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Heinz Klippert weist Wege aus der Krise - GEW

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Schulen<br />

Die Schule von morgen<br />

Schleicher: Lehrpläne verän<strong>der</strong>n und Lehrerbildung reformieren reicht nicht<br />

6<br />

„Der Blick über den Tellerrand ins Ausland tut dem deutschen<br />

Schulsystem gut. Das schlechte Abschneiden <strong>der</strong><br />

Schülerinnen und Schüler bei internationalen Leistungstests<br />

und die hohe Abhängigkeit des Schulerfolgs <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong> von <strong>der</strong> sozialen Herkunft <strong>der</strong> Eltern werden<br />

zunehmend auch von <strong>der</strong> Wirtschaft und in an<strong>der</strong>en<br />

Län<strong>der</strong>n mit Sorge betrachtet“, sagte Marianne Demmer,<br />

stellvertretende Bundesvorsitzende <strong>der</strong> Gewerkschaft<br />

Erziehung und Wissenschaft, zur Eröffnung <strong>der</strong> Frankfurter<br />

<strong>GEW</strong>-Veranstaltung „Schulen in Deutschland -<br />

Schulen mit Zukunft?“. Und wer hat einen besseren<br />

Überblick über die Schulen außerhalb Deutschlands als<br />

Andreas Schleicher, PISA-Koordinator <strong>der</strong> OECD?<br />

In seinem Hauptreferat skizzierte Schleicher zunächst die<br />

Bevölkerungsentwicklung hierzulande. 2030 werde die<br />

Hälfte <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung über 65 Jahre sein.<br />

2020 müsste Deutschland jährlich eine Million Einwan<strong>der</strong>er<br />

integrieren, um die jetzige Zahl <strong>der</strong> Erwerbstätigen<br />

zu sichern. „Wie wirksam geht das deutsche Schulsystem<br />

mit diesen Problemen um?“, Wissen werde zur<br />

primären Ressource, „gemeinsam besitzen die Wissensarbeiter<br />

die entscheidenden Produktionsmittel“. Diese<br />

Erkenntnis hätten z.B. Südkorea, Japan und die nordischen<br />

Staaten Finnland und Schweden längst in ihren<br />

Schulen umgesetzt, während die Bundesrepublik noch<br />

immer beim „Weiter - So“ verharre und international<br />

immer stärker zurückfalle. „Erfolgreiche Bildungssysteme“,<br />

so Schleicher, vernetzen die Arbeit ihrer Lehrer“.<br />

Lehrer fühlten sich nicht allein gelassen und strebten eine<br />

Professionalisierung weg vom Einzelkämpfertum an. Die<br />

Schule müsse ein „attraktives Arbeitsumfeld“ bieten. In<br />

Finnland könnten Eltern ihre Kin<strong>der</strong> in jede Schule schikken.<br />

Dort betrage die Leistungsvarianz fünf Prozent, in<br />

Deutschland aber das Zehnfache. Eltern hätten wachsende<br />

Erwartungen an die Schule, die weit über das kognitive<br />

Lernen hin<strong>aus</strong>gingen. Es gelte, den Status quo zu<br />

überwinden. Schulbürokraten und ihre Interessengruppen<br />

wi<strong>der</strong>stünden dem Wandel. Um Qualität und Chancengerechtigkeit<br />

zu sichern, müsse die Investition<br />

steigen und die kritische OECD-Schwelle verlassen. Im<br />

Status quo behalte Schule ihren Charakter als Verwaltungseinheit,<br />

„die Wissen durch traditionellen Unterricht<br />

vermittelt“. Lebensbegleitendes Lernen werde zur Norm.<br />

In einem Szenario, das erfolgreich in die Zukunft geht,<br />

sei Schule ein „soziales Zentrum <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft<br />

ohne soziale Fragmentierung“. Eine systemische<br />

Verän<strong>der</strong>ung weg von <strong>der</strong> Dreigliedrigkeit müsse auch<br />

das Leben in die Schule tragen, wenn Schülerinnen und<br />

Schüler darauf vorbereitet werden sollen, d.h. „wir brauchen<br />

neben <strong>der</strong> Lehrerprofessionalität weitere Professionen<br />

im Raum Schule“. Den Lehrplan zu verän<strong>der</strong>n und<br />

die Lehrer<strong>aus</strong>bildung zu reformieren reicht nach Meinung<br />

des PISA-Koordinators nicht <strong>aus</strong>. Schwache Schulleistungen<br />

dürften nicht toleriert werden, aber entschei-<br />

dend sei es, die Anreize und die Unterstützungssysteme<br />

für Schule zu verstärken. „Ob Zentralismus im Bund o<strong>der</strong><br />

in den Bundeslän<strong>der</strong>n, ist zweitrangig. Die deutsche Bildungspolitik<br />

muss wissen, wohin die Reise geht“, sagte<br />

Schleicher. Trotz des deutschen Bildungssystems gebe es<br />

hierzulande keinen Mangel an Ideen, aber die Frage sei,<br />

wie man die Innovationen systemisch verankern könne,<br />

statt immer nur zu fragmentieren, zu selektieren und die<br />

soziale Ungleichheit zu steigern.<br />

Individuelle För<strong>der</strong>ung im geglie<strong>der</strong>ten<br />

System nicht möglich<br />

In <strong>der</strong> anschließenden Podiumsdiskussion „16 Schulsysteme<br />

- hat das Modell Deutschland Zukunft?“ äußerten<br />

sich alle Teilnehmer sehr skeptisch. Die Kin<strong>der</strong> nicht<br />

beschämen und nicht zurücklassen, for<strong>der</strong>te Alfred Harnischfeger,<br />

Schulleiter <strong>der</strong> IGS Kelsterbach in Hessen.<br />

So könne es nicht weiter gehen. Gen<strong>aus</strong>o wichtig wie<br />

die Vernetzung <strong>der</strong> Schulen, die reformbereit sind und<br />

neue <strong>Wege</strong> gehen, sei die gesellschaftliche und elterliche<br />

Unterstützung <strong>der</strong> Schularbeit, „nicht ständig gegen die<br />

Schule polemisieren“. Gabriele Weindel-Güdemann <strong>aus</strong><br />

dem Landeselternbeirat Rheinland-Pfalz sprach vom<br />

notwendigen „Vertrauen in die Schule“. Ihr schwebt<br />

Schule als „soziales Zentrum“ vor. Eine „individuelle<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen“ ist nach ihrer<br />

Meinung im geglie<strong>der</strong>ten System nicht möglich, eine<br />

Auffassung, die Lothar Späth kürzlich im „Handelsblatt“<br />

vertreten hat: „Gefragt sind massive strukturelle Verän<strong>der</strong>ungen:<br />

weg von einem Bildungssystem, das zu stark<br />

darauf <strong>aus</strong>gerichtet ist, überdurchschnittliche Schüler von<br />

unterdurchschnittlichen zu trennen, hin zu einem System,<br />

das individuelle Schwächen <strong>aus</strong>gleicht und Talente<br />

för<strong>der</strong>t.“<br />

Andreas Schleicher wies darauf hin, dass in erfolgreichen<br />

Schulsystemen ein einzelner Lehrer gar nicht die Möglichkeit<br />

habe, den Schüler eine Klasse wie<strong>der</strong>holen zu<br />

lassen. Sitzenbleiben sei ein mentales deutsches Muster.<br />

Lehrer und Schule müssten Probleme lösen, darin unterstützt<br />

werden und dürften Kin<strong>der</strong> nicht abschieben<br />

o<strong>der</strong> nach unten durchreichen. Wenn in Finnland nicht<br />

relativ schnell eine systemische Verän<strong>der</strong>ung erfolgt wäre,<br />

würde man dort immer noch Gummistiefel herstellen<br />

statt Hightech. In Deutschland dagegen setze man auf<br />

lange Zeiten, um etwas zu verän<strong>der</strong>n.<br />

Marianne Demmer wies in ihrem Plädoyer gegen die<br />

deutsche Selektion darauf hin, dass die Grundschule sehr<br />

heterogen sei, aber nach IGLU im oberen Drittel liege.<br />

„Wir müssen uns an guten Beispielen, etwa <strong>der</strong> skandinavischen<br />

Staaten, orientieren. Dann können wir das<br />

deutsche Schulsystem erfolgreich weiter entwickeln und<br />

den Anschluss an europäische und weltweite Standards<br />

schaffen“, betonte die Gewerkschafterin.<br />

Paul Schwarz<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 5 / 2006

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