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Beiträge Marie Jahoda 24 Netzwerk-Journal Nr. 12/2001 I In diesemFrühjahr starb Marie Jahoda im Alter von 94 Jahren. Aus diesem Anlass drucken wir im Folgenden eine von Steffanie Engler und Brigitte Hasenjürgen erstellte biographische Skizze ab. Diese Skizze wurde auf dem Festkolloquium zum 90. Geburtstag von Marie Jahoda am 29. Januar 1997 an der Ruhr-Universität Bochum gehalten und ist zugleich Ilse Lenz, der Initiatorin der „Maria Jahoda Gastprofessur für Internationale Frauenforschung“ zum 50. Geburtstag gewidmet worden. (siehe auch: ‘Ich habe die Welt nicht verändert’: Lebenserinnerungen einer Pionierin der Sozialforschung. Hrsg. v. S. Engler und B. Hasenjürgen (Campus Verlag, Frankfurt a. M. 1997). Foto Marie Jahoda: © Babette Sponheuer, Pressestelle RUB
Steffanie Engler/Brigitte Hasenjürgen Marie Jahoda – eine biographische Skizze Im November 1994 wurde die Marie Jahoda-Professur in Bochum eingerichtet. Aus diesem Anlass war Marie Jahoda – damals 87 jährig – aus England gekommen, und sie saß bei der feierlichen Einweihung in der ersten Reihe. Nachdem ihr und der Internationalen Gastprofessur für Frauenforschung einige Worte gewidmet waren, stand sie auf, ging zum Pult, legte ein Blatt mit Stichworten ab, blickte zum Publikum und sprach mit klarer Stimme. Sie bezeichnete das, was sie ausführte, als ihr Testament für die nächste Generation in den Sozialwissenschaften und erklärte, was sie unter „lebensnaher” Forschung versteht: „Im Unterschied zu der zumindest in den Vereinigten Staaten dominierenden Richtung stammt die Themenwahl einer lebensnahen Sozialpsychologie nicht von abstrakten Theorien sondern aus der Problematik der sozialen Gegenwart. Sie sucht nicht nach zeitunabhängigen Antworten, sondern erkennt die Zeitgebundenheit sozialen Geschehens und menschlichen Verhaltens. Sie will nicht beweisen, sondern entdecken; sie will das Unsichtbare sichtbar machen. Weil im sozialen Geschehen Dinge zählen, die nicht gezählt werden können, sind hier qualitative Methoden ebenso am Platz wie quantitative“. Nicht nur wir waren beeindruckt von dieser Frau, die viele im Studium als Mitautorin der Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal” kennen gelernt haben. Dieses „lebensnah“ forschen kennzeichnet nicht nur jene Sozialpsychologie, wie sie von Marie Jahoda vertreten wird, sie kennzeichnet ebenso die Arbeiten von ihr. Es ist wie ein Motto, das die vielfältigen Forschungsarbeiten von Marie Jahoda begleitet und durchzieht. Wir wollten mehr über Marie Jahoda wissen und bei unserer Suche haben wir festge- stellt: Es gibt viele spannende Interviews mit Marie Jahoda zu Themen wie Arbeit und Arbeitslosigkeit, ihrem Leben im Exil etc. Aber zum biographischen Lebensweg, wie sie ihn sieht? Fehlanzeige. Also haben wir einen Brief an Marie Jahoda geschrieben, ihr unser Projekt mitgeteilt, mit ihr ein ausführliches biographisches Interview zu führen. Und sie hat prompt geantwortet. Wir brauchen nicht zu sagen, wie freudig aufgeregt wir waren. So lernten wir Marie Jahoda kennen. Doch unser Vorhaben war zunächst unsicher, denn Marie Jahoda hatte im Dezember 1995 einen Schlaganfall. Außerdem ist sie voller Überraschungen. Als wir zum zweiten Mal in Brighton waren, hat Marie Jahoda unsere Planung etwas durchkreuzt. Sie überraschte uns mit ihrer Autobiographie, die sie uns nicht nur zum Lesen gab, sondern auch zur Veröffentlichung. Viele Fragen, die wir vorbereitet hatten, waren in der Autobiographie beantwortet – und dann mussten wir unser Konzept ziemlich schnell ändern. Auch in ihre Autobiographie geht das Motto „lebensnah“ forschen ein. So ist gleich auf der zweiten Seite zu lesen: „Vor vielen Jahren, als ich noch Studentin in Wien war, hatte ich eine schlaflose Nacht. Die Geschichte von der kleinen Meerjungfrau kam mir in den Sinn, die ich als kleines Kind vorgelesen oder erzählt bekommen hatte. In jener Nacht ließ ich sie in der totalen Tragödie enden: Alle Fischer, die die kleine Meerjungfrau ansahen, starben, weil ihnen der Anblick ihres von Verzweiflung entstellten Gesichts unerträglich war. Am nächsten Tag holte ich mir Andersens Märchen und entdeckte, dass es zwar traurig ausgeht, aber doch nicht ganz so hoff- Beiträge Netzwerk-Journal Nr. 12/2001 25
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