Sonderausgabe: Dekontamination Verletzter (PDF, 2MB)
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Bevölkerungsschutz<br />
<strong>Dekontamination</strong><br />
<strong>Verletzter</strong><br />
<strong>Sonderausgabe</strong> 2006
Arbeiter-Samariter-Bund<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser,<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in<br />
Deutschland ist ein Ereignis, das uns alle<br />
bewegt, unabhängig davon, wie die<br />
deutsche Nationalmannschaft abschneiden<br />
wird. Die Welt zu Gast mit tausenden<br />
Besuchern und unzähligen Journalisten,<br />
die rund um die Uhr über den<br />
Sport, das Land und die Menschen berichten.<br />
Für Deutschland stellt die WM<br />
2006 eine gute Gelegenheit dar, Offenheit<br />
und Gastfreundschaft zu zeigen.<br />
Mit einem solchen Ereignis verbinden<br />
sich gleichwohl auch besondere<br />
Risiken. Die Veranstaltung bedingt ein<br />
hohes Verkehrsaufkommen auf Schiene,<br />
Straße und im Luftverkehr, große Menschenansammlungen<br />
in den Stadien und<br />
an anderen Veranstaltungsorten und sie<br />
führt unterschiedliche Nationalitäten,<br />
Kulturen und Mentalitäten zusammen.<br />
Dies sind Risikofaktoren, die sich qualitativ<br />
auf das mögliche Schadensausmaß<br />
bei Unfällen auswirken können. Hinzu<br />
kommt das grundsätzlich vorhandene<br />
Risiko terroristischer Aktionen, für das<br />
man bei Veranstaltungen von medialem<br />
Belang Vorsorge treffen muss.<br />
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe hat<br />
im Januar 2005 in einer ersten Veranstaltung<br />
Verantwortliche aus allen zwölf<br />
WM-Städten, aus den Ländern sowie<br />
zahlreichen Organisationen zum Thema<br />
Vorsorgeplanung zusammengeführt. In<br />
verschiedenen Workshops wurden der<br />
Vorbereitungsstand analysiert und übergreifende<br />
Problemfelder diskutiert und<br />
dokumentiert.<br />
Eines davon, nämlich die <strong>Dekontamination</strong><br />
verletzter Personen, wurde<br />
auf der Folgeveranstaltung im Oktober<br />
2005 vertieft behandelt. Schwerpunkt<br />
bildete das gerade verabschiedete Rahmenkonzept,<br />
das eine von Bund und<br />
Ländern gemeinsam gestellte Arbeitsgruppe<br />
erarbeitet hat. Durch Vertreter<br />
aus der Schweiz und aus Großbritannien<br />
erhielt die Thematik zusätzliche<br />
Inspirationen.<br />
Die interessanten und fachlich<br />
fundierten Plenums- und Workshopbeiträge<br />
haben es verdient, einem breiteren<br />
Publikum zugänglich gemacht zu<br />
werden. Daher haben wir uns noch während<br />
der Veranstaltung entschieden,<br />
zum ersten Mal in der Geschichte dieses<br />
Magazins eine <strong>Sonderausgabe</strong> herauszugeben.<br />
Enthalten sind natürlich<br />
auch die Ergebnisse der beiden Workshops,<br />
in denen offen über noch zu<br />
lösende Aufgaben gesprochen wurde.<br />
Ich danke allen Beteiligten, die<br />
schnell und ohne zu zögern ihre Präsentationen<br />
in Text umgesetzt und für<br />
dieses Heft zur Verfügung gestellt haben.<br />
Auch das ist ein Zeichen für die<br />
breite Kooperationsbereitschaft und<br />
-fähigkeit, die für das Lösen von Problemen<br />
unverzichtbar ist.<br />
Ihr
VORWORT<br />
Vorwort des Beauftragten für Sicherheitsbelange der<br />
Fußball-WM 2006 im Bundesministerium des Innern<br />
MinR Dr. Gregor Rosenthal 2<br />
GRUNDLAGEN<br />
FIFA-WM 2006 4<br />
WM – eine bedeutende<br />
Großveranstaltung<br />
Konzept der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr 5<br />
Einsatzkonzept ÜMANV –<br />
„MANV überörtlich“<br />
Organisation rettungsdienstlicher<br />
Großschadenslagen in NRW 7<br />
Das THW ist für die<br />
WM 2006 gerüstet 9<br />
BW und WM<br />
Unterstützungsleistungen der Bundeswehr<br />
im Rahmen der FIFA-WM 2006 11<br />
Bundespolizei und<br />
Katastrophenschutz 14<br />
ÖFFENTLICHKEIT<br />
Ausnahmezustand WM?<br />
Bevölkerungsinformation und Medienarbeit<br />
im Ereignisfall 17<br />
Psychosoziale<br />
Notfallversorgung (PSNV) 19<br />
DEKON: TECHNIK<br />
Unterstützung durch die<br />
Analytische Task Force 21<br />
<strong>Dekontamination</strong> nach<br />
FwDV 500 25<br />
DEKON: MEDIZIN<br />
DEKON: KLINIK<br />
<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />
Workshop „Vorbereitung der Krankenhäuser“ 48<br />
Vorbereitung des Öffentlichen<br />
Gesundheitsdienstes zur WM 2006 51<br />
Therapie bei Chemieunfällen 55<br />
Krankenhäuser bei<br />
ABC-Schadensereignissen<br />
Vorsorge für die Fußballweltmeisterschaft 2006 59<br />
<strong>Dekontamination</strong> aus Sicht<br />
des Krankenhauses 63<br />
EXTRA<br />
INHALT<br />
Projektgruppe ABC-Risiken und<br />
Gefahrenlagen (PG9) 29<br />
<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />
Funktion und Ausstattung einer Dekonstelle<br />
für verletzte Zivilpersonen 31<br />
CBRN-Szenarien<br />
Großschadenslagen mit zusätzlicher<br />
Gefährdung durch Schadstoffe ( ABC ) 34<br />
Dekon-Rahmenkonzept<br />
Entwurf der Bund-Länder-Arbeitsgruppe 37<br />
ABC-<strong>Dekontamination</strong> von Patienten 39<br />
<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />
Workshop 1: Umsetzung im präklinischen Bereich 43<br />
<strong>Dekontamination</strong> und Behandlung<br />
<strong>Verletzter</strong><br />
Ergebnisse eines Forschungsauftrags des BMI 45<br />
Persönliche ABC-Schutzausrüstung 65<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
1
2<br />
VORWORT<br />
Vorwort des Beauftragten für Sicherheitsbelange der<br />
Fußball-WM 2006 im Bundesministerium des Innern<br />
MinR Dr. Gregor Rosenthal<br />
Am 7. Juni 2006 ist es so weit. Dann beginnt<br />
mit der FIFA World Cup Gala in Berlin die<br />
Fußball-Weltmeisterschaft bei uns in Deutschland.<br />
„Die Welt zu Gast bei Freunden“ lautet das<br />
Dr. Gregor Rosenthal ist Vorsitzender des Bund-Länder-Ausschusses<br />
WM 2006 und Beauftragter für Sicherheitsbelange der Fußball-WM<br />
2006 im Bundesministerium des Innern.<br />
(Foto: BMI)<br />
Motto des Turniers und dieses Motto wollen wir,<br />
will Deutschland als Gastgeber mit Leben füllen.<br />
Die Welt wird vier Wochen nach Deutschland<br />
schauen. Milliarden Zuschauer in allen Kontinenten<br />
werden die 64 Spiele in den zwölf WM-<br />
Stadien am Fernsehgerät verfolgen und Millionen<br />
werden die WM zu einem Besuch unseres Landes<br />
nutzen. Dieses sportliche Großereignis bietet<br />
unserem Land die einmalige Chance, sich als<br />
gastfreundliches, tolerantes, heiteres und sicheres<br />
Land zu präsentieren.<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Eine der zentralen Regierungsgarantien, die<br />
die Bundesregierung im Rahmen der Bewerbung<br />
Deutschlands um die WM 2006 abgegeben hat,<br />
ist die Gewährleistung einer sicheren Durchführung<br />
der WM. Dabei ist das beste Sicherheitskonzept<br />
eines, das Sicherheit gewährleistet und Spiel,<br />
Spaß und Sport im Vordergrund stehen lässt.<br />
Das wünschen sich alle, die im Hintergrund der<br />
WM für die Sicherheit von Spielern, Betreuerinnen<br />
und Betreuern sowie Zuschauerinnen und Zuschauern<br />
verantwortlich sind. Genau diese Aspekte<br />
spielen bei den Sicherheitsvorbereitungen auf<br />
die Fußballweltmeisterschaft eine tragende Rolle.<br />
Die durch die Politik vorgegebenen Rahmenbedingungen<br />
müssen durch die Sicherheitsbehörden<br />
in Bund und Ländern konzeptionell umgesetzt<br />
werden.<br />
Seit der Vergabe der WM 2006 an Deutschland<br />
arbeiten alle mit Sicherheitsaspekten betrauten<br />
Institutionen des Bundes und der Länder mit<br />
dem Ausrichter, dem FIFA WM 2006-OK, eng<br />
zusammen. Das Bundesministerium des Innern<br />
hat den Vorsitz eines Bund-Länder-Ausschusses<br />
inne. Dieses Gremium hat unter Beteiligung aller<br />
betroffenen Partner das „Nationale Sicherheitskonzept“<br />
für die Fußball-WM 2006 erstellt, welches<br />
im Mai 2005, rechtzeitig vor dem Confederations<br />
Cup 2005 — bei dem wesentliche Teile<br />
des Konzeptes und dessen Teilkonzepte einem<br />
Testlauf unterzogen wurden — durch die Innenminister<br />
des Bundes und der Länder verabschiedet<br />
wurde. Es umfasst alle notwendigen Maßnahmen<br />
und Aktivitäten von originär zuständigen<br />
Behörden, Organisationen und Institutionen auf<br />
staatlicher Ebene sowie die des Veranstalters und<br />
Ausrichters vor, während und nach den Spielen.<br />
Ein wesentlicher Baustein der staatlichen<br />
Maßnahmen des Nationalen Sicherheitskonzeptes<br />
ist neben dem polizeilichen Aufgabenbereich<br />
der Katastrophenschutz. Die nichtpolizeiliche
Gefahrenabwehr ist neben der Prävention vorrangig<br />
auf Schadensbewältigung ausgerichtet. Sie hat<br />
zum Ziel, die bestmögliche Versorgung betroffener<br />
Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten,<br />
wenn es zu einem größeren Schadensereignis gekommen<br />
sein sollte. Hier haben sich die Länder<br />
und der Bund in einem „Musterkonzept Katastrophenschutz“<br />
auf wesentlich größere Lagen vorbereitet<br />
als es der tägliche Rettungsdienst und die<br />
Einsätze der Feuerwehr zur Brandbekämpfung<br />
und technischen Hilfe erfordern. An allen Spielorten<br />
wird ein hohes Niveau an Sicherheit und<br />
Vorsorge erreicht werden, um im Katastrophenfall<br />
schnelle und umfassende Hilfe gewährleisten<br />
zu können. In zahlreichen Übungen haben sich<br />
die Katastrophenschützer und die Polizei auf diesen<br />
speziellen Einsatz vorbereitet.<br />
Deutschland ist immer wieder mit komplexen<br />
Sicherheitssituationen konfrontiert gewesen.<br />
Beispielhaft sind hier die Ausrichtung des G8-<br />
Gipfels 1999 in Köln und der Papst-Besuch im<br />
Rahmen des Weltjugendtages im letzten Jahr<br />
ebenfalls in Köln zu nennen. Auch haben die<br />
deutschen Sicherheitsorgane die Gelegenheit<br />
genutzt, sich mit den Bewältigungsstrategien anderer<br />
Länder bei vergleichbaren Ereignissen (z. B.<br />
Portugal mit der Fußball EM 2004, Japan/Südkorea<br />
mit der Fußball WM 2002 und Griechenland<br />
mit den Olympischen Sommerspielen 2004)<br />
vertraut zu machen. Die dort gewonnen Erkenntnisse<br />
sind in unsere eigenen Sicherheitsvorbereitungen<br />
eingeflossen.<br />
Diese Vorbereitungen befinden sich in einem<br />
sehr fortgeschrittenen Stadium. Das hat auch der<br />
praktische Test während des Confederations Cup<br />
vom 15.-29. Juni 2005 gezeigt. Wo erforderlich,<br />
werden jetzt die Konzepte und die darauf aufbauenden<br />
konkreten Sicherheitsmaßnahmen noch<br />
angepasst beziehungsweise fortgeschrieben. Der<br />
engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit<br />
aller beteiligten Katastrophenschutzbehörden in<br />
Bund und Ländern im Rahmen spezieller Übungen<br />
in Vorbereitung auf die WM und während<br />
der bisher stattgefundenen Fachtagungen und<br />
Kongresse ist es zu verdanken, dass wir auch<br />
insoweit mit Zuversicht und Optimismus auf den<br />
Sommer 2006 und die Umsetzung des Mottos<br />
„Die Welt zu Gast bei Freunden“ durch sichere<br />
und fröhliche Spiele blicken können.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
3
4<br />
GRUNDLAGEN<br />
FIFA-WM 2006<br />
Von Beate Coellen,BBK<br />
„Die Welt zu Gast bei Freunden“ so lautet das Motto<br />
der Fußballweltmeisterschaft, die in der Zeit vom<br />
09.06.-09.07.2006 in Deutschland stattfindet. Begleitet<br />
wird diese WM durch eine Reihe von Veranstaltungen,<br />
nicht nur in den Austragungsstädten selber,<br />
sondern auch in fast allen Regionen unseres Landes.<br />
Im Rahmen der Vorbereitungen zur WM<br />
hatte die IMK eine Bund-Länder Arbeitsgruppe ins<br />
Leben gerufen, die unter Federführung des BMI alle<br />
sicherheitsrelevanten Belange in ein „Nationales<br />
Sicherheitskonzept“ überführen sollte. So entstand<br />
u.a. ein „Musterkonzept Katastrophenschutz“, welches<br />
die grundlegenden Anforderungen für die Aktivitäten<br />
der WM-Städte festlegte.<br />
Die Rahmenbedingungen für die FIFA WM<br />
2006 weisen einige Besonderheiten auf. So werden die<br />
Teams bereits deutlich früher anreisen. Dies tangiert<br />
eher den polizeilichen Bereich, aber je nach Aktivität<br />
sind auch im nicht polizeilichen Bereich Vorkehrungen<br />
zu treffen. Die so genannten „Events“ können<br />
ebenso früher beginnen. Spätestens am 07.06. startet<br />
mit der Eröffnungsfeier in Berlin die „heiße Phase“.<br />
Die 32 teilnehmenden Mannschaften werden<br />
64 Spiele absolvieren. Derzeit wird die Anzahl möglicher<br />
Besucher auf etwa 3,1 Mio. geschätzt, davon<br />
werden etwa 1 Mio. aus dem Ausland erwartet. Die<br />
Zahl der Medienvertreter beläuft sich auf etwa<br />
15.000, auch hier liegen noch keine genauen Zahlen<br />
vor. Letztendlich fällt die WM in die europaweite<br />
beginnende Haupturlaubszeit.<br />
Aus diesen Rahmenbedingungen ergeben sich<br />
einige Konsequenzen, die Einfluss auf Planungen nehmen.<br />
Das derzeitige Besucheraufkommen ist geschätzt,<br />
bedeutet aber auf jeden Fall, dass nicht alle Besucher<br />
eine Karte für das jeweilige Spiel haben. Um diesem<br />
Manko abzuhelfen, ist in vielen Städten geplant, „Public<br />
Viewing“ Plätze mit Großleinwänden einzurichten.<br />
Damit kann sich auf einem großen Platz plötzlich<br />
eine große Menschenmenge einfinden, selbst in Bundesländern<br />
ohne Spielorte.<br />
Es ist zu beachten, dass wegen der starken<br />
Präsenz der Medien alles sofort weltweit auf Sendung<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
ist, d.h. auch jeder noch so kleine Zwischenfall, der<br />
im täglichen Leben kaum pressewirksam würde,<br />
sofort aufgegriffen wird.<br />
Zur Umsetzung des „Musterkonzeptes Katastrophenschutz“<br />
hat jede WM-Stadt eigene Konzepte<br />
entwickelt, die sich u.a. an den vorhandenen Ressourcen<br />
orientieren. Die Anzahl der eingesetzten<br />
Kräfte richtet sich nach der Einschätzung der Sicherheitsbehörden<br />
und wird in Low Risk, Medium Risk<br />
und High Risk Spiele unterteilt.<br />
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und<br />
Katastrophenhilfe hat für die WM-Vorbereitungen<br />
eine „AG WM 2006-NPG“ gegründet und bündelt<br />
seine Aktivitäten zentrumsübergreifend.<br />
Dazu kommen Angebote im Bereich der Ausbildung<br />
für die operativ-taktischen und administrativ-organisatorischen<br />
Komponenten wie auch Spezialangebote<br />
für Krisenkommunikation, Psychosoziale<br />
Notfallversorgung, NRBC, Katastrophenmedizin.<br />
Im Januar 2005 fand der erste Fachkongress<br />
zur Vorbereitung der WM 2006 mit über 350 Teilnehmern<br />
statt. Hier stand die Harmonisierung und<br />
Fortentwicklung bestehender länderspezifischer Konzepte<br />
und Anforderungen im besonderen Focus.<br />
In einer Folgeveranstaltung im Oktober wurde<br />
das Thema „<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong>“ intensiv<br />
bearbeitet. Für das Frühjahr 2006 ist eine weitere Folgeveranstaltung<br />
geplant.<br />
Zusätzlich wurden erste Sanitätsmittelbasispakete<br />
zur Versorgung von 100 Verletzten über 7 Tage<br />
an die Spielstädte ausgeliefert. Verschiedene Übungen<br />
zur Vorbereitung auf die WM wurden bezuschusst.<br />
Insgesamt wird die WM allen Beteiligten wichtige<br />
Erkenntnisse im Rahmen des Krisenmanagements<br />
liefern. Diese werden in die Lehre einfließen<br />
und den Teilnehmern für zukünftige Ereignisse<br />
wichtige Hinweise geben.<br />
Deshalb sollte die WM als Chance gesehen<br />
werden, etwas aufzugreifen, was schon lange einer<br />
weiteren Betrachtung bedurft hätte, vielleicht kommen<br />
wir so der oft angemahnten Harmonisierung<br />
näher.
WM – eine bedeutende<br />
Großveranstaltung<br />
Konzept der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr<br />
Von Dipl.-Chem. Claus Lange Leitender Branddirektor Feuerwehr Hannover<br />
Die FIFA-Weltmeisterschaft findet vom 09. Juni bis<br />
09. Juli 2006 unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei<br />
Freunden“ an 12 Austragungsorten (Berlin, Dortmund,<br />
Frankfurt, Gelsenkirchen, Hamburg, Hannover,<br />
Kaiserslautern, Köln, Leipzig, München, Nürnberg<br />
und Stuttgart) in neun Ländern der Bundesrepublik<br />
Deutschland statt.<br />
Aus Sicht der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr<br />
sind Maßnahmen zu ergreifen, die Brandschutz,<br />
Hilfeleistung, Rettungsdienst sowie Katastrophenschutz<br />
an den jeweiligen Austragungsorten sicherstellen.<br />
Um einen möglichst einheitlichen Sicherheitsstandard<br />
zu gewährleisten, hat sich auf Ebene des<br />
Deutschen Städtetages ein Arbeitskreis WM 2006 der<br />
Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren<br />
in Deutschland (AG WM 2006 der AGBF) konstituiert,<br />
der die notwendige nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr<br />
koordinieren soll.<br />
Sicherheitskonzept der<br />
nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr<br />
Auf der Grundlage von baulichen, technischen<br />
sowie organisatorischen Maßnahmen gilt es, den Beschluss<br />
des Arbeitskreises V der Innenministerkonferenz<br />
vom 10.02.2004, „Die Länder schaffen die Voraussetzungen<br />
für den Einsatz der Behörden und Organisationen<br />
des Katastrophenschutzes“ vor Ort zunächst<br />
durch planerische Maßnahmen umzusetzen. Hier sind<br />
abgestimmte Einsatzkonzepte, die sich auch an ortsspezifischen<br />
Besonderheiten orientieren, für die oben<br />
genannten Aufgaben zu erstellen.<br />
Diese Rahmenempfehlungen gliedern sich in<br />
drei Bereiche:<br />
•Grundschutz (sowie zusätzlicher risikoabhängiger<br />
Zuschlag)<br />
•Außergewöhnliches Ereignis<br />
•Katastrophe<br />
Um die notwendigen Planungen zu konkretisieren<br />
sowie vor Ort Kräfte und Mittel bereitzuhalten,<br />
wird sich an einem vierstufigen Sicherheitskonzept<br />
zur Fußball-WM 2006 orientiert.<br />
Dafür sind die nachfolgend genannten „Sicherheitsstufen“<br />
vorgesehen, welche abgestuft notwendige<br />
personelle sowie materielle Ressourcen zuordnen:<br />
•Stufe: Gefahrenabwehr im Stadion („Grundschutz“)<br />
•Stufe: Örtliche Gefahrenabwehr am WM-Spielort<br />
•Stufe: Überörtliche Gefahrenabwehr am WM-Spielort<br />
(Einbeziehung der Region um den Spielort)<br />
•Stufe: Überregionale Gefahrenabwehr (Katastrophenschutz)<br />
Um trotz aller unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten<br />
einen möglichst einheitlichen Planungsaufbau<br />
für die zwölf WM-Austragungsorte zu gewährleisten,<br />
hat man sich für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr<br />
darauf geeinigt, einen „roten Faden“ festzulegen.<br />
Dieses Handbuch „Nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr<br />
zur WM 2006“ enthält alle Maßnahmen,<br />
die notwendig sind, um einen eventuellen Schadenfall<br />
aus Sicht von Feuerwehr, Rettungsdienst sowie<br />
Katastrophenschutz zu bewältigen.<br />
Das Handbuch hat folgende Gliederung:<br />
•Einleitung mit Inhaltsverzeichnis<br />
•Kenndaten der Veranstaltung<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 5
GRUNDLAGEN<br />
•Zweck und Notwendigkeit<br />
•Geltungsbereich<br />
•Begriffe<br />
•Zuständigkeiten<br />
•Beteiligte Einsatzkräfte<br />
•Anforderungen und Alarmierung<br />
•Notfallrouten<br />
•Heranführung von Einsatzkräften<br />
•Krankenhausrouten<br />
•Führung und Leitung<br />
•Allgemeine Führungsorganisation<br />
•Besondere Führungsorganisation<br />
•Kommunikation<br />
•Information<br />
•Logistik<br />
•Operative Gefahrenabwehr<br />
•Räumung und Evakuierung<br />
•Massenanfall von Verletzten (MANV)<br />
•Bedrohungen<br />
•Besondere Lagen<br />
•Externe Veranstaltungen<br />
•Mitgeltende Unterlagen<br />
•Anlagen<br />
Die einzelnen WM-Austragungsorte orientieren<br />
sich an dieser Gliederung und setzen die Maßnahmen<br />
um, die aufgrund der örtlichen Gegebenheiten,<br />
was Personal und Gerät anbelangt, notwendig sind.<br />
Besonders wichtig erscheint die Auseinandersetzung<br />
mit der Einsatzabwicklung eines Massenanfalls<br />
von Verletzten (MANV). Hier sind Vorkehrungen<br />
zu treffen, um ca. 1000 bis 1200 Verletzte vor Ort<br />
möglichst unter rettungsdienstlichem Standard versorgen<br />
zu können (ca. 2% der Zuschauerkapazität des<br />
jeweiligen Stadions). Neben der notwendigen rettungsdienstlichen<br />
Infrastruktur durch Aufbau und Betrieb<br />
von 14 Behandlungsplätzen (mobile Versorgung<br />
von ca. 50 Verletzten mithilfe von Zelten und<br />
Ausstattung zur Sichtung und Behandlung von Verletzten<br />
sowie Bereitstellung von Ärzten, Rettungsassistenten<br />
bzw. Rettungssanitäter, weiterem Hilfspersonal<br />
und Transportkapazität durch Rettungswagen),<br />
und der Einbindung von Krankenhäusern zur Weiterversorgung<br />
von Patienten ist auch eine effektive<br />
Führungsstruktur vorzusehen. Es sind nahezu 1500<br />
Helferinnen und Helfer zu führen und die notwendige<br />
Koordination, Einbindung und Information<br />
einer Vielzahl von weiteren Behörden sowie Organisationen<br />
zu veranlassen.<br />
6 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Letztlich müssen auch noch vor dem „ersten<br />
Anpfiff“ Maßnahmen umgesetzt werden, die einer<br />
Abstimmung, ob nun konzeptionell oder materiell,<br />
bedürfen. Beispielhaft zu nennen sind hier:<br />
•Interdisziplinäre Zusammenarbeit der Polizei mit<br />
den kommunalen Gefahrenabwehrbehörden<br />
•Versorgung/Registrierung von Verletzten<br />
•Bevorratung von Sanitätsmaterialien sowie Medikamenten<br />
•Funktechnik sowie Unterstützung der Leitstellen<br />
•Bewältigung von ABC-Gefahren sowie besonders<br />
<strong>Dekontamination</strong> von Verletzten sowie weiteren<br />
Betroffenen<br />
•Führungsunterstützung als überörtliche Hilfestellung<br />
in personeller sowie materieller Hinsicht und<br />
•Finanzierung der notwendigen Maßnahmen durch<br />
die einzelnen Länder.<br />
Es ist nunmehr vorgesehen, diese v.g. Problembereiche<br />
noch einer Lösung zuzuführen — dies auch<br />
vor dem Hintergrund, eine einheitliche Verfahrensweise<br />
für alle zwölf Austragungsorte zu finden.<br />
Schlussbetrachtung<br />
Die Fußball-WM 2006 stellt die Behörden und<br />
Organisationen mit Sicherheitsaufgaben in den Austragungsstädten<br />
vor große Herausforderungen. Trotz<br />
unterschiedlicher Zuständigkeiten und der föderalen<br />
Struktur der Bundesrepublik Deutschland gilt es, ein<br />
möglichst einheitliches nationales Sicherheitskonzept,<br />
auch für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr, zu<br />
institutionalisieren. Mit den hier gemachten Vorschlägen<br />
wird ein Konzept vorgelegt, um diesem Anspruch<br />
gerecht zu werden. Auch gilt es, ortsspezifische Besonderheiten<br />
und gewachsene bzw. vorhandene Ressourcen<br />
zu bündeln und für dieses internationale Großereignis<br />
zu optimieren. Auch lässt sich aus den hier<br />
gemachten Erfahrungen für eine zukünftige Bewältigung<br />
von Großschadenlagen Grundlagen festhalten,<br />
die es gilt, in einschlägige Vorschriften aufzunehmen<br />
und somit eine Optimierung der Gefahrenabwehr<br />
zu erreichen.
Einsatzkonzept ÜMANV –<br />
„MANV überörtlich“<br />
Organisation rettungsdienstlicher Großschadenslagen in NRW<br />
Dr. rer. nat. Jörg Schmidt – Stellv. Abteilungsleiter Rettungsdienst der Berufsfeuerwehr Köln<br />
Die neue Bedrohung durch terroristische Anschläge<br />
hat die Berufsfeuerwehr Köln veranlasst, zusammen<br />
mit mehreren rheinischen Städten und Kreisen ein<br />
Konzept zur gegenseitigen Unterstützung bei Schadensfällen<br />
von bis zu 1 000 Verletzten aufzustellen<br />
und umzusetzen.<br />
Der Massenanfall von Verletzten (MANV) ist<br />
in der Anfangsphase gekennzeichnet durch einen<br />
Ressourcen-Mangel an Behandlungskapazitäten über<br />
einen unklaren Zeitraum. Im Verlauf des Einsatzes<br />
wird durch eintreffende Einheiten der Ressourcen-<br />
Mangel vor Ort ausgeglichen, nicht in gleichem Maße<br />
jedoch in den in der Rettungskette folgenden Kliniken<br />
– durch beide Entwicklungen steigt der Koordinationsbedarf<br />
der Gefahrenabwehr-Maßnahmen. Dieser<br />
Koordinationsbedarf ist unvorbereitet nicht führungstechnisch<br />
zu bewältigen. Erschwerend kommt<br />
hinzu, dass Groß-Einsätze des Rettungsdiensts wegen<br />
der dauerhaft bestehenden Gefahr für Menschenleben<br />
fast über die gesamte Einsatzzeit kritisch bleiben<br />
und kaum eine statische Phase erreichen, wie zum<br />
Beispiel Brandeinsätze („Feuer in Gewalt“).<br />
Hier muss eine Vorplanung greifen, die aus Einsatzplanung,<br />
Schulung und Übung besteht. Die Übung<br />
hat besondere Bedeutung, da sie bei einer seltenen<br />
Einsatzlage zu einer Routine bei eher vom Tagesgeschäft<br />
abweichender Maßnahmen führen soll.<br />
In Nordrhein-Westfalen sind durch die Arbeitsgemeinschaft<br />
der Leiter der Berufsfeuerwehren (AGBF)<br />
und die Hilfsorganisationen in den vergangenen 15<br />
Jahren Konzepte zur Versorgung von 50 Patienten<br />
innerhalb eines Kreises oder einer kreisfreien Stadt<br />
entwickelt worden (MANV 50 = Reisebus-Unfall).<br />
Diese Konzepte fußen auf einer Bündelung<br />
der (Behandlungs-) Ressourcen, einer Aufgaben-Prio-<br />
risierung (d. h. Patienten-Sichtung) und einer Pufferung<br />
des Patienten-Flusses. Im Ergebnis erhält man<br />
ein 3-Stufen-Modell aus Patientenablage, Behandlungsplatz<br />
und Patienten-Verteilung. Die Patientenablage<br />
ist Schnittstelle zur technischen Rettung und<br />
erster Puffer durch lebensrettende Sofortmaßnahmen,<br />
der anschließende Behandlungsplatz die Bündelung<br />
der Behandlungsressourcen zur weiteren Pufferung.<br />
Sichtungen unterschiedlicher Qualität finden<br />
an den jeweiligen Ein- und Ausgängen statt.<br />
Dieses System für 50 Patienten ist in NRW<br />
weit verbreitet und einsatzerprobt. Für den Bereich<br />
Patientenablage und Behandlungsplatz sind um 100<br />
Einsatzkräfte unterschiedlicher Qualifikation vorgesehen<br />
(Führungskräfte, Ärzte, Rettungsdienstler,<br />
Helfer, Logistiker). Dieser Einsatzabschnitt alleine<br />
erreicht somit Verbandsstärke.<br />
Im Konzept „ÜMANV“ werden die Komponenten<br />
der beteiligten rheinischen Kreise und Städte<br />
zusammengeführt: Dazu werden Leistungen standardisiert,<br />
die gegenseitig angefordert werden können<br />
(Erstversorgung, Behandlung, Transport) — die technische<br />
Ausgestaltung ist örtlich unterschiedlich und<br />
wird nicht angetastet. Behandlungsplätze sind die<br />
größte Leistung und werden als autarke unteilbare<br />
Einheit entsandt. Sie bekommen einen festen Einsatzabschnitt<br />
mit Patientenablagen zugewiesen, dadurch<br />
werden sie zu einer taktischen Einheit: dem<br />
Behandlungsplatz-Verband. Neben dem örtlichen Einsatzabschnitt<br />
müssen zusätzlich Ressourcen an Rettungstransportfahrzeugen<br />
und Klinik-Kapazitäten zugeteilt<br />
werden.<br />
Das Konzept konnte in drei Übungen mit 150,<br />
250 und 350 Patienten erfolgreich erprobt werden.<br />
Die Ergebnisse dieser Übungen haben zu weiteren<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 7
GRUNDLAGEN<br />
Verfeinerungen des Konzepts geführt und darüber<br />
hinaus auch zu Optimierung der beteiligten Mikrostrukturen,<br />
der Behandlungsplätze.<br />
Als Herausforderung beim rettungsdienstlichen<br />
Großeinsatz sind das Erkennen und Versorgen der akut<br />
Lebensbedrohten unter den Ereignis-Betroffenen auszumachen.<br />
Diese akut Lebensbedrohten sind lageabhängig<br />
vorrangig zu behandeln und frühestmöglich<br />
koordiniert in Kliniken zu transportieren. Auf den<br />
frühestmöglichen Transport ist im Gegensatz zu älteren<br />
statischen Konzepten (Dogma „Transport-Stopp“)<br />
stärker Wert zu legen, da z. B. Verletzte mit schweren<br />
inneren Blutungen nur auf dem OP-Tisch vor dem<br />
Tod bewahrt werden. Dieses verlangt den Führungskräften<br />
— Taktikern wie Ärzten — eine höhere Dyna-<br />
Führungsorganisation mit einem Behandlungsplatz.<br />
RMPH=Rettungsmittelhalteplatz (Teilbereich des UA „V+D“)<br />
mik und andauernde Lagebeurteilung von Gefahren<br />
und Ressourcen ab.<br />
Mit diesem Wissen muss die Patientenverteilung<br />
(und zugehörige Dokumentation) optimiert werden,<br />
auch am Ausgang des Behandlungsplatzes. Die<br />
Patientenverteilung ist verfahrenstechnisch gesehen ein<br />
mathematisches Zuordnungsproblem: Einem Patienten<br />
mit bestimmten Krankheitsbild ist eine geeignete<br />
Behandlungskapazität in einer Klinik und ein Fahrzeug<br />
mit geeigneter technischer und personeller Ausstattung<br />
zuzuordnen. Danach sind alle Zuordnungsinformationen<br />
zusammenzuführen (Dokumentation)<br />
und bedarfsabhängig der Fahrzeugbesatzung zu übermitteln.<br />
Dieses zweite Komplexitätsproblem des Massenanfalls<br />
von Verletzten oder Erkrankten ist eben-<br />
8 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
falls nur durch Einsatzplanung, Schulung und Übung<br />
zu bewältigen. Die Einsatzplanung umfasst hier die<br />
taktisch aufbereitete Erfassung vorgeplanter Klinik-<br />
Kapazitäten im Schadensfall (Unterschied zum Regelgeschäft!)<br />
und geeignete Verfahren zur Lagedarstellung<br />
und Dokumentation. Eine Echtzeit-Abfrage von<br />
Klinik-Kapazitäten für mehr als 100 Patienten erweist<br />
sich derzeit als nicht zeitgerecht leistbar.<br />
Weitere Herausforderungen beim rettungsdienstlichen<br />
Großeinsatz finden sich im Führen und<br />
in der notwendigen Logistik: Auswärtige Marsch-Verbände<br />
und Rettungsmittel sind in fernstraßennahen<br />
Sammelräumen, die sie ohne funkbelastenden Abstimmungsbedarf<br />
erreichen, zu empfangen und durch<br />
Lotsen in den Bereitstellungsraum oder die Einsatzstelle<br />
zu bringen. Bereitstellungsräume<br />
erreichen<br />
Größen abseits der Routine,<br />
dafür ist eine ausreichende<br />
Infrastruktur<br />
vorzuplanen und Personal<br />
— insbesondere Führungskräfte<br />
— zu schulen.<br />
Die Rettungstransporte<br />
erfolgen größtenteils<br />
durch auswärtige<br />
Fahrzeuge. Ihre Besatzungen<br />
benötigen Routenpläne<br />
— nicht nur um die<br />
zugeordnete Zielklinik in<br />
fremdem Gebiet zu finden,<br />
sondern auch um<br />
Verkehrswege gleichmäßig<br />
auszulasten. Diese<br />
Routenvergaben müssen vor Ort organisiert sein,<br />
auch hier greift wieder die Einsatzplanung.<br />
Das Einsatzkonzept „ÜMANV“ stellt ein funktionsfähiges<br />
Konzept für rettungsdienstliche Großschadensfälle<br />
mit bis zu 1.000 Betroffenen, lageabhängig<br />
auch mehr, dar. In einfacher Weise verknüpft<br />
es die notfallmedizinische Großschadensabwehr von<br />
Stadt- und Landkreisen. Diese Makrostruktur setzt<br />
eine funktionsfähige Mikrostruktur voraus. Beides bedingt<br />
eine sorgfältige Einsatzplanung, Schulung aller<br />
Beteiligten und regelmäßige Übung .<br />
Die Projektgruppe der rheinischen Städte und<br />
Kreise setzt ihre Arbeit zusammen mit der Akademie<br />
für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz<br />
(AKNZ) fort.
Das THW ist für die<br />
WM 2006 gerüstet<br />
Von Olaf Nentwig, THW<br />
Die FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ist<br />
das sportliche und gesellschaftliche Ereignis im kommenden<br />
Jahr in Deutschland. Die erfolgreiche Organisation<br />
dieses Großereignisses erfordert ein hohes<br />
Maß gemeinsamen Handelns aller beteiligten Stellen.<br />
Das Technische Hilfswerk (THW) bereitet sich auf<br />
die WM 2006 vor und steht den Austragungsorten<br />
sowie den zuständigen Stellen auf Bundes-, Landesund<br />
kommunaler Ebene mit seinem Potenzial in der<br />
Gefahrenabwehr als verlässlicher Partner zur Seite.<br />
Darüber hinaus stehen Fachberater des THW für die<br />
Stäbe auf allen Ebenen für eine effiziente Zusammenarbeit<br />
zur Verfügung.<br />
Für ein breites Einsatzspektrum stehen 667<br />
Ortsverbände mit ihren Technischen Zügen und 13<br />
verschiedenen Fachgruppen. Im Vorfeld und während<br />
der WM legt das THW ein besonderes Augenmerk<br />
auf die Umsetzung des Musterkonzepts Katastrophenschutz<br />
und damit unter anderem auf die folgenden<br />
Einsatzfelder: Unterstützung der zuständigen Führungsstellen,<br />
großflächige Beleuchtung, Instandhaltung<br />
der Infrastruktur, Herrichten von Bereitstellungsräumen,<br />
Lotsen- und Absperrdienste sowie Logistik.<br />
Pro Spielort stehen hierfür allein 225 Helfer für alle<br />
Fälle und eine Einsatzreserve von hundert bereit.<br />
Zu den Aufgaben des THW gehören zum<br />
Beispiel die<br />
•Unterstützung der Führungsstellen in Zusammenarbeit<br />
mit den zuständigen Stellen,<br />
•die Versorgung im Bereich der Verpflegung, Verbrauchsgüter<br />
und Materialerhaltung,<br />
•die temporäre Stromversorgung mittels Netzersatzanlagen<br />
für Schaden- bzw. Einsatzstellen und Notunterkünfte,<br />
•die Schaffung und Sicherung von Zu- und<br />
Abfahrtswegen,<br />
•das großflächige Ausleuchten von Einsatz- und<br />
Arbeitstellen sowie<br />
•die Rettung von Menschen und Tieren und Bergung<br />
von Sachwerten aus Gefahrenlagen.<br />
Die besonderen Vorbereitungen für die WM<br />
werden von Spezialkräften abgerundet, die das breite<br />
Einsatzspektrum ganz gezielt ergänzen. Gegenstand<br />
sind die schwere Bergung unter ABC-Schutz, eine mobile<br />
und hochspezialisierte Ortungskomponente, Spezialkräfte<br />
zur Beurteilung der Standsicherheit von Gebäuden<br />
sowie die Weitverkehrstrupps zur Unterstützung<br />
im Bereich BOS-Funk. Diese Kräfte werden<br />
nur an ausgewählten Standorten vorgehalten. Durch<br />
die Luftverlastbarkeit (ausgenommen Weitverkehrstrupp)<br />
sind sie bundesweit verfügbar.<br />
ABC-Schutz im THW<br />
Mit der neu aufgebauten Spezial-Einheit-Bergung<br />
ABC (SEB-ABC) stellt das THW pünktlich zur<br />
WM 2006 neue Einsatzoptionen vor.<br />
In Folge der Anschläge vom 11. September<br />
2001 und der Flutkatastrophe 2002 verabschiedete<br />
die Ständige Konferenz der Innenminister und<br />
Innensenatoren der Länder (IMK) die „Neue Strategie<br />
zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland“.<br />
Diese Strategie stellt auch die Bedeutung des ABCund<br />
Seuchenschutzes heraus.<br />
Das THW hat auf die möglichen neuen Bedrohungen<br />
durch ABC- (Kampf-) Stoffe reagiert und vorbereitende<br />
Maßnahmen für unterschiedliche Einsatzszenarien<br />
getroffen. So wurden u.a. Bereichsausbilder<br />
Atemschutz für das „Verhalten bei ABC-Gefahren“<br />
ausgebildet und diverse Sonderausstattung im Rahmen<br />
des sog. Anti-Terror Programms der Bundesregierung<br />
für den Eigenschutz der Helfer beschafft.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 9
GRUNDLAGEN<br />
Die Spezial-Einheit-Bergung ABC soll gewährleisten,<br />
dass das THW seine originären Aufgaben,<br />
wie technische Hilfe, das Orten und die Rettung verschütteter<br />
Personen sowie Bergung und Räumen mit<br />
schwerem Gerät auch in kontaminiertem Umfeld<br />
durchführen kann. Für die Erkundung und die ab-<br />
Zu den Aufgaben der neu aufgebauten Spezial-Einheit-Bergung ABC (SEB-ABC) gehören Bergung und<br />
Rettung von Personen unter ABC-Schutz in kontaminiertem Gebiet.<br />
(Foto: THW)<br />
schließende <strong>Dekontamination</strong> bleiben die Fachstellen<br />
zuständig. Unterstützung ist allerdings auch hier<br />
durch THW-Fachgruppen denkbar. Etwa für den<br />
Aufbau von <strong>Dekontamination</strong>splätzen, Elektro- und<br />
Wasserversorgung sowie Brauch- und Trinkwasseraufbereitung.<br />
10 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Insgesamt 16 Spezialeinheiten, verteilt auf das<br />
gesamte Bundesgebiet sind geplant. Die Aufstellung<br />
erfolgt nach taktischen Gesichtspunkten. Die erste<br />
Aufbauphase wird mit zwei Einheiten pünktlich zur<br />
Fußball-WM abgeschlossen. Die SEB-ABC rekrutiert<br />
sich aus maximal drei Ortsverbänden und setzt sich<br />
aus einem Technischem<br />
Zug mit einer Fachgruppe<br />
Ortung und einem<br />
Technischem Zug mit<br />
der Fachgruppe Räumen<br />
zusammen.<br />
Die Ausstattung<br />
der SEB-ABC ist luftverlastbar<br />
und kann in Zusammenarbeit<br />
mit der<br />
Bundespolizei an die jeweiligen<br />
Einsatzorte verlegt<br />
werden. Ausstattung,<br />
die nicht luftverlastbar<br />
ist, wird durch einen<br />
Ortsverband vor Ort<br />
gestellt.<br />
Die SEB-ABC ist<br />
mit umfangreicher<br />
Schutzkleidung in verschiedenen<br />
Schutzstufen<br />
ausgestattet. Ergänzt<br />
durch eine <strong>Dekontamination</strong>sausstattung<br />
für<br />
die Stufe 1.<br />
Das bedeutet:<br />
•semipermeable Schutzkleidung,<br />
für längere<br />
Einsätze, wenn nur<br />
eine geringe Schutzstufe<br />
erforderlich ist<br />
•Impermeabler leichter<br />
Chemikalienschutzanzug,<br />
„Tyvek F“, mit<br />
montierten Handschuhen<br />
und Dichtmanschette<br />
(nicht gasdicht, jedoch Flüssigkeits- und<br />
Partikeldicht)<br />
•Impermeabler Chemikalienschutzanzug (gasdicht)<br />
für die höchste Schutzstufe, wenn Arbeiten im<br />
direkten Gefahrenbereich notwendig sind.
BW und WM<br />
Unterstützungsleistungen der Bundeswehr<br />
im Rahmen der FIFA-WM 2006<br />
Von Oberst i. G. Volker Fritze<br />
Vertreter des Organisationskomitees WM 2006, der<br />
Länder, Kreise und Kommunen wurden anlässlich<br />
des „Fachkongress WM 2006“ (24.-26.01.2005) der<br />
AKNZ auf das Erfordernis der konkreten und detaillierten<br />
Einzelanforderung von gewünschten Unterstützungsleistungen<br />
durch die Bundeswehr hingewiesen.<br />
Dieser Aufforderung wurde gefolgt. Das Bundesministerium<br />
für Verteidigung (BMVg) hat in der<br />
Zwischenzeit aus fast allen Bundesländern entsprechende<br />
Anforderungen erhalten, die zurzeit im Hause<br />
ausgewertet werden.<br />
Die Wünsche der Austragungsstädte<br />
Eine Erstauswertung der vorliegenden Unterstützungsforderungen<br />
(Stand 04.10.2005) ergab, dass<br />
seit dem 15. September 88 Anträge mit unterschiedlichem<br />
Umfang eingegangen sind. Anträge aus dem<br />
Land Nordrhein-Westfalen sind im Rahmen der letzten<br />
Bund-Länder-Ausschusssitzung (29.09.2005) nunmehr<br />
für den 31.10.2005 angekündigt worden. Erst<br />
danach kann eine abschließende Auswertung und<br />
abgestimmte Einsatzplanung erfolgen.<br />
Erwartungsgemäß beinhalten die bisher vorliegenden<br />
Anträge im Wesentlichen den Unterstützungsbedarf<br />
in den Fähigkeiten<br />
•ABC-Abwehr,<br />
•medizinische Versorgung,<br />
•Transportkapazität für Verletzte (Land, Luft) sowie<br />
•allgemeine logistische Unterstützung.<br />
In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass<br />
die Kostenfrage geklärt werden muss. Dabei geht es<br />
generell um Kosten für Bw-Kräfte, die in Liegenschaften<br />
bereitgehalten werden. Insbesondere ist auch<br />
die Frage zu klären, wie die Kosten zu bewerten<br />
sind, die entstehen, wenn Bw-Kräfte ihren Bereithaltungsort<br />
in einer anderen Bw-Liegenschaft haben<br />
und daher verlegt werden müssen.<br />
Die möglichen Unterstützungsleistungen<br />
Die möglichen Unterstützungsleistungen der<br />
Bundeswehr werden im Wesentlichen derzeit von<br />
folgenden drei Faktoren beeinflusst:<br />
•ist der Einsatz der für NRF 7 (Kräfte, die im Rahmen<br />
der Verpflichtungen gegenüber der NATO für<br />
einen kurzfristigen Einsatz bereitgehalten werden)<br />
bereitgehaltenen Kräfte — hier: speziell der Kräfte<br />
der ABCTruppe — möglich?<br />
•in welcher Form wird das Kontingent — vor allem<br />
mit Fachexpertise — in Afghanistan aufgestockt?<br />
WBK I WBK II WBK III WBK IV<br />
Ort Anzahl Ort Anzahl Ort Anzahl Ort Anzahl<br />
Hamburg 15 Kaiserslautern 5 Berlin 12 Stuttgart 8<br />
Hannover 14 Franfurt 6 Leipzig 5 München 16<br />
Gelsenkirchen 0 Nürnberg 7<br />
Dortmund 0<br />
Köln 0<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
11
GRUNDLAGEN<br />
•wie wird sich die Lage in den Einsatzländern bis<br />
hin zur FIFA-Fußballweltmeisterschaft — und damit<br />
auch der Kräfteansatz der Bundeswehr — entwickeln?<br />
Situation im Sanitätsbereich<br />
Die Unterstützungsforderungen für den Zentralen<br />
Sanitätsdienst der Bundeswehr umfassen:<br />
•Ärzte und Anästhesisten,<br />
•Transportkapazitäten in Form von<br />
- 6 CH 53 (Großraumhubschrauber)<br />
- 5 Airbus A 310<br />
- 2 Transall C 160<br />
- 19 GRKTW (Großraumkrankentransportwagen)<br />
•3 Gestellungen eines Medical-Centers,<br />
•15 Sanitätsentseuchungsplätze (SanEPlätze),<br />
•Ausstattung mit BOS-Funk und Navigationssystemen.<br />
Damit werden die Möglichkeiten der Hilfeleistung<br />
deutlich überschritten, was man zum Beispiel<br />
an der Anzahl der angeforderten Lufttransportmittel<br />
sieht. Grundsätzlich möglich sind:<br />
•die Gestellung von Krankentragen und Tragenwagen,<br />
•die Mitbenutzung von stationären Bundeswehr-<br />
Einrichtungen wie Bundeswehrkrankenhäuser oder<br />
Sanitätszentren, sowie<br />
•der Aufbau und Betrieb eines Medical-Centers –<br />
analog zum Weltjugendtag. Dieses ist dem Austragungsort<br />
Kaiserslautern zugesagt.<br />
Für die Errichtung eines Medical-Centers<br />
muss der Antragsteller beachten:<br />
•Auf- und Abbauzeit je 10 Tage<br />
•der Untergrund (Boden) muss durch den Antragsteller<br />
vorbereitet werden,<br />
•der Antragsteller ist zuständig für logistische Zuund<br />
Ableitungen, für die fernmeldetechnische und<br />
•IT-technische Anbindung des Medical-Centers.<br />
Außerdem ist er für die Bewachung zuständig.<br />
Keine Zusagen kann es geben für die Gestellung<br />
von Airbus A 310 und Transall, da diese Fluggeräte<br />
in zu geringer Zahl vorhanden sind und auch<br />
für Bw-eigene Aufgaben verfügbar sein müssen.<br />
Die Sanitätsbusse (hier: GRKTW) sind aufgrund<br />
ihres Alters und Zustandes für Übungszwecke<br />
gesperrt. Ob sie für Einsatzzwecke — als Reserve —<br />
freigegeben werden, wird derzeit noch geprüft.<br />
12 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Neben den Besatzungen der CH 53, der Rettungsstellen<br />
und der Rettungsstationen können<br />
keine Ärzte, Assistenten und Anästhesisten abgestellt<br />
werden, da andernfalls die Grundversorgung in den<br />
Bundeswehrkrankenhäusern nicht mehr sichergestellt<br />
wäre. Dies gilt insbesondere auch unter dem<br />
Gesichtspunkt, dass diese stationären Einrichtungen<br />
ja in die Notfallplanungen einbezogen wurden.<br />
Bild 1 zeigt einen Vorschlag, der die räumliche<br />
Abdeckung der Spielorte mit den 2 CH 53<br />
betrifft. Diese Maschinen sind in Wunstorf sowie in<br />
Laupheim stationiert. Sie würden dort auf Abruf<br />
verbleiben, da jeweils mehrere Spiele parallel angesetzt<br />
sind.<br />
Bild 1<br />
Die Antragsteller müssen auf den Zeitfaktor<br />
der Heranführung hingewiesen werden. Außerdem<br />
ist den Anfordernden klar zu machen, dass die<br />
Voraussetzungen für Landeplätze für die CH-53 zu<br />
beachten sind (Rotorausmaße).<br />
Als Hintergrundinformation ist zu bedenken,<br />
dass der GRHS CH-53, der in Laupheim stationiert<br />
ist, laut Heeresführungskommando für die räumliche<br />
Abdeckung mit fliegender San-Transportkapazi-
tät eingeplant werden. Dieser Hubschrauber steht<br />
aber in nationaler Vorsorge bzw. in Vorsorge für die<br />
Einsatzländer Balkan. Eine Freigabe des Gerätes<br />
kann im konkreten Fall nur über die Bw-Führung<br />
erfolgen.<br />
Situation im ABC-Bereich<br />
Im Rahmen der der ABC-Abwehr wurden<br />
angefordert:<br />
•7 ABC-Fachberater,<br />
•2 <strong>Dekontamination</strong>splätze für Einsatzkräfte,<br />
•3 mobile Mess- und Laborkapazitäten bzw. Prüfkapazitäten<br />
sowie<br />
•4 Spürpanzer Fuchs<br />
Allgemein wird nach einer ersten Auswertung<br />
dieser Anforderungen weder ein Konzept noch eine<br />
den Anforderungen zugrunde liegende ABC-Risikobewertung<br />
ersichtlich.<br />
Es wird unseres Erachtens nicht deutlich, dass<br />
die eigenen Kapazitäten der Feuerwehren und des<br />
THW gerade bei den Spür- und <strong>Dekontamination</strong>sfähigkeiten<br />
ausgenutzt werden. Die zivilen ABC-<br />
Erkundungsfahrzeuge, von denen ja über 370 Stück<br />
in den Kreisen stehen, haben mindestens die gleichen<br />
Detektionsfähigkeiten wie die Spürfahrzeuge<br />
der Bundeswehr.<br />
Es wird in der Regel kein Unterschied zwischen<br />
der <strong>Dekontamination</strong> von Verletzten und Einsatzkräften<br />
gemacht. Diese Unterscheidung ist aber<br />
gerade beim Einsatz von C-Kampfstoffen zu beachten.<br />
Bei einer A-Kontamination kann ein militärischer<br />
Dekon-Platz (TYP HEP oder TEP) auch für die Zivilbevölkerung<br />
eingesetzt werden, jedoch nicht für die<br />
<strong>Dekontamination</strong> verletzter ungeschützter Personen.<br />
Diese Einrichtungen sind für die <strong>Dekontamination</strong><br />
von Einsatzkräften gedacht, die mit ABC-Schutzausrüstung<br />
ausgerüstet sind.<br />
Es gibt spezielle SEP, die für die <strong>Dekontamination</strong><br />
von Verletzten ausgelegt sind. Sie bedürfen<br />
allerdings einer anderen Ausstattung.<br />
Für die Einrichtung von <strong>Dekontamination</strong>splätzen<br />
sind von der zivilen Seite außerdem folgende<br />
Vorraussetzungen zu schaffen:<br />
•Wasseranschluss,<br />
•Möglichkeiten zur Einlagerung von Dekon-Mitteln,<br />
•Genehmigung der Einleitung verunreinigten Wassers<br />
in das Abwassersystem.<br />
Grundsätzlich möglich sind im Bereich der<br />
ABC-Abwehr die nachfolgenden Unterstützungsleistungen:<br />
•Einsatz von Fachberatern ABC<br />
•Einsatz von 2 HEP / TEP zur Dekontaminierung<br />
von Einsatzkräften (geschütztes Personal)<br />
•Einsatz von 4 ABC-Aufklärern (Fuchs/Tiger)<br />
Eingeschränkt ist die Nutzung stationärer<br />
Laborkapazitäten der Bundeswehr möglich. Dazu<br />
gehören:<br />
•stationäre Labors des Zentralen Sanitätsdienstes,<br />
•das Wehrwissenschaftliche Institut für Schutztechnologien<br />
(WIS) in Munster.<br />
Auch mobile Mess- und Laborkapazität für den<br />
Bereich A/C ist vorhanden. Allerdings gibt es sie im<br />
Bereich der ABC-Abwehrtruppe nur einmal. Eine<br />
Entseuchung ist grundsätzlich im Zusammenwirken<br />
mit dem Sanitätsdienst — wenn auch eingeschränkt —<br />
möglich.<br />
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen,<br />
dass auch die Bundeswehr über B-Aufklärungselemente<br />
nur in sehr begrenztem Umfang verfügt.<br />
Darüber hinaus existiert im Sanitätsdienst eine<br />
entsprechende stationäre Laborkapazität.<br />
Die Bundeswehr hat in ihren Depots auch<br />
Antidote. Es ist jedoch allgemein bekannt, dass die<br />
zivile Seite selbst diverse Antidote bevorratet hat.<br />
Eine Überprüfung dieser Anfrage ist daher noch vorgesehen.<br />
Fazit<br />
Die Bundeswehr steht zur Verfügung, um die<br />
zivile Seite bei der Gewährleistung der Sicherheit<br />
während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zu unterstützen.<br />
Dies kann aber nur unter Berücksichtigung<br />
der aktuell verfügbaren Kapazitäten und unter Berücksichtigung<br />
des Subsidiaritätsprinzips geschehen. Ferner<br />
muss die Kostenregelung beachtet werden.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 13
GRUNDLAGEN<br />
Bundespolizei und<br />
Katastrophenschutz<br />
Von Nico Marchlewski<br />
„Wir sind mit Sicherheit dabei!“ ...<br />
... heißt es für die rund 40.000 Angehörigen<br />
der Bundespolizei bei der FIFA Fußball-WM 2006<br />
in Deutschland. Alle verfügbaren Kräfte sowie Führungs-<br />
und Einsatzmittel werden für mehrere Wochen<br />
rund um die Uhr hauptsächlich im Rahmen der<br />
eigenen Aufgaben und bei Notwendigkeit zur Unterstützung<br />
der Polizeien der Länder oder anderer Behörden<br />
eingesetzt, um die größtmögliche Sicherheit<br />
bei diesem Großereignis zu gewährleisten.<br />
Die Bundespolizei wird im Rahmen ihrer bundesweiten<br />
Zuständigkeit (vor allem als Grenz- und<br />
Bahnpolizei und im Bereich der Luftsicherheit) gemeinsam<br />
mit den Polizeien der Länder und in enger<br />
Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden<br />
sowie dem Veranstalter für<br />
einen reibungslosen und<br />
sicheren Verlauf der<br />
WM 2006 sorgen.<br />
Die Sicherheitskooperationen<br />
mit den<br />
Polizeien der<br />
Länder und die<br />
Ordnungspartnerschaft<br />
mit<br />
der DB AG<br />
bieten hierzu<br />
gute Voraussetzungen.<br />
Die Vorbereitungen<br />
haben bereits<br />
vor mehreren Jahren begonnen<br />
und laufen auf Hochtouren. Die<br />
Bundespolizei bereitet sich in allen<br />
Aufgabenbereichen gezielt auf die Fußballweltmeisterschaft<br />
vor. Alle geplanten polizeilichen<br />
Maßnahmen sind in einem „Einsatzkonzept<br />
14 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
der Bundespolizei aus Anlass der WM 2006“<br />
beschrieben.<br />
In Sankt Augustin wurde ein Vorbereitungsstab<br />
WM 2006 eingerichtet, der die einzelnen Aktivitäten<br />
der Behörden und Dienststellen der Bundespolizei<br />
koordiniert. Er ist damit gleichzeitig der zentrale<br />
Ansprechpartner für andere Behörden und<br />
Institutionen für alle Belange der Bundespolizei und<br />
wird bis zur WM 2006 zu einem Führungsstab aufwachsen.<br />
Katastrophen- und Notfallhilfe<br />
durch die Bundespolizei<br />
Im Rahmen ihrer originären Aufgabenwahrnehmung<br />
hält die Bundespolizei eine größere Anzahl<br />
von Spezialkräften und Spezialgerät vor. Diese speziellen<br />
Einsatzkräfte und –mittel können im Rahmen<br />
der Katastrophen- und Notfallhilfe auf<br />
Anforderung den Ländern und Kommunen<br />
zur Verfügung gestellt werden, sofern sie<br />
nicht für die Erfüllung eigener Aufgaben<br />
benötigt werden.<br />
Neben der technischen Katastrophenhilfe<br />
kann die Bundespolizei auch<br />
polizeiliche Katastrophenhilfe zur Unterstützung<br />
der zuständigen Länderpolizei<br />
leisten.<br />
Die Rechtsgrundlage für den Einsatz der<br />
Bundespolizei ergibt sich aus Artikel 35 GG in Verbindung<br />
mit der Bundespolizeikatastrophenhilfeverwaltungsverordnung<br />
(BPOLKatHiVwV). Danach leistet<br />
die Bundespolizei technische oder polizeiliche<br />
Katastrophenhilfe, wenn eine zuständige Behörde<br />
oder Stelle eines Landes hierzu Kräfte der Bundespolizei<br />
anfordert oder die Bundesregierung unter den<br />
Voraussetzungen des Artikels 35 Abs. 3 des Grund-
gesetzes Einheiten der Bundespolizei hierzu einsetzt.<br />
Der Umfang der möglichen Hilfeleistungen<br />
umfasst den Einsatz von Personal, Kraftfahrzeugen,<br />
Hubschraubern, Wasserfahrzeugen, Spezialgerät,<br />
Material für Notunterkünfte und Einsatzküchen.<br />
Auf Grund ihrer Ausstattung ist die Bundespolizei<br />
in der Lage entsprechende Szenarien autark<br />
zu bewältigen.<br />
Aufbau der Technischen Dienste<br />
Die Bundespolizei verfügt über unterschiedlich<br />
ausgestattete technische Einsatzdienste. Über das<br />
Bundesgebiet verteilt sind dies vier Technische Einsatzdienste<br />
schwer (TED-s), ein Technischer Einsatzdienst<br />
mittel (TED-m) und sechs Technische Einsatzdienste<br />
leicht (TED-l). Diese sind bei den Bundespolizeiabteilungen<br />
angegliedert.<br />
Aufgaben, welche der TED-l erfüllen kann:<br />
•Absperreinsatz,<br />
•Beseitigen von Barrikaden,<br />
•Ausleuchten von Objekten und Einsatzräumen,<br />
•Retten und Bergen,<br />
•Brandschutz,<br />
•die Suche nach „Unkonventionellen Spreng- und<br />
Brandvorrichtungen“ (USBV),<br />
•Maßnahmen zur ABC-Abwehr,<br />
•Eindringen in Gebäude oder Wohnungen (beschädigungsfrei,<br />
beschädigungsarm und zerstörend)<br />
und<br />
•Öffnen von Behältnissen mit mechanischen<br />
Mitteln.<br />
Weitergehende Möglichkeiten des TED-m:<br />
•Retten von Einsatzkräften,<br />
•Bergen von Einsatzmitteln aus Gefahrenbereichen,<br />
•Sicherstellen von Beweismitteln auch mit Schutzbekleidung<br />
und umluftunabhängigem Atemschutz,<br />
•Transport von Einsatzmitteln und -material mit<br />
weiteren Spezial-Kfz,<br />
•Behelfsmäßige <strong>Dekontamination</strong> von Einsatzkräften<br />
und<br />
•Technische Maßnahmen in Höhen und Tiefen<br />
(Höhenintervention, Höhenrettung).<br />
Der TED-s hat die größten Möglichkeiten<br />
und kann zusätzlich zu den Aufgaben des TED-l<br />
und TED-m noch folgende Aufgaben bewältigen:<br />
•Tauchdienst, u.a. Unterwassersuche und -bergung<br />
zur Gefahrenabwehr und Beweissicherung,<br />
•Transport von Einsatzmitteln und -material mit<br />
zusätzlichen Spezial-Kfz,<br />
•Ausleuchtung größerer Einsatzstellen,<br />
•Energie- und Wasserversorgung und<br />
•Einsatz von schwerem Bergungsgerät (Radlader,<br />
Raupe)<br />
Einsatzmittel der Bundespolizei<br />
•Bergungs- und Rettungsgerät inklusive Höhenrettungsausstattung,<br />
•Räum- und Blockadebeseitigungsgerät,<br />
•Einmann-Motorsägen und Freischneidgerät,<br />
•verschiedenen Drehstromaggregate,<br />
•Scheinwerfer- und Beleuchtungsgerät (u.a. Powermoon<br />
1000),<br />
•Suchgerät und Metalldetektoren,<br />
•verschieden Boote (Schlauchboote und Mehrzweckboote),<br />
•Atemschutzgeräte,<br />
•Vollschutzanzüge,<br />
•Hitzeschutzanzüge,<br />
•Tauchereinsatzausstattung,<br />
•verschiedene Spezialfahrzeuge und Anhänger,<br />
•Lichtmastkraftwagen,<br />
•Lichtmastanhänger,<br />
•UNIMOG mit Frontschaufel und Ladekran,<br />
•LKW in Ausführung von 5-10 t,<br />
•Radlader,<br />
•Raupen,<br />
•<strong>Dekontamination</strong>sanlagen,<br />
•Trinkwasseraufbereitungsanlagen und<br />
•Wasserwerfer.<br />
Außerdem steht im Katastrophen- und Nothilfefall<br />
die Hubschrauberflotte der Bundespolizei,<br />
verteilt auf fünf Fliegerstaffeln und sechs Außenstellen<br />
im Bundesgebiet, bereit. Darüber hinaus werden<br />
15 Luftrettungsstationen durch die Bundespolizei<br />
bedient. Die Bundespolizeifliegergruppe verfügt derzeit<br />
über 102 Hubschrauber in verschieden Ausführungen.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
15
GRUNDLAGEN<br />
Hubschrauber der Bundespolizeifliegergruppe:<br />
•Zivilschutzhubschrauber (BO 105, Bell 212)<br />
•Verbindungs- und Beobachtungshubschrauber<br />
(EC135)<br />
•leichte Transporthubschrauber (Bell 212, EC 155)<br />
•mittlere Transporthubschrauber (SA 330 PUMA,<br />
AS 332 L1 Super Puma)<br />
16 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Anforderungsverfahren und Kosten<br />
Im Katastrophen- und Nothilfefall steht die Hubschrauberflotte der Bundespolizei zur Verfügung; das<br />
Bild zeigt den Mittleren Transporthubschrauber SA 330 Puma beim Löscheinsatz in Portugal.<br />
(Foto: Bundespolizei)<br />
Einsatzspektrum im Rahmen der Katastrophenund<br />
Notfallhilfe<br />
Die Spannweite der Möglichkeiten der Bundespolizei<br />
hat diese schon in den unterschiedlichsten<br />
Einsätzen unter Beweis gestellt. Unterstützungsleitungen<br />
wie anlässlich des Oder-Hochwassers 1997<br />
und Elbe-Hochwassers 2002 sind möglich. Aber<br />
auch in Großschadenslagen wie dem ICE-Unglück<br />
in Eschede 1998 kann die Bundespolizei Hilfe leisten.<br />
Weitere Einsatzmöglichkeiten sind Gefahrgutlagen,<br />
Trinkwassermangel, Luftrettung, Lufttransport<br />
und Wasserrettung. Darüber hinaus können Löscheinsätze<br />
durch die Bundespolizei vom Boden und<br />
aus der Luft geleistet werden. Die Fliegergruppe der<br />
Bundespolizei kann dabei auf Erfahrungen aus den<br />
Löscheinsätzen in Frankreich und Portugal in den<br />
Jahren 2003 und 2005 zurückgreifen.<br />
Im Falle der Technischen Katastrophen- und<br />
Notfallhilfe kann die zuständige Behörde die Kräfte<br />
und Mittel unmittelbar bei den zuständigen Bundespolizeipräsidien<br />
anfordern. In dringenden Fällen<br />
kann eine Anforderung unmittelbar bei der jeweiligen<br />
Bundespolizeiabteilung erfolgen. Sind die Kräfte<br />
und Mittel nicht durch<br />
die originäre Aufgabenwahrnehmung<br />
der Bundespolizei<br />
gebunden,<br />
werden sie der anfordernden<br />
Stelle zur Verfügung<br />
gestellt.<br />
Eine Kostenerstattung<br />
erfolgt für die<br />
entstehenden Mehrkosten<br />
der Bundespolizei.<br />
Diese sind im Wesentlichen<br />
zusätzlich anfallenden<br />
Personalkosten<br />
(Überstunden), Betriebskosten<br />
sowie Kosten für<br />
die Instandsetzung und<br />
Ersatzbeschaffung und<br />
eventuelle Aufwendung,<br />
die durch Geltendmachung<br />
von Schadensersatzansprüchen<br />
Dritter<br />
entstehen.<br />
Während der Fußballweltmeisterschaft 2006<br />
wird für den Bereich der Bundespolizei der Führungsstab<br />
alle Maßnahmen der Bundespolizei zentral<br />
koordinieren, um auch im Falle einer Anforderung<br />
im Katastrophen- oder Notfall schnelle und<br />
gezielte Hilfe durch die Bundespolizei gewährleisten<br />
zu können. Weitere Informationen über die Bundespolizei<br />
können im Internet unter www.bundespolizei.de<br />
abgerufen werden.
Ausnahmezustand WM?<br />
„Deutschland möchte seine Gastfreundschaft als weltoffene<br />
Nation im Herzen Europas zeigen und den<br />
Gästen und Teilnehmern der Fußball-Weltmeisterschaft<br />
2006 das sichere und unbeschwerte Erleben<br />
dieses Ereignisses gewährleisten 1 .“ Kurzum: „Die Welt<br />
zu Gast bei Freunden!“ Doch was im Leitmotiv der<br />
Fußball-Weltmeisterschaft so unbeschwert daherkommt,<br />
stellt eine große Herausforderung für die<br />
Sportnation dar. Deutschland präsentiert sich während<br />
der Fußball-WM nicht nur den teilnehmenden<br />
Kickern der 32 Nationalmannschaften und den<br />
über drei Millionen erwarteten Zuschauern. Zudem<br />
werden bis zu 15.000 Journalisten über die Spiele<br />
und über die gastgebende Nation berichten — rund<br />
um den Globus, rund um die Uhr.<br />
Obwohl die FIFA-WM in erster Linie als Sportereignis<br />
betrachtet wird, kann sich die Berichterstattung<br />
nach den Terroranschlägen von 2001 nicht nur<br />
auf die sportlichen Events beschränken. Außerhalb<br />
der eigentlichen Spielberichterstattung steht das Thema<br />
Sicherheit ganz oben auf der medialen Agenda.<br />
Die umfassenden Sicherheitsvorkehrungen lenken<br />
nicht nur aus sich selbst heraus den Fokus auf dieses<br />
Thema. Die nach „Nine-Eleven“ 2 latent vorhandene<br />
Terrorangst in allen Teilen der Welt verlangt<br />
auch unter kommunikativen Gesichtspunkten eine<br />
proaktive Strategie. Das Ziel: Stärkung des subjektiven<br />
Sicherheitsgefühls. Die Botschaft: Wir sind vorbereitet,<br />
die Spiele sind sicher!<br />
Wenn Tausende von Journalisten über ein weltweit<br />
relevantes Sportereignis berichten, gelten für die<br />
Kommunikation eigene Gesetzmäßigkeiten. Zu den<br />
üblichen Medienmechanismen kommen folgende<br />
Aspekte hinzu:<br />
•hoher Medialisierungsdruck durch erhebliche<br />
Medienpräsenz vor Ort<br />
•latente Spekulationsbereitschaft<br />
ÖFFENTLICHKEIT<br />
Bevölkerungsinformation und Medienarbeit im Ereignisfall<br />
Von Torsten Hiermann<br />
•„Ereignisse“ treffen auf hohe Themensensibilität<br />
und besitzen per se einen hohen Nachrichtenwert<br />
•„Terrorreflex“<br />
•Medien erzeugen durch (kritische) Berichterstattung<br />
entsprechenden Handlungsdruck bei den<br />
Akteuren<br />
•die Akteure stehen im Fokus der Medien. Hierdurch<br />
entsteht — auch durch die Wechselwirkungen<br />
zwischen Medienberichterstattung, öffentlicher<br />
Meinung und politischer Willensbildungsprozesse<br />
— ein Legitimierungsdruck bei den handelnden<br />
Personen<br />
•hoher Organisationsgrad der Medien (Übertragungswagen,<br />
Pressezentren)<br />
•Themenrelevanz rund um die Uhr (Korrespondenten<br />
berichten zu Tages[Orts-]zeiten ihrer Nationen)<br />
Während diese Rahmenbedingungen für die<br />
gesamten Kommunikationsaktivitäten gelten, steht<br />
insbesondere die kommunale Medien- und Informationsarbeit<br />
vor einer besonderen Herausforderung.<br />
Der „Spirit“ einer Fußball-Weltmeisterschaft verliert<br />
nämlich dort schnell an Attraktivität, wo Betroffenheiten<br />
entstehen. Randalierende Fans, nächtliche<br />
Ruhestörungen, Staus, Vandalismus, überfüllte Nahverkehrssysteme<br />
– neben allen positiven Aspekten der<br />
Fußball-Weltmeisterschaft sind Belästigungen oder<br />
Störungen, trotz aller Vorsorge, unvermeidlich. Klar<br />
ist also, dass die Bevölkerung einen hohen Informations-<br />
und Kommunikationsbedarf haben wird.<br />
In der lokalen und regionalen Berichterstattung<br />
werden vor diesem Hintergrund insbesondere<br />
1 aus: Nationales Sicherheitskonzept FIFA-WM 2006<br />
2 So wird in den USA der Tag der Terrorangriffe genannt, nach<br />
dem Datumformat 9/11 (Monat / Tag)<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
17
18<br />
ÖFFENTLICHKEIT<br />
folgende Themen im Fokus der Medien und im<br />
Interesse der Öffentlichkeit stehen.<br />
•Verkehrsmanagement<br />
•Veranstaltungsmanagement<br />
•Sicherheitsvorkehrungen (Safety & Security)<br />
•Einsatztaktiken (Polizei)<br />
•Flexible-Response-Fähigkeit lokaler Akteure („Problemlösungskompetenz“)<br />
Zwischenüberschrift<br />
Mit Blick auf die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
der Sicherheitsbehörden sind im „Nationalen<br />
Sicherheitskonzept FIFA-WM 2006“ konkrete Kommunikationsziele<br />
beschrieben und Kommunikationswege<br />
zwischen Bund, Land und dem OK WM 2006<br />
festgelegt. Entsprechende Informationskonzepte<br />
bauen unter anderem auf den identifizierten „Lagefeldern“<br />
des Sicherheitskonzeptes auf. Vor dem Hintergrund<br />
der „besonderen Anziehungskraft“ des<br />
Großereignisses werden in dem Konzept insbesondere<br />
folgende Kriminalitätsformen genannt:<br />
•Hooliganismus / gruppendynamische Gewalt<br />
•Politisch motivierte Kriminalität / Terrorismus<br />
•Allgemeine und organisierte Kriminalität<br />
Auf Basis dieser Betrachtungen kann auch die<br />
lokale Informations- und Medienarbeit bereits konkrete<br />
Medienszenarien antizipieren. Denn so wichtig<br />
(!) die inhaltliche und zeitliche Synchronisation der<br />
Kommunikation bei Ereignissen von überregionaler<br />
Bedeutung auch ist: Im Innenministerium werden<br />
kaum Informationskonzepte für lokal-spezifische<br />
Probleme erstellt. Hinzu kommt, dass der Bund<br />
durch die Implementierung entsprechender Strukturen<br />
3 hervorragend auf die Fußball-WM vorbereitet<br />
ist. Die Verantwortung für das Veranstaltungs- und<br />
Gefahrenabwehrmanagement in den Städten obliegt<br />
jedoch den örtlich zuständigen Organen 4 .<br />
Folgende Impulse zur Bevölkerungsinformation<br />
und Medienarbeit können dabei in der Praxis<br />
hilfreich sein.<br />
•Implementierung einer lokalen „Task Force Kommunikation“<br />
aus Verwaltung, Polizei, Feuerwehr,<br />
ÖPNV und OK WM 2006<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
•Organisation von Informationstransparenz<br />
- Internen Informationsfluss sicherstellen<br />
- Medienbeobachtung<br />
•Identifizierung kommunikativ relevanter „Dritter“<br />
- Stadionsprecher,<br />
- Event-Veranstalter („Public-Viewing“)<br />
•Organisation des Kommunikationsprozesses<br />
- Informationskonzept / Policy erarbeiten<br />
- Definition der Schnittstellen<br />
Wer sagt was zu welchen Themen?<br />
Sprecherrolle(n)<br />
Klärung von Zuständigkeiten<br />
Klärung der Interessenlage<br />
- Notfallplan erstellen<br />
- 24/7-Erreichbarkeit<br />
- Örtlichkeiten festlegen (z. B. für Pressekonferenzen)<br />
- Bürgertelefone / Hotlines einrichten<br />
Zentrale Hotline! Ordnungsamt? ÖPNV?<br />
- Internet-Angebot anpassen<br />
•Psychosoziale Aspekte (im Ereignisfall!) berücksichtigen<br />
(psychologische Wirkungen von Aussagen<br />
/ Bildern berücksichtigen; psychologische<br />
Kompetenz einbeziehen; Ärzte informieren(„Lageinformation“<br />
an Arztpraxen)<br />
•Ethnische Aspekte berücksichtigen (Mehrsprachige<br />
Informationen;Dolmetscher-Verfügbarkeit)<br />
•Worst-Case-Betrachtungen (Szenarien antizipieren;<br />
Sprachregelungen erarbeiten; Basisinformationen<br />
erstellen; Q&A-Kataloge entwickeln; Back-up-Instrumentarium<br />
wie Flugblätter, Lautsprecher-Fahrzeuge<br />
•Themenplan entwickeln (Aktive Medienarbeit;<br />
Informationen kommunizieren; Hauptbotschaften<br />
formulieren; Storys anbieten (we care-Botschaften)<br />
•Schulungen / Übungen erforderlich? (Lageübung;<br />
Kommunikationstraining)<br />
3 Beispielsweise durch die Einrichtung des „Nationalen Informations-<br />
und Kooperationszentrums“ (NICC) als Bestandteil des Lagezentrums<br />
im BMI<br />
4 Die aus diesem Grund praxisorientierte Krisenmanagement-<br />
Schulungen an der AKNZ durchlaufen
Psychosoziale<br />
Notfallversorgung (PSNV)<br />
Von Dr. Jutta Helmerichs, BBK<br />
Die noch junge Versorgungsstruktur der Psychosozialen<br />
Notfallversorgung (PSNV) in Deutschland umfasst<br />
psychologische, soziale, administrative, seelsorgerliche<br />
und psychotherapeutische Hilfen für Notfallopfer,<br />
Angehörige, Hinterbliebene, Augenzeugen,<br />
Ersthelfer, Einsatzkräfte und weitere von Notfällen<br />
Betroffene. In den letzten 15 Jahren hat sich auf diesem<br />
Gebiet sehr viel getan, so gibt es inzwischen in<br />
allen Bundesländern und vielen Kommunen Angebote<br />
wie Notfallseelsorge, Seelsorge in Feuerwehr, Rettungsdienst<br />
und Polizei, Notfallpsychologie, Kriseninterventionsteams<br />
(KIT) und Einsatznachsorge („Hilfe<br />
für Helfer“). Alle genannten Anbieter verfolgen<br />
mit teils identischen, teils unterschiedlichen Konzepten<br />
und Arbeitsaufträgen das gemeinsame Ziel der<br />
psychosozialen Unterstützung (PSU) von Betroffenen<br />
und Helfern nach schweren Unglücksfällen.<br />
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und<br />
Katastrophenhilfe (BBK) hat die Psychosoziale Notfallversorgung<br />
vor einigen Jahren in den eigenen Aufgabenkatalog<br />
aufgenommen und einen Fachbereich<br />
PSNV eingerichtet. Auf der Grundlage der neuen Zivilschutzstrategie<br />
bietet der Bund seither Informations-,<br />
Koordinations- und Serviceangebote zur Unterstützung<br />
der Länder und Kommunen bei der Umsetzung<br />
und Verankerung der Psychosozialen Notfallversorgung<br />
an. Dazu gehören insbesondere die Elemente<br />
Ausbildung (Seminare zur Psychosozialen Notfallversorgung<br />
in der AKNZ), psychosoziales Krisenmanagement<br />
im Einsatzfall (über Koordinierungsstelle<br />
der Bundesregierung zur Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe<br />
für Deutsche, die im Ausland von<br />
schweren Unglücksfällen betroffen sind; NOAH) und<br />
Qualitätssicherung der PSNV in Deutschland über<br />
Forschungsförderung und Vernetzung. Ein weiterer<br />
wichtiger Aufgabenbereich des BBK ist die Integration<br />
der PSNV in die Einsatzstrukturen. So werden beispielsweise<br />
in Vorbereitung auf die FIFA WM 2006<br />
an der AKNZ für jede der 12 Spielstätten die Funktionen<br />
„Fachberater PSU im Stab“ sowie „Leiter PSU“<br />
und „Führungsassistent PSU“ an der Unglücksstelle<br />
ausgebildet, so dass im Einsatzfall beim MANV ein<br />
qualifiziertes psychosoziales Katastrophenmanagement<br />
gewährleistet ist. Übergreifendes Ziel der Kooperation<br />
von Bund, Ländern, Kommunen und Organisationen<br />
der Gefahrenabwehr in der Psychosozialen<br />
Notfallversorgung ist es, im Interesse von Betroffenen<br />
nach schweren Unglücksfällen und Katastrophen<br />
dazu beizutragen, dass sich die Psychosoziale<br />
Notfallversorgung zu einem qualitativ hochwertigen,<br />
integralen Bestandteil der polizeilichen und nicht<br />
polizeilichen Gefahrenabwehr entwickelt.<br />
Spezielle Aufgabenstellung: PSNV bei<br />
biologischen und chemischen Gefahrenlagen<br />
Richtet man den Fokus auf die Anwendung<br />
psychologischer Erkenntnisse bei biologischen oder<br />
chemischen Gefahrenlagen wird die hohe Relevanz<br />
dieses Themas für die direkt Betroffenen, aber auch<br />
für die Einsatzkräfte und die Bevölkerung als Gesamtgruppe<br />
deutlich. Wenngleich zurzeit zu dieser speziellen<br />
Aufgabenstellung erst wenig theoretische Erkenntnis<br />
und kaum Erfahrungswissen vorliegt und<br />
ihre Reflexion und wissenschaftliche Bearbeitung anzuregen<br />
ist, lässt sich dennoch eine erste Übersicht<br />
über zu erwartende Belastungen und sinnvolle Maßnahmen<br />
geben:<br />
Zielgruppe Notfallopfer<br />
Auf das überlebende Notfallopfer kommen neben<br />
den bekannten physiologischen und psychologischen<br />
Belastungsfaktoren einer Notfallsituation wie<br />
beispielsweise Schmerzen, Ängsten, Gefühlen der Hilflosigkeit<br />
und des Kontrollverlustes, Desorientierung<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
19
20<br />
ÖFFENTLICHKEIT<br />
etc. zusätzlich weitere schwerwiegende Belastungen<br />
zu, die bei der Umsetzung psychosozialer Unterstützung<br />
bei kontaminierten Patienten zu berücksichtigen<br />
sind. So können die kontaminierten Patienten aufgrund<br />
der Selbstgefährdung der Helfer nicht durch<br />
Körperkontakt psychisch stabilisiert werden, was eine<br />
erhebliche Einschränkung der Psychischen ersten<br />
Hilfe bedeutet. Zudem wird durch das Erscheinungsbild<br />
von Helfern in Schutzanzügen den Notfallopfern<br />
die eigene Schutzlosigkeit und die eigene Hilfsbedürftigkeit<br />
übermäßig ausgeprägt deutlich vor Augen<br />
geführt. Die unklare Bedrohungslage bewirkt einen<br />
erhöhten Informationsbedarf, es kann verstärkt zu<br />
panischen Reaktionen bei den Betroffenen kommen.<br />
Zielgruppe Einsatzkräfte<br />
Auch die Einsatzkräfte stehen bei biologischen<br />
und chemischen Gefahrenlagen neuen situationsspezifischen<br />
Anforderungen gegenüber, die folgendes<br />
spezielles Belastungsprofil für die Helfer skizzieren<br />
lassen: Die Einsatzkräfte sind häufig verunsichert,<br />
zum einen durch die fehlende Routine bei einer biologischen<br />
oder chemischen Gefahrenlage, zum anderen<br />
durch unzureichende Sachkenntnisse bezüglich<br />
Infektionskrankheiten und deren Bekämpfung, denn<br />
dieses Spezialthema gehört nicht zu ihrer Basisausbildung.<br />
Die Angst vor der direkten Gefährdung als<br />
Helfer im Einsatzgeschehen ist als weiterer Stressor<br />
zu berücksichtigen. Dieser Umstand kann zu einer<br />
massiven Einschränkung der Handlungsfähigkeit im<br />
Einsatz bis hin zur Arbeitsverweigerung führen.<br />
Zielgruppe Bevölkerung<br />
Ausgelöst durch sensationsorientierte Medienberichterstattung,<br />
eigene Anschauung und Beobachtung<br />
der Ereignisse oder durch die Umsetzung einsatztaktischer<br />
Maßnahmen (Räumung, Evakuierung)<br />
kann es in der Bevölkerung aufgrund der allgemeinen<br />
Verunsicherung zu Massenhysterien und Panikverhalten<br />
kommen. Es muss von einem stark erhöhten<br />
Informationsbedürfnis und einer großen Erwartungshaltung<br />
gegenüber Einsatzkräften von Seiten<br />
der Bevölkerung ausgegangen werden.<br />
Handlungsbedarf für die Zukunft<br />
Die skizzierten spezifischen Belastungen und<br />
Anforderungen, die bei Kontamination <strong>Verletzter</strong><br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
für die drei Zielgruppen Notfallopfer, Einsatzkräfte<br />
und Bevölkerung zu erwarten sind, ziehen Handlungsbedarf<br />
auf vier Ebenen nach sich:<br />
1.Erforderlich ist eine gezielte Schulung der Einsatzkräfte,<br />
die sie befähigt, sachlich, klar, eindeutig<br />
und leicht verständlich Informationen zum Verhalten<br />
bei biologischen oder chemischen Gefahren<br />
zu vermitteln, um somit den akuten hohen Informationsbedarf<br />
der Betroffenen zu begegnen. Daneben<br />
müssen die Maßnahmen zur Psychischen ersten<br />
Hilfe Betroffener gelehrt werden. Schließlich<br />
ist der Umgang mit gruppen- und massenpsychologischen<br />
Phänomenen in der Bevölkerung (Panikprävention<br />
/ Panikreduktion) zu trainieren, indem<br />
eine Sensibilisierung und Vorbereitung auf die<br />
Rolle einer Multiplikatorenfunktion mit Bezug auf<br />
Information der Bevölkerung durchgeführt wird.<br />
2.Für Führungskräfte und Helfer ist eine qualifizierte<br />
Angebotsstruktur zur Einsatznachsorge aufzubauen<br />
und vorzuhalten.<br />
3.Es empfiehlt sich, einzelne Fachberatern für PSNV<br />
bei biologischen und chemischen Gefahren auszubilden<br />
bzw. vorzuhalten. Das BBK wird ausgewählte<br />
Mitglieder seines bereits bestehenden Expertenpools<br />
entsprechend qualifizieren und bei Bedarf<br />
zur Verfügung stellen.<br />
4.Die Öffentlichkeitsarbeit bei biologischen oder<br />
chemischen Gefahrenlagen ist effizient zu gestalten.<br />
Hierbei geht es prinzipiell um sachliche und klare<br />
Informationen zur drohenden oder bestehenden<br />
Gefahr, die Auskunft geben über eindeutige und<br />
leicht verständliche Verhaltensempfehlungen, die<br />
wiederum in der Lage kontinuierlich aktualisiert<br />
werden müssen. Positivmeldungen sollten in diesem<br />
Zusammenhang umgehend weitergeleitet werden,<br />
und konkrete Maßnahmen der Panikprävention<br />
bzw. der Panikreduktion sollten ergriffen werden.<br />
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für<br />
eine qualifizierte Versorgung kontaminierter Notfallopfer,<br />
die Vorbereitung der Helfer und den Bevölkerungsschutz<br />
bei einer biologischen oder chemischen<br />
Gefahrenlage die Berücksichtigung der Psychosozialen<br />
Notfallversorgung unverzichtbar ist.
Unterstützung durch die<br />
Analytische Task Force<br />
Von Mario König, Feuerwehr Mannheim<br />
Grundlage der Analytischen Task Force (ATF)<br />
im ABC-Schutz<br />
Die Idee einer Analytischen Task Force war<br />
das Thema eines vom ehemaligen Bundesamt für Zivilschutz<br />
(Vorgänger des heutigen Bundesamtes für<br />
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, BBK) bei<br />
der Technischen Universität Hamburg Harburg im<br />
Jahr 1999 in Auftrag gegeben Forschungsvorhabens.<br />
Der Gedanke war, die mit der messtechnischen<br />
Grundausstattung versorgten lokalen Feuerwehren<br />
in kurzer Zeit und flächendeckend durch hochtechnisierte<br />
und mobile Einheiten mit einer optimalen<br />
Gerätetechnik und Expertenwissen zu versorgen, um<br />
so komplexe ABC-Lagen besser bewältigen zu können.<br />
Um diese Aufgabe zu erreichen, müssen die<br />
Einheiten schnell verlegefähig und luftverlastbar sein.<br />
Zur Unterstützung der Kräfte vor Ort soll im Einsatzfall<br />
parallel ein Expertensystem aktiviert werden.<br />
Das aus Fachleuten aller Disziplinen (Meteorologen,<br />
Chemiker, Mediziner, Physiker, Ingenieure etc.) zusammensetzte<br />
Team soll mit den vor Ort ermittelten<br />
Daten die Einsatzkräfte der ATF unterstützen.<br />
Der Weg zur Umsetzung dieser Idee erfolgte<br />
dann über die „Strategische Neukonzeption der<br />
ergänzenden technischen Ausstattung des Katastrophenschutzes<br />
im Zivilschutz“ 1 .<br />
In der Pilotphase zum Aufbau der Task Forces<br />
mit Aufgaben der C-Analytik (auch Analytische Task<br />
Force, ATF genannt) werden vorläufig vier Standorte<br />
(Feuerwehr Hamburg, Feuerwehr Mannheim, Institut<br />
der Feuerwehr in Heyrothsberge und das Landeskriminalamt<br />
Berlin) gefördert, die bereits über eine<br />
umfangreiche analytische Ausstattung und eine hinreichende<br />
Einsatzerfahrung verfügen. Die technische<br />
Ausstattung der einzelnen Standorte ist nahezu identisch,<br />
nur Art und Umfang des verfügbaren Personals<br />
unterscheiden sich durch die gewachsenen Strukturen.<br />
DEKON: TECHNIK<br />
Aufgrund der in der Zukunft vorgesehenen Versorgungsstufen<br />
im Katastrophenschutz soll der normierte<br />
alltägliche Schutz der Bevölkerung (Stufe I)<br />
mit den lokalen Mitteln der Gefahrenabwehr bewältigt<br />
werden, flächendeckender Grundschutz (Stufe II)<br />
ist auf Ebene der Kreise sicherzustellen. Für den erhöhten<br />
Schutz in gefährdeten Regionen und Einrichtungen<br />
(Stufe III) sollen die Länder Sorge tragen und<br />
der Sonderschutz mit Hilfe von Spezialkräften (Task<br />
Forces als Stufe IV) für von Bund und Ländern definierte<br />
besondere Gefahren wird von diesen beiden<br />
Gebietskörperschaften gemeinsam getragen.<br />
Aufgaben der ATF<br />
Die wichtigste Aufgabe an einer Schadenstelle<br />
wird, aus der Erfahrung heraus, in der Identifikation<br />
unbekannter Chemikalien liegen.<br />
Dazu wird in der ersten Phase des Spürens mit<br />
einer Art Screening-Verfahren das Gelände nach kontaminierten<br />
Bereichen untersucht. Im zweiten Schritte<br />
wird dann an Stellen mit positivem Befund eine<br />
Probe entnommen und eine Stoffidentifikation<br />
durchgeführt. Zusammen mit diesem Spürauftrag<br />
werden auch erste Proben für stationäre Laboratorien<br />
genommen.<br />
Sobald die freigesetzten Substanzen identifiziert<br />
sind, ist der Gefährdungsumfang zu ermitteln,<br />
d.h. mit Hilfe der Fernerkundung bzw. Erkundung<br />
im Gelände ist die mengenmäßige Verbreitung der<br />
Substanzen hauptsächlich in der Luft, bei Bedarf aber<br />
auch im Boden und Wasser zu bestimmen.<br />
Wenn die analytischen Fakten verfügbar sind,<br />
beginnt die Datenrecherche damit als letzter Schritt<br />
1 Bericht des BMI vom Jahr 2003<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 21
DEKON: TECHNIK<br />
die Beratung der Einsatzleitung in Sachen Einsatztaktik<br />
bzw. Medizin und Umwelt erfolgen kann.<br />
Bei der Recherche und der Bewertung werden<br />
die vor Ort tätigen Kräfte durch das Expertenwissen<br />
eines noch im Aufbau befindlichen Netzwerkes unterstützt,<br />
bzw. es werden bereits bestehende Informationspools,<br />
wie das Transport- Unfall- Informationsund<br />
Hilfeleistungssystem (TUIS) der Chemischen Industrie<br />
und das medizinische Informationssystems<br />
Meditox mit eingebunden.<br />
Vorbereitung des Rettungshubschraubers<br />
für die Luftverlastung der Messgeräte.<br />
Besonderheiten in der Analytik bei Schadensfällen<br />
Die meisten Einsätze im Brand- und Katastrophenschutz<br />
sind üblicherweise von einer sehr großen<br />
Dynamik geprägt. Aufgrund der oftmals akuten<br />
Bedrohungslage sind die konventionellen Verfahren<br />
(Laboranalytik) für die Fragestellungen im Brand- und<br />
Havariefall wenig geeignet, da die Analysenergebnisse<br />
nicht zeitnah zur Entscheidungsfindung zur Verfügung<br />
stehen. Je nach Schadensfall ist bei akuten Fragestellungen<br />
von einem Zeitfenster bis zum Vorliegen<br />
des Untersuchungsergebnisses von maximal 1-2<br />
Stunden auszugehen.<br />
Bei Schadensfällen mit einer Stofffreisetzung<br />
sind eine Reihe von Szenarien denkbar, für die technische<br />
und taktische Vorkehrungen getroffen werden<br />
müssen. Im einfachsten Fall kommt es zur Freisetzung<br />
eines Einzelstoffs, wie z.B. bei Transportunfällen<br />
oder bei denkbaren Anschlägen.<br />
22 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Bei Störungen in Produktionsanlagen werden<br />
üblicherweise Stoffgemische freigesetzt. Hier können<br />
sehr viele Substanzen in zum Teil sehr unterschiedlichen<br />
Mengenverhältnissen vorliegen.<br />
Das größte analytische Problem stellt Brandrauch<br />
dar. Dabei kann es zu Hunderten möglicher<br />
Verbrennungsprodukte kommen. Was neben dem<br />
analytischen Problem auch ein Problem der medizinischen<br />
Bewertung darstellt.<br />
Messtechnik<br />
Die bei den Feuerwehren eingesetzten Messgeräte<br />
werden üblicherweise in drei Gruppen eingeteilt 2 :<br />
•Die Basis-Ausstattung der Feuerwehren dient zur<br />
Lageerkundung und ersten Gefahrenabschätzung.<br />
Sie sollte mindestens folgende Ausstattung umfassen:<br />
pH-Papier, Öl-Testpapier, Ex-Messgerät und<br />
Spürpulver.<br />
•An Schwerpunktstandorten mit überregionaler<br />
Aufgabenzuweisung ist eine Sonder-Ausstattung<br />
zusätzlich zur Basisausstattung mit Prüfröhrchen,<br />
elektrochem. Messgeräten, Photoionisationsdetektor<br />
(PID), Ionenmobilitätsspektrometer (IMS),<br />
Probenahmeausrüstung, Wärmebildkamera und<br />
Fernthermometer anzustreben. Mit diesen Geräten<br />
soll in einfachen Fällen eine Stoffbestimmung<br />
oder zumindest eine Eingrenzung von Stoffgruppen<br />
und eine größenordnungsmäßige Bestimmung der<br />
Konzentration ermöglicht werden.<br />
•In Ballungsräumen mit entsprechenden Chemiestandorten<br />
sollte eine ausreichend leistungsfähige<br />
Spezial-Ausstattung vorgehalten werden, die mit<br />
moderner Analysentechnik wie GC-MS-Systemen<br />
(ähnlich dem MM-1 des Spürpanzers Fuchs) und<br />
z.B. Leuchtbakterientests arbeiten kann und auch<br />
speziell ausgebildetes Fachpersonal zur Beratung<br />
der Einsatzleitung vorhält. Diese Ausstattung wird<br />
bundesweit nur in wenigen Ausstattungssätzen<br />
vorgehalten.<br />
In dieser Gliederung spiegeln sich somit prinzipiell<br />
die für den Katastrophenschutz allgemein vorgesehenen<br />
Schutzstufen wieder.<br />
2 s. vfdb Richtlinie 10/05-T1
Neben der vorgestellten Ausstattung ergab sich<br />
die Notwendigkeit, in einigen Bereichen die analytische<br />
Ausstattung für den Katastrophenschutz zu optimieren.<br />
Aus diesem Grund wurden im Auftrag des<br />
BBK auch Messgeräte entwickelt, die sich mittlerweile<br />
in der Phase der Felderprobung befinden. Dabei handelt<br />
es sich einmal um das so genannte Gefahrstoffdetekorarray<br />
2, bei dem durch die Kopplung mehrerer<br />
Messverfahren in einem Gerät bessere analytische<br />
Möglichkeiten beim Detektieren von Substanzen und<br />
eventuell sogar beim Identifizieren zu erwarten sind.<br />
Eine weitere Entwicklung stellt ein Infrarotspektrometer<br />
zur Fernerkundung mit besonderen Anforderungen<br />
aus der Sicht des Katastrophenschutzes<br />
dar, mit dem Schadstoffwolken auch in mehreren<br />
Kilometer Entfernung erfasst und identifiziert werden<br />
können.<br />
Ausstattung der ATF<br />
Neben den bereits vorgestellten, hauptsächlich<br />
messtechnischen Ausstattungsmerkmalen, verfügt die<br />
ATF noch über weitere Möglichkeiten:<br />
•Im Strahlenschutz erweiterte Möglichkeiten zur Messung<br />
der Ortsdosisleistung, Suche eines Strahlers<br />
und Feststellung einer radioaktiven Kontamination.<br />
•Entnahme von Luft-, Wasser-, Bodenproben bzw.<br />
sonstigem Probenmaterial auch in größerem Umfang<br />
für radiologische, biologische und chemische<br />
Analysen.<br />
•Kommunikationsausstattung zur Führung mehrerer<br />
Messtrupps und zur Weiterleitung von Messergebnisse<br />
an weitere Stellen, wie z.B. an das Expertennetzwerk.<br />
•Umfangreiche Dokumentationstechnik.<br />
•Ausrüstung zur Stoffrecherche in gedruckten Nachschlagewerken,<br />
bevorzugt aber in nahezu allen<br />
gängigen elektronischen Datenbanken.<br />
•Ausbreitungsmodelle, mit denen je nach verfügbaren<br />
Informationen Ausbreitungsabschätzungen in<br />
unterschiedlicher Genauigkeit möglich sind.<br />
•Digitale Messgeräte zur Erfassung und Dokumentation<br />
meteorologischer Parameter.<br />
•Um die Kommunikation zwischen den rechnergesteuerten<br />
Messgeräten und den Auswerterechnern<br />
zu beschleunigen erfolgt der Datenaustausch innerhalb<br />
der ATF über ein WLAN.<br />
Qualitätssicherung<br />
Es ist das Ziel im Bereich der ATF bei der<br />
von ihr angewandten Vor-Ort-Analytik Maßstäbe<br />
anzulegen, wie sie vom Prinzip her auch für ein stationäres<br />
Labor gelten. Die Qualität der Messergebnisse<br />
muss bezüglich qualitativer und quantitativer<br />
Analyse auch unter Einsatzbedingungen gewährleistet<br />
sein.<br />
Dazu werden, wo immer möglich, standardisierte<br />
Verfahren eingesetzt, die detailliert beschrieben<br />
sind und permanent geübt werden. Die Teilnahme<br />
an Ringversuchen mit anderen Laboratorien soll<br />
die Vergleichbarkeit der Messwerte sicherstellen.<br />
Personal<br />
Das Personal der jeweiligen Einheiten besteht<br />
überwiegend aus zwei Gruppen. Zum einen dem Bedienungspersonal<br />
der Messgeräte: hier werden, sofern<br />
möglich, Mitarbeiter eingesetzt, die einen entsprechenden<br />
beruflichen Hintergrund als Laboranten oder<br />
aus einem ähnlichen Beruf haben.<br />
Zum anderen besitzt jede Einheit Führungskräfte<br />
mit einer Ausbildung für den gehobenen oder<br />
höheren Dienst, darunter bevorzugt Chemiker oder<br />
Absolventen anderer naturwissenschaftlicher bzw.<br />
technischer Studiengänge. Die Aufgaben der Führungskräfte<br />
bestehen in:<br />
•Führung der unterstellten Kräfte,<br />
•Festlegung der Mess- und Probenahmetaktik,<br />
•Bewertung der Messergebnisse,<br />
•Datenrecherche,<br />
•Kontakt zu anderen Einheiten und zum Expertennetzwerk,<br />
•Beratung der Einsatzleitung.<br />
Einsatzvorbereitungen<br />
Im Einzugsbereich der ATF mit Standort<br />
Mannheim haben sich in Rheinland-Pfalz, dem südlichen<br />
Teil von Hessen und an vielen Standorten in<br />
Baden-Württemberg eine größere Anzahl von Feuerwehren<br />
(zzt. über 40) dazu entschlossen, eine Probenahmeausstattung<br />
zu beschaffen, die zur Messgeräteausstattung<br />
der ATF kompatibel ist.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 23
DEKON: TECHNIK<br />
Nach einer grundlegenden Einweisung der<br />
Feuerwehrangehörigen im Umgang mit einer korrekten<br />
Probenahme kann von diesen Einsatzkräften im<br />
Havariefall sehr zeitnah eine Probe vor Ort genommen<br />
werden, die dann der ATF zugeführt wird bzw.<br />
diese fährt die Schadensstelle an und wertet die Proben<br />
vor Ort aus.<br />
Messgerätepark zur Luftverlastung.<br />
(Fotos: Feuerwehr Mannheim)<br />
Der zukünftige Einsatz der ATF im Rahmen<br />
der Überlandhilfe soll durch eine Bedarfsanforderung<br />
der lokalen Leitstelle beim zuständigen Lagezentrum<br />
des eigenen Bundeslandes erfolgen. Von<br />
hier aus wird über eine zentrale Leitstelle die jeweils<br />
geeignete ATF über das Hilfeersuchen informiert.<br />
Die weitere Kommunikation findet dann direkt zwischen<br />
den anfordernden Einsatzkräften und dem<br />
Leiter der jeweiligen ATF statt.<br />
Für den Bereich Mannheim fährt die ATF, bei<br />
einem Einsatzradius von weniger als 100 km, bzw.<br />
bei ungünstigem Wetter auch darüber hinaus, die Einsatzstelle<br />
direkt an. Bei weiter entfernten Einsatzstellen<br />
kann die luftverlastbare Ausrüstung in einen Hubschrauber<br />
der Deutschen Rettungsflugwacht oder der<br />
Bundeswehr umgeladen und auf dem Luftweg zur<br />
Einsatzstelle gebracht werden.<br />
An den jeweiligen Standorten werden sich die<br />
Task Force Einheiten im Verlauf der Pilotphase in<br />
24 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
ihrer Ausrückestärke wie eingangs beschrieben unterscheiden.<br />
Für den Bereich Mannheim ist ein zweistufiger<br />
Einsatz vorgesehen:<br />
Die erste Stufe besteht aus einem Erkundungsteam<br />
(Soforteinheit) mit Ausrüstung zur Stoffidentifikation<br />
und zur Detektion in kleinerem Umfang,<br />
das seine Aufgaben im Rahmen des regulären<br />
Schichtdienstes versieht.<br />
In einem zweiten Schritt kann zeitverzögert<br />
eine Verstärkungseinheit eingesetzt werden, die aus<br />
zusätzlich alarmiertem Personal und umfangreicherer<br />
Ausrüstung auch zur großflächigen Aufklärung,<br />
zum Einsatz kommen kann. In diesem Fall werden<br />
auch lokale Einsatzkräfte in die Aufklärungsarbeit<br />
mit einbezogen.<br />
Erfahrungen<br />
In den letzten Jahren konnten bei einer Vielzahl<br />
von Einsätzen im Rahmen der Überlandhilfe<br />
Erfahrungen gesammelt werden die in den Aufbau<br />
der ATF eingeflossen sind. Erprobungen großen Stils<br />
fand im Herbst 2004 bei der Übung EUDREX 3 in<br />
Österreich und im Frühjahr 2005 im Rahmen der<br />
Übung EURATECH 4 in Frankreich statt. Bei diesen<br />
Übungen wurde die Tauglichkeit bei Einsätzen im<br />
Rahmen des EU-Gemeinschaftsverfahrens untersucht.<br />
Die Aufgaben für die nächsten Monate werden<br />
darin liegen, die technische Ausstattung und die<br />
taktische Vorgehensweise für den Einsatz bei Großveranstaltungen<br />
zu optimieren.<br />
3 M. König, R. Rudolph, Europe trains for disasters, Crisis<br />
Response Journal, Vol.1 , Issue 3, ISSN 1745-8633, 2005, S. 9-11<br />
4 M. König, R. Rudolph, Einsatz für die ATF, Erfahrungsbericht<br />
zur Übung Euratech, Brandschutz/Deutsche Feuerwehrzeitung<br />
07/2005, S543-545
<strong>Dekontamination</strong> nach<br />
FwDV 500<br />
Von André Schild<br />
Mit der Einführung der Feuerwehrdienstvorschrift<br />
500 (FwDV) „Einheiten im ABC-Einsatz“ sind bundeseinheitlich<br />
Regelungen 1 zur <strong>Dekontamination</strong><br />
(Dekon) getroffen worden. Die in der FwDV getroffenen<br />
Regelungen sind an die vfdb 2 -Richtlinie 10/04<br />
angelehnt. Diese Richtlinie wird aktuell überarbeitet<br />
und liegt im Entwurf 3 vor. In diesem Artikel sollen<br />
die Regelungen dargestellt und die Umsetzung in die<br />
Praxis gezeigt werden. Außerdem wird auf die Lücken<br />
der Regelung eingegangen, besonders im Hinblick<br />
auf die <strong>Dekontamination</strong> bei Tierseuchen und die<br />
<strong>Dekontamination</strong> von Verletzten.<br />
Die Maßnahmen die in der FwDV beschrieben<br />
werden, sind auf die Anwendung bei allen Einsatzstellen<br />
der Feuerwehr ausgelegt. Sie beschreiben also<br />
auch kleine und kleinste Maßnahmen bis zu großen<br />
ABC-Einsätzen. Dabei können nicht alle Einzelheiten<br />
beschrieben werden, sondern werden nur kurz<br />
dargestellt. Es geht aber um die grundsätzliche Regelung<br />
von Standards in diesem Bereich.<br />
Stufenkonzept der <strong>Dekontamination</strong><br />
Die <strong>Dekontamination</strong> wird in folgende Stufen<br />
eingeteilt:<br />
•Not-Dekon<br />
•Dekon-Stufe I<br />
•Dekon-Stufe II<br />
•Dekon-Stufe III<br />
Die Notdekontamination (Not-Dekon) muss<br />
an der Einsatzstelle immer sicher gestellt sein, dies<br />
erfolgt meist durch den auf dem Feuerwehrfahrzeug<br />
mitgeführten Wasservorrat und ein Strahlrohr. Damit<br />
ist ein schnelles Abspülen eine Kontamination<br />
gewährleistet. Die Abwässer werden nicht aufgefan-<br />
gen. Es stellt nur eine Behelfsmaßnahme dar und ist<br />
schnell durch eine Dekon-Stufe II zu ersetzten.<br />
Die Dekon-Stufe I ist die Allgemeine Einsatzstellenhygiene.<br />
Es wird eine Reinigung der Einsatzkräfte<br />
sichergestellt und damit eine Verschleppung<br />
Dekon-Stufe II.<br />
(Fotos: Schild)<br />
1 Leider haben die FwDV 500 nicht alle Bundesländer eingeführt.<br />
2 Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V.<br />
3 siehe http://vfdb10.umsicht.fhg.de/<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
25
26<br />
DEKON: TECHNIK<br />
von Kontamination vermieden. Wichtig ist, dass dies<br />
bei jedem Einsatz anwendbar ist. Das heißt nicht nur<br />
bei ABC-Einsätzen, sondern auch bei Bränden und<br />
Technischen Hilfeleistungen. Damit kann eine weitere<br />
Schädigung von Einsatzkräften vermieden werden.<br />
So eine Dekon-Stufe sollte Verpflegungsstellen<br />
für Einsatzkräfte zur Verfügung stehen.<br />
Dekon-Stufe II wird eingesetzt, sobald ein Körperschutz<br />
(z.B. Chemikalienschutzanzug) zum Einsatz<br />
kommt. Sie bietet die Möglichkeit Schutzanzugträger<br />
zu dekontaminieren. Je nachdem wie offen<br />
das Konzept gestaltet ist, ist auch die <strong>Dekontamination</strong><br />
von Verletzten und Betroffenen behelfsmäßig<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Teile eines Hygienesatzes.<br />
möglich. Die Kapazität ist meist auf einen Trupp (2-<br />
3 Helfer) in 10 Minuten ausgelegt. Es gibt für solche<br />
Dekon-Stellen auch von Herstellern konzipierte Systeme.<br />
Darin können dann die Anzugträger gereinigt<br />
werden. Die Abwässer werden aufgefangen und fachgerecht<br />
entsorgt.<br />
Dekon-Stufe III ist die maximale Form der <strong>Dekontamination</strong><br />
im ABC-Einsatz. Sie ist eine erweiterte<br />
Stufe II. Sie hat eine erhöhte Kapazität, setzt auf<br />
Anlagen, Geräte oder Containerlösungen. Auch ist<br />
die Bereitstellung von Warmwasser möglich. Diese<br />
müssen extra an die Einsatzstelle verbracht und dort<br />
aufgebaut und betrieben werden. Ein Beispiel hierfür<br />
ist die Anlage Dekon-P des Bundes. Gerade in den<br />
letzten Jahren haben immer mehr kreisfrei Städte<br />
Containerlösungen angeschafft. Diese werden mit<br />
Wechselladerfahrzeugen an die Einsatzstelle verbracht<br />
und können mit wenig Personal sehr schnell<br />
eingesetzt werden.<br />
Lage des Dekon-Platzes<br />
An einer Einsatzstelle befindet sich der Dekon-<br />
Platz auf der Luv zur Einsatzstelle. Abbildung 1 verdeutlicht<br />
die Lage. Sie schließt sich direkt an den Gefahrenbereich<br />
an. Alle verlassen den Gefahrenbereich<br />
über diesen Dekon-Platz.<br />
Die Lage muss bei der Ordnung des Raumes<br />
berücksichtigt werden und dies von Anfang an. Dies<br />
kann gerade bei unübersichtlichen Einsatzstellen<br />
oder auf Grund der Bebauung oder der Topographie<br />
schwierig werden.<br />
Aufbau des Dekon-Platzes<br />
Das oberste Prinzip einer jeden Dekon-Einrichtung<br />
ist das „Einbahnstraßenprinzip“. Alles betritt<br />
die Einrichtung kontaminiert und verlässt sie dekontaminiert,<br />
so jedenfalls die Idealvorstellung. Ein<br />
prinzipieller Aufbau kann Abb. 2 entnommen werden.<br />
In der Rhein-Main-Region wurde diese „Ampelprinzip“<br />
entwickelt und wird dort von vielen Feuerwehren<br />
verwendet.<br />
Im Kontaminationsbereich wird kontaminierte<br />
Kleidung abgelegt und verpackt. Im Dekon-Bereich<br />
erfolgt die eigentliche Reinigung, zumeist mit Wasser<br />
und ggf. Dekon-Mittel (Seife, Reinigungsmittel,<br />
spezielle Dekon-Mittel). Im Ankleidebereich wird<br />
Wechselkleidung bereitgehalten. Dies gilt für Einsatzkräfte<br />
mit Schutzkleidung, da deren Unterkleidung<br />
durchgeschwitzt ist. Für Betroffene ohne<br />
Schutzkleidung wird Kleidung vorgehalten, weil sie<br />
ihre im kontaminierten Bereich ablegen mussten.<br />
Anforderung an die <strong>Dekontamination</strong><br />
Die FwDV 500 stellt einige Forderungen an die<br />
<strong>Dekontamination</strong> von Personen, Verletzten und Gerät.<br />
Diese Grundforderungen sind die „Basis“ für<br />
solche Lagen.<br />
Bei der <strong>Dekontamination</strong> von Personen<br />
(Dekon-P) sind Kontaminierte so weit möglich und
medizinisch erforderlich vor Ort zu dekontaminieren<br />
oder zu desinfizieren. Daraus ergibt sich nicht<br />
nur eine Forderung für die <strong>Dekontamination</strong> von<br />
Schutzanzugträgern, sondern auch für nicht<br />
geschützte Einsatzkräfte und Betroffene. Bei radioaktiven<br />
Stoffen ist eine Kontaminationskontrolle durchzuführen.<br />
Als Kontamination wird das Erreichen der<br />
dreifachen Nullrate definiert. Kontaminierte Kleidung<br />
ist schnellstmöglich im Schwarzbereich abzulegen.<br />
Eine Kontamination der Haut ist schnellstmöglich<br />
zu entfernen. Dabei ist lauwarmes Wasser einzusetzen<br />
und/oder abzutupfen. Bei einem Verdacht<br />
auf Kontamination oder Inkorporation ist die Person<br />
einem Arzt vorzustellen. Kontaminierte Personen<br />
sind zu registrieren.<br />
Grundsätzlich gehen bei der <strong>Dekontamination</strong><br />
von Verletzten lebensrettende Sofortmaßnahmen<br />
vor (Grob-) <strong>Dekontamination</strong>. Der Eigenschutz ist<br />
aber sicherzustellen, um die Einsatzkräfte nicht zu gefährden.<br />
Kontaminierte Verletzte sind unter Anleitung<br />
des Rettungsdienstes (Notarzt) zu dekontaminieren.<br />
Dabei soll eine Inkorporation vermieden werden. Bei<br />
einigen ABC-Gefahrstoffen (z.B. Kampfstoffen, besonderen<br />
B- Kampfstoffen und ansteckungsgefährlichen<br />
Stoffen) ist ein <strong>Dekontamination</strong>/Desinfektion an<br />
der Einsatzstelle erforderlich. Der Rettungsdienst ist<br />
über eine Kontamination oder einen Kontaminationsverdacht<br />
zu informieren, um sich schützen zu können.<br />
Das Krankenhaus ist über den ABC-Gefahrstoff<br />
zu informieren, damit es nicht zu einer Gefährdung<br />
kommt oder eine Verschleppung der Kontamination<br />
bis ins Krankenhaus erfolgt.<br />
Bei der <strong>Dekontamination</strong> von Geräten soll die<br />
„Grobreinigung“ so weit wie möglich an der Einsatzstelle<br />
erfolgen. Kontaminierte Geräte werden verpackt<br />
und verbleiben an der Einsatzstelle. Alle weiteren<br />
Maßnahmen sollten durch eine Spezialfirma<br />
durchgeführt werden.<br />
Handlungsfelder der Zukunft<br />
Um eine Kontaminationsversschleppung zu<br />
vermeiden ist ein Nachweis des <strong>Dekontamination</strong>serfolges<br />
nötig. Dieser ist messtechnisch außer im A-<br />
Bereich im Moment nur sehr schwer möglich. Es<br />
gibt erste Entwicklungen im C-Bereich. Für den B-<br />
Bereich wird es solche Lösungen aber in absehbarer<br />
Zeit nicht geben.<br />
Im Hinblick auf die WM2006 gibt es auch in<br />
Deutschland erste Konzepte für die Massendekontamination.<br />
Diese orientieren sich an Konzepten aus<br />
den USA. Es werden mit Löschfahrzeugen der Feuerwehr<br />
Gassen gebildet; in diese Gassen wird mit<br />
Strahlrohren Wasser gesprüht, um die Personen zu<br />
dekontaminieren.<br />
Abb. 1: Lage des Dekon-Platzes.<br />
Neben einem Forschungsvorhaben des BBK<br />
zur Verletztendekontamination gab es einige Entwicklung<br />
zu diesem Thema im Bereich der Hilfsorga-<br />
Ankleidebereich<br />
(grün)<br />
Dekonbereich<br />
(gelb)<br />
Abb. 2: Aufbau eines Dekon-Platzes.<br />
Kontaminationsbereich<br />
(rot)<br />
nisationen. Ein großes Problem ist das Tragen von<br />
Schutzkleidung und Atemschutz durch medizinisches<br />
Personal. Dieses Personal ist in der Regel nicht<br />
arbeitsmedizinisch nach G 26 untersucht. Beim Tragen<br />
von Masken mit Filter ist dies im Einsatz aber<br />
notwendig. Außerdem wurden verschiedene Verfahren<br />
entwickelt, wie ein kontaminierter <strong>Verletzter</strong> entklei-<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
27
28<br />
DEKON: TECHNIK<br />
det und dekontaminiert werden kann, wobei gleichzeitig<br />
lebenserhaltende Maßnahmen durchgeführt<br />
werden müssen. Problematisch ist und bleibt die Ver-<br />
Aufenthaltszelt<br />
Wasserwanne mit<br />
Desinfektionslösung<br />
Einpersonenduschkabine<br />
Pumpe<br />
Wassersauger<br />
Abb. 3: Beispiel eine Dekon-G.<br />
(Grafiken: Schild)<br />
IBC<br />
Hochdruckreiniger<br />
Plane<br />
Breitstrahlrohr<br />
Verkehrsleitkegel<br />
netzung von Rettungs- und Sanitätsdienst und der<br />
Feuerwehr bei der Verletztendekontamination. Um<br />
ein tragfähiges Verletztendekon-Konzept zu haben,<br />
ist dies aber zwingend erforderlich.<br />
Mit Ende des kalten Krieges und der Auflösung<br />
der ABC-Züge verlor die <strong>Dekontamination</strong> von<br />
Geräten an Bedeutung. Man rechnete nicht mehr<br />
damit, dass Fahrzeuge und Gerät im größeren Maße<br />
durch Einsatzkräfte dekontaminiert werden müssen.<br />
Mit dem Aufkommen von Tierseuchen auch<br />
in Europa, BSE, MKS und Vogelgrippe sein an dieser<br />
Stelle nur beispielhaft genannt, sah man sich in<br />
der Gefahrenabwehr auch mit dieser Thematik<br />
betraut.<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Weiterhin fehlt es noch an einer <strong>Dekontamination</strong>smittelliste.<br />
Es wird zwar an der Thematik gearbeitet.<br />
Die Probleme mit Desinfektionsmitteln und<br />
deren Anwendung sind<br />
bei den wenigen Tierseucheneinsätzen<br />
leider<br />
immer wieder als Hauptproblem<br />
zu Tage getreten.<br />
Gleiches gilt auch<br />
für C-Einsätze. Eine<br />
erfolgreiche <strong>Dekontamination</strong><br />
kann leider nur<br />
mit Wasser alleine nicht<br />
gewährleistet werden.<br />
Stehleiter<br />
REIN<br />
UNREIN<br />
B-Schlauch mit Wasser<br />
(als Begrenzung)<br />
Schlauchbrücken<br />
Zusammenfassung<br />
Die Zusammenarbeit<br />
von mehreren Dekon-Einheiten<br />
ist nicht<br />
geregelt. Für Großschadenslagen<br />
ist dies aber<br />
zwingend erforderlich. Es<br />
gibt zwar Ansätze z.B.<br />
aus Sachsen, wo mit der<br />
Rahmenrichtlinie 002<br />
ein Dekon-Konzept eingeführt<br />
werden soll, ebenso<br />
wie das Dekon-Konzept<br />
in der Rhein-Main-<br />
Region eine Vernetzung<br />
aufbaut. Diese haben<br />
sich aber bis heute noch<br />
nicht durchgesetzt und<br />
es wird noch einiges an<br />
Anstrengung brauchen,<br />
dies umzusetzen.<br />
Zusammenfassend werden in der FwDV 500<br />
die grundlegenden Forderungen dargestellt. Leider<br />
bleibt sie bei Hilfen für die Umsetzung in der Praxis<br />
sehr knapp. Da hilft aber die vfdb-Richtline 10/04<br />
weiter. Auch gerade im Entwurf werden die Themen<br />
Massendekontamination und Tierseuchen behandelt.<br />
Leider sind die Forderungen heute in der Fläche<br />
nicht so zu erfüllen. Es stehen nicht immer die<br />
nötigen Mittel zur Verfügung. Es sind noch große<br />
Anstrengungen nötig, dies durchzusetzen.
Projektgruppe ABC-Risiken<br />
und Gefahrenlagen (PG9)<br />
Von Jürgen Schreiber, Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz<br />
(SKK), (Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V.)<br />
„Mitwirkungsmöglichkeiten der<br />
Hilfsorganisationen bei der Umsetzung von<br />
Dekon-P/V und der Verletztenversorgung im<br />
präklinischen Bereich von ABC-Einsatzlagen“<br />
Die fünf Hilfsorganisationen ASB, DRK, JUH,<br />
MHD und DLGR sind auf Grund ihrer Satzungen,<br />
wegen geltender öffentlich-rechtlicher Verträge oder<br />
auch durch gesetzlicher Regelungen in den kommunalen<br />
Rettungsdiensten, im erweiterten Rettungsdienst<br />
mit so genannten „Schnell-Einsatz-Gruppen<br />
(SEG’en), wie auch im Katastrophenschutz in den<br />
Fachdiensten Sanitätsdienst und Betreuungsdienst<br />
tätig. Hierbei kommen hauptberufliche Einsatzkräfte,<br />
im Rahmen des Wehr-Ersatzdienstes dienstverpflichtete<br />
Helfer, wie auch ehrenamtlich tätige Helfer<br />
zum Einsatz. Sie leisten neben diesen Beiträgen in<br />
der öffentlichen Gefahrenabwehr auch Hilfe durch<br />
den Einsatz von Expertenteams für die Krisenintervention<br />
oder in Einheiten mit Rettungshunden. Im<br />
Folgenden werden heutige Leistungsmerkmale des<br />
Sanitätsdienstes und Betreuungsdienstes im Katastrophenschutz<br />
beschrieben, um Möglichkeiten, aber<br />
auch Voraussetzungen zur Mitwirkung der Einheiten<br />
an ABC-Einsatzstellen aufzuzeigen.<br />
Aufgabenstellungen und Umsetzung<br />
des Sanitäts- und Betreuungsdienstes.<br />
Die Aufgabe des Sanitätsdienstes im Katastrophenschutz<br />
ist die Unterstützung des Rettungsdienstes<br />
bei der medizinischen Versorgung von Verletzten<br />
und Kranken in einer Gefahrenlage oder bei einem<br />
Großschadensereignis. Hierbei werden verletzte Betroffene<br />
aufgesucht, gerettet, transportiert, registriert<br />
und nach ärztlicher Vorgabe versorgt.<br />
Die Aufgabe des Betreuungsdienstes im Katastrophenschutz<br />
ist die Versorgung von Betroffenen,<br />
die nach einer Gefahrenlage oder einem Großschadensereignis<br />
in Notlage geraten sind. Hierbei werden<br />
nicht verletzte Betroffene sofort, verletzte Betroffene<br />
erst nach medizinischer Behandlung betreut.<br />
Damit diese Aufgaben umgesetzt werden können,<br />
unterhalten die Länder in den kreisfreien Städten<br />
und in den Stadt- und Landkreisen entsprechende<br />
Einheiten, in denen die Helfer der oben genannten<br />
Hilfsorganisationen eingesetzt werden. Diese Einheiten<br />
sind, auf der Basis von Zügen und Gruppen<br />
strukturiert, einzeln einsetzbar oder können in Verbänden<br />
zusammengefasst werden. Die Gliederung der<br />
Katastrophenschutzeinheiten im Sanitäts- und Betreuungsdienst<br />
differiert zwischen den Bundesländern<br />
dahingehend, dass zum Teil Einheiten eines Fachdienstes<br />
aufgestellt sind, also „Sanitätszüge“ und „Betreuungszüge“,<br />
oder Fachdienst übergreifende „Einsatzeinheiten“<br />
aufgestellt wurden. Am Beispiel des<br />
„Einsatzzuges-Niedersachsen“ wird deutlich, dass hier<br />
jeweils eine Teileinheit des Sanitätsdienstes, des Betreuungsdienstes,<br />
eine Technikkomponente und die Führungskomponente<br />
zu einem Einsatzzug mit 30 Einsatzkräften,<br />
8 Einsatzfahrzeugen zum Teil mit Anhängern<br />
für die umfangreiche technische Ausrüstung<br />
des Zuges zusammengefasst wurden.<br />
Das Qualifikationsprofil der Helfer im Sanitätsdienst<br />
und im Betreuungsdienst baut sich wie<br />
folgt auf.<br />
In der Fachdienst-Ausbildung erhalten die Helfer<br />
beider Fachdienste in den ersten 40 Unterrichtseinheiten<br />
das Basiswissen für die sanitätsdienstliche<br />
Versorgung verletzter Betroffener. In den folgenden<br />
Unterrichtseinheiten erfolgt die spezifische Fachdienst-Ausbildung.<br />
Im Rahmen der Standort-Ausbildung<br />
wird die Kompetenz der Helfer um die Inhalte<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
29
30<br />
DEKON: TECHNIK<br />
Zivilschutz- und Katastrophenschutz-spezifischer<br />
Themen erweitert. Diese Ausbildungsteile werden gemäß<br />
des „BMI-Feinkonzeptes“ durchgeführt und<br />
befähigen die Helfer, die, von Bund und Ländern<br />
zur Verfügung gestellten, Ausrüstungen für die Einheiten<br />
im Katastrophen- und Zivilschutz anzuwenden<br />
und einzusetzen.<br />
Die Umsetzung der „standardisierte ABC-<br />
Grundausbildung“ gemäß der Empfehlung der SKK-<br />
PG9 und des entsprechenden Curriculums steckt in<br />
den Anfängen der Implementierungsphase. Derzeit<br />
werden an der AKNZ Multiplikatoren der Hilfsorganisationen,<br />
der Feuerwehren und der Bundesanstalt<br />
THW ausgebildet, die in den Hilfsorganisationen<br />
„Fachausbilder für die ABC-Grundausbildung“ qualifizieren.<br />
In Vorbereitung der Einsatzkräfte auf Einsätze<br />
während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006,<br />
auch mit ABC-Gefährdungen, sind erste ABC-Grundausbildungen<br />
in der Vorbereitung. Eine flächendeckende<br />
Umsetzung der „standardisierten ABC-Grundausbildung“<br />
bedarf allerdings noch erheblicher Vorbereitungen,<br />
da neben organisatorischen Rahmenbedingungen<br />
auch Kostenregelungen für die Ausbildung<br />
und erforderliche arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen<br />
der Helfer für die Nutzung umluftabhängiger<br />
Atemschutz-Systeme zu regeln sind.<br />
Voraussetzungen zur Mitwirkung<br />
von Einheiten des Sanitätsdienstes und<br />
Betreuungsdienstes an ABC-Einsatzstellen.<br />
Grundsätzlich ist sicher unstrittig, dass eine<br />
Versorgung von vielen verletzten und unverletzten<br />
Betroffenen (MANV) in komplexen Einsatzlagen<br />
oder Katastrophen ein Erfordernis darstellt, dem die<br />
Einsatzkräfte des Sanitätsdienstes und Betreuungsdienstes<br />
aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz und<br />
ihrer Ausrüstung entsprechen. Für diesen Zweck<br />
sind sie als SEG’en in Alarm- und Ausrück-Ordnungen<br />
(AAO) sowie als Einheiten in Katastrophenschutz-Alarmplänen<br />
integriert.<br />
Vor dem Einsatz von Sanitäts- und Betreuungseinheiten<br />
bei einem MANV unter den Bedingungen<br />
eines ABC-Einsatzes sind für diese Einheiten<br />
folgende Aktionsinseln zu bearbeiten:<br />
•Ausrüstung der Einheiten mit einer, dem Einsatzzweck<br />
entsprechenden, „Persönlichen Schutzaus-<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
stattung“, (PSA) bestehend aus Atemschutz und<br />
Körperschutz (z.B. ABC-Schutzausstattung des<br />
Bundes).<br />
•Sicherstellung der persönlichen Voraussetzungen<br />
zur Nutzung dieser PSA, z.B. Arbeitsmedizinische<br />
Untersuchung gemäß G26/2.<br />
•Durchführung der Basisqualifikation der Helfer in<br />
Form der „standardisierten ABC-Grundausbildung“.<br />
•Erarbeitung abgestimmter Einsatzkonzepte für das<br />
Zusammenwirken der Fachdienste im ABC-Einsatz<br />
am Standort und auf übergeordneter Ebene.<br />
•Gemeinsame Übung und Training aller beteiligten<br />
Fachdienste.<br />
Wenn diese Voraussetzungen umgesetzt wurden,<br />
können Einheiten des Sanitätsdienstes und<br />
Betreuungsdienstes:<br />
•Im Rotbereich, außerhalb des Gefahrenbereiches,<br />
direkt am <strong>Dekontamination</strong>splatz eine Anleitung<br />
zum Selbstschutz-Verhalten für Betroffene geben.<br />
•Nicht verletzte, leicht verletzte oder hilfebedürftige<br />
Betroffene bei der Vorbereitung für die <strong>Dekontamination</strong><br />
und während der <strong>Dekontamination</strong><br />
unterstützen<br />
•Verletzte, nicht gehfähige Verletzte auf einer<br />
Patientenablage im Kontaminationsbereich einer<br />
Notdekontamination (Spot-Dekon) zur Sicherstellung<br />
der Vitalität unterziehen, sanitätsdienstlich<br />
versorgen (Basic-Life-Support), auf die <strong>Dekontamination</strong><br />
vorbereiten und bis zur <strong>Dekontamination</strong><br />
versorgen.<br />
•Verletzte Betroffene zur <strong>Dekontamination</strong> transportieren,<br />
während der <strong>Dekontamination</strong> sanitätsdienstlich<br />
betreuen oder ggf. dekontaminieren.
<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />
Funktion und Ausstattung einer Dekonstelle für<br />
verletzte Zivilpersonen<br />
Von Arnd Gütschow und Rainer Suttrop, Berufsfeuerwehr Dortmund<br />
Die Möglichkeit größerer Schadenslagen mit Freisetzung<br />
von radioaktiven, chemischer oder biologischen<br />
Gefahrstoffen ist gegeben. Die Stadt Dortmund<br />
setzt in den nächsten Monaten die im Folgenden<br />
beschriebene Änderung ihrer ABC-Abwehr um.<br />
Im Kern geht es um die zusätzliche Fähigkeit<br />
zur <strong>Dekontamination</strong> einer auch größeren Zahl Betroffener.<br />
Dem ständig besetzten ABC-Zug der Berufsfeuerwehr<br />
Dortmund werden zwei Löschzüge der<br />
Freiwilligen Feuerwehren als identische Dekonzüge<br />
beigestellt. Diese übernehmen mit jeweils einem<br />
Löschfahrzeug der Berufsfeuerwehr Aufbau und Betrieb<br />
der Dekonstellen für verletzte Zivilpersonen.<br />
Die Dekonzüge erhalten die beiden im Stadtgebiet<br />
vorhandenen LkwDekonP des Bundes mit stark<br />
erweiterter Beladung.<br />
Begriffe und Grundlagen<br />
Gemäß der Konsensgespräche im Arbeitskreis<br />
Dekon-Bund wird die <strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />
als DekonV bezeichnet. Die <strong>Dekontamination</strong> vieler<br />
unverletzter Personen fällt unter Dekon-Betroffener,<br />
die von Einsatzkräften unter entsprechender Persönlicher<br />
Schutzausrüstung als Dekon-Einsatzkräfte.<br />
Das dargestellte Dekonkonzept begründet<br />
sich in den zwei Grundregeln der <strong>Dekontamination</strong>:<br />
•Regel 1: Die Kontaminationsverschleppung wird<br />
mehr Schaden außerhalb der Einsatzstelle anrichten<br />
als innerhalb. Das gilt sowohl für Personen als<br />
auch für kritische Infrastruktur.<br />
- Kontaminationsverschleppung ist zu verhindern.<br />
•Regel 2: Wirksam ist eine <strong>Dekontamination</strong> nur,<br />
wenn sie schnell erfolgt.<br />
- Kleidung ablegen, viel Wasser und Seife<br />
Die Betrachtung des vermutlichen zeitlichen<br />
Ablaufes (Abb. 1) zeigt, dass die schwierigeste Patientengruppe<br />
T1 mit starker Verzögerung einlaufen wird.<br />
Nach Etablierung der Einsatzstelle bildet sich vor<br />
E3 ein Plateau durch kontinuierliche Rettung der<br />
Schwerverletzten aus. Bis hier kann die Dekonstelle<br />
voll betriebsbereit sein und die Last aufnehmen.<br />
Der Sanitätsdienst Dortmund verfügt über zwei<br />
BHP, deren Eingangssichtung nach Regel 1 jeweils<br />
eine <strong>Dekontamination</strong> vorgeschaltet sein muss. Die<br />
gleiche Regel erfordert eine Dekonstelle vor dem<br />
nächst gelegenen Krankenhaus. Hierhin werden sich<br />
Patienten in der Anfangsphase selbst zur Traumaversorgung<br />
begeben 1 . Folgerichtig muss ein Dekonzug<br />
für sich über folgende Fähigkeit verfügen:<br />
•Versorgung zweier BHP mit zusammen 100 Patienten<br />
pro Stunde,<br />
•autarke Arbeit über zwei Stunden ohne Fremdversorgung,<br />
•Rüstzeit von 15 min nach Eintreffen.<br />
Ablauf der <strong>Dekontamination</strong><br />
Die ersteintreffenden Einheiten des Brandschutzes<br />
retten soweit möglich die erreichbaren Patienten<br />
aus dem Gefahrenbereich. Der Umweltdienst 2<br />
legt den Ort der Dekonstelle fest und weist den hinzukommenden<br />
Dekonzug ein. An der Gefahrenbereichsgrenze<br />
legt er die Patientenablage — schwarz —<br />
1 Einsatzerfahrungen Sarin-Anschlag Tokio 1995, Bombenanschläge<br />
Madrid 2004.<br />
2 Beamter des g.D. der Berufsfeuerwehr im 24h-Dienst; Taktischer<br />
Führer des ABC-Zuges.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 31
DEKON: TECHNIK<br />
an. Hier erfolgt die Erstsichtung nach NATO-Standard<br />
zur Festlegung der <strong>Dekontamination</strong>sreihenfolge.<br />
Aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit von Ärzten<br />
mit Atemschutztauglichkeit wird hier u.U. ein Rettungsassistent<br />
eingesetzt 3 . In der Patientenablage wird<br />
nur rudimentäre Erste Hilfe sowie Schockbekämpfung<br />
mittels Infusion geleistet. Bestimmte Stellen werden<br />
einer Spot-Dekon unterzogen:<br />
•Augen, Nase, Mund mit NaCl/Ringer-Lactat spülen;<br />
•Injektionsstellen mit Natriumhypochlorit reinigen,<br />
•offene Wunden reinigen: Wasserstoffperoxid<br />
(H 2 O 2 ) 3%;<br />
•Hydrophobe Kontaminationen mit Polyethylenglykol<br />
(PEG) (400-800 g/mol) entfernen;<br />
•Korrosive Hautkampfstoffe: nur NaOCl 0,5%;<br />
•offene Wunden mit Folienverbänden abdecken.<br />
Die benötigten Dekontaminatien führt der<br />
Dekonzug in entsprechend geeigneten Gefäßen wie<br />
z.B. Industrie-Sprühflaschen mit.<br />
Die Verletzten T3 dekontaminieren sich selbstständig<br />
unter Überwachung in einem eigenen Bereich.<br />
Die Verletzten T1 / T2 werden mittels Spine-Board<br />
in die Dekonstelle verbracht. Nach Abstöpseln der<br />
Infusionen erhalten die Verletzten Schwimmbrille und<br />
Sauerstoffinhalationsmaske zum Schutz vor Aerosolen.<br />
Die Dekonstelle verfügt über mindestens zwei<br />
gleichartige Trassen zur gleichzeitigen <strong>Dekontamination</strong><br />
von zwei Patienten. Sind beide zu versorgenden<br />
BHP in Betrieb, werden zwei weitere Trassen eingerichtet.<br />
Die Trassen bestehen aus klappbaren Rollbahnen<br />
niedrigen Gewichtes. Die Spine-Boards werden<br />
im Schwarzbereich aufgelegt und bis in den<br />
Weißbereich mit abgeschlossener Dekon geschoben.<br />
Der Verletzte kann rasch und effizient gereinigt werden,<br />
einschließlich der notwendigen Drehungen auf<br />
die Seite. Am Schluss der Rollbahn erfolgt die Umlagerung<br />
auf eine Trage des BHP. Dieser übernimmt<br />
die Person dann in die eigene Sichtung. Transport<br />
zur Rollbahn, Auskleiden, <strong>Dekontamination</strong> und Detektion<br />
übernehmen die jeweiligen Trupps. Der Trasse<br />
der Verletzten T3 sind nur Überwacher zugeteilt,<br />
die den Personen Anweisungen zum Entkleiden und<br />
Reinigen geben. Sie teilen zum Schluss Notkleidung<br />
in Form von Badeschlappen und Overalls aus. Für<br />
die Detektion i.S. der Freimessung vor Übergabe der<br />
Patienten stehen nur die üblichen eingeschränkten<br />
Möglichkeiten zur Verfügung.<br />
32 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Die Wahl der Dekontaminantien erfolgt nach<br />
der dritten Grundregeln der <strong>Dekontamination</strong>:<br />
•Regel 3: <strong>Dekontamination</strong> bedeutet nur den Einsatz<br />
von Wasser und Seife;<br />
- Ausnahme: Die B-Lage erfordert Zumischung<br />
von Peressigsäure (PES) zur Desinfektion.<br />
- Ausnahme: Kein Wasser bei korrosiven Hautkampfstoffen<br />
4 (Losten, Lewisit, etc.).<br />
Im Detail ergeben sich daraus die drei unterschiedliche<br />
Vorgehensweisen:<br />
•A-Lage:<br />
Warmes Wasser und Seife,<br />
Mit Ionentauscher (z.B. Zeolithe wie Amberlit®)<br />
Ionen im Abwasser binden.<br />
•B-Lage:<br />
Warmes Wasser und 0,3 % Peressigsäure,<br />
Einwirkzeit ca. 3-4 Minuten.<br />
•C-Lage:<br />
Industriechemikalien mit warmen Wasser und Seife.<br />
Hydrophobe Chemikalien: 0,2-0,5 % Polyethylenglykol.<br />
Korrosive Hautkampfstoffen: kein Wasser!<br />
- Sichtbare Kontaminationen mit NaOCL spülen,<br />
- oder Trockendekontamination mit Puder (besser<br />
NaOCl-Puder) abtupfen.<br />
Stufenkonzept <strong>Dekontamination</strong><br />
Zur angepassten Reaktion auf unterschiedliche<br />
ABC-Szenarien setzt die Stadt Dortmund das<br />
Stufenkonzept der FwDV 500 allgemeingültig um.<br />
Dabei wird die <strong>Dekontamination</strong> von Einsatzkräften,<br />
Verletzten und Betroffenen integriert. In der ersten<br />
Stufe werden durch jeweils zwei der ersteintreffenden<br />
Löschfahrzeuge Duschgassen erstellt. Jeder<br />
ELW eines Löschzuges führt für 50 Personen Reinigungsmittel<br />
und Einwegkleidung mit. Die gehfähigen<br />
Betroffenen entkleiden sich und können mit Wasser<br />
und Seife insbesondere freiliegende Hautoberflächen<br />
3 Den Verf. ist der Widerspruch zu DIN 13050 und korrekter Empfehlung<br />
DGKM e.V. schmerzlich bewusst.<br />
4 NATO-Standard: Behandlung von Kontamination bezüglich Alkylantien<br />
und Arsenhaltige Verbindungen.
und Haarwuchs notdürftig dekontaminieren. Dies<br />
wird selbstverständlich nur bei entsprechender Witterung<br />
oder sehr hautreizender Kontamination funktionieren.<br />
Das Problem des Schamverhaltens einiger<br />
Personengruppen ist den Verfassern wohl bewusst,<br />
scheint derzeit aber für die Einsatzkräfte unlösbar.<br />
Die zweite Stufe stellt sich durch die Dekonstelle<br />
des ABC-Zuges der Berufsfeuerwehr dar. Sie ist<br />
innerhalb 10 min nach Eintreffen betriebsbereit und<br />
dekontaminiert Einsatzkräfte in Schutzkleidung und<br />
bis zu fünf Betroffene. Die dritte Stufe ist die zusätzliche<br />
Alarmierung eines oder beider Dekonzüge. Sie<br />
stellen die eingangs geforderte Kapazität von gesamt<br />
200 Personen je Stunde.<br />
Erweiterte Ausstattung eines<br />
LkwDekonP zum DekonV<br />
Die Trassen zur Dekontamionation müssen<br />
witterungsgeschützt und gewärmt sein. Hierzu werden<br />
aufgrund der besseren Stabilität vermutlich Druckluftzelte<br />
Verwendung finden. Die Trassen der liegend<br />
Verletzten bestehen aus klappbaren Rollbahnen,<br />
neben denen Bewegungsfläche für die Einsatzkräfte<br />
frei bleibt.<br />
Dekontaminatien und Warmwasser wird mittels<br />
Dosierpumpen über von der Zeltdecke hängenden<br />
Armaturen zur Verfügung gestellt. Die aktuelle<br />
Planung an weiterer Ausstattung liegt bei 30 Spine-<br />
Boards, vier Rollbahnen, Einwegtragetücher und Notkleidung<br />
für 200 gehfähige Betroffene. Dazu die erforderliche<br />
Menge an Rettungsdecken, Trauma- und<br />
Infusionssets, Verletztenanhängekarten. Das am<br />
Patienten in der Patientenablage erforderliche Material<br />
wird in wasserdichten Big Bags gelagert. Die Einsatzkräfte<br />
können dann ohne weitere Vorbereitung<br />
aus diesen Großtaschen heraus arbeiten. Handhabung,<br />
Robustheit und geringes Gewicht sprechen<br />
für diese Verlastung.<br />
Gliederung der Einsatzmittel<br />
Die <strong>Dekontamination</strong> wird modular organisiert:<br />
•DekonE (Einsatzkräfte) führt ein Löschfahrzeug<br />
unter Führung des Fü Drehleiter der Umweltwache<br />
durch.<br />
•DekonV ist zweimal als Dekonzug bei der Freiwilligen<br />
Feuerwehr vorhanden. Das jeweilige NEF unterstützt<br />
die Erstsichtung. Sollte der NA Atemschutztauglichkeit<br />
besitzen, übernimmt er die<br />
Sichtung.<br />
•DekonB (Betroffene) wird durch jeweils zwei adhoc<br />
zusammengeführte Löschfahrzeuge sowie dem Reinigungsmittel<br />
irgendeines an der Einsatzstelle<br />
befindlichen ELW durchgeführt.<br />
Jede Lösung zieht weitere Aufgaben nach.<br />
Das dargestellte Dekonkonzept befindet sich<br />
bis einschließlich März 2006 in der Umsetzung. Die<br />
anschließende mehrwöchige Evaluierungsphase endet<br />
in der vollständigen Inbetriebsetzung im April 2006.<br />
Derzeit besteht noch folgender Klärungsbedarf:<br />
Abb. 1<br />
•Dekonstufe 1 (Massen-Dekon): Verlastung und Art<br />
Reservekleidung.<br />
•Festlegen einzelner Handhabungen und Vorgaben.<br />
•Einbinden von KIT/PSU hinsichtlich Betreuungskonzept<br />
besonders bei Massen-Dekon zum Stichwort<br />
Schamverhalten unserer multikulturellen<br />
Gesellschaft.<br />
•Detailauswahl und Beschaffen noch ausstehender<br />
Ausstattung zum DekonV.<br />
•Fortbildung der Einsatzkräfte von Feuerwehr und<br />
insbesondere Hilfsorganisationen.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 33
34<br />
DEKON: MEDIZIN<br />
CBRN-Szenarien<br />
Großschadenslagen mit zusätzlicher Gefährdung durch<br />
Schadstoffe ( ABC )<br />
Von Marion Jahns, BBK<br />
So genannte Großschadenslagen finden aufgrund der<br />
unterschiedlichsten Ereignisse in jüngster Vergangenheit,<br />
wie z.B. der Tsunami- Katastrophe, der Terroranschläge<br />
in London, der Wirbelsturmschäden im Süden<br />
der USA oder in Mittelamerika, zunehmend Interesse<br />
in der gesamten Öffentlichkeit. Aufgrund der<br />
weltweiten und intensiven Berichterstattungen zu den<br />
jeweiligen Geschehnissen ist in der Öffentlichkeit<br />
ein zunehmendes Bewusstsein geweckt worden, wie<br />
wichtig die allgemeine Vorbereitung der unterschiedlichsten<br />
Institutionen auf den Umgang mit solchen<br />
Ereignissen und deren Bewältigung ist.<br />
Grundsätzlich ist die Bewältigung eines Massenanfalls<br />
von Verletzten, kurz MANV genannt,<br />
durch Rettungsdienste und Feuerwehren, sowie beteiligte<br />
Institutionen in den einzelnen Bundesländern<br />
geregelt. Eine zusätzliche Herausforderung stellt<br />
jedoch ein solcher MANV mit Einwirkung von chemischen,<br />
biologischen, radiologischen, nuklearen<br />
Schadstoffen (CBRN oder kurz ABC) dar.<br />
Auch die medizinische Versorgung der Betroffenen<br />
und die Bearbeitung solcher Szenarien bedarf<br />
einer speziellen Verfahrensweise, um den besonderen<br />
Anforderungen hinreichend gerecht werden zu können.<br />
Lageeinschätzung<br />
Im Folgenden soll eine Systematik erläutert<br />
werden, die ein Strategievorschlag sein sollte, um die<br />
Problematik eines MANV mit ABC- Einwirkung<br />
darzustellen.<br />
Der ärztliche Leiter Rettungsdienst bzw. der<br />
Leitende Notarzt vor Ort und sein medizinisches<br />
Team brauchen Informationen und Klärung der fol-<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
genden Fragen, um weitere medizinische Vorgehensweisen<br />
planen zu können.<br />
•Was ist passiert?<br />
Die Ursachen einer Großschadenslage können<br />
vielfältig sein, z.B. Unfall, Terroranschlag, kriegerische<br />
Auseinandersetzungen, kriminelle Auseinandersetzungen,<br />
Naturkatastrophen.<br />
•Wo befindet sich der Schadensort?<br />
Denn die Lokalisation, der Ort, die Räumlichkeit<br />
eines Szenarios bestimmen das Risiko einer weiteren<br />
Ausbreitung und den Schweregrad der Ausprägung<br />
der Schäden bzw. Schädigungen.<br />
•Sind Folge- und/oder Kollateralschäden zu erwarten?<br />
z.B. durch Explosionen, Brand, Überflutungen,<br />
Strom, etc.?<br />
•Welcher Schadstoff wird freigesetzt?<br />
Die Schadstoffanalyse so zeitnah wie möglich zu<br />
erhalten, ist zentraler Beurteilungspunkt zur Einschätzung<br />
der Primärgefährdung aller Betroffener,<br />
<strong>Verletzter</strong> und Unverletzter. Kann es aufgrund des<br />
Schadstoffes zu verzögerten Körperreaktionen,<br />
organischen Schädigungen kommen und wie sieht<br />
der zu erwartende Krankheitsverlauf aus? Besteht<br />
die Gefahr der Übertragung oder Ansteckung?<br />
Sind durch den Schadstoff Folgeschäden oder<br />
Dauerschäden zu erwarten?<br />
•Wie hoch wird die zu erwartende Anzahl der<br />
Geschädigten sein?<br />
Darunter fallen alle akut Erkrankten und Betroffenen.<br />
Wichtig ist hierbei jedoch ein möglicherweise<br />
verzögertes Auftreten von Symptomen bzw.<br />
Erkrankungen, ist mit Inkubationszeiten zu rechnen?<br />
Wie hoch ist demnach die zu erwartende<br />
Zahl Erkrankter, wie ist die zu erwartende Ausprägung<br />
der Erkrankung, sind deren Schweregrad und
Verlauf abzuschätzen? Daraus ergeben sich die mögliche<br />
Anzahl von Leicht – bis Schwerstverletzten.<br />
Sind Folgeschäden absehbar?<br />
Notfallmedizinische Besonderheiten bei Großschadenslagen<br />
unter Beteiligung von CBRN- Schadstoffen<br />
ergeben sich in insgesamt 3 großen Bereichen:<br />
•Patientenversorgung<br />
•Helferschutz und Helferversorgung<br />
•Logistik<br />
Patientenversorgung<br />
Die Patientenversorgung umfasst die primär betroffenen,<br />
kontaminierten Personen. Diese befinden<br />
sich am Ereignisort und gliedern sich auf in verletzte,<br />
unverletzte nicht erkrankte, unverletzte erkrankte<br />
Personen, wie z. B. akutes Coronarsyndrom, akute<br />
Panikstörung, etc. Des<br />
Weiteren kommen sekundär<br />
betroffene, kontaminierte<br />
Personen hinzu.<br />
Diese befinden sich nicht<br />
unmittelbar am Ereignisort,<br />
sind aber durch Inhalation,<br />
Übertragung<br />
oder Infektion betroffen.<br />
Die zu erwartenden<br />
Verletzungs- und<br />
Schädigungsmuster unterscheiden<br />
sich vom<br />
MANV in der klassischen<br />
Form, dass zusätzlich<br />
das schädigende<br />
Agens berücksichtigt werden<br />
muss, und von daher<br />
mit unterschiedlich<br />
ausgeprägten Symptomatiken,<br />
auch bei evtl.<br />
Leichtverletzten oder<br />
Kindern, zu rechnen ist. Als mögliche Eintrittspforten<br />
kommen Haut, Schleimhäute, Augen, Lunge,<br />
offene Verletzungen in Frage, wobei die Resorptionswege<br />
aufgrund ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit<br />
differenziert zu betrachten sind.<br />
Grundsätzlich ist aus medizinischer Sicht festzuhalten,<br />
dass das immer zugrunde liegende Dosis-<br />
<strong>Dekontamination</strong> eines Schutzanzugträgers.<br />
Wirk-Prinzip das Ausmaß der Schädigung bestimmt.<br />
Die aufgenommene Dosis steigt mit der Zeit und<br />
macht damit eine zeitnahe <strong>Dekontamination</strong> erforderlich,<br />
wobei die Resorption über die Atemwege als<br />
grundsätzlich gefährlicher einzustufen ist als über<br />
die Haut. Damit können Erstmaßnahmen schon am<br />
Ereignisort, z.B. unmittelbar nach der Bergung<br />
erforderlich sein, noch bevor die eigentliche Körperdekontamination<br />
durchgeführt wird.<br />
Helferschutz und Helferversorgung<br />
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass für<br />
alle medizinischen Helfer erschwerte Zugangsmöglichkeiten<br />
zum Ereignisort bestehen. Außerdem bedarf<br />
es Eigenschutzmaßnahmen und Ausrüstung im<br />
Sinne des Arbeitsschutzes. Es müssen <strong>Dekontamination</strong>smaßnahmen<br />
für die Helfer vorgehalten werden.<br />
Ebenso ist die Einsatzmöglichkeit zeitlich begrenzt,<br />
was eine ausreichende man-power (Durchhaltefähigkeit)<br />
erforderlich macht. Des Weiteren sind Ruhezonen,<br />
ggf. medizinische und/oder psychologische<br />
Betreuung der Helfer, sowie die Sicherstellung der<br />
alimentären Versorgung erforderlich<br />
Vom heutigen Stand ausgehend gibt es kaum<br />
Rettungsdienstpersonal, das ausreichend im Anlegen<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
35
36<br />
DEKON: MEDIZIN<br />
von, Tragen und Arbeiten mit Persönlicher ABC-<br />
Schutzausrüstung geschult ist. Ebenso gibt es nicht<br />
in ausreichender Anzahl in Sicherheitsmaßnahmen<br />
versiertes und medizinisch geschultes Personal.<br />
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Bildung<br />
von gemischten Einheiten aus z.B. Rettungsdienst<br />
und Feuerwehr unmittelbar am Schadensort/<br />
gem. FwDV 500 roter Bereich.<br />
Diese Einheiten müssten gemeinsam eine spezifische<br />
Ausbildung und Qualifikation in CBRN-<br />
Maßnahmen, inklusive der Schutzausrüstungen erhalten.<br />
Es sollten feste Qualifikationsvoraussetzungen/<br />
Normen festgelegt werden, ebenso definierte Aufgabenbereiche<br />
postuliert werden.<br />
Weiterhin bedarf es definierter Teamzusammensetzungen<br />
in den einzelnen Funktionen. Regelmäßiges<br />
Training spezieller CBRN- Szenarien und intensivierte<br />
Kommunikation fördern die Professionalität<br />
eines solchen Teams.<br />
In dieser Form gestaltete Teams ermöglichen<br />
jederzeit eine Austauschbarkeit ohne Qualitätsverlust.<br />
Außerdem ermöglicht dies eine effektive Ausschöpfung<br />
von Personalressourcen. Das wiederum<br />
ist vor dem Hintergrund des ebenfalls erforderlichen<br />
Personals zur Primärversorgung der dekontaminierten<br />
Patienten in den eingerichteten Behandlungsplätzen<br />
dringend erforderlich.<br />
Logistik<br />
Behandlungsplatz zur Primärversorgung. (Fotos: Stein/BBK)<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Ebenso müssen noch Einheiten im so genannten<br />
Absperrbereich/ „Grüne Zone“ und Umgebung<br />
vorgehalten werden.<br />
Denn auch die<br />
nicht erkrankte Bevölkerung<br />
bedarf der Betreuung.<br />
Es müssen Sekundärtransporte<br />
und Verlegungen<br />
von Patienten<br />
durchgeführt werden.<br />
Ausgetauschte Helfer in<br />
den Ruhezeiten müssen<br />
ebenfalls versorgt werden.<br />
Die logistischen<br />
Anforderungen einer<br />
solchen Großschadenslage<br />
sind enorm, z.B.<br />
bezüglich der Zonenfestlegung,<br />
der erforderlichen<br />
Man-Power, der<br />
Materialbeschaffung, der<br />
Sicherstellung des Transportes<br />
von Mensch und<br />
Material und der Aufrechterhaltung der Kommunikationswege.<br />
Fazit:<br />
•Standardisierung aller Bereiche schafft Sicherheit<br />
in der Funktion, optimiert die Einsetzbarkeit des<br />
vorhandenen Personals, verbessert die gesamte<br />
Operabilität im Schadensfall.<br />
•Regelmäßiges Üben erhöht die Professionalität im<br />
Umgang mit realen Schadensereignissen.<br />
•Spezielle Qualifizierung von Fachpersonal gewährleistet<br />
die ereignisbezogen machbare Qualität der<br />
medizinischen Versorgung.
Dekon-Rahmenkonzept<br />
Entwurf der Bund-Länder-Arbeitsgruppe (07.09.2005)<br />
Von Dr. Bernd Krawczyk<br />
Ziel des vorliegenden Konzeptes ist die Formulierung<br />
einer bundesweit umsetzbaren Empfehlung für die<br />
<strong>Dekontamination</strong> von verletzten Personen (Dekon-V).<br />
Als Grundlage dient der Entwurf des Landes Rheinland-Pfalz,<br />
mitgewirkt haben Vertreter der Länder Berlin,<br />
Bremen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen,<br />
Bayern und Rheinland-Pfalz sowie der Bundeswehr<br />
unter Moderation von Frau Dr. Flieger (BBK).<br />
Das Rahmenkonzept soll die Grundprinzipien<br />
einer <strong>Dekontamination</strong> von Personen erläutern, die<br />
aufgrund ihres Verletzungsmusters einer sofortigen<br />
medizinischen Versorgung bedürfen. Neben einer frühzeitigen<br />
Identifikation des Gefahrstoffs spielt dabei<br />
vor allem der Faktor Zeit bei der Einleitung medizinischer<br />
Maßnahmen eine entscheidende Rolle. Bei<br />
der technischen Durchführung werden zudem durch<br />
das Auftreten von nicht gehfähigen Personen besondere<br />
Anforderungen an die <strong>Dekontamination</strong> gestellt.<br />
Aufgrund der oftmals systembedingten getrennten<br />
Durchführung der Aufgaben in verschiedenen Organisationen<br />
(Feuerwehr/Sanitätsdienst) kommt es zu<br />
Schnittstellenproblemen bei der organisationsübergreifenden<br />
Zusammenarbeit. Zudem entstehen besondere<br />
Anforderung an die Ausbildung. Konkret durchgeplant<br />
ist dabei bislang die <strong>Dekontamination</strong> nach<br />
A- oder C-Kontamination. Die Ausweitung auf desinfizierende<br />
<strong>Dekontamination</strong> soll folgen.<br />
Verletzten-<strong>Dekontamination</strong> — warum?<br />
Die wirksamste <strong>Dekontamination</strong> einer Person<br />
nach einer Gefahrstoffexposition ist die, die unmittelbar<br />
nach der Kontamination durchgeführt wird.<br />
Um die Einwirkzeit des Gefahrstoffs so gering wie<br />
möglich zu halten, ist daher eine <strong>Dekontamination</strong><br />
noch an der Einsatzstelle erforderlich. Ist eine <strong>Dekontamination</strong><br />
aufgrund des erforderlichen Zeitbedarfs<br />
medizinisch nicht vertretbar, müssen medizinische<br />
Sofortmaßnahmen bereits vor der <strong>Dekontamination</strong><br />
durchgeführt werden. Der Transport eines kontaminierten<br />
Verletzten ist nur im Einzelfall in Erwägung<br />
zu ziehen. Im Großschadensfall mit einer größeren<br />
Anzahl von Verletzten ist der Schutz nachgeschalteter<br />
Behandlungseinheiten wie Krankenhaus oder Behandlungsplatz<br />
mit höherer Priorität zu sehen. Werden<br />
kontaminierte Verletzte vor der Behandlungseinrichtung<br />
nicht dekontaminiert, kommt es in Folge<br />
von Sekundärkontamination sehr schnell zum Ausfall<br />
der gesamten Behandlungseinrichtung und der<br />
angeschlossenen Transportsysteme, so dass die medizinische<br />
Versorgung aller Betroffenen gefährdet ist.<br />
Schematischer Ablauf der Dekon-V<br />
Zunächst erfolgt die Rettung Betroffener aus<br />
dem Gefahrenbereich durch Einheiten der Feuerwehr<br />
mit ABC-Schutzbekleidung.<br />
Verletzte werden zu einem Sammelpunkt gebracht,<br />
der gleichzeitig den Eingangsbereich zum Dekonplatz<br />
für Verletzte darstellt. Der Dekonplatz ist<br />
der Behandlungseinrichtung vorgeschaltet. Dies kann<br />
räumlich an der Grenze zum Gefahrenbereich erfolgen,<br />
ist aber auch konkret im Eingangsbereich von<br />
Krankenhäusern direkt als Filter vor der Behandlungseinrichtung<br />
denkbar. Der Dekonplatz selbst ist deutlich<br />
zu kennzeichnen und als Schleuse mit zwangsläufiger<br />
Abfolge der Maßnahmen zu strukturieren<br />
(Einbahnstraßen-Prinzip).<br />
Er gliedert sich in einen vorgeschalteten Sichtungsbereich,<br />
Entkleidung und Anbehandlung sowie<br />
den eigentlichen Dekonbereich, getrennt für gehfähige<br />
und liegende Verletzte. Diese Maßnahmen werden<br />
innerhalb der Schleuse im ungefährdeten, aber<br />
noch unreinen „Schwarz“-Bereich durchgeführt.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
37
38<br />
DEKON: MEDIZIN<br />
Der Dekonplatz für Verletzte wird von Einheiten<br />
der Feuerwehr und des Rettungs- bzw. Sanitätsdienstes<br />
(Rettungsfachpersonal) gemeinsam betrieben.<br />
Die Gefahren durch sekundären Kontakt mit<br />
dem ABC-Gefahrstoffen erfordern hierbei das Tragen<br />
geeigneter Schutzbekleidung sowie Atemschutz.<br />
Im Anschluss an die <strong>Dekontamination</strong> werden<br />
die Betroffenen an den reinen „Weiß“-Bereich so übergeben,<br />
dass von ihnen keine Gefahren mehr für die<br />
nachfolgenden behandelnden Kräfte ausgeht. Am<br />
Übergabepunkt kann ein Nachweis auf Kontaminationsfreiheit<br />
geführt werden. Ein schnelles und sicheres<br />
Monitoring ist derzeit jedoch nur bei radioaktiver<br />
Kontamination möglich. In allen anderen Fällen muss<br />
die Kontaminationsfreiheit über ein standardisiertes<br />
<strong>Dekontamination</strong>sverfahren sichergestellt werden.<br />
Vorgezogene Sichtung im „Schwarz“-Bereich<br />
Verletzungsmuster und Kapazitätsgrenzen erfordern<br />
ein Vorziehen des klassischen Sichtungsbereichs<br />
vor die technische <strong>Dekontamination</strong> der Feuerwehr.<br />
Die Gefahr einer Sekundärkontamination<br />
über den Kontakt mit dem Verletzten erfordert in diesem<br />
Bereich geeignete ABC-Schutzbekleidung sowie<br />
Atemschutz, unter denen sie Entkleidung, Untersuchung,<br />
Registrierung und Anbehandlung durchführen.<br />
Aufgrund der zu erwartenden geringen Konzentration,<br />
die von den Verletzten ausgeht, ist grundsätzlich das<br />
Tragen einer leichten Chemikalienschutzbekleidung<br />
sowie einer Vollmaske mit Atemfilter (ABEK2P3)<br />
erforderlich. Im Bereich der Hände sind Untersuchungshandschuhe<br />
doppellagig einzusetzen und<br />
nach jedem Patienten die oberste Lage zu wechseln.<br />
Im Sichtungsbereich werden die Betroffenen<br />
entkleidet, registriert und anschließend untersucht.<br />
Aufgrund der eingeschränkten Untersuchungsmöglichkeiten<br />
und des hohen Zeitdrucks haben diese<br />
Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt nur das Ziel der<br />
Einleitung einer zügigen Weiterbehandlung. Die<br />
anschließende Anbehandlung verfolgt das Ziel, den<br />
Verletzten so zu stabilisieren, dass er den Dekon-Prozess<br />
durchlaufen kann (Basic Life Support). Hierzu<br />
zählen u. a. Tätigkeiten wie Spot-<strong>Dekontamination</strong>,<br />
Wundabdeckung und ggf. Gabe von Antidota. Das<br />
medizinische Personal des Sichtungsbereiches besteht<br />
nach Möglichkeit aus einem Notarzt und zwei weiteren<br />
Rettungsfachkräften, die Feuerwehr unterstützt.<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
<strong>Dekontamination</strong><br />
Die Durchführung der <strong>Dekontamination</strong> erfordert<br />
eine Trennung in einen Bereich für gehfähige<br />
Verletzte und einen für liegende Verletzte. Die <strong>Dekontamination</strong><br />
erfolgt nass mit lauwarmen Wasser über<br />
Handbrausen geschützt in Zelten oder stationären<br />
Anlagen. Als Grundlage für eine mobile Nass-<strong>Dekontamination</strong><br />
kann die Dekon-P-Ausrüstung des Bundes<br />
als Basis dienen, die den Aufbau von zwei parallelen<br />
Dekon-Linien ermöglicht. Für den Liegend-Bereich<br />
sind je ein Tragengestell sowie Transferboards<br />
für Nass-<strong>Dekontamination</strong> in ausreichender Anzahl<br />
vorzusehen. Die Erweiterung der Dekon-P-Anlage<br />
um ein weiteres Zelt ermöglicht den Betrieb von vier<br />
parallelen Dekon-Linien und räumliche Trennung<br />
von Gehend- und Liegend-Bereich. Beide Bereiche<br />
können jedoch gemeinsam über die Technik der<br />
Dekon-P versorgt werden.<br />
Für jede Dekon-Linie ist ein Dekon-Team,<br />
bestehend aus zwei Dekon-Helfern der Feuerwehr<br />
und einer Rettungsfachkraft, notwendig. Im Bereich<br />
der Nass-Dekon ist zu der beschriebenen Schutzbekleidung<br />
eine Ergänzung durch Gummistiefel sowie<br />
Chemikalenschutzhandschuhe erforderlich.<br />
Zeitschiene und Kapazitäten<br />
Die erforderlichen Zeiten für Entkleidung,<br />
Sichtung, Registrierung, Anbehandlung und <strong>Dekontamination</strong><br />
orientieren sich am Verletzungsmuster<br />
und können daher stark variieren. Als Planungsgrößen<br />
können 20 gehfähige Verletzte pro Stunde und<br />
Dekon-Team angesetzt werden. Für liegende Verletzte<br />
reduziert sich der Ansatz aufgrund des erhöhten<br />
Zeitaufwandes auf 5. Mit der aufgezeigten Erweiterung<br />
der Dekon-P-Anlage auf vier Dekon-Linien<br />
ergibt sich so eine rechnerische Kapazität von 10/40<br />
(liegend/gehend), mit der ein Standard-Behandlungsplatz<br />
(BHP 50) versorgt werden kann, ohne dass es<br />
zu planungsbedingten Engpässen kommt.<br />
Neben der technischen Planungsgröße sind ausreichend<br />
Personalreserven als Tragehilfen und Ablösung<br />
der Einheiten unter Schutzbekleidung spätestens<br />
nach etwa 60 Minuten vorzusehen. Grundsätzlich<br />
soll der Betrieb von mindestens zwei Stunden<br />
vorgesehen werden.
ABC-<strong>Dekontamination</strong><br />
von Patienten<br />
Von Rudolf Junker und PD Dr. med. Sergei Bankoul<br />
Als oberste politische Behörde der Schweiz erteilte der<br />
Bundesrat im September 2003 der eidgenössischen<br />
Kommission für ABC-Schutz den Auftrag, sämtliche<br />
ABC-Projekte in der Schweiz zusammenzuführen<br />
und das Projekt „Nationaler ABC-Schutz“ zu initialisieren.<br />
Neue Risiken und Gefahren sowie insbesondere<br />
die Erkenntnisse und Lehren aus dem „C-Terroranschlag“<br />
von 1995 auf die U-Bahn in Tokyo und den<br />
darauf folgenden Ereignissen „Anthrax“ und “Sars“<br />
machten deutlich, dass in der Schweiz im Bereich<br />
ABC-Schutz Anpassungen notwendig sind und insbesondere<br />
im Bereich <strong>Dekontamination</strong> von Patienten<br />
schwerwiegende Mängel und Lücken bestehen.<br />
Ziele des Projekts „Nationaler ABC-Schutz“<br />
•Das Projekt „Nationaler ABC-Schutz“ basiert auf<br />
bestehenden Aktivitäten, geplanten und genehmigten<br />
Projekten und Organisationen und bezieht<br />
alle wichtigen Beteiligten ein.<br />
•Es liefert ein umsetzungsfähiges, finanzierbares und<br />
zukunftsorientiertes Konzept „Nationaler ABC-<br />
Schutz“ mit Grundlagen und Optionen für:<br />
- eine Effizienzsteigerung im ABC-Bereich<br />
- Anträge und Empfehlungen (z. B. mit Konsequenzen<br />
für rechtliche Erlasse)<br />
- die Umsetzung auf Stufe Bund und Kanton<br />
und Gemeinde<br />
- eine klare Sprachregelung und Definition der<br />
zu verwendenden Begriffe.<br />
Es geht darum, aufbauend auf einem umfassenden<br />
Szenarienkatalog, ein möglichst breites Spektrum<br />
an Bedrohungen (Unfall, Naturkatastrophe,<br />
zivilisationsbedingte Katastrophe, Kriminalität, Terror,<br />
Krieg) abzudecken und deren Auswirkungen auf<br />
DEKON: MEDIZIN<br />
die betroffenen Organisationen auf den Stufen<br />
Bund, Kantone und Gemeinden zu erarbeiten und<br />
daraus die notwendigen Maßnahmen für den ABC-<br />
Bereich im Rahmen des Bevölkerungsschutzes einzuleiten<br />
und umzusetzen.<br />
Auf den besonderen Schutz des Personals ist zu achten.<br />
Folgende Partner sind involviert:<br />
•Bundesamt für Bevölkerungsschutz (mit Labor<br />
Spiez und Nationaler Alarmzentrale)<br />
•Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen<br />
•Kantone<br />
•Industrie<br />
•Kompetenzzentrum der Armee<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
39
40<br />
DEKON: MEDIZIN<br />
•Oberfeldarzt/Beauftragter des Bundesrates für den<br />
Koordinierten Sanitätsdienst (KSD)<br />
•Bundesamt für Gesundheit<br />
•Bundesamt für Veterinärwesen<br />
•Bundesamt für Landwirtschaft<br />
•Bundesamt für Umwelt<br />
Die Überprüfung bestehender Konzepte machte<br />
rasch deutlich, dass ein Hauptmanko insbesondere<br />
den Bereich „<strong>Dekontamination</strong>“ betrifft, weil dieser<br />
in punkto Ausrichtung, Abläufen und Maßnahmen<br />
in der Schweiz vorwiegend auf „C-Ereignisse“ ausgerichtet<br />
ist. Heute fehlen konzeptionelle Grundlagen<br />
vor allem für die A-, B-<strong>Dekontamination</strong> von Patienten<br />
im Transport- und Hospitalisationsraum mit<br />
Schwergewicht Spital!<br />
Eine Zusammenarbeit auf den Stufen Bund<br />
(inklusive Armee) und Kantone ist im Hinblick auf<br />
ABC-Gefahren und -Risiken unabdingbar! Die aktuelle<br />
Bedrohungslage erfordert ebenso unverzichtbar<br />
den Einbezug aller drei Komponenten „ABC“, um<br />
auf alle möglichen Eventualitäten (z.B. dirty bomb)<br />
vorbereitet zu sein.<br />
Optimale Lösung: <strong>Dekontamination</strong>szelte außerhalb des Spitals.<br />
(Fotos: BBK)<br />
Erste Lösungsansätze für ein einheitliches<br />
Konzept „ABC-<strong>Dekontamination</strong>“<br />
Damit fehlende konzeptionelle Grundlagen für<br />
die ABC-<strong>Dekontamination</strong> von Patienten sowie Anforderungen<br />
an einen zeitgemäßen „medizinischen<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
ABC-Schutz“ raschmöglichst entwickelt und in das<br />
laufende Projekt „Nationaler ABC-Schutz“ integriert<br />
werden können, erhielt die Geschäftsstelle KSD<br />
2004 den Auftrag, eine fachlich breit abgestützte Arbeitsgruppe<br />
zu bilden mit dem Ziel, rasch ein möglichst<br />
effizientes, modernes und in seinen Abläufen<br />
für zivile und militärische Verantwortliche und Einsatzkräfte<br />
einheitliches Schweizer Konzept (ABC-<strong>Dekontamination</strong>)<br />
zu erarbeiten. Es soll klare Aussagen<br />
zum Ablauf der <strong>Dekontamination</strong> und den materiellen<br />
und personellen Anforderungen (Schutzausrüstung,<br />
Medikamente, Ausbildung usw.) enthalten, welche<br />
im Bevölkerungsschutz und in der Armee zur<br />
Anwendung gelangen sollen.<br />
Als Chef der Geschäftsstelle KSD wurde ich,<br />
gemeinsam mit PD Dr. med. Sergei Bankoul, mit der<br />
Leitung dieser Arbeitsgruppe „<strong>Dekontamination</strong> von<br />
Patienten — Konzept Schweiz“ beauftragt. Im Sommer<br />
2005 führten wir mit einer Kerngruppe dieser<br />
Arbeitsgruppe eine zweitägige Klausur durch. Deren<br />
Ergebnis ließ die Kerngruppe zum Schluss kommen,<br />
dass der Ansatz für eine optimale Lösung „Schweiz“<br />
gefunden worden sei. Die Genehmigung — im Grundsatz<br />
und in allen Einzelheiten — durch die ganze<br />
Arbeitsgruppe liegt noch nicht vor. Sie soll noch<br />
vor Ende 2005 erfolgen.<br />
Als Mitorganisatorin der EURO 08 steht auch<br />
die Schweiz vor ähnlichen Herausforderungen wie<br />
Deutschland in Bezug auf die Fußball WM 2006.<br />
Aus Schweizer Sicht kam noch hinzu, dass bereits<br />
im Oktober 2005 abzusehen war, dass der raschmöglichen<br />
Erarbeitung eines definitiven Konzepts auch<br />
bezüglich der aktuellen Bedrohung „Vogelgrippe“<br />
ein hoher Stellenwert beigemessen werden sollte.<br />
„Worst Case“ als Ausgangslage<br />
Eine erste Analyse der Arbeitsgruppe hat ergeben,<br />
dass praktisch bei jedem Ereignis, insbesondere<br />
bei Großereignissen, damit zu rechnen ist, dass A-,<br />
B- oder C-kontaminierte Patienten ohne <strong>Dekontamination</strong>svorbehandlung<br />
vor einem Spital durch Transporte<br />
(Ambulanz, Privattransport, Selbsteinweiser)<br />
eintreffen könnten. Gerade im Ereignis C-Terror in<br />
Tokyo (Sarin) waren es sogar 80 Prozent aller Patienten<br />
(rund 5.000), welche nicht durch eine Schadenplatzorganisation<br />
in die umliegenden Spitäler<br />
eingeliefert wurden.
Der größte Handlungsbedarf bei der ABC-<strong>Dekontamination</strong><br />
besteht im Transport- bzw. insbesondere<br />
im Hospitalisationsraum. Abklärungen haben gezeigt,<br />
dass vorbereitete Spitäler vorwiegend die <strong>Dekontamination</strong><br />
von C-verseuchten Patienten im Katastrophenplan<br />
des Spitals berücksichtigen.<br />
Die Arbeitsgruppe bestimmte für die <strong>Dekontamination</strong><br />
von Patienten folgende Zielvorgaben:<br />
•Das Personal darf nicht gefährdet werden (es muss<br />
sich maximal schützen!)<br />
•Der Patient soll nicht länger leiden (Triage, lebensrettende<br />
Sofortmaßnahmen).<br />
•Der Patient soll dekontaminiert sein für die nachfolgende<br />
sanitätsdienstliche Behandlung.<br />
•Die Kontamination darf sich unter keinen Umständen<br />
im Spital verbreiten.<br />
•Die ABC-<strong>Dekontamination</strong> ist Bestandteil des<br />
Katastrophenplans des Spitals.<br />
Im Vordergrund stand zudem der Lösungsansatz,<br />
die <strong>Dekontamination</strong>sabläufe so einfach wie<br />
möglich zu gestalten und wenn immer möglich für<br />
A, B und C zu vereinheitlichen, damit sie rasch zur<br />
Routine werden.<br />
Gemeinsamkeiten der ABC-<strong>Dekontamination</strong><br />
Ein Ablaufschema für die ABC-<strong>Dekontamination</strong><br />
von Patienten:<br />
1 Entkleiden<br />
2 Patient in <strong>Dekontamination</strong>sstelle einweisen,<br />
Lebensrettende Sofortmaßnahmen /Triage<br />
3 Patient duschen,<br />
Wasser, Desinfektionsmittel für Haut und Wunden.<br />
4 Patient trocknen<br />
5 Entstrahlung, Entgiftung, Entseuchung messen,<br />
Probenahme für Diagnostik<br />
6 Eventuell Prozesse 2 bis 4 wiederholen<br />
7 Patient neu einkleiden (Witterungsschutz / Atemschutz<br />
bei „B-Verdacht“)<br />
8 Abwasser auffangen<br />
9 Weiter- bzw. Endbehandlung des Patienten im Spital<br />
Punkte 1 bis 8 umfassen<br />
•den eigentlichen <strong>Dekontamination</strong>sprozess, welcher<br />
durch nicht ärztliches Personal mit spezieller<br />
<strong>Dekontamination</strong>sausbildung (<strong>Dekontamination</strong>sassistenten)<br />
vollzogen werden kann<br />
•psychologische Betreuung (Stressmanagement)<br />
durch <strong>Dekontamination</strong>sassistenten<br />
•Durchführung von lebensrettenden Sofortmaßnahmen<br />
während des <strong>Dekontamination</strong>sprozesses<br />
durch Arzt/Rettungssanitäter mit spezieller <strong>Dekontamination</strong>sausbildung<br />
in Maximalschutz und setzen<br />
Maximalschutzausrüstung, Ausbildung<br />
und regelmäßiges Training voraus.<br />
Punkt 9 erlaubt die Übernahme des dekontaminierten<br />
Patienten durch das Spital für dessen sanitätsdienstliche<br />
Endbehandlung.<br />
Empfehlung zu Punkt 2:<br />
•Optimale Lösung: <strong>Dekontamination</strong>szelte außerhalb<br />
des Spitals (belüftet, heizbar, wasserdicht, in<br />
zwei Bahnen trennbar, mit Auffangeinrichtung für<br />
kontaminiertes Wasser)<br />
•Gute Lösung: Vorbereitete Räume außerhalb bzw.<br />
in der Nähe des Spitals<br />
•Minimale Lösung: Schleusen eines geschützten<br />
Spitals für A- oder C-<strong>Dekontamination</strong> sind<br />
grundsätzlich möglich, sofern fließendes Kalt- und<br />
Warmwasser vorhanden ist (Abwasser muss aufgefangen<br />
werden können).<br />
Im Weiteren ist vorgesehen, Besonderheiten<br />
zur <strong>Dekontamination</strong> (Abweichungen zu Gemeinsamkeiten)<br />
bei Ursache A, B und C separat und im<br />
Detail festzuhalten. Es würde in diesem Beitrag zu<br />
weit führen, näher darauf einzugehen, da auch diese<br />
Einzelheiten noch nicht genehmigt sind.<br />
Anforderungen an das Spitalpersonal<br />
(<strong>Dekontamination</strong>sassistenten)<br />
Maximalschutz des Spitalpersonals (bis Agens<br />
bekannt ist!)<br />
•Spitalhygieniker mit Know-how über ABC-<strong>Dekontamination</strong><br />
(Geräte, <strong>Dekontamination</strong>smittel, Ort<br />
der <strong>Dekontamination</strong>).<br />
•Qualifikation des Personals: für die <strong>Dekontamination</strong><br />
der gehfähigen Personen braucht es keine<br />
medizinische Ausbildung. Die <strong>Dekontamination</strong><br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
41
42<br />
DEKON: MEDIZIN<br />
von schwer beeinträchtigten, nicht gehfähigen Personen<br />
(Intubation usw.) muss durch medizinisches<br />
Personal vorgenommen werden.<br />
•Schutz des Personals: Maximalschutz: entsprechend<br />
den heutigen Standards (Vollschutzanzug<br />
mit Pressluftatmer), Minimalschutz: Schutzanzug<br />
SA 99 (Zivilschutz) oder CSA 2000 (Militär) mit<br />
Stiefeln/Überschuhen und Schutzmaske 74/90. Zu<br />
beachten ist insbesondere, dass der Schutz der<br />
Atemwege notwendig ist, weil inhaliertes B nicht<br />
ausgeschlossen werden kann.<br />
•Individuelle Kleiderentsorgung mit Möglichkeit<br />
der Zuordnung zum Patienten. Wertsachen und<br />
Kleider sind zu unterscheiden.<br />
•Bedürfnisse der Forensik sind zu beachten!<br />
•Medizinisches Personal muss den technischen<br />
Dienst bei <strong>Dekontamination</strong>sprozessen unterstützen.<br />
Ausbildung<br />
•Alle Einsatzkräfte, Spitalpersonal und Verantwortliche<br />
in jedem Spital: Minimale standardisierte<br />
<strong>Dekontamination</strong>skenntnisse zum Selbstschutz.<br />
•Designiertes <strong>Dekontamination</strong>sspital: Fixer Personalpool<br />
(medizinische und technische <strong>Dekontamination</strong>sassistenten)<br />
mit sichergestelltem Pikettdienst.<br />
•Die Ausbildung (Bedarf/Kurse) muss noch definiert<br />
werden. Sie soll durch den Bund angeboten<br />
werden. Die Kosten trägt ebenfalls der Bund<br />
(ohne Unterkunft und Verpflegung).<br />
Weiteres Vorgehen<br />
Sobald die Lösung für den Hospitalisationsraum<br />
in allen Einzelheiten vorliegt, ist vorgesehen,<br />
diese Lösungsansätze auch für die anderen Glieder<br />
der Rettungskette (Schadenraum, Transportraum)<br />
sinngemäß zu adaptieren (nach Möglichkeit im<br />
Frühjahr 2006).<br />
Es versteht sich von selbst, dass die Umsetzung<br />
der vorgeschlagenen Lösung (insbesondere bei<br />
Maximallösungen) durch die Politik (und damit durch<br />
die heute verfügbaren Finanzen) beeinflusst wird.<br />
Das Wichtigste des definitiven Konzepts<br />
„ABC-<strong>Dekontamination</strong> der Schweiz“ soll in einem<br />
einfachen übersichtlichen Prospekt (Handbuch)<br />
zusammengefasst werden, den alle Helfer auf sich<br />
tragen.<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Zusammenfassung und Lehren für die Schweiz<br />
•Die Schweizer Arbeitsgruppe «ABC-<strong>Dekontamination</strong><br />
Konzept Schweiz» ist mit dem beschriebenen<br />
Lösungsansatz auf dem richtigen Weg.<br />
•Jedes Akutspital muss raschmöglichst, insbesondere<br />
auch im Hinblick auf die Vorbereitungen<br />
EURO 08, die Fähigkeit erlangen, A-, B-, oder C-<br />
<strong>Dekontamination</strong>en von Patienten oder Spitaleinrichtungen<br />
selbstständig (personell und materiell)<br />
durchführen zu können. Die Gefahr durch sich<br />
selbst einweisende Patienten darf nicht unterschätzt<br />
werden!<br />
•Das Kompetenzzentrum ABC in Spiez (Kanton<br />
Bern) muss entsprechend der heutigen A-, B-, und<br />
C-Bedrohung bezüglich Schutzausrüstung so rasch<br />
wie möglich die Konsequenzen ziehen und anstelle<br />
der militärischen C-Schutzanzüge zeitgemäße<br />
Vollschutzanzüge in den <strong>Dekontamination</strong>sprozess<br />
integrieren.<br />
•Auf Bundesebene muss unverzüglich eine einheitliche<br />
ABC-<strong>Dekontamination</strong>sausbildung für zivile<br />
und militärische Spezialisten erarbeitet, die<br />
gesamtschweizerisch für Rettungskräfte und Spitalpersonal<br />
ausgeschrieben und angeboten wird.<br />
•Das Thema «ABC-<strong>Dekontamination</strong>» muss priorisiert<br />
werden, um an der EURO 08 bestmöglich<br />
vorbereitet zu sein.<br />
Schlussfolgerung<br />
Die vorgestellten Lösungsansätze des Schweizer<br />
Konzepts sind prioritär weiter zu entwickeln,<br />
damit sie rechtzeitig in genehmigter Form vorliegen.<br />
Schon heute ist absehbar, dass die Schweiz im<br />
nächsten Jahr bei ihren Vorbereitungen auf die<br />
EURO 08 dank dem geknüpften Netzwerk mit allen<br />
12 Austragungsorten der WM 06 in Deutschland<br />
von deren Erfahrungen profitieren kann. Die enge<br />
Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der<br />
Schweiz und der kommende Erfahrungsaustausch<br />
im Anschluss an die WM 06 ist notwendig. Sie stellt<br />
sicher, dass die Schweiz im Hinblick auf die EURO<br />
08 auch im Bereich «ABC» bestmöglich vorbereitet<br />
sein wird.
<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />
Workshop 1: Umsetzung im präklinischen Bereich<br />
Jürgen Schreiber, SKK-PG9, und Marion Jahns, BBK<br />
Der erste Workshop, im Sinne eines Arbeitstreffens,<br />
fand im April dieses Jahres statt. Damals wurden die<br />
Grundvorgaben und Notwendigkeiten der Organisation<br />
zur präklinischen Versorgung kontaminierter Patienten<br />
diskutiert. Dieser Folgeworkshop wurde schon<br />
im April auf Wunsch aller Beteiligten aus den verantwortlichen<br />
Organisationen der Bundesländer, in<br />
denen WM–Austragungsorte liegen, initiiert. Das<br />
jetzige Treffen sollte ein erneutes Diskussionsforum<br />
im Rahmen der fortgeschrittenen Vorbereitungen<br />
zur WM 2006 anbieten. Im Folgenden werden wir den<br />
Ablauf, den Diskussionsstand und auch offene Fragen<br />
darstellen.<br />
Workshop – Ablauf<br />
Die Zielsetzung des Workshops war unter zwei<br />
Überschriften gesetzt. Zunächst sollte, dem „Buttom<br />
-up-Prinzip“ folgend, mit der Überschrift „Aufzeigen<br />
von Handlungsprämissen, damit bundesweit eine<br />
<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong> umgesetzt werden kann“<br />
erörtert werden, wie grundsätzlich dieses Thema in<br />
der täglichen Gefahrenabwehr unter Beteiligung der<br />
vorhandenen Ressourcen und Fachdienste umgesetzt<br />
werden kann. Dabei sollten „Allgemeingültigkeit“<br />
und „Standardisierung“ in der Umsetzung im Mittelpunkt<br />
stehen, nicht aber der Massenanfall kontaminierter<br />
verletzter Betroffener. Unter der zweiten Überschrift<br />
„Erzeugen von Handlungssicherheit bei einem<br />
Massenanfall dekontaminationspflichtiger Betroffener“<br />
sollten dann Möglichkeiten erörtert werden,<br />
wie bei den erwarteten Szenarien eines MANV kontaminierter<br />
Betroffener anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft<br />
2006 „Dekon-P“ und „Dekon-V“ vielleicht<br />
noch an der Schadenstelle, jedoch in jedem<br />
Fall im präklinischen Bereich umgesetzt werden<br />
können.<br />
Angeregt durch Impulsreferate 1 sollten folgende<br />
Aspekte diskutiert werden:<br />
•Unter welchen Voraussetzungen ist eine <strong>Dekontamination</strong><br />
<strong>Verletzter</strong> bei CBRN-Einsätzen sinnvoll?<br />
•Unter welchen Bedingungen ist eine <strong>Dekontamination</strong><br />
<strong>Verletzter</strong> im präklinischen Bereich möglich?<br />
Aus diesen Impulsvorträgen leiteten sich die<br />
nachfolgenden Diskussionsthemen ab:<br />
•Welche Aktionsfelder sind bei radionuklearer Kontamination<br />
gegeben?<br />
•Welche Aktionsfelder sind in B-Lagen gegeben?<br />
•Welche Aktionsfelder sind zum Einsatz von <strong>Dekontamination</strong>smitteln<br />
und Desinfektionsmitteleinsatz<br />
gegeben?<br />
•Wie gestaltet sich die <strong>Dekontamination</strong>ssichtung?<br />
•Wie ist der Einsatz des Rettungsdienstes, des Sanitätsdienstes<br />
und des Betreuungsdienstes im Kontaminationsbereich<br />
zu organisieren?<br />
•Wie muss die Medizinische Ablauforganisation<br />
gestaltet sein?<br />
•Welche personellen, materiellen und organisatorischen<br />
Vorbereitungen müssen getroffen werden?<br />
Die sehr intensiven Diskussionen, teilweise mit<br />
deutlich konträren Einstellungen zu den verschiedensten<br />
Problematiken, zeigten für alle Teilnehmer<br />
einen signifikanten, in der Ausprägung allerdings<br />
divergierenden, Handlungsbedarf auf. Ebenso wurde<br />
der Bedarf eines zentralen Forums als konkreter<br />
1 s. in diesem Heft: Schild, S. 25; Schreiber, S. 29; Suttrop, S. 31;<br />
Krawczyk, S. 37; Domres, S. 45<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
43
44<br />
DEKON: MEDIZIN<br />
Ansprechpartner, Informationsaustauschstelle und<br />
zentralen Koordinators sehr deutlich gemacht. Weitere<br />
Mankos sowohl auf kommunaler als auch auf<br />
Länderebene sind:<br />
•eine, in weiten Teilen fehlende Standardisierung<br />
und Vereinheitlichung im Krisenfall einzusetzender<br />
Mittel,<br />
•die Standardisierung von Arbeitsabläufen und hier<br />
für speziell geschultes Personal,<br />
•die standardisierte Grundausbildung aller, bei<br />
CBRN-Lagen involvierter Personen.<br />
Unter Berücksichtigung des aktuellen Status der<br />
Vorbereitungen auf die WM, kam man gemeinsam<br />
zu einer abschließenden Ergebnisdarstellung. Als Basiserkenntnis<br />
muss festgehalten werden, dass wegen der<br />
fehlenden Schutzzieldefinition in Bezug auf die Vorbereitung<br />
der Austragungsorte folgende Prämisse<br />
festgelegt wurde:<br />
Für die ersten 4 Behandlungsplätze<br />
(nach Musterkonzept) muss jeweils eine<br />
Dekon-V-Einheit von dem jeweilig<br />
Entsendenden des BHP mit entsandt werden.<br />
Dezentrale Event-Orte in die Planung der Dekon-V Vorhaltung<br />
einbeziehen<br />
Daraus ergaben sich die in der Tabelle (unten)<br />
aufgeführten Diskussionsergebnisse, aufgelistet nach<br />
Anforderungen und Empfehlungen.<br />
Ziel aller Maßnahmen zur <strong>Dekontamination</strong><br />
betroffener und/oder verletzter Personen im präklinischen<br />
Bereich von CBRN-Lagen im Zusammenhang<br />
mit Großereignissen wie der Fußballweltmeisterschaft<br />
2006 muss sein, dekontaminierte Verletzte<br />
in die klinische Behandlung zu überleiten. Abhängigkeiten<br />
zwischen der Anzahl der Betroffenen, den<br />
Rahmenbedingungen der eingetretenen Gefahrenund<br />
Schadenslage, sowie von den „machbaren Reaktivmaßnahmen“<br />
ergeben das Rest-Risiko einer Kontaminationsverschleppung.<br />
Es erscheint unabdingbar,<br />
dass Krankenhausvorbereitung zu Dekon-V,<br />
genau so zu planen ist, wie die Einrichtung öffentlicher<br />
Anlaufstellen zur <strong>Dekontamination</strong> Betroffener<br />
und die Betreuung und Beratung der Bevölkerung.<br />
Anforderungen Empfehlungen<br />
Besondere persönliche Schutzausrüstung entsprechend zu<br />
erwartender Risiken für Kräfte im Schwarzbereich vorhalten<br />
Nutzung der mobilen Dekon-V Module der in Bereitstellung stehenden<br />
Behandlungsplätze<br />
Nutzung der ABC-Schutzausstattung/ Bund für diesen Anlass, Anforderung<br />
durch die Spielstätten; Klärung der Kostenübernahme für Rettungsdienst,<br />
Sanitätsdienst, Betreuungsdienst und Polizei; Depothaltung für Reserve- PSA<br />
(Persönliche Schutzausstattung)<br />
Sicherstellung eines geordneten Dekon-V Ablaufes Bereitstellung geeigneter Detektionstechnik vor und nach Dekon-V; Einrichten<br />
einer Patientenablage „ Schwarz „; Vorhaltung einer nicht disponierten<br />
SEG-ABC/San zum Soforteinsatz; Entkleiden der Verletzten möglichst schon<br />
auf der Patientenablage „Schwarz“; Vorbereitung/ Ausbildung von Einsatzkräften<br />
im Umgang mit kontaminierten Verletzten<br />
Zur Panikprävention sind im Vorfeld einer eskalierenden<br />
Situation Hinweise zum Verhalten in einem solchen Fall an<br />
alle Besucher öffentlicher Veranstaltungen zu geben.<br />
Panikprävention und Maßnahmen zur Deeskalation in einer<br />
eskalierenden Situation und Schutz der Einsatzabläufe<br />
Flyer mit den Zutrittsberechtigungen ausgeben;<br />
Einweisung von Besuchern über Leinwände und Event –Technik zum Verhalten<br />
im Gefahrenfall ( standardisiert, ortsbezogen, multinational verständlich<br />
in Bild und Ton ) und Hinweise zu Sicherheits- und Hilfseinrichtungen<br />
Polizeiliche Sicherung der Einsatzabläufe im Schadensbereich bis hin zum<br />
Behandlungsplatz;<br />
KIT/PSU für die Massendekontamination<br />
Sanitätsmittel- und Antidot-Vorhaltung vor Ort sicherstellen Integration dieser Sicherstellungsanforderung in laufende Planungsprojekte;<br />
Aufbau zentraler Logistikpools an den Austragungsorten; Logistikmanagement<br />
für die Zuführung an die Behandlungsplätze<br />
Zentrale, bundesweit zuständige Koordinierungs-Stelle zur<br />
Vorbereitung der Dekon-V im Zusammenhang mit der WM<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Einrichtung eines ständig verfügbaren, Experten getragenen Arbeitskreises<br />
für Beratung-, Koordinations- und Informationsleistungen
<strong>Dekontamination</strong> und<br />
Behandlung <strong>Verletzter</strong><br />
Ergebnisse eines Forschungsauftrags des BMI<br />
Von B. Domres, S. Brockmann, A. Manger und R. Wenke<br />
Es gibt 11 Millionen Chemikalien, davon werden regelmäßig<br />
70.000 verschiedene Substanzen jährlich<br />
weltweit in einer Menge von ca. 500 Millionen Tonnen<br />
produziert, transportiert und verwendet. Eine<br />
Kontamination mit chemischen Schadstoffen kann als<br />
Folge eines Unfalls nach ungewollter Freisetzung<br />
toxischer Chemikalien auftreten. Auch besteht das Risiko,<br />
dass chemische Kampfstoffe von kriminellen<br />
Banden und Terroristen eingesetzt werden, da die Herstellung<br />
einfach ist und die dazu notwendigen Ausgangsstoffe<br />
relativ leicht beschafft werden können.<br />
Von den 70.000 chemischen Substanzen wurden seit<br />
dem Jahr 1900 70 verschiedene von militärischer Seite<br />
im Krieg und von Terroristen eingesetzt.<br />
Daher sind effektive Konzepte zur <strong>Dekontamination</strong><br />
sowohl am Schadensort als auch vor der stationären<br />
Aufnahme ins Krankenhaus zu fordern. Für<br />
die <strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong> am Schadensort hat<br />
die AGKM der Universität Tübingen im Auftrag des<br />
Bundesinnenministeriums ein Konzept erarbeitet<br />
(1008/00/1-XA2), das auf den 460 Dekon-P-Einheiten<br />
basiert, die vom Bund nach einem Schlüssel pro<br />
180.000 Einwohner den Feuerwehren überstellt wurden.<br />
Nach einem Zwischenfall mit chemischen Gefahrstoffen<br />
muss man grundsätzlich davon ausgehen, dass<br />
alle Personen, die sich im Gefahrenbereich aufgehalten<br />
haben, kontaminiert sind. Daher ist eine <strong>Dekontamination</strong><br />
aller Betroffenen mit anschließendem<br />
Kontaminationsnachweis unerlässlich. Dies muss zum<br />
Schutz der Betroffenen so rasch wie möglich vor<br />
Ort geschehen aus folgenden Gründen:<br />
1. eine Einwirkung von Chemikalien auf den menschlichen<br />
Körper kann bei Verzögerung der <strong>Dekontamination</strong><br />
zu weiteren Schäden des Patienten führen.<br />
2.Einsatzkräfte, die in Kontakt mit den Kontaminierten<br />
kommen, müssen vor der Chemikalie<br />
geschützt werden.<br />
3.Nachfolgende medizinische Versorgungseinheiten<br />
wie Krankenhäuser und Behandlungsplätze müssen<br />
frei von jeglicher Kontamination gehalten werden,<br />
da ansonsten die weitere Versorgung von<br />
Gefährdeten, Erkrankten und Verletzten massiv<br />
beeinträchtigt werden kann.<br />
4.Insgesamt muss gefolgert werden, dass eine Verschleppung<br />
der Kontamination schwerwiegende<br />
Einflüsse auf die rettungsdienstliche sowie medizinische<br />
Infrastruktur und das „Outcome“ der Verletzten<br />
haben kann.<br />
Wie der Terroranschlag mit dem Nervengift<br />
Sarin der Aum-Sekte in Tokio 1995 zeigt, werden<br />
Krankenhäuser aufgrund unterlassener <strong>Dekontamination</strong><br />
inkapaziert. Infolge des Abgasens der giftigen,<br />
flüchtigen Substanzen, die von den Betroffenen<br />
ausgehen, wird das Krankenhauspersonal gefährdet<br />
und arbeitsunfähig.<br />
Beispiel Tokio:<br />
Der Giftgasanschalg auf die Tokyoter U-Bahn<br />
hat die Probleme und Defizite der herkömmlichen<br />
Katastrophenplanungen aufgedeckt. So wurde das<br />
Krankenhaus innerhalb weniger Stunden nach dem<br />
Zwischenfall von Selbsteinweisern „überrannt“.<br />
Am Schadensort wurde keine <strong>Dekontamination</strong><br />
durchgeführt und alle Patienten, die mobil waren,<br />
haben sich auf eigene Faust und somit „unkoordiniert“<br />
in Behandlung begeben.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
45
46<br />
DEKON: MEDIZIN<br />
Die nicht vorhandene<br />
Ausrüstung bzw.<br />
Planung für ein solches<br />
Ereignis führte sekundär<br />
zu zahlreichen Problemen<br />
in der Notfallbehandlung.<br />
Die Triage<br />
wurde in einer Halle mit<br />
unzureichender Entlüftung<br />
durchgeführt, und<br />
Patienten wurden primär<br />
nicht entkleidet (als<br />
erste „Maßnahme“ der<br />
<strong>Dekontamination</strong>).<br />
Lessons learned<br />
Als „lessons learned“<br />
aus dem Giftgasanschlag<br />
gelten die folgenden<br />
Erkenntnisse:<br />
•Nach Möglichkeit immer<br />
eine Vor- Ort <strong>Dekontamination</strong>durchführen,•<strong>Dekontamination</strong>ssysteme<br />
müssen also vorgehalten<br />
werden,<br />
•Schutzausrüstung<br />
(PSA) für Einsatzkräfte<br />
muss vorgehalten werden,<br />
•Krankenhäuser mit<br />
<strong>Dekontamination</strong>seinheit<br />
ausstatten.<br />
•Unterrichtung, Einweisung<br />
und in Übunghalten<br />
des Personals<br />
Ablauf der<br />
<strong>Dekontamination</strong><br />
Folgender Ablauf<br />
der <strong>Dekontamination</strong><br />
wird von unserer Arbeitsgruppe<br />
empfohlen:<br />
Anzahl Patienten Schweregrad der Verletzung / Kontamination<br />
1414<br />
164<br />
520<br />
107<br />
4<br />
Patienten zur ambulanten Behandlung<br />
Patienten zur stationären Behandlung<br />
Leichtverletzte<br />
Mittelschwerverletzte<br />
Schwerverletzte<br />
Tabelle 1: Massenanfall von Verletzten nach dem Sarin-Giftgasanschlag in Tokio: St. Luke`s Hospital<br />
(600 Betten).<br />
Anzahl Patienten Transportmittel<br />
35% (174)<br />
24% (120)<br />
14% (67)<br />
13% (64)<br />
7% (35)<br />
1,5% (7)<br />
Wo Wieviele Wer<br />
Vor Ort 135<br />
(9,9%)<br />
von 1364<br />
Krankenhaus 110 (23%)<br />
von 472<br />
zu Fuß<br />
mit Taxi<br />
per Anhalter<br />
Einsatzfahrzeug Feuerwehr<br />
Krankenwagen / Rettungsdienst<br />
Polizei<br />
Rettungskräfte mussten ihre<br />
Rettungstätigkeit einstellen und<br />
medizinisch behandelt werden<br />
(vor allem Transportpersonal)<br />
Krankenhauspersonal zeigte akute<br />
Intoxikationssymptome<br />
(abhängig von der Raumbelüftung)<br />
Tabelle 3: Sekundärkontaminationen von Einsatz nach dem Sarin-Giftgasanschlag.<br />
Anzahl Personal Symptom / betroffenes Organ<br />
66 (60%)<br />
52 (47%)<br />
39 (35%)<br />
25 (23%)<br />
14 (13%)<br />
12 (11%)<br />
9 (8,2%)<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Tabelle 2: Eintreffen von Patienten im St. Luke`s Hospital (n = 498 Patienten).<br />
Augen<br />
Kopfschmerz<br />
Rachenschleimhautreizung<br />
Dyspnoe<br />
Übelkeit<br />
Schwindel<br />
Nasenschleimhautreizung<br />
Tabelle 4: Symptome des Krankenhauspersonals nach Sekundärexposition (n = 110) in Folge des<br />
Sarin-Giftgasanschlages
•Registratur,<br />
•Entkleidung,<br />
•Triage,<br />
•Spotdekontamination des Gesichtes, der Körperregionen<br />
für invasive Zugänge und der Wunden,<br />
•Abdeckung der Wunden mittels wasserdichter<br />
Folien,<br />
•Antidotgabe,<br />
•lebensrettende Sofortmaßnahmen (basic life support),<br />
•Ganzkörper-<strong>Dekontamination</strong> ( 1 min Duschen, 2<br />
min Einschäumen, 3 min Duschen),<br />
•Detektion bzw. Kontaminationsnachweis,<br />
•stationäre Aufnahme,<br />
•diagnostische und therapeutische Maßnahmen,<br />
•Wundversorgung und operative Behandlung.<br />
Als Ausnahme der Ganzkörper-<strong>Dekontamination</strong><br />
mit Schaum und Wasser gelten die Kontamination<br />
mit korrosiven Kampfstoffen wie Senfgas und<br />
Mustard, wo es zur Schädigung der Haut in Form<br />
von Blasenbildung kommt. Hier ist eine Trocken-<br />
<strong>Dekontamination</strong> mit Pulver z.B. folgender Zusammensetzung<br />
vorzunehmen:<br />
•Polystyrene<br />
•Natriumhypochlorit<br />
•Kohle oder harzartige Grundsubstanz<br />
Personalbedarf für die Erstbehandlung<br />
und <strong>Dekontamination</strong><br />
80 Einsatzkräfte, ausgerüstet mit Chemieschutzanzügen<br />
und Atemschutz, der Feuerwehr und<br />
des Rettungsdienstes sind nötig, um 50 Verletzte<br />
(davon 10 Schwerverletzte) innerhalb von 90 min<br />
notfallmedizinisch zu behandeln und zu dekontaminieren.<br />
Operative Versorgung kontaminierter Wunden<br />
Vor allem die beiden folgenden Stoffklassen<br />
verursachen eine lebensbedrohende Wirkung in<br />
Wunden:<br />
•Blasenbildendes Mustard wird innerhalb weniger<br />
Minuten resorbiert, reagiert mit Gewebe- und<br />
Blutkomponenten und verursacht dann eine<br />
Gewebsnekrose.<br />
•Nervengifte wirken durch ihre rapide Bindung an<br />
das Enzym Acetylcholinesterase. Aufgrund der<br />
raschen Resorption und hohen Toxizität (ein<br />
Bruchteil eines Tropfens ist die letale Dosis) gelangen<br />
diese Verletzte kaum mehr lebend in ein Krankenhaus.<br />
Nur das Nervengift VX wird nicht ganz<br />
so schnell resorbiert und findet sich noch längere<br />
Zeit in den Wunden dieser so Verletzten.<br />
Nervengifte in Form eingedickter Substanzen<br />
machen besondere Vorsichtsmaßnahmen gegen Abgasung<br />
und zum Schutz des Personals erforderlich.<br />
Die Abgasung geht nur von in den Wunden<br />
inkorporierten Fremdkörpern aus, und ihre Wirkung<br />
ist geringgradig. Daher sind keine zusätzlichen<br />
Maßnahmen wie z.B. Atemschutzmasken für das<br />
OP-Personal notwendig.<br />
Die Hauptgefahr resultiert aus dem direkten<br />
Hautkontakt und der Kontamination auch kleinster,<br />
banaler Oberflächenläsionen der Haut, die selbst<br />
unbemerkt während der Operation auftreten können.<br />
Um dies zu vermeiden, sind grundsätzlich zwei<br />
Vorsichtsmaßnahmen unerlässlich:<br />
•Doppelte Handschuhe.<br />
Die zwei Paar Handschuhe sind nach jeweils 20<br />
min zu wechseln entsprechend der Dichtigkeitszeit<br />
von 20 min..<br />
•„No touch technique“<br />
Wunden dürfen nur instrumentell exploriert werden<br />
und unter keinen Umständen mit den Fingern<br />
ausgetastet werden.<br />
Cyanide sind sehr flüchtig, sodass sie sich als<br />
Flüssigkeit nur sehr kurze Zeit in Wunden halten.<br />
Quintessenz<br />
Das Konzept der <strong>Dekontamination</strong> in Krankenhäusern<br />
beinhaltet nicht nur die materielle Ausrüstung<br />
einer mobilen oder stationären <strong>Dekontamination</strong>sanlage,<br />
den Atemschutz und die Schutzkleidung,<br />
sondern auch das Wissen und die praktischen<br />
Skills des Personals. Voraussetzung dafür ist eine<br />
lückenlose zusätzliche Fortbildung und in Übung-<br />
Haltung aller Beschäftigten.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
47
DEKON: KLINIK<br />
<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />
Workshop „Vorbereitung der Krankenhäuser“<br />
Von Danica Gauchel-Petrović und Dr. Angelika Flieger<br />
Katastrophenplanung der Krankenhäuser<br />
Im Fall einer anzunehmenden ABC-Lage<br />
könnten die Krankenhäuser mit einer großen Zahl<br />
von kontaminierten Patienten konfrontiert werden,<br />
was die einzelnen Kliniken zu einer medizinischen<br />
Massenbehandlung mit beschränkten Mitteln und<br />
einer gezielten Auswahl von Erkrankten je nach<br />
Tab. 1: BBK Check-Liste zur Krankenhausalarmplanung<br />
Dringlichkeit zwingen würde. Um die Krankenhäuser<br />
auf einen solchen Katastrophenfall vorzubereiten,<br />
haben einige Bundesländer die Erstellung von<br />
Krankenhausalarmplänen gesetzlich vorgeschrieben.<br />
Bereits im Vorfeld sollten grundlegende Maßnahmen<br />
und Abläufe festgelegt und mittels regelmäßiger<br />
Übungen auf ihre praktische Umsetzbarkeit<br />
überprüft werden. Eine exemplarische Aufstellung<br />
von Maßnahmen zur Krankenhausalarmplanung<br />
zeigt Tabelle 1.<br />
48 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Aufgrund des föderalen Systems der Bundesrepublik<br />
ist der Katastrophenschutz nicht einheitlich<br />
geregelt. Daraus ergeben sich zum Teil große Unterschiede<br />
bei der Katastrophenvorsorge der Krankenhäuser.<br />
Aktuelle Umfragen zeigen, dass in vielen<br />
Krankenhäusern Katastrophenschutzpläne ganz fehlen<br />
oder aber nicht ausreichend ausgearbeitet, aktualisiert<br />
und beübt worden sind. 1 Dies liegt nicht<br />
• Definition einer Krankenhauseinsatzleitung<br />
• Festlegung einer Alarmierungskette<br />
• Strategien für eine entsprechende Kapazitätserweiterung (räumlich und personell)<br />
• Festlegung von <strong>Dekontamination</strong>sstellen / Einteilung in Hygienezonen<br />
• Definition der Patientenwege (Krankentransport, Triage, Regelung der Zufahrtswege, ggf. Kohortenbildung)<br />
• Patientenversorgung (Unterkunft, Verpflegung)<br />
• Vorhaltung von entsprechendem Equipment, Bevorratung von Medikamenten und Desinfektionsmitteln sowie<br />
Depots für Schutzkleidung<br />
• Entsorgung von kontaminiertem Material<br />
• Definition der Kommunikationswege vor Ort (Telefon, Fax, Internetzugang)<br />
• Ausbildung des Personals zu Maßnahmen des Selbstschutzes und zur <strong>Dekontamination</strong> von Patienten<br />
• Beratung durch Kompetenzzentren<br />
• Öffentlichkeitsarbeit<br />
• Sicherung (Bedarf an Sicherheitskräften / Polizei)<br />
zuletzt daran, dass die Erstellung von Krankenhausalarmplänen<br />
einen zusätzlichen Kostenfaktor für die<br />
Krankenhäuser darstellt, da damit verbundene Aufwendungen,<br />
wie etwa Bevorratungen, Vorhaltung<br />
1 Sefrin, P. und Schmiedle, M.: Limitierende Faktoren der stationären<br />
Versorgung unter katastrophenmedizinischen Bedingungen.<br />
Der Notarzt (19), S. 220-228, 2003
von Personal- und Bettenkapazitäten, Katastrophenschutzübungen,<br />
von den Krankenkassen nicht erstattet<br />
werden. 2 Durch die Einführung des Fallpauschalensystems<br />
im Krankenhauswesen (Diagnosis Related<br />
Groups, sog. „DRGs“) sind die Krankenhäuser<br />
zusätzlich unter Druck geraten, „unnötige“ Kapazitäten<br />
abzubauen. Dies betrifft besonders die Bereitschaft,<br />
erforderliche Vorbereitungen zur Versorgung<br />
evtl. kontaminierter Personen im Falle einer ABC-<br />
Lage in Angriff zu nehmen.<br />
<strong>Dekontamination</strong> — Worauf müssen<br />
Krankenhäuser vorbereitet sein?<br />
Lebensrettend für die Verletzten kann bei<br />
einem ABC-Ereignis häufig nur eine zeitnahe<br />
Durchführung der <strong>Dekontamination</strong> und medizinische<br />
Behandlung sein. Andererseits sind auch die<br />
Krankenhäuser selbst – speziell, wenn es sich um ein<br />
Ereignis mit einem Massenanfall von Kontaminierten<br />
handelt und die Gefahr einer Kontaminationsverschleppung<br />
erhöht ist – in ihrer Funktionsfähigkeit<br />
gefährdet.<br />
Vorrangiges Ziel sollte es daher sein, die<br />
<strong>Dekontamination</strong> von Personen noch am Ereignisort<br />
durchzuführen, um Leben zu retten und einer<br />
Kontaminationsverschleppung vorzubeugen.<br />
Vor diesem Hintergrund stellten sich im Workshop<br />
folgende Fragen:<br />
•Wie ist der Vorbereitungsstand der Krankenhäuser<br />
in den WM-Austragungsorten?<br />
•Welche Vorbereitungen sind bis zur WM 2006<br />
noch zu treffen?<br />
•Welche Vorbereitungen sind über die WM 2006<br />
hinaus sinnvoll?<br />
Diskussion des Vorbereitungsstandes der<br />
Krankenhäuser in den WM-Austragungsorten<br />
Im Workshop wurde der Vorbereitungsstand<br />
in den WM-Städten kontrovers diskutiert und<br />
Lösungsvorschläge erarbeitet. Nachdem Herr Dr.<br />
Felgenhauer (München) eine Übersicht zu den klinisch-therapeutischen<br />
Herausforderungen der<br />
Behandlung von Vergiftungspatienten gegeben hatte,<br />
stellten Herr Prof. Dr. Adams (Hannover) und Herr<br />
Dr. Schneppenheim / Herr Cwojdszinski (Berlin)<br />
ihre Konzepte für die Versorgung von kontaminierten<br />
Patienten vor.<br />
In Hannover sollen für die WM 2006 vier<br />
Versorgungskliniken ausgewählt und mit <strong>Dekontamination</strong>sanlagen<br />
sowie entsprechenden Notfallplänen<br />
ausgestattet werden. Um zu vermeiden, dass evtl.<br />
Patienten die Krankenhäuser kontaminieren, wird<br />
angestrebt, diese Dekon-Plätze unmittelbar vor den<br />
Krankenhäusern einzurichten. Erst nach erfolgter<br />
<strong>Dekontamination</strong> sollten die Patienten weiter im<br />
Krankenhaus versorgt werden. Das Therapiekonzept<br />
orientiert sich am klinischen Bild und dem eingesetzten<br />
ABC-Kampfmittel, ggf. müssten die Patienten<br />
in entsprechende Fachabteilungen verlegt werden.<br />
Auch in Leipzig, München und Nürnberg stützen<br />
sich die Vorbereitungen, ähnlich wie in Hannover,<br />
auf die Einrichtung von Dekon-Stellen in den<br />
Zugangsbereichen ausgewählter Versorgungskliniken.<br />
Abschließend wurde diskutiert, dass das Konzept<br />
bei A- und B-Lagen im Hinblick auf die Diagnostik<br />
und Sichtung noch Lücken aufweist. Entsprechende<br />
Konzepte für den Umgang mit Patienten, die sich in<br />
eigener Initiative einweisen und dabei nicht die vorgesehenen<br />
Krankenhäuser sondern andere Einrichtungen<br />
ansteuern, wurden nicht aufgezeigt.<br />
Die Planungen in Berlin sind über den Zeitraum<br />
der WM 2006 hinaus angelegt. Es wird davon<br />
ausgegangen, dass im Fall einer ABC-Lage, kontaminierte<br />
Patienten jedes beliebige Krankenhaus in Berlin<br />
aufsuchen können. Aus diesem Grund sollen<br />
sämtliche Krankenhäuser in die Notfallplanung einbezogen<br />
werden. Die Vorbereitungen in Berlin sind<br />
detailliert in einem Artikel dieser Ausgabe dargestellt<br />
(s. S. 59).<br />
Für die übrigen WM-Austragungsorte ergab<br />
sich im Verlauf des Workshops ein heterogenes Bild,<br />
was den Vorbereitungsstand auf die WM 2006<br />
betrifft. An einigen Krankenhäusern existieren bislang<br />
weder Planungen für feste noch für mobile<br />
Dekon-Anlagen und ihre Vorbereitungen stützen<br />
sich allein auf die Feuerwehr. Nicht alle Bundeslän-<br />
2 Weidringer, J. W. et al.: Terrorziel WM 2006: Katastrophenmedizin<br />
im Abseits? – Aspekte zur Krankenhauskatastrophenplanung. Der<br />
Unfallchirurg (9), S. 812-816, 2004<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 49
50<br />
DEKON: KLINIK<br />
der können die finanziellen Mittel für Ausbildung,<br />
Ausstattung und Katastrophenschutzübungen in<br />
Krankenhäusern selbst aufbringen. Insbesondere<br />
bestehen Defizite hinsichtlich der Ausstattung von<br />
Einrichtungen, der Ausbildung des Krankenhauspersonals<br />
(Umgang mit Schutzausrüstung, Kenntnissen<br />
im Selbstschutz etc.), der Notfallplanung der Krankenhäuser<br />
sowie im Umgang mit „unkontrollierten<br />
Patientenströmen“.<br />
Aus dem Kreis der Teilnehmer wurden verschiedene<br />
Lösungsansätze vorgetragen. Diese reichen<br />
von entsprechenden Maßnahmen wie z. B. der<br />
Bereitstellung von Information für das Krankenhauspersonal<br />
(Schulungsmaßnahmen zu <strong>Dekontamination</strong>,<br />
Merkblätter, sog. Action Cards), der Ausbildung<br />
von Multiplikatoren, der Einbindung von Berufsverbänden<br />
und Organisationen bis hin zur Beteiligung<br />
der Bundesländer an den Vorhaltungskosten der<br />
Krankenhäuser.<br />
Ergebnisse des Workshops<br />
•Jede Klinik muss auf kontaminierte „Selbsteinweiser“<br />
vorbereitet sein.<br />
•Die Krankenhausnotfallplanung ist zu vervollständigen.<br />
•Die bestehenden Informationswege sind zu erweitern,<br />
um Informationen vom Amtsarzt an die<br />
Leitstellen zu gewährleisten.<br />
•Es ist ein Ausbildungsprogramm für Krankenhauspersonal<br />
zu erstellen, bzw., zu ergänzen. (Grundlage:<br />
ABC-Curriculum der Ständigen Konferenz für<br />
Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz)<br />
•Eine zusätzlich externe Bevorratung von Antidota<br />
und Notfallmedikamenten sollte noch angestrebt<br />
werden.<br />
•Die Vorhaltung von Antibiotikabeständen ist zu<br />
überprüfen.<br />
•Die Krankenhäuser sollten regelmäßig Katastrophenschutzübungen<br />
durchführen.<br />
Für die Katastrophenvorsorge der Krankenhäuser<br />
wurde ein besonders dringlicher Handlungsbedarf<br />
gesehen. Es fehlen einheitliche Standards<br />
bzw. Rahmenkonzepte für die Versorgung kontaminierter<br />
<strong>Verletzter</strong> im Krankenhaus, wie sie bereits für<br />
die präklinische Versorgung bestehen und den Bundesländern<br />
am 27./28.09.2005 in der 65. Sitzung des<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Arbeitskreises V in Reinbek vorgelegt wurden (s. S.<br />
37; Rahmenkonzept zur <strong>Dekontamination</strong> verletzter<br />
Personen, Entwurf: Bund-Länder-Arbeitsgruppe<br />
<strong>Dekontamination</strong>, Stand 07.09.2005).<br />
Abschließend wurden folgende Grundsätze<br />
formuliert:<br />
• Krankenhäuser, die an der Notfallversorgung<br />
beteiligt sind, müssen künftig geeignete bauliche,<br />
organisatorische und personelle Ressourcen vorhalten,<br />
um Patienten dekontaminieren zu können.<br />
• Die Vorhaltung ist eine gesamtgesellschaftliche<br />
Aufgabe, die nicht allein von den Kliniken getragen<br />
werden kann.<br />
• Jede Klinik hat bis zur WM 2006 geeignete Maßnahmen<br />
zum Grundschutz zu treffen.<br />
• An ausgewählten Kliniken sind die <strong>Dekontamination</strong>skapazitäten<br />
durch mobile Anlagen zu erweitern.<br />
• Dafür haben die Länder die Voraussetzungen zu<br />
schaffen.
Vorbereitung des<br />
Öffentlichen Gesundheitsdienstes<br />
zur WM 2006<br />
Von Dr. Claudia Brandt, Dr. Justus Benzler und Detlef Cwojdzinski<br />
In einem umfassenden Sicherheitskonzept für die Fußballweltmeisterschaft<br />
2006 (WM) in Deutschland<br />
spielt der Infektionsschutz eine wichtige Rolle. Deshalb<br />
ist in die Vorbereitungen neben Feuerwehr,<br />
Polizei und Hilfsorganisationen auch der Öffentliche<br />
Gesundheitsdienst (ÖGD) einzubeziehen. Die Akademie<br />
für Krisenmanagement, Notfallplanung und<br />
Zivilschutz (AKNZ) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe (BBK) hat die<br />
Notwendigkeit der Integration der Gesundheitsämter<br />
der Austragungsorte in die vorbereitenden Planungen<br />
frühzeitig erkannt. So war der Gesundheitsbereich<br />
bei den beiden Fachtagungen im Januar und<br />
Oktober 2005 in Ahrweiler mit vielen Mitarbeitern<br />
vertreten.<br />
Inzwischen hat sich — koordiniert durch die<br />
Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales<br />
und Verbraucherschutz — eine Initiative der Gesundheitsämter<br />
aller Austragungsorte gebildet. Bereits zweimal<br />
haben sich die Amtsärztinnen und Amtsärzte<br />
getroffen, um sich in Fragen von gemeinsamem Interesse<br />
abzustimmen. Einige Landesbehörden und das<br />
Robert Koch-Institut (RKI) beteiligten sich an diesen<br />
Treffen.<br />
Aufgaben der Gesundheitsämter<br />
bei Großveranstaltungen<br />
Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist neben<br />
der ambulanten und der stationären Versorgung die<br />
dritte Säule unseres Gesundheitswesens. Er nimmt<br />
überwiegend bevölkerungsmedizinische Aufgaben<br />
wahr. Für den Bereich des Infektionsschutzes sind<br />
diese im Infektionsschutzgesetz (IfSG) festgelegt und<br />
haben zum Ziel, übertragbaren Krankheiten beim<br />
Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen<br />
und ihre Weiterverbreitung zu verhindern.<br />
Hierzu gehört es, Personen, die an übertragbaren<br />
Krankheiten erkrankt oder dessen verdächtig<br />
sind und Krankheitserreger übertragen können, mit<br />
Namen und Adresse zu identifizieren, ansteckungsverdächtige<br />
Kontaktpersonen zu erfassen und erforderliche<br />
Schutzmaßnahmen zu veranlassen. Das kann<br />
beinhalten, dass berufliche Tätigkeiten untersagt,<br />
Desinfektionsmaßnahmen angeordnet oder Betroffene<br />
unter Beobachtung gestellt oder isoliert werden.<br />
Unter Umständen sind weitere Schutzmaßnahmen wie<br />
zum Beispiel die Absage von Großveranstaltungen<br />
zu veranlassen.<br />
Wo viele Menschen dicht zusammenkommen,<br />
wächst auch die Gefahr der Übertragung von Infektionskrankheiten,<br />
insbesondere wenn solche Veranstaltungen<br />
mit Provisorien einhergehen, was Verpflegung,<br />
Unterkunft und medizinische Versorgung<br />
betrifft. Hier nur 2 Beispiele 1 :<br />
•1999 erkrankten 188 von 77.000 Besuchern einer<br />
Blumenschau in den Niederlanden an der Legionärskrankheit.<br />
Diese Infektionen konnten auf Legionellenkontaminationen<br />
der Whirlpools, Wasserfontänen<br />
und Bewässerungsanlagen in den Ausstellungshallen<br />
zurückgeführt werden.<br />
1 aus: Maurer K., Peter H. (Hrsg.): Gefahrenabwehr bei Großveranstaltungen;<br />
Edewecht, Wien 2005<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
51
52<br />
DEKON: KLINIK<br />
•Die jährliche Pilgerfahrt nach Mekka führte im<br />
Jahr 2000 zu einem weltweiten Ausbruch von Hirnhautentzündungen<br />
durch Meningokokken mit<br />
mindestens 71 Todesfällen, davon 14 in Europa.<br />
Um Ausbrüchen vorzubeugen, ist es in solchen<br />
Situationen besonders wichtig, dass die üblichen Vorschriften<br />
und Maßnahmen zur Prävention, Erken-<br />
Treffen des ÖGD im Juni 2005 in Berlin.<br />
nung und Kontrolle von Infektionskrankheiten konsequent<br />
eingehalten bzw. durchgeführt werden.<br />
Zu den Aufgaben des Gesundheitsamts gehört<br />
dabei auch die Überwachung der Qualität des Trinkwassers,<br />
schwerpunktmäßig in den Sanitäranlagen<br />
der Austragungs- und Übungssportstätten und in den<br />
Wasserversorgungsanlagen der bevorzugten Hotels.<br />
Hier wird u.a. das Duschwasser auf Legionellen untersucht.<br />
Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen Tanks<br />
und provisorische Leitungen. Ebenso gilt es, Gefahrenpunkte<br />
für eine bioterroristische Einbringung<br />
von Mikroorganismen in das Trinkwasser zu identifizieren<br />
und die Risiken systematisch einzuschätzen<br />
und zu minimieren. Diesbezügliche Maßnahmen zur<br />
Prävention und Kontrolle werden mit der Landesbehörde<br />
und den Wasserversorgungsunternehmen<br />
abgestimmt.<br />
Der Lebensmittelaufsicht kommt bei Großveranstaltungen<br />
eine zentrale Bedeutung zu. Ein besonderes<br />
Risiko besteht dabei durch die unsachgemäße<br />
Herstellung und Lagerung durch „wilde Händler“.<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Eine gute Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsämtern<br />
und den Lebensmittel- und Veterinäraufsichtsämtern<br />
ist sicherzustellen.<br />
Besondere Aufgaben des ÖGD<br />
zur Fußballweltmeisterschaft 2006<br />
Eine Reihe von Faktoren spricht dafür, dass<br />
die Anforderungen an den Infektionsschutz bei der<br />
WM noch höher als bei anderen Großveranstaltungen<br />
sind. Zum einen ist wegen der langen Dauer der<br />
WM (33 Tage) und der Anreise zahlreicher Menschen<br />
aus Weltgegenden, in denen es ein anderes<br />
Erregerspektrum gibt, die Gefahr, dass es im Umfeld<br />
der WM zu schwerwiegenden Ausbruchsereignissen<br />
kommt, besonders groß. Zum anderen ist damit zu<br />
rechnen, dass wegen der hohen medialen und internationalen<br />
Aufmerksamkeit auch weniger schwerwiegende<br />
Ausbruchsereignisse ein überdurchschnittliches<br />
(negatives) Echo hervorrufen werden. Und dieselbe<br />
mediale und internationale Aufmerksamkeit ist<br />
es auch, die solch eine Veranstaltung auch für bioterroristische<br />
Anschläge — oder auch für Trittbrettfahrer<br />
— attraktiv macht.<br />
Die Organisation der Gesundheitsämter muss<br />
diesen besonderen Anforderungen gerecht werden.<br />
Vorkehrungen und Abläufe, die auch unabhängig von<br />
der WM zum Standard gehören, sollten anlassbezogen<br />
überprüft bzw. beübt werden, und einzelne zusätzliche<br />
Vorkehrungen müssen im Rahmen fehlender<br />
zusätzlicher Ressourcen getroffen werden.<br />
•Das Gesundheitsamt muss während der WM rund<br />
um die Uhr auf unterschiedlichen Kommunikationskanälen<br />
(Telefon Festnetz & mobil, Fax, E-Mail)<br />
zuverlässig erreichbar sein.<br />
•Seine volle Arbeitsbereitschaft innerhalb kurzer<br />
Zeit muss sichergestellt sein.<br />
•Eine besondere Rufbereitschaft, soweit sie nicht<br />
ohnehin vorhanden ist, muss eingerichtet werden.<br />
•In der Regel wird für alle bzw. für ausgewählte Mitarbeiter<br />
der Gesundheitsämter eine Urlaubssperre<br />
angeordnet werden.<br />
•Mobile Einsatzteams, die idealerweise aus einem<br />
Arzt/Ärztin und zwei Gesundheitsaufsehern bestehen,<br />
müssen vorbereitet sein.<br />
•Die Alarmierungslisten sind ständig aktuell zu halten.<br />
Einsatzpläne für den Seuchenverdachtsfall
und für andere besondere Vorkommnisse sind zu<br />
aktualisieren.<br />
•In den Gesundheitsämtern sollten Infektionsschutzsets<br />
für hochkontagiöse Krankheiten bereitliegen.<br />
•Da WM-begleitende Veranstaltungen und Besucherströme<br />
nicht auf den Zuständigkeitsbereich der<br />
Gesundheitsämter der Austragungsorte beschränkt<br />
sind und Infektionsgeschehen nicht an Kreis- und<br />
Bezirksgrenzen Halt machen, sollten benachbarte<br />
•Die Ärzte in Krankenhäusern, Laboren und Praxis<br />
müssen hinsichtlich der Wichtigkeit ihrer Meldepflichten<br />
nach dem IfSG sensibilisiert und motiviert<br />
sein.<br />
•Die Gesundheitsämter werden aktiv Kontakt zu den<br />
Ärzten der FIFA aufnehmen, um zu klären, welche<br />
Zusammenarbeit notwendig ist.<br />
•Die Trinkwasserüberwachung für die Stadien und<br />
für ausgewählte Hotels wird intensiviert.<br />
Melde- und Übermittlungswege und -zeiten gemäß IfSG. (Grafik: D. Faensen)<br />
Gesundheitsämter in die Vorbereitungen einbezogen<br />
werden. Dabei ist auch deren Rufbereitschaft<br />
sicherzustellen. Die gegenseitige Unterstützung kann<br />
in besonderen Lagen notwendig sein und sollte<br />
entsprechend geplant werden.<br />
•Die Kommunikationswege zwischen Gesundheitsamt<br />
und anderen Akteuren der Gesundheitsversorgung,<br />
insbesondere Krankenhäusern und niedergelassenen<br />
Ärzten, müssen bekannt sein und in beiden<br />
Richtungen funktionieren. Das heißt, das Gesundheitsamt<br />
muss nicht nur erreichbar sein, sondern<br />
auch seinerseits wissen, wie es die Ärzteschaft<br />
im Ereignisfall schnell und zuverlässig informieren<br />
kann.<br />
•Auch Themen wie die vermehrte Inanspruchnahme<br />
der Prostitution fließen in die vorbereitende Planung<br />
ein.<br />
Gemeinsame Informationsplattform<br />
Die Gesundheitsämter der zwölf Austragungsorte<br />
haben sich im fachöffentlichen Online-Informationsverbund<br />
„ÖGD-Intranet“ (www.uminfo.de), der<br />
von der Kinderumwelt gGmbH in Osnabrück in<br />
Zusammenarbeit mit dem RKI und anderen Partnereinrichtungen<br />
betrieben wird, ein geschütztes Kommunikationsforum<br />
zur WM geschaffen, das einen<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
53
54<br />
DEKON: KLINIK<br />
regelmäßigen Austausch von Fachinformationen<br />
ermöglicht. Damit ist eine schnelle Kommunikation<br />
in der Vorbereitungsphase, aber auch während der<br />
WM 2006 gewährleistet.<br />
Intensivierte Surveillance<br />
Das IfSG sieht vor, dass die im Gesundheitsamt<br />
zusammengeführten Arzt- und Labormeldungen<br />
sowie die Ergebnisse eigener Ermittlungen nichtnamentlich<br />
an die zuständige Landesbehörde und von<br />
dort ans RKI übermittelt werden, um ein umfassen-<br />
Dr. Claudia Brandt, Dr. Justus Benzler und Detlef Cwojdzinski<br />
beim Treffen des ÖGD im Juni 2005 in Berlin.<br />
(Fotos: O. Franke)<br />
des epidemiologisches Lagebild zu erstellen. Die Übermittlung<br />
und Auswertung erfolgt mittels einer eigens<br />
zu diesem Zweck entwickelten Software, die technisch<br />
sehr kurze Verzugszeiten ermöglicht. Die gesammelten<br />
Daten werden fortlaufend aktualisiert auf den<br />
Internetseiten des RKI (www.rki.de) unter „SurvStat“<br />
zur interaktiven mehrdimensionalen Abfrage veröffentlicht.<br />
Die gesetzlichen Vorgaben sehen vergleichsweise<br />
lange Übermittlungszeiten vor, die das rasche<br />
Erkennen überregionaler Ausbrüche unnötig erschweren.<br />
Im Rahmen einer intensivierten Surveillance<br />
während der WM sind die betroffenen Gesundheits-<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
ämter, Landesstellen und das RKI übereingekommen,<br />
ein tägliches Übermittlungs- und Rückinformationsverfahren<br />
einzuführen.<br />
Dabei wird die Übermittlung genormter Einzelfall-<br />
und Ausbruchsdaten durch halbstrukturierte<br />
epidemiologische Tagesberichte ergänzt, die die<br />
Gesundheitsämter zur gegenseitigen Information in<br />
UMINFO einstellen werden. Das RKI erstellt aus<br />
diesen Daten und Berichten täglich eine Zusammenfassung,<br />
die sowohl den Gesundheitsämtern und<br />
Landesbehörden als auch dem am Innenministerium<br />
angesiedelten Nationalen Informations- und Kooperationszentrum<br />
(NICC) zur Verfügung gestellt wird.<br />
Neben deutschen Quellen werden dazu auch internationale<br />
infektionsepidemiologische Berichte unter<br />
besonderer Berücksichtigung der WM-Teilnehmerstaaten<br />
ausgewertet.<br />
Ausblick<br />
Die Gesundheitsämter der Austragungsorte<br />
werden sich im Februar 2006 zu einem abschließenden<br />
Vorbereitungstreffen in Berlin zusammenfinden.<br />
Das RKI wird die ärztlichen Mitarbeiter der Gesundheitsämter<br />
unmittelbar vor dieser Veranstaltung im<br />
Rahmen eines Pilotkurses mit Fragen des Ärztlichen<br />
Managements bei bioterroristischen Ereignissen vertraut<br />
machen.<br />
Durch die persönlichen Kontakte, die sich im<br />
Laufe der Vorbereitung der Fußballweltmeisterschaft<br />
2006 ergeben haben, ist die Basis für eine enge Zusammenarbeit<br />
auch im WM-Zeitraum gelegt worden.<br />
Das Lernen voneinander, die Festlegung gemeinsamer<br />
Standards und die Unterhaltung eines Kommunikationsnetzes<br />
zur WM unterstützen alle Gesundheitsämter<br />
bei ihren anspruchsvollen Aufgaben, die<br />
sie in dieser Zeit leisten müssen. Die gute, länderübergreifende<br />
Zusammenarbeit der Gesundheitsämter<br />
der 12 Austragungsorte kann ein Beispiel auch<br />
für künftige länderübergreifende Planungen sein.<br />
Dr. Claudia Brandt ist Amtsärztin des Berliner Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf,<br />
in dem auch das Berliner Olympiastadion liegt.<br />
Dr. Justus Benzler ist Mitarbeiter des Fachgebiets Surveillance in<br />
der Abteilung für Infektionsepidemiologie des Robert Koch-Instituts.<br />
Detlef Cwojdzinski ist für Fragen der Notfallvorsorge und des<br />
Katastrophenschutzes in der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit,<br />
Soziales und Verbraucherschutz zuständig.
Therapie bei Chemieunfällen<br />
Von Norbert Felgenhauer<br />
Rauchvergiftung<br />
Im Allgemeinen handelt es sich bei den Brandgasen<br />
um ein heterogenes Substanzgemisch, dessen<br />
Zusammensetzung von dem brennenden Material, von<br />
der Temperatur und von der Sauerstoffzufuhr abhängig<br />
ist. Bei normalen Bränden ist insbesondere<br />
mit den vier Leitstoffen Kohlenmonoxid, Blausäure,<br />
Chlorwasserstoff und Formaldehyd zu rechnen. Bei<br />
speziellen Brandereignissen können in Abhängigkeit<br />
vom brennenden Material noch weitere Reizgase wie<br />
z.B. Nitrose Gase, Schwefeldioxid, Acrolein, Phosgen,<br />
Ammoniak oder Fluorwasserstoff entstehen.<br />
Intoxikation mit Kohlenmonoxid<br />
Kohlenmonoxid (CO) entsteht hauptsächlich<br />
bei Verbrennungsprozessen unter ungenügender Sauerstoffzufuhr.<br />
Die wesentliche toxische Wirkung des<br />
CO beruht auf einer Bindung des CO an das 2-wertige<br />
Eisen des Hämoglobins, wobei das entstehende<br />
Kohlenmonoxid-Hämoglobin (COHb) für den Sauerstofftransport<br />
ausfällt. Eine Kohlenmonoxidkonzentration<br />
von 100 ppm (parts per million)= 0,01%<br />
führt zu einem COHb von ca.12%. Schwere akute<br />
Vergiftungen benötigen eine CO-Konzentration von<br />
> 2000 ppm. Schwere subakute Vergiftungen werden<br />
bei einer CO-Konzentration von 500 - 2000 ppm<br />
beobachtet.<br />
Die Vergiftungssymptome sind von der COHb-<br />
Konzentration abhängig. Bis zu einer COHb-Konzentration<br />
von 30% werden in der Regel nur Kopfschmerzen,<br />
Schwindel und Übelkeit beobachtet. Bei<br />
einer COHb-Konzentration zwischen 30 und 40%<br />
kommt es zusätzlich zu Müdigkeit und Verwirrtheitszuständen.<br />
Ab einer COHb-Konzentration von 40%<br />
wird der Patient bewusstlos und zunehmend kreislaufinstabil,<br />
über 60% muss mit dem raschen Tod<br />
durch Hypoxie gerechnet werden.<br />
Die therapeutischen Maßnahmen konzentrieren<br />
sich zunächst auf das Entfernen der Patienten<br />
aus dem toxischen Gefahrenbereich sowie auf die<br />
Antidot-Therapie mit Sauerstoff. Bei leichten Vergiftungen<br />
genügt die Insufflation von Sauerstoff über<br />
eine Nasensonde, bei schweren Vergiftungen ist eine<br />
endotracheale Intubation und Beatmung mit einem<br />
FiO2 von 1.0 notwendig. Durch die Beatmung mit<br />
100% Sauerstoff wird die Halbwertszeit für das<br />
COHb, die bei Raumluft normalerweise zwischen 3<br />
und 4 Stunden beträgt, auf 30 bis 40 Minuten verkürzt.<br />
In Ausnahmefällen besteht bei der schweren<br />
CO-Vergiftung auch die Möglichkeit einer hyperbaren<br />
Sauerstofftherapie, wodurch die Halbwertszeit<br />
für das COHb nochmals um die Hälfte auf 15 bis<br />
20 Minuten verkürzt und das Auftreten neuropsychologischer<br />
Spätschäden zumindest teilweise verhindert<br />
werden kann. Bei der Überwachung dieser<br />
Patienten ist zu berücksichtigen, dass man sich bei<br />
der CO-Vergiftung auf die Pulsoxymetrie nicht verlassen<br />
darf, da diese fälschlicherweise eine zu hohe<br />
periphere Sauerstoffsättigung anzeigt.<br />
Intoxikation mit Blausäure<br />
Im Rahmen von Brandereignissen kommt es<br />
insbesondere bei der Verbrennung und Verschwelung<br />
von stickstoffhaltigen Verbindungen zur Entwicklung<br />
von Blausäure (HCN). Bei jeder Verbrennung<br />
von Acrylfasern, polyacrylnitrilhaltigen Kunststoffen,<br />
Kunstharzen, Polyurethanschaum, Nylon, Seide,<br />
Wolle und Insektiziden muss immer mit einer<br />
toxisch relevanten HCN-Freisetzung gerechnet werden.<br />
Die HCN-Aufnahme erfolgt hierbei auf inhalatorischem<br />
Weg.<br />
Die klinischen Zeichen einer Cyanidintoxikation<br />
sind die Folge einer gestörten intrazellulären Sauerstoffutilisation<br />
durch das Cyanidion und damit<br />
Ausdruck einer zellulären Hypoxie. Nach der Einwirkung<br />
von Cyanverbindungen ist der Wirkungseintritt<br />
außerordentlich schnell. Bei Inhalation von Blausäure<br />
treten Symptome innerhalb von Sekunden auf,<br />
zum Tod kann es bereits innerhalb weniger Minuten<br />
kommen. Die potenziell letale Dosis von Blausäure<br />
liegt bei 100 ppm über einen Zeitraum von 1 Stunde.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
55
56<br />
DEKON: KLINIK<br />
Leichte Vergiftungen führen zu Atemnot ohne<br />
Zyanose, thorakalem Engegefühl, Angstzuständen,<br />
Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit. Bei schweren<br />
Vergiftungen kommt es zu Verwirrtheit, Krampfanfällen,<br />
Koma, Atemstillstand, Arrhythmien und<br />
Herz-Kreislaufstillstand. Eine Differenzierung zwischen<br />
einer Kohlenmonoxid- und einer Blausäurevergiftung<br />
ist klinisch allerdings nicht möglich.<br />
Im Rahmen der Primärversorgung werden die<br />
Patienten zunächst aus dem toxischen Gefahrenbereich<br />
entfernt. Bewusstlose Patienten werden umgehend<br />
endotracheal intubiert und mit einem FiO2<br />
von 1.0 beatmet. Instabile Herz-Kreislaufverhältnisse<br />
Das Rettungspersonal benötigt eine ausreichende Schutzausrüstung<br />
wie die abgebildete Atemschutzmaske gem. EN 136 Klasse 3 und<br />
VFDB-Richtlinie 0802 sowie...<br />
werden mit Flüssigkeitssubstitution und Katecholaminen<br />
behandelt. Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand<br />
ist nach den üblichen Basismaßnahmen der Reanimation<br />
vorzugehen. Eine Laktatazidose muss frühzeitig<br />
mit Natriumhydrogencarbonat korrigiert werden.<br />
Cerebrale Krampfanfälle werden mit Diazepam oder<br />
Clonazepam behandelt. Für die Antidot-Therapie<br />
der leichten HCN-Vergiftung genügt in der Regel die<br />
alleinige Gabe von Natriumthiosulfat in einer Dosierung<br />
von 100 mg/kg KG. Bei einer schweren brandrauchbedingten<br />
HCN-Vergiftung erfolgt die Antidot-<br />
Therapie mit Hydroxocobalamin in einer Dosierung<br />
von 70 mg/kg KG bzw. 5g Hydroxocobalamin für<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
den Erwachsenen. 4-DMAP darf in diesen Fällen<br />
nicht eingesetzt werden, da dieses zusammen mit<br />
dem im Brandrauch befindlichen Kohlenmonoxid<br />
die Sauerstofftransportkapazität weiter verschlechtern<br />
würde.<br />
Intoxikation mit Reizgasen<br />
In Abhängigkeit von der Wasserlöslichkeit<br />
unterscheiden wir prinzipiell zwischen Reizgasen<br />
vom Sofort-Typ und Reizgasen vom Latenz-Typ. Die<br />
Reizgase vom Sofort-Typ zeigen eine relativ gute<br />
Wasserlöslichkeit und werden deshalb bereits im<br />
oberen Respirationstrakt abgefangen, mit dem<br />
Ergebnis einer frühzeitigen Symptomatik im Bereich<br />
der oberen Atemwege. Reizgase vom Latenz-Typ<br />
sind weniger gut wasserlöslich und können deshalb<br />
bei der Inspiration auch die tieferen Abschnitte des<br />
Respirationstrakts erreichen. Die Folge ist dann ein<br />
mit einer gewissen Verzögerung einsetzender Entzündungsprozess<br />
im Bereich der tieferen Atemwege.<br />
Intoxikation mit Reizgasen vom Sofort-Typ<br />
Im Brandrauch sind die häufigsten Reizgase<br />
vom Sofort-Typ Chlorwasserstoff (HCl), Formaldehyd,<br />
Ammoniak (NH3), Schwefeldioxid (SO2), Fluorwasserstoff<br />
(HF) und Acrolein.<br />
Im Bereich der Atemwege führen diese Reizgase<br />
zu Reizhusten, Dyspnoe, Bronchospastik und<br />
retrosternalem Druck. Nur bei massiver Exposition<br />
kann es auch zum toxischen Lungenödem kommen.<br />
Am Auge verursachen die Reizgase vom Sofort-Typ<br />
Augenbrennen, Tränenfluss und Konjunktivitis.<br />
Die therapeutischen Maßnahmen konzentrieren<br />
sich auf das Entfernen der Patienten aus dem<br />
toxischen Gefahrenbereich. Anschließend erfolgt die<br />
Gabe von Sauerstoff. Bei Atemwegsobstruktion werden<br />
inhalative b2-Sympathomimetika, bei starkem Husten<br />
Antitussiva eingesetzt. Eine intravenöse Applikation<br />
von Glucocorticoiden sowie Intubation und Beatmung<br />
sind nur in Ausnahmefällen erforderlich. Die<br />
Anwendung inhalativer Glucocorticoide wird bei<br />
Intoxikationen mit Reizgasen vom Sofort-Typ nicht<br />
empfohlen.<br />
Intoxikation mit Reizgasen vom Latenz-Typ<br />
Die häufigsten Reizgase vom Latenz-Typ im<br />
Brandrauch sind Nitrose Gase und Phosgen.<br />
Nach Inhalation dieser Reizgase kommt es zunächst<br />
nur zu leichten Beschwerden in Form von
Reizhusten und Konjunktivitis, mitunter auch zu<br />
Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit. Im<br />
Anschluss daran kann sich jedoch mit einer Latenz<br />
von 3-24 Stunden auch ein toxisches Lungenödem<br />
entwickeln. Nur bei massiver Exposition ist bereits<br />
frühzeitig mit einem toxischen Lungenödem zu<br />
rechnen.<br />
Auch hier werden die betroffenen Personen zunächst<br />
aus dem toxischen Gefahrenbereich entfernt<br />
und mit Sauerstoff versorgt. Zur Prophylaxe eines toxischen<br />
Lungenödems erhalten die Patienten eine<br />
inhalative Glucocorticoidtherapie sowie die Verordnung<br />
von Bettruhe. Allerdings ist die Evidenz für diesen<br />
Einsatz inhalativer Glucocorticoide relativ<br />
schwach, sodass diese Therapieform nach wie vor kontrovers<br />
diskutiert wird. Die weiteren therapeutischen<br />
Maßnahmen orientieren sich dann am jeweiligen<br />
Beschwerdebild der Patienten. Bei einer Atemwegsobstruktion<br />
werden inhalative b2-Sympathomimetika,<br />
bei starkem Husten Antitussiva eingesetzt. Beim toxischen<br />
Lungenödem kommen die intravenöse Applikation<br />
von Glucocorticoiden sowie die endotracheale<br />
Intubation und Beatmung zur Anwendung.<br />
Nervenkampfstoffe (Sarin, Soman, Tabun, VX)<br />
Nervenkampfstoffe sind Organophosphate, die<br />
inhalativ und perkutan gut resorbiert werden. Die<br />
systemische Wirkung der Organophosphate beruht<br />
auf einer Hemmung der Acetylcholinesterase, sodass<br />
es im Bereich der Synapsen des autonomen und<br />
zentralen Nervensystems sowie im Bereich der neuromuskulären<br />
Endplatte zu einem Überschuss von<br />
Acetylcholin kommt. Als Folge davon können sich<br />
muskarinartige, nicotinartige und zentralnervöse<br />
Vergiftungssymptome entwickeln. Die muskarinartigen<br />
Symptome sind Miosis, Bradykardie, Bronchorrhoe,<br />
Hypersalivation, Erbrechen und Diarrhoe. Zu<br />
den nicotinartigen Symptomen gehören Mydriasis,<br />
Tachykardie, Hypertonie, Muskelfaszikulieren, Muskelkrämpfe<br />
sowie Lähmung der Muskulatur. Die<br />
zentralnervösen Vergiftungssymptome äußern sich zunächst<br />
in Form von Verwirrtheit, Agitiertheit und<br />
cerebralen Krampfanfällen und gehen schließlich in<br />
ein tiefes Koma über. Dieses Syndrom der systemischen<br />
Giftwirkung kennen wir sehr gut von Vergiftungen<br />
nach oraler Aufnahme von organophosphathaltigen<br />
Insektiziden, nach einer Exposition mit<br />
Nervenkampfstoffen ist diese Syndrom allerdings<br />
häufig inkomplett. Wird der Nervenkampfstoff, wie<br />
1995 in Tokio geschehen, als Aerosol ausgebracht,<br />
kann es sein, dass die systemische Giftwirkung nur<br />
sehr schwach ausgeprägt ist oder sogar komplett fehlt,<br />
während durch eine Kontamination der Augen die<br />
lokale Symptomatik mit Miosis und starken Kopfschmerzen<br />
ganz im Vordergrund steht.<br />
Nach der Rettung aus dem Gefahrenbereich<br />
konzentrieren sich die therapeutischen Maßnahmen<br />
zunächst auf das Stabilisieren der Vitalfunktionen,<br />
wobei dies bei sehr schweren Vergiftungen erst durch<br />
eine Antidot-Therapie mit Atropin möglich wird.<br />
Ähnlich wie nach der oralen Aufnahme von Insektiziden<br />
erhalten die Patienten mit einer schweren, lebensbedrohlichen<br />
Vergiftung mit Nervenkampfstoffen<br />
als Startdosis zunächst 2-5 mg Atropin als Bolus.<br />
Anschließend wird diese Bolusgabe solange wiederholt<br />
bis stabile Kreislaufverhältnisse erreicht sind. Dabei<br />
kann durchaus eine Atropin-Gesamtdosis von<br />
20-50 mg erforderlich werden. Im Anschluss daran<br />
erhält der Patient dann eine Dauerinfusion mit 1-2<br />
mg Atropin/h. Cerebrale Krampfanfälle werden mit<br />
einem Benzodiazepin, z.B. Diazepam behandelt. Bei<br />
den meisten Patienten mit einer inhalatorischen oder<br />
perkutanen Vergiftung mit Nervenkampfstoffen genügt<br />
allerdings eine deutlich niedrigere Atropin-Dosis<br />
als wir es bei oralen Organophosphatvergiftungen<br />
gewohnt sind. Bei leichten Vergiftungen reicht vielleicht<br />
die lokale Applikation von Atropin-Augentropfen<br />
schon aus. Eine intravenöse Applikation darf in<br />
diesen Fällen nur sehr vorsichtig durchgeführt werden,<br />
da es hierbei schnell zu einer Überdosierung von<br />
Atropin kommen kann. In der Regel genügt in diesen<br />
Fällen eine Anfangsdosis von 1-2 mg Atropin.<br />
Als zweites Antidot steht mit dem Obidoxim (Toxogonin<br />
®) ein Cholinesterasereaktivator zur Verfügung,<br />
der bei den Nervenkampfstoffen Sarin, Tabun<br />
und VX wirksam ist. Die ideale Dosierung besteht<br />
in einer Bolusgabe von 250 mg mit einer anschließenden<br />
Dauerinfusion von 750 mg in 24 Stunden.<br />
Sind die Vitalparameter stabilisiert, so werden die Patienten<br />
möglichst vollständig dekontaminiert, wobei<br />
die Kleidung entfernt und kontaminierte Hautpartien<br />
mit Wasser und Seife gereinigt werden. Sind in<br />
erster Linie die Augen betroffen, so werden diese<br />
unter fließendem Wasser gespült. Für all diese Primärversorgungsmaßnahmen<br />
benötigt das Rettungspersonal<br />
eine ausreichende Schutzausrüstung, d.h.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
57
58<br />
DEKON: KLINIK<br />
für die Rettungsmaßnahmen in der toxischen Gefahrenzone<br />
sind Chemikalienschutzanzug und umluftunabhängiger<br />
Atemschutz, für die Maßnahmen im<br />
Dekon-Bereich umluftabhängiger Atemschutz, chemikalienresistente<br />
Einmalschutzanzüge, Schutzstiefel,<br />
und doppelt übereinander getragene Untersuchungshandschuhe<br />
erforderlich.<br />
S-Lost (Senfgas, Mustardgas)<br />
Die Giftwirkung von S-Lost betrifft in erster<br />
Linie die Haut, die Schleimhäute des Respirationstrakts<br />
und der Augen, den Gastrointestinaltrakt, das<br />
Zentralnervensystem und die Hämatopoese.<br />
... den zugehörigen ABEK2 Hg P3-Filter nach EN 141.<br />
(Fotos: BBK)<br />
Nach einem symptomlosen Intervall von 30<br />
Minuten bis 3 Stunden kommt es zunächst zur Hautrötung<br />
mit nachfolgender Blasenbildung. Anschließend<br />
rupturieren die Blasen und hinterlassen schmierig<br />
belegte, tiefe Ulzerationen. Bei einer Ausdehnung<br />
von mehr als 25 % der KOF muss mit einem<br />
tödlichen Ausgang gerechnet werden. Die Inhalation<br />
von S-Lost führt zunächst zu einer ausgeprägten<br />
Laryngitis und Tracheobronchitis, die mit Heiserkeit,<br />
Husten und Dyspnoe einhergehen. Später nimmt<br />
die Tracheobronchitis häufig einen nekrotisierenden<br />
Verlauf, wobei sich großflächig ablösende Pseudomembranen<br />
die Atemwege verlegen und zum plötz-<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
lichen Erstickungstod führen können. Am Auge<br />
kommt es bereits kurze Zeit nach Exposition zu Tränenfluss,<br />
Lichtscheu und Blepharospasmus mit nachfolgender<br />
Konjunktivitis und Keratitis. Die gastrointestinalen<br />
Beschwerden äußern sich in Form von<br />
Übelkeit, Erbrechen und abdominellen Schmerzen.<br />
Häufig kommt es zur Bewusstseinstrübung, die von<br />
einer Somnolenz bis zum Koma reichen kann. Mit<br />
einer Latenz von einigen Tagen manifestiert sich die<br />
hemmende Giftwirkung auf die Hämatopoese, wobei<br />
vorwiegend die Leukopoese und Thrombozytopoese<br />
betroffen sind. Eine Leukopenie kann bei den großflächigen,<br />
z.T infizierten Ulzerationen der Haut zum<br />
Sepsis-Syndrom führen.<br />
Nach der Rettung aus dem Gefahrenbereich<br />
konzentrieren sich die therapeutischen Maßnahmen<br />
zunächst auf eine sorgfältige <strong>Dekontamination</strong> der<br />
Patienten, wobei auf eine ausreichende Schutzausrüstung<br />
des Rettungspersonals zu achten ist (Schutzanzug,<br />
Schutzhandschuhe, Schutzstiefel, umluftabhängiger<br />
Atemschutz). Der Lost sollte zunächst mit<br />
einem saugenden Material wie z.B. Zellstoff abgetupft<br />
werden. Anschließend sollte mit kaltem Wasser gespült<br />
werden. Chloramin T, frühzeitig äußerlich eingesetzt,<br />
oxidiert den Lost auf der Haut und macht<br />
ihn damit unschädlich. Dabei wird eine 10%ige<br />
Chloramin T-Lösung zum lokalen Abtupfen von<br />
Lostspritzern und eine 0,2%ige Lösung zur großflächigen<br />
Anwendung, Hautwaschung und für feuchte<br />
Umschläge angewandt. Natriumthiosulfat in einer<br />
Dosis von 500 mg/kg KG i.v. kann, wenn innerhalb<br />
von 20 Minuten eingesetzt, die systemische Lostwirkung<br />
verringern. Der Einsatz von Steroiden ist<br />
umstritten, eine frühzeitige Antibiotikatherapie ist<br />
aber indiziert, da die Ulzerationen an Haut und<br />
Schleimhäuten immer eine potentielle Eintrittspforte<br />
für Keime darstellen. Die Hautläsionen selbst werden<br />
schließlich wie Verbrennungsschäden behandelt.
Krankenhäuser bei<br />
ABC-Schadensereignissen<br />
Vorsorge für die Fußballweltmeisterschaft 2006<br />
von Detlef Cwojdzinski und Harald Krüger<br />
Bei Schadenslagen mit ABC-Gefahrstoffen muss mit<br />
einer Kontamination von Personen gerechnet werden.<br />
Je nach Schadenslage können Kontaminationen<br />
unterschiedlicher Schweregrade und zusätzliche andere<br />
Verletzungen auftreten. Obwohl eine <strong>Dekontamination</strong><br />
von Personen möglichst unverzüglich vor<br />
Ort durchgeführt werden sollte, muss jedoch davon<br />
ausgegangen werden, dass kontaminierte und leichter<br />
verletzte Personen von der Schadensstelle flüchten,<br />
noch ehe entsprechende Kräfte des Ordnungs- und<br />
Rettungsdienstes adäquat eingreifen und Herr der Lage<br />
werden können. Noch während der Chaosphase<br />
werden sich lageabhängig bis zu 80% der Betroffenen<br />
zu Fuß, in privaten Fahrzeugen, Taxen oder öffentlichen<br />
Verkehrsmitteln von der Schadensstelle entfernen<br />
und so Schadstoff verbreiten. Hierdurch können<br />
weitere Personen, Gegenstände und Verkehrsmittel-<br />
Innenräume sekundär kontaminiert werden. In Abhängigkeit<br />
der subjektiven Beschwerden werden diese<br />
Personen ärztliche Hilfe bei niedergelassenen Ärzten<br />
und in Krankenhäusern suchen.<br />
Im Zusammenhang mit dem Sarinanschlag in<br />
Tokio wurden 23 % der Mitarbeiter der Krankenhäuser<br />
sekundär kontaminiert. Die Vorsorge muss deshalb<br />
den Schutz des Personals der Krankenhäuser in den<br />
Vordergrund stellen.<br />
Stand der Vorsorge in den Krankenhäusern<br />
Obwohl die Notwendigkeit einer Krankenhauseinsatzplanung<br />
für Großschadensereignisse durch die<br />
Krankenhäuser grundsätzlich nicht mehr in Frage<br />
gestellt wird, gibt es indes immer noch Kliniken, die<br />
eine solche Vorsorge nicht getroffen haben. Diejenigen,<br />
die vorbereitet sind, haben sich auf die Vorsorge<br />
für interne Ereignisse (z.B. Evakuierung und Räumung)<br />
konzentriert. Hinsichtlich der externen Ereignisse<br />
standen Szenarien mit chirurgisch Verletzten<br />
im Vordergrund. Übungen in Krankenhäusern sind<br />
immer noch eine Ausnahme. Die Situation in Berlin<br />
mit deutlich mehr als 100 Krankenhausübungen in<br />
den letzten 20 Jahren stellt leider nicht den Standard<br />
in Deutschland dar.<br />
Erste Vorsorge für ABC-Lagen<br />
Die Krankenhäuser in Deutschland sind in der<br />
Regel nicht auf einen unkontrollierten Zugang von<br />
mit A-, B- und/oder C-Gefahrstoffen kontaminierten<br />
Patienten vorbereitet, sodass der jeweilige Schadstoff<br />
zunächst durch die Patienten ohne Kontrolle in das<br />
Krankenhaus eingebracht würde und dort in der Ersten-Hilfe-Stelle,<br />
der Rettungsstelle oder dem Aufnahmebereich<br />
zu Sekundärkontaminationen von weiteren<br />
Personen, Gegenständen und Innenräumen führte.<br />
Dieser Zustand wird anhalten bis klinisch-anamnestisch<br />
entsprechende Verdachtsdiagnosen gestellt werden.<br />
Erst dann könnten geeignete Schutzmaßnahmen<br />
für das Krankenhaus — insbesondere für das Personal,<br />
andere Patienten und Besucher — ergriffen werden,<br />
sofern die personellen, sächlichen und baulichfunktionellen<br />
sowie die planerischen Voraussetzungen<br />
geschaffen wurden.<br />
Hier existieren unterschiedliche Konzepte zur<br />
Sicherung der Krankenhäuser vor Kontaminationen:<br />
In Hannover, Leipzig, München und Nürnberg sol-<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
59
60<br />
DEKON: KLINIK<br />
len zur Fußballweltmeisterschaft vorsorglich ABC-Dekon-Stellen<br />
der Katastrophenschutzeinheiten der Feuerwehren<br />
oder Hilfsorganisationen im Zugangsbereich<br />
vor speziellen Versorgungskliniken errichtet und<br />
einsatzbereit vorgehalten werden. An den Spieltagen<br />
der WM sollen diese personell mit Helfern des ABCund<br />
Sanitäts- und ggf. des Betreuungsdienstes besetzt<br />
und in Betrieb genommen werden, während die anderen<br />
Zugänge zur Klinik hermetisch abgesperrt werden.<br />
Der Zugang in die Klinik erfolgt ausschließlich<br />
nach einem negativen Messergebnis bzw. einer <strong>Dekontamination</strong>.<br />
Dadurch wird sichergestellt, dass diese<br />
Kliniken auch bei besonderen Lagen arbeitsfähig<br />
bleiben.<br />
Vorschlag für eine <strong>Dekontamination</strong>seinrichtung.<br />
(Grafik: Autoren)<br />
In Berlin wird ein abgestufter Ausbau der Vorsorge<br />
vor Kontaminationen der Aufnahmekrankenhäuser<br />
angestrebt. Die Vorsorge soll dauerhaft und<br />
nicht nur für die Fußball-WM 2006 aufgebaut werden.<br />
Zunächst soll eine Grundvorsorge in allen Krankenhäusern<br />
sichergestellt werden, die in der Ausstattung<br />
von zunächst zwei Behandlungsteams (je ein<br />
Arzt und eine Pflegekraft) mit geeigneter persönlicher<br />
ABC-tauglicher Schutzausrüstung (PSA) und entsprechenden<br />
Schulungen von Multiplikatoren für die<br />
folgenden Unterweisungen mit Übungen der Mitarbeiter/innen<br />
besteht. Dies lässt zunächst eine medizinische<br />
Grundversorgung der Kontaminierten nach deren<br />
Entkleidung, sicherer Verpackung der Kleidung<br />
in dichten Behältnissen und einer <strong>Dekontamination</strong>,<br />
z.B. im Gipsraum, im Bad oder in einer Dusche,<br />
ohne weitere Gefährdung des Behandlungsteams zu<br />
und ermöglicht eine Sichtung ggf. weiterer Patienten<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
im Wartebereich der Ersten-Hilfe-Stelle, der Rettungsstelle<br />
oder dem Aufnahmebereich durch das nächste<br />
zwischenzeitlich alarmierte zweite Behandlungsteam<br />
in einsatzbereit vorgehaltener PSA.<br />
Empfohlene persönliche Schutzausstattung<br />
(PSA) für (Aufnahme-)Krankenhäuser:<br />
•Gebläseunterstützter Atemschutz mit T3-Haube<br />
(Eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung<br />
gem. G 26 ist hier empfehlenswert, jedoch nicht<br />
zwingend erforderlich.)<br />
Das einsatzbereite Vorhalten erfordert eine laufende<br />
Akku-Pflege und -Wartung!<br />
•Kombifilter (bei ABC- oder noch unklaren Lagen)<br />
Filtertyp: TH1/TH2/TH3/TM2/TM3<br />
A2B2E2K2Hg PSL<br />
mit Spritzschutzabdeckung<br />
(Partikelfilter nur bei reinen B-Lagen:<br />
Filtertyp: TH1/TH2/TH3/TM3 PSL<br />
- Sonderisolierstationen<br />
- Behandlungseinrichtungen 2. Grades)<br />
•Körperschutz bei ABC- oder noch unklaren Lagen:<br />
Overall mit Kapuze mit integrierten Socken und<br />
Tropfschutz, Farbcodierung: orange (oder grau<br />
[Bundesausstattung]),<br />
Material: z.B. Tychem F®,<br />
zwei Größen: L und XXL<br />
(Farbcodierung: für reine B-Lagen: gelb, z.B.<br />
Tychem C®<br />
- Sonderisolierstationen<br />
- Behandlungseinrichtungen 2. Grades<br />
- Infektionsschutz-Set BERLIN)<br />
•Stiefel (Sicherheitsklasse S4 oder S5,<br />
zwei Größen: 41/42 und 46/47)<br />
•Handschuhe aus Klinikbeständen (Wechsel nach<br />
max. 20 Minuten oder Defekten)<br />
- Material bei <strong>Dekontamination</strong>: Butyl<br />
- Material bei Desinfektion mit PES (z.B. Wofosteril®<br />
und Alkapur®): Nitril<br />
Für die jährlichen Schulungen und die Übungen<br />
reichen einfache Overalls und überlagerte<br />
(Kombi-) Filter aus den vorhandenen Beständen aus.<br />
Kommunikation Krankenhaus/Leitstelle<br />
Während der Behandlung des ersten Patienten<br />
in der Klinik durch das erste Team in PSA und der
Sichtung der wartenden Patienten und Besucher durch<br />
das zweite Team in PSA wird unverzüglich die Rettungsleitstelle<br />
informiert: Es könnte der Initial-Patient<br />
eines dort bislang noch nicht bekannten Schadensereignisses<br />
sein, so dass von dort aus die anderen im<br />
Einzugsgebiet liegenden Krankenhäuser voralarmiert<br />
werden können, um sich sowohl auf einen unkontrollierten<br />
Zulauf von kontaminierten Patienten als<br />
auch eine folgende kontrollierte Einlieferung von<br />
teil-/spot-dekontaminierten oder zwischenzeitlich vor<br />
Ort an der Schadensstelle dekontaminierten Patienten<br />
in entsprechend ausgewählten Aufnahmekrankenhäusern<br />
oder speziellen Behandlungszentren durch<br />
den Rettungsdienst einzurichten.<br />
Der Kommunikation Rettungsleitstelle/Krankenhaus<br />
kommt eine besondere Bedeutung bei ABC-<br />
Lagen zu. In Berlin werden die Krankenhäuser über<br />
so genannte ‚Rote Telefone’ durch die Leitstelle der<br />
Berliner Feuerwehr alarmiert. Eine schriftliche Übermittlung<br />
von Lagemeldungen (z.B. Stoffnamen incl.<br />
CAS-Nummer) ist über besondere Faxverbindungen<br />
möglich, die in den Kliniken für Not- und Krisenfälle<br />
ständig erreichbar vorgehalten werden. Diese Faxgeräte<br />
in den Krankenhäusern werden Tag und Nacht<br />
besonders überwacht.<br />
Weiteres Procedere<br />
Der weitere Zugang zur Ersten-Hilfe-Stelle, der<br />
Rettungsstelle oder zum Aufnahmebereich wird gesperrt.<br />
Die Wartenden — Patienten und Besucher —<br />
werden bis zur Einrichtung und Inbetriebnahme<br />
einer provisorischen ersatzweisen Rettungsstelle für<br />
die weitere Regelversorgung zunächst unverzüglich<br />
ins Freie geleitet. Dort werden sie nochmals gesichtet.<br />
Den kontaminierten Patienten wird ein gesonderter<br />
Wartebereich zugewiesen, in dem zwischenzeitlich<br />
Kleidung ausgezogen und in bereit gehaltene Behältnisse<br />
abgelegt wird sowie ggf. Wertsachen in gesondert<br />
vorgehaltenen Behältnissen abgelegt werden.<br />
Diese Patienten erhalten zunächst ein nummeriertes<br />
Armband mit einer möglichst dekontaminationsmittelbeständigen<br />
Kennzeichnung, die sich auch auf<br />
den Verschlüssen für die Behältnisse für die Kleidung<br />
und ggf. auch für Wertsachen befindet. Damit<br />
ist eine eindeutige Kennzeichnung gegeben, die sich<br />
auch auf der Patienten-Anhängekarte befindet, die<br />
erst nach erfolgter <strong>Dekontamination</strong> ausgefüllt wird.<br />
Die möglicherweise sekundär Kontaminierten<br />
– Personal, Patienten und Besucher – werden ebenfalls<br />
erfasst und entsprechend dokumentiert. Die<br />
eventuell sekundär kontaminierten Gegenstände im<br />
Krankenhaus werden für eine spätere <strong>Dekontamination</strong><br />
markiert, die Räume gut gelüftet (Raumlufttechnische<br />
Anlagen beachten!) und gesperrt.<br />
Übungen in Krankenhäusern sind immer noch eine Ausnahme.<br />
Die weitere Versorgung der Schadensopfer ist<br />
von der erweiterten Vorsorge des abgestuften Ausbaus<br />
mit einer Dekon-Stelle abhängig. Im Rahmen<br />
einer entsprechenden Ortsbegehung und Prüfung<br />
der baulich-funktionellen Gegebenheiten des Krankenhauses<br />
unter Berücksichtigung der Verkehrsführung<br />
der Ver- und Entsorgungsanbindungen (Warmund<br />
Kaltwasseranschlüsse, notstromversorgte Kraftund<br />
Haushaltsstromanschlüsse sowie die Abwasseranbindung)<br />
ist zu entscheiden, ob vorhandene geeignete<br />
Räume im Krankenhaus zu einer Dekon-Stelle<br />
ausgebaut werden können oder ob eine Dekon-Stelle<br />
in einem der Ersten-Hilfe-Stelle, der Rettungsstelle<br />
oder des Aufnahmebereichs vorgelagerten Zelt auf<br />
dem Krankenhausgelände oder dem öffentlichen<br />
Straßenland eine krankenhaussichernde <strong>Dekontamination</strong><br />
‚ante portas’ zulässt.<br />
Diese Dekon-Stellen müssten bei entsprechenden<br />
Schadenslagen innerhalb von max. 20 Minuten<br />
nach einer Alarmierung einsatzfähig sein.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
61
62<br />
DEKON: KLINIK<br />
<strong>Dekontamination</strong>seinrichtung zur Tagung der NATO in Berlin. (Fotos: Autoren)<br />
Grundsätzliche Forderungen<br />
Im Rahmen des zweiten Fachkongresses zur<br />
Fußballweltmeisterschaft 2006 im Oktober 2005 in<br />
Ahrweiler sind in einem länderübergreifenden Workshop<br />
die Grundforderungen für die Vorsorge der<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
Krankenhäuser bei ABC-<br />
Schadensereignissen<br />
beschrieben worden.<br />
•Jede Klinik muss bis<br />
zur WM 2006 geeignete<br />
Maßnahmen zum<br />
Grundschutz im Rahmen<br />
der Vorsorgeplanung<br />
treffen.<br />
•Ferner sollen Krankenhäuser,<br />
die an der Notfallversorgung<br />
beteiligt<br />
sind, zukünftig geeignetebaulich-funktionelle,<br />
organisatorische<br />
und personelle Ressourcen<br />
vorhalten, um<br />
Patienten dekontaminieren<br />
zu können.<br />
•An ausgewählten Krankenhäusern<br />
sind die<br />
<strong>Dekontamination</strong>skapazitäten<br />
um geeignete,<br />
z.B. mobile, Einrichtungen<br />
zu erweitern.<br />
•Die entsprechenden<br />
Vorhaltemaßnahmen<br />
stellen eine gesamtgesellschaftlicheAufgabe<br />
dar, die nicht allein<br />
von den Krankenhausbetreibern<br />
getragen<br />
werden können. Deshalb<br />
sind hier insbesondere<br />
die Länder<br />
gefordert. Diese haben<br />
die dafür notwendigen<br />
Voraussetzungen<br />
zu schaffen.
<strong>Dekontamination</strong> aus Sicht<br />
des Krankenhauses<br />
Von H. A. Adams<br />
Grundlagen<br />
Beim terroristischen Einsatz von ABC-Kampfmitteln<br />
ist stets mit einer Panik zu rechnen, was die Isolierung<br />
aller Betroffenen im sicheren Umfeld des Schadensortes<br />
mit nachfolgender koordinierter <strong>Dekontamination</strong><br />
und medizinischer Versorgung illusorisch<br />
macht. Insgesamt ist die Ausbreitung der Noxe in<br />
Wohngebiete usw. ebensowenig zu verhindern wie das<br />
unangemeldete Erscheinen kontaminierter Patienten<br />
in umliegenden Kliniken.<br />
Trotzdem ist an der <strong>Dekontamination</strong> aller<br />
noch erreichbaren verletzten sowie — nachrangig —<br />
unverletzten Betroffenen im sicheren Umfeld des<br />
Schadensortes durch dazu vorgesehene Einsatzkräfte<br />
und -mittel festzuhalten, der unkoordinierte Abtransport<br />
nach Kräften zu unterbinden und auf strikte<br />
Transportkoordination zu achten. Für die weitere Versorgung<br />
der Verletzten bietet sich die Einplanung<br />
und Vorbereitung einer ABC-Versorgungsklinik an.<br />
Allgemeine Aufgaben einer ABC-Versorgungsklinik<br />
Eine ABC-Versorgungsklinik hat die Aufgabe,<br />
eine auch größere Zahl von Patienten mit A-, B- oder<br />
C-Schäden sowie Begleitverletzungen stationär zu behandeln,<br />
wozu sie ggf. durch Zuführung von Spezialisten<br />
und Material unterstützt wird. Analog zum<br />
Konzept der Erstversorgungsklinik (EVK) für Verletzte<br />
im Katastrophenfall stellt die Klinik ggf. ihren<br />
Routinebetrieb ein und konzentriert alle Ressourcen<br />
auf diese Aufgabe.<br />
Die Auswahl der Klinik orientiert sich am medizinischen<br />
Szenario und den örtlichen Verhältnissen.<br />
Bei einer Panik ist mit einer Vielzahl von Kombinationsschäden<br />
zu rechnen; neben der Schädigung<br />
durch die ABC-Noxe — mit ggf. großflächigen Verlet-<br />
zungen des Integuments bei Einsatz von C-Kampfmitteln<br />
— sind daher insbesondere stumpfe Traumen<br />
zu erwarten, sodass sich die einseitige Betrachtung<br />
der ABC-Schädigung verbietet. Bei der Behandlung<br />
dieser Kombinationstraumen treffen widerstrebende<br />
Forderungen — wie die nach frühestmöglicher <strong>Dekontamination</strong><br />
und schnellstmöglicher Traumaversorgung<br />
— aufeinander. Weiter ist zu beachten, dass insbesondere<br />
C-Kampfmittel zur unmittelbar letalen Bedrohung<br />
der Helfer führen, was bei A- oder B-Kampfmitteln<br />
nicht in diesem Maße zutrifft.<br />
Grundsätzlich ist daher als ABC-Versorgungsklinik<br />
eine Einrichtung mit leistungsfähiger unfallund<br />
viszeralchirurgischer sowie anästhesiologischer<br />
Abteilung zu wählen. Optimal ist es, wenn dort zusätzlich<br />
ein Zentrum zur Behandlung Schwerbrandverletzter<br />
mit entsprechender Erfahrung in der Therapie<br />
kombinierter mechanischer und thermischer<br />
Traumen vorhanden ist.<br />
Allgemeine Vorbereitungen<br />
Für den Betrieb einer ABC-Versorgungsklinik<br />
sind u. a. folgende Vorbereitungen erforderlich, die<br />
in Zusammenarbeit mit der örtlichen Feuerwehr zu<br />
treffen und in einem detaillierten Notfallplan für<br />
externe ABC-Gefahrenlagen niederzulegen sind:<br />
•Zugang zur ABC-Versorgungsklinik nur streng<br />
kanalisiert und nach Prüfung auf Kontamination.<br />
•Einrichtung eines Personen-<strong>Dekontamination</strong>splatzes<br />
der Feuerwehr mit klar getrennter „unreiner“<br />
und „reiner“ Wegeführung (Schwarz- und Weißbereich)<br />
im unmittelbaren Zugangsbereich der<br />
Klinik.<br />
•Detaillierte Vorbereitungen zur räumlich strikt<br />
getrennten Verlegung nicht kontaminierter Nor-<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
63
64<br />
DEKON: KLINIK<br />
malpatienten der Klinik, sofern entsprechender<br />
Platzbedarf besteht.<br />
•Klare innerklinische Zuordnung zu therapieführenden<br />
Fachgebieten.<br />
Notfallplan der Medizinischen Hochschule<br />
Hannover bei externen ABC-Gefahrenlagen<br />
Der Notfallplan der Medizinischen Hochschule<br />
Hannover (MHH) sieht — getrennt nach A-,<br />
B- oder C-Lagen — folgende Maßnahmen vor.<br />
•Es wird zwischen der Anlieferung eines Einzelpatienten<br />
in der Zentralen Notfallaufnahme (Alarmstufe<br />
I) sowie der Aufnahme mehrerer Patienten in<br />
einer „Besonderen Aufnahmezone“ unterschieden<br />
(Alarmstufen II und III).<br />
•Unkoordiniert eingetroffene Patienten werden zunächst<br />
gemäß Alarmstufe I versorgt.<br />
•Zur koordinierten Einlieferung richtet die Feuerwehr<br />
etwas abgesetzt von der Zentralen Notfallaufnahme<br />
einen Personen-<strong>Dekontamination</strong>splatz ein,<br />
der von Feuerwehr und Rettungsdienst betrieben<br />
wird. Im Einzelfall kann — unter entsprechendem<br />
Personenschutz — eine Unterstützung durch MHH-<br />
Kräfte erfolgen.<br />
•Die Patienten werden nach sachgerechter <strong>Dekontamination</strong><br />
und entsprechender Nachprüfung bzw.<br />
-messung an einem definierten Zugangspunkt in<br />
der „Besonderen Aufnahmezone“ von MHH-<br />
Teams übernommen.<br />
Danach werden die Patienten zur weiteren klinischen<br />
Versorgung je nach Schädigungsmuster einer<br />
Fachdisziplin zugeordnet. Hochkontagiöse Patienten<br />
werden in einer vorab festgelegten „Besonderen<br />
Behandlungszone“ isoliert.<br />
Zusammenfassung und Diskussion<br />
Mit dem Konzept der ABC-Versorgungsklinik<br />
sollen die begrenzten Ressourcen zur Versorgung<br />
kontaminierter und ggf. zusätzlich verletzter Patienten<br />
konzentriert und optimal genutzt sowie die<br />
übrigen Kliniken möglichst unbelastet und arbeitsfähig<br />
erhalten werden. Alle noch erreichbaren Patienten<br />
werden im sicheren Umfeld der Schadensstelle<br />
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />
dekontaminiert und koordiniert<br />
transportiert.<br />
Darüber hinaus wird eine<br />
leistungsfähige Klinik als<br />
ABC-Versorgungsklinik<br />
mit einem Personen-<strong>Dekontamination</strong>splatzausgestattet,<br />
der zur <strong>Dekontamination</strong>unkoordiniert<br />
eintreffender Patienten<br />
und ggf. zur Nachdekontaminationkoordiniert<br />
eintreffender Patienten<br />
dient. Es gibt jedoch<br />
keine Gewähr gegen das<br />
unangemeldete Erscheinen<br />
kontaminierter Patienten,<br />
sodass in allen<br />
Kliniken zumindest Maßnahmen<br />
zur Notdekontamination<br />
von Einzelpatienten<br />
vorzubereiten<br />
sind. Diese muss dann<br />
allerdings ohne professionelle<br />
Hilfe mit „eingewiesenem“Klinikpersonal<br />
erfolgen. Die professionelle<br />
Unterstützung<br />
durch ausgebildete Feuerwehrkräfte<br />
ist das wesentliche<br />
Merkmal einer<br />
ABC-Versorgungsklinik,<br />
die ihre internen Abläufe<br />
dann auf die eigentliche<br />
medizinische Versorgung<br />
konzentrieren kann.<br />
Die zeitgerechte Zuweisung<br />
der erforderlichen<br />
lokalen und regionalen<br />
Einsatzkräfte von Feuerwehr<br />
und Rettungsdienst<br />
ist durch die Alarmordnung<br />
sicherzustellen.<br />
IMPRESSUM<br />
Anschrift der Redaktion:<br />
Postf 200351, 53133 Bonn<br />
Herausgegeben im Auftrag des<br />
Bundesministeriums des Innern<br />
vom Bundesamt für<br />
Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe (BBK),<br />
Deutschherrenstraße 93-95,<br />
53177 Bonn<br />
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August und November. Redaktionsschluss<br />
ist jeweils der 10.<br />
des Vormonats.<br />
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zzgl. Porto und Versandkosten.<br />
Bei Nichterscheinen der Zeitschrift<br />
im Falle höherer Gewalt<br />
oder bei Störung des Arbeitsfriedens<br />
besteht kein Anspruch<br />
auf Haftung.
Persönliche ABC-Schutzausrüstung<br />
Die neue persönliche ABC-Schutzausrüstung wurde nach<br />
dem heutigen Stand der Technik konzipiert und schützt<br />
den Träger vor Gefahren durch radioaktive, biologische<br />
und chemische Kontamination. Sie besteht aus folgenden<br />
Bestandteilen:<br />
Overgarment<br />
Das Overgarment, eine Überarbeitung des<br />
alten Modells aus den 80er Jahren, schützt vor den<br />
Dämpfen und kleinen Tröpfchen von chemischen<br />
Kampfstoffen, nicht jedoch vor größeren Mengen<br />
an Flüssigkeiten gleich welcher Art.<br />
Es besteht aus einem zweilagigen textilen<br />
Stoffverbund. Die Außenkleidschicht<br />
ist öl- und wasserabweisend imprägniert.<br />
Die Innenkleidschicht besteht aus einem<br />
Futterstoff auf der hautzugewandten<br />
Seite, auf dem Aktivkohlekügelchen als<br />
adsorptive Schicht aufgebracht sind. Es<br />
ist semipermeabel, d.h. luft- und wasserdampfdurchlässig<br />
von innen nach<br />
außen. Der Anzug verfügt als erster seiner<br />
Art über ein CE-Zeichen.<br />
Flüssigkeitsdichte Schutzkleidung<br />
Zum Schutz vor Kontamination durch<br />
Flüssigkeiten und Partikel von A-, B- und C-<br />
Schadstoffen dient die flüssigkeitsdichte Schutzkleidung.<br />
Das Material ist ein Laminat aus verschiedenen<br />
Kunststoffschichten, womit ein breitbandiger<br />
Schutz vergleichbar einem CSA gegeben<br />
ist. Der Anzug ist sowohl einzeln als auch über<br />
dem Overgarment tragbar.<br />
Atemschutzmaske<br />
Hierbei handelt es sich um einen Atemanschluss<br />
nach EN 136 Klasse 3 und VFDB-Richtlinie 0802 in<br />
Normaldruckausführung. Der Maskenkörper besteht aus<br />
einer Naturkautschuk-Mischung. Im Gegensatz zur<br />
alten Maske M65 Z ist sie eine Einfenstermaske.<br />
Beim Filter handelt es sich um einen ABEK2<br />
Hg P3-Filter nach EN 141. Er schützt mit mittlerem<br />
Aufnahmevermögen gegen:<br />
• Org. Gase und Dämpfe mit einem Siedepunkt >65°C<br />
EXTRA<br />
• Anorganische Gase und Dämpfe, z.B. Chlor, Schwefelwasserstoff,<br />
Blausäure, aber nicht gegen Kohlenmonoxid<br />
• Schwefeldioxid und andere saure Gase und Dämpfe<br />
• Ammoniak und organische Ammoniak-Derivate<br />
Zusätzlich besteht ein Schutz gegen Quecksilber.<br />
Der Filtereinsatz ist ein Kombinationsfilter und hat auch<br />
einen Partikelfilterteil mit hoher Abscheideleistung.<br />
Tragetasche<br />
Die Tragetasche dient zum Transport von<br />
Atemschutzmaske und Filtern. Sie wurde in<br />
Anlehnung an Spezifikationen der Bundeswehr<br />
beschafft. Das Material ist fast unbegrenzt<br />
lagerfähig.<br />
Schutzhandschuhe<br />
Die Schutzhandschuhe sind aus<br />
Butylkautschuk gefertigt und haben eine<br />
breitbandige Rückhalteleistung.<br />
Schutzschuhe<br />
Sie sind gefertigt nach DIN 345 Teil 2<br />
S5. Beim Material handelt es sich um eine auf<br />
Basis von Butylkauschuk gefertigte Mischung.<br />
Die Schutzschuhe besitzen eine ölbeständige<br />
Sohle und sind antistatisch.<br />
Unterziehhandschuhe<br />
Die Unterziehhandschuhe dienen sollen<br />
wegen eines besseren Griffes unter den<br />
Schutzhandschuhen getragen werden. Sie sind aus reiner<br />
Baumwolle gefertigt und waschbar.<br />
Funktionssocken<br />
Die Funktionssocken dienen zur komfortablen<br />
Nutzung der Schutzschuhe und sollen einen besseren<br />
Halt in diesen ermöglichen. Sie bestehen aus einer atmungsaktiven<br />
Klimafaser und sind ebenfalls waschbar.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ
Bevölkerungsschutz<br />
Bundesamt für Bevölkerungsschutz<br />
und Katastrophenhilfe<br />
Postfach 20 0351, 53133 Bonn<br />
PVSt, Deutsche Post AG,<br />
Entgelt bezahlt, G 2766<br />
Nicht mehr ganz ein halbes Jahr bis zum Anstoß des Eröffnungsspieles<br />
der Fußball-Weltmeisterschaft — Millionen Menschen<br />
in der ganzen Welt werden mit großer Aufmerksamkeit<br />
nach Deutschland schauen und tausende als Gäste<br />
unser Land besuchen.<br />
Ein derartiges Ereignis bedarf allerdings auch einer sorgfältigen<br />
Vorsorgeplanung. Schon im Januar 2005 hat das BBK<br />
in einer ersten Veranstaltung möglichst viele Verantwortliche<br />
zusammengeführt, um gemeinsam den Vorbereitungsstand<br />
und mögliche Risiken zu analysieren. Eine Folgeveranstaltung<br />
im Oktober befasste sich mit dem Bereich<br />
<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong>. Ein ausführlicher Bericht würde<br />
den Rahmen einer „normalen“ Ausgabe sprengen, daher<br />
erstmals eine <strong>Sonderausgabe</strong> von Bevölkerungsschutz.<br />
Das Titelbild zeigt eine Übung zur <strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />
in einer mobilen <strong>Dekontamination</strong>sanlage (o.).<br />
(Fotos: Stein/BBK)