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BEITRÄGE<br />
66<br />
brennung wesentlich vom Weizen/Unkraut-Gleichnis<br />
her begrün<strong>de</strong>t.<br />
Das zweite große Feld <strong>de</strong>s Gottesfrevels,<br />
<strong>de</strong>r sakrilegische Gottesraub, hatte<br />
ursprünglich im Christentum keine<br />
wirkliche Be<strong>de</strong>utung gehabt. Aber auch<br />
das än<strong>de</strong>rte sich. Kirchenschändung zog<br />
die Gottesrache nach sich. Meist wähnte<br />
man sie durch Gott selbst vollzogen,<br />
aber auch Menschen sahen sich dazu<br />
aufgefor<strong>de</strong>rt. Exemplarisch stehen dafür<br />
die Kreuzzüge. Sie zielten darauf, die<br />
von <strong>de</strong>n Sarazenen - wie damals die<br />
Muslime hießen - besu<strong>de</strong>lten Stätten Jesu<br />
Christi zurückzuerobern und in ihrer<br />
Heiligkeit wie<strong>de</strong>rherzustellen. Es ging<br />
direkt um die Orte, wo Jesus geboren<br />
und in die Krippe gelegt wor<strong>de</strong>n war, wo<br />
er gepredigt und geheilt hatte, zumal um<br />
die Stellen, wo er sein Letztes Mahl gefeiert<br />
hatte und wo er gekreuzigt wor<strong>de</strong>n<br />
und auferstan<strong>de</strong>n war. Hatten die Spiritualen<br />
immer betont, solches alles sei im<br />
inneren Herzen zu erwägen und dort<br />
festzuhalten, so wollten die Kreuzfahrer<br />
genau an <strong>de</strong>n heiligen Orten Jesu stehen;<br />
dafür sollte alles, was im Heiligen Land<br />
frevlerisch entheiligt war, wie<strong>de</strong>r christlicher<br />
Heilsort wer<strong>de</strong>n. Dazu riefen sogar<br />
die Päpste auf und fan<strong>de</strong>n ein überwältigen<strong>de</strong>s<br />
Echo. Aber die Kanonisten<br />
kamen mit Be<strong>de</strong>nken: Zu rechtfertigen<br />
sei nur ein Verteidigungskrieg, allenfalls<br />
noch einer zur Wie<strong>de</strong>rgewinnung wi<strong>de</strong>rrechtlich<br />
weggenommenen Territoriums.<br />
Aber traf das auf das Heilige Land<br />
zu? Hatte nicht Gott selbst die Eroberung<br />
zugelassen, da doch die Muslime<br />
inzwischen schon seit Jahrhun<strong>de</strong>rten ansässig<br />
waren? Radikale Kreuzzugskritiker<br />
wie zum Beispiel <strong>de</strong>r Englän<strong>de</strong>r<br />
Ralph Niger provozierte gera<strong>de</strong>zu: Dann<br />
solle doch Gott selber die Reinigung und<br />
Wie<strong>de</strong>rgewinnung bewerkstelligen. Ja,<br />
Ralph kam mit <strong>de</strong>r aufklärerischen Formel,<br />
die Sarazenen seien von gleicher<br />
Menschennatur und dürften darum nicht<br />
einfach wegen an<strong>de</strong>ren Glaubens erschlagen<br />
wer<strong>de</strong>n. Angesichts heutiger<br />
Diskussionen ist auch darauf hinzuweisen,<br />
dass damals die Kreuzzüge in <strong>de</strong>r islamischen<br />
Welt keine allgemeine Erhebung<br />
auslösten. Erst heute wer<strong>de</strong>n sie<br />
zur Legitimierung von Gegenkreuzzü-<br />
INFO 35 · 2/2006<br />
gen ins Feld geführt. Alle vormo<strong>de</strong>rnen<br />
Obrigkeiten, und damit auch die europäisch-christlichen,<br />
verstan<strong>de</strong>n ihr Wohlergehen<br />
als von <strong>de</strong>n Himmelsmächten<br />
abhängig und bekämpften darum <strong>de</strong>n<br />
Gottesfrevel. Hier blieb eine durchgehen<strong>de</strong><br />
Linie von <strong>de</strong>r Antike bis zur Aufklärung.<br />
Seit <strong>de</strong>m Spätmittelalter gingen<br />
Lan<strong>de</strong>sherren und Städte sogar in eigener<br />
Kompetenz und meist ohne Zuziehung<br />
von Kirchenleuten dazu über, Gotteslästerer<br />
zu belangen und sie gegebenenfalls<br />
hinzurichten.<br />
Die säkulare Kompetenz zur Ahndung<br />
verstärkte sich in <strong>de</strong>r Reformationszeit.<br />
Am heftigsten waren die Täufer<br />
betroffen, von <strong>de</strong>nen in Süd<strong>de</strong>utschland,<br />
<strong>de</strong>r Schweiz und Österreich an die<br />
tausend und in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n nochmals<br />
über tausend <strong>de</strong>n Tod erlitten. In<br />
Genf und Umland wur<strong>de</strong>n von 1664 bis<br />
1668/69 gleich 92 Gotteslästerer hingerichtet;<br />
das waren in vier Jahren<br />
ebenso viele wie bei <strong>de</strong>r Römischen Inquisition<br />
die Häretiker innerhalb von<br />
dreihun<strong>de</strong>rt Jahren.<br />
In England wechselten unter Maria<br />
Stuart und Elisabeth I. die Konfessionen,<br />
was zuerst 300 Protestanten und<br />
dann 180 Katholiken das Leben kostete,<br />
hingerichtet nicht als Ketzer, son<strong>de</strong>rn als<br />
zu Hochverrätern <strong>de</strong>klarierte Gotteslästerer.<br />
In voller Härte tritt hier das obrigkeitlich-staatliche<br />
Interesse zutage.<br />
Die Aufklärung hat dann die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
Verän<strong>de</strong>rung gebracht, aber<br />
nicht sofort. Denn beispielsweise <strong>de</strong>r ob<br />
seiner Toleranz gerühmte Franzose Sebastian<br />
Castellio wollte zwar in jeweiliger<br />
Konfessionsdogmatik Toleranz, wer<br />
aber Gott und die Heilige Schrift leugne,<br />
<strong>de</strong>r sei blasphemus und darum zu bestrafen.<br />
Ebenso wollte noch <strong>de</strong>r Hallenser<br />
Christian Thomasius die Atheisten von<br />
<strong>de</strong>r Toleranz ausgenommen wissen.<br />
Doch mit <strong>de</strong>r wachsen<strong>de</strong>n aufklärerischen<br />
Zuversicht, <strong>de</strong>r freigesetzte Verstand<br />
führe zu allgemeiner Evi<strong>de</strong>nz, erhob<br />
sich die For<strong>de</strong>rung nach Religionsund<br />
Meinungsfreiheit, wie sie die Französische<br />
Revolution zum Menschenrecht<br />
erklärte: „Niemand soll wegen seinerAnsichten,<br />
auch <strong>de</strong>r religiösen, beunruhigt<br />
wer<strong>de</strong>n ... Die freie Mitteilung von<br />
Gedanken und Meinungen ist eins <strong>de</strong>r<br />
kostbarsten Rechte <strong>de</strong>s Menschen ...“.<br />
Das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gotteslästerung im<br />
mo<strong>de</strong>rnen Deismus<br />
Und wie stellten sich fortan <strong>de</strong>r Gottesfrevel<br />
und die Gotteslästerung dar?<br />
Sie gab es einfach nicht mehr. Der <strong>de</strong>istische<br />
Gott stand aller menschlichen Re<strong>de</strong>,<br />
ob nun <strong>de</strong>m frommen Gebet o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
freventlichen Blasphemie, zu fern. Wie<br />
er auf Bitten hin sich nicht zu Gna<strong>de</strong>n bewegen<br />
ließ, so auch durch Frevel nicht<br />
zur Rache. Folglich zählte <strong>de</strong>r Gottesfrevel<br />
nicht mehr. Zugleich wird seither von<br />
<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Religionsgruppen erwartet,<br />
dass sie in Frie<strong>de</strong>n zusammenleben.<br />
Zur Absicherung gegen Religionsverspottung<br />
hat sich <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rne Staat<br />
verpflichtet, die religiösen Gefühle seiner<br />
Bürger und Bürgerinnen zu schützen.<br />
Im konkreten Fall kann das hohe Sensibilität<br />
von allen Beteiligten erfor<strong>de</strong>rn.<br />
Das betrifft schon das Recht auf Religionswechsel.<br />
Wer seine angestammte Religion<br />
verläßt, hat das Recht, sich auch<br />
frei darüber zu äußern. Heikel wird es,<br />
wenn dabei Äußerungen fallen, die die<br />
Anhänger <strong>de</strong>r verlassenen Gruppe als<br />
beleidigend empfin<strong>de</strong>n. Im Verhältnis<br />
zum Islam braucht nur an Salman<br />
Rushdie o<strong>de</strong>r die Selbstbekenntnisse türkischer<br />
Frauen in Berlin erinnert wer<strong>de</strong>n.<br />
Der Gottesfrevel kann, um <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns<br />
in <strong>de</strong>r Welt willen, nicht mehr mit Gewalt<br />
ausgetragen wer<strong>de</strong>n. Im clash of civilizations<br />
könnte er allzu rasch zu einem<br />
explosiven Zündpunkt wer<strong>de</strong>n.<br />
Prof. Dr. Arnold Angenendt ist em. Professor<br />
<strong>de</strong>r Kirchengeschichte an <strong>de</strong>r Westfälischen<br />
Wilhelm-Universität, Münster.<br />
Die Ausführungen entstammen <strong>de</strong>m<br />
Buch „Toleranz und Gewalt im Christentum.<br />
Das Christentum zwischen Bibel<br />
und Schwert“, das vor <strong>de</strong>r Veröffentlichung<br />
steht (Münster: Verlag Aschendorff.<br />
2006).<br />
Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am<br />
Main – F.A.Z. vom 18.03.2006, Nr. 66, S. 38.