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Sonderausgabe: Dekontamination Verletzter (PDF, 2MB)

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Bevölkerungsschutz<br />

<strong>Dekontamination</strong><br />

<strong>Verletzter</strong><br />

<strong>Sonderausgabe</strong> 2006


Arbeiter-Samariter-Bund<br />

Liebe Leserinnen,<br />

liebe Leser,<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in<br />

Deutschland ist ein Ereignis, das uns alle<br />

bewegt, unabhängig davon, wie die<br />

deutsche Nationalmannschaft abschneiden<br />

wird. Die Welt zu Gast mit tausenden<br />

Besuchern und unzähligen Journalisten,<br />

die rund um die Uhr über den<br />

Sport, das Land und die Menschen berichten.<br />

Für Deutschland stellt die WM<br />

2006 eine gute Gelegenheit dar, Offenheit<br />

und Gastfreundschaft zu zeigen.<br />

Mit einem solchen Ereignis verbinden<br />

sich gleichwohl auch besondere<br />

Risiken. Die Veranstaltung bedingt ein<br />

hohes Verkehrsaufkommen auf Schiene,<br />

Straße und im Luftverkehr, große Menschenansammlungen<br />

in den Stadien und<br />

an anderen Veranstaltungsorten und sie<br />

führt unterschiedliche Nationalitäten,<br />

Kulturen und Mentalitäten zusammen.<br />

Dies sind Risikofaktoren, die sich qualitativ<br />

auf das mögliche Schadensausmaß<br />

bei Unfällen auswirken können. Hinzu<br />

kommt das grundsätzlich vorhandene<br />

Risiko terroristischer Aktionen, für das<br />

man bei Veranstaltungen von medialem<br />

Belang Vorsorge treffen muss.<br />

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz<br />

und Katastrophenhilfe hat<br />

im Januar 2005 in einer ersten Veranstaltung<br />

Verantwortliche aus allen zwölf<br />

WM-Städten, aus den Ländern sowie<br />

zahlreichen Organisationen zum Thema<br />

Vorsorgeplanung zusammengeführt. In<br />

verschiedenen Workshops wurden der<br />

Vorbereitungsstand analysiert und übergreifende<br />

Problemfelder diskutiert und<br />

dokumentiert.<br />

Eines davon, nämlich die <strong>Dekontamination</strong><br />

verletzter Personen, wurde<br />

auf der Folgeveranstaltung im Oktober<br />

2005 vertieft behandelt. Schwerpunkt<br />

bildete das gerade verabschiedete Rahmenkonzept,<br />

das eine von Bund und<br />

Ländern gemeinsam gestellte Arbeitsgruppe<br />

erarbeitet hat. Durch Vertreter<br />

aus der Schweiz und aus Großbritannien<br />

erhielt die Thematik zusätzliche<br />

Inspirationen.<br />

Die interessanten und fachlich<br />

fundierten Plenums- und Workshopbeiträge<br />

haben es verdient, einem breiteren<br />

Publikum zugänglich gemacht zu<br />

werden. Daher haben wir uns noch während<br />

der Veranstaltung entschieden,<br />

zum ersten Mal in der Geschichte dieses<br />

Magazins eine <strong>Sonderausgabe</strong> herauszugeben.<br />

Enthalten sind natürlich<br />

auch die Ergebnisse der beiden Workshops,<br />

in denen offen über noch zu<br />

lösende Aufgaben gesprochen wurde.<br />

Ich danke allen Beteiligten, die<br />

schnell und ohne zu zögern ihre Präsentationen<br />

in Text umgesetzt und für<br />

dieses Heft zur Verfügung gestellt haben.<br />

Auch das ist ein Zeichen für die<br />

breite Kooperationsbereitschaft und<br />

-fähigkeit, die für das Lösen von Problemen<br />

unverzichtbar ist.<br />

Ihr


VORWORT<br />

Vorwort des Beauftragten für Sicherheitsbelange der<br />

Fußball-WM 2006 im Bundesministerium des Innern<br />

MinR Dr. Gregor Rosenthal 2<br />

GRUNDLAGEN<br />

FIFA-WM 2006 4<br />

WM – eine bedeutende<br />

Großveranstaltung<br />

Konzept der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr 5<br />

Einsatzkonzept ÜMANV –<br />

„MANV überörtlich“<br />

Organisation rettungsdienstlicher<br />

Großschadenslagen in NRW 7<br />

Das THW ist für die<br />

WM 2006 gerüstet 9<br />

BW und WM<br />

Unterstützungsleistungen der Bundeswehr<br />

im Rahmen der FIFA-WM 2006 11<br />

Bundespolizei und<br />

Katastrophenschutz 14<br />

ÖFFENTLICHKEIT<br />

Ausnahmezustand WM?<br />

Bevölkerungsinformation und Medienarbeit<br />

im Ereignisfall 17<br />

Psychosoziale<br />

Notfallversorgung (PSNV) 19<br />

DEKON: TECHNIK<br />

Unterstützung durch die<br />

Analytische Task Force 21<br />

<strong>Dekontamination</strong> nach<br />

FwDV 500 25<br />

DEKON: MEDIZIN<br />

DEKON: KLINIK<br />

<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />

Workshop „Vorbereitung der Krankenhäuser“ 48<br />

Vorbereitung des Öffentlichen<br />

Gesundheitsdienstes zur WM 2006 51<br />

Therapie bei Chemieunfällen 55<br />

Krankenhäuser bei<br />

ABC-Schadensereignissen<br />

Vorsorge für die Fußballweltmeisterschaft 2006 59<br />

<strong>Dekontamination</strong> aus Sicht<br />

des Krankenhauses 63<br />

EXTRA<br />

INHALT<br />

Projektgruppe ABC-Risiken und<br />

Gefahrenlagen (PG9) 29<br />

<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />

Funktion und Ausstattung einer Dekonstelle<br />

für verletzte Zivilpersonen 31<br />

CBRN-Szenarien<br />

Großschadenslagen mit zusätzlicher<br />

Gefährdung durch Schadstoffe ( ABC ) 34<br />

Dekon-Rahmenkonzept<br />

Entwurf der Bund-Länder-Arbeitsgruppe 37<br />

ABC-<strong>Dekontamination</strong> von Patienten 39<br />

<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />

Workshop 1: Umsetzung im präklinischen Bereich 43<br />

<strong>Dekontamination</strong> und Behandlung<br />

<strong>Verletzter</strong><br />

Ergebnisse eines Forschungsauftrags des BMI 45<br />

Persönliche ABC-Schutzausrüstung 65<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

1


2<br />

VORWORT<br />

Vorwort des Beauftragten für Sicherheitsbelange der<br />

Fußball-WM 2006 im Bundesministerium des Innern<br />

MinR Dr. Gregor Rosenthal<br />

Am 7. Juni 2006 ist es so weit. Dann beginnt<br />

mit der FIFA World Cup Gala in Berlin die<br />

Fußball-Weltmeisterschaft bei uns in Deutschland.<br />

„Die Welt zu Gast bei Freunden“ lautet das<br />

Dr. Gregor Rosenthal ist Vorsitzender des Bund-Länder-Ausschusses<br />

WM 2006 und Beauftragter für Sicherheitsbelange der Fußball-WM<br />

2006 im Bundesministerium des Innern.<br />

(Foto: BMI)<br />

Motto des Turniers und dieses Motto wollen wir,<br />

will Deutschland als Gastgeber mit Leben füllen.<br />

Die Welt wird vier Wochen nach Deutschland<br />

schauen. Milliarden Zuschauer in allen Kontinenten<br />

werden die 64 Spiele in den zwölf WM-<br />

Stadien am Fernsehgerät verfolgen und Millionen<br />

werden die WM zu einem Besuch unseres Landes<br />

nutzen. Dieses sportliche Großereignis bietet<br />

unserem Land die einmalige Chance, sich als<br />

gastfreundliches, tolerantes, heiteres und sicheres<br />

Land zu präsentieren.<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Eine der zentralen Regierungsgarantien, die<br />

die Bundesregierung im Rahmen der Bewerbung<br />

Deutschlands um die WM 2006 abgegeben hat,<br />

ist die Gewährleistung einer sicheren Durchführung<br />

der WM. Dabei ist das beste Sicherheitskonzept<br />

eines, das Sicherheit gewährleistet und Spiel,<br />

Spaß und Sport im Vordergrund stehen lässt.<br />

Das wünschen sich alle, die im Hintergrund der<br />

WM für die Sicherheit von Spielern, Betreuerinnen<br />

und Betreuern sowie Zuschauerinnen und Zuschauern<br />

verantwortlich sind. Genau diese Aspekte<br />

spielen bei den Sicherheitsvorbereitungen auf<br />

die Fußballweltmeisterschaft eine tragende Rolle.<br />

Die durch die Politik vorgegebenen Rahmenbedingungen<br />

müssen durch die Sicherheitsbehörden<br />

in Bund und Ländern konzeptionell umgesetzt<br />

werden.<br />

Seit der Vergabe der WM 2006 an Deutschland<br />

arbeiten alle mit Sicherheitsaspekten betrauten<br />

Institutionen des Bundes und der Länder mit<br />

dem Ausrichter, dem FIFA WM 2006-OK, eng<br />

zusammen. Das Bundesministerium des Innern<br />

hat den Vorsitz eines Bund-Länder-Ausschusses<br />

inne. Dieses Gremium hat unter Beteiligung aller<br />

betroffenen Partner das „Nationale Sicherheitskonzept“<br />

für die Fußball-WM 2006 erstellt, welches<br />

im Mai 2005, rechtzeitig vor dem Confederations<br />

Cup 2005 — bei dem wesentliche Teile<br />

des Konzeptes und dessen Teilkonzepte einem<br />

Testlauf unterzogen wurden — durch die Innenminister<br />

des Bundes und der Länder verabschiedet<br />

wurde. Es umfasst alle notwendigen Maßnahmen<br />

und Aktivitäten von originär zuständigen<br />

Behörden, Organisationen und Institutionen auf<br />

staatlicher Ebene sowie die des Veranstalters und<br />

Ausrichters vor, während und nach den Spielen.<br />

Ein wesentlicher Baustein der staatlichen<br />

Maßnahmen des Nationalen Sicherheitskonzeptes<br />

ist neben dem polizeilichen Aufgabenbereich<br />

der Katastrophenschutz. Die nichtpolizeiliche


Gefahrenabwehr ist neben der Prävention vorrangig<br />

auf Schadensbewältigung ausgerichtet. Sie hat<br />

zum Ziel, die bestmögliche Versorgung betroffener<br />

Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten,<br />

wenn es zu einem größeren Schadensereignis gekommen<br />

sein sollte. Hier haben sich die Länder<br />

und der Bund in einem „Musterkonzept Katastrophenschutz“<br />

auf wesentlich größere Lagen vorbereitet<br />

als es der tägliche Rettungsdienst und die<br />

Einsätze der Feuerwehr zur Brandbekämpfung<br />

und technischen Hilfe erfordern. An allen Spielorten<br />

wird ein hohes Niveau an Sicherheit und<br />

Vorsorge erreicht werden, um im Katastrophenfall<br />

schnelle und umfassende Hilfe gewährleisten<br />

zu können. In zahlreichen Übungen haben sich<br />

die Katastrophenschützer und die Polizei auf diesen<br />

speziellen Einsatz vorbereitet.<br />

Deutschland ist immer wieder mit komplexen<br />

Sicherheitssituationen konfrontiert gewesen.<br />

Beispielhaft sind hier die Ausrichtung des G8-<br />

Gipfels 1999 in Köln und der Papst-Besuch im<br />

Rahmen des Weltjugendtages im letzten Jahr<br />

ebenfalls in Köln zu nennen. Auch haben die<br />

deutschen Sicherheitsorgane die Gelegenheit<br />

genutzt, sich mit den Bewältigungsstrategien anderer<br />

Länder bei vergleichbaren Ereignissen (z. B.<br />

Portugal mit der Fußball EM 2004, Japan/Südkorea<br />

mit der Fußball WM 2002 und Griechenland<br />

mit den Olympischen Sommerspielen 2004)<br />

vertraut zu machen. Die dort gewonnen Erkenntnisse<br />

sind in unsere eigenen Sicherheitsvorbereitungen<br />

eingeflossen.<br />

Diese Vorbereitungen befinden sich in einem<br />

sehr fortgeschrittenen Stadium. Das hat auch der<br />

praktische Test während des Confederations Cup<br />

vom 15.-29. Juni 2005 gezeigt. Wo erforderlich,<br />

werden jetzt die Konzepte und die darauf aufbauenden<br />

konkreten Sicherheitsmaßnahmen noch<br />

angepasst beziehungsweise fortgeschrieben. Der<br />

engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit<br />

aller beteiligten Katastrophenschutzbehörden in<br />

Bund und Ländern im Rahmen spezieller Übungen<br />

in Vorbereitung auf die WM und während<br />

der bisher stattgefundenen Fachtagungen und<br />

Kongresse ist es zu verdanken, dass wir auch<br />

insoweit mit Zuversicht und Optimismus auf den<br />

Sommer 2006 und die Umsetzung des Mottos<br />

„Die Welt zu Gast bei Freunden“ durch sichere<br />

und fröhliche Spiele blicken können.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

3


4<br />

GRUNDLAGEN<br />

FIFA-WM 2006<br />

Von Beate Coellen,BBK<br />

„Die Welt zu Gast bei Freunden“ so lautet das Motto<br />

der Fußballweltmeisterschaft, die in der Zeit vom<br />

09.06.-09.07.2006 in Deutschland stattfindet. Begleitet<br />

wird diese WM durch eine Reihe von Veranstaltungen,<br />

nicht nur in den Austragungsstädten selber,<br />

sondern auch in fast allen Regionen unseres Landes.<br />

Im Rahmen der Vorbereitungen zur WM<br />

hatte die IMK eine Bund-Länder Arbeitsgruppe ins<br />

Leben gerufen, die unter Federführung des BMI alle<br />

sicherheitsrelevanten Belange in ein „Nationales<br />

Sicherheitskonzept“ überführen sollte. So entstand<br />

u.a. ein „Musterkonzept Katastrophenschutz“, welches<br />

die grundlegenden Anforderungen für die Aktivitäten<br />

der WM-Städte festlegte.<br />

Die Rahmenbedingungen für die FIFA WM<br />

2006 weisen einige Besonderheiten auf. So werden die<br />

Teams bereits deutlich früher anreisen. Dies tangiert<br />

eher den polizeilichen Bereich, aber je nach Aktivität<br />

sind auch im nicht polizeilichen Bereich Vorkehrungen<br />

zu treffen. Die so genannten „Events“ können<br />

ebenso früher beginnen. Spätestens am 07.06. startet<br />

mit der Eröffnungsfeier in Berlin die „heiße Phase“.<br />

Die 32 teilnehmenden Mannschaften werden<br />

64 Spiele absolvieren. Derzeit wird die Anzahl möglicher<br />

Besucher auf etwa 3,1 Mio. geschätzt, davon<br />

werden etwa 1 Mio. aus dem Ausland erwartet. Die<br />

Zahl der Medienvertreter beläuft sich auf etwa<br />

15.000, auch hier liegen noch keine genauen Zahlen<br />

vor. Letztendlich fällt die WM in die europaweite<br />

beginnende Haupturlaubszeit.<br />

Aus diesen Rahmenbedingungen ergeben sich<br />

einige Konsequenzen, die Einfluss auf Planungen nehmen.<br />

Das derzeitige Besucheraufkommen ist geschätzt,<br />

bedeutet aber auf jeden Fall, dass nicht alle Besucher<br />

eine Karte für das jeweilige Spiel haben. Um diesem<br />

Manko abzuhelfen, ist in vielen Städten geplant, „Public<br />

Viewing“ Plätze mit Großleinwänden einzurichten.<br />

Damit kann sich auf einem großen Platz plötzlich<br />

eine große Menschenmenge einfinden, selbst in Bundesländern<br />

ohne Spielorte.<br />

Es ist zu beachten, dass wegen der starken<br />

Präsenz der Medien alles sofort weltweit auf Sendung<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

ist, d.h. auch jeder noch so kleine Zwischenfall, der<br />

im täglichen Leben kaum pressewirksam würde,<br />

sofort aufgegriffen wird.<br />

Zur Umsetzung des „Musterkonzeptes Katastrophenschutz“<br />

hat jede WM-Stadt eigene Konzepte<br />

entwickelt, die sich u.a. an den vorhandenen Ressourcen<br />

orientieren. Die Anzahl der eingesetzten<br />

Kräfte richtet sich nach der Einschätzung der Sicherheitsbehörden<br />

und wird in Low Risk, Medium Risk<br />

und High Risk Spiele unterteilt.<br />

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und<br />

Katastrophenhilfe hat für die WM-Vorbereitungen<br />

eine „AG WM 2006-NPG“ gegründet und bündelt<br />

seine Aktivitäten zentrumsübergreifend.<br />

Dazu kommen Angebote im Bereich der Ausbildung<br />

für die operativ-taktischen und administrativ-organisatorischen<br />

Komponenten wie auch Spezialangebote<br />

für Krisenkommunikation, Psychosoziale<br />

Notfallversorgung, NRBC, Katastrophenmedizin.<br />

Im Januar 2005 fand der erste Fachkongress<br />

zur Vorbereitung der WM 2006 mit über 350 Teilnehmern<br />

statt. Hier stand die Harmonisierung und<br />

Fortentwicklung bestehender länderspezifischer Konzepte<br />

und Anforderungen im besonderen Focus.<br />

In einer Folgeveranstaltung im Oktober wurde<br />

das Thema „<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong>“ intensiv<br />

bearbeitet. Für das Frühjahr 2006 ist eine weitere Folgeveranstaltung<br />

geplant.<br />

Zusätzlich wurden erste Sanitätsmittelbasispakete<br />

zur Versorgung von 100 Verletzten über 7 Tage<br />

an die Spielstädte ausgeliefert. Verschiedene Übungen<br />

zur Vorbereitung auf die WM wurden bezuschusst.<br />

Insgesamt wird die WM allen Beteiligten wichtige<br />

Erkenntnisse im Rahmen des Krisenmanagements<br />

liefern. Diese werden in die Lehre einfließen<br />

und den Teilnehmern für zukünftige Ereignisse<br />

wichtige Hinweise geben.<br />

Deshalb sollte die WM als Chance gesehen<br />

werden, etwas aufzugreifen, was schon lange einer<br />

weiteren Betrachtung bedurft hätte, vielleicht kommen<br />

wir so der oft angemahnten Harmonisierung<br />

näher.


WM – eine bedeutende<br />

Großveranstaltung<br />

Konzept der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr<br />

Von Dipl.-Chem. Claus Lange Leitender Branddirektor Feuerwehr Hannover<br />

Die FIFA-Weltmeisterschaft findet vom 09. Juni bis<br />

09. Juli 2006 unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei<br />

Freunden“ an 12 Austragungsorten (Berlin, Dortmund,<br />

Frankfurt, Gelsenkirchen, Hamburg, Hannover,<br />

Kaiserslautern, Köln, Leipzig, München, Nürnberg<br />

und Stuttgart) in neun Ländern der Bundesrepublik<br />

Deutschland statt.<br />

Aus Sicht der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr<br />

sind Maßnahmen zu ergreifen, die Brandschutz,<br />

Hilfeleistung, Rettungsdienst sowie Katastrophenschutz<br />

an den jeweiligen Austragungsorten sicherstellen.<br />

Um einen möglichst einheitlichen Sicherheitsstandard<br />

zu gewährleisten, hat sich auf Ebene des<br />

Deutschen Städtetages ein Arbeitskreis WM 2006 der<br />

Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren<br />

in Deutschland (AG WM 2006 der AGBF) konstituiert,<br />

der die notwendige nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr<br />

koordinieren soll.<br />

Sicherheitskonzept der<br />

nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr<br />

Auf der Grundlage von baulichen, technischen<br />

sowie organisatorischen Maßnahmen gilt es, den Beschluss<br />

des Arbeitskreises V der Innenministerkonferenz<br />

vom 10.02.2004, „Die Länder schaffen die Voraussetzungen<br />

für den Einsatz der Behörden und Organisationen<br />

des Katastrophenschutzes“ vor Ort zunächst<br />

durch planerische Maßnahmen umzusetzen. Hier sind<br />

abgestimmte Einsatzkonzepte, die sich auch an ortsspezifischen<br />

Besonderheiten orientieren, für die oben<br />

genannten Aufgaben zu erstellen.<br />

Diese Rahmenempfehlungen gliedern sich in<br />

drei Bereiche:<br />

•Grundschutz (sowie zusätzlicher risikoabhängiger<br />

Zuschlag)<br />

•Außergewöhnliches Ereignis<br />

•Katastrophe<br />

Um die notwendigen Planungen zu konkretisieren<br />

sowie vor Ort Kräfte und Mittel bereitzuhalten,<br />

wird sich an einem vierstufigen Sicherheitskonzept<br />

zur Fußball-WM 2006 orientiert.<br />

Dafür sind die nachfolgend genannten „Sicherheitsstufen“<br />

vorgesehen, welche abgestuft notwendige<br />

personelle sowie materielle Ressourcen zuordnen:<br />

•Stufe: Gefahrenabwehr im Stadion („Grundschutz“)<br />

•Stufe: Örtliche Gefahrenabwehr am WM-Spielort<br />

•Stufe: Überörtliche Gefahrenabwehr am WM-Spielort<br />

(Einbeziehung der Region um den Spielort)<br />

•Stufe: Überregionale Gefahrenabwehr (Katastrophenschutz)<br />

Um trotz aller unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten<br />

einen möglichst einheitlichen Planungsaufbau<br />

für die zwölf WM-Austragungsorte zu gewährleisten,<br />

hat man sich für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr<br />

darauf geeinigt, einen „roten Faden“ festzulegen.<br />

Dieses Handbuch „Nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr<br />

zur WM 2006“ enthält alle Maßnahmen,<br />

die notwendig sind, um einen eventuellen Schadenfall<br />

aus Sicht von Feuerwehr, Rettungsdienst sowie<br />

Katastrophenschutz zu bewältigen.<br />

Das Handbuch hat folgende Gliederung:<br />

•Einleitung mit Inhaltsverzeichnis<br />

•Kenndaten der Veranstaltung<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 5


GRUNDLAGEN<br />

•Zweck und Notwendigkeit<br />

•Geltungsbereich<br />

•Begriffe<br />

•Zuständigkeiten<br />

•Beteiligte Einsatzkräfte<br />

•Anforderungen und Alarmierung<br />

•Notfallrouten<br />

•Heranführung von Einsatzkräften<br />

•Krankenhausrouten<br />

•Führung und Leitung<br />

•Allgemeine Führungsorganisation<br />

•Besondere Führungsorganisation<br />

•Kommunikation<br />

•Information<br />

•Logistik<br />

•Operative Gefahrenabwehr<br />

•Räumung und Evakuierung<br />

•Massenanfall von Verletzten (MANV)<br />

•Bedrohungen<br />

•Besondere Lagen<br />

•Externe Veranstaltungen<br />

•Mitgeltende Unterlagen<br />

•Anlagen<br />

Die einzelnen WM-Austragungsorte orientieren<br />

sich an dieser Gliederung und setzen die Maßnahmen<br />

um, die aufgrund der örtlichen Gegebenheiten,<br />

was Personal und Gerät anbelangt, notwendig sind.<br />

Besonders wichtig erscheint die Auseinandersetzung<br />

mit der Einsatzabwicklung eines Massenanfalls<br />

von Verletzten (MANV). Hier sind Vorkehrungen<br />

zu treffen, um ca. 1000 bis 1200 Verletzte vor Ort<br />

möglichst unter rettungsdienstlichem Standard versorgen<br />

zu können (ca. 2% der Zuschauerkapazität des<br />

jeweiligen Stadions). Neben der notwendigen rettungsdienstlichen<br />

Infrastruktur durch Aufbau und Betrieb<br />

von 14 Behandlungsplätzen (mobile Versorgung<br />

von ca. 50 Verletzten mithilfe von Zelten und<br />

Ausstattung zur Sichtung und Behandlung von Verletzten<br />

sowie Bereitstellung von Ärzten, Rettungsassistenten<br />

bzw. Rettungssanitäter, weiterem Hilfspersonal<br />

und Transportkapazität durch Rettungswagen),<br />

und der Einbindung von Krankenhäusern zur Weiterversorgung<br />

von Patienten ist auch eine effektive<br />

Führungsstruktur vorzusehen. Es sind nahezu 1500<br />

Helferinnen und Helfer zu führen und die notwendige<br />

Koordination, Einbindung und Information<br />

einer Vielzahl von weiteren Behörden sowie Organisationen<br />

zu veranlassen.<br />

6 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Letztlich müssen auch noch vor dem „ersten<br />

Anpfiff“ Maßnahmen umgesetzt werden, die einer<br />

Abstimmung, ob nun konzeptionell oder materiell,<br />

bedürfen. Beispielhaft zu nennen sind hier:<br />

•Interdisziplinäre Zusammenarbeit der Polizei mit<br />

den kommunalen Gefahrenabwehrbehörden<br />

•Versorgung/Registrierung von Verletzten<br />

•Bevorratung von Sanitätsmaterialien sowie Medikamenten<br />

•Funktechnik sowie Unterstützung der Leitstellen<br />

•Bewältigung von ABC-Gefahren sowie besonders<br />

<strong>Dekontamination</strong> von Verletzten sowie weiteren<br />

Betroffenen<br />

•Führungsunterstützung als überörtliche Hilfestellung<br />

in personeller sowie materieller Hinsicht und<br />

•Finanzierung der notwendigen Maßnahmen durch<br />

die einzelnen Länder.<br />

Es ist nunmehr vorgesehen, diese v.g. Problembereiche<br />

noch einer Lösung zuzuführen — dies auch<br />

vor dem Hintergrund, eine einheitliche Verfahrensweise<br />

für alle zwölf Austragungsorte zu finden.<br />

Schlussbetrachtung<br />

Die Fußball-WM 2006 stellt die Behörden und<br />

Organisationen mit Sicherheitsaufgaben in den Austragungsstädten<br />

vor große Herausforderungen. Trotz<br />

unterschiedlicher Zuständigkeiten und der föderalen<br />

Struktur der Bundesrepublik Deutschland gilt es, ein<br />

möglichst einheitliches nationales Sicherheitskonzept,<br />

auch für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr, zu<br />

institutionalisieren. Mit den hier gemachten Vorschlägen<br />

wird ein Konzept vorgelegt, um diesem Anspruch<br />

gerecht zu werden. Auch gilt es, ortsspezifische Besonderheiten<br />

und gewachsene bzw. vorhandene Ressourcen<br />

zu bündeln und für dieses internationale Großereignis<br />

zu optimieren. Auch lässt sich aus den hier<br />

gemachten Erfahrungen für eine zukünftige Bewältigung<br />

von Großschadenlagen Grundlagen festhalten,<br />

die es gilt, in einschlägige Vorschriften aufzunehmen<br />

und somit eine Optimierung der Gefahrenabwehr<br />

zu erreichen.


Einsatzkonzept ÜMANV –<br />

„MANV überörtlich“<br />

Organisation rettungsdienstlicher Großschadenslagen in NRW<br />

Dr. rer. nat. Jörg Schmidt – Stellv. Abteilungsleiter Rettungsdienst der Berufsfeuerwehr Köln<br />

Die neue Bedrohung durch terroristische Anschläge<br />

hat die Berufsfeuerwehr Köln veranlasst, zusammen<br />

mit mehreren rheinischen Städten und Kreisen ein<br />

Konzept zur gegenseitigen Unterstützung bei Schadensfällen<br />

von bis zu 1 000 Verletzten aufzustellen<br />

und umzusetzen.<br />

Der Massenanfall von Verletzten (MANV) ist<br />

in der Anfangsphase gekennzeichnet durch einen<br />

Ressourcen-Mangel an Behandlungskapazitäten über<br />

einen unklaren Zeitraum. Im Verlauf des Einsatzes<br />

wird durch eintreffende Einheiten der Ressourcen-<br />

Mangel vor Ort ausgeglichen, nicht in gleichem Maße<br />

jedoch in den in der Rettungskette folgenden Kliniken<br />

– durch beide Entwicklungen steigt der Koordinationsbedarf<br />

der Gefahrenabwehr-Maßnahmen. Dieser<br />

Koordinationsbedarf ist unvorbereitet nicht führungstechnisch<br />

zu bewältigen. Erschwerend kommt<br />

hinzu, dass Groß-Einsätze des Rettungsdiensts wegen<br />

der dauerhaft bestehenden Gefahr für Menschenleben<br />

fast über die gesamte Einsatzzeit kritisch bleiben<br />

und kaum eine statische Phase erreichen, wie zum<br />

Beispiel Brandeinsätze („Feuer in Gewalt“).<br />

Hier muss eine Vorplanung greifen, die aus Einsatzplanung,<br />

Schulung und Übung besteht. Die Übung<br />

hat besondere Bedeutung, da sie bei einer seltenen<br />

Einsatzlage zu einer Routine bei eher vom Tagesgeschäft<br />

abweichender Maßnahmen führen soll.<br />

In Nordrhein-Westfalen sind durch die Arbeitsgemeinschaft<br />

der Leiter der Berufsfeuerwehren (AGBF)<br />

und die Hilfsorganisationen in den vergangenen 15<br />

Jahren Konzepte zur Versorgung von 50 Patienten<br />

innerhalb eines Kreises oder einer kreisfreien Stadt<br />

entwickelt worden (MANV 50 = Reisebus-Unfall).<br />

Diese Konzepte fußen auf einer Bündelung<br />

der (Behandlungs-) Ressourcen, einer Aufgaben-Prio-<br />

risierung (d. h. Patienten-Sichtung) und einer Pufferung<br />

des Patienten-Flusses. Im Ergebnis erhält man<br />

ein 3-Stufen-Modell aus Patientenablage, Behandlungsplatz<br />

und Patienten-Verteilung. Die Patientenablage<br />

ist Schnittstelle zur technischen Rettung und<br />

erster Puffer durch lebensrettende Sofortmaßnahmen,<br />

der anschließende Behandlungsplatz die Bündelung<br />

der Behandlungsressourcen zur weiteren Pufferung.<br />

Sichtungen unterschiedlicher Qualität finden<br />

an den jeweiligen Ein- und Ausgängen statt.<br />

Dieses System für 50 Patienten ist in NRW<br />

weit verbreitet und einsatzerprobt. Für den Bereich<br />

Patientenablage und Behandlungsplatz sind um 100<br />

Einsatzkräfte unterschiedlicher Qualifikation vorgesehen<br />

(Führungskräfte, Ärzte, Rettungsdienstler,<br />

Helfer, Logistiker). Dieser Einsatzabschnitt alleine<br />

erreicht somit Verbandsstärke.<br />

Im Konzept „ÜMANV“ werden die Komponenten<br />

der beteiligten rheinischen Kreise und Städte<br />

zusammengeführt: Dazu werden Leistungen standardisiert,<br />

die gegenseitig angefordert werden können<br />

(Erstversorgung, Behandlung, Transport) — die technische<br />

Ausgestaltung ist örtlich unterschiedlich und<br />

wird nicht angetastet. Behandlungsplätze sind die<br />

größte Leistung und werden als autarke unteilbare<br />

Einheit entsandt. Sie bekommen einen festen Einsatzabschnitt<br />

mit Patientenablagen zugewiesen, dadurch<br />

werden sie zu einer taktischen Einheit: dem<br />

Behandlungsplatz-Verband. Neben dem örtlichen Einsatzabschnitt<br />

müssen zusätzlich Ressourcen an Rettungstransportfahrzeugen<br />

und Klinik-Kapazitäten zugeteilt<br />

werden.<br />

Das Konzept konnte in drei Übungen mit 150,<br />

250 und 350 Patienten erfolgreich erprobt werden.<br />

Die Ergebnisse dieser Übungen haben zu weiteren<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 7


GRUNDLAGEN<br />

Verfeinerungen des Konzepts geführt und darüber<br />

hinaus auch zu Optimierung der beteiligten Mikrostrukturen,<br />

der Behandlungsplätze.<br />

Als Herausforderung beim rettungsdienstlichen<br />

Großeinsatz sind das Erkennen und Versorgen der akut<br />

Lebensbedrohten unter den Ereignis-Betroffenen auszumachen.<br />

Diese akut Lebensbedrohten sind lageabhängig<br />

vorrangig zu behandeln und frühestmöglich<br />

koordiniert in Kliniken zu transportieren. Auf den<br />

frühestmöglichen Transport ist im Gegensatz zu älteren<br />

statischen Konzepten (Dogma „Transport-Stopp“)<br />

stärker Wert zu legen, da z. B. Verletzte mit schweren<br />

inneren Blutungen nur auf dem OP-Tisch vor dem<br />

Tod bewahrt werden. Dieses verlangt den Führungskräften<br />

— Taktikern wie Ärzten — eine höhere Dyna-<br />

Führungsorganisation mit einem Behandlungsplatz.<br />

RMPH=Rettungsmittelhalteplatz (Teilbereich des UA „V+D“)<br />

mik und andauernde Lagebeurteilung von Gefahren<br />

und Ressourcen ab.<br />

Mit diesem Wissen muss die Patientenverteilung<br />

(und zugehörige Dokumentation) optimiert werden,<br />

auch am Ausgang des Behandlungsplatzes. Die<br />

Patientenverteilung ist verfahrenstechnisch gesehen ein<br />

mathematisches Zuordnungsproblem: Einem Patienten<br />

mit bestimmten Krankheitsbild ist eine geeignete<br />

Behandlungskapazität in einer Klinik und ein Fahrzeug<br />

mit geeigneter technischer und personeller Ausstattung<br />

zuzuordnen. Danach sind alle Zuordnungsinformationen<br />

zusammenzuführen (Dokumentation)<br />

und bedarfsabhängig der Fahrzeugbesatzung zu übermitteln.<br />

Dieses zweite Komplexitätsproblem des Massenanfalls<br />

von Verletzten oder Erkrankten ist eben-<br />

8 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

falls nur durch Einsatzplanung, Schulung und Übung<br />

zu bewältigen. Die Einsatzplanung umfasst hier die<br />

taktisch aufbereitete Erfassung vorgeplanter Klinik-<br />

Kapazitäten im Schadensfall (Unterschied zum Regelgeschäft!)<br />

und geeignete Verfahren zur Lagedarstellung<br />

und Dokumentation. Eine Echtzeit-Abfrage von<br />

Klinik-Kapazitäten für mehr als 100 Patienten erweist<br />

sich derzeit als nicht zeitgerecht leistbar.<br />

Weitere Herausforderungen beim rettungsdienstlichen<br />

Großeinsatz finden sich im Führen und<br />

in der notwendigen Logistik: Auswärtige Marsch-Verbände<br />

und Rettungsmittel sind in fernstraßennahen<br />

Sammelräumen, die sie ohne funkbelastenden Abstimmungsbedarf<br />

erreichen, zu empfangen und durch<br />

Lotsen in den Bereitstellungsraum oder die Einsatzstelle<br />

zu bringen. Bereitstellungsräume<br />

erreichen<br />

Größen abseits der Routine,<br />

dafür ist eine ausreichende<br />

Infrastruktur<br />

vorzuplanen und Personal<br />

— insbesondere Führungskräfte<br />

— zu schulen.<br />

Die Rettungstransporte<br />

erfolgen größtenteils<br />

durch auswärtige<br />

Fahrzeuge. Ihre Besatzungen<br />

benötigen Routenpläne<br />

— nicht nur um die<br />

zugeordnete Zielklinik in<br />

fremdem Gebiet zu finden,<br />

sondern auch um<br />

Verkehrswege gleichmäßig<br />

auszulasten. Diese<br />

Routenvergaben müssen vor Ort organisiert sein,<br />

auch hier greift wieder die Einsatzplanung.<br />

Das Einsatzkonzept „ÜMANV“ stellt ein funktionsfähiges<br />

Konzept für rettungsdienstliche Großschadensfälle<br />

mit bis zu 1.000 Betroffenen, lageabhängig<br />

auch mehr, dar. In einfacher Weise verknüpft<br />

es die notfallmedizinische Großschadensabwehr von<br />

Stadt- und Landkreisen. Diese Makrostruktur setzt<br />

eine funktionsfähige Mikrostruktur voraus. Beides bedingt<br />

eine sorgfältige Einsatzplanung, Schulung aller<br />

Beteiligten und regelmäßige Übung .<br />

Die Projektgruppe der rheinischen Städte und<br />

Kreise setzt ihre Arbeit zusammen mit der Akademie<br />

für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz<br />

(AKNZ) fort.


Das THW ist für die<br />

WM 2006 gerüstet<br />

Von Olaf Nentwig, THW<br />

Die FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ist<br />

das sportliche und gesellschaftliche Ereignis im kommenden<br />

Jahr in Deutschland. Die erfolgreiche Organisation<br />

dieses Großereignisses erfordert ein hohes<br />

Maß gemeinsamen Handelns aller beteiligten Stellen.<br />

Das Technische Hilfswerk (THW) bereitet sich auf<br />

die WM 2006 vor und steht den Austragungsorten<br />

sowie den zuständigen Stellen auf Bundes-, Landesund<br />

kommunaler Ebene mit seinem Potenzial in der<br />

Gefahrenabwehr als verlässlicher Partner zur Seite.<br />

Darüber hinaus stehen Fachberater des THW für die<br />

Stäbe auf allen Ebenen für eine effiziente Zusammenarbeit<br />

zur Verfügung.<br />

Für ein breites Einsatzspektrum stehen 667<br />

Ortsverbände mit ihren Technischen Zügen und 13<br />

verschiedenen Fachgruppen. Im Vorfeld und während<br />

der WM legt das THW ein besonderes Augenmerk<br />

auf die Umsetzung des Musterkonzepts Katastrophenschutz<br />

und damit unter anderem auf die folgenden<br />

Einsatzfelder: Unterstützung der zuständigen Führungsstellen,<br />

großflächige Beleuchtung, Instandhaltung<br />

der Infrastruktur, Herrichten von Bereitstellungsräumen,<br />

Lotsen- und Absperrdienste sowie Logistik.<br />

Pro Spielort stehen hierfür allein 225 Helfer für alle<br />

Fälle und eine Einsatzreserve von hundert bereit.<br />

Zu den Aufgaben des THW gehören zum<br />

Beispiel die<br />

•Unterstützung der Führungsstellen in Zusammenarbeit<br />

mit den zuständigen Stellen,<br />

•die Versorgung im Bereich der Verpflegung, Verbrauchsgüter<br />

und Materialerhaltung,<br />

•die temporäre Stromversorgung mittels Netzersatzanlagen<br />

für Schaden- bzw. Einsatzstellen und Notunterkünfte,<br />

•die Schaffung und Sicherung von Zu- und<br />

Abfahrtswegen,<br />

•das großflächige Ausleuchten von Einsatz- und<br />

Arbeitstellen sowie<br />

•die Rettung von Menschen und Tieren und Bergung<br />

von Sachwerten aus Gefahrenlagen.<br />

Die besonderen Vorbereitungen für die WM<br />

werden von Spezialkräften abgerundet, die das breite<br />

Einsatzspektrum ganz gezielt ergänzen. Gegenstand<br />

sind die schwere Bergung unter ABC-Schutz, eine mobile<br />

und hochspezialisierte Ortungskomponente, Spezialkräfte<br />

zur Beurteilung der Standsicherheit von Gebäuden<br />

sowie die Weitverkehrstrupps zur Unterstützung<br />

im Bereich BOS-Funk. Diese Kräfte werden<br />

nur an ausgewählten Standorten vorgehalten. Durch<br />

die Luftverlastbarkeit (ausgenommen Weitverkehrstrupp)<br />

sind sie bundesweit verfügbar.<br />

ABC-Schutz im THW<br />

Mit der neu aufgebauten Spezial-Einheit-Bergung<br />

ABC (SEB-ABC) stellt das THW pünktlich zur<br />

WM 2006 neue Einsatzoptionen vor.<br />

In Folge der Anschläge vom 11. September<br />

2001 und der Flutkatastrophe 2002 verabschiedete<br />

die Ständige Konferenz der Innenminister und<br />

Innensenatoren der Länder (IMK) die „Neue Strategie<br />

zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland“.<br />

Diese Strategie stellt auch die Bedeutung des ABCund<br />

Seuchenschutzes heraus.<br />

Das THW hat auf die möglichen neuen Bedrohungen<br />

durch ABC- (Kampf-) Stoffe reagiert und vorbereitende<br />

Maßnahmen für unterschiedliche Einsatzszenarien<br />

getroffen. So wurden u.a. Bereichsausbilder<br />

Atemschutz für das „Verhalten bei ABC-Gefahren“<br />

ausgebildet und diverse Sonderausstattung im Rahmen<br />

des sog. Anti-Terror Programms der Bundesregierung<br />

für den Eigenschutz der Helfer beschafft.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 9


GRUNDLAGEN<br />

Die Spezial-Einheit-Bergung ABC soll gewährleisten,<br />

dass das THW seine originären Aufgaben,<br />

wie technische Hilfe, das Orten und die Rettung verschütteter<br />

Personen sowie Bergung und Räumen mit<br />

schwerem Gerät auch in kontaminiertem Umfeld<br />

durchführen kann. Für die Erkundung und die ab-<br />

Zu den Aufgaben der neu aufgebauten Spezial-Einheit-Bergung ABC (SEB-ABC) gehören Bergung und<br />

Rettung von Personen unter ABC-Schutz in kontaminiertem Gebiet.<br />

(Foto: THW)<br />

schließende <strong>Dekontamination</strong> bleiben die Fachstellen<br />

zuständig. Unterstützung ist allerdings auch hier<br />

durch THW-Fachgruppen denkbar. Etwa für den<br />

Aufbau von <strong>Dekontamination</strong>splätzen, Elektro- und<br />

Wasserversorgung sowie Brauch- und Trinkwasseraufbereitung.<br />

10 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Insgesamt 16 Spezialeinheiten, verteilt auf das<br />

gesamte Bundesgebiet sind geplant. Die Aufstellung<br />

erfolgt nach taktischen Gesichtspunkten. Die erste<br />

Aufbauphase wird mit zwei Einheiten pünktlich zur<br />

Fußball-WM abgeschlossen. Die SEB-ABC rekrutiert<br />

sich aus maximal drei Ortsverbänden und setzt sich<br />

aus einem Technischem<br />

Zug mit einer Fachgruppe<br />

Ortung und einem<br />

Technischem Zug mit<br />

der Fachgruppe Räumen<br />

zusammen.<br />

Die Ausstattung<br />

der SEB-ABC ist luftverlastbar<br />

und kann in Zusammenarbeit<br />

mit der<br />

Bundespolizei an die jeweiligen<br />

Einsatzorte verlegt<br />

werden. Ausstattung,<br />

die nicht luftverlastbar<br />

ist, wird durch einen<br />

Ortsverband vor Ort<br />

gestellt.<br />

Die SEB-ABC ist<br />

mit umfangreicher<br />

Schutzkleidung in verschiedenen<br />

Schutzstufen<br />

ausgestattet. Ergänzt<br />

durch eine <strong>Dekontamination</strong>sausstattung<br />

für<br />

die Stufe 1.<br />

Das bedeutet:<br />

•semipermeable Schutzkleidung,<br />

für längere<br />

Einsätze, wenn nur<br />

eine geringe Schutzstufe<br />

erforderlich ist<br />

•Impermeabler leichter<br />

Chemikalienschutzanzug,<br />

„Tyvek F“, mit<br />

montierten Handschuhen<br />

und Dichtmanschette<br />

(nicht gasdicht, jedoch Flüssigkeits- und<br />

Partikeldicht)<br />

•Impermeabler Chemikalienschutzanzug (gasdicht)<br />

für die höchste Schutzstufe, wenn Arbeiten im<br />

direkten Gefahrenbereich notwendig sind.


BW und WM<br />

Unterstützungsleistungen der Bundeswehr<br />

im Rahmen der FIFA-WM 2006<br />

Von Oberst i. G. Volker Fritze<br />

Vertreter des Organisationskomitees WM 2006, der<br />

Länder, Kreise und Kommunen wurden anlässlich<br />

des „Fachkongress WM 2006“ (24.-26.01.2005) der<br />

AKNZ auf das Erfordernis der konkreten und detaillierten<br />

Einzelanforderung von gewünschten Unterstützungsleistungen<br />

durch die Bundeswehr hingewiesen.<br />

Dieser Aufforderung wurde gefolgt. Das Bundesministerium<br />

für Verteidigung (BMVg) hat in der<br />

Zwischenzeit aus fast allen Bundesländern entsprechende<br />

Anforderungen erhalten, die zurzeit im Hause<br />

ausgewertet werden.<br />

Die Wünsche der Austragungsstädte<br />

Eine Erstauswertung der vorliegenden Unterstützungsforderungen<br />

(Stand 04.10.2005) ergab, dass<br />

seit dem 15. September 88 Anträge mit unterschiedlichem<br />

Umfang eingegangen sind. Anträge aus dem<br />

Land Nordrhein-Westfalen sind im Rahmen der letzten<br />

Bund-Länder-Ausschusssitzung (29.09.2005) nunmehr<br />

für den 31.10.2005 angekündigt worden. Erst<br />

danach kann eine abschließende Auswertung und<br />

abgestimmte Einsatzplanung erfolgen.<br />

Erwartungsgemäß beinhalten die bisher vorliegenden<br />

Anträge im Wesentlichen den Unterstützungsbedarf<br />

in den Fähigkeiten<br />

•ABC-Abwehr,<br />

•medizinische Versorgung,<br />

•Transportkapazität für Verletzte (Land, Luft) sowie<br />

•allgemeine logistische Unterstützung.<br />

In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass<br />

die Kostenfrage geklärt werden muss. Dabei geht es<br />

generell um Kosten für Bw-Kräfte, die in Liegenschaften<br />

bereitgehalten werden. Insbesondere ist auch<br />

die Frage zu klären, wie die Kosten zu bewerten<br />

sind, die entstehen, wenn Bw-Kräfte ihren Bereithaltungsort<br />

in einer anderen Bw-Liegenschaft haben<br />

und daher verlegt werden müssen.<br />

Die möglichen Unterstützungsleistungen<br />

Die möglichen Unterstützungsleistungen der<br />

Bundeswehr werden im Wesentlichen derzeit von<br />

folgenden drei Faktoren beeinflusst:<br />

•ist der Einsatz der für NRF 7 (Kräfte, die im Rahmen<br />

der Verpflichtungen gegenüber der NATO für<br />

einen kurzfristigen Einsatz bereitgehalten werden)<br />

bereitgehaltenen Kräfte — hier: speziell der Kräfte<br />

der ABCTruppe — möglich?<br />

•in welcher Form wird das Kontingent — vor allem<br />

mit Fachexpertise — in Afghanistan aufgestockt?<br />

WBK I WBK II WBK III WBK IV<br />

Ort Anzahl Ort Anzahl Ort Anzahl Ort Anzahl<br />

Hamburg 15 Kaiserslautern 5 Berlin 12 Stuttgart 8<br />

Hannover 14 Franfurt 6 Leipzig 5 München 16<br />

Gelsenkirchen 0 Nürnberg 7<br />

Dortmund 0<br />

Köln 0<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

11


GRUNDLAGEN<br />

•wie wird sich die Lage in den Einsatzländern bis<br />

hin zur FIFA-Fußballweltmeisterschaft — und damit<br />

auch der Kräfteansatz der Bundeswehr — entwickeln?<br />

Situation im Sanitätsbereich<br />

Die Unterstützungsforderungen für den Zentralen<br />

Sanitätsdienst der Bundeswehr umfassen:<br />

•Ärzte und Anästhesisten,<br />

•Transportkapazitäten in Form von<br />

- 6 CH 53 (Großraumhubschrauber)<br />

- 5 Airbus A 310<br />

- 2 Transall C 160<br />

- 19 GRKTW (Großraumkrankentransportwagen)<br />

•3 Gestellungen eines Medical-Centers,<br />

•15 Sanitätsentseuchungsplätze (SanEPlätze),<br />

•Ausstattung mit BOS-Funk und Navigationssystemen.<br />

Damit werden die Möglichkeiten der Hilfeleistung<br />

deutlich überschritten, was man zum Beispiel<br />

an der Anzahl der angeforderten Lufttransportmittel<br />

sieht. Grundsätzlich möglich sind:<br />

•die Gestellung von Krankentragen und Tragenwagen,<br />

•die Mitbenutzung von stationären Bundeswehr-<br />

Einrichtungen wie Bundeswehrkrankenhäuser oder<br />

Sanitätszentren, sowie<br />

•der Aufbau und Betrieb eines Medical-Centers –<br />

analog zum Weltjugendtag. Dieses ist dem Austragungsort<br />

Kaiserslautern zugesagt.<br />

Für die Errichtung eines Medical-Centers<br />

muss der Antragsteller beachten:<br />

•Auf- und Abbauzeit je 10 Tage<br />

•der Untergrund (Boden) muss durch den Antragsteller<br />

vorbereitet werden,<br />

•der Antragsteller ist zuständig für logistische Zuund<br />

Ableitungen, für die fernmeldetechnische und<br />

•IT-technische Anbindung des Medical-Centers.<br />

Außerdem ist er für die Bewachung zuständig.<br />

Keine Zusagen kann es geben für die Gestellung<br />

von Airbus A 310 und Transall, da diese Fluggeräte<br />

in zu geringer Zahl vorhanden sind und auch<br />

für Bw-eigene Aufgaben verfügbar sein müssen.<br />

Die Sanitätsbusse (hier: GRKTW) sind aufgrund<br />

ihres Alters und Zustandes für Übungszwecke<br />

gesperrt. Ob sie für Einsatzzwecke — als Reserve —<br />

freigegeben werden, wird derzeit noch geprüft.<br />

12 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Neben den Besatzungen der CH 53, der Rettungsstellen<br />

und der Rettungsstationen können<br />

keine Ärzte, Assistenten und Anästhesisten abgestellt<br />

werden, da andernfalls die Grundversorgung in den<br />

Bundeswehrkrankenhäusern nicht mehr sichergestellt<br />

wäre. Dies gilt insbesondere auch unter dem<br />

Gesichtspunkt, dass diese stationären Einrichtungen<br />

ja in die Notfallplanungen einbezogen wurden.<br />

Bild 1 zeigt einen Vorschlag, der die räumliche<br />

Abdeckung der Spielorte mit den 2 CH 53<br />

betrifft. Diese Maschinen sind in Wunstorf sowie in<br />

Laupheim stationiert. Sie würden dort auf Abruf<br />

verbleiben, da jeweils mehrere Spiele parallel angesetzt<br />

sind.<br />

Bild 1<br />

Die Antragsteller müssen auf den Zeitfaktor<br />

der Heranführung hingewiesen werden. Außerdem<br />

ist den Anfordernden klar zu machen, dass die<br />

Voraussetzungen für Landeplätze für die CH-53 zu<br />

beachten sind (Rotorausmaße).<br />

Als Hintergrundinformation ist zu bedenken,<br />

dass der GRHS CH-53, der in Laupheim stationiert<br />

ist, laut Heeresführungskommando für die räumliche<br />

Abdeckung mit fliegender San-Transportkapazi-


tät eingeplant werden. Dieser Hubschrauber steht<br />

aber in nationaler Vorsorge bzw. in Vorsorge für die<br />

Einsatzländer Balkan. Eine Freigabe des Gerätes<br />

kann im konkreten Fall nur über die Bw-Führung<br />

erfolgen.<br />

Situation im ABC-Bereich<br />

Im Rahmen der der ABC-Abwehr wurden<br />

angefordert:<br />

•7 ABC-Fachberater,<br />

•2 <strong>Dekontamination</strong>splätze für Einsatzkräfte,<br />

•3 mobile Mess- und Laborkapazitäten bzw. Prüfkapazitäten<br />

sowie<br />

•4 Spürpanzer Fuchs<br />

Allgemein wird nach einer ersten Auswertung<br />

dieser Anforderungen weder ein Konzept noch eine<br />

den Anforderungen zugrunde liegende ABC-Risikobewertung<br />

ersichtlich.<br />

Es wird unseres Erachtens nicht deutlich, dass<br />

die eigenen Kapazitäten der Feuerwehren und des<br />

THW gerade bei den Spür- und <strong>Dekontamination</strong>sfähigkeiten<br />

ausgenutzt werden. Die zivilen ABC-<br />

Erkundungsfahrzeuge, von denen ja über 370 Stück<br />

in den Kreisen stehen, haben mindestens die gleichen<br />

Detektionsfähigkeiten wie die Spürfahrzeuge<br />

der Bundeswehr.<br />

Es wird in der Regel kein Unterschied zwischen<br />

der <strong>Dekontamination</strong> von Verletzten und Einsatzkräften<br />

gemacht. Diese Unterscheidung ist aber<br />

gerade beim Einsatz von C-Kampfstoffen zu beachten.<br />

Bei einer A-Kontamination kann ein militärischer<br />

Dekon-Platz (TYP HEP oder TEP) auch für die Zivilbevölkerung<br />

eingesetzt werden, jedoch nicht für die<br />

<strong>Dekontamination</strong> verletzter ungeschützter Personen.<br />

Diese Einrichtungen sind für die <strong>Dekontamination</strong><br />

von Einsatzkräften gedacht, die mit ABC-Schutzausrüstung<br />

ausgerüstet sind.<br />

Es gibt spezielle SEP, die für die <strong>Dekontamination</strong><br />

von Verletzten ausgelegt sind. Sie bedürfen<br />

allerdings einer anderen Ausstattung.<br />

Für die Einrichtung von <strong>Dekontamination</strong>splätzen<br />

sind von der zivilen Seite außerdem folgende<br />

Vorraussetzungen zu schaffen:<br />

•Wasseranschluss,<br />

•Möglichkeiten zur Einlagerung von Dekon-Mitteln,<br />

•Genehmigung der Einleitung verunreinigten Wassers<br />

in das Abwassersystem.<br />

Grundsätzlich möglich sind im Bereich der<br />

ABC-Abwehr die nachfolgenden Unterstützungsleistungen:<br />

•Einsatz von Fachberatern ABC<br />

•Einsatz von 2 HEP / TEP zur Dekontaminierung<br />

von Einsatzkräften (geschütztes Personal)<br />

•Einsatz von 4 ABC-Aufklärern (Fuchs/Tiger)<br />

Eingeschränkt ist die Nutzung stationärer<br />

Laborkapazitäten der Bundeswehr möglich. Dazu<br />

gehören:<br />

•stationäre Labors des Zentralen Sanitätsdienstes,<br />

•das Wehrwissenschaftliche Institut für Schutztechnologien<br />

(WIS) in Munster.<br />

Auch mobile Mess- und Laborkapazität für den<br />

Bereich A/C ist vorhanden. Allerdings gibt es sie im<br />

Bereich der ABC-Abwehrtruppe nur einmal. Eine<br />

Entseuchung ist grundsätzlich im Zusammenwirken<br />

mit dem Sanitätsdienst — wenn auch eingeschränkt —<br />

möglich.<br />

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen,<br />

dass auch die Bundeswehr über B-Aufklärungselemente<br />

nur in sehr begrenztem Umfang verfügt.<br />

Darüber hinaus existiert im Sanitätsdienst eine<br />

entsprechende stationäre Laborkapazität.<br />

Die Bundeswehr hat in ihren Depots auch<br />

Antidote. Es ist jedoch allgemein bekannt, dass die<br />

zivile Seite selbst diverse Antidote bevorratet hat.<br />

Eine Überprüfung dieser Anfrage ist daher noch vorgesehen.<br />

Fazit<br />

Die Bundeswehr steht zur Verfügung, um die<br />

zivile Seite bei der Gewährleistung der Sicherheit<br />

während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zu unterstützen.<br />

Dies kann aber nur unter Berücksichtigung<br />

der aktuell verfügbaren Kapazitäten und unter Berücksichtigung<br />

des Subsidiaritätsprinzips geschehen. Ferner<br />

muss die Kostenregelung beachtet werden.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 13


GRUNDLAGEN<br />

Bundespolizei und<br />

Katastrophenschutz<br />

Von Nico Marchlewski<br />

„Wir sind mit Sicherheit dabei!“ ...<br />

... heißt es für die rund 40.000 Angehörigen<br />

der Bundespolizei bei der FIFA Fußball-WM 2006<br />

in Deutschland. Alle verfügbaren Kräfte sowie Führungs-<br />

und Einsatzmittel werden für mehrere Wochen<br />

rund um die Uhr hauptsächlich im Rahmen der<br />

eigenen Aufgaben und bei Notwendigkeit zur Unterstützung<br />

der Polizeien der Länder oder anderer Behörden<br />

eingesetzt, um die größtmögliche Sicherheit<br />

bei diesem Großereignis zu gewährleisten.<br />

Die Bundespolizei wird im Rahmen ihrer bundesweiten<br />

Zuständigkeit (vor allem als Grenz- und<br />

Bahnpolizei und im Bereich der Luftsicherheit) gemeinsam<br />

mit den Polizeien der Länder und in enger<br />

Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden<br />

sowie dem Veranstalter für<br />

einen reibungslosen und<br />

sicheren Verlauf der<br />

WM 2006 sorgen.<br />

Die Sicherheitskooperationen<br />

mit den<br />

Polizeien der<br />

Länder und die<br />

Ordnungspartnerschaft<br />

mit<br />

der DB AG<br />

bieten hierzu<br />

gute Voraussetzungen.<br />

Die Vorbereitungen<br />

haben bereits<br />

vor mehreren Jahren begonnen<br />

und laufen auf Hochtouren. Die<br />

Bundespolizei bereitet sich in allen<br />

Aufgabenbereichen gezielt auf die Fußballweltmeisterschaft<br />

vor. Alle geplanten polizeilichen<br />

Maßnahmen sind in einem „Einsatzkonzept<br />

14 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

der Bundespolizei aus Anlass der WM 2006“<br />

beschrieben.<br />

In Sankt Augustin wurde ein Vorbereitungsstab<br />

WM 2006 eingerichtet, der die einzelnen Aktivitäten<br />

der Behörden und Dienststellen der Bundespolizei<br />

koordiniert. Er ist damit gleichzeitig der zentrale<br />

Ansprechpartner für andere Behörden und<br />

Institutionen für alle Belange der Bundespolizei und<br />

wird bis zur WM 2006 zu einem Führungsstab aufwachsen.<br />

Katastrophen- und Notfallhilfe<br />

durch die Bundespolizei<br />

Im Rahmen ihrer originären Aufgabenwahrnehmung<br />

hält die Bundespolizei eine größere Anzahl<br />

von Spezialkräften und Spezialgerät vor. Diese speziellen<br />

Einsatzkräfte und –mittel können im Rahmen<br />

der Katastrophen- und Notfallhilfe auf<br />

Anforderung den Ländern und Kommunen<br />

zur Verfügung gestellt werden, sofern sie<br />

nicht für die Erfüllung eigener Aufgaben<br />

benötigt werden.<br />

Neben der technischen Katastrophenhilfe<br />

kann die Bundespolizei auch<br />

polizeiliche Katastrophenhilfe zur Unterstützung<br />

der zuständigen Länderpolizei<br />

leisten.<br />

Die Rechtsgrundlage für den Einsatz der<br />

Bundespolizei ergibt sich aus Artikel 35 GG in Verbindung<br />

mit der Bundespolizeikatastrophenhilfeverwaltungsverordnung<br />

(BPOLKatHiVwV). Danach leistet<br />

die Bundespolizei technische oder polizeiliche<br />

Katastrophenhilfe, wenn eine zuständige Behörde<br />

oder Stelle eines Landes hierzu Kräfte der Bundespolizei<br />

anfordert oder die Bundesregierung unter den<br />

Voraussetzungen des Artikels 35 Abs. 3 des Grund-


gesetzes Einheiten der Bundespolizei hierzu einsetzt.<br />

Der Umfang der möglichen Hilfeleistungen<br />

umfasst den Einsatz von Personal, Kraftfahrzeugen,<br />

Hubschraubern, Wasserfahrzeugen, Spezialgerät,<br />

Material für Notunterkünfte und Einsatzküchen.<br />

Auf Grund ihrer Ausstattung ist die Bundespolizei<br />

in der Lage entsprechende Szenarien autark<br />

zu bewältigen.<br />

Aufbau der Technischen Dienste<br />

Die Bundespolizei verfügt über unterschiedlich<br />

ausgestattete technische Einsatzdienste. Über das<br />

Bundesgebiet verteilt sind dies vier Technische Einsatzdienste<br />

schwer (TED-s), ein Technischer Einsatzdienst<br />

mittel (TED-m) und sechs Technische Einsatzdienste<br />

leicht (TED-l). Diese sind bei den Bundespolizeiabteilungen<br />

angegliedert.<br />

Aufgaben, welche der TED-l erfüllen kann:<br />

•Absperreinsatz,<br />

•Beseitigen von Barrikaden,<br />

•Ausleuchten von Objekten und Einsatzräumen,<br />

•Retten und Bergen,<br />

•Brandschutz,<br />

•die Suche nach „Unkonventionellen Spreng- und<br />

Brandvorrichtungen“ (USBV),<br />

•Maßnahmen zur ABC-Abwehr,<br />

•Eindringen in Gebäude oder Wohnungen (beschädigungsfrei,<br />

beschädigungsarm und zerstörend)<br />

und<br />

•Öffnen von Behältnissen mit mechanischen<br />

Mitteln.<br />

Weitergehende Möglichkeiten des TED-m:<br />

•Retten von Einsatzkräften,<br />

•Bergen von Einsatzmitteln aus Gefahrenbereichen,<br />

•Sicherstellen von Beweismitteln auch mit Schutzbekleidung<br />

und umluftunabhängigem Atemschutz,<br />

•Transport von Einsatzmitteln und -material mit<br />

weiteren Spezial-Kfz,<br />

•Behelfsmäßige <strong>Dekontamination</strong> von Einsatzkräften<br />

und<br />

•Technische Maßnahmen in Höhen und Tiefen<br />

(Höhenintervention, Höhenrettung).<br />

Der TED-s hat die größten Möglichkeiten<br />

und kann zusätzlich zu den Aufgaben des TED-l<br />

und TED-m noch folgende Aufgaben bewältigen:<br />

•Tauchdienst, u.a. Unterwassersuche und -bergung<br />

zur Gefahrenabwehr und Beweissicherung,<br />

•Transport von Einsatzmitteln und -material mit<br />

zusätzlichen Spezial-Kfz,<br />

•Ausleuchtung größerer Einsatzstellen,<br />

•Energie- und Wasserversorgung und<br />

•Einsatz von schwerem Bergungsgerät (Radlader,<br />

Raupe)<br />

Einsatzmittel der Bundespolizei<br />

•Bergungs- und Rettungsgerät inklusive Höhenrettungsausstattung,<br />

•Räum- und Blockadebeseitigungsgerät,<br />

•Einmann-Motorsägen und Freischneidgerät,<br />

•verschiedenen Drehstromaggregate,<br />

•Scheinwerfer- und Beleuchtungsgerät (u.a. Powermoon<br />

1000),<br />

•Suchgerät und Metalldetektoren,<br />

•verschieden Boote (Schlauchboote und Mehrzweckboote),<br />

•Atemschutzgeräte,<br />

•Vollschutzanzüge,<br />

•Hitzeschutzanzüge,<br />

•Tauchereinsatzausstattung,<br />

•verschiedene Spezialfahrzeuge und Anhänger,<br />

•Lichtmastkraftwagen,<br />

•Lichtmastanhänger,<br />

•UNIMOG mit Frontschaufel und Ladekran,<br />

•LKW in Ausführung von 5-10 t,<br />

•Radlader,<br />

•Raupen,<br />

•<strong>Dekontamination</strong>sanlagen,<br />

•Trinkwasseraufbereitungsanlagen und<br />

•Wasserwerfer.<br />

Außerdem steht im Katastrophen- und Nothilfefall<br />

die Hubschrauberflotte der Bundespolizei,<br />

verteilt auf fünf Fliegerstaffeln und sechs Außenstellen<br />

im Bundesgebiet, bereit. Darüber hinaus werden<br />

15 Luftrettungsstationen durch die Bundespolizei<br />

bedient. Die Bundespolizeifliegergruppe verfügt derzeit<br />

über 102 Hubschrauber in verschieden Ausführungen.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

15


GRUNDLAGEN<br />

Hubschrauber der Bundespolizeifliegergruppe:<br />

•Zivilschutzhubschrauber (BO 105, Bell 212)<br />

•Verbindungs- und Beobachtungshubschrauber<br />

(EC135)<br />

•leichte Transporthubschrauber (Bell 212, EC 155)<br />

•mittlere Transporthubschrauber (SA 330 PUMA,<br />

AS 332 L1 Super Puma)<br />

16 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Anforderungsverfahren und Kosten<br />

Im Katastrophen- und Nothilfefall steht die Hubschrauberflotte der Bundespolizei zur Verfügung; das<br />

Bild zeigt den Mittleren Transporthubschrauber SA 330 Puma beim Löscheinsatz in Portugal.<br />

(Foto: Bundespolizei)<br />

Einsatzspektrum im Rahmen der Katastrophenund<br />

Notfallhilfe<br />

Die Spannweite der Möglichkeiten der Bundespolizei<br />

hat diese schon in den unterschiedlichsten<br />

Einsätzen unter Beweis gestellt. Unterstützungsleitungen<br />

wie anlässlich des Oder-Hochwassers 1997<br />

und Elbe-Hochwassers 2002 sind möglich. Aber<br />

auch in Großschadenslagen wie dem ICE-Unglück<br />

in Eschede 1998 kann die Bundespolizei Hilfe leisten.<br />

Weitere Einsatzmöglichkeiten sind Gefahrgutlagen,<br />

Trinkwassermangel, Luftrettung, Lufttransport<br />

und Wasserrettung. Darüber hinaus können Löscheinsätze<br />

durch die Bundespolizei vom Boden und<br />

aus der Luft geleistet werden. Die Fliegergruppe der<br />

Bundespolizei kann dabei auf Erfahrungen aus den<br />

Löscheinsätzen in Frankreich und Portugal in den<br />

Jahren 2003 und 2005 zurückgreifen.<br />

Im Falle der Technischen Katastrophen- und<br />

Notfallhilfe kann die zuständige Behörde die Kräfte<br />

und Mittel unmittelbar bei den zuständigen Bundespolizeipräsidien<br />

anfordern. In dringenden Fällen<br />

kann eine Anforderung unmittelbar bei der jeweiligen<br />

Bundespolizeiabteilung erfolgen. Sind die Kräfte<br />

und Mittel nicht durch<br />

die originäre Aufgabenwahrnehmung<br />

der Bundespolizei<br />

gebunden,<br />

werden sie der anfordernden<br />

Stelle zur Verfügung<br />

gestellt.<br />

Eine Kostenerstattung<br />

erfolgt für die<br />

entstehenden Mehrkosten<br />

der Bundespolizei.<br />

Diese sind im Wesentlichen<br />

zusätzlich anfallenden<br />

Personalkosten<br />

(Überstunden), Betriebskosten<br />

sowie Kosten für<br />

die Instandsetzung und<br />

Ersatzbeschaffung und<br />

eventuelle Aufwendung,<br />

die durch Geltendmachung<br />

von Schadensersatzansprüchen<br />

Dritter<br />

entstehen.<br />

Während der Fußballweltmeisterschaft 2006<br />

wird für den Bereich der Bundespolizei der Führungsstab<br />

alle Maßnahmen der Bundespolizei zentral<br />

koordinieren, um auch im Falle einer Anforderung<br />

im Katastrophen- oder Notfall schnelle und<br />

gezielte Hilfe durch die Bundespolizei gewährleisten<br />

zu können. Weitere Informationen über die Bundespolizei<br />

können im Internet unter www.bundespolizei.de<br />

abgerufen werden.


Ausnahmezustand WM?<br />

„Deutschland möchte seine Gastfreundschaft als weltoffene<br />

Nation im Herzen Europas zeigen und den<br />

Gästen und Teilnehmern der Fußball-Weltmeisterschaft<br />

2006 das sichere und unbeschwerte Erleben<br />

dieses Ereignisses gewährleisten 1 .“ Kurzum: „Die Welt<br />

zu Gast bei Freunden!“ Doch was im Leitmotiv der<br />

Fußball-Weltmeisterschaft so unbeschwert daherkommt,<br />

stellt eine große Herausforderung für die<br />

Sportnation dar. Deutschland präsentiert sich während<br />

der Fußball-WM nicht nur den teilnehmenden<br />

Kickern der 32 Nationalmannschaften und den<br />

über drei Millionen erwarteten Zuschauern. Zudem<br />

werden bis zu 15.000 Journalisten über die Spiele<br />

und über die gastgebende Nation berichten — rund<br />

um den Globus, rund um die Uhr.<br />

Obwohl die FIFA-WM in erster Linie als Sportereignis<br />

betrachtet wird, kann sich die Berichterstattung<br />

nach den Terroranschlägen von 2001 nicht nur<br />

auf die sportlichen Events beschränken. Außerhalb<br />

der eigentlichen Spielberichterstattung steht das Thema<br />

Sicherheit ganz oben auf der medialen Agenda.<br />

Die umfassenden Sicherheitsvorkehrungen lenken<br />

nicht nur aus sich selbst heraus den Fokus auf dieses<br />

Thema. Die nach „Nine-Eleven“ 2 latent vorhandene<br />

Terrorangst in allen Teilen der Welt verlangt<br />

auch unter kommunikativen Gesichtspunkten eine<br />

proaktive Strategie. Das Ziel: Stärkung des subjektiven<br />

Sicherheitsgefühls. Die Botschaft: Wir sind vorbereitet,<br />

die Spiele sind sicher!<br />

Wenn Tausende von Journalisten über ein weltweit<br />

relevantes Sportereignis berichten, gelten für die<br />

Kommunikation eigene Gesetzmäßigkeiten. Zu den<br />

üblichen Medienmechanismen kommen folgende<br />

Aspekte hinzu:<br />

•hoher Medialisierungsdruck durch erhebliche<br />

Medienpräsenz vor Ort<br />

•latente Spekulationsbereitschaft<br />

ÖFFENTLICHKEIT<br />

Bevölkerungsinformation und Medienarbeit im Ereignisfall<br />

Von Torsten Hiermann<br />

•„Ereignisse“ treffen auf hohe Themensensibilität<br />

und besitzen per se einen hohen Nachrichtenwert<br />

•„Terrorreflex“<br />

•Medien erzeugen durch (kritische) Berichterstattung<br />

entsprechenden Handlungsdruck bei den<br />

Akteuren<br />

•die Akteure stehen im Fokus der Medien. Hierdurch<br />

entsteht — auch durch die Wechselwirkungen<br />

zwischen Medienberichterstattung, öffentlicher<br />

Meinung und politischer Willensbildungsprozesse<br />

— ein Legitimierungsdruck bei den handelnden<br />

Personen<br />

•hoher Organisationsgrad der Medien (Übertragungswagen,<br />

Pressezentren)<br />

•Themenrelevanz rund um die Uhr (Korrespondenten<br />

berichten zu Tages[Orts-]zeiten ihrer Nationen)<br />

Während diese Rahmenbedingungen für die<br />

gesamten Kommunikationsaktivitäten gelten, steht<br />

insbesondere die kommunale Medien- und Informationsarbeit<br />

vor einer besonderen Herausforderung.<br />

Der „Spirit“ einer Fußball-Weltmeisterschaft verliert<br />

nämlich dort schnell an Attraktivität, wo Betroffenheiten<br />

entstehen. Randalierende Fans, nächtliche<br />

Ruhestörungen, Staus, Vandalismus, überfüllte Nahverkehrssysteme<br />

– neben allen positiven Aspekten der<br />

Fußball-Weltmeisterschaft sind Belästigungen oder<br />

Störungen, trotz aller Vorsorge, unvermeidlich. Klar<br />

ist also, dass die Bevölkerung einen hohen Informations-<br />

und Kommunikationsbedarf haben wird.<br />

In der lokalen und regionalen Berichterstattung<br />

werden vor diesem Hintergrund insbesondere<br />

1 aus: Nationales Sicherheitskonzept FIFA-WM 2006<br />

2 So wird in den USA der Tag der Terrorangriffe genannt, nach<br />

dem Datumformat 9/11 (Monat / Tag)<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

17


18<br />

ÖFFENTLICHKEIT<br />

folgende Themen im Fokus der Medien und im<br />

Interesse der Öffentlichkeit stehen.<br />

•Verkehrsmanagement<br />

•Veranstaltungsmanagement<br />

•Sicherheitsvorkehrungen (Safety & Security)<br />

•Einsatztaktiken (Polizei)<br />

•Flexible-Response-Fähigkeit lokaler Akteure („Problemlösungskompetenz“)<br />

Zwischenüberschrift<br />

Mit Blick auf die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />

der Sicherheitsbehörden sind im „Nationalen<br />

Sicherheitskonzept FIFA-WM 2006“ konkrete Kommunikationsziele<br />

beschrieben und Kommunikationswege<br />

zwischen Bund, Land und dem OK WM 2006<br />

festgelegt. Entsprechende Informationskonzepte<br />

bauen unter anderem auf den identifizierten „Lagefeldern“<br />

des Sicherheitskonzeptes auf. Vor dem Hintergrund<br />

der „besonderen Anziehungskraft“ des<br />

Großereignisses werden in dem Konzept insbesondere<br />

folgende Kriminalitätsformen genannt:<br />

•Hooliganismus / gruppendynamische Gewalt<br />

•Politisch motivierte Kriminalität / Terrorismus<br />

•Allgemeine und organisierte Kriminalität<br />

Auf Basis dieser Betrachtungen kann auch die<br />

lokale Informations- und Medienarbeit bereits konkrete<br />

Medienszenarien antizipieren. Denn so wichtig<br />

(!) die inhaltliche und zeitliche Synchronisation der<br />

Kommunikation bei Ereignissen von überregionaler<br />

Bedeutung auch ist: Im Innenministerium werden<br />

kaum Informationskonzepte für lokal-spezifische<br />

Probleme erstellt. Hinzu kommt, dass der Bund<br />

durch die Implementierung entsprechender Strukturen<br />

3 hervorragend auf die Fußball-WM vorbereitet<br />

ist. Die Verantwortung für das Veranstaltungs- und<br />

Gefahrenabwehrmanagement in den Städten obliegt<br />

jedoch den örtlich zuständigen Organen 4 .<br />

Folgende Impulse zur Bevölkerungsinformation<br />

und Medienarbeit können dabei in der Praxis<br />

hilfreich sein.<br />

•Implementierung einer lokalen „Task Force Kommunikation“<br />

aus Verwaltung, Polizei, Feuerwehr,<br />

ÖPNV und OK WM 2006<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

•Organisation von Informationstransparenz<br />

- Internen Informationsfluss sicherstellen<br />

- Medienbeobachtung<br />

•Identifizierung kommunikativ relevanter „Dritter“<br />

- Stadionsprecher,<br />

- Event-Veranstalter („Public-Viewing“)<br />

•Organisation des Kommunikationsprozesses<br />

- Informationskonzept / Policy erarbeiten<br />

- Definition der Schnittstellen<br />

Wer sagt was zu welchen Themen?<br />

Sprecherrolle(n)<br />

Klärung von Zuständigkeiten<br />

Klärung der Interessenlage<br />

- Notfallplan erstellen<br />

- 24/7-Erreichbarkeit<br />

- Örtlichkeiten festlegen (z. B. für Pressekonferenzen)<br />

- Bürgertelefone / Hotlines einrichten<br />

Zentrale Hotline! Ordnungsamt? ÖPNV?<br />

- Internet-Angebot anpassen<br />

•Psychosoziale Aspekte (im Ereignisfall!) berücksichtigen<br />

(psychologische Wirkungen von Aussagen<br />

/ Bildern berücksichtigen; psychologische<br />

Kompetenz einbeziehen; Ärzte informieren(„Lageinformation“<br />

an Arztpraxen)<br />

•Ethnische Aspekte berücksichtigen (Mehrsprachige<br />

Informationen;Dolmetscher-Verfügbarkeit)<br />

•Worst-Case-Betrachtungen (Szenarien antizipieren;<br />

Sprachregelungen erarbeiten; Basisinformationen<br />

erstellen; Q&A-Kataloge entwickeln; Back-up-Instrumentarium<br />

wie Flugblätter, Lautsprecher-Fahrzeuge<br />

•Themenplan entwickeln (Aktive Medienarbeit;<br />

Informationen kommunizieren; Hauptbotschaften<br />

formulieren; Storys anbieten (we care-Botschaften)<br />

•Schulungen / Übungen erforderlich? (Lageübung;<br />

Kommunikationstraining)<br />

3 Beispielsweise durch die Einrichtung des „Nationalen Informations-<br />

und Kooperationszentrums“ (NICC) als Bestandteil des Lagezentrums<br />

im BMI<br />

4 Die aus diesem Grund praxisorientierte Krisenmanagement-<br />

Schulungen an der AKNZ durchlaufen


Psychosoziale<br />

Notfallversorgung (PSNV)<br />

Von Dr. Jutta Helmerichs, BBK<br />

Die noch junge Versorgungsstruktur der Psychosozialen<br />

Notfallversorgung (PSNV) in Deutschland umfasst<br />

psychologische, soziale, administrative, seelsorgerliche<br />

und psychotherapeutische Hilfen für Notfallopfer,<br />

Angehörige, Hinterbliebene, Augenzeugen,<br />

Ersthelfer, Einsatzkräfte und weitere von Notfällen<br />

Betroffene. In den letzten 15 Jahren hat sich auf diesem<br />

Gebiet sehr viel getan, so gibt es inzwischen in<br />

allen Bundesländern und vielen Kommunen Angebote<br />

wie Notfallseelsorge, Seelsorge in Feuerwehr, Rettungsdienst<br />

und Polizei, Notfallpsychologie, Kriseninterventionsteams<br />

(KIT) und Einsatznachsorge („Hilfe<br />

für Helfer“). Alle genannten Anbieter verfolgen<br />

mit teils identischen, teils unterschiedlichen Konzepten<br />

und Arbeitsaufträgen das gemeinsame Ziel der<br />

psychosozialen Unterstützung (PSU) von Betroffenen<br />

und Helfern nach schweren Unglücksfällen.<br />

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und<br />

Katastrophenhilfe (BBK) hat die Psychosoziale Notfallversorgung<br />

vor einigen Jahren in den eigenen Aufgabenkatalog<br />

aufgenommen und einen Fachbereich<br />

PSNV eingerichtet. Auf der Grundlage der neuen Zivilschutzstrategie<br />

bietet der Bund seither Informations-,<br />

Koordinations- und Serviceangebote zur Unterstützung<br />

der Länder und Kommunen bei der Umsetzung<br />

und Verankerung der Psychosozialen Notfallversorgung<br />

an. Dazu gehören insbesondere die Elemente<br />

Ausbildung (Seminare zur Psychosozialen Notfallversorgung<br />

in der AKNZ), psychosoziales Krisenmanagement<br />

im Einsatzfall (über Koordinierungsstelle<br />

der Bundesregierung zur Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe<br />

für Deutsche, die im Ausland von<br />

schweren Unglücksfällen betroffen sind; NOAH) und<br />

Qualitätssicherung der PSNV in Deutschland über<br />

Forschungsförderung und Vernetzung. Ein weiterer<br />

wichtiger Aufgabenbereich des BBK ist die Integration<br />

der PSNV in die Einsatzstrukturen. So werden beispielsweise<br />

in Vorbereitung auf die FIFA WM 2006<br />

an der AKNZ für jede der 12 Spielstätten die Funktionen<br />

„Fachberater PSU im Stab“ sowie „Leiter PSU“<br />

und „Führungsassistent PSU“ an der Unglücksstelle<br />

ausgebildet, so dass im Einsatzfall beim MANV ein<br />

qualifiziertes psychosoziales Katastrophenmanagement<br />

gewährleistet ist. Übergreifendes Ziel der Kooperation<br />

von Bund, Ländern, Kommunen und Organisationen<br />

der Gefahrenabwehr in der Psychosozialen<br />

Notfallversorgung ist es, im Interesse von Betroffenen<br />

nach schweren Unglücksfällen und Katastrophen<br />

dazu beizutragen, dass sich die Psychosoziale<br />

Notfallversorgung zu einem qualitativ hochwertigen,<br />

integralen Bestandteil der polizeilichen und nicht<br />

polizeilichen Gefahrenabwehr entwickelt.<br />

Spezielle Aufgabenstellung: PSNV bei<br />

biologischen und chemischen Gefahrenlagen<br />

Richtet man den Fokus auf die Anwendung<br />

psychologischer Erkenntnisse bei biologischen oder<br />

chemischen Gefahrenlagen wird die hohe Relevanz<br />

dieses Themas für die direkt Betroffenen, aber auch<br />

für die Einsatzkräfte und die Bevölkerung als Gesamtgruppe<br />

deutlich. Wenngleich zurzeit zu dieser speziellen<br />

Aufgabenstellung erst wenig theoretische Erkenntnis<br />

und kaum Erfahrungswissen vorliegt und<br />

ihre Reflexion und wissenschaftliche Bearbeitung anzuregen<br />

ist, lässt sich dennoch eine erste Übersicht<br />

über zu erwartende Belastungen und sinnvolle Maßnahmen<br />

geben:<br />

Zielgruppe Notfallopfer<br />

Auf das überlebende Notfallopfer kommen neben<br />

den bekannten physiologischen und psychologischen<br />

Belastungsfaktoren einer Notfallsituation wie<br />

beispielsweise Schmerzen, Ängsten, Gefühlen der Hilflosigkeit<br />

und des Kontrollverlustes, Desorientierung<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

19


20<br />

ÖFFENTLICHKEIT<br />

etc. zusätzlich weitere schwerwiegende Belastungen<br />

zu, die bei der Umsetzung psychosozialer Unterstützung<br />

bei kontaminierten Patienten zu berücksichtigen<br />

sind. So können die kontaminierten Patienten aufgrund<br />

der Selbstgefährdung der Helfer nicht durch<br />

Körperkontakt psychisch stabilisiert werden, was eine<br />

erhebliche Einschränkung der Psychischen ersten<br />

Hilfe bedeutet. Zudem wird durch das Erscheinungsbild<br />

von Helfern in Schutzanzügen den Notfallopfern<br />

die eigene Schutzlosigkeit und die eigene Hilfsbedürftigkeit<br />

übermäßig ausgeprägt deutlich vor Augen<br />

geführt. Die unklare Bedrohungslage bewirkt einen<br />

erhöhten Informationsbedarf, es kann verstärkt zu<br />

panischen Reaktionen bei den Betroffenen kommen.<br />

Zielgruppe Einsatzkräfte<br />

Auch die Einsatzkräfte stehen bei biologischen<br />

und chemischen Gefahrenlagen neuen situationsspezifischen<br />

Anforderungen gegenüber, die folgendes<br />

spezielles Belastungsprofil für die Helfer skizzieren<br />

lassen: Die Einsatzkräfte sind häufig verunsichert,<br />

zum einen durch die fehlende Routine bei einer biologischen<br />

oder chemischen Gefahrenlage, zum anderen<br />

durch unzureichende Sachkenntnisse bezüglich<br />

Infektionskrankheiten und deren Bekämpfung, denn<br />

dieses Spezialthema gehört nicht zu ihrer Basisausbildung.<br />

Die Angst vor der direkten Gefährdung als<br />

Helfer im Einsatzgeschehen ist als weiterer Stressor<br />

zu berücksichtigen. Dieser Umstand kann zu einer<br />

massiven Einschränkung der Handlungsfähigkeit im<br />

Einsatz bis hin zur Arbeitsverweigerung führen.<br />

Zielgruppe Bevölkerung<br />

Ausgelöst durch sensationsorientierte Medienberichterstattung,<br />

eigene Anschauung und Beobachtung<br />

der Ereignisse oder durch die Umsetzung einsatztaktischer<br />

Maßnahmen (Räumung, Evakuierung)<br />

kann es in der Bevölkerung aufgrund der allgemeinen<br />

Verunsicherung zu Massenhysterien und Panikverhalten<br />

kommen. Es muss von einem stark erhöhten<br />

Informationsbedürfnis und einer großen Erwartungshaltung<br />

gegenüber Einsatzkräften von Seiten<br />

der Bevölkerung ausgegangen werden.<br />

Handlungsbedarf für die Zukunft<br />

Die skizzierten spezifischen Belastungen und<br />

Anforderungen, die bei Kontamination <strong>Verletzter</strong><br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

für die drei Zielgruppen Notfallopfer, Einsatzkräfte<br />

und Bevölkerung zu erwarten sind, ziehen Handlungsbedarf<br />

auf vier Ebenen nach sich:<br />

1.Erforderlich ist eine gezielte Schulung der Einsatzkräfte,<br />

die sie befähigt, sachlich, klar, eindeutig<br />

und leicht verständlich Informationen zum Verhalten<br />

bei biologischen oder chemischen Gefahren<br />

zu vermitteln, um somit den akuten hohen Informationsbedarf<br />

der Betroffenen zu begegnen. Daneben<br />

müssen die Maßnahmen zur Psychischen ersten<br />

Hilfe Betroffener gelehrt werden. Schließlich<br />

ist der Umgang mit gruppen- und massenpsychologischen<br />

Phänomenen in der Bevölkerung (Panikprävention<br />

/ Panikreduktion) zu trainieren, indem<br />

eine Sensibilisierung und Vorbereitung auf die<br />

Rolle einer Multiplikatorenfunktion mit Bezug auf<br />

Information der Bevölkerung durchgeführt wird.<br />

2.Für Führungskräfte und Helfer ist eine qualifizierte<br />

Angebotsstruktur zur Einsatznachsorge aufzubauen<br />

und vorzuhalten.<br />

3.Es empfiehlt sich, einzelne Fachberatern für PSNV<br />

bei biologischen und chemischen Gefahren auszubilden<br />

bzw. vorzuhalten. Das BBK wird ausgewählte<br />

Mitglieder seines bereits bestehenden Expertenpools<br />

entsprechend qualifizieren und bei Bedarf<br />

zur Verfügung stellen.<br />

4.Die Öffentlichkeitsarbeit bei biologischen oder<br />

chemischen Gefahrenlagen ist effizient zu gestalten.<br />

Hierbei geht es prinzipiell um sachliche und klare<br />

Informationen zur drohenden oder bestehenden<br />

Gefahr, die Auskunft geben über eindeutige und<br />

leicht verständliche Verhaltensempfehlungen, die<br />

wiederum in der Lage kontinuierlich aktualisiert<br />

werden müssen. Positivmeldungen sollten in diesem<br />

Zusammenhang umgehend weitergeleitet werden,<br />

und konkrete Maßnahmen der Panikprävention<br />

bzw. der Panikreduktion sollten ergriffen werden.<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für<br />

eine qualifizierte Versorgung kontaminierter Notfallopfer,<br />

die Vorbereitung der Helfer und den Bevölkerungsschutz<br />

bei einer biologischen oder chemischen<br />

Gefahrenlage die Berücksichtigung der Psychosozialen<br />

Notfallversorgung unverzichtbar ist.


Unterstützung durch die<br />

Analytische Task Force<br />

Von Mario König, Feuerwehr Mannheim<br />

Grundlage der Analytischen Task Force (ATF)<br />

im ABC-Schutz<br />

Die Idee einer Analytischen Task Force war<br />

das Thema eines vom ehemaligen Bundesamt für Zivilschutz<br />

(Vorgänger des heutigen Bundesamtes für<br />

Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, BBK) bei<br />

der Technischen Universität Hamburg Harburg im<br />

Jahr 1999 in Auftrag gegeben Forschungsvorhabens.<br />

Der Gedanke war, die mit der messtechnischen<br />

Grundausstattung versorgten lokalen Feuerwehren<br />

in kurzer Zeit und flächendeckend durch hochtechnisierte<br />

und mobile Einheiten mit einer optimalen<br />

Gerätetechnik und Expertenwissen zu versorgen, um<br />

so komplexe ABC-Lagen besser bewältigen zu können.<br />

Um diese Aufgabe zu erreichen, müssen die<br />

Einheiten schnell verlegefähig und luftverlastbar sein.<br />

Zur Unterstützung der Kräfte vor Ort soll im Einsatzfall<br />

parallel ein Expertensystem aktiviert werden.<br />

Das aus Fachleuten aller Disziplinen (Meteorologen,<br />

Chemiker, Mediziner, Physiker, Ingenieure etc.) zusammensetzte<br />

Team soll mit den vor Ort ermittelten<br />

Daten die Einsatzkräfte der ATF unterstützen.<br />

Der Weg zur Umsetzung dieser Idee erfolgte<br />

dann über die „Strategische Neukonzeption der<br />

ergänzenden technischen Ausstattung des Katastrophenschutzes<br />

im Zivilschutz“ 1 .<br />

In der Pilotphase zum Aufbau der Task Forces<br />

mit Aufgaben der C-Analytik (auch Analytische Task<br />

Force, ATF genannt) werden vorläufig vier Standorte<br />

(Feuerwehr Hamburg, Feuerwehr Mannheim, Institut<br />

der Feuerwehr in Heyrothsberge und das Landeskriminalamt<br />

Berlin) gefördert, die bereits über eine<br />

umfangreiche analytische Ausstattung und eine hinreichende<br />

Einsatzerfahrung verfügen. Die technische<br />

Ausstattung der einzelnen Standorte ist nahezu identisch,<br />

nur Art und Umfang des verfügbaren Personals<br />

unterscheiden sich durch die gewachsenen Strukturen.<br />

DEKON: TECHNIK<br />

Aufgrund der in der Zukunft vorgesehenen Versorgungsstufen<br />

im Katastrophenschutz soll der normierte<br />

alltägliche Schutz der Bevölkerung (Stufe I)<br />

mit den lokalen Mitteln der Gefahrenabwehr bewältigt<br />

werden, flächendeckender Grundschutz (Stufe II)<br />

ist auf Ebene der Kreise sicherzustellen. Für den erhöhten<br />

Schutz in gefährdeten Regionen und Einrichtungen<br />

(Stufe III) sollen die Länder Sorge tragen und<br />

der Sonderschutz mit Hilfe von Spezialkräften (Task<br />

Forces als Stufe IV) für von Bund und Ländern definierte<br />

besondere Gefahren wird von diesen beiden<br />

Gebietskörperschaften gemeinsam getragen.<br />

Aufgaben der ATF<br />

Die wichtigste Aufgabe an einer Schadenstelle<br />

wird, aus der Erfahrung heraus, in der Identifikation<br />

unbekannter Chemikalien liegen.<br />

Dazu wird in der ersten Phase des Spürens mit<br />

einer Art Screening-Verfahren das Gelände nach kontaminierten<br />

Bereichen untersucht. Im zweiten Schritte<br />

wird dann an Stellen mit positivem Befund eine<br />

Probe entnommen und eine Stoffidentifikation<br />

durchgeführt. Zusammen mit diesem Spürauftrag<br />

werden auch erste Proben für stationäre Laboratorien<br />

genommen.<br />

Sobald die freigesetzten Substanzen identifiziert<br />

sind, ist der Gefährdungsumfang zu ermitteln,<br />

d.h. mit Hilfe der Fernerkundung bzw. Erkundung<br />

im Gelände ist die mengenmäßige Verbreitung der<br />

Substanzen hauptsächlich in der Luft, bei Bedarf aber<br />

auch im Boden und Wasser zu bestimmen.<br />

Wenn die analytischen Fakten verfügbar sind,<br />

beginnt die Datenrecherche damit als letzter Schritt<br />

1 Bericht des BMI vom Jahr 2003<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 21


DEKON: TECHNIK<br />

die Beratung der Einsatzleitung in Sachen Einsatztaktik<br />

bzw. Medizin und Umwelt erfolgen kann.<br />

Bei der Recherche und der Bewertung werden<br />

die vor Ort tätigen Kräfte durch das Expertenwissen<br />

eines noch im Aufbau befindlichen Netzwerkes unterstützt,<br />

bzw. es werden bereits bestehende Informationspools,<br />

wie das Transport- Unfall- Informationsund<br />

Hilfeleistungssystem (TUIS) der Chemischen Industrie<br />

und das medizinische Informationssystems<br />

Meditox mit eingebunden.<br />

Vorbereitung des Rettungshubschraubers<br />

für die Luftverlastung der Messgeräte.<br />

Besonderheiten in der Analytik bei Schadensfällen<br />

Die meisten Einsätze im Brand- und Katastrophenschutz<br />

sind üblicherweise von einer sehr großen<br />

Dynamik geprägt. Aufgrund der oftmals akuten<br />

Bedrohungslage sind die konventionellen Verfahren<br />

(Laboranalytik) für die Fragestellungen im Brand- und<br />

Havariefall wenig geeignet, da die Analysenergebnisse<br />

nicht zeitnah zur Entscheidungsfindung zur Verfügung<br />

stehen. Je nach Schadensfall ist bei akuten Fragestellungen<br />

von einem Zeitfenster bis zum Vorliegen<br />

des Untersuchungsergebnisses von maximal 1-2<br />

Stunden auszugehen.<br />

Bei Schadensfällen mit einer Stofffreisetzung<br />

sind eine Reihe von Szenarien denkbar, für die technische<br />

und taktische Vorkehrungen getroffen werden<br />

müssen. Im einfachsten Fall kommt es zur Freisetzung<br />

eines Einzelstoffs, wie z.B. bei Transportunfällen<br />

oder bei denkbaren Anschlägen.<br />

22 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Bei Störungen in Produktionsanlagen werden<br />

üblicherweise Stoffgemische freigesetzt. Hier können<br />

sehr viele Substanzen in zum Teil sehr unterschiedlichen<br />

Mengenverhältnissen vorliegen.<br />

Das größte analytische Problem stellt Brandrauch<br />

dar. Dabei kann es zu Hunderten möglicher<br />

Verbrennungsprodukte kommen. Was neben dem<br />

analytischen Problem auch ein Problem der medizinischen<br />

Bewertung darstellt.<br />

Messtechnik<br />

Die bei den Feuerwehren eingesetzten Messgeräte<br />

werden üblicherweise in drei Gruppen eingeteilt 2 :<br />

•Die Basis-Ausstattung der Feuerwehren dient zur<br />

Lageerkundung und ersten Gefahrenabschätzung.<br />

Sie sollte mindestens folgende Ausstattung umfassen:<br />

pH-Papier, Öl-Testpapier, Ex-Messgerät und<br />

Spürpulver.<br />

•An Schwerpunktstandorten mit überregionaler<br />

Aufgabenzuweisung ist eine Sonder-Ausstattung<br />

zusätzlich zur Basisausstattung mit Prüfröhrchen,<br />

elektrochem. Messgeräten, Photoionisationsdetektor<br />

(PID), Ionenmobilitätsspektrometer (IMS),<br />

Probenahmeausrüstung, Wärmebildkamera und<br />

Fernthermometer anzustreben. Mit diesen Geräten<br />

soll in einfachen Fällen eine Stoffbestimmung<br />

oder zumindest eine Eingrenzung von Stoffgruppen<br />

und eine größenordnungsmäßige Bestimmung der<br />

Konzentration ermöglicht werden.<br />

•In Ballungsräumen mit entsprechenden Chemiestandorten<br />

sollte eine ausreichend leistungsfähige<br />

Spezial-Ausstattung vorgehalten werden, die mit<br />

moderner Analysentechnik wie GC-MS-Systemen<br />

(ähnlich dem MM-1 des Spürpanzers Fuchs) und<br />

z.B. Leuchtbakterientests arbeiten kann und auch<br />

speziell ausgebildetes Fachpersonal zur Beratung<br />

der Einsatzleitung vorhält. Diese Ausstattung wird<br />

bundesweit nur in wenigen Ausstattungssätzen<br />

vorgehalten.<br />

In dieser Gliederung spiegeln sich somit prinzipiell<br />

die für den Katastrophenschutz allgemein vorgesehenen<br />

Schutzstufen wieder.<br />

2 s. vfdb Richtlinie 10/05-T1


Neben der vorgestellten Ausstattung ergab sich<br />

die Notwendigkeit, in einigen Bereichen die analytische<br />

Ausstattung für den Katastrophenschutz zu optimieren.<br />

Aus diesem Grund wurden im Auftrag des<br />

BBK auch Messgeräte entwickelt, die sich mittlerweile<br />

in der Phase der Felderprobung befinden. Dabei handelt<br />

es sich einmal um das so genannte Gefahrstoffdetekorarray<br />

2, bei dem durch die Kopplung mehrerer<br />

Messverfahren in einem Gerät bessere analytische<br />

Möglichkeiten beim Detektieren von Substanzen und<br />

eventuell sogar beim Identifizieren zu erwarten sind.<br />

Eine weitere Entwicklung stellt ein Infrarotspektrometer<br />

zur Fernerkundung mit besonderen Anforderungen<br />

aus der Sicht des Katastrophenschutzes<br />

dar, mit dem Schadstoffwolken auch in mehreren<br />

Kilometer Entfernung erfasst und identifiziert werden<br />

können.<br />

Ausstattung der ATF<br />

Neben den bereits vorgestellten, hauptsächlich<br />

messtechnischen Ausstattungsmerkmalen, verfügt die<br />

ATF noch über weitere Möglichkeiten:<br />

•Im Strahlenschutz erweiterte Möglichkeiten zur Messung<br />

der Ortsdosisleistung, Suche eines Strahlers<br />

und Feststellung einer radioaktiven Kontamination.<br />

•Entnahme von Luft-, Wasser-, Bodenproben bzw.<br />

sonstigem Probenmaterial auch in größerem Umfang<br />

für radiologische, biologische und chemische<br />

Analysen.<br />

•Kommunikationsausstattung zur Führung mehrerer<br />

Messtrupps und zur Weiterleitung von Messergebnisse<br />

an weitere Stellen, wie z.B. an das Expertennetzwerk.<br />

•Umfangreiche Dokumentationstechnik.<br />

•Ausrüstung zur Stoffrecherche in gedruckten Nachschlagewerken,<br />

bevorzugt aber in nahezu allen<br />

gängigen elektronischen Datenbanken.<br />

•Ausbreitungsmodelle, mit denen je nach verfügbaren<br />

Informationen Ausbreitungsabschätzungen in<br />

unterschiedlicher Genauigkeit möglich sind.<br />

•Digitale Messgeräte zur Erfassung und Dokumentation<br />

meteorologischer Parameter.<br />

•Um die Kommunikation zwischen den rechnergesteuerten<br />

Messgeräten und den Auswerterechnern<br />

zu beschleunigen erfolgt der Datenaustausch innerhalb<br />

der ATF über ein WLAN.<br />

Qualitätssicherung<br />

Es ist das Ziel im Bereich der ATF bei der<br />

von ihr angewandten Vor-Ort-Analytik Maßstäbe<br />

anzulegen, wie sie vom Prinzip her auch für ein stationäres<br />

Labor gelten. Die Qualität der Messergebnisse<br />

muss bezüglich qualitativer und quantitativer<br />

Analyse auch unter Einsatzbedingungen gewährleistet<br />

sein.<br />

Dazu werden, wo immer möglich, standardisierte<br />

Verfahren eingesetzt, die detailliert beschrieben<br />

sind und permanent geübt werden. Die Teilnahme<br />

an Ringversuchen mit anderen Laboratorien soll<br />

die Vergleichbarkeit der Messwerte sicherstellen.<br />

Personal<br />

Das Personal der jeweiligen Einheiten besteht<br />

überwiegend aus zwei Gruppen. Zum einen dem Bedienungspersonal<br />

der Messgeräte: hier werden, sofern<br />

möglich, Mitarbeiter eingesetzt, die einen entsprechenden<br />

beruflichen Hintergrund als Laboranten oder<br />

aus einem ähnlichen Beruf haben.<br />

Zum anderen besitzt jede Einheit Führungskräfte<br />

mit einer Ausbildung für den gehobenen oder<br />

höheren Dienst, darunter bevorzugt Chemiker oder<br />

Absolventen anderer naturwissenschaftlicher bzw.<br />

technischer Studiengänge. Die Aufgaben der Führungskräfte<br />

bestehen in:<br />

•Führung der unterstellten Kräfte,<br />

•Festlegung der Mess- und Probenahmetaktik,<br />

•Bewertung der Messergebnisse,<br />

•Datenrecherche,<br />

•Kontakt zu anderen Einheiten und zum Expertennetzwerk,<br />

•Beratung der Einsatzleitung.<br />

Einsatzvorbereitungen<br />

Im Einzugsbereich der ATF mit Standort<br />

Mannheim haben sich in Rheinland-Pfalz, dem südlichen<br />

Teil von Hessen und an vielen Standorten in<br />

Baden-Württemberg eine größere Anzahl von Feuerwehren<br />

(zzt. über 40) dazu entschlossen, eine Probenahmeausstattung<br />

zu beschaffen, die zur Messgeräteausstattung<br />

der ATF kompatibel ist.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 23


DEKON: TECHNIK<br />

Nach einer grundlegenden Einweisung der<br />

Feuerwehrangehörigen im Umgang mit einer korrekten<br />

Probenahme kann von diesen Einsatzkräften im<br />

Havariefall sehr zeitnah eine Probe vor Ort genommen<br />

werden, die dann der ATF zugeführt wird bzw.<br />

diese fährt die Schadensstelle an und wertet die Proben<br />

vor Ort aus.<br />

Messgerätepark zur Luftverlastung.<br />

(Fotos: Feuerwehr Mannheim)<br />

Der zukünftige Einsatz der ATF im Rahmen<br />

der Überlandhilfe soll durch eine Bedarfsanforderung<br />

der lokalen Leitstelle beim zuständigen Lagezentrum<br />

des eigenen Bundeslandes erfolgen. Von<br />

hier aus wird über eine zentrale Leitstelle die jeweils<br />

geeignete ATF über das Hilfeersuchen informiert.<br />

Die weitere Kommunikation findet dann direkt zwischen<br />

den anfordernden Einsatzkräften und dem<br />

Leiter der jeweiligen ATF statt.<br />

Für den Bereich Mannheim fährt die ATF, bei<br />

einem Einsatzradius von weniger als 100 km, bzw.<br />

bei ungünstigem Wetter auch darüber hinaus, die Einsatzstelle<br />

direkt an. Bei weiter entfernten Einsatzstellen<br />

kann die luftverlastbare Ausrüstung in einen Hubschrauber<br />

der Deutschen Rettungsflugwacht oder der<br />

Bundeswehr umgeladen und auf dem Luftweg zur<br />

Einsatzstelle gebracht werden.<br />

An den jeweiligen Standorten werden sich die<br />

Task Force Einheiten im Verlauf der Pilotphase in<br />

24 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

ihrer Ausrückestärke wie eingangs beschrieben unterscheiden.<br />

Für den Bereich Mannheim ist ein zweistufiger<br />

Einsatz vorgesehen:<br />

Die erste Stufe besteht aus einem Erkundungsteam<br />

(Soforteinheit) mit Ausrüstung zur Stoffidentifikation<br />

und zur Detektion in kleinerem Umfang,<br />

das seine Aufgaben im Rahmen des regulären<br />

Schichtdienstes versieht.<br />

In einem zweiten Schritt kann zeitverzögert<br />

eine Verstärkungseinheit eingesetzt werden, die aus<br />

zusätzlich alarmiertem Personal und umfangreicherer<br />

Ausrüstung auch zur großflächigen Aufklärung,<br />

zum Einsatz kommen kann. In diesem Fall werden<br />

auch lokale Einsatzkräfte in die Aufklärungsarbeit<br />

mit einbezogen.<br />

Erfahrungen<br />

In den letzten Jahren konnten bei einer Vielzahl<br />

von Einsätzen im Rahmen der Überlandhilfe<br />

Erfahrungen gesammelt werden die in den Aufbau<br />

der ATF eingeflossen sind. Erprobungen großen Stils<br />

fand im Herbst 2004 bei der Übung EUDREX 3 in<br />

Österreich und im Frühjahr 2005 im Rahmen der<br />

Übung EURATECH 4 in Frankreich statt. Bei diesen<br />

Übungen wurde die Tauglichkeit bei Einsätzen im<br />

Rahmen des EU-Gemeinschaftsverfahrens untersucht.<br />

Die Aufgaben für die nächsten Monate werden<br />

darin liegen, die technische Ausstattung und die<br />

taktische Vorgehensweise für den Einsatz bei Großveranstaltungen<br />

zu optimieren.<br />

3 M. König, R. Rudolph, Europe trains for disasters, Crisis<br />

Response Journal, Vol.1 , Issue 3, ISSN 1745-8633, 2005, S. 9-11<br />

4 M. König, R. Rudolph, Einsatz für die ATF, Erfahrungsbericht<br />

zur Übung Euratech, Brandschutz/Deutsche Feuerwehrzeitung<br />

07/2005, S543-545


<strong>Dekontamination</strong> nach<br />

FwDV 500<br />

Von André Schild<br />

Mit der Einführung der Feuerwehrdienstvorschrift<br />

500 (FwDV) „Einheiten im ABC-Einsatz“ sind bundeseinheitlich<br />

Regelungen 1 zur <strong>Dekontamination</strong><br />

(Dekon) getroffen worden. Die in der FwDV getroffenen<br />

Regelungen sind an die vfdb 2 -Richtlinie 10/04<br />

angelehnt. Diese Richtlinie wird aktuell überarbeitet<br />

und liegt im Entwurf 3 vor. In diesem Artikel sollen<br />

die Regelungen dargestellt und die Umsetzung in die<br />

Praxis gezeigt werden. Außerdem wird auf die Lücken<br />

der Regelung eingegangen, besonders im Hinblick<br />

auf die <strong>Dekontamination</strong> bei Tierseuchen und die<br />

<strong>Dekontamination</strong> von Verletzten.<br />

Die Maßnahmen die in der FwDV beschrieben<br />

werden, sind auf die Anwendung bei allen Einsatzstellen<br />

der Feuerwehr ausgelegt. Sie beschreiben also<br />

auch kleine und kleinste Maßnahmen bis zu großen<br />

ABC-Einsätzen. Dabei können nicht alle Einzelheiten<br />

beschrieben werden, sondern werden nur kurz<br />

dargestellt. Es geht aber um die grundsätzliche Regelung<br />

von Standards in diesem Bereich.<br />

Stufenkonzept der <strong>Dekontamination</strong><br />

Die <strong>Dekontamination</strong> wird in folgende Stufen<br />

eingeteilt:<br />

•Not-Dekon<br />

•Dekon-Stufe I<br />

•Dekon-Stufe II<br />

•Dekon-Stufe III<br />

Die Notdekontamination (Not-Dekon) muss<br />

an der Einsatzstelle immer sicher gestellt sein, dies<br />

erfolgt meist durch den auf dem Feuerwehrfahrzeug<br />

mitgeführten Wasservorrat und ein Strahlrohr. Damit<br />

ist ein schnelles Abspülen eine Kontamination<br />

gewährleistet. Die Abwässer werden nicht aufgefan-<br />

gen. Es stellt nur eine Behelfsmaßnahme dar und ist<br />

schnell durch eine Dekon-Stufe II zu ersetzten.<br />

Die Dekon-Stufe I ist die Allgemeine Einsatzstellenhygiene.<br />

Es wird eine Reinigung der Einsatzkräfte<br />

sichergestellt und damit eine Verschleppung<br />

Dekon-Stufe II.<br />

(Fotos: Schild)<br />

1 Leider haben die FwDV 500 nicht alle Bundesländer eingeführt.<br />

2 Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V.<br />

3 siehe http://vfdb10.umsicht.fhg.de/<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

25


26<br />

DEKON: TECHNIK<br />

von Kontamination vermieden. Wichtig ist, dass dies<br />

bei jedem Einsatz anwendbar ist. Das heißt nicht nur<br />

bei ABC-Einsätzen, sondern auch bei Bränden und<br />

Technischen Hilfeleistungen. Damit kann eine weitere<br />

Schädigung von Einsatzkräften vermieden werden.<br />

So eine Dekon-Stufe sollte Verpflegungsstellen<br />

für Einsatzkräfte zur Verfügung stehen.<br />

Dekon-Stufe II wird eingesetzt, sobald ein Körperschutz<br />

(z.B. Chemikalienschutzanzug) zum Einsatz<br />

kommt. Sie bietet die Möglichkeit Schutzanzugträger<br />

zu dekontaminieren. Je nachdem wie offen<br />

das Konzept gestaltet ist, ist auch die <strong>Dekontamination</strong><br />

von Verletzten und Betroffenen behelfsmäßig<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Teile eines Hygienesatzes.<br />

möglich. Die Kapazität ist meist auf einen Trupp (2-<br />

3 Helfer) in 10 Minuten ausgelegt. Es gibt für solche<br />

Dekon-Stellen auch von Herstellern konzipierte Systeme.<br />

Darin können dann die Anzugträger gereinigt<br />

werden. Die Abwässer werden aufgefangen und fachgerecht<br />

entsorgt.<br />

Dekon-Stufe III ist die maximale Form der <strong>Dekontamination</strong><br />

im ABC-Einsatz. Sie ist eine erweiterte<br />

Stufe II. Sie hat eine erhöhte Kapazität, setzt auf<br />

Anlagen, Geräte oder Containerlösungen. Auch ist<br />

die Bereitstellung von Warmwasser möglich. Diese<br />

müssen extra an die Einsatzstelle verbracht und dort<br />

aufgebaut und betrieben werden. Ein Beispiel hierfür<br />

ist die Anlage Dekon-P des Bundes. Gerade in den<br />

letzten Jahren haben immer mehr kreisfrei Städte<br />

Containerlösungen angeschafft. Diese werden mit<br />

Wechselladerfahrzeugen an die Einsatzstelle verbracht<br />

und können mit wenig Personal sehr schnell<br />

eingesetzt werden.<br />

Lage des Dekon-Platzes<br />

An einer Einsatzstelle befindet sich der Dekon-<br />

Platz auf der Luv zur Einsatzstelle. Abbildung 1 verdeutlicht<br />

die Lage. Sie schließt sich direkt an den Gefahrenbereich<br />

an. Alle verlassen den Gefahrenbereich<br />

über diesen Dekon-Platz.<br />

Die Lage muss bei der Ordnung des Raumes<br />

berücksichtigt werden und dies von Anfang an. Dies<br />

kann gerade bei unübersichtlichen Einsatzstellen<br />

oder auf Grund der Bebauung oder der Topographie<br />

schwierig werden.<br />

Aufbau des Dekon-Platzes<br />

Das oberste Prinzip einer jeden Dekon-Einrichtung<br />

ist das „Einbahnstraßenprinzip“. Alles betritt<br />

die Einrichtung kontaminiert und verlässt sie dekontaminiert,<br />

so jedenfalls die Idealvorstellung. Ein<br />

prinzipieller Aufbau kann Abb. 2 entnommen werden.<br />

In der Rhein-Main-Region wurde diese „Ampelprinzip“<br />

entwickelt und wird dort von vielen Feuerwehren<br />

verwendet.<br />

Im Kontaminationsbereich wird kontaminierte<br />

Kleidung abgelegt und verpackt. Im Dekon-Bereich<br />

erfolgt die eigentliche Reinigung, zumeist mit Wasser<br />

und ggf. Dekon-Mittel (Seife, Reinigungsmittel,<br />

spezielle Dekon-Mittel). Im Ankleidebereich wird<br />

Wechselkleidung bereitgehalten. Dies gilt für Einsatzkräfte<br />

mit Schutzkleidung, da deren Unterkleidung<br />

durchgeschwitzt ist. Für Betroffene ohne<br />

Schutzkleidung wird Kleidung vorgehalten, weil sie<br />

ihre im kontaminierten Bereich ablegen mussten.<br />

Anforderung an die <strong>Dekontamination</strong><br />

Die FwDV 500 stellt einige Forderungen an die<br />

<strong>Dekontamination</strong> von Personen, Verletzten und Gerät.<br />

Diese Grundforderungen sind die „Basis“ für<br />

solche Lagen.<br />

Bei der <strong>Dekontamination</strong> von Personen<br />

(Dekon-P) sind Kontaminierte so weit möglich und


medizinisch erforderlich vor Ort zu dekontaminieren<br />

oder zu desinfizieren. Daraus ergibt sich nicht<br />

nur eine Forderung für die <strong>Dekontamination</strong> von<br />

Schutzanzugträgern, sondern auch für nicht<br />

geschützte Einsatzkräfte und Betroffene. Bei radioaktiven<br />

Stoffen ist eine Kontaminationskontrolle durchzuführen.<br />

Als Kontamination wird das Erreichen der<br />

dreifachen Nullrate definiert. Kontaminierte Kleidung<br />

ist schnellstmöglich im Schwarzbereich abzulegen.<br />

Eine Kontamination der Haut ist schnellstmöglich<br />

zu entfernen. Dabei ist lauwarmes Wasser einzusetzen<br />

und/oder abzutupfen. Bei einem Verdacht<br />

auf Kontamination oder Inkorporation ist die Person<br />

einem Arzt vorzustellen. Kontaminierte Personen<br />

sind zu registrieren.<br />

Grundsätzlich gehen bei der <strong>Dekontamination</strong><br />

von Verletzten lebensrettende Sofortmaßnahmen<br />

vor (Grob-) <strong>Dekontamination</strong>. Der Eigenschutz ist<br />

aber sicherzustellen, um die Einsatzkräfte nicht zu gefährden.<br />

Kontaminierte Verletzte sind unter Anleitung<br />

des Rettungsdienstes (Notarzt) zu dekontaminieren.<br />

Dabei soll eine Inkorporation vermieden werden. Bei<br />

einigen ABC-Gefahrstoffen (z.B. Kampfstoffen, besonderen<br />

B- Kampfstoffen und ansteckungsgefährlichen<br />

Stoffen) ist ein <strong>Dekontamination</strong>/Desinfektion an<br />

der Einsatzstelle erforderlich. Der Rettungsdienst ist<br />

über eine Kontamination oder einen Kontaminationsverdacht<br />

zu informieren, um sich schützen zu können.<br />

Das Krankenhaus ist über den ABC-Gefahrstoff<br />

zu informieren, damit es nicht zu einer Gefährdung<br />

kommt oder eine Verschleppung der Kontamination<br />

bis ins Krankenhaus erfolgt.<br />

Bei der <strong>Dekontamination</strong> von Geräten soll die<br />

„Grobreinigung“ so weit wie möglich an der Einsatzstelle<br />

erfolgen. Kontaminierte Geräte werden verpackt<br />

und verbleiben an der Einsatzstelle. Alle weiteren<br />

Maßnahmen sollten durch eine Spezialfirma<br />

durchgeführt werden.<br />

Handlungsfelder der Zukunft<br />

Um eine Kontaminationsversschleppung zu<br />

vermeiden ist ein Nachweis des <strong>Dekontamination</strong>serfolges<br />

nötig. Dieser ist messtechnisch außer im A-<br />

Bereich im Moment nur sehr schwer möglich. Es<br />

gibt erste Entwicklungen im C-Bereich. Für den B-<br />

Bereich wird es solche Lösungen aber in absehbarer<br />

Zeit nicht geben.<br />

Im Hinblick auf die WM2006 gibt es auch in<br />

Deutschland erste Konzepte für die Massendekontamination.<br />

Diese orientieren sich an Konzepten aus<br />

den USA. Es werden mit Löschfahrzeugen der Feuerwehr<br />

Gassen gebildet; in diese Gassen wird mit<br />

Strahlrohren Wasser gesprüht, um die Personen zu<br />

dekontaminieren.<br />

Abb. 1: Lage des Dekon-Platzes.<br />

Neben einem Forschungsvorhaben des BBK<br />

zur Verletztendekontamination gab es einige Entwicklung<br />

zu diesem Thema im Bereich der Hilfsorga-<br />

Ankleidebereich<br />

(grün)<br />

Dekonbereich<br />

(gelb)<br />

Abb. 2: Aufbau eines Dekon-Platzes.<br />

Kontaminationsbereich<br />

(rot)<br />

nisationen. Ein großes Problem ist das Tragen von<br />

Schutzkleidung und Atemschutz durch medizinisches<br />

Personal. Dieses Personal ist in der Regel nicht<br />

arbeitsmedizinisch nach G 26 untersucht. Beim Tragen<br />

von Masken mit Filter ist dies im Einsatz aber<br />

notwendig. Außerdem wurden verschiedene Verfahren<br />

entwickelt, wie ein kontaminierter <strong>Verletzter</strong> entklei-<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

27


28<br />

DEKON: TECHNIK<br />

det und dekontaminiert werden kann, wobei gleichzeitig<br />

lebenserhaltende Maßnahmen durchgeführt<br />

werden müssen. Problematisch ist und bleibt die Ver-<br />

Aufenthaltszelt<br />

Wasserwanne mit<br />

Desinfektionslösung<br />

Einpersonenduschkabine<br />

Pumpe<br />

Wassersauger<br />

Abb. 3: Beispiel eine Dekon-G.<br />

(Grafiken: Schild)<br />

IBC<br />

Hochdruckreiniger<br />

Plane<br />

Breitstrahlrohr<br />

Verkehrsleitkegel<br />

netzung von Rettungs- und Sanitätsdienst und der<br />

Feuerwehr bei der Verletztendekontamination. Um<br />

ein tragfähiges Verletztendekon-Konzept zu haben,<br />

ist dies aber zwingend erforderlich.<br />

Mit Ende des kalten Krieges und der Auflösung<br />

der ABC-Züge verlor die <strong>Dekontamination</strong> von<br />

Geräten an Bedeutung. Man rechnete nicht mehr<br />

damit, dass Fahrzeuge und Gerät im größeren Maße<br />

durch Einsatzkräfte dekontaminiert werden müssen.<br />

Mit dem Aufkommen von Tierseuchen auch<br />

in Europa, BSE, MKS und Vogelgrippe sein an dieser<br />

Stelle nur beispielhaft genannt, sah man sich in<br />

der Gefahrenabwehr auch mit dieser Thematik<br />

betraut.<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Weiterhin fehlt es noch an einer <strong>Dekontamination</strong>smittelliste.<br />

Es wird zwar an der Thematik gearbeitet.<br />

Die Probleme mit Desinfektionsmitteln und<br />

deren Anwendung sind<br />

bei den wenigen Tierseucheneinsätzen<br />

leider<br />

immer wieder als Hauptproblem<br />

zu Tage getreten.<br />

Gleiches gilt auch<br />

für C-Einsätze. Eine<br />

erfolgreiche <strong>Dekontamination</strong><br />

kann leider nur<br />

mit Wasser alleine nicht<br />

gewährleistet werden.<br />

Stehleiter<br />

REIN<br />

UNREIN<br />

B-Schlauch mit Wasser<br />

(als Begrenzung)<br />

Schlauchbrücken<br />

Zusammenfassung<br />

Die Zusammenarbeit<br />

von mehreren Dekon-Einheiten<br />

ist nicht<br />

geregelt. Für Großschadenslagen<br />

ist dies aber<br />

zwingend erforderlich. Es<br />

gibt zwar Ansätze z.B.<br />

aus Sachsen, wo mit der<br />

Rahmenrichtlinie 002<br />

ein Dekon-Konzept eingeführt<br />

werden soll, ebenso<br />

wie das Dekon-Konzept<br />

in der Rhein-Main-<br />

Region eine Vernetzung<br />

aufbaut. Diese haben<br />

sich aber bis heute noch<br />

nicht durchgesetzt und<br />

es wird noch einiges an<br />

Anstrengung brauchen,<br />

dies umzusetzen.<br />

Zusammenfassend werden in der FwDV 500<br />

die grundlegenden Forderungen dargestellt. Leider<br />

bleibt sie bei Hilfen für die Umsetzung in der Praxis<br />

sehr knapp. Da hilft aber die vfdb-Richtline 10/04<br />

weiter. Auch gerade im Entwurf werden die Themen<br />

Massendekontamination und Tierseuchen behandelt.<br />

Leider sind die Forderungen heute in der Fläche<br />

nicht so zu erfüllen. Es stehen nicht immer die<br />

nötigen Mittel zur Verfügung. Es sind noch große<br />

Anstrengungen nötig, dies durchzusetzen.


Projektgruppe ABC-Risiken<br />

und Gefahrenlagen (PG9)<br />

Von Jürgen Schreiber, Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz<br />

(SKK), (Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V.)<br />

„Mitwirkungsmöglichkeiten der<br />

Hilfsorganisationen bei der Umsetzung von<br />

Dekon-P/V und der Verletztenversorgung im<br />

präklinischen Bereich von ABC-Einsatzlagen“<br />

Die fünf Hilfsorganisationen ASB, DRK, JUH,<br />

MHD und DLGR sind auf Grund ihrer Satzungen,<br />

wegen geltender öffentlich-rechtlicher Verträge oder<br />

auch durch gesetzlicher Regelungen in den kommunalen<br />

Rettungsdiensten, im erweiterten Rettungsdienst<br />

mit so genannten „Schnell-Einsatz-Gruppen<br />

(SEG’en), wie auch im Katastrophenschutz in den<br />

Fachdiensten Sanitätsdienst und Betreuungsdienst<br />

tätig. Hierbei kommen hauptberufliche Einsatzkräfte,<br />

im Rahmen des Wehr-Ersatzdienstes dienstverpflichtete<br />

Helfer, wie auch ehrenamtlich tätige Helfer<br />

zum Einsatz. Sie leisten neben diesen Beiträgen in<br />

der öffentlichen Gefahrenabwehr auch Hilfe durch<br />

den Einsatz von Expertenteams für die Krisenintervention<br />

oder in Einheiten mit Rettungshunden. Im<br />

Folgenden werden heutige Leistungsmerkmale des<br />

Sanitätsdienstes und Betreuungsdienstes im Katastrophenschutz<br />

beschrieben, um Möglichkeiten, aber<br />

auch Voraussetzungen zur Mitwirkung der Einheiten<br />

an ABC-Einsatzstellen aufzuzeigen.<br />

Aufgabenstellungen und Umsetzung<br />

des Sanitäts- und Betreuungsdienstes.<br />

Die Aufgabe des Sanitätsdienstes im Katastrophenschutz<br />

ist die Unterstützung des Rettungsdienstes<br />

bei der medizinischen Versorgung von Verletzten<br />

und Kranken in einer Gefahrenlage oder bei einem<br />

Großschadensereignis. Hierbei werden verletzte Betroffene<br />

aufgesucht, gerettet, transportiert, registriert<br />

und nach ärztlicher Vorgabe versorgt.<br />

Die Aufgabe des Betreuungsdienstes im Katastrophenschutz<br />

ist die Versorgung von Betroffenen,<br />

die nach einer Gefahrenlage oder einem Großschadensereignis<br />

in Notlage geraten sind. Hierbei werden<br />

nicht verletzte Betroffene sofort, verletzte Betroffene<br />

erst nach medizinischer Behandlung betreut.<br />

Damit diese Aufgaben umgesetzt werden können,<br />

unterhalten die Länder in den kreisfreien Städten<br />

und in den Stadt- und Landkreisen entsprechende<br />

Einheiten, in denen die Helfer der oben genannten<br />

Hilfsorganisationen eingesetzt werden. Diese Einheiten<br />

sind, auf der Basis von Zügen und Gruppen<br />

strukturiert, einzeln einsetzbar oder können in Verbänden<br />

zusammengefasst werden. Die Gliederung der<br />

Katastrophenschutzeinheiten im Sanitäts- und Betreuungsdienst<br />

differiert zwischen den Bundesländern<br />

dahingehend, dass zum Teil Einheiten eines Fachdienstes<br />

aufgestellt sind, also „Sanitätszüge“ und „Betreuungszüge“,<br />

oder Fachdienst übergreifende „Einsatzeinheiten“<br />

aufgestellt wurden. Am Beispiel des<br />

„Einsatzzuges-Niedersachsen“ wird deutlich, dass hier<br />

jeweils eine Teileinheit des Sanitätsdienstes, des Betreuungsdienstes,<br />

eine Technikkomponente und die Führungskomponente<br />

zu einem Einsatzzug mit 30 Einsatzkräften,<br />

8 Einsatzfahrzeugen zum Teil mit Anhängern<br />

für die umfangreiche technische Ausrüstung<br />

des Zuges zusammengefasst wurden.<br />

Das Qualifikationsprofil der Helfer im Sanitätsdienst<br />

und im Betreuungsdienst baut sich wie<br />

folgt auf.<br />

In der Fachdienst-Ausbildung erhalten die Helfer<br />

beider Fachdienste in den ersten 40 Unterrichtseinheiten<br />

das Basiswissen für die sanitätsdienstliche<br />

Versorgung verletzter Betroffener. In den folgenden<br />

Unterrichtseinheiten erfolgt die spezifische Fachdienst-Ausbildung.<br />

Im Rahmen der Standort-Ausbildung<br />

wird die Kompetenz der Helfer um die Inhalte<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

29


30<br />

DEKON: TECHNIK<br />

Zivilschutz- und Katastrophenschutz-spezifischer<br />

Themen erweitert. Diese Ausbildungsteile werden gemäß<br />

des „BMI-Feinkonzeptes“ durchgeführt und<br />

befähigen die Helfer, die, von Bund und Ländern<br />

zur Verfügung gestellten, Ausrüstungen für die Einheiten<br />

im Katastrophen- und Zivilschutz anzuwenden<br />

und einzusetzen.<br />

Die Umsetzung der „standardisierte ABC-<br />

Grundausbildung“ gemäß der Empfehlung der SKK-<br />

PG9 und des entsprechenden Curriculums steckt in<br />

den Anfängen der Implementierungsphase. Derzeit<br />

werden an der AKNZ Multiplikatoren der Hilfsorganisationen,<br />

der Feuerwehren und der Bundesanstalt<br />

THW ausgebildet, die in den Hilfsorganisationen<br />

„Fachausbilder für die ABC-Grundausbildung“ qualifizieren.<br />

In Vorbereitung der Einsatzkräfte auf Einsätze<br />

während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006,<br />

auch mit ABC-Gefährdungen, sind erste ABC-Grundausbildungen<br />

in der Vorbereitung. Eine flächendeckende<br />

Umsetzung der „standardisierten ABC-Grundausbildung“<br />

bedarf allerdings noch erheblicher Vorbereitungen,<br />

da neben organisatorischen Rahmenbedingungen<br />

auch Kostenregelungen für die Ausbildung<br />

und erforderliche arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen<br />

der Helfer für die Nutzung umluftabhängiger<br />

Atemschutz-Systeme zu regeln sind.<br />

Voraussetzungen zur Mitwirkung<br />

von Einheiten des Sanitätsdienstes und<br />

Betreuungsdienstes an ABC-Einsatzstellen.<br />

Grundsätzlich ist sicher unstrittig, dass eine<br />

Versorgung von vielen verletzten und unverletzten<br />

Betroffenen (MANV) in komplexen Einsatzlagen<br />

oder Katastrophen ein Erfordernis darstellt, dem die<br />

Einsatzkräfte des Sanitätsdienstes und Betreuungsdienstes<br />

aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz und<br />

ihrer Ausrüstung entsprechen. Für diesen Zweck<br />

sind sie als SEG’en in Alarm- und Ausrück-Ordnungen<br />

(AAO) sowie als Einheiten in Katastrophenschutz-Alarmplänen<br />

integriert.<br />

Vor dem Einsatz von Sanitäts- und Betreuungseinheiten<br />

bei einem MANV unter den Bedingungen<br />

eines ABC-Einsatzes sind für diese Einheiten<br />

folgende Aktionsinseln zu bearbeiten:<br />

•Ausrüstung der Einheiten mit einer, dem Einsatzzweck<br />

entsprechenden, „Persönlichen Schutzaus-<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

stattung“, (PSA) bestehend aus Atemschutz und<br />

Körperschutz (z.B. ABC-Schutzausstattung des<br />

Bundes).<br />

•Sicherstellung der persönlichen Voraussetzungen<br />

zur Nutzung dieser PSA, z.B. Arbeitsmedizinische<br />

Untersuchung gemäß G26/2.<br />

•Durchführung der Basisqualifikation der Helfer in<br />

Form der „standardisierten ABC-Grundausbildung“.<br />

•Erarbeitung abgestimmter Einsatzkonzepte für das<br />

Zusammenwirken der Fachdienste im ABC-Einsatz<br />

am Standort und auf übergeordneter Ebene.<br />

•Gemeinsame Übung und Training aller beteiligten<br />

Fachdienste.<br />

Wenn diese Voraussetzungen umgesetzt wurden,<br />

können Einheiten des Sanitätsdienstes und<br />

Betreuungsdienstes:<br />

•Im Rotbereich, außerhalb des Gefahrenbereiches,<br />

direkt am <strong>Dekontamination</strong>splatz eine Anleitung<br />

zum Selbstschutz-Verhalten für Betroffene geben.<br />

•Nicht verletzte, leicht verletzte oder hilfebedürftige<br />

Betroffene bei der Vorbereitung für die <strong>Dekontamination</strong><br />

und während der <strong>Dekontamination</strong><br />

unterstützen<br />

•Verletzte, nicht gehfähige Verletzte auf einer<br />

Patientenablage im Kontaminationsbereich einer<br />

Notdekontamination (Spot-Dekon) zur Sicherstellung<br />

der Vitalität unterziehen, sanitätsdienstlich<br />

versorgen (Basic-Life-Support), auf die <strong>Dekontamination</strong><br />

vorbereiten und bis zur <strong>Dekontamination</strong><br />

versorgen.<br />

•Verletzte Betroffene zur <strong>Dekontamination</strong> transportieren,<br />

während der <strong>Dekontamination</strong> sanitätsdienstlich<br />

betreuen oder ggf. dekontaminieren.


<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />

Funktion und Ausstattung einer Dekonstelle für<br />

verletzte Zivilpersonen<br />

Von Arnd Gütschow und Rainer Suttrop, Berufsfeuerwehr Dortmund<br />

Die Möglichkeit größerer Schadenslagen mit Freisetzung<br />

von radioaktiven, chemischer oder biologischen<br />

Gefahrstoffen ist gegeben. Die Stadt Dortmund<br />

setzt in den nächsten Monaten die im Folgenden<br />

beschriebene Änderung ihrer ABC-Abwehr um.<br />

Im Kern geht es um die zusätzliche Fähigkeit<br />

zur <strong>Dekontamination</strong> einer auch größeren Zahl Betroffener.<br />

Dem ständig besetzten ABC-Zug der Berufsfeuerwehr<br />

Dortmund werden zwei Löschzüge der<br />

Freiwilligen Feuerwehren als identische Dekonzüge<br />

beigestellt. Diese übernehmen mit jeweils einem<br />

Löschfahrzeug der Berufsfeuerwehr Aufbau und Betrieb<br />

der Dekonstellen für verletzte Zivilpersonen.<br />

Die Dekonzüge erhalten die beiden im Stadtgebiet<br />

vorhandenen LkwDekonP des Bundes mit stark<br />

erweiterter Beladung.<br />

Begriffe und Grundlagen<br />

Gemäß der Konsensgespräche im Arbeitskreis<br />

Dekon-Bund wird die <strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />

als DekonV bezeichnet. Die <strong>Dekontamination</strong> vieler<br />

unverletzter Personen fällt unter Dekon-Betroffener,<br />

die von Einsatzkräften unter entsprechender Persönlicher<br />

Schutzausrüstung als Dekon-Einsatzkräfte.<br />

Das dargestellte Dekonkonzept begründet<br />

sich in den zwei Grundregeln der <strong>Dekontamination</strong>:<br />

•Regel 1: Die Kontaminationsverschleppung wird<br />

mehr Schaden außerhalb der Einsatzstelle anrichten<br />

als innerhalb. Das gilt sowohl für Personen als<br />

auch für kritische Infrastruktur.<br />

- Kontaminationsverschleppung ist zu verhindern.<br />

•Regel 2: Wirksam ist eine <strong>Dekontamination</strong> nur,<br />

wenn sie schnell erfolgt.<br />

- Kleidung ablegen, viel Wasser und Seife<br />

Die Betrachtung des vermutlichen zeitlichen<br />

Ablaufes (Abb. 1) zeigt, dass die schwierigeste Patientengruppe<br />

T1 mit starker Verzögerung einlaufen wird.<br />

Nach Etablierung der Einsatzstelle bildet sich vor<br />

E3 ein Plateau durch kontinuierliche Rettung der<br />

Schwerverletzten aus. Bis hier kann die Dekonstelle<br />

voll betriebsbereit sein und die Last aufnehmen.<br />

Der Sanitätsdienst Dortmund verfügt über zwei<br />

BHP, deren Eingangssichtung nach Regel 1 jeweils<br />

eine <strong>Dekontamination</strong> vorgeschaltet sein muss. Die<br />

gleiche Regel erfordert eine Dekonstelle vor dem<br />

nächst gelegenen Krankenhaus. Hierhin werden sich<br />

Patienten in der Anfangsphase selbst zur Traumaversorgung<br />

begeben 1 . Folgerichtig muss ein Dekonzug<br />

für sich über folgende Fähigkeit verfügen:<br />

•Versorgung zweier BHP mit zusammen 100 Patienten<br />

pro Stunde,<br />

•autarke Arbeit über zwei Stunden ohne Fremdversorgung,<br />

•Rüstzeit von 15 min nach Eintreffen.<br />

Ablauf der <strong>Dekontamination</strong><br />

Die ersteintreffenden Einheiten des Brandschutzes<br />

retten soweit möglich die erreichbaren Patienten<br />

aus dem Gefahrenbereich. Der Umweltdienst 2<br />

legt den Ort der Dekonstelle fest und weist den hinzukommenden<br />

Dekonzug ein. An der Gefahrenbereichsgrenze<br />

legt er die Patientenablage — schwarz —<br />

1 Einsatzerfahrungen Sarin-Anschlag Tokio 1995, Bombenanschläge<br />

Madrid 2004.<br />

2 Beamter des g.D. der Berufsfeuerwehr im 24h-Dienst; Taktischer<br />

Führer des ABC-Zuges.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 31


DEKON: TECHNIK<br />

an. Hier erfolgt die Erstsichtung nach NATO-Standard<br />

zur Festlegung der <strong>Dekontamination</strong>sreihenfolge.<br />

Aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit von Ärzten<br />

mit Atemschutztauglichkeit wird hier u.U. ein Rettungsassistent<br />

eingesetzt 3 . In der Patientenablage wird<br />

nur rudimentäre Erste Hilfe sowie Schockbekämpfung<br />

mittels Infusion geleistet. Bestimmte Stellen werden<br />

einer Spot-Dekon unterzogen:<br />

•Augen, Nase, Mund mit NaCl/Ringer-Lactat spülen;<br />

•Injektionsstellen mit Natriumhypochlorit reinigen,<br />

•offene Wunden reinigen: Wasserstoffperoxid<br />

(H 2 O 2 ) 3%;<br />

•Hydrophobe Kontaminationen mit Polyethylenglykol<br />

(PEG) (400-800 g/mol) entfernen;<br />

•Korrosive Hautkampfstoffe: nur NaOCl 0,5%;<br />

•offene Wunden mit Folienverbänden abdecken.<br />

Die benötigten Dekontaminatien führt der<br />

Dekonzug in entsprechend geeigneten Gefäßen wie<br />

z.B. Industrie-Sprühflaschen mit.<br />

Die Verletzten T3 dekontaminieren sich selbstständig<br />

unter Überwachung in einem eigenen Bereich.<br />

Die Verletzten T1 / T2 werden mittels Spine-Board<br />

in die Dekonstelle verbracht. Nach Abstöpseln der<br />

Infusionen erhalten die Verletzten Schwimmbrille und<br />

Sauerstoffinhalationsmaske zum Schutz vor Aerosolen.<br />

Die Dekonstelle verfügt über mindestens zwei<br />

gleichartige Trassen zur gleichzeitigen <strong>Dekontamination</strong><br />

von zwei Patienten. Sind beide zu versorgenden<br />

BHP in Betrieb, werden zwei weitere Trassen eingerichtet.<br />

Die Trassen bestehen aus klappbaren Rollbahnen<br />

niedrigen Gewichtes. Die Spine-Boards werden<br />

im Schwarzbereich aufgelegt und bis in den<br />

Weißbereich mit abgeschlossener Dekon geschoben.<br />

Der Verletzte kann rasch und effizient gereinigt werden,<br />

einschließlich der notwendigen Drehungen auf<br />

die Seite. Am Schluss der Rollbahn erfolgt die Umlagerung<br />

auf eine Trage des BHP. Dieser übernimmt<br />

die Person dann in die eigene Sichtung. Transport<br />

zur Rollbahn, Auskleiden, <strong>Dekontamination</strong> und Detektion<br />

übernehmen die jeweiligen Trupps. Der Trasse<br />

der Verletzten T3 sind nur Überwacher zugeteilt,<br />

die den Personen Anweisungen zum Entkleiden und<br />

Reinigen geben. Sie teilen zum Schluss Notkleidung<br />

in Form von Badeschlappen und Overalls aus. Für<br />

die Detektion i.S. der Freimessung vor Übergabe der<br />

Patienten stehen nur die üblichen eingeschränkten<br />

Möglichkeiten zur Verfügung.<br />

32 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Die Wahl der Dekontaminantien erfolgt nach<br />

der dritten Grundregeln der <strong>Dekontamination</strong>:<br />

•Regel 3: <strong>Dekontamination</strong> bedeutet nur den Einsatz<br />

von Wasser und Seife;<br />

- Ausnahme: Die B-Lage erfordert Zumischung<br />

von Peressigsäure (PES) zur Desinfektion.<br />

- Ausnahme: Kein Wasser bei korrosiven Hautkampfstoffen<br />

4 (Losten, Lewisit, etc.).<br />

Im Detail ergeben sich daraus die drei unterschiedliche<br />

Vorgehensweisen:<br />

•A-Lage:<br />

Warmes Wasser und Seife,<br />

Mit Ionentauscher (z.B. Zeolithe wie Amberlit®)<br />

Ionen im Abwasser binden.<br />

•B-Lage:<br />

Warmes Wasser und 0,3 % Peressigsäure,<br />

Einwirkzeit ca. 3-4 Minuten.<br />

•C-Lage:<br />

Industriechemikalien mit warmen Wasser und Seife.<br />

Hydrophobe Chemikalien: 0,2-0,5 % Polyethylenglykol.<br />

Korrosive Hautkampfstoffen: kein Wasser!<br />

- Sichtbare Kontaminationen mit NaOCL spülen,<br />

- oder Trockendekontamination mit Puder (besser<br />

NaOCl-Puder) abtupfen.<br />

Stufenkonzept <strong>Dekontamination</strong><br />

Zur angepassten Reaktion auf unterschiedliche<br />

ABC-Szenarien setzt die Stadt Dortmund das<br />

Stufenkonzept der FwDV 500 allgemeingültig um.<br />

Dabei wird die <strong>Dekontamination</strong> von Einsatzkräften,<br />

Verletzten und Betroffenen integriert. In der ersten<br />

Stufe werden durch jeweils zwei der ersteintreffenden<br />

Löschfahrzeuge Duschgassen erstellt. Jeder<br />

ELW eines Löschzuges führt für 50 Personen Reinigungsmittel<br />

und Einwegkleidung mit. Die gehfähigen<br />

Betroffenen entkleiden sich und können mit Wasser<br />

und Seife insbesondere freiliegende Hautoberflächen<br />

3 Den Verf. ist der Widerspruch zu DIN 13050 und korrekter Empfehlung<br />

DGKM e.V. schmerzlich bewusst.<br />

4 NATO-Standard: Behandlung von Kontamination bezüglich Alkylantien<br />

und Arsenhaltige Verbindungen.


und Haarwuchs notdürftig dekontaminieren. Dies<br />

wird selbstverständlich nur bei entsprechender Witterung<br />

oder sehr hautreizender Kontamination funktionieren.<br />

Das Problem des Schamverhaltens einiger<br />

Personengruppen ist den Verfassern wohl bewusst,<br />

scheint derzeit aber für die Einsatzkräfte unlösbar.<br />

Die zweite Stufe stellt sich durch die Dekonstelle<br />

des ABC-Zuges der Berufsfeuerwehr dar. Sie ist<br />

innerhalb 10 min nach Eintreffen betriebsbereit und<br />

dekontaminiert Einsatzkräfte in Schutzkleidung und<br />

bis zu fünf Betroffene. Die dritte Stufe ist die zusätzliche<br />

Alarmierung eines oder beider Dekonzüge. Sie<br />

stellen die eingangs geforderte Kapazität von gesamt<br />

200 Personen je Stunde.<br />

Erweiterte Ausstattung eines<br />

LkwDekonP zum DekonV<br />

Die Trassen zur Dekontamionation müssen<br />

witterungsgeschützt und gewärmt sein. Hierzu werden<br />

aufgrund der besseren Stabilität vermutlich Druckluftzelte<br />

Verwendung finden. Die Trassen der liegend<br />

Verletzten bestehen aus klappbaren Rollbahnen,<br />

neben denen Bewegungsfläche für die Einsatzkräfte<br />

frei bleibt.<br />

Dekontaminatien und Warmwasser wird mittels<br />

Dosierpumpen über von der Zeltdecke hängenden<br />

Armaturen zur Verfügung gestellt. Die aktuelle<br />

Planung an weiterer Ausstattung liegt bei 30 Spine-<br />

Boards, vier Rollbahnen, Einwegtragetücher und Notkleidung<br />

für 200 gehfähige Betroffene. Dazu die erforderliche<br />

Menge an Rettungsdecken, Trauma- und<br />

Infusionssets, Verletztenanhängekarten. Das am<br />

Patienten in der Patientenablage erforderliche Material<br />

wird in wasserdichten Big Bags gelagert. Die Einsatzkräfte<br />

können dann ohne weitere Vorbereitung<br />

aus diesen Großtaschen heraus arbeiten. Handhabung,<br />

Robustheit und geringes Gewicht sprechen<br />

für diese Verlastung.<br />

Gliederung der Einsatzmittel<br />

Die <strong>Dekontamination</strong> wird modular organisiert:<br />

•DekonE (Einsatzkräfte) führt ein Löschfahrzeug<br />

unter Führung des Fü Drehleiter der Umweltwache<br />

durch.<br />

•DekonV ist zweimal als Dekonzug bei der Freiwilligen<br />

Feuerwehr vorhanden. Das jeweilige NEF unterstützt<br />

die Erstsichtung. Sollte der NA Atemschutztauglichkeit<br />

besitzen, übernimmt er die<br />

Sichtung.<br />

•DekonB (Betroffene) wird durch jeweils zwei adhoc<br />

zusammengeführte Löschfahrzeuge sowie dem Reinigungsmittel<br />

irgendeines an der Einsatzstelle<br />

befindlichen ELW durchgeführt.<br />

Jede Lösung zieht weitere Aufgaben nach.<br />

Das dargestellte Dekonkonzept befindet sich<br />

bis einschließlich März 2006 in der Umsetzung. Die<br />

anschließende mehrwöchige Evaluierungsphase endet<br />

in der vollständigen Inbetriebsetzung im April 2006.<br />

Derzeit besteht noch folgender Klärungsbedarf:<br />

Abb. 1<br />

•Dekonstufe 1 (Massen-Dekon): Verlastung und Art<br />

Reservekleidung.<br />

•Festlegen einzelner Handhabungen und Vorgaben.<br />

•Einbinden von KIT/PSU hinsichtlich Betreuungskonzept<br />

besonders bei Massen-Dekon zum Stichwort<br />

Schamverhalten unserer multikulturellen<br />

Gesellschaft.<br />

•Detailauswahl und Beschaffen noch ausstehender<br />

Ausstattung zum DekonV.<br />

•Fortbildung der Einsatzkräfte von Feuerwehr und<br />

insbesondere Hilfsorganisationen.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 33


34<br />

DEKON: MEDIZIN<br />

CBRN-Szenarien<br />

Großschadenslagen mit zusätzlicher Gefährdung durch<br />

Schadstoffe ( ABC )<br />

Von Marion Jahns, BBK<br />

So genannte Großschadenslagen finden aufgrund der<br />

unterschiedlichsten Ereignisse in jüngster Vergangenheit,<br />

wie z.B. der Tsunami- Katastrophe, der Terroranschläge<br />

in London, der Wirbelsturmschäden im Süden<br />

der USA oder in Mittelamerika, zunehmend Interesse<br />

in der gesamten Öffentlichkeit. Aufgrund der<br />

weltweiten und intensiven Berichterstattungen zu den<br />

jeweiligen Geschehnissen ist in der Öffentlichkeit<br />

ein zunehmendes Bewusstsein geweckt worden, wie<br />

wichtig die allgemeine Vorbereitung der unterschiedlichsten<br />

Institutionen auf den Umgang mit solchen<br />

Ereignissen und deren Bewältigung ist.<br />

Grundsätzlich ist die Bewältigung eines Massenanfalls<br />

von Verletzten, kurz MANV genannt,<br />

durch Rettungsdienste und Feuerwehren, sowie beteiligte<br />

Institutionen in den einzelnen Bundesländern<br />

geregelt. Eine zusätzliche Herausforderung stellt<br />

jedoch ein solcher MANV mit Einwirkung von chemischen,<br />

biologischen, radiologischen, nuklearen<br />

Schadstoffen (CBRN oder kurz ABC) dar.<br />

Auch die medizinische Versorgung der Betroffenen<br />

und die Bearbeitung solcher Szenarien bedarf<br />

einer speziellen Verfahrensweise, um den besonderen<br />

Anforderungen hinreichend gerecht werden zu können.<br />

Lageeinschätzung<br />

Im Folgenden soll eine Systematik erläutert<br />

werden, die ein Strategievorschlag sein sollte, um die<br />

Problematik eines MANV mit ABC- Einwirkung<br />

darzustellen.<br />

Der ärztliche Leiter Rettungsdienst bzw. der<br />

Leitende Notarzt vor Ort und sein medizinisches<br />

Team brauchen Informationen und Klärung der fol-<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

genden Fragen, um weitere medizinische Vorgehensweisen<br />

planen zu können.<br />

•Was ist passiert?<br />

Die Ursachen einer Großschadenslage können<br />

vielfältig sein, z.B. Unfall, Terroranschlag, kriegerische<br />

Auseinandersetzungen, kriminelle Auseinandersetzungen,<br />

Naturkatastrophen.<br />

•Wo befindet sich der Schadensort?<br />

Denn die Lokalisation, der Ort, die Räumlichkeit<br />

eines Szenarios bestimmen das Risiko einer weiteren<br />

Ausbreitung und den Schweregrad der Ausprägung<br />

der Schäden bzw. Schädigungen.<br />

•Sind Folge- und/oder Kollateralschäden zu erwarten?<br />

z.B. durch Explosionen, Brand, Überflutungen,<br />

Strom, etc.?<br />

•Welcher Schadstoff wird freigesetzt?<br />

Die Schadstoffanalyse so zeitnah wie möglich zu<br />

erhalten, ist zentraler Beurteilungspunkt zur Einschätzung<br />

der Primärgefährdung aller Betroffener,<br />

<strong>Verletzter</strong> und Unverletzter. Kann es aufgrund des<br />

Schadstoffes zu verzögerten Körperreaktionen,<br />

organischen Schädigungen kommen und wie sieht<br />

der zu erwartende Krankheitsverlauf aus? Besteht<br />

die Gefahr der Übertragung oder Ansteckung?<br />

Sind durch den Schadstoff Folgeschäden oder<br />

Dauerschäden zu erwarten?<br />

•Wie hoch wird die zu erwartende Anzahl der<br />

Geschädigten sein?<br />

Darunter fallen alle akut Erkrankten und Betroffenen.<br />

Wichtig ist hierbei jedoch ein möglicherweise<br />

verzögertes Auftreten von Symptomen bzw.<br />

Erkrankungen, ist mit Inkubationszeiten zu rechnen?<br />

Wie hoch ist demnach die zu erwartende<br />

Zahl Erkrankter, wie ist die zu erwartende Ausprägung<br />

der Erkrankung, sind deren Schweregrad und


Verlauf abzuschätzen? Daraus ergeben sich die mögliche<br />

Anzahl von Leicht – bis Schwerstverletzten.<br />

Sind Folgeschäden absehbar?<br />

Notfallmedizinische Besonderheiten bei Großschadenslagen<br />

unter Beteiligung von CBRN- Schadstoffen<br />

ergeben sich in insgesamt 3 großen Bereichen:<br />

•Patientenversorgung<br />

•Helferschutz und Helferversorgung<br />

•Logistik<br />

Patientenversorgung<br />

Die Patientenversorgung umfasst die primär betroffenen,<br />

kontaminierten Personen. Diese befinden<br />

sich am Ereignisort und gliedern sich auf in verletzte,<br />

unverletzte nicht erkrankte, unverletzte erkrankte<br />

Personen, wie z. B. akutes Coronarsyndrom, akute<br />

Panikstörung, etc. Des<br />

Weiteren kommen sekundär<br />

betroffene, kontaminierte<br />

Personen hinzu.<br />

Diese befinden sich nicht<br />

unmittelbar am Ereignisort,<br />

sind aber durch Inhalation,<br />

Übertragung<br />

oder Infektion betroffen.<br />

Die zu erwartenden<br />

Verletzungs- und<br />

Schädigungsmuster unterscheiden<br />

sich vom<br />

MANV in der klassischen<br />

Form, dass zusätzlich<br />

das schädigende<br />

Agens berücksichtigt werden<br />

muss, und von daher<br />

mit unterschiedlich<br />

ausgeprägten Symptomatiken,<br />

auch bei evtl.<br />

Leichtverletzten oder<br />

Kindern, zu rechnen ist. Als mögliche Eintrittspforten<br />

kommen Haut, Schleimhäute, Augen, Lunge,<br />

offene Verletzungen in Frage, wobei die Resorptionswege<br />

aufgrund ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit<br />

differenziert zu betrachten sind.<br />

Grundsätzlich ist aus medizinischer Sicht festzuhalten,<br />

dass das immer zugrunde liegende Dosis-<br />

<strong>Dekontamination</strong> eines Schutzanzugträgers.<br />

Wirk-Prinzip das Ausmaß der Schädigung bestimmt.<br />

Die aufgenommene Dosis steigt mit der Zeit und<br />

macht damit eine zeitnahe <strong>Dekontamination</strong> erforderlich,<br />

wobei die Resorption über die Atemwege als<br />

grundsätzlich gefährlicher einzustufen ist als über<br />

die Haut. Damit können Erstmaßnahmen schon am<br />

Ereignisort, z.B. unmittelbar nach der Bergung<br />

erforderlich sein, noch bevor die eigentliche Körperdekontamination<br />

durchgeführt wird.<br />

Helferschutz und Helferversorgung<br />

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass für<br />

alle medizinischen Helfer erschwerte Zugangsmöglichkeiten<br />

zum Ereignisort bestehen. Außerdem bedarf<br />

es Eigenschutzmaßnahmen und Ausrüstung im<br />

Sinne des Arbeitsschutzes. Es müssen <strong>Dekontamination</strong>smaßnahmen<br />

für die Helfer vorgehalten werden.<br />

Ebenso ist die Einsatzmöglichkeit zeitlich begrenzt,<br />

was eine ausreichende man-power (Durchhaltefähigkeit)<br />

erforderlich macht. Des Weiteren sind Ruhezonen,<br />

ggf. medizinische und/oder psychologische<br />

Betreuung der Helfer, sowie die Sicherstellung der<br />

alimentären Versorgung erforderlich<br />

Vom heutigen Stand ausgehend gibt es kaum<br />

Rettungsdienstpersonal, das ausreichend im Anlegen<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

35


36<br />

DEKON: MEDIZIN<br />

von, Tragen und Arbeiten mit Persönlicher ABC-<br />

Schutzausrüstung geschult ist. Ebenso gibt es nicht<br />

in ausreichender Anzahl in Sicherheitsmaßnahmen<br />

versiertes und medizinisch geschultes Personal.<br />

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Bildung<br />

von gemischten Einheiten aus z.B. Rettungsdienst<br />

und Feuerwehr unmittelbar am Schadensort/<br />

gem. FwDV 500 roter Bereich.<br />

Diese Einheiten müssten gemeinsam eine spezifische<br />

Ausbildung und Qualifikation in CBRN-<br />

Maßnahmen, inklusive der Schutzausrüstungen erhalten.<br />

Es sollten feste Qualifikationsvoraussetzungen/<br />

Normen festgelegt werden, ebenso definierte Aufgabenbereiche<br />

postuliert werden.<br />

Weiterhin bedarf es definierter Teamzusammensetzungen<br />

in den einzelnen Funktionen. Regelmäßiges<br />

Training spezieller CBRN- Szenarien und intensivierte<br />

Kommunikation fördern die Professionalität<br />

eines solchen Teams.<br />

In dieser Form gestaltete Teams ermöglichen<br />

jederzeit eine Austauschbarkeit ohne Qualitätsverlust.<br />

Außerdem ermöglicht dies eine effektive Ausschöpfung<br />

von Personalressourcen. Das wiederum<br />

ist vor dem Hintergrund des ebenfalls erforderlichen<br />

Personals zur Primärversorgung der dekontaminierten<br />

Patienten in den eingerichteten Behandlungsplätzen<br />

dringend erforderlich.<br />

Logistik<br />

Behandlungsplatz zur Primärversorgung. (Fotos: Stein/BBK)<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Ebenso müssen noch Einheiten im so genannten<br />

Absperrbereich/ „Grüne Zone“ und Umgebung<br />

vorgehalten werden.<br />

Denn auch die<br />

nicht erkrankte Bevölkerung<br />

bedarf der Betreuung.<br />

Es müssen Sekundärtransporte<br />

und Verlegungen<br />

von Patienten<br />

durchgeführt werden.<br />

Ausgetauschte Helfer in<br />

den Ruhezeiten müssen<br />

ebenfalls versorgt werden.<br />

Die logistischen<br />

Anforderungen einer<br />

solchen Großschadenslage<br />

sind enorm, z.B.<br />

bezüglich der Zonenfestlegung,<br />

der erforderlichen<br />

Man-Power, der<br />

Materialbeschaffung, der<br />

Sicherstellung des Transportes<br />

von Mensch und<br />

Material und der Aufrechterhaltung der Kommunikationswege.<br />

Fazit:<br />

•Standardisierung aller Bereiche schafft Sicherheit<br />

in der Funktion, optimiert die Einsetzbarkeit des<br />

vorhandenen Personals, verbessert die gesamte<br />

Operabilität im Schadensfall.<br />

•Regelmäßiges Üben erhöht die Professionalität im<br />

Umgang mit realen Schadensereignissen.<br />

•Spezielle Qualifizierung von Fachpersonal gewährleistet<br />

die ereignisbezogen machbare Qualität der<br />

medizinischen Versorgung.


Dekon-Rahmenkonzept<br />

Entwurf der Bund-Länder-Arbeitsgruppe (07.09.2005)<br />

Von Dr. Bernd Krawczyk<br />

Ziel des vorliegenden Konzeptes ist die Formulierung<br />

einer bundesweit umsetzbaren Empfehlung für die<br />

<strong>Dekontamination</strong> von verletzten Personen (Dekon-V).<br />

Als Grundlage dient der Entwurf des Landes Rheinland-Pfalz,<br />

mitgewirkt haben Vertreter der Länder Berlin,<br />

Bremen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen,<br />

Bayern und Rheinland-Pfalz sowie der Bundeswehr<br />

unter Moderation von Frau Dr. Flieger (BBK).<br />

Das Rahmenkonzept soll die Grundprinzipien<br />

einer <strong>Dekontamination</strong> von Personen erläutern, die<br />

aufgrund ihres Verletzungsmusters einer sofortigen<br />

medizinischen Versorgung bedürfen. Neben einer frühzeitigen<br />

Identifikation des Gefahrstoffs spielt dabei<br />

vor allem der Faktor Zeit bei der Einleitung medizinischer<br />

Maßnahmen eine entscheidende Rolle. Bei<br />

der technischen Durchführung werden zudem durch<br />

das Auftreten von nicht gehfähigen Personen besondere<br />

Anforderungen an die <strong>Dekontamination</strong> gestellt.<br />

Aufgrund der oftmals systembedingten getrennten<br />

Durchführung der Aufgaben in verschiedenen Organisationen<br />

(Feuerwehr/Sanitätsdienst) kommt es zu<br />

Schnittstellenproblemen bei der organisationsübergreifenden<br />

Zusammenarbeit. Zudem entstehen besondere<br />

Anforderung an die Ausbildung. Konkret durchgeplant<br />

ist dabei bislang die <strong>Dekontamination</strong> nach<br />

A- oder C-Kontamination. Die Ausweitung auf desinfizierende<br />

<strong>Dekontamination</strong> soll folgen.<br />

Verletzten-<strong>Dekontamination</strong> — warum?<br />

Die wirksamste <strong>Dekontamination</strong> einer Person<br />

nach einer Gefahrstoffexposition ist die, die unmittelbar<br />

nach der Kontamination durchgeführt wird.<br />

Um die Einwirkzeit des Gefahrstoffs so gering wie<br />

möglich zu halten, ist daher eine <strong>Dekontamination</strong><br />

noch an der Einsatzstelle erforderlich. Ist eine <strong>Dekontamination</strong><br />

aufgrund des erforderlichen Zeitbedarfs<br />

medizinisch nicht vertretbar, müssen medizinische<br />

Sofortmaßnahmen bereits vor der <strong>Dekontamination</strong><br />

durchgeführt werden. Der Transport eines kontaminierten<br />

Verletzten ist nur im Einzelfall in Erwägung<br />

zu ziehen. Im Großschadensfall mit einer größeren<br />

Anzahl von Verletzten ist der Schutz nachgeschalteter<br />

Behandlungseinheiten wie Krankenhaus oder Behandlungsplatz<br />

mit höherer Priorität zu sehen. Werden<br />

kontaminierte Verletzte vor der Behandlungseinrichtung<br />

nicht dekontaminiert, kommt es in Folge<br />

von Sekundärkontamination sehr schnell zum Ausfall<br />

der gesamten Behandlungseinrichtung und der<br />

angeschlossenen Transportsysteme, so dass die medizinische<br />

Versorgung aller Betroffenen gefährdet ist.<br />

Schematischer Ablauf der Dekon-V<br />

Zunächst erfolgt die Rettung Betroffener aus<br />

dem Gefahrenbereich durch Einheiten der Feuerwehr<br />

mit ABC-Schutzbekleidung.<br />

Verletzte werden zu einem Sammelpunkt gebracht,<br />

der gleichzeitig den Eingangsbereich zum Dekonplatz<br />

für Verletzte darstellt. Der Dekonplatz ist<br />

der Behandlungseinrichtung vorgeschaltet. Dies kann<br />

räumlich an der Grenze zum Gefahrenbereich erfolgen,<br />

ist aber auch konkret im Eingangsbereich von<br />

Krankenhäusern direkt als Filter vor der Behandlungseinrichtung<br />

denkbar. Der Dekonplatz selbst ist deutlich<br />

zu kennzeichnen und als Schleuse mit zwangsläufiger<br />

Abfolge der Maßnahmen zu strukturieren<br />

(Einbahnstraßen-Prinzip).<br />

Er gliedert sich in einen vorgeschalteten Sichtungsbereich,<br />

Entkleidung und Anbehandlung sowie<br />

den eigentlichen Dekonbereich, getrennt für gehfähige<br />

und liegende Verletzte. Diese Maßnahmen werden<br />

innerhalb der Schleuse im ungefährdeten, aber<br />

noch unreinen „Schwarz“-Bereich durchgeführt.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

37


38<br />

DEKON: MEDIZIN<br />

Der Dekonplatz für Verletzte wird von Einheiten<br />

der Feuerwehr und des Rettungs- bzw. Sanitätsdienstes<br />

(Rettungsfachpersonal) gemeinsam betrieben.<br />

Die Gefahren durch sekundären Kontakt mit<br />

dem ABC-Gefahrstoffen erfordern hierbei das Tragen<br />

geeigneter Schutzbekleidung sowie Atemschutz.<br />

Im Anschluss an die <strong>Dekontamination</strong> werden<br />

die Betroffenen an den reinen „Weiß“-Bereich so übergeben,<br />

dass von ihnen keine Gefahren mehr für die<br />

nachfolgenden behandelnden Kräfte ausgeht. Am<br />

Übergabepunkt kann ein Nachweis auf Kontaminationsfreiheit<br />

geführt werden. Ein schnelles und sicheres<br />

Monitoring ist derzeit jedoch nur bei radioaktiver<br />

Kontamination möglich. In allen anderen Fällen muss<br />

die Kontaminationsfreiheit über ein standardisiertes<br />

<strong>Dekontamination</strong>sverfahren sichergestellt werden.<br />

Vorgezogene Sichtung im „Schwarz“-Bereich<br />

Verletzungsmuster und Kapazitätsgrenzen erfordern<br />

ein Vorziehen des klassischen Sichtungsbereichs<br />

vor die technische <strong>Dekontamination</strong> der Feuerwehr.<br />

Die Gefahr einer Sekundärkontamination<br />

über den Kontakt mit dem Verletzten erfordert in diesem<br />

Bereich geeignete ABC-Schutzbekleidung sowie<br />

Atemschutz, unter denen sie Entkleidung, Untersuchung,<br />

Registrierung und Anbehandlung durchführen.<br />

Aufgrund der zu erwartenden geringen Konzentration,<br />

die von den Verletzten ausgeht, ist grundsätzlich das<br />

Tragen einer leichten Chemikalienschutzbekleidung<br />

sowie einer Vollmaske mit Atemfilter (ABEK2P3)<br />

erforderlich. Im Bereich der Hände sind Untersuchungshandschuhe<br />

doppellagig einzusetzen und<br />

nach jedem Patienten die oberste Lage zu wechseln.<br />

Im Sichtungsbereich werden die Betroffenen<br />

entkleidet, registriert und anschließend untersucht.<br />

Aufgrund der eingeschränkten Untersuchungsmöglichkeiten<br />

und des hohen Zeitdrucks haben diese<br />

Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt nur das Ziel der<br />

Einleitung einer zügigen Weiterbehandlung. Die<br />

anschließende Anbehandlung verfolgt das Ziel, den<br />

Verletzten so zu stabilisieren, dass er den Dekon-Prozess<br />

durchlaufen kann (Basic Life Support). Hierzu<br />

zählen u. a. Tätigkeiten wie Spot-<strong>Dekontamination</strong>,<br />

Wundabdeckung und ggf. Gabe von Antidota. Das<br />

medizinische Personal des Sichtungsbereiches besteht<br />

nach Möglichkeit aus einem Notarzt und zwei weiteren<br />

Rettungsfachkräften, die Feuerwehr unterstützt.<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

<strong>Dekontamination</strong><br />

Die Durchführung der <strong>Dekontamination</strong> erfordert<br />

eine Trennung in einen Bereich für gehfähige<br />

Verletzte und einen für liegende Verletzte. Die <strong>Dekontamination</strong><br />

erfolgt nass mit lauwarmen Wasser über<br />

Handbrausen geschützt in Zelten oder stationären<br />

Anlagen. Als Grundlage für eine mobile Nass-<strong>Dekontamination</strong><br />

kann die Dekon-P-Ausrüstung des Bundes<br />

als Basis dienen, die den Aufbau von zwei parallelen<br />

Dekon-Linien ermöglicht. Für den Liegend-Bereich<br />

sind je ein Tragengestell sowie Transferboards<br />

für Nass-<strong>Dekontamination</strong> in ausreichender Anzahl<br />

vorzusehen. Die Erweiterung der Dekon-P-Anlage<br />

um ein weiteres Zelt ermöglicht den Betrieb von vier<br />

parallelen Dekon-Linien und räumliche Trennung<br />

von Gehend- und Liegend-Bereich. Beide Bereiche<br />

können jedoch gemeinsam über die Technik der<br />

Dekon-P versorgt werden.<br />

Für jede Dekon-Linie ist ein Dekon-Team,<br />

bestehend aus zwei Dekon-Helfern der Feuerwehr<br />

und einer Rettungsfachkraft, notwendig. Im Bereich<br />

der Nass-Dekon ist zu der beschriebenen Schutzbekleidung<br />

eine Ergänzung durch Gummistiefel sowie<br />

Chemikalenschutzhandschuhe erforderlich.<br />

Zeitschiene und Kapazitäten<br />

Die erforderlichen Zeiten für Entkleidung,<br />

Sichtung, Registrierung, Anbehandlung und <strong>Dekontamination</strong><br />

orientieren sich am Verletzungsmuster<br />

und können daher stark variieren. Als Planungsgrößen<br />

können 20 gehfähige Verletzte pro Stunde und<br />

Dekon-Team angesetzt werden. Für liegende Verletzte<br />

reduziert sich der Ansatz aufgrund des erhöhten<br />

Zeitaufwandes auf 5. Mit der aufgezeigten Erweiterung<br />

der Dekon-P-Anlage auf vier Dekon-Linien<br />

ergibt sich so eine rechnerische Kapazität von 10/40<br />

(liegend/gehend), mit der ein Standard-Behandlungsplatz<br />

(BHP 50) versorgt werden kann, ohne dass es<br />

zu planungsbedingten Engpässen kommt.<br />

Neben der technischen Planungsgröße sind ausreichend<br />

Personalreserven als Tragehilfen und Ablösung<br />

der Einheiten unter Schutzbekleidung spätestens<br />

nach etwa 60 Minuten vorzusehen. Grundsätzlich<br />

soll der Betrieb von mindestens zwei Stunden<br />

vorgesehen werden.


ABC-<strong>Dekontamination</strong><br />

von Patienten<br />

Von Rudolf Junker und PD Dr. med. Sergei Bankoul<br />

Als oberste politische Behörde der Schweiz erteilte der<br />

Bundesrat im September 2003 der eidgenössischen<br />

Kommission für ABC-Schutz den Auftrag, sämtliche<br />

ABC-Projekte in der Schweiz zusammenzuführen<br />

und das Projekt „Nationaler ABC-Schutz“ zu initialisieren.<br />

Neue Risiken und Gefahren sowie insbesondere<br />

die Erkenntnisse und Lehren aus dem „C-Terroranschlag“<br />

von 1995 auf die U-Bahn in Tokyo und den<br />

darauf folgenden Ereignissen „Anthrax“ und “Sars“<br />

machten deutlich, dass in der Schweiz im Bereich<br />

ABC-Schutz Anpassungen notwendig sind und insbesondere<br />

im Bereich <strong>Dekontamination</strong> von Patienten<br />

schwerwiegende Mängel und Lücken bestehen.<br />

Ziele des Projekts „Nationaler ABC-Schutz“<br />

•Das Projekt „Nationaler ABC-Schutz“ basiert auf<br />

bestehenden Aktivitäten, geplanten und genehmigten<br />

Projekten und Organisationen und bezieht<br />

alle wichtigen Beteiligten ein.<br />

•Es liefert ein umsetzungsfähiges, finanzierbares und<br />

zukunftsorientiertes Konzept „Nationaler ABC-<br />

Schutz“ mit Grundlagen und Optionen für:<br />

- eine Effizienzsteigerung im ABC-Bereich<br />

- Anträge und Empfehlungen (z. B. mit Konsequenzen<br />

für rechtliche Erlasse)<br />

- die Umsetzung auf Stufe Bund und Kanton<br />

und Gemeinde<br />

- eine klare Sprachregelung und Definition der<br />

zu verwendenden Begriffe.<br />

Es geht darum, aufbauend auf einem umfassenden<br />

Szenarienkatalog, ein möglichst breites Spektrum<br />

an Bedrohungen (Unfall, Naturkatastrophe,<br />

zivilisationsbedingte Katastrophe, Kriminalität, Terror,<br />

Krieg) abzudecken und deren Auswirkungen auf<br />

DEKON: MEDIZIN<br />

die betroffenen Organisationen auf den Stufen<br />

Bund, Kantone und Gemeinden zu erarbeiten und<br />

daraus die notwendigen Maßnahmen für den ABC-<br />

Bereich im Rahmen des Bevölkerungsschutzes einzuleiten<br />

und umzusetzen.<br />

Auf den besonderen Schutz des Personals ist zu achten.<br />

Folgende Partner sind involviert:<br />

•Bundesamt für Bevölkerungsschutz (mit Labor<br />

Spiez und Nationaler Alarmzentrale)<br />

•Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen<br />

•Kantone<br />

•Industrie<br />

•Kompetenzzentrum der Armee<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

39


40<br />

DEKON: MEDIZIN<br />

•Oberfeldarzt/Beauftragter des Bundesrates für den<br />

Koordinierten Sanitätsdienst (KSD)<br />

•Bundesamt für Gesundheit<br />

•Bundesamt für Veterinärwesen<br />

•Bundesamt für Landwirtschaft<br />

•Bundesamt für Umwelt<br />

Die Überprüfung bestehender Konzepte machte<br />

rasch deutlich, dass ein Hauptmanko insbesondere<br />

den Bereich „<strong>Dekontamination</strong>“ betrifft, weil dieser<br />

in punkto Ausrichtung, Abläufen und Maßnahmen<br />

in der Schweiz vorwiegend auf „C-Ereignisse“ ausgerichtet<br />

ist. Heute fehlen konzeptionelle Grundlagen<br />

vor allem für die A-, B-<strong>Dekontamination</strong> von Patienten<br />

im Transport- und Hospitalisationsraum mit<br />

Schwergewicht Spital!<br />

Eine Zusammenarbeit auf den Stufen Bund<br />

(inklusive Armee) und Kantone ist im Hinblick auf<br />

ABC-Gefahren und -Risiken unabdingbar! Die aktuelle<br />

Bedrohungslage erfordert ebenso unverzichtbar<br />

den Einbezug aller drei Komponenten „ABC“, um<br />

auf alle möglichen Eventualitäten (z.B. dirty bomb)<br />

vorbereitet zu sein.<br />

Optimale Lösung: <strong>Dekontamination</strong>szelte außerhalb des Spitals.<br />

(Fotos: BBK)<br />

Erste Lösungsansätze für ein einheitliches<br />

Konzept „ABC-<strong>Dekontamination</strong>“<br />

Damit fehlende konzeptionelle Grundlagen für<br />

die ABC-<strong>Dekontamination</strong> von Patienten sowie Anforderungen<br />

an einen zeitgemäßen „medizinischen<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

ABC-Schutz“ raschmöglichst entwickelt und in das<br />

laufende Projekt „Nationaler ABC-Schutz“ integriert<br />

werden können, erhielt die Geschäftsstelle KSD<br />

2004 den Auftrag, eine fachlich breit abgestützte Arbeitsgruppe<br />

zu bilden mit dem Ziel, rasch ein möglichst<br />

effizientes, modernes und in seinen Abläufen<br />

für zivile und militärische Verantwortliche und Einsatzkräfte<br />

einheitliches Schweizer Konzept (ABC-<strong>Dekontamination</strong>)<br />

zu erarbeiten. Es soll klare Aussagen<br />

zum Ablauf der <strong>Dekontamination</strong> und den materiellen<br />

und personellen Anforderungen (Schutzausrüstung,<br />

Medikamente, Ausbildung usw.) enthalten, welche<br />

im Bevölkerungsschutz und in der Armee zur<br />

Anwendung gelangen sollen.<br />

Als Chef der Geschäftsstelle KSD wurde ich,<br />

gemeinsam mit PD Dr. med. Sergei Bankoul, mit der<br />

Leitung dieser Arbeitsgruppe „<strong>Dekontamination</strong> von<br />

Patienten — Konzept Schweiz“ beauftragt. Im Sommer<br />

2005 führten wir mit einer Kerngruppe dieser<br />

Arbeitsgruppe eine zweitägige Klausur durch. Deren<br />

Ergebnis ließ die Kerngruppe zum Schluss kommen,<br />

dass der Ansatz für eine optimale Lösung „Schweiz“<br />

gefunden worden sei. Die Genehmigung — im Grundsatz<br />

und in allen Einzelheiten — durch die ganze<br />

Arbeitsgruppe liegt noch nicht vor. Sie soll noch<br />

vor Ende 2005 erfolgen.<br />

Als Mitorganisatorin der EURO 08 steht auch<br />

die Schweiz vor ähnlichen Herausforderungen wie<br />

Deutschland in Bezug auf die Fußball WM 2006.<br />

Aus Schweizer Sicht kam noch hinzu, dass bereits<br />

im Oktober 2005 abzusehen war, dass der raschmöglichen<br />

Erarbeitung eines definitiven Konzepts auch<br />

bezüglich der aktuellen Bedrohung „Vogelgrippe“<br />

ein hoher Stellenwert beigemessen werden sollte.<br />

„Worst Case“ als Ausgangslage<br />

Eine erste Analyse der Arbeitsgruppe hat ergeben,<br />

dass praktisch bei jedem Ereignis, insbesondere<br />

bei Großereignissen, damit zu rechnen ist, dass A-,<br />

B- oder C-kontaminierte Patienten ohne <strong>Dekontamination</strong>svorbehandlung<br />

vor einem Spital durch Transporte<br />

(Ambulanz, Privattransport, Selbsteinweiser)<br />

eintreffen könnten. Gerade im Ereignis C-Terror in<br />

Tokyo (Sarin) waren es sogar 80 Prozent aller Patienten<br />

(rund 5.000), welche nicht durch eine Schadenplatzorganisation<br />

in die umliegenden Spitäler<br />

eingeliefert wurden.


Der größte Handlungsbedarf bei der ABC-<strong>Dekontamination</strong><br />

besteht im Transport- bzw. insbesondere<br />

im Hospitalisationsraum. Abklärungen haben gezeigt,<br />

dass vorbereitete Spitäler vorwiegend die <strong>Dekontamination</strong><br />

von C-verseuchten Patienten im Katastrophenplan<br />

des Spitals berücksichtigen.<br />

Die Arbeitsgruppe bestimmte für die <strong>Dekontamination</strong><br />

von Patienten folgende Zielvorgaben:<br />

•Das Personal darf nicht gefährdet werden (es muss<br />

sich maximal schützen!)<br />

•Der Patient soll nicht länger leiden (Triage, lebensrettende<br />

Sofortmaßnahmen).<br />

•Der Patient soll dekontaminiert sein für die nachfolgende<br />

sanitätsdienstliche Behandlung.<br />

•Die Kontamination darf sich unter keinen Umständen<br />

im Spital verbreiten.<br />

•Die ABC-<strong>Dekontamination</strong> ist Bestandteil des<br />

Katastrophenplans des Spitals.<br />

Im Vordergrund stand zudem der Lösungsansatz,<br />

die <strong>Dekontamination</strong>sabläufe so einfach wie<br />

möglich zu gestalten und wenn immer möglich für<br />

A, B und C zu vereinheitlichen, damit sie rasch zur<br />

Routine werden.<br />

Gemeinsamkeiten der ABC-<strong>Dekontamination</strong><br />

Ein Ablaufschema für die ABC-<strong>Dekontamination</strong><br />

von Patienten:<br />

1 Entkleiden<br />

2 Patient in <strong>Dekontamination</strong>sstelle einweisen,<br />

Lebensrettende Sofortmaßnahmen /Triage<br />

3 Patient duschen,<br />

Wasser, Desinfektionsmittel für Haut und Wunden.<br />

4 Patient trocknen<br />

5 Entstrahlung, Entgiftung, Entseuchung messen,<br />

Probenahme für Diagnostik<br />

6 Eventuell Prozesse 2 bis 4 wiederholen<br />

7 Patient neu einkleiden (Witterungsschutz / Atemschutz<br />

bei „B-Verdacht“)<br />

8 Abwasser auffangen<br />

9 Weiter- bzw. Endbehandlung des Patienten im Spital<br />

Punkte 1 bis 8 umfassen<br />

•den eigentlichen <strong>Dekontamination</strong>sprozess, welcher<br />

durch nicht ärztliches Personal mit spezieller<br />

<strong>Dekontamination</strong>sausbildung (<strong>Dekontamination</strong>sassistenten)<br />

vollzogen werden kann<br />

•psychologische Betreuung (Stressmanagement)<br />

durch <strong>Dekontamination</strong>sassistenten<br />

•Durchführung von lebensrettenden Sofortmaßnahmen<br />

während des <strong>Dekontamination</strong>sprozesses<br />

durch Arzt/Rettungssanitäter mit spezieller <strong>Dekontamination</strong>sausbildung<br />

in Maximalschutz und setzen<br />

Maximalschutzausrüstung, Ausbildung<br />

und regelmäßiges Training voraus.<br />

Punkt 9 erlaubt die Übernahme des dekontaminierten<br />

Patienten durch das Spital für dessen sanitätsdienstliche<br />

Endbehandlung.<br />

Empfehlung zu Punkt 2:<br />

•Optimale Lösung: <strong>Dekontamination</strong>szelte außerhalb<br />

des Spitals (belüftet, heizbar, wasserdicht, in<br />

zwei Bahnen trennbar, mit Auffangeinrichtung für<br />

kontaminiertes Wasser)<br />

•Gute Lösung: Vorbereitete Räume außerhalb bzw.<br />

in der Nähe des Spitals<br />

•Minimale Lösung: Schleusen eines geschützten<br />

Spitals für A- oder C-<strong>Dekontamination</strong> sind<br />

grundsätzlich möglich, sofern fließendes Kalt- und<br />

Warmwasser vorhanden ist (Abwasser muss aufgefangen<br />

werden können).<br />

Im Weiteren ist vorgesehen, Besonderheiten<br />

zur <strong>Dekontamination</strong> (Abweichungen zu Gemeinsamkeiten)<br />

bei Ursache A, B und C separat und im<br />

Detail festzuhalten. Es würde in diesem Beitrag zu<br />

weit führen, näher darauf einzugehen, da auch diese<br />

Einzelheiten noch nicht genehmigt sind.<br />

Anforderungen an das Spitalpersonal<br />

(<strong>Dekontamination</strong>sassistenten)<br />

Maximalschutz des Spitalpersonals (bis Agens<br />

bekannt ist!)<br />

•Spitalhygieniker mit Know-how über ABC-<strong>Dekontamination</strong><br />

(Geräte, <strong>Dekontamination</strong>smittel, Ort<br />

der <strong>Dekontamination</strong>).<br />

•Qualifikation des Personals: für die <strong>Dekontamination</strong><br />

der gehfähigen Personen braucht es keine<br />

medizinische Ausbildung. Die <strong>Dekontamination</strong><br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

41


42<br />

DEKON: MEDIZIN<br />

von schwer beeinträchtigten, nicht gehfähigen Personen<br />

(Intubation usw.) muss durch medizinisches<br />

Personal vorgenommen werden.<br />

•Schutz des Personals: Maximalschutz: entsprechend<br />

den heutigen Standards (Vollschutzanzug<br />

mit Pressluftatmer), Minimalschutz: Schutzanzug<br />

SA 99 (Zivilschutz) oder CSA 2000 (Militär) mit<br />

Stiefeln/Überschuhen und Schutzmaske 74/90. Zu<br />

beachten ist insbesondere, dass der Schutz der<br />

Atemwege notwendig ist, weil inhaliertes B nicht<br />

ausgeschlossen werden kann.<br />

•Individuelle Kleiderentsorgung mit Möglichkeit<br />

der Zuordnung zum Patienten. Wertsachen und<br />

Kleider sind zu unterscheiden.<br />

•Bedürfnisse der Forensik sind zu beachten!<br />

•Medizinisches Personal muss den technischen<br />

Dienst bei <strong>Dekontamination</strong>sprozessen unterstützen.<br />

Ausbildung<br />

•Alle Einsatzkräfte, Spitalpersonal und Verantwortliche<br />

in jedem Spital: Minimale standardisierte<br />

<strong>Dekontamination</strong>skenntnisse zum Selbstschutz.<br />

•Designiertes <strong>Dekontamination</strong>sspital: Fixer Personalpool<br />

(medizinische und technische <strong>Dekontamination</strong>sassistenten)<br />

mit sichergestelltem Pikettdienst.<br />

•Die Ausbildung (Bedarf/Kurse) muss noch definiert<br />

werden. Sie soll durch den Bund angeboten<br />

werden. Die Kosten trägt ebenfalls der Bund<br />

(ohne Unterkunft und Verpflegung).<br />

Weiteres Vorgehen<br />

Sobald die Lösung für den Hospitalisationsraum<br />

in allen Einzelheiten vorliegt, ist vorgesehen,<br />

diese Lösungsansätze auch für die anderen Glieder<br />

der Rettungskette (Schadenraum, Transportraum)<br />

sinngemäß zu adaptieren (nach Möglichkeit im<br />

Frühjahr 2006).<br />

Es versteht sich von selbst, dass die Umsetzung<br />

der vorgeschlagenen Lösung (insbesondere bei<br />

Maximallösungen) durch die Politik (und damit durch<br />

die heute verfügbaren Finanzen) beeinflusst wird.<br />

Das Wichtigste des definitiven Konzepts<br />

„ABC-<strong>Dekontamination</strong> der Schweiz“ soll in einem<br />

einfachen übersichtlichen Prospekt (Handbuch)<br />

zusammengefasst werden, den alle Helfer auf sich<br />

tragen.<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Zusammenfassung und Lehren für die Schweiz<br />

•Die Schweizer Arbeitsgruppe «ABC-<strong>Dekontamination</strong><br />

Konzept Schweiz» ist mit dem beschriebenen<br />

Lösungsansatz auf dem richtigen Weg.<br />

•Jedes Akutspital muss raschmöglichst, insbesondere<br />

auch im Hinblick auf die Vorbereitungen<br />

EURO 08, die Fähigkeit erlangen, A-, B-, oder C-<br />

<strong>Dekontamination</strong>en von Patienten oder Spitaleinrichtungen<br />

selbstständig (personell und materiell)<br />

durchführen zu können. Die Gefahr durch sich<br />

selbst einweisende Patienten darf nicht unterschätzt<br />

werden!<br />

•Das Kompetenzzentrum ABC in Spiez (Kanton<br />

Bern) muss entsprechend der heutigen A-, B-, und<br />

C-Bedrohung bezüglich Schutzausrüstung so rasch<br />

wie möglich die Konsequenzen ziehen und anstelle<br />

der militärischen C-Schutzanzüge zeitgemäße<br />

Vollschutzanzüge in den <strong>Dekontamination</strong>sprozess<br />

integrieren.<br />

•Auf Bundesebene muss unverzüglich eine einheitliche<br />

ABC-<strong>Dekontamination</strong>sausbildung für zivile<br />

und militärische Spezialisten erarbeitet, die<br />

gesamtschweizerisch für Rettungskräfte und Spitalpersonal<br />

ausgeschrieben und angeboten wird.<br />

•Das Thema «ABC-<strong>Dekontamination</strong>» muss priorisiert<br />

werden, um an der EURO 08 bestmöglich<br />

vorbereitet zu sein.<br />

Schlussfolgerung<br />

Die vorgestellten Lösungsansätze des Schweizer<br />

Konzepts sind prioritär weiter zu entwickeln,<br />

damit sie rechtzeitig in genehmigter Form vorliegen.<br />

Schon heute ist absehbar, dass die Schweiz im<br />

nächsten Jahr bei ihren Vorbereitungen auf die<br />

EURO 08 dank dem geknüpften Netzwerk mit allen<br />

12 Austragungsorten der WM 06 in Deutschland<br />

von deren Erfahrungen profitieren kann. Die enge<br />

Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der<br />

Schweiz und der kommende Erfahrungsaustausch<br />

im Anschluss an die WM 06 ist notwendig. Sie stellt<br />

sicher, dass die Schweiz im Hinblick auf die EURO<br />

08 auch im Bereich «ABC» bestmöglich vorbereitet<br />

sein wird.


<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />

Workshop 1: Umsetzung im präklinischen Bereich<br />

Jürgen Schreiber, SKK-PG9, und Marion Jahns, BBK<br />

Der erste Workshop, im Sinne eines Arbeitstreffens,<br />

fand im April dieses Jahres statt. Damals wurden die<br />

Grundvorgaben und Notwendigkeiten der Organisation<br />

zur präklinischen Versorgung kontaminierter Patienten<br />

diskutiert. Dieser Folgeworkshop wurde schon<br />

im April auf Wunsch aller Beteiligten aus den verantwortlichen<br />

Organisationen der Bundesländer, in<br />

denen WM–Austragungsorte liegen, initiiert. Das<br />

jetzige Treffen sollte ein erneutes Diskussionsforum<br />

im Rahmen der fortgeschrittenen Vorbereitungen<br />

zur WM 2006 anbieten. Im Folgenden werden wir den<br />

Ablauf, den Diskussionsstand und auch offene Fragen<br />

darstellen.<br />

Workshop – Ablauf<br />

Die Zielsetzung des Workshops war unter zwei<br />

Überschriften gesetzt. Zunächst sollte, dem „Buttom<br />

-up-Prinzip“ folgend, mit der Überschrift „Aufzeigen<br />

von Handlungsprämissen, damit bundesweit eine<br />

<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong> umgesetzt werden kann“<br />

erörtert werden, wie grundsätzlich dieses Thema in<br />

der täglichen Gefahrenabwehr unter Beteiligung der<br />

vorhandenen Ressourcen und Fachdienste umgesetzt<br />

werden kann. Dabei sollten „Allgemeingültigkeit“<br />

und „Standardisierung“ in der Umsetzung im Mittelpunkt<br />

stehen, nicht aber der Massenanfall kontaminierter<br />

verletzter Betroffener. Unter der zweiten Überschrift<br />

„Erzeugen von Handlungssicherheit bei einem<br />

Massenanfall dekontaminationspflichtiger Betroffener“<br />

sollten dann Möglichkeiten erörtert werden,<br />

wie bei den erwarteten Szenarien eines MANV kontaminierter<br />

Betroffener anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft<br />

2006 „Dekon-P“ und „Dekon-V“ vielleicht<br />

noch an der Schadenstelle, jedoch in jedem<br />

Fall im präklinischen Bereich umgesetzt werden<br />

können.<br />

Angeregt durch Impulsreferate 1 sollten folgende<br />

Aspekte diskutiert werden:<br />

•Unter welchen Voraussetzungen ist eine <strong>Dekontamination</strong><br />

<strong>Verletzter</strong> bei CBRN-Einsätzen sinnvoll?<br />

•Unter welchen Bedingungen ist eine <strong>Dekontamination</strong><br />

<strong>Verletzter</strong> im präklinischen Bereich möglich?<br />

Aus diesen Impulsvorträgen leiteten sich die<br />

nachfolgenden Diskussionsthemen ab:<br />

•Welche Aktionsfelder sind bei radionuklearer Kontamination<br />

gegeben?<br />

•Welche Aktionsfelder sind in B-Lagen gegeben?<br />

•Welche Aktionsfelder sind zum Einsatz von <strong>Dekontamination</strong>smitteln<br />

und Desinfektionsmitteleinsatz<br />

gegeben?<br />

•Wie gestaltet sich die <strong>Dekontamination</strong>ssichtung?<br />

•Wie ist der Einsatz des Rettungsdienstes, des Sanitätsdienstes<br />

und des Betreuungsdienstes im Kontaminationsbereich<br />

zu organisieren?<br />

•Wie muss die Medizinische Ablauforganisation<br />

gestaltet sein?<br />

•Welche personellen, materiellen und organisatorischen<br />

Vorbereitungen müssen getroffen werden?<br />

Die sehr intensiven Diskussionen, teilweise mit<br />

deutlich konträren Einstellungen zu den verschiedensten<br />

Problematiken, zeigten für alle Teilnehmer<br />

einen signifikanten, in der Ausprägung allerdings<br />

divergierenden, Handlungsbedarf auf. Ebenso wurde<br />

der Bedarf eines zentralen Forums als konkreter<br />

1 s. in diesem Heft: Schild, S. 25; Schreiber, S. 29; Suttrop, S. 31;<br />

Krawczyk, S. 37; Domres, S. 45<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

43


44<br />

DEKON: MEDIZIN<br />

Ansprechpartner, Informationsaustauschstelle und<br />

zentralen Koordinators sehr deutlich gemacht. Weitere<br />

Mankos sowohl auf kommunaler als auch auf<br />

Länderebene sind:<br />

•eine, in weiten Teilen fehlende Standardisierung<br />

und Vereinheitlichung im Krisenfall einzusetzender<br />

Mittel,<br />

•die Standardisierung von Arbeitsabläufen und hier<br />

für speziell geschultes Personal,<br />

•die standardisierte Grundausbildung aller, bei<br />

CBRN-Lagen involvierter Personen.<br />

Unter Berücksichtigung des aktuellen Status der<br />

Vorbereitungen auf die WM, kam man gemeinsam<br />

zu einer abschließenden Ergebnisdarstellung. Als Basiserkenntnis<br />

muss festgehalten werden, dass wegen der<br />

fehlenden Schutzzieldefinition in Bezug auf die Vorbereitung<br />

der Austragungsorte folgende Prämisse<br />

festgelegt wurde:<br />

Für die ersten 4 Behandlungsplätze<br />

(nach Musterkonzept) muss jeweils eine<br />

Dekon-V-Einheit von dem jeweilig<br />

Entsendenden des BHP mit entsandt werden.<br />

Dezentrale Event-Orte in die Planung der Dekon-V Vorhaltung<br />

einbeziehen<br />

Daraus ergaben sich die in der Tabelle (unten)<br />

aufgeführten Diskussionsergebnisse, aufgelistet nach<br />

Anforderungen und Empfehlungen.<br />

Ziel aller Maßnahmen zur <strong>Dekontamination</strong><br />

betroffener und/oder verletzter Personen im präklinischen<br />

Bereich von CBRN-Lagen im Zusammenhang<br />

mit Großereignissen wie der Fußballweltmeisterschaft<br />

2006 muss sein, dekontaminierte Verletzte<br />

in die klinische Behandlung zu überleiten. Abhängigkeiten<br />

zwischen der Anzahl der Betroffenen, den<br />

Rahmenbedingungen der eingetretenen Gefahrenund<br />

Schadenslage, sowie von den „machbaren Reaktivmaßnahmen“<br />

ergeben das Rest-Risiko einer Kontaminationsverschleppung.<br />

Es erscheint unabdingbar,<br />

dass Krankenhausvorbereitung zu Dekon-V,<br />

genau so zu planen ist, wie die Einrichtung öffentlicher<br />

Anlaufstellen zur <strong>Dekontamination</strong> Betroffener<br />

und die Betreuung und Beratung der Bevölkerung.<br />

Anforderungen Empfehlungen<br />

Besondere persönliche Schutzausrüstung entsprechend zu<br />

erwartender Risiken für Kräfte im Schwarzbereich vorhalten<br />

Nutzung der mobilen Dekon-V Module der in Bereitstellung stehenden<br />

Behandlungsplätze<br />

Nutzung der ABC-Schutzausstattung/ Bund für diesen Anlass, Anforderung<br />

durch die Spielstätten; Klärung der Kostenübernahme für Rettungsdienst,<br />

Sanitätsdienst, Betreuungsdienst und Polizei; Depothaltung für Reserve- PSA<br />

(Persönliche Schutzausstattung)<br />

Sicherstellung eines geordneten Dekon-V Ablaufes Bereitstellung geeigneter Detektionstechnik vor und nach Dekon-V; Einrichten<br />

einer Patientenablage „ Schwarz „; Vorhaltung einer nicht disponierten<br />

SEG-ABC/San zum Soforteinsatz; Entkleiden der Verletzten möglichst schon<br />

auf der Patientenablage „Schwarz“; Vorbereitung/ Ausbildung von Einsatzkräften<br />

im Umgang mit kontaminierten Verletzten<br />

Zur Panikprävention sind im Vorfeld einer eskalierenden<br />

Situation Hinweise zum Verhalten in einem solchen Fall an<br />

alle Besucher öffentlicher Veranstaltungen zu geben.<br />

Panikprävention und Maßnahmen zur Deeskalation in einer<br />

eskalierenden Situation und Schutz der Einsatzabläufe<br />

Flyer mit den Zutrittsberechtigungen ausgeben;<br />

Einweisung von Besuchern über Leinwände und Event –Technik zum Verhalten<br />

im Gefahrenfall ( standardisiert, ortsbezogen, multinational verständlich<br />

in Bild und Ton ) und Hinweise zu Sicherheits- und Hilfseinrichtungen<br />

Polizeiliche Sicherung der Einsatzabläufe im Schadensbereich bis hin zum<br />

Behandlungsplatz;<br />

KIT/PSU für die Massendekontamination<br />

Sanitätsmittel- und Antidot-Vorhaltung vor Ort sicherstellen Integration dieser Sicherstellungsanforderung in laufende Planungsprojekte;<br />

Aufbau zentraler Logistikpools an den Austragungsorten; Logistikmanagement<br />

für die Zuführung an die Behandlungsplätze<br />

Zentrale, bundesweit zuständige Koordinierungs-Stelle zur<br />

Vorbereitung der Dekon-V im Zusammenhang mit der WM<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Einrichtung eines ständig verfügbaren, Experten getragenen Arbeitskreises<br />

für Beratung-, Koordinations- und Informationsleistungen


<strong>Dekontamination</strong> und<br />

Behandlung <strong>Verletzter</strong><br />

Ergebnisse eines Forschungsauftrags des BMI<br />

Von B. Domres, S. Brockmann, A. Manger und R. Wenke<br />

Es gibt 11 Millionen Chemikalien, davon werden regelmäßig<br />

70.000 verschiedene Substanzen jährlich<br />

weltweit in einer Menge von ca. 500 Millionen Tonnen<br />

produziert, transportiert und verwendet. Eine<br />

Kontamination mit chemischen Schadstoffen kann als<br />

Folge eines Unfalls nach ungewollter Freisetzung<br />

toxischer Chemikalien auftreten. Auch besteht das Risiko,<br />

dass chemische Kampfstoffe von kriminellen<br />

Banden und Terroristen eingesetzt werden, da die Herstellung<br />

einfach ist und die dazu notwendigen Ausgangsstoffe<br />

relativ leicht beschafft werden können.<br />

Von den 70.000 chemischen Substanzen wurden seit<br />

dem Jahr 1900 70 verschiedene von militärischer Seite<br />

im Krieg und von Terroristen eingesetzt.<br />

Daher sind effektive Konzepte zur <strong>Dekontamination</strong><br />

sowohl am Schadensort als auch vor der stationären<br />

Aufnahme ins Krankenhaus zu fordern. Für<br />

die <strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong> am Schadensort hat<br />

die AGKM der Universität Tübingen im Auftrag des<br />

Bundesinnenministeriums ein Konzept erarbeitet<br />

(1008/00/1-XA2), das auf den 460 Dekon-P-Einheiten<br />

basiert, die vom Bund nach einem Schlüssel pro<br />

180.000 Einwohner den Feuerwehren überstellt wurden.<br />

Nach einem Zwischenfall mit chemischen Gefahrstoffen<br />

muss man grundsätzlich davon ausgehen, dass<br />

alle Personen, die sich im Gefahrenbereich aufgehalten<br />

haben, kontaminiert sind. Daher ist eine <strong>Dekontamination</strong><br />

aller Betroffenen mit anschließendem<br />

Kontaminationsnachweis unerlässlich. Dies muss zum<br />

Schutz der Betroffenen so rasch wie möglich vor<br />

Ort geschehen aus folgenden Gründen:<br />

1. eine Einwirkung von Chemikalien auf den menschlichen<br />

Körper kann bei Verzögerung der <strong>Dekontamination</strong><br />

zu weiteren Schäden des Patienten führen.<br />

2.Einsatzkräfte, die in Kontakt mit den Kontaminierten<br />

kommen, müssen vor der Chemikalie<br />

geschützt werden.<br />

3.Nachfolgende medizinische Versorgungseinheiten<br />

wie Krankenhäuser und Behandlungsplätze müssen<br />

frei von jeglicher Kontamination gehalten werden,<br />

da ansonsten die weitere Versorgung von<br />

Gefährdeten, Erkrankten und Verletzten massiv<br />

beeinträchtigt werden kann.<br />

4.Insgesamt muss gefolgert werden, dass eine Verschleppung<br />

der Kontamination schwerwiegende<br />

Einflüsse auf die rettungsdienstliche sowie medizinische<br />

Infrastruktur und das „Outcome“ der Verletzten<br />

haben kann.<br />

Wie der Terroranschlag mit dem Nervengift<br />

Sarin der Aum-Sekte in Tokio 1995 zeigt, werden<br />

Krankenhäuser aufgrund unterlassener <strong>Dekontamination</strong><br />

inkapaziert. Infolge des Abgasens der giftigen,<br />

flüchtigen Substanzen, die von den Betroffenen<br />

ausgehen, wird das Krankenhauspersonal gefährdet<br />

und arbeitsunfähig.<br />

Beispiel Tokio:<br />

Der Giftgasanschalg auf die Tokyoter U-Bahn<br />

hat die Probleme und Defizite der herkömmlichen<br />

Katastrophenplanungen aufgedeckt. So wurde das<br />

Krankenhaus innerhalb weniger Stunden nach dem<br />

Zwischenfall von Selbsteinweisern „überrannt“.<br />

Am Schadensort wurde keine <strong>Dekontamination</strong><br />

durchgeführt und alle Patienten, die mobil waren,<br />

haben sich auf eigene Faust und somit „unkoordiniert“<br />

in Behandlung begeben.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

45


46<br />

DEKON: MEDIZIN<br />

Die nicht vorhandene<br />

Ausrüstung bzw.<br />

Planung für ein solches<br />

Ereignis führte sekundär<br />

zu zahlreichen Problemen<br />

in der Notfallbehandlung.<br />

Die Triage<br />

wurde in einer Halle mit<br />

unzureichender Entlüftung<br />

durchgeführt, und<br />

Patienten wurden primär<br />

nicht entkleidet (als<br />

erste „Maßnahme“ der<br />

<strong>Dekontamination</strong>).<br />

Lessons learned<br />

Als „lessons learned“<br />

aus dem Giftgasanschlag<br />

gelten die folgenden<br />

Erkenntnisse:<br />

•Nach Möglichkeit immer<br />

eine Vor- Ort <strong>Dekontamination</strong>durchführen,•<strong>Dekontamination</strong>ssysteme<br />

müssen also vorgehalten<br />

werden,<br />

•Schutzausrüstung<br />

(PSA) für Einsatzkräfte<br />

muss vorgehalten werden,<br />

•Krankenhäuser mit<br />

<strong>Dekontamination</strong>seinheit<br />

ausstatten.<br />

•Unterrichtung, Einweisung<br />

und in Übunghalten<br />

des Personals<br />

Ablauf der<br />

<strong>Dekontamination</strong><br />

Folgender Ablauf<br />

der <strong>Dekontamination</strong><br />

wird von unserer Arbeitsgruppe<br />

empfohlen:<br />

Anzahl Patienten Schweregrad der Verletzung / Kontamination<br />

1414<br />

164<br />

520<br />

107<br />

4<br />

Patienten zur ambulanten Behandlung<br />

Patienten zur stationären Behandlung<br />

Leichtverletzte<br />

Mittelschwerverletzte<br />

Schwerverletzte<br />

Tabelle 1: Massenanfall von Verletzten nach dem Sarin-Giftgasanschlag in Tokio: St. Luke`s Hospital<br />

(600 Betten).<br />

Anzahl Patienten Transportmittel<br />

35% (174)<br />

24% (120)<br />

14% (67)<br />

13% (64)<br />

7% (35)<br />

1,5% (7)<br />

Wo Wieviele Wer<br />

Vor Ort 135<br />

(9,9%)<br />

von 1364<br />

Krankenhaus 110 (23%)<br />

von 472<br />

zu Fuß<br />

mit Taxi<br />

per Anhalter<br />

Einsatzfahrzeug Feuerwehr<br />

Krankenwagen / Rettungsdienst<br />

Polizei<br />

Rettungskräfte mussten ihre<br />

Rettungstätigkeit einstellen und<br />

medizinisch behandelt werden<br />

(vor allem Transportpersonal)<br />

Krankenhauspersonal zeigte akute<br />

Intoxikationssymptome<br />

(abhängig von der Raumbelüftung)<br />

Tabelle 3: Sekundärkontaminationen von Einsatz nach dem Sarin-Giftgasanschlag.<br />

Anzahl Personal Symptom / betroffenes Organ<br />

66 (60%)<br />

52 (47%)<br />

39 (35%)<br />

25 (23%)<br />

14 (13%)<br />

12 (11%)<br />

9 (8,2%)<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Tabelle 2: Eintreffen von Patienten im St. Luke`s Hospital (n = 498 Patienten).<br />

Augen<br />

Kopfschmerz<br />

Rachenschleimhautreizung<br />

Dyspnoe<br />

Übelkeit<br />

Schwindel<br />

Nasenschleimhautreizung<br />

Tabelle 4: Symptome des Krankenhauspersonals nach Sekundärexposition (n = 110) in Folge des<br />

Sarin-Giftgasanschlages


•Registratur,<br />

•Entkleidung,<br />

•Triage,<br />

•Spotdekontamination des Gesichtes, der Körperregionen<br />

für invasive Zugänge und der Wunden,<br />

•Abdeckung der Wunden mittels wasserdichter<br />

Folien,<br />

•Antidotgabe,<br />

•lebensrettende Sofortmaßnahmen (basic life support),<br />

•Ganzkörper-<strong>Dekontamination</strong> ( 1 min Duschen, 2<br />

min Einschäumen, 3 min Duschen),<br />

•Detektion bzw. Kontaminationsnachweis,<br />

•stationäre Aufnahme,<br />

•diagnostische und therapeutische Maßnahmen,<br />

•Wundversorgung und operative Behandlung.<br />

Als Ausnahme der Ganzkörper-<strong>Dekontamination</strong><br />

mit Schaum und Wasser gelten die Kontamination<br />

mit korrosiven Kampfstoffen wie Senfgas und<br />

Mustard, wo es zur Schädigung der Haut in Form<br />

von Blasenbildung kommt. Hier ist eine Trocken-<br />

<strong>Dekontamination</strong> mit Pulver z.B. folgender Zusammensetzung<br />

vorzunehmen:<br />

•Polystyrene<br />

•Natriumhypochlorit<br />

•Kohle oder harzartige Grundsubstanz<br />

Personalbedarf für die Erstbehandlung<br />

und <strong>Dekontamination</strong><br />

80 Einsatzkräfte, ausgerüstet mit Chemieschutzanzügen<br />

und Atemschutz, der Feuerwehr und<br />

des Rettungsdienstes sind nötig, um 50 Verletzte<br />

(davon 10 Schwerverletzte) innerhalb von 90 min<br />

notfallmedizinisch zu behandeln und zu dekontaminieren.<br />

Operative Versorgung kontaminierter Wunden<br />

Vor allem die beiden folgenden Stoffklassen<br />

verursachen eine lebensbedrohende Wirkung in<br />

Wunden:<br />

•Blasenbildendes Mustard wird innerhalb weniger<br />

Minuten resorbiert, reagiert mit Gewebe- und<br />

Blutkomponenten und verursacht dann eine<br />

Gewebsnekrose.<br />

•Nervengifte wirken durch ihre rapide Bindung an<br />

das Enzym Acetylcholinesterase. Aufgrund der<br />

raschen Resorption und hohen Toxizität (ein<br />

Bruchteil eines Tropfens ist die letale Dosis) gelangen<br />

diese Verletzte kaum mehr lebend in ein Krankenhaus.<br />

Nur das Nervengift VX wird nicht ganz<br />

so schnell resorbiert und findet sich noch längere<br />

Zeit in den Wunden dieser so Verletzten.<br />

Nervengifte in Form eingedickter Substanzen<br />

machen besondere Vorsichtsmaßnahmen gegen Abgasung<br />

und zum Schutz des Personals erforderlich.<br />

Die Abgasung geht nur von in den Wunden<br />

inkorporierten Fremdkörpern aus, und ihre Wirkung<br />

ist geringgradig. Daher sind keine zusätzlichen<br />

Maßnahmen wie z.B. Atemschutzmasken für das<br />

OP-Personal notwendig.<br />

Die Hauptgefahr resultiert aus dem direkten<br />

Hautkontakt und der Kontamination auch kleinster,<br />

banaler Oberflächenläsionen der Haut, die selbst<br />

unbemerkt während der Operation auftreten können.<br />

Um dies zu vermeiden, sind grundsätzlich zwei<br />

Vorsichtsmaßnahmen unerlässlich:<br />

•Doppelte Handschuhe.<br />

Die zwei Paar Handschuhe sind nach jeweils 20<br />

min zu wechseln entsprechend der Dichtigkeitszeit<br />

von 20 min..<br />

•„No touch technique“<br />

Wunden dürfen nur instrumentell exploriert werden<br />

und unter keinen Umständen mit den Fingern<br />

ausgetastet werden.<br />

Cyanide sind sehr flüchtig, sodass sie sich als<br />

Flüssigkeit nur sehr kurze Zeit in Wunden halten.<br />

Quintessenz<br />

Das Konzept der <strong>Dekontamination</strong> in Krankenhäusern<br />

beinhaltet nicht nur die materielle Ausrüstung<br />

einer mobilen oder stationären <strong>Dekontamination</strong>sanlage,<br />

den Atemschutz und die Schutzkleidung,<br />

sondern auch das Wissen und die praktischen<br />

Skills des Personals. Voraussetzung dafür ist eine<br />

lückenlose zusätzliche Fortbildung und in Übung-<br />

Haltung aller Beschäftigten.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

47


DEKON: KLINIK<br />

<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />

Workshop „Vorbereitung der Krankenhäuser“<br />

Von Danica Gauchel-Petrović und Dr. Angelika Flieger<br />

Katastrophenplanung der Krankenhäuser<br />

Im Fall einer anzunehmenden ABC-Lage<br />

könnten die Krankenhäuser mit einer großen Zahl<br />

von kontaminierten Patienten konfrontiert werden,<br />

was die einzelnen Kliniken zu einer medizinischen<br />

Massenbehandlung mit beschränkten Mitteln und<br />

einer gezielten Auswahl von Erkrankten je nach<br />

Tab. 1: BBK Check-Liste zur Krankenhausalarmplanung<br />

Dringlichkeit zwingen würde. Um die Krankenhäuser<br />

auf einen solchen Katastrophenfall vorzubereiten,<br />

haben einige Bundesländer die Erstellung von<br />

Krankenhausalarmplänen gesetzlich vorgeschrieben.<br />

Bereits im Vorfeld sollten grundlegende Maßnahmen<br />

und Abläufe festgelegt und mittels regelmäßiger<br />

Übungen auf ihre praktische Umsetzbarkeit<br />

überprüft werden. Eine exemplarische Aufstellung<br />

von Maßnahmen zur Krankenhausalarmplanung<br />

zeigt Tabelle 1.<br />

48 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Aufgrund des föderalen Systems der Bundesrepublik<br />

ist der Katastrophenschutz nicht einheitlich<br />

geregelt. Daraus ergeben sich zum Teil große Unterschiede<br />

bei der Katastrophenvorsorge der Krankenhäuser.<br />

Aktuelle Umfragen zeigen, dass in vielen<br />

Krankenhäusern Katastrophenschutzpläne ganz fehlen<br />

oder aber nicht ausreichend ausgearbeitet, aktualisiert<br />

und beübt worden sind. 1 Dies liegt nicht<br />

• Definition einer Krankenhauseinsatzleitung<br />

• Festlegung einer Alarmierungskette<br />

• Strategien für eine entsprechende Kapazitätserweiterung (räumlich und personell)<br />

• Festlegung von <strong>Dekontamination</strong>sstellen / Einteilung in Hygienezonen<br />

• Definition der Patientenwege (Krankentransport, Triage, Regelung der Zufahrtswege, ggf. Kohortenbildung)<br />

• Patientenversorgung (Unterkunft, Verpflegung)<br />

• Vorhaltung von entsprechendem Equipment, Bevorratung von Medikamenten und Desinfektionsmitteln sowie<br />

Depots für Schutzkleidung<br />

• Entsorgung von kontaminiertem Material<br />

• Definition der Kommunikationswege vor Ort (Telefon, Fax, Internetzugang)<br />

• Ausbildung des Personals zu Maßnahmen des Selbstschutzes und zur <strong>Dekontamination</strong> von Patienten<br />

• Beratung durch Kompetenzzentren<br />

• Öffentlichkeitsarbeit<br />

• Sicherung (Bedarf an Sicherheitskräften / Polizei)<br />

zuletzt daran, dass die Erstellung von Krankenhausalarmplänen<br />

einen zusätzlichen Kostenfaktor für die<br />

Krankenhäuser darstellt, da damit verbundene Aufwendungen,<br />

wie etwa Bevorratungen, Vorhaltung<br />

1 Sefrin, P. und Schmiedle, M.: Limitierende Faktoren der stationären<br />

Versorgung unter katastrophenmedizinischen Bedingungen.<br />

Der Notarzt (19), S. 220-228, 2003


von Personal- und Bettenkapazitäten, Katastrophenschutzübungen,<br />

von den Krankenkassen nicht erstattet<br />

werden. 2 Durch die Einführung des Fallpauschalensystems<br />

im Krankenhauswesen (Diagnosis Related<br />

Groups, sog. „DRGs“) sind die Krankenhäuser<br />

zusätzlich unter Druck geraten, „unnötige“ Kapazitäten<br />

abzubauen. Dies betrifft besonders die Bereitschaft,<br />

erforderliche Vorbereitungen zur Versorgung<br />

evtl. kontaminierter Personen im Falle einer ABC-<br />

Lage in Angriff zu nehmen.<br />

<strong>Dekontamination</strong> — Worauf müssen<br />

Krankenhäuser vorbereitet sein?<br />

Lebensrettend für die Verletzten kann bei<br />

einem ABC-Ereignis häufig nur eine zeitnahe<br />

Durchführung der <strong>Dekontamination</strong> und medizinische<br />

Behandlung sein. Andererseits sind auch die<br />

Krankenhäuser selbst – speziell, wenn es sich um ein<br />

Ereignis mit einem Massenanfall von Kontaminierten<br />

handelt und die Gefahr einer Kontaminationsverschleppung<br />

erhöht ist – in ihrer Funktionsfähigkeit<br />

gefährdet.<br />

Vorrangiges Ziel sollte es daher sein, die<br />

<strong>Dekontamination</strong> von Personen noch am Ereignisort<br />

durchzuführen, um Leben zu retten und einer<br />

Kontaminationsverschleppung vorzubeugen.<br />

Vor diesem Hintergrund stellten sich im Workshop<br />

folgende Fragen:<br />

•Wie ist der Vorbereitungsstand der Krankenhäuser<br />

in den WM-Austragungsorten?<br />

•Welche Vorbereitungen sind bis zur WM 2006<br />

noch zu treffen?<br />

•Welche Vorbereitungen sind über die WM 2006<br />

hinaus sinnvoll?<br />

Diskussion des Vorbereitungsstandes der<br />

Krankenhäuser in den WM-Austragungsorten<br />

Im Workshop wurde der Vorbereitungsstand<br />

in den WM-Städten kontrovers diskutiert und<br />

Lösungsvorschläge erarbeitet. Nachdem Herr Dr.<br />

Felgenhauer (München) eine Übersicht zu den klinisch-therapeutischen<br />

Herausforderungen der<br />

Behandlung von Vergiftungspatienten gegeben hatte,<br />

stellten Herr Prof. Dr. Adams (Hannover) und Herr<br />

Dr. Schneppenheim / Herr Cwojdszinski (Berlin)<br />

ihre Konzepte für die Versorgung von kontaminierten<br />

Patienten vor.<br />

In Hannover sollen für die WM 2006 vier<br />

Versorgungskliniken ausgewählt und mit <strong>Dekontamination</strong>sanlagen<br />

sowie entsprechenden Notfallplänen<br />

ausgestattet werden. Um zu vermeiden, dass evtl.<br />

Patienten die Krankenhäuser kontaminieren, wird<br />

angestrebt, diese Dekon-Plätze unmittelbar vor den<br />

Krankenhäusern einzurichten. Erst nach erfolgter<br />

<strong>Dekontamination</strong> sollten die Patienten weiter im<br />

Krankenhaus versorgt werden. Das Therapiekonzept<br />

orientiert sich am klinischen Bild und dem eingesetzten<br />

ABC-Kampfmittel, ggf. müssten die Patienten<br />

in entsprechende Fachabteilungen verlegt werden.<br />

Auch in Leipzig, München und Nürnberg stützen<br />

sich die Vorbereitungen, ähnlich wie in Hannover,<br />

auf die Einrichtung von Dekon-Stellen in den<br />

Zugangsbereichen ausgewählter Versorgungskliniken.<br />

Abschließend wurde diskutiert, dass das Konzept<br />

bei A- und B-Lagen im Hinblick auf die Diagnostik<br />

und Sichtung noch Lücken aufweist. Entsprechende<br />

Konzepte für den Umgang mit Patienten, die sich in<br />

eigener Initiative einweisen und dabei nicht die vorgesehenen<br />

Krankenhäuser sondern andere Einrichtungen<br />

ansteuern, wurden nicht aufgezeigt.<br />

Die Planungen in Berlin sind über den Zeitraum<br />

der WM 2006 hinaus angelegt. Es wird davon<br />

ausgegangen, dass im Fall einer ABC-Lage, kontaminierte<br />

Patienten jedes beliebige Krankenhaus in Berlin<br />

aufsuchen können. Aus diesem Grund sollen<br />

sämtliche Krankenhäuser in die Notfallplanung einbezogen<br />

werden. Die Vorbereitungen in Berlin sind<br />

detailliert in einem Artikel dieser Ausgabe dargestellt<br />

(s. S. 59).<br />

Für die übrigen WM-Austragungsorte ergab<br />

sich im Verlauf des Workshops ein heterogenes Bild,<br />

was den Vorbereitungsstand auf die WM 2006<br />

betrifft. An einigen Krankenhäusern existieren bislang<br />

weder Planungen für feste noch für mobile<br />

Dekon-Anlagen und ihre Vorbereitungen stützen<br />

sich allein auf die Feuerwehr. Nicht alle Bundeslän-<br />

2 Weidringer, J. W. et al.: Terrorziel WM 2006: Katastrophenmedizin<br />

im Abseits? – Aspekte zur Krankenhauskatastrophenplanung. Der<br />

Unfallchirurg (9), S. 812-816, 2004<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 49


50<br />

DEKON: KLINIK<br />

der können die finanziellen Mittel für Ausbildung,<br />

Ausstattung und Katastrophenschutzübungen in<br />

Krankenhäusern selbst aufbringen. Insbesondere<br />

bestehen Defizite hinsichtlich der Ausstattung von<br />

Einrichtungen, der Ausbildung des Krankenhauspersonals<br />

(Umgang mit Schutzausrüstung, Kenntnissen<br />

im Selbstschutz etc.), der Notfallplanung der Krankenhäuser<br />

sowie im Umgang mit „unkontrollierten<br />

Patientenströmen“.<br />

Aus dem Kreis der Teilnehmer wurden verschiedene<br />

Lösungsansätze vorgetragen. Diese reichen<br />

von entsprechenden Maßnahmen wie z. B. der<br />

Bereitstellung von Information für das Krankenhauspersonal<br />

(Schulungsmaßnahmen zu <strong>Dekontamination</strong>,<br />

Merkblätter, sog. Action Cards), der Ausbildung<br />

von Multiplikatoren, der Einbindung von Berufsverbänden<br />

und Organisationen bis hin zur Beteiligung<br />

der Bundesländer an den Vorhaltungskosten der<br />

Krankenhäuser.<br />

Ergebnisse des Workshops<br />

•Jede Klinik muss auf kontaminierte „Selbsteinweiser“<br />

vorbereitet sein.<br />

•Die Krankenhausnotfallplanung ist zu vervollständigen.<br />

•Die bestehenden Informationswege sind zu erweitern,<br />

um Informationen vom Amtsarzt an die<br />

Leitstellen zu gewährleisten.<br />

•Es ist ein Ausbildungsprogramm für Krankenhauspersonal<br />

zu erstellen, bzw., zu ergänzen. (Grundlage:<br />

ABC-Curriculum der Ständigen Konferenz für<br />

Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz)<br />

•Eine zusätzlich externe Bevorratung von Antidota<br />

und Notfallmedikamenten sollte noch angestrebt<br />

werden.<br />

•Die Vorhaltung von Antibiotikabeständen ist zu<br />

überprüfen.<br />

•Die Krankenhäuser sollten regelmäßig Katastrophenschutzübungen<br />

durchführen.<br />

Für die Katastrophenvorsorge der Krankenhäuser<br />

wurde ein besonders dringlicher Handlungsbedarf<br />

gesehen. Es fehlen einheitliche Standards<br />

bzw. Rahmenkonzepte für die Versorgung kontaminierter<br />

<strong>Verletzter</strong> im Krankenhaus, wie sie bereits für<br />

die präklinische Versorgung bestehen und den Bundesländern<br />

am 27./28.09.2005 in der 65. Sitzung des<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Arbeitskreises V in Reinbek vorgelegt wurden (s. S.<br />

37; Rahmenkonzept zur <strong>Dekontamination</strong> verletzter<br />

Personen, Entwurf: Bund-Länder-Arbeitsgruppe<br />

<strong>Dekontamination</strong>, Stand 07.09.2005).<br />

Abschließend wurden folgende Grundsätze<br />

formuliert:<br />

• Krankenhäuser, die an der Notfallversorgung<br />

beteiligt sind, müssen künftig geeignete bauliche,<br />

organisatorische und personelle Ressourcen vorhalten,<br />

um Patienten dekontaminieren zu können.<br />

• Die Vorhaltung ist eine gesamtgesellschaftliche<br />

Aufgabe, die nicht allein von den Kliniken getragen<br />

werden kann.<br />

• Jede Klinik hat bis zur WM 2006 geeignete Maßnahmen<br />

zum Grundschutz zu treffen.<br />

• An ausgewählten Kliniken sind die <strong>Dekontamination</strong>skapazitäten<br />

durch mobile Anlagen zu erweitern.<br />

• Dafür haben die Länder die Voraussetzungen zu<br />

schaffen.


Vorbereitung des<br />

Öffentlichen Gesundheitsdienstes<br />

zur WM 2006<br />

Von Dr. Claudia Brandt, Dr. Justus Benzler und Detlef Cwojdzinski<br />

In einem umfassenden Sicherheitskonzept für die Fußballweltmeisterschaft<br />

2006 (WM) in Deutschland<br />

spielt der Infektionsschutz eine wichtige Rolle. Deshalb<br />

ist in die Vorbereitungen neben Feuerwehr,<br />

Polizei und Hilfsorganisationen auch der Öffentliche<br />

Gesundheitsdienst (ÖGD) einzubeziehen. Die Akademie<br />

für Krisenmanagement, Notfallplanung und<br />

Zivilschutz (AKNZ) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz<br />

und Katastrophenhilfe (BBK) hat die<br />

Notwendigkeit der Integration der Gesundheitsämter<br />

der Austragungsorte in die vorbereitenden Planungen<br />

frühzeitig erkannt. So war der Gesundheitsbereich<br />

bei den beiden Fachtagungen im Januar und<br />

Oktober 2005 in Ahrweiler mit vielen Mitarbeitern<br />

vertreten.<br />

Inzwischen hat sich — koordiniert durch die<br />

Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales<br />

und Verbraucherschutz — eine Initiative der Gesundheitsämter<br />

aller Austragungsorte gebildet. Bereits zweimal<br />

haben sich die Amtsärztinnen und Amtsärzte<br />

getroffen, um sich in Fragen von gemeinsamem Interesse<br />

abzustimmen. Einige Landesbehörden und das<br />

Robert Koch-Institut (RKI) beteiligten sich an diesen<br />

Treffen.<br />

Aufgaben der Gesundheitsämter<br />

bei Großveranstaltungen<br />

Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist neben<br />

der ambulanten und der stationären Versorgung die<br />

dritte Säule unseres Gesundheitswesens. Er nimmt<br />

überwiegend bevölkerungsmedizinische Aufgaben<br />

wahr. Für den Bereich des Infektionsschutzes sind<br />

diese im Infektionsschutzgesetz (IfSG) festgelegt und<br />

haben zum Ziel, übertragbaren Krankheiten beim<br />

Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen<br />

und ihre Weiterverbreitung zu verhindern.<br />

Hierzu gehört es, Personen, die an übertragbaren<br />

Krankheiten erkrankt oder dessen verdächtig<br />

sind und Krankheitserreger übertragen können, mit<br />

Namen und Adresse zu identifizieren, ansteckungsverdächtige<br />

Kontaktpersonen zu erfassen und erforderliche<br />

Schutzmaßnahmen zu veranlassen. Das kann<br />

beinhalten, dass berufliche Tätigkeiten untersagt,<br />

Desinfektionsmaßnahmen angeordnet oder Betroffene<br />

unter Beobachtung gestellt oder isoliert werden.<br />

Unter Umständen sind weitere Schutzmaßnahmen wie<br />

zum Beispiel die Absage von Großveranstaltungen<br />

zu veranlassen.<br />

Wo viele Menschen dicht zusammenkommen,<br />

wächst auch die Gefahr der Übertragung von Infektionskrankheiten,<br />

insbesondere wenn solche Veranstaltungen<br />

mit Provisorien einhergehen, was Verpflegung,<br />

Unterkunft und medizinische Versorgung<br />

betrifft. Hier nur 2 Beispiele 1 :<br />

•1999 erkrankten 188 von 77.000 Besuchern einer<br />

Blumenschau in den Niederlanden an der Legionärskrankheit.<br />

Diese Infektionen konnten auf Legionellenkontaminationen<br />

der Whirlpools, Wasserfontänen<br />

und Bewässerungsanlagen in den Ausstellungshallen<br />

zurückgeführt werden.<br />

1 aus: Maurer K., Peter H. (Hrsg.): Gefahrenabwehr bei Großveranstaltungen;<br />

Edewecht, Wien 2005<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

51


52<br />

DEKON: KLINIK<br />

•Die jährliche Pilgerfahrt nach Mekka führte im<br />

Jahr 2000 zu einem weltweiten Ausbruch von Hirnhautentzündungen<br />

durch Meningokokken mit<br />

mindestens 71 Todesfällen, davon 14 in Europa.<br />

Um Ausbrüchen vorzubeugen, ist es in solchen<br />

Situationen besonders wichtig, dass die üblichen Vorschriften<br />

und Maßnahmen zur Prävention, Erken-<br />

Treffen des ÖGD im Juni 2005 in Berlin.<br />

nung und Kontrolle von Infektionskrankheiten konsequent<br />

eingehalten bzw. durchgeführt werden.<br />

Zu den Aufgaben des Gesundheitsamts gehört<br />

dabei auch die Überwachung der Qualität des Trinkwassers,<br />

schwerpunktmäßig in den Sanitäranlagen<br />

der Austragungs- und Übungssportstätten und in den<br />

Wasserversorgungsanlagen der bevorzugten Hotels.<br />

Hier wird u.a. das Duschwasser auf Legionellen untersucht.<br />

Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen Tanks<br />

und provisorische Leitungen. Ebenso gilt es, Gefahrenpunkte<br />

für eine bioterroristische Einbringung<br />

von Mikroorganismen in das Trinkwasser zu identifizieren<br />

und die Risiken systematisch einzuschätzen<br />

und zu minimieren. Diesbezügliche Maßnahmen zur<br />

Prävention und Kontrolle werden mit der Landesbehörde<br />

und den Wasserversorgungsunternehmen<br />

abgestimmt.<br />

Der Lebensmittelaufsicht kommt bei Großveranstaltungen<br />

eine zentrale Bedeutung zu. Ein besonderes<br />

Risiko besteht dabei durch die unsachgemäße<br />

Herstellung und Lagerung durch „wilde Händler“.<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Eine gute Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsämtern<br />

und den Lebensmittel- und Veterinäraufsichtsämtern<br />

ist sicherzustellen.<br />

Besondere Aufgaben des ÖGD<br />

zur Fußballweltmeisterschaft 2006<br />

Eine Reihe von Faktoren spricht dafür, dass<br />

die Anforderungen an den Infektionsschutz bei der<br />

WM noch höher als bei anderen Großveranstaltungen<br />

sind. Zum einen ist wegen der langen Dauer der<br />

WM (33 Tage) und der Anreise zahlreicher Menschen<br />

aus Weltgegenden, in denen es ein anderes<br />

Erregerspektrum gibt, die Gefahr, dass es im Umfeld<br />

der WM zu schwerwiegenden Ausbruchsereignissen<br />

kommt, besonders groß. Zum anderen ist damit zu<br />

rechnen, dass wegen der hohen medialen und internationalen<br />

Aufmerksamkeit auch weniger schwerwiegende<br />

Ausbruchsereignisse ein überdurchschnittliches<br />

(negatives) Echo hervorrufen werden. Und dieselbe<br />

mediale und internationale Aufmerksamkeit ist<br />

es auch, die solch eine Veranstaltung auch für bioterroristische<br />

Anschläge — oder auch für Trittbrettfahrer<br />

— attraktiv macht.<br />

Die Organisation der Gesundheitsämter muss<br />

diesen besonderen Anforderungen gerecht werden.<br />

Vorkehrungen und Abläufe, die auch unabhängig von<br />

der WM zum Standard gehören, sollten anlassbezogen<br />

überprüft bzw. beübt werden, und einzelne zusätzliche<br />

Vorkehrungen müssen im Rahmen fehlender<br />

zusätzlicher Ressourcen getroffen werden.<br />

•Das Gesundheitsamt muss während der WM rund<br />

um die Uhr auf unterschiedlichen Kommunikationskanälen<br />

(Telefon Festnetz & mobil, Fax, E-Mail)<br />

zuverlässig erreichbar sein.<br />

•Seine volle Arbeitsbereitschaft innerhalb kurzer<br />

Zeit muss sichergestellt sein.<br />

•Eine besondere Rufbereitschaft, soweit sie nicht<br />

ohnehin vorhanden ist, muss eingerichtet werden.<br />

•In der Regel wird für alle bzw. für ausgewählte Mitarbeiter<br />

der Gesundheitsämter eine Urlaubssperre<br />

angeordnet werden.<br />

•Mobile Einsatzteams, die idealerweise aus einem<br />

Arzt/Ärztin und zwei Gesundheitsaufsehern bestehen,<br />

müssen vorbereitet sein.<br />

•Die Alarmierungslisten sind ständig aktuell zu halten.<br />

Einsatzpläne für den Seuchenverdachtsfall


und für andere besondere Vorkommnisse sind zu<br />

aktualisieren.<br />

•In den Gesundheitsämtern sollten Infektionsschutzsets<br />

für hochkontagiöse Krankheiten bereitliegen.<br />

•Da WM-begleitende Veranstaltungen und Besucherströme<br />

nicht auf den Zuständigkeitsbereich der<br />

Gesundheitsämter der Austragungsorte beschränkt<br />

sind und Infektionsgeschehen nicht an Kreis- und<br />

Bezirksgrenzen Halt machen, sollten benachbarte<br />

•Die Ärzte in Krankenhäusern, Laboren und Praxis<br />

müssen hinsichtlich der Wichtigkeit ihrer Meldepflichten<br />

nach dem IfSG sensibilisiert und motiviert<br />

sein.<br />

•Die Gesundheitsämter werden aktiv Kontakt zu den<br />

Ärzten der FIFA aufnehmen, um zu klären, welche<br />

Zusammenarbeit notwendig ist.<br />

•Die Trinkwasserüberwachung für die Stadien und<br />

für ausgewählte Hotels wird intensiviert.<br />

Melde- und Übermittlungswege und -zeiten gemäß IfSG. (Grafik: D. Faensen)<br />

Gesundheitsämter in die Vorbereitungen einbezogen<br />

werden. Dabei ist auch deren Rufbereitschaft<br />

sicherzustellen. Die gegenseitige Unterstützung kann<br />

in besonderen Lagen notwendig sein und sollte<br />

entsprechend geplant werden.<br />

•Die Kommunikationswege zwischen Gesundheitsamt<br />

und anderen Akteuren der Gesundheitsversorgung,<br />

insbesondere Krankenhäusern und niedergelassenen<br />

Ärzten, müssen bekannt sein und in beiden<br />

Richtungen funktionieren. Das heißt, das Gesundheitsamt<br />

muss nicht nur erreichbar sein, sondern<br />

auch seinerseits wissen, wie es die Ärzteschaft<br />

im Ereignisfall schnell und zuverlässig informieren<br />

kann.<br />

•Auch Themen wie die vermehrte Inanspruchnahme<br />

der Prostitution fließen in die vorbereitende Planung<br />

ein.<br />

Gemeinsame Informationsplattform<br />

Die Gesundheitsämter der zwölf Austragungsorte<br />

haben sich im fachöffentlichen Online-Informationsverbund<br />

„ÖGD-Intranet“ (www.uminfo.de), der<br />

von der Kinderumwelt gGmbH in Osnabrück in<br />

Zusammenarbeit mit dem RKI und anderen Partnereinrichtungen<br />

betrieben wird, ein geschütztes Kommunikationsforum<br />

zur WM geschaffen, das einen<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

53


54<br />

DEKON: KLINIK<br />

regelmäßigen Austausch von Fachinformationen<br />

ermöglicht. Damit ist eine schnelle Kommunikation<br />

in der Vorbereitungsphase, aber auch während der<br />

WM 2006 gewährleistet.<br />

Intensivierte Surveillance<br />

Das IfSG sieht vor, dass die im Gesundheitsamt<br />

zusammengeführten Arzt- und Labormeldungen<br />

sowie die Ergebnisse eigener Ermittlungen nichtnamentlich<br />

an die zuständige Landesbehörde und von<br />

dort ans RKI übermittelt werden, um ein umfassen-<br />

Dr. Claudia Brandt, Dr. Justus Benzler und Detlef Cwojdzinski<br />

beim Treffen des ÖGD im Juni 2005 in Berlin.<br />

(Fotos: O. Franke)<br />

des epidemiologisches Lagebild zu erstellen. Die Übermittlung<br />

und Auswertung erfolgt mittels einer eigens<br />

zu diesem Zweck entwickelten Software, die technisch<br />

sehr kurze Verzugszeiten ermöglicht. Die gesammelten<br />

Daten werden fortlaufend aktualisiert auf den<br />

Internetseiten des RKI (www.rki.de) unter „SurvStat“<br />

zur interaktiven mehrdimensionalen Abfrage veröffentlicht.<br />

Die gesetzlichen Vorgaben sehen vergleichsweise<br />

lange Übermittlungszeiten vor, die das rasche<br />

Erkennen überregionaler Ausbrüche unnötig erschweren.<br />

Im Rahmen einer intensivierten Surveillance<br />

während der WM sind die betroffenen Gesundheits-<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

ämter, Landesstellen und das RKI übereingekommen,<br />

ein tägliches Übermittlungs- und Rückinformationsverfahren<br />

einzuführen.<br />

Dabei wird die Übermittlung genormter Einzelfall-<br />

und Ausbruchsdaten durch halbstrukturierte<br />

epidemiologische Tagesberichte ergänzt, die die<br />

Gesundheitsämter zur gegenseitigen Information in<br />

UMINFO einstellen werden. Das RKI erstellt aus<br />

diesen Daten und Berichten täglich eine Zusammenfassung,<br />

die sowohl den Gesundheitsämtern und<br />

Landesbehörden als auch dem am Innenministerium<br />

angesiedelten Nationalen Informations- und Kooperationszentrum<br />

(NICC) zur Verfügung gestellt wird.<br />

Neben deutschen Quellen werden dazu auch internationale<br />

infektionsepidemiologische Berichte unter<br />

besonderer Berücksichtigung der WM-Teilnehmerstaaten<br />

ausgewertet.<br />

Ausblick<br />

Die Gesundheitsämter der Austragungsorte<br />

werden sich im Februar 2006 zu einem abschließenden<br />

Vorbereitungstreffen in Berlin zusammenfinden.<br />

Das RKI wird die ärztlichen Mitarbeiter der Gesundheitsämter<br />

unmittelbar vor dieser Veranstaltung im<br />

Rahmen eines Pilotkurses mit Fragen des Ärztlichen<br />

Managements bei bioterroristischen Ereignissen vertraut<br />

machen.<br />

Durch die persönlichen Kontakte, die sich im<br />

Laufe der Vorbereitung der Fußballweltmeisterschaft<br />

2006 ergeben haben, ist die Basis für eine enge Zusammenarbeit<br />

auch im WM-Zeitraum gelegt worden.<br />

Das Lernen voneinander, die Festlegung gemeinsamer<br />

Standards und die Unterhaltung eines Kommunikationsnetzes<br />

zur WM unterstützen alle Gesundheitsämter<br />

bei ihren anspruchsvollen Aufgaben, die<br />

sie in dieser Zeit leisten müssen. Die gute, länderübergreifende<br />

Zusammenarbeit der Gesundheitsämter<br />

der 12 Austragungsorte kann ein Beispiel auch<br />

für künftige länderübergreifende Planungen sein.<br />

Dr. Claudia Brandt ist Amtsärztin des Berliner Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf,<br />

in dem auch das Berliner Olympiastadion liegt.<br />

Dr. Justus Benzler ist Mitarbeiter des Fachgebiets Surveillance in<br />

der Abteilung für Infektionsepidemiologie des Robert Koch-Instituts.<br />

Detlef Cwojdzinski ist für Fragen der Notfallvorsorge und des<br />

Katastrophenschutzes in der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit,<br />

Soziales und Verbraucherschutz zuständig.


Therapie bei Chemieunfällen<br />

Von Norbert Felgenhauer<br />

Rauchvergiftung<br />

Im Allgemeinen handelt es sich bei den Brandgasen<br />

um ein heterogenes Substanzgemisch, dessen<br />

Zusammensetzung von dem brennenden Material, von<br />

der Temperatur und von der Sauerstoffzufuhr abhängig<br />

ist. Bei normalen Bränden ist insbesondere<br />

mit den vier Leitstoffen Kohlenmonoxid, Blausäure,<br />

Chlorwasserstoff und Formaldehyd zu rechnen. Bei<br />

speziellen Brandereignissen können in Abhängigkeit<br />

vom brennenden Material noch weitere Reizgase wie<br />

z.B. Nitrose Gase, Schwefeldioxid, Acrolein, Phosgen,<br />

Ammoniak oder Fluorwasserstoff entstehen.<br />

Intoxikation mit Kohlenmonoxid<br />

Kohlenmonoxid (CO) entsteht hauptsächlich<br />

bei Verbrennungsprozessen unter ungenügender Sauerstoffzufuhr.<br />

Die wesentliche toxische Wirkung des<br />

CO beruht auf einer Bindung des CO an das 2-wertige<br />

Eisen des Hämoglobins, wobei das entstehende<br />

Kohlenmonoxid-Hämoglobin (COHb) für den Sauerstofftransport<br />

ausfällt. Eine Kohlenmonoxidkonzentration<br />

von 100 ppm (parts per million)= 0,01%<br />

führt zu einem COHb von ca.12%. Schwere akute<br />

Vergiftungen benötigen eine CO-Konzentration von<br />

> 2000 ppm. Schwere subakute Vergiftungen werden<br />

bei einer CO-Konzentration von 500 - 2000 ppm<br />

beobachtet.<br />

Die Vergiftungssymptome sind von der COHb-<br />

Konzentration abhängig. Bis zu einer COHb-Konzentration<br />

von 30% werden in der Regel nur Kopfschmerzen,<br />

Schwindel und Übelkeit beobachtet. Bei<br />

einer COHb-Konzentration zwischen 30 und 40%<br />

kommt es zusätzlich zu Müdigkeit und Verwirrtheitszuständen.<br />

Ab einer COHb-Konzentration von 40%<br />

wird der Patient bewusstlos und zunehmend kreislaufinstabil,<br />

über 60% muss mit dem raschen Tod<br />

durch Hypoxie gerechnet werden.<br />

Die therapeutischen Maßnahmen konzentrieren<br />

sich zunächst auf das Entfernen der Patienten<br />

aus dem toxischen Gefahrenbereich sowie auf die<br />

Antidot-Therapie mit Sauerstoff. Bei leichten Vergiftungen<br />

genügt die Insufflation von Sauerstoff über<br />

eine Nasensonde, bei schweren Vergiftungen ist eine<br />

endotracheale Intubation und Beatmung mit einem<br />

FiO2 von 1.0 notwendig. Durch die Beatmung mit<br />

100% Sauerstoff wird die Halbwertszeit für das<br />

COHb, die bei Raumluft normalerweise zwischen 3<br />

und 4 Stunden beträgt, auf 30 bis 40 Minuten verkürzt.<br />

In Ausnahmefällen besteht bei der schweren<br />

CO-Vergiftung auch die Möglichkeit einer hyperbaren<br />

Sauerstofftherapie, wodurch die Halbwertszeit<br />

für das COHb nochmals um die Hälfte auf 15 bis<br />

20 Minuten verkürzt und das Auftreten neuropsychologischer<br />

Spätschäden zumindest teilweise verhindert<br />

werden kann. Bei der Überwachung dieser<br />

Patienten ist zu berücksichtigen, dass man sich bei<br />

der CO-Vergiftung auf die Pulsoxymetrie nicht verlassen<br />

darf, da diese fälschlicherweise eine zu hohe<br />

periphere Sauerstoffsättigung anzeigt.<br />

Intoxikation mit Blausäure<br />

Im Rahmen von Brandereignissen kommt es<br />

insbesondere bei der Verbrennung und Verschwelung<br />

von stickstoffhaltigen Verbindungen zur Entwicklung<br />

von Blausäure (HCN). Bei jeder Verbrennung<br />

von Acrylfasern, polyacrylnitrilhaltigen Kunststoffen,<br />

Kunstharzen, Polyurethanschaum, Nylon, Seide,<br />

Wolle und Insektiziden muss immer mit einer<br />

toxisch relevanten HCN-Freisetzung gerechnet werden.<br />

Die HCN-Aufnahme erfolgt hierbei auf inhalatorischem<br />

Weg.<br />

Die klinischen Zeichen einer Cyanidintoxikation<br />

sind die Folge einer gestörten intrazellulären Sauerstoffutilisation<br />

durch das Cyanidion und damit<br />

Ausdruck einer zellulären Hypoxie. Nach der Einwirkung<br />

von Cyanverbindungen ist der Wirkungseintritt<br />

außerordentlich schnell. Bei Inhalation von Blausäure<br />

treten Symptome innerhalb von Sekunden auf,<br />

zum Tod kann es bereits innerhalb weniger Minuten<br />

kommen. Die potenziell letale Dosis von Blausäure<br />

liegt bei 100 ppm über einen Zeitraum von 1 Stunde.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

55


56<br />

DEKON: KLINIK<br />

Leichte Vergiftungen führen zu Atemnot ohne<br />

Zyanose, thorakalem Engegefühl, Angstzuständen,<br />

Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit. Bei schweren<br />

Vergiftungen kommt es zu Verwirrtheit, Krampfanfällen,<br />

Koma, Atemstillstand, Arrhythmien und<br />

Herz-Kreislaufstillstand. Eine Differenzierung zwischen<br />

einer Kohlenmonoxid- und einer Blausäurevergiftung<br />

ist klinisch allerdings nicht möglich.<br />

Im Rahmen der Primärversorgung werden die<br />

Patienten zunächst aus dem toxischen Gefahrenbereich<br />

entfernt. Bewusstlose Patienten werden umgehend<br />

endotracheal intubiert und mit einem FiO2<br />

von 1.0 beatmet. Instabile Herz-Kreislaufverhältnisse<br />

Das Rettungspersonal benötigt eine ausreichende Schutzausrüstung<br />

wie die abgebildete Atemschutzmaske gem. EN 136 Klasse 3 und<br />

VFDB-Richtlinie 0802 sowie...<br />

werden mit Flüssigkeitssubstitution und Katecholaminen<br />

behandelt. Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand<br />

ist nach den üblichen Basismaßnahmen der Reanimation<br />

vorzugehen. Eine Laktatazidose muss frühzeitig<br />

mit Natriumhydrogencarbonat korrigiert werden.<br />

Cerebrale Krampfanfälle werden mit Diazepam oder<br />

Clonazepam behandelt. Für die Antidot-Therapie<br />

der leichten HCN-Vergiftung genügt in der Regel die<br />

alleinige Gabe von Natriumthiosulfat in einer Dosierung<br />

von 100 mg/kg KG. Bei einer schweren brandrauchbedingten<br />

HCN-Vergiftung erfolgt die Antidot-<br />

Therapie mit Hydroxocobalamin in einer Dosierung<br />

von 70 mg/kg KG bzw. 5g Hydroxocobalamin für<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

den Erwachsenen. 4-DMAP darf in diesen Fällen<br />

nicht eingesetzt werden, da dieses zusammen mit<br />

dem im Brandrauch befindlichen Kohlenmonoxid<br />

die Sauerstofftransportkapazität weiter verschlechtern<br />

würde.<br />

Intoxikation mit Reizgasen<br />

In Abhängigkeit von der Wasserlöslichkeit<br />

unterscheiden wir prinzipiell zwischen Reizgasen<br />

vom Sofort-Typ und Reizgasen vom Latenz-Typ. Die<br />

Reizgase vom Sofort-Typ zeigen eine relativ gute<br />

Wasserlöslichkeit und werden deshalb bereits im<br />

oberen Respirationstrakt abgefangen, mit dem<br />

Ergebnis einer frühzeitigen Symptomatik im Bereich<br />

der oberen Atemwege. Reizgase vom Latenz-Typ<br />

sind weniger gut wasserlöslich und können deshalb<br />

bei der Inspiration auch die tieferen Abschnitte des<br />

Respirationstrakts erreichen. Die Folge ist dann ein<br />

mit einer gewissen Verzögerung einsetzender Entzündungsprozess<br />

im Bereich der tieferen Atemwege.<br />

Intoxikation mit Reizgasen vom Sofort-Typ<br />

Im Brandrauch sind die häufigsten Reizgase<br />

vom Sofort-Typ Chlorwasserstoff (HCl), Formaldehyd,<br />

Ammoniak (NH3), Schwefeldioxid (SO2), Fluorwasserstoff<br />

(HF) und Acrolein.<br />

Im Bereich der Atemwege führen diese Reizgase<br />

zu Reizhusten, Dyspnoe, Bronchospastik und<br />

retrosternalem Druck. Nur bei massiver Exposition<br />

kann es auch zum toxischen Lungenödem kommen.<br />

Am Auge verursachen die Reizgase vom Sofort-Typ<br />

Augenbrennen, Tränenfluss und Konjunktivitis.<br />

Die therapeutischen Maßnahmen konzentrieren<br />

sich auf das Entfernen der Patienten aus dem<br />

toxischen Gefahrenbereich. Anschließend erfolgt die<br />

Gabe von Sauerstoff. Bei Atemwegsobstruktion werden<br />

inhalative b2-Sympathomimetika, bei starkem Husten<br />

Antitussiva eingesetzt. Eine intravenöse Applikation<br />

von Glucocorticoiden sowie Intubation und Beatmung<br />

sind nur in Ausnahmefällen erforderlich. Die<br />

Anwendung inhalativer Glucocorticoide wird bei<br />

Intoxikationen mit Reizgasen vom Sofort-Typ nicht<br />

empfohlen.<br />

Intoxikation mit Reizgasen vom Latenz-Typ<br />

Die häufigsten Reizgase vom Latenz-Typ im<br />

Brandrauch sind Nitrose Gase und Phosgen.<br />

Nach Inhalation dieser Reizgase kommt es zunächst<br />

nur zu leichten Beschwerden in Form von


Reizhusten und Konjunktivitis, mitunter auch zu<br />

Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit. Im<br />

Anschluss daran kann sich jedoch mit einer Latenz<br />

von 3-24 Stunden auch ein toxisches Lungenödem<br />

entwickeln. Nur bei massiver Exposition ist bereits<br />

frühzeitig mit einem toxischen Lungenödem zu<br />

rechnen.<br />

Auch hier werden die betroffenen Personen zunächst<br />

aus dem toxischen Gefahrenbereich entfernt<br />

und mit Sauerstoff versorgt. Zur Prophylaxe eines toxischen<br />

Lungenödems erhalten die Patienten eine<br />

inhalative Glucocorticoidtherapie sowie die Verordnung<br />

von Bettruhe. Allerdings ist die Evidenz für diesen<br />

Einsatz inhalativer Glucocorticoide relativ<br />

schwach, sodass diese Therapieform nach wie vor kontrovers<br />

diskutiert wird. Die weiteren therapeutischen<br />

Maßnahmen orientieren sich dann am jeweiligen<br />

Beschwerdebild der Patienten. Bei einer Atemwegsobstruktion<br />

werden inhalative b2-Sympathomimetika,<br />

bei starkem Husten Antitussiva eingesetzt. Beim toxischen<br />

Lungenödem kommen die intravenöse Applikation<br />

von Glucocorticoiden sowie die endotracheale<br />

Intubation und Beatmung zur Anwendung.<br />

Nervenkampfstoffe (Sarin, Soman, Tabun, VX)<br />

Nervenkampfstoffe sind Organophosphate, die<br />

inhalativ und perkutan gut resorbiert werden. Die<br />

systemische Wirkung der Organophosphate beruht<br />

auf einer Hemmung der Acetylcholinesterase, sodass<br />

es im Bereich der Synapsen des autonomen und<br />

zentralen Nervensystems sowie im Bereich der neuromuskulären<br />

Endplatte zu einem Überschuss von<br />

Acetylcholin kommt. Als Folge davon können sich<br />

muskarinartige, nicotinartige und zentralnervöse<br />

Vergiftungssymptome entwickeln. Die muskarinartigen<br />

Symptome sind Miosis, Bradykardie, Bronchorrhoe,<br />

Hypersalivation, Erbrechen und Diarrhoe. Zu<br />

den nicotinartigen Symptomen gehören Mydriasis,<br />

Tachykardie, Hypertonie, Muskelfaszikulieren, Muskelkrämpfe<br />

sowie Lähmung der Muskulatur. Die<br />

zentralnervösen Vergiftungssymptome äußern sich zunächst<br />

in Form von Verwirrtheit, Agitiertheit und<br />

cerebralen Krampfanfällen und gehen schließlich in<br />

ein tiefes Koma über. Dieses Syndrom der systemischen<br />

Giftwirkung kennen wir sehr gut von Vergiftungen<br />

nach oraler Aufnahme von organophosphathaltigen<br />

Insektiziden, nach einer Exposition mit<br />

Nervenkampfstoffen ist diese Syndrom allerdings<br />

häufig inkomplett. Wird der Nervenkampfstoff, wie<br />

1995 in Tokio geschehen, als Aerosol ausgebracht,<br />

kann es sein, dass die systemische Giftwirkung nur<br />

sehr schwach ausgeprägt ist oder sogar komplett fehlt,<br />

während durch eine Kontamination der Augen die<br />

lokale Symptomatik mit Miosis und starken Kopfschmerzen<br />

ganz im Vordergrund steht.<br />

Nach der Rettung aus dem Gefahrenbereich<br />

konzentrieren sich die therapeutischen Maßnahmen<br />

zunächst auf das Stabilisieren der Vitalfunktionen,<br />

wobei dies bei sehr schweren Vergiftungen erst durch<br />

eine Antidot-Therapie mit Atropin möglich wird.<br />

Ähnlich wie nach der oralen Aufnahme von Insektiziden<br />

erhalten die Patienten mit einer schweren, lebensbedrohlichen<br />

Vergiftung mit Nervenkampfstoffen<br />

als Startdosis zunächst 2-5 mg Atropin als Bolus.<br />

Anschließend wird diese Bolusgabe solange wiederholt<br />

bis stabile Kreislaufverhältnisse erreicht sind. Dabei<br />

kann durchaus eine Atropin-Gesamtdosis von<br />

20-50 mg erforderlich werden. Im Anschluss daran<br />

erhält der Patient dann eine Dauerinfusion mit 1-2<br />

mg Atropin/h. Cerebrale Krampfanfälle werden mit<br />

einem Benzodiazepin, z.B. Diazepam behandelt. Bei<br />

den meisten Patienten mit einer inhalatorischen oder<br />

perkutanen Vergiftung mit Nervenkampfstoffen genügt<br />

allerdings eine deutlich niedrigere Atropin-Dosis<br />

als wir es bei oralen Organophosphatvergiftungen<br />

gewohnt sind. Bei leichten Vergiftungen reicht vielleicht<br />

die lokale Applikation von Atropin-Augentropfen<br />

schon aus. Eine intravenöse Applikation darf in<br />

diesen Fällen nur sehr vorsichtig durchgeführt werden,<br />

da es hierbei schnell zu einer Überdosierung von<br />

Atropin kommen kann. In der Regel genügt in diesen<br />

Fällen eine Anfangsdosis von 1-2 mg Atropin.<br />

Als zweites Antidot steht mit dem Obidoxim (Toxogonin<br />

®) ein Cholinesterasereaktivator zur Verfügung,<br />

der bei den Nervenkampfstoffen Sarin, Tabun<br />

und VX wirksam ist. Die ideale Dosierung besteht<br />

in einer Bolusgabe von 250 mg mit einer anschließenden<br />

Dauerinfusion von 750 mg in 24 Stunden.<br />

Sind die Vitalparameter stabilisiert, so werden die Patienten<br />

möglichst vollständig dekontaminiert, wobei<br />

die Kleidung entfernt und kontaminierte Hautpartien<br />

mit Wasser und Seife gereinigt werden. Sind in<br />

erster Linie die Augen betroffen, so werden diese<br />

unter fließendem Wasser gespült. Für all diese Primärversorgungsmaßnahmen<br />

benötigt das Rettungspersonal<br />

eine ausreichende Schutzausrüstung, d.h.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

57


58<br />

DEKON: KLINIK<br />

für die Rettungsmaßnahmen in der toxischen Gefahrenzone<br />

sind Chemikalienschutzanzug und umluftunabhängiger<br />

Atemschutz, für die Maßnahmen im<br />

Dekon-Bereich umluftabhängiger Atemschutz, chemikalienresistente<br />

Einmalschutzanzüge, Schutzstiefel,<br />

und doppelt übereinander getragene Untersuchungshandschuhe<br />

erforderlich.<br />

S-Lost (Senfgas, Mustardgas)<br />

Die Giftwirkung von S-Lost betrifft in erster<br />

Linie die Haut, die Schleimhäute des Respirationstrakts<br />

und der Augen, den Gastrointestinaltrakt, das<br />

Zentralnervensystem und die Hämatopoese.<br />

... den zugehörigen ABEK2 Hg P3-Filter nach EN 141.<br />

(Fotos: BBK)<br />

Nach einem symptomlosen Intervall von 30<br />

Minuten bis 3 Stunden kommt es zunächst zur Hautrötung<br />

mit nachfolgender Blasenbildung. Anschließend<br />

rupturieren die Blasen und hinterlassen schmierig<br />

belegte, tiefe Ulzerationen. Bei einer Ausdehnung<br />

von mehr als 25 % der KOF muss mit einem<br />

tödlichen Ausgang gerechnet werden. Die Inhalation<br />

von S-Lost führt zunächst zu einer ausgeprägten<br />

Laryngitis und Tracheobronchitis, die mit Heiserkeit,<br />

Husten und Dyspnoe einhergehen. Später nimmt<br />

die Tracheobronchitis häufig einen nekrotisierenden<br />

Verlauf, wobei sich großflächig ablösende Pseudomembranen<br />

die Atemwege verlegen und zum plötz-<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

lichen Erstickungstod führen können. Am Auge<br />

kommt es bereits kurze Zeit nach Exposition zu Tränenfluss,<br />

Lichtscheu und Blepharospasmus mit nachfolgender<br />

Konjunktivitis und Keratitis. Die gastrointestinalen<br />

Beschwerden äußern sich in Form von<br />

Übelkeit, Erbrechen und abdominellen Schmerzen.<br />

Häufig kommt es zur Bewusstseinstrübung, die von<br />

einer Somnolenz bis zum Koma reichen kann. Mit<br />

einer Latenz von einigen Tagen manifestiert sich die<br />

hemmende Giftwirkung auf die Hämatopoese, wobei<br />

vorwiegend die Leukopoese und Thrombozytopoese<br />

betroffen sind. Eine Leukopenie kann bei den großflächigen,<br />

z.T infizierten Ulzerationen der Haut zum<br />

Sepsis-Syndrom führen.<br />

Nach der Rettung aus dem Gefahrenbereich<br />

konzentrieren sich die therapeutischen Maßnahmen<br />

zunächst auf eine sorgfältige <strong>Dekontamination</strong> der<br />

Patienten, wobei auf eine ausreichende Schutzausrüstung<br />

des Rettungspersonals zu achten ist (Schutzanzug,<br />

Schutzhandschuhe, Schutzstiefel, umluftabhängiger<br />

Atemschutz). Der Lost sollte zunächst mit<br />

einem saugenden Material wie z.B. Zellstoff abgetupft<br />

werden. Anschließend sollte mit kaltem Wasser gespült<br />

werden. Chloramin T, frühzeitig äußerlich eingesetzt,<br />

oxidiert den Lost auf der Haut und macht<br />

ihn damit unschädlich. Dabei wird eine 10%ige<br />

Chloramin T-Lösung zum lokalen Abtupfen von<br />

Lostspritzern und eine 0,2%ige Lösung zur großflächigen<br />

Anwendung, Hautwaschung und für feuchte<br />

Umschläge angewandt. Natriumthiosulfat in einer<br />

Dosis von 500 mg/kg KG i.v. kann, wenn innerhalb<br />

von 20 Minuten eingesetzt, die systemische Lostwirkung<br />

verringern. Der Einsatz von Steroiden ist<br />

umstritten, eine frühzeitige Antibiotikatherapie ist<br />

aber indiziert, da die Ulzerationen an Haut und<br />

Schleimhäuten immer eine potentielle Eintrittspforte<br />

für Keime darstellen. Die Hautläsionen selbst werden<br />

schließlich wie Verbrennungsschäden behandelt.


Krankenhäuser bei<br />

ABC-Schadensereignissen<br />

Vorsorge für die Fußballweltmeisterschaft 2006<br />

von Detlef Cwojdzinski und Harald Krüger<br />

Bei Schadenslagen mit ABC-Gefahrstoffen muss mit<br />

einer Kontamination von Personen gerechnet werden.<br />

Je nach Schadenslage können Kontaminationen<br />

unterschiedlicher Schweregrade und zusätzliche andere<br />

Verletzungen auftreten. Obwohl eine <strong>Dekontamination</strong><br />

von Personen möglichst unverzüglich vor<br />

Ort durchgeführt werden sollte, muss jedoch davon<br />

ausgegangen werden, dass kontaminierte und leichter<br />

verletzte Personen von der Schadensstelle flüchten,<br />

noch ehe entsprechende Kräfte des Ordnungs- und<br />

Rettungsdienstes adäquat eingreifen und Herr der Lage<br />

werden können. Noch während der Chaosphase<br />

werden sich lageabhängig bis zu 80% der Betroffenen<br />

zu Fuß, in privaten Fahrzeugen, Taxen oder öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln von der Schadensstelle entfernen<br />

und so Schadstoff verbreiten. Hierdurch können<br />

weitere Personen, Gegenstände und Verkehrsmittel-<br />

Innenräume sekundär kontaminiert werden. In Abhängigkeit<br />

der subjektiven Beschwerden werden diese<br />

Personen ärztliche Hilfe bei niedergelassenen Ärzten<br />

und in Krankenhäusern suchen.<br />

Im Zusammenhang mit dem Sarinanschlag in<br />

Tokio wurden 23 % der Mitarbeiter der Krankenhäuser<br />

sekundär kontaminiert. Die Vorsorge muss deshalb<br />

den Schutz des Personals der Krankenhäuser in den<br />

Vordergrund stellen.<br />

Stand der Vorsorge in den Krankenhäusern<br />

Obwohl die Notwendigkeit einer Krankenhauseinsatzplanung<br />

für Großschadensereignisse durch die<br />

Krankenhäuser grundsätzlich nicht mehr in Frage<br />

gestellt wird, gibt es indes immer noch Kliniken, die<br />

eine solche Vorsorge nicht getroffen haben. Diejenigen,<br />

die vorbereitet sind, haben sich auf die Vorsorge<br />

für interne Ereignisse (z.B. Evakuierung und Räumung)<br />

konzentriert. Hinsichtlich der externen Ereignisse<br />

standen Szenarien mit chirurgisch Verletzten<br />

im Vordergrund. Übungen in Krankenhäusern sind<br />

immer noch eine Ausnahme. Die Situation in Berlin<br />

mit deutlich mehr als 100 Krankenhausübungen in<br />

den letzten 20 Jahren stellt leider nicht den Standard<br />

in Deutschland dar.<br />

Erste Vorsorge für ABC-Lagen<br />

Die Krankenhäuser in Deutschland sind in der<br />

Regel nicht auf einen unkontrollierten Zugang von<br />

mit A-, B- und/oder C-Gefahrstoffen kontaminierten<br />

Patienten vorbereitet, sodass der jeweilige Schadstoff<br />

zunächst durch die Patienten ohne Kontrolle in das<br />

Krankenhaus eingebracht würde und dort in der Ersten-Hilfe-Stelle,<br />

der Rettungsstelle oder dem Aufnahmebereich<br />

zu Sekundärkontaminationen von weiteren<br />

Personen, Gegenständen und Innenräumen führte.<br />

Dieser Zustand wird anhalten bis klinisch-anamnestisch<br />

entsprechende Verdachtsdiagnosen gestellt werden.<br />

Erst dann könnten geeignete Schutzmaßnahmen<br />

für das Krankenhaus — insbesondere für das Personal,<br />

andere Patienten und Besucher — ergriffen werden,<br />

sofern die personellen, sächlichen und baulichfunktionellen<br />

sowie die planerischen Voraussetzungen<br />

geschaffen wurden.<br />

Hier existieren unterschiedliche Konzepte zur<br />

Sicherung der Krankenhäuser vor Kontaminationen:<br />

In Hannover, Leipzig, München und Nürnberg sol-<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

59


60<br />

DEKON: KLINIK<br />

len zur Fußballweltmeisterschaft vorsorglich ABC-Dekon-Stellen<br />

der Katastrophenschutzeinheiten der Feuerwehren<br />

oder Hilfsorganisationen im Zugangsbereich<br />

vor speziellen Versorgungskliniken errichtet und<br />

einsatzbereit vorgehalten werden. An den Spieltagen<br />

der WM sollen diese personell mit Helfern des ABCund<br />

Sanitäts- und ggf. des Betreuungsdienstes besetzt<br />

und in Betrieb genommen werden, während die anderen<br />

Zugänge zur Klinik hermetisch abgesperrt werden.<br />

Der Zugang in die Klinik erfolgt ausschließlich<br />

nach einem negativen Messergebnis bzw. einer <strong>Dekontamination</strong>.<br />

Dadurch wird sichergestellt, dass diese<br />

Kliniken auch bei besonderen Lagen arbeitsfähig<br />

bleiben.<br />

Vorschlag für eine <strong>Dekontamination</strong>seinrichtung.<br />

(Grafik: Autoren)<br />

In Berlin wird ein abgestufter Ausbau der Vorsorge<br />

vor Kontaminationen der Aufnahmekrankenhäuser<br />

angestrebt. Die Vorsorge soll dauerhaft und<br />

nicht nur für die Fußball-WM 2006 aufgebaut werden.<br />

Zunächst soll eine Grundvorsorge in allen Krankenhäusern<br />

sichergestellt werden, die in der Ausstattung<br />

von zunächst zwei Behandlungsteams (je ein<br />

Arzt und eine Pflegekraft) mit geeigneter persönlicher<br />

ABC-tauglicher Schutzausrüstung (PSA) und entsprechenden<br />

Schulungen von Multiplikatoren für die<br />

folgenden Unterweisungen mit Übungen der Mitarbeiter/innen<br />

besteht. Dies lässt zunächst eine medizinische<br />

Grundversorgung der Kontaminierten nach deren<br />

Entkleidung, sicherer Verpackung der Kleidung<br />

in dichten Behältnissen und einer <strong>Dekontamination</strong>,<br />

z.B. im Gipsraum, im Bad oder in einer Dusche,<br />

ohne weitere Gefährdung des Behandlungsteams zu<br />

und ermöglicht eine Sichtung ggf. weiterer Patienten<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

im Wartebereich der Ersten-Hilfe-Stelle, der Rettungsstelle<br />

oder dem Aufnahmebereich durch das nächste<br />

zwischenzeitlich alarmierte zweite Behandlungsteam<br />

in einsatzbereit vorgehaltener PSA.<br />

Empfohlene persönliche Schutzausstattung<br />

(PSA) für (Aufnahme-)Krankenhäuser:<br />

•Gebläseunterstützter Atemschutz mit T3-Haube<br />

(Eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung<br />

gem. G 26 ist hier empfehlenswert, jedoch nicht<br />

zwingend erforderlich.)<br />

Das einsatzbereite Vorhalten erfordert eine laufende<br />

Akku-Pflege und -Wartung!<br />

•Kombifilter (bei ABC- oder noch unklaren Lagen)<br />

Filtertyp: TH1/TH2/TH3/TM2/TM3<br />

A2B2E2K2Hg PSL<br />

mit Spritzschutzabdeckung<br />

(Partikelfilter nur bei reinen B-Lagen:<br />

Filtertyp: TH1/TH2/TH3/TM3 PSL<br />

- Sonderisolierstationen<br />

- Behandlungseinrichtungen 2. Grades)<br />

•Körperschutz bei ABC- oder noch unklaren Lagen:<br />

Overall mit Kapuze mit integrierten Socken und<br />

Tropfschutz, Farbcodierung: orange (oder grau<br />

[Bundesausstattung]),<br />

Material: z.B. Tychem F®,<br />

zwei Größen: L und XXL<br />

(Farbcodierung: für reine B-Lagen: gelb, z.B.<br />

Tychem C®<br />

- Sonderisolierstationen<br />

- Behandlungseinrichtungen 2. Grades<br />

- Infektionsschutz-Set BERLIN)<br />

•Stiefel (Sicherheitsklasse S4 oder S5,<br />

zwei Größen: 41/42 und 46/47)<br />

•Handschuhe aus Klinikbeständen (Wechsel nach<br />

max. 20 Minuten oder Defekten)<br />

- Material bei <strong>Dekontamination</strong>: Butyl<br />

- Material bei Desinfektion mit PES (z.B. Wofosteril®<br />

und Alkapur®): Nitril<br />

Für die jährlichen Schulungen und die Übungen<br />

reichen einfache Overalls und überlagerte<br />

(Kombi-) Filter aus den vorhandenen Beständen aus.<br />

Kommunikation Krankenhaus/Leitstelle<br />

Während der Behandlung des ersten Patienten<br />

in der Klinik durch das erste Team in PSA und der


Sichtung der wartenden Patienten und Besucher durch<br />

das zweite Team in PSA wird unverzüglich die Rettungsleitstelle<br />

informiert: Es könnte der Initial-Patient<br />

eines dort bislang noch nicht bekannten Schadensereignisses<br />

sein, so dass von dort aus die anderen im<br />

Einzugsgebiet liegenden Krankenhäuser voralarmiert<br />

werden können, um sich sowohl auf einen unkontrollierten<br />

Zulauf von kontaminierten Patienten als<br />

auch eine folgende kontrollierte Einlieferung von<br />

teil-/spot-dekontaminierten oder zwischenzeitlich vor<br />

Ort an der Schadensstelle dekontaminierten Patienten<br />

in entsprechend ausgewählten Aufnahmekrankenhäusern<br />

oder speziellen Behandlungszentren durch<br />

den Rettungsdienst einzurichten.<br />

Der Kommunikation Rettungsleitstelle/Krankenhaus<br />

kommt eine besondere Bedeutung bei ABC-<br />

Lagen zu. In Berlin werden die Krankenhäuser über<br />

so genannte ‚Rote Telefone’ durch die Leitstelle der<br />

Berliner Feuerwehr alarmiert. Eine schriftliche Übermittlung<br />

von Lagemeldungen (z.B. Stoffnamen incl.<br />

CAS-Nummer) ist über besondere Faxverbindungen<br />

möglich, die in den Kliniken für Not- und Krisenfälle<br />

ständig erreichbar vorgehalten werden. Diese Faxgeräte<br />

in den Krankenhäusern werden Tag und Nacht<br />

besonders überwacht.<br />

Weiteres Procedere<br />

Der weitere Zugang zur Ersten-Hilfe-Stelle, der<br />

Rettungsstelle oder zum Aufnahmebereich wird gesperrt.<br />

Die Wartenden — Patienten und Besucher —<br />

werden bis zur Einrichtung und Inbetriebnahme<br />

einer provisorischen ersatzweisen Rettungsstelle für<br />

die weitere Regelversorgung zunächst unverzüglich<br />

ins Freie geleitet. Dort werden sie nochmals gesichtet.<br />

Den kontaminierten Patienten wird ein gesonderter<br />

Wartebereich zugewiesen, in dem zwischenzeitlich<br />

Kleidung ausgezogen und in bereit gehaltene Behältnisse<br />

abgelegt wird sowie ggf. Wertsachen in gesondert<br />

vorgehaltenen Behältnissen abgelegt werden.<br />

Diese Patienten erhalten zunächst ein nummeriertes<br />

Armband mit einer möglichst dekontaminationsmittelbeständigen<br />

Kennzeichnung, die sich auch auf<br />

den Verschlüssen für die Behältnisse für die Kleidung<br />

und ggf. auch für Wertsachen befindet. Damit<br />

ist eine eindeutige Kennzeichnung gegeben, die sich<br />

auch auf der Patienten-Anhängekarte befindet, die<br />

erst nach erfolgter <strong>Dekontamination</strong> ausgefüllt wird.<br />

Die möglicherweise sekundär Kontaminierten<br />

– Personal, Patienten und Besucher – werden ebenfalls<br />

erfasst und entsprechend dokumentiert. Die<br />

eventuell sekundär kontaminierten Gegenstände im<br />

Krankenhaus werden für eine spätere <strong>Dekontamination</strong><br />

markiert, die Räume gut gelüftet (Raumlufttechnische<br />

Anlagen beachten!) und gesperrt.<br />

Übungen in Krankenhäusern sind immer noch eine Ausnahme.<br />

Die weitere Versorgung der Schadensopfer ist<br />

von der erweiterten Vorsorge des abgestuften Ausbaus<br />

mit einer Dekon-Stelle abhängig. Im Rahmen<br />

einer entsprechenden Ortsbegehung und Prüfung<br />

der baulich-funktionellen Gegebenheiten des Krankenhauses<br />

unter Berücksichtigung der Verkehrsführung<br />

der Ver- und Entsorgungsanbindungen (Warmund<br />

Kaltwasseranschlüsse, notstromversorgte Kraftund<br />

Haushaltsstromanschlüsse sowie die Abwasseranbindung)<br />

ist zu entscheiden, ob vorhandene geeignete<br />

Räume im Krankenhaus zu einer Dekon-Stelle<br />

ausgebaut werden können oder ob eine Dekon-Stelle<br />

in einem der Ersten-Hilfe-Stelle, der Rettungsstelle<br />

oder des Aufnahmebereichs vorgelagerten Zelt auf<br />

dem Krankenhausgelände oder dem öffentlichen<br />

Straßenland eine krankenhaussichernde <strong>Dekontamination</strong><br />

‚ante portas’ zulässt.<br />

Diese Dekon-Stellen müssten bei entsprechenden<br />

Schadenslagen innerhalb von max. 20 Minuten<br />

nach einer Alarmierung einsatzfähig sein.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

61


62<br />

DEKON: KLINIK<br />

<strong>Dekontamination</strong>seinrichtung zur Tagung der NATO in Berlin. (Fotos: Autoren)<br />

Grundsätzliche Forderungen<br />

Im Rahmen des zweiten Fachkongresses zur<br />

Fußballweltmeisterschaft 2006 im Oktober 2005 in<br />

Ahrweiler sind in einem länderübergreifenden Workshop<br />

die Grundforderungen für die Vorsorge der<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

Krankenhäuser bei ABC-<br />

Schadensereignissen<br />

beschrieben worden.<br />

•Jede Klinik muss bis<br />

zur WM 2006 geeignete<br />

Maßnahmen zum<br />

Grundschutz im Rahmen<br />

der Vorsorgeplanung<br />

treffen.<br />

•Ferner sollen Krankenhäuser,<br />

die an der Notfallversorgung<br />

beteiligt<br />

sind, zukünftig geeignetebaulich-funktionelle,<br />

organisatorische<br />

und personelle Ressourcen<br />

vorhalten, um<br />

Patienten dekontaminieren<br />

zu können.<br />

•An ausgewählten Krankenhäusern<br />

sind die<br />

<strong>Dekontamination</strong>skapazitäten<br />

um geeignete,<br />

z.B. mobile, Einrichtungen<br />

zu erweitern.<br />

•Die entsprechenden<br />

Vorhaltemaßnahmen<br />

stellen eine gesamtgesellschaftlicheAufgabe<br />

dar, die nicht allein<br />

von den Krankenhausbetreibern<br />

getragen<br />

werden können. Deshalb<br />

sind hier insbesondere<br />

die Länder<br />

gefordert. Diese haben<br />

die dafür notwendigen<br />

Voraussetzungen<br />

zu schaffen.


<strong>Dekontamination</strong> aus Sicht<br />

des Krankenhauses<br />

Von H. A. Adams<br />

Grundlagen<br />

Beim terroristischen Einsatz von ABC-Kampfmitteln<br />

ist stets mit einer Panik zu rechnen, was die Isolierung<br />

aller Betroffenen im sicheren Umfeld des Schadensortes<br />

mit nachfolgender koordinierter <strong>Dekontamination</strong><br />

und medizinischer Versorgung illusorisch<br />

macht. Insgesamt ist die Ausbreitung der Noxe in<br />

Wohngebiete usw. ebensowenig zu verhindern wie das<br />

unangemeldete Erscheinen kontaminierter Patienten<br />

in umliegenden Kliniken.<br />

Trotzdem ist an der <strong>Dekontamination</strong> aller<br />

noch erreichbaren verletzten sowie — nachrangig —<br />

unverletzten Betroffenen im sicheren Umfeld des<br />

Schadensortes durch dazu vorgesehene Einsatzkräfte<br />

und -mittel festzuhalten, der unkoordinierte Abtransport<br />

nach Kräften zu unterbinden und auf strikte<br />

Transportkoordination zu achten. Für die weitere Versorgung<br />

der Verletzten bietet sich die Einplanung<br />

und Vorbereitung einer ABC-Versorgungsklinik an.<br />

Allgemeine Aufgaben einer ABC-Versorgungsklinik<br />

Eine ABC-Versorgungsklinik hat die Aufgabe,<br />

eine auch größere Zahl von Patienten mit A-, B- oder<br />

C-Schäden sowie Begleitverletzungen stationär zu behandeln,<br />

wozu sie ggf. durch Zuführung von Spezialisten<br />

und Material unterstützt wird. Analog zum<br />

Konzept der Erstversorgungsklinik (EVK) für Verletzte<br />

im Katastrophenfall stellt die Klinik ggf. ihren<br />

Routinebetrieb ein und konzentriert alle Ressourcen<br />

auf diese Aufgabe.<br />

Die Auswahl der Klinik orientiert sich am medizinischen<br />

Szenario und den örtlichen Verhältnissen.<br />

Bei einer Panik ist mit einer Vielzahl von Kombinationsschäden<br />

zu rechnen; neben der Schädigung<br />

durch die ABC-Noxe — mit ggf. großflächigen Verlet-<br />

zungen des Integuments bei Einsatz von C-Kampfmitteln<br />

— sind daher insbesondere stumpfe Traumen<br />

zu erwarten, sodass sich die einseitige Betrachtung<br />

der ABC-Schädigung verbietet. Bei der Behandlung<br />

dieser Kombinationstraumen treffen widerstrebende<br />

Forderungen — wie die nach frühestmöglicher <strong>Dekontamination</strong><br />

und schnellstmöglicher Traumaversorgung<br />

— aufeinander. Weiter ist zu beachten, dass insbesondere<br />

C-Kampfmittel zur unmittelbar letalen Bedrohung<br />

der Helfer führen, was bei A- oder B-Kampfmitteln<br />

nicht in diesem Maße zutrifft.<br />

Grundsätzlich ist daher als ABC-Versorgungsklinik<br />

eine Einrichtung mit leistungsfähiger unfallund<br />

viszeralchirurgischer sowie anästhesiologischer<br />

Abteilung zu wählen. Optimal ist es, wenn dort zusätzlich<br />

ein Zentrum zur Behandlung Schwerbrandverletzter<br />

mit entsprechender Erfahrung in der Therapie<br />

kombinierter mechanischer und thermischer<br />

Traumen vorhanden ist.<br />

Allgemeine Vorbereitungen<br />

Für den Betrieb einer ABC-Versorgungsklinik<br />

sind u. a. folgende Vorbereitungen erforderlich, die<br />

in Zusammenarbeit mit der örtlichen Feuerwehr zu<br />

treffen und in einem detaillierten Notfallplan für<br />

externe ABC-Gefahrenlagen niederzulegen sind:<br />

•Zugang zur ABC-Versorgungsklinik nur streng<br />

kanalisiert und nach Prüfung auf Kontamination.<br />

•Einrichtung eines Personen-<strong>Dekontamination</strong>splatzes<br />

der Feuerwehr mit klar getrennter „unreiner“<br />

und „reiner“ Wegeführung (Schwarz- und Weißbereich)<br />

im unmittelbaren Zugangsbereich der<br />

Klinik.<br />

•Detaillierte Vorbereitungen zur räumlich strikt<br />

getrennten Verlegung nicht kontaminierter Nor-<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />

63


64<br />

DEKON: KLINIK<br />

malpatienten der Klinik, sofern entsprechender<br />

Platzbedarf besteht.<br />

•Klare innerklinische Zuordnung zu therapieführenden<br />

Fachgebieten.<br />

Notfallplan der Medizinischen Hochschule<br />

Hannover bei externen ABC-Gefahrenlagen<br />

Der Notfallplan der Medizinischen Hochschule<br />

Hannover (MHH) sieht — getrennt nach A-,<br />

B- oder C-Lagen — folgende Maßnahmen vor.<br />

•Es wird zwischen der Anlieferung eines Einzelpatienten<br />

in der Zentralen Notfallaufnahme (Alarmstufe<br />

I) sowie der Aufnahme mehrerer Patienten in<br />

einer „Besonderen Aufnahmezone“ unterschieden<br />

(Alarmstufen II und III).<br />

•Unkoordiniert eingetroffene Patienten werden zunächst<br />

gemäß Alarmstufe I versorgt.<br />

•Zur koordinierten Einlieferung richtet die Feuerwehr<br />

etwas abgesetzt von der Zentralen Notfallaufnahme<br />

einen Personen-<strong>Dekontamination</strong>splatz ein,<br />

der von Feuerwehr und Rettungsdienst betrieben<br />

wird. Im Einzelfall kann — unter entsprechendem<br />

Personenschutz — eine Unterstützung durch MHH-<br />

Kräfte erfolgen.<br />

•Die Patienten werden nach sachgerechter <strong>Dekontamination</strong><br />

und entsprechender Nachprüfung bzw.<br />

-messung an einem definierten Zugangspunkt in<br />

der „Besonderen Aufnahmezone“ von MHH-<br />

Teams übernommen.<br />

Danach werden die Patienten zur weiteren klinischen<br />

Versorgung je nach Schädigungsmuster einer<br />

Fachdisziplin zugeordnet. Hochkontagiöse Patienten<br />

werden in einer vorab festgelegten „Besonderen<br />

Behandlungszone“ isoliert.<br />

Zusammenfassung und Diskussion<br />

Mit dem Konzept der ABC-Versorgungsklinik<br />

sollen die begrenzten Ressourcen zur Versorgung<br />

kontaminierter und ggf. zusätzlich verletzter Patienten<br />

konzentriert und optimal genutzt sowie die<br />

übrigen Kliniken möglichst unbelastet und arbeitsfähig<br />

erhalten werden. Alle noch erreichbaren Patienten<br />

werden im sicheren Umfeld der Schadensstelle<br />

BEVÖLKERUNGSSCHUTZ SONDERAUSGABE 2006<br />

dekontaminiert und koordiniert<br />

transportiert.<br />

Darüber hinaus wird eine<br />

leistungsfähige Klinik als<br />

ABC-Versorgungsklinik<br />

mit einem Personen-<strong>Dekontamination</strong>splatzausgestattet,<br />

der zur <strong>Dekontamination</strong>unkoordiniert<br />

eintreffender Patienten<br />

und ggf. zur Nachdekontaminationkoordiniert<br />

eintreffender Patienten<br />

dient. Es gibt jedoch<br />

keine Gewähr gegen das<br />

unangemeldete Erscheinen<br />

kontaminierter Patienten,<br />

sodass in allen<br />

Kliniken zumindest Maßnahmen<br />

zur Notdekontamination<br />

von Einzelpatienten<br />

vorzubereiten<br />

sind. Diese muss dann<br />

allerdings ohne professionelle<br />

Hilfe mit „eingewiesenem“Klinikpersonal<br />

erfolgen. Die professionelle<br />

Unterstützung<br />

durch ausgebildete Feuerwehrkräfte<br />

ist das wesentliche<br />

Merkmal einer<br />

ABC-Versorgungsklinik,<br />

die ihre internen Abläufe<br />

dann auf die eigentliche<br />

medizinische Versorgung<br />

konzentrieren kann.<br />

Die zeitgerechte Zuweisung<br />

der erforderlichen<br />

lokalen und regionalen<br />

Einsatzkräfte von Feuerwehr<br />

und Rettungsdienst<br />

ist durch die Alarmordnung<br />

sicherzustellen.<br />

IMPRESSUM<br />

Anschrift der Redaktion:<br />

Postf 200351, 53133 Bonn<br />

Herausgegeben im Auftrag des<br />

Bundesministeriums des Innern<br />

vom Bundesamt für<br />

Bevölkerungsschutz<br />

und Katastrophenhilfe (BBK),<br />

Deutschherrenstraße 93-95,<br />

53177 Bonn<br />

Verlag: BBK,<br />

Internet:<br />

http://www.bbk.bund.de<br />

E-Mail:<br />

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Erscheint im Februar, Mai,<br />

August und November. Redaktionsschluss<br />

ist jeweils der 10.<br />

des Vormonats.<br />

Chefredaktion:<br />

Alexander Krapf<br />

Telefon 01888-550-354<br />

Redaktion:<br />

Nikolaus Stein<br />

Tel.: 01888-550-362<br />

Rainer Schramm<br />

Tel.:01888-550-365<br />

Fax 01888-550-436<br />

Layout: Nikolaus Stein<br />

Druck, Herstellung und<br />

Vertrieb:<br />

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Niehler Gürtel 102<br />

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Manuskripte und Bilder nur an<br />

die Redaktion. Für unverlangt<br />

eingesandte Beiträge keine<br />

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Beiträge, auch im Auszug, nur<br />

mit Quellenangabe und mit<br />

Genehmigung der Redaktion<br />

gestattet.<br />

Mit Namen gezeichnete Beiträge<br />

geben die Meinung des<br />

Verfassers wieder und müssen<br />

nicht unbedingt mit der Auffassung<br />

der Redaktion übereinstimmen.<br />

Einzelpreis ¤ 1,90<br />

Abonnement jährlich ¤ 7,50<br />

zzgl. Porto und Versandkosten.<br />

Bei Nichterscheinen der Zeitschrift<br />

im Falle höherer Gewalt<br />

oder bei Störung des Arbeitsfriedens<br />

besteht kein Anspruch<br />

auf Haftung.


Persönliche ABC-Schutzausrüstung<br />

Die neue persönliche ABC-Schutzausrüstung wurde nach<br />

dem heutigen Stand der Technik konzipiert und schützt<br />

den Träger vor Gefahren durch radioaktive, biologische<br />

und chemische Kontamination. Sie besteht aus folgenden<br />

Bestandteilen:<br />

Overgarment<br />

Das Overgarment, eine Überarbeitung des<br />

alten Modells aus den 80er Jahren, schützt vor den<br />

Dämpfen und kleinen Tröpfchen von chemischen<br />

Kampfstoffen, nicht jedoch vor größeren Mengen<br />

an Flüssigkeiten gleich welcher Art.<br />

Es besteht aus einem zweilagigen textilen<br />

Stoffverbund. Die Außenkleidschicht<br />

ist öl- und wasserabweisend imprägniert.<br />

Die Innenkleidschicht besteht aus einem<br />

Futterstoff auf der hautzugewandten<br />

Seite, auf dem Aktivkohlekügelchen als<br />

adsorptive Schicht aufgebracht sind. Es<br />

ist semipermeabel, d.h. luft- und wasserdampfdurchlässig<br />

von innen nach<br />

außen. Der Anzug verfügt als erster seiner<br />

Art über ein CE-Zeichen.<br />

Flüssigkeitsdichte Schutzkleidung<br />

Zum Schutz vor Kontamination durch<br />

Flüssigkeiten und Partikel von A-, B- und C-<br />

Schadstoffen dient die flüssigkeitsdichte Schutzkleidung.<br />

Das Material ist ein Laminat aus verschiedenen<br />

Kunststoffschichten, womit ein breitbandiger<br />

Schutz vergleichbar einem CSA gegeben<br />

ist. Der Anzug ist sowohl einzeln als auch über<br />

dem Overgarment tragbar.<br />

Atemschutzmaske<br />

Hierbei handelt es sich um einen Atemanschluss<br />

nach EN 136 Klasse 3 und VFDB-Richtlinie 0802 in<br />

Normaldruckausführung. Der Maskenkörper besteht aus<br />

einer Naturkautschuk-Mischung. Im Gegensatz zur<br />

alten Maske M65 Z ist sie eine Einfenstermaske.<br />

Beim Filter handelt es sich um einen ABEK2<br />

Hg P3-Filter nach EN 141. Er schützt mit mittlerem<br />

Aufnahmevermögen gegen:<br />

• Org. Gase und Dämpfe mit einem Siedepunkt >65°C<br />

EXTRA<br />

• Anorganische Gase und Dämpfe, z.B. Chlor, Schwefelwasserstoff,<br />

Blausäure, aber nicht gegen Kohlenmonoxid<br />

• Schwefeldioxid und andere saure Gase und Dämpfe<br />

• Ammoniak und organische Ammoniak-Derivate<br />

Zusätzlich besteht ein Schutz gegen Quecksilber.<br />

Der Filtereinsatz ist ein Kombinationsfilter und hat auch<br />

einen Partikelfilterteil mit hoher Abscheideleistung.<br />

Tragetasche<br />

Die Tragetasche dient zum Transport von<br />

Atemschutzmaske und Filtern. Sie wurde in<br />

Anlehnung an Spezifikationen der Bundeswehr<br />

beschafft. Das Material ist fast unbegrenzt<br />

lagerfähig.<br />

Schutzhandschuhe<br />

Die Schutzhandschuhe sind aus<br />

Butylkautschuk gefertigt und haben eine<br />

breitbandige Rückhalteleistung.<br />

Schutzschuhe<br />

Sie sind gefertigt nach DIN 345 Teil 2<br />

S5. Beim Material handelt es sich um eine auf<br />

Basis von Butylkauschuk gefertigte Mischung.<br />

Die Schutzschuhe besitzen eine ölbeständige<br />

Sohle und sind antistatisch.<br />

Unterziehhandschuhe<br />

Die Unterziehhandschuhe dienen sollen<br />

wegen eines besseren Griffes unter den<br />

Schutzhandschuhen getragen werden. Sie sind aus reiner<br />

Baumwolle gefertigt und waschbar.<br />

Funktionssocken<br />

Die Funktionssocken dienen zur komfortablen<br />

Nutzung der Schutzschuhe und sollen einen besseren<br />

Halt in diesen ermöglichen. Sie bestehen aus einer atmungsaktiven<br />

Klimafaser und sind ebenfalls waschbar.<br />

SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ


Bevölkerungsschutz<br />

Bundesamt für Bevölkerungsschutz<br />

und Katastrophenhilfe<br />

Postfach 20 0351, 53133 Bonn<br />

PVSt, Deutsche Post AG,<br />

Entgelt bezahlt, G 2766<br />

Nicht mehr ganz ein halbes Jahr bis zum Anstoß des Eröffnungsspieles<br />

der Fußball-Weltmeisterschaft — Millionen Menschen<br />

in der ganzen Welt werden mit großer Aufmerksamkeit<br />

nach Deutschland schauen und tausende als Gäste<br />

unser Land besuchen.<br />

Ein derartiges Ereignis bedarf allerdings auch einer sorgfältigen<br />

Vorsorgeplanung. Schon im Januar 2005 hat das BBK<br />

in einer ersten Veranstaltung möglichst viele Verantwortliche<br />

zusammengeführt, um gemeinsam den Vorbereitungsstand<br />

und mögliche Risiken zu analysieren. Eine Folgeveranstaltung<br />

im Oktober befasste sich mit dem Bereich<br />

<strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong>. Ein ausführlicher Bericht würde<br />

den Rahmen einer „normalen“ Ausgabe sprengen, daher<br />

erstmals eine <strong>Sonderausgabe</strong> von Bevölkerungsschutz.<br />

Das Titelbild zeigt eine Übung zur <strong>Dekontamination</strong> <strong>Verletzter</strong><br />

in einer mobilen <strong>Dekontamination</strong>sanlage (o.).<br />

(Fotos: Stein/BBK)

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