustellen“, weil die Umstellung, wie er sie betreibt, ihm ja tatsächlich keine<br />

Besserung bringt.<br />

Die richtige Methode ist die, sich einen Verhaltungsplan auszudenken, einen Plan der<br />

allmählichen Hinüberleitung falscher Gewohnheiten in den Kanal der guten,<br />

zuverlässigen Lebensweise. Wichtig sind dabei vor allem Beständigkeit und<br />

Regelmäßigkeit, sodann schrittweises Vorgehen; denn es wäre ein Fehler, wenn<br />

jemand gleich zu Beginn schon jenen Punkt als nächstes Ziel ins Auge fassen würde,<br />

auf dem zum Beispiel ich selbst mich jetzt nach mehr als <strong>dr</strong>eißig langen Jahren der<br />

Erfahrung im Aufbau neuer Lebensgewohnheiten befinde; eine so verkehrte<br />

Zielsetzung hätte nicht viel Aussicht auf wirklichen Erfolg. Man stelle sich im<br />

Gegenteil zum Beginn keine große Aufgabe; aber was man einmal zu verändern sich<br />

vorgenommen hat, das halte man eisern durch; alle paar Tage kann die Veränderung<br />

dann um ein weniges erweitert und vertieft werden und an Ausführungskraft<br />

zunehmen, bis der gewünschte Punkt erreicht ist, wo die physiologische Grenze, die<br />

Erschöpfungsgrenze liegt, die nicht überschritten werden darf. Haut, Muskeln und<br />

Verdauungsapparat müssen geduldig und folgerichtig in die neuen<br />

Lebensgewohnheiten hineingeführt werden. Gleichzeitig ist auf die Stärkung des<br />

Geistes- und Seelenlebens zu achten. Der Geist muß sich — oft in mühevoller<br />

Kleinarbeit — so weit emporarbeiten, bis er jeden in ihm aufsteigenden trüben,<br />

nieder<strong>dr</strong>ückenden Gedanken nach Erfordernis ausschalten kann, er muß sich bewußt<br />

auf Bilder und Gedanken richten, welche in den Farben der Hoffnung und des<br />

Glaubens glänzen, und beständig nur das Beste festhalten.<br />

Leider ist der durchschnittliche Mensch im allgemeinen nicht zielsicher und<br />

ausgeglichen genug, um ein solches Programm längere Zeit hindurch in allen Punkten<br />

auszuführen. Entweder läßt er sich aufs Geratewohl von jeder Strömung mit<br />

fortreißen, oder er bleibt ewig im Schwanken. Wir geben diese Schwäche indirekt zu,<br />

wenn wir das selbstsichere, scheinbar unfühlende Wesen primitiver Völker<br />

bewundern, deren Nervenkontrolle vollkommen ist.<br />

Unser Hauptaugenmerk muß deshalb auf die Lage des durchschnittlichen,<br />

unausgeglichenen Menschen gerichtet bleiben. Die allerbeste Lösung für ihn scheint<br />

darin zu liegen, daß er zuerst die Normalisierung einer einzelnen Kette unternimmt,<br />

mit der Zeit jedoch vorsichtig dazu übergeht, auch eine zweite und später noch die<br />

<strong>dr</strong>itte langsam, ausdauernd und steigernd zu bearbeiten. Hat er so die <strong>dr</strong>ei Reflexketten<br />

der Ernährung, der Muskeln und der Haut gewissenhaft zu ihrer größtmöglichen<br />

Leistungsfähigkeit entwickelt, so werden die beiden übrigen Ketten von selbst zu<br />

normaler Tätigkeit gebracht. Dieses Vorgehen führt nach meinen Erfahrungen am<br />

zuverlässigsten zu den sicheren und wachsenden Erfolgen, die die Grundlage für das<br />

neue Leben bilden sollen. Allerdings geschieht es leider nur zu häufig, daß der Mensch<br />

sich schon nach kurzem Bemühen mit dem Errungenen zufrieden gibt; seine Phantasie<br />

150


eicht oft nicht weit genug, um ihm die Vorteile weiterer Entwicklung auszumalen.<br />

Mit welcher Reflexkette sollen wir nun aber die Normalisierung unseres Körpers<br />

beginnen, wenn zu Anfang bloß eine einzige gewählt wird? Ich antworte ohne zu<br />

zögern: mit der Magen – Darmkette, der Reflexkette der Ernährung. Natürlich kann<br />

auch diese Reflexkette, wie vollkommene Anregung man ihr auch zu bieten trachtet,<br />

nie in sich selber vollkommen werden, bevor nicht alle anderen Reflexketten<br />

vollkommen auf sie einwirken; denn sie bleibt ja den Einflüssen der andern<br />

Reflexketten ausgesetzt, und alle darin wirkenden unnatürlichen Reflexe werden durch<br />

das Nervensystem auf sie übertragen und ausgestrahlt und hindern sie dadurch an der<br />

endgültigen Vervollkommnung ihrer Funktionen. Aber auf alle Fälle kann der Körper<br />

durch den Tausch von unnatürlicher, energiearmer Nahrung gegen natürliche,<br />

lebendige Kost zum mindesten neue Lebenskräfte gewinnen.<br />

Immerhin ist auch hier noch Vorsicht am Platze. Denn der Diät eine übermäßige<br />

Beachtung zu schenken, heißt andererseits, ihr die Möglichkeit eines normalisierenden<br />

Einflusses auf die Körperfunktion von vornherein zu nehmen.<br />

Man kann sich allerdings fragen, ob falsche Ernährungsgewohnheiten oder<br />

verkehrte Haut- und Muskelpflege den Menschen rascher zugrunderichten, ob also,<br />

wenn beispielsweise die Diät einwandfrei ist und nur die Haut und die Muskeln<br />

vernachlässigt werden, dieselbe Person während längerer Zeit gesund bleibt, als wenn<br />

sie etwa Diät und Haut vernachlässigt, dafür aber die Muskeln entwickelt.<br />

Das muß dahingestellt bleiben. Langatmige theoretische Feststellungen haben in<br />

dieser Sache nicht den geringsten praktischen Wert.<br />

Aber wer durch<strong>dr</strong>ingen will, der benutze seinen gesunden Menschenverstand und die<br />

ihm vom Schöpfer verliehene Energie, um seine Lebensweise vorsichtig und<br />

allmählich umzustellen, dabei Exzesse zu vermeiden und trotz der damit verbundenen<br />

scheinbaren Unbequemlichkeiten durchzuhalten, bis alle Krankheiten und Leiden (und<br />

nach und nach jegliche Anlage dazu) in ihm verschwinden. Das muß ihm gelingen,<br />

wenn er es richtig anpackt, es sei denn, er beginne zu spät damit. Der Mensch darf<br />

sogar bis zu einem gewissen Grade die innere Grenze der Naturvorschriften<br />

überschreiten, ohne sich zu schaden, nur muß er der äußeren Abgrenzung immer<br />

eingedenk bleiben und muß oft und regelmäßig wieder zu den vollen Vorschriften<br />

zurückkehren. Denn die Natur hat uns mit einer Überfülle funktioneller Vitalität<br />

versehen, dank deren es möglich ist, einen sozusagen vollkommenen körperlichen<br />

Zustand zu erreichen und aufrechtzuerhalten, auch wenn wir ihr bloß zur Hälfte<br />

entgegenkommen. Sie spendet so überschwenglich, daß immer wieder ein Spielraum<br />

zwischen dem hohen Ideal und dem, was der Mensch leistet, bestehen bleiben darf.<br />

Zum Gesetz der vorsichtigen Umstellung gehört aber noch eine andere Vorschrift,<br />

nämlich die der zeitweiligen Unterbrechung: das Spiel der Aktion und der Reaktion.<br />

Arbeit und Rast, Beschäftigung und Ruhe — das eine ist so notwendig und wichtig<br />

wie das andere und das eine wie das andere auf alle Funktionen des Körpers zu<br />

beziehen. Aus dem Bestehen dieses Naturgesetzes wird ersichtlich, daß zwar jede<br />

Körperfunktion ausgeführt werden muß, wenn der Körper beständig gesund bleiben<br />

soll, daß aber in der Arbeitsanstrengung eines jeden funktionierenden Teiles die<br />

Unterbrechungsperioden von ebenso großer Bedeutung sind. Der Mensch muß oft und<br />

regelmäßig geistig und körperlich in seinen Anstrengungen nachlassen, muß die<br />

Aufregungen zum Schweigen bringen und in der warmen Umarmung des Unendlichen<br />

ausruhend wissen, daß alles von einer höheren Macht zu einem guten Ende geführt<br />

151


wird. Auch diese innere Haltung wird von den Gesetzen seines körperlichen Daseins<br />

gefordert.<br />

Alle verheerenden Ergebnisse sind natürlich kumulativ, das heißt, sie steigern sich<br />

langsam und machen sich keineswegs auch schon nach kurzer Vernachlässigung<br />

bemerkbar. Das wäre nicht der Weg der Natur. Bevor Symptome auftreten, die bereits<br />

Aufmerksamkeit erregen, sind ihre Ursachen schon lange, gewöhnlich schon viele<br />

Jahre hindurch, am Werk gewesen. Aus diesem Grunde zeigen sich die meisten<br />

Krankheitsanzeichen erst im mittleren Alter oder bald danach. Viel mehr Leute denn je<br />

in der Menschheitsgeschichte leben heutzutage „gut“ und machen sich zu wenig<br />

Bewegung. Darum sind die Herz- und Arterienkrankheiten, die Nieren-, Leber- und<br />

Gallenblasenleiden, die Erkrankungen des Hirns und des Nervensystems beständig im<br />

Zunehmen begriffen, was am einleuchtendsten aus den Aufstellungen der<br />

Lebensversicherungsgesellschaften hervorgeht. Aus dem gleichen Grunde werden<br />

auch immer jüngere Leute von diesen Erkrankungen ergriffen, die eigentlich<br />

Krankheiten des vorgerückten Alters sind. Von gutunterrichteter Seite wird behauptet,<br />

daß allein in den Vereinigten Staaten jährlich 65 000 junge Menschen unter vierzig<br />

Jahren an diesen Alterskrankheiten sterben, die, wenn man sie überhaupt als<br />

allgemeines Menschenlos ansehen will, nicht vor dem siebzigsten — achtzigsten —<br />

neunzigsten — hundertsten Jahr oder noch später zu erwarten sein sollten.<br />

Da es aber einen Weg zur Vermeidung dieser unnatürlichen und furchtbaren<br />

Erscheinungen gibt — welche Schande für uns Ärzte, die wir unser Leben der<br />

Erforschung der Frage körperlicher Gesundheit widmen, wenn unser eigener Körper<br />

unter Krankheiten leidet! Wir sollten mit uns selbst die heftigste Ungeduld empfinden,<br />

so oft wir an größeren oder kleineren Beschwerden und Übeln erkranken! Mattigkeit,<br />

Kopfschmerzen, Erkältungen, all das sind schreiende Anklagen gegen unsere<br />

Unwissenheit und Hilflosigkeit. Wir sind nicht, was wir sein sollten: Diener der<br />

Gesundheit. Wir geben freilich auch nicht vor, es zu sein. Wir geben vor, Krankenärzte<br />

zu sein, und wir sind es. Wir behandeln Krankheiten und denken über Krankheiten<br />

nach. Wir handeln nicht für die Gesundheit, und unser Denken behandeln nicht die<br />

Gesundheit und sieht die Dinge nicht vom Standpunkt der Gesundheit aus. Und doch<br />

gibt es gewiß kaum einen unter uns, der nicht die krankheitbildende und<br />

gesundheitsfördernde Kraft des Gedankens an sich oder andern schon einmal erfahren<br />

hätte.<br />

Das sind aber Dinge, die auch der Laie entdecken kann. Käme er doch endlich zur<br />

Erkenntnis, daß die Haltung der sogenannten „ärztlichen Autoritäten“ von Jahr zu Jahr<br />

wechselt — er gäbe sicherlich seinen Autoritätsglauben auf und begänne endlich<br />

selber zu beobachten und nachzudenken. Sobald man selbst beobachtet und<br />

unnachsichtig und furchtlos alle vorgefaßten und übernommenen Ideen in den<br />

Schmelztiegel des eigenen scharfen Denkens wirft, gelangt man zwangsläufig zu dem<br />

Schlusse, daß die Natur uns alle gesund haben will; daraus können wir folgern — und<br />

die Beobachtung gibt uns recht —, daß sie uns auch mit allem Notwendigen<br />

ausgestattet hat, um uns diese Gesundheit zu erhalten und zu gewährleisten. Ihre<br />

Mitgift ist immer einfach! Können wir uns überhaupt eine einfachere Lebensregel<br />

denken als die Vorschrift, daß wir aufhören sollen zu tun, was uns im Augenblick<br />

beliebt, und dafür jederzeit tun, was uns zu tun verordnet ist; es sei denn, daß das, was<br />

wir zu tun wünschen, sich mit dem deckt, was wir tun sollen.<br />

Der Leser möge mich recht verstehen; ich nehme nicht Stellung gegen den ärztlichen<br />

152


Beruf. Die heutigen Ärzte sehen ihre Aufgabe darin, den kranken Körper und die<br />

gebrochenen Glieder wieder zu heilen und zu flicken, und die Arbeiter dieses Berufs<br />

erfüllen ihre Pflicht, so gut sie es können und unter Anwendung aller ihnen bekannten<br />

Kunstgriffe. Was ich hier sagen will, ist, daß die Zeit kommen muß, und hoffentlich<br />

früher kommt, als wir es jetzt voraussehen können, da Ärzte dafür bezahlt werden, daß<br />

sie die Leute darüber belehren, wie sie durch Anwendung natürlicher Mittel gesund<br />

bleiben können. Aber diese Zeit kann freilich erst dann anbrechen, wenn die Menschen<br />

genügende Einsicht gewonnen haben, um nach einer solchen Leitung selber zu<br />

verlangen. Der Zweck dieses Buches ist, einer solchen Zeit den Weg zu bahnen. Wer<br />

die künstlichen, das heißt, unnatürlichen Methoden der heutigen Medizin anklagt, darf<br />

nicht vergessen, daß die <strong>med</strong>izinische Praxis nicht weiter vorgeschritten sein kann, als<br />

das Publikum mitzumachen fähig und gewillt ist; der Arzt, der allein die neuen Wege<br />

zu gehen sucht, muß gewöhnlich verhungern. Die Leute holen sich ja nicht Ratschläge<br />

darüber, wie sie leben sollten, um immer gesund zu bleiben. Sie wollen vielmehr der<br />

Eingebung ihrer lieben Wünsche folgen und die Ärzte dafür bezahlen, daß diese sie<br />

von den Folgen dieser Lebensweise befreien; die Ärzte dürfen ihnen aber nicht etwa<br />

Verhaltungsmaßregeln für ein vernünftigeres Leben geben, sondern müssen ihnen<br />

schnellwirkende Medizinen verschreiben, die ihnen erlauben, in Kürze ihre törichten<br />

Gewohnheiten wieder aufzunehmen.<br />

Vor wenigen Jahren erlebte ich einen ein<strong>dr</strong>ucksvollen Beweis für diese Tatsache. Von<br />

einem andern Arzte war ein Geistlicher zu mir gesandt worden; er war über tausend<br />

Meilen weit gereist, um mich zu konsultieren. Da er mir ungewöhnlich intelligent<br />

schien, nahm ich an, daß ich es wagen dürfte, ihm zu sagen, wie er sich in dauernde<br />

Gesundheit hineinleben könne. Obwohl mein Wartezimmer mit Patienten gefüllt war,<br />

nahm ich mir zwei Stunden Zeit, um ihm zu beschreiben, wie er sich von nun an<br />

verhalten müsse. Er hatte sich bereits verabschiedet und stand <strong>dr</strong>außen im Gang, als er<br />

umkehrte und seinen Kopf noch einmal zur Türe hereinstreckte mit der Frage:<br />

„Übrigens, Herr Doktor, bin ich Ihnen etwas schuldig?“ Ich bedeutete ihm,<br />

zurückzukommen, und sagte dann: „Setzen Sie sich noch einen Augenblick. Sagen Sie<br />

mir einmal, warum Sie eigentlich daran zweifeln, daß Sie mir etwas schuldig sind?“<br />

Seine Antwort: „Ich weiß es wirklich selber nicht; vielleicht weil , . . Sie mir nichts<br />

verschrieben haben.“ Darauf ich: „Hatte ich Ihre Zunge angeschaut, Ihren Puls gefühlt,<br />

Ihren Unterleib abgetastet, Sie einige Dinge gefragt und Ihnen ein lateinisches Rezept<br />

aufgeschrieben, so hätten Sie mir dafür mit Vergnügen fünf oder zehn Dollar gezahlt,<br />

sogar wenn das Mittel, das ich Ihnen im Rezept verschrieb, noch weitere <strong>dr</strong>ei Dollar<br />

gekostet hätte; stimmt das?“ — „Ja, ich glaube, Sie haben recht“, antwortete er. — Ich<br />

erwiderte: „Aber wenn ich zwei Stunden meiner Zeit und der Zeit meiner Patienten<br />

hergebe und versuche, Ihnen zu erklären, wie Sie gesund werden und bleiben können,<br />

indem Sie einfach Gottes Medizin, die nichts kostet, einnehmen, so denken Sie, daß<br />

ich kein Honorar dafür brauche?“ Worauf er meinte: „0h, von dieser Seite habe ich die<br />

Sache gar nicht angesehen.“ — Hieraus ist ersichtlich, gegen welche Einstellung der<br />

Arzt zu kämpfen hat. Der durchschnittliche Patient wird, wenn sein Doktor ihm bloß<br />

gute Ratschläge erteilt, unverzüglich zu einem andern, einem „vernünftigen“ Arzt<br />

gehen, der ihm etwas zum Einnehmen verschreibt. Auf diesem Gebiet habe ich höchst<br />

merkwürdige Erfahrungen gesammelt.<br />

Ich weiß, daß es vielerorts Ärzte gibt, die mit Natursinn begabt sind und sich mit<br />

den hier erörterten Problemen beschäftigen. Sie sind es satt, nichts weiter als<br />

153


Flickschuster einer nachlässigen Kundschaft zu sein, und ihre Ahnung zeigt ihnen ein<br />

höheres Ideal, dem sie sich entgegensehnen. Wie gerne hülfe ich ihnen mit meiner<br />

Erfahrung, es zu erreichen!<br />

Und nun, Leser, noch ein letztes Wort. Hüte die kleine Flamme wohl, die dir zum<br />

Verständnis des weisen Buches der Natur leuchten soll, und trachte, zum mindesten<br />

seine erste Lektion eingehend zu studieren, nämlich die, daß du es deinem Körper<br />

schuldig bist, ihm die Sorgfalt und Pflege angedeihen zu lassen, die er zur<br />

Entwicklung seines vollkommenen Zustandes benötigt. Du schuldest ihm diese<br />

Sorgfalt, weil du sie dem Schöpfer dieses vollkommenen Körpers schuldest. Du<br />

schuldest sie aber ebensosehr deiner Seele und deinem Geiste, denn für sie beide soll<br />

dein physischer Körper Behausung und Tempel sein.<br />

Es gilt den Weg zu finden, welcher zu der von Gott geplanten Vollkommenheit<br />

unseres Körpers führt und damit zugleich auch der Weg zu natürlicher Immunität<br />

gegen Krankheit ist. Aber jede durch menschliche Kunst ausgebaute Straße ist eine<br />

falsche Straße und führt nicht zum Ziel. Der einzige Weg, der direkt zum erstrebten<br />

Ziel der dauernden Gesundheit führt, ist der Weg der Natur. Leicht und mühelos ist er<br />

nicht. Aber die Anstrengung, die das Wandern auf diesem Wege dem Menschen<br />

auferlegt, ist die Erzeugerin eines Stromes, der uns in die Gewässer der höchsten<br />

Lebensharmonie trägt. Sind wir doch nur ein Teil der mannigfaltigen<br />

Erscheinungswelt und folgen bloß den tiefsten Bedürfnissen unseres Wesens, wenn<br />

wir auf den Pfaden der Natur wandeln.<br />

Welches ist denn der Weg der Natur? Ich könnte erwidern, daß er alles ist, was die<br />

Zivilisation nicht ist *. Besser aber ist die Antwort: „Erforsche den Weg der Natur<br />

selber in ihrem allzeit offenen Buche.“ Ein Funken aus der Quelle aller Erleuchtung ist<br />

uns zu dieser Forschungsarbeit gegeben worden: unsere Intelligenz. Wir sollen in<br />

diesem Lichte den uns vorgezeichneten Weg suchen und finden und darauf unseren<br />

Körper zu der für ihn geplanten Vollkommenheit führen, um möglichst viel aus ihm —<br />

nicht etwa für ihn — machen zu können.<br />

Niemand darf im Ernste glauben, daß Krankheit und Leiden eine höhere<br />

Gerechtigkeit hervorbringen; höchstens mögen sie in manchen Fällen imstande sein,<br />

unsere Augen für die Verkehrtheit unserer Lebensgewohnheiten zu öffnen. Krankheit<br />

mag Resignation entwickeln, aber das ist der gerade Gegensatz zu Geistigkeit. Es wäre<br />

reine Lästerung, dem Willen Gottes, dem wir uns selbstverständlich unterordnen<br />

müssen, die Verantwortung für ein Leiden zuzuschreiben, das wir uns selber durch<br />

unsere willkürliche Lebensweise zugezogen haben. Resignation ist negativ; höhere<br />

Geistigkeit, das heißt Glaube, ist durchaus positiv und kann nur aus überquellender<br />

Gesundheit fließen.<br />

Für alle diejenigen, deren Gesundheit nicht jeder Probe standhält, ist Glaube ein<br />

Kampf; aber dem an Geist und Körper vollständig Gesunden ist er selbstverständliche<br />

Lebensäußerung. Diesen erleuchteten, alles besiegenden Glauben müssen wir, wollen<br />

wir an die Stelle gotteslästerlicher und negativer Resignation treten lassen, die alles<br />

selbstverschuldete Leiden Gott zur Last legen möchte.<br />

Vergleiche das Nachwort des Herausgebers auf Seite 284 f.<br />

Nie mehr krank sein heißt zwar nicht, ewig leben. aber es heißt, sich immer wohl<br />

fühlen, solange man lebt, und es bedeutet, daß der Tod still und schmerzlos kommt, in<br />

hohem Alter, sanft und freundlich wie sein Bruder, der Schlaf. Es heißt auch, daß man<br />

154


viele und lange Jahre frei von geistigen oder körperlichen Unzulänglichkeiten und<br />

Beschwerden verbringen darf und bis ins höchste Alter mit der angesammelten<br />

Weisheit und dem erworbenen Scharfblick der Erfahrung der Menschheit dienen, die<br />

jüngeren Menschen inspirieren und leiten wird, für Familie, Freunde und Mitmenschen<br />

keine Last, sondern eine beständig wachsende Wohltat ist.<br />

Also nochmals, lieber Leser — und damit nehme ich Abschied von dir —, hüte die<br />

kleine Flamme!<br />

Nachwort des Herausgebers<br />

Der Satz, daß Natur alles ist, was Zivilisation nicht ist (siehe Seite 282), stimmt ohne<br />

155


Zweifel, und wenn der heutige Mensch die Fähigkeit, aus erlebter und<br />

selbstdurchdachter Anschauung zu denken, nicht viel zu wenig entwickelt hätte, wäre<br />

nicht zu befürchten, daß die meisten daraus den „Kurzschluß“ ziehen werden, es sei<br />

nun alles zu verwerfen, was Zivilisation ist, und alles anzunehmen, was Natur ist.<br />

Wir sind in die Zivilisation hineingestellt und können sie nicht wegwerfen. Wir<br />

sollen auch nie und nimmer Natur-, sondern Kulturmenschen werden, doch daß wir<br />

dies noch nicht wirklich sind, dürfte dem, der das Buch Jacksons gelesen hat, nicht<br />

entgangen sein.<br />

Es ergibt sich daraus eine außerordentlich wichtige Aufgabe, die unserer Zeit<br />

gestellt ist, die aber nicht nur vom Arzte zu lösen ist, sondern vom Pädagogen,<br />

Soziologen, Wirtschaftskundigen, Techniker, Landwirt und Praktiker, nämlich die<br />

Aufgabe, den Weg zu finden, auf welchem im Rahmen unserer modernen, ja<br />

modernsten Zivilisation praktisch den ewigen und unabdinglichen Gesetzen des<br />

Lebens genügt werden kann. Das bedeutet nichts weniger, als Natur und Zivilisation,<br />

die beiden unversöhnlichen Antagonisten, zur Zusammenarbeit zu bringen, um das<br />

Ziel einer neuen Kultur zu verwirklichen.<br />

„Unmöglich!“ werden viele ausrufen. Hat man aber die Aufgabe schon einmal<br />

angepackt, ist sie auch nur ernstlich ins Auge gefaßt worden? Haben sich Forschung<br />

und Praxis, die ja bekanntlich meistens das finden und verwirklichen, was sie wirklich<br />

suchen und wollen, ihr schon einmal zugewandt? Ich kann diese Fragen beantworten,<br />

weil sie mich seit fünfzehn Jahren beschäftigen: Nein, dieses an praktischer Bedeutung<br />

kaum erreichte Grundproblem unseres Zeitalters ist noch fast nicht gesehen und<br />

deshalb sehr vernachlässigt worden. Es ist hier wie auf so vielen andern Gebieten in<br />

unserem Zeitalter des Kulturumbruchs: man steht vor scheinbar unlösbaren<br />

Gegensätzen, und es bedarf nur eines neuen, übergeordneten Gesichtspunktes, damit<br />

diese Antagonismen sich nicht etwa versöhnen oder ausgleichen (das wäre<br />

unmöglich), sondern in wechselweisem Zusammenwirken die Synthese eines neuen<br />

hohen Wertes vollbringen, in diesem Falle die Synthese der Grundlage einer neuen,<br />

vielleicht der bevorstehenden Kultur.<br />

Es ist da eine Welt zu entdecken, denn auf allen diesen Gebieten, dem<br />

pädagogischen, dem sozialen, technischen, volks- und landwirtschaftlichen wie auch<br />

dem physiologischen, liegen bereits Lösungsmöglichkeiten, in der Regel als unwichtig<br />

beiseite gelassen, vor, die von dem neuen Gesichtspunkt aus eine teils beschränkte,<br />

teils umfassende, teils unabsehbare Bedeutung erhalten, welche nun endlich kritisch<br />

erwogen, geprüft, durchdacht, gesammelt und zu einem Ganzen vereinigt werden<br />

sollten.<br />

Als ich einst eine kleine Studie schreiben wollte über die Frage, wie der heutige<br />

Mensch als hochspezialisiertes Zivilisationswesen in seinem Dasein die Grundsätze<br />

eines naturnahen, den Lebensgesetzen entsprechenden Lebens verwirklichen könne,<br />

wuchs diese Aufgabe unter der Hand an Umfang und Fruchtbarkeit ins Unabsehbare.<br />

Doch obwohl sie die Möglichkeiten eines einzelnen zu übersteigen schien, suchte ich<br />

sie, so gut es ging, zu bewältigen. Das Ergebnis meiner bisherigen Bemühungen ist<br />

unter dem Titel „Lebenswerte Gegenwart — Doppelgesicht der Not“ (Deukalion-<br />

Verlag) veröffentlicht worden.<br />

Zweites Nachwort<br />

zur Beantwortung einiger Fragen, die öfters an den Herausgeber gestellt werden<br />

156


Dr. Jacksons Gesundheitslehre ist geistig nicht in Amerika beheimatet, sondern in<br />

Europa. Im Grunde ist sie uralt; aber in Europa hat man in den letzten fünfzig Jahren<br />

eine größere Durch<strong>dr</strong>ingung mit wissenschaftlichem Ernst erreicht und kann auf<br />

umfassender Erfahrungen greifen als irgendwo. Darum wäre es nicht schwer gewesen,<br />

die Darlegungen Dr. Jacksons an vielen Stellen durch wertvolle Beispiele, verfeinerte<br />

Begründungen und glänzendere Beweise zu ergänzen. Der Hauptwert seines Buches<br />

liegt aber in der Übereinstimmung von Wort und Tat: es findet seine glaubwürdige<br />

Bestätigung in der Lebensführung des Verfassers selbst.<br />

Überdies ist es ausgezeichnet geschrieben. So konnte die Aufgabe des Herausgebers<br />

nur darin bestehen, es zu kondensieren, um es besser zur Geltung zu bringen.<br />

Vielleicht wäre da und dort, wie Fragen von Lesern zeigen, eine Anmerkung mehr<br />

anzubringen gewesen. Dies soll im folgenden nachgeholt werden.<br />

Einiges Ungemach bereiten vor allem die „Unverträglichkeitstabellen“ auf Seiten<br />

187 bis 190, wenn der Leser zur Anwendung schreitet. Um die Gesundheit nicht zu<br />

beeinträchtigen, wird empfohlen, bestimmte Speisegruppen bei ein und derselben<br />

Mahlzeit nicht gemeinsam zu verwenden. Liest man aufmerksam, so findet man<br />

allerdings, daß Dr. Jackson diese Tabellen mehr als Anregung aufführt, keine strikte<br />

Observanz verlangt und die Aufmerksamkeit immer wieder auf das Wesentliche lenkt:<br />

die Nahrung sei möglichst naturnah und schlicht zu wählen. Praktisch haben die<br />

Tabellen aber den Nachteil, daß sie die Durchführung der Diät komplizieren und eben<br />

doch vom Wesentlichen ablenken. Wir kennen keine ausreichende Begründung für die<br />

von Dr. Jackson behauptete Unverträglichkeit der Speisegruppen außer in<br />

verhältnismäßig seltenen Fällen von ausgeprägten allergischen Störungen. Vielleicht<br />

war Dr. Jackson selbst in solchem Falle. Es wäre dann aber nicht gerechtfertigt, diese<br />

Selbstbeobachtungen auf die Allgemeinheit zu übertragen, und es wäre schade, wenn<br />

andere deswegen auf so natürliche und schöne Geschmackszusammenklänge wie<br />

Apfel und Brot, Habermus und Milch oder Kartoffeln und Quark oder Käse verzichten<br />

müßten, die in alten Zeiten und bei gesündesten Völkern Grundkost waren. Es liegt<br />

dafür keine Notwendigkeit vor, wenn es auch eine ganz gute Idee ist, versuchsweise<br />

einmal von ganz ungemischter Kost zu leben und nach Pfahlbauersitte jede Speise für<br />

sich in den Mund zu nehmen und zu Ende zu kauen, damit der Gaumen wieder zum<br />

Werkzeug untrüglichen Instinktes werden kann.<br />

Wenn wir hier die sogenannten Unverträglichkeiten nicht beobachten konnten, so liegt<br />

dies vor allem daran, daß wir von der einfachen Regel ausgingen: Jede Mahlzeit mit<br />

lebensfrischer Nahrung beginnen, im nüchternen Magen, bis zur Stillung des besten<br />

Appetits. Pflanzliche Rohnahrung enthält nämlich in reichlichen Mengen zelleigene<br />

Enzyme, das sind Wirkstoffe, die sehr leicht zugrundegehen und darum lange für<br />

bedeutungslos gehalten wurden, weil man annahm, sie würden durch die Magensäfte<br />

ohnehin zerstört. Heute weiß man aber, daß sie dank eigenartiger Schutzvorrichtungen<br />

unversehrt in den Darm gelangen und im Colon dadurch Bedeutung erhalten, daß sie<br />

intensiv den vorhandenen Sauerstoff an sich reißen. Sie stellen also eine anärobe<br />

Umwelt her, die nötig. ist, um die verdauungsfördernde Bakterienflora gedeihen und<br />

die Fäulniserreger und Darmgifterzeuger verkümmern zu lassen, und sie bewirken so<br />

auf eine wunderbar einfache Weise jene Umstimmung der Darmbakterienflora, die<br />

man mit so vielen künstlichen Mitteln zu erreichen versucht. Wie groß die Bedeutung<br />

einer solchen Umstimmung für die Gesundung ist, darüber ist heute kein Wort mehr zu<br />

157


verlieren. Unter nicht allzu ungünstigen Umständen scheint eine bescheidene Menge<br />

Rohnahrung zu genügen, um diesen Effekt zu erreichen, wenn sie zu Beginn der<br />

Mahlzeit in nüchternen Magen kommt. Wunderbarerweise scheint dies dem<br />

Nervensystem „bewußt“ zu sein, denn dann und nur dann, wenn zu Beginn der<br />

Mahlzeit eine gewisse Menge Rohnahrung die Geschmacksnerven passiert, unterbleibt<br />

das, was man die physiologische Verdauungsleukozytose nennt, d. h. ein<br />

Grenzschutzaufgebot der weißen Blutkörperchen in die Darmwand. Eine solche<br />

„Grenzbesetzung“ ist ja dann tatsächlich unnötig, weil für ein sauerstofffreies<br />

Darmmilieu gesorgt ist, in welchem die giftproduzierenden Bakterien nicht gedeihen.<br />

Diese Zusammenhänge sind erst in den letzten Jahren erforscht worden und waren Dr.<br />

Jackson noch nicht bekannt. Man befolge also die erwähnte Regel, die von Dr.<br />

Bircher-Benner vor <strong>dr</strong>eiundfünfzig Jahren auf Grund seiner Beobachtungen aufgestellt<br />

wurde; man erreicht damit eine erhebliche Vereinfachung und einen stärkeren Auftrieb<br />

der Gesundungskräfte.<br />

Es wird oft gefragt, wo „Römerkost“ und „Malzmilch“ hierzulande erhältlich seien<br />

oder was man an deren Stellen nehmen könne. „Römerkost“ („Roman meal“) ist<br />

einfach alte Schweizerkost, nämlich Kornmus. Man beziehe von einem Reformhaus<br />

gewaschenen Ganzweizen und mahle ihn in der kleinen schwedischen Kornmühle<br />

(siehe Ackerbaustelle), mühsamer in der Kaffeemühle, fixer im Turmix, oder man<br />

lasse sich von einer Mühle (z. B. Mühle Tiefenbrunnen - Zürich) frischgemahlenen<br />

Vollweizen kommen, weiche über Nacht ein (4 Eßlöffel Wasser auf 50 g Korn) und<br />

genieße das Mehl so, unerhitzt, in Milch oder mit Obst. Ansteckung mit dem<br />

Strahlenpilz ist nach neuerer Forschung (Lentze) bei Rohgetreidebrei nicht zu<br />

befürchten. Man kann den Brei aber auch kurz kochen und nachbrodeln lassen. Das<br />

schmeckt ausgezeichnet und gibt eine Sättigung, die sehr viel länger anhält als jene<br />

von Kaffee, Weggli, Butter und Konfitüre. Unsere schweizerische Mandelmilch (Nuxo<br />

oder Phag) ist der amerikanischen Malzmilch vorzuziehen.<br />

Viele fragen nach dem Befinden und der A<strong>dr</strong>esse von Dr. Jackson. Nach<br />

Nachrichten aus Kanada ist der Verfasser dieses Buches vor einigen Jahren hoch in<br />

den Achtzigern an einem Schlittschuhunfall, bei dem er hilflos liegenblieb und sich<br />

eine Lungenentzündung holte, gestorben. Es ist außerordentlich zu bedauern, daß seine<br />

hohe, jugendliche Gestalt nicht mehr unter den Lebenden ist und durch ihr Beispiel bis<br />

zum natürlichen Lebensende für seine Lehre zeugen und wirken kann. Unfall und<br />

Lungenentzündung waren und sind neben Altersschwäche natürliche Todesursachen<br />

der Ganzgesunden.<br />

Wir sind froh, wenn Sie dieses hilfreiche Buch weiterempfehlen, um ihm eine recht<br />

große Verbreitung zu verschaffen.<br />

Ihre Freunde und Bekannten werden Ihnen dafür dankbar sein.<br />

158

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