Lebensspuren hautnah Eine Kulturgeschichte der ... - akzept e.V.
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Die Gond: Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sonne – Bil<strong>der</strong> des Mondes<br />
Gondwana (Land <strong>der</strong> Gond) nennen die etwa fünf Millionen Gond ihr Siedlungsgebiet<br />
in Zentralindien. Zu ihnen gehören auch die eng verwandten<br />
Gruppen <strong>der</strong> Muria und Maria aus Bastar. Sowohl bei den Muria als auch bei<br />
den Maria werden die Mädchen meist zu Beginn <strong>der</strong> Pubertät von ihren Müttern<br />
mit Hilfe scharfer Eisennadeln und schwarzen Holzkohlestaubs am Körper<br />
tätowiert. Bei den Maria schmücken zudem reiche Verzierungen die Gesichter.Ein<br />
Kreis auf <strong>der</strong> Stirn symbolisiert den vollen,ein Halbmond den halben<br />
Mond. Ein Kreis mit einem Punkt in <strong>der</strong> Mitte ist das Zeichen <strong>der</strong> Sonne.<br />
Viele gläubige Pilger lassen sich das Wort „Rama“ über ihr Gesicht schreiben,<br />
sie zeigen damit ihre Verehrung für diesen göttlichen Helden, <strong>der</strong> als<br />
Symbol des idealen Mannes gilt.<br />
Die Kunst des Tätowierens in Kutch<br />
In dem an Indiens Nordwestküste gelegenen Distrikt Kutch ist das Tätowieren<br />
eine von den Frauen ausgeübte und tradierte Kunst. Die überlieferten<br />
Muster gelten als persönlicher Schmuck einer Frau und sind äußerliches Zeichen<br />
von – wenn auch geringem – Wohlstand. In verschiedenen Lebensabschnitten<br />
angebracht, beson<strong>der</strong>s aber kurz nach <strong>der</strong> Verheiratung, dokumentieren<br />
die Verzierungen auch den Lebensweg einer erwachsenen Frau, <strong>der</strong>en<br />
Gesicht nach allgemeinen Empfinden erst durch die Tätowierung „menschlich<br />
schön“ wird. In einigen Regionen gibt es noch in jedem größeren Dorf<br />
eine Frau, die sich auf das Stechen <strong>der</strong> traditionellen Motive versteht und die<br />
dafür nötigen Essenzen zubereiten kann. Bevor die Ornamente aber in mühsamer<br />
Feinarbeit mit einer Nadel in die Haut punktiert werden, zeichnet<br />
man sie mit Tusche auf. Das Handwerkszeug <strong>der</strong> Tatauiermeisterinnen besteht<br />
aus einer einfachen Nadel. Die Muster schmücken lediglich die sichtbaren<br />
Körperteile: das Gesicht, den Hals, den Ansatz <strong>der</strong> Brüste, Arme,<br />
Hände und Füße. In einigen Regionen von Kutch tragen Frauen bestimmter<br />
Berufsgruppen wie Hirten,Kammmacher o<strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>schmiede auch kleine<br />
tätowierte Kastensymbole. Männer lassen sich weit seltener tätowieren als<br />
Frauen, meist nur auf Jahrmärkten, als Spaß o<strong>der</strong> Angeberei. Sie wählen dann<br />
Darstellungen von Tieren (bevorzugt von Dromedaren, den Lieblingstieren<br />
<strong>der</strong> Hirten von Kutch) o<strong>der</strong> Symbolgestalten <strong>der</strong> religiösen Mythologie. Die<br />
tradierten Muster werden – je nach Körperteil – einzeln o<strong>der</strong> in Reihen angebracht.<br />
Das Gesicht zieren nur einzelne, sparsam verwendete Punktorna-<br />
mente, die auf <strong>der</strong> Stirn, dem Kinn und den Wangen eingestochen werden<br />
können, o<strong>der</strong> auch auf <strong>der</strong> Oberlippe und neben den Augen. Selbst die beson<strong>der</strong>s<br />
schmerzempfindlichen Handteller werden vielfach tätowiert, was<br />
die jungen Mädchen und Frauen um <strong>der</strong> Schönheit willen tapfer ertragen. In<br />
ländlichen Gebieten, im Norden Indiens und in Nepal, haben sich <strong>der</strong>artige<br />
Körperzierden mitsamt <strong>der</strong> traditionellen Zusammenhänge bis heute gehalten,<br />
wenngleich nicht mehr jede Familie ihre Kin<strong>der</strong> selbstverständlich tätowieren<br />
lässt. In den indischen Städten werden dagegen die tradierten Darstellungsmuster<br />
– abgezählte Punkte, Striche, Mondformen, Blüten-, Blattund<br />
Rankenmuster im Gesicht – zusehends als altmodisch empfunden.<br />
Gleichzeitig werden aber die mo<strong>der</strong>nen, westlich beeinflussten, in kommerziellen<br />
Studios vorgenommenen Tattoos – Armbanduhren,Flugzeuge und Radios<br />
– bei den Männern immer beliebter. Religiöse und mythische Abbildungen<br />
sind für junge In<strong>der</strong> in erster Linie nur noch schick und dekorativ, <strong>der</strong><br />
Glaube spielt für sie keine Rolle mehr.<br />
Nepal<br />
Die ethnische Gruppe <strong>der</strong> Newar regierte über Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg das<br />
Kathmandu-Tal in Nepal und vermochte hier dank des fruchtbaren Bodens<br />
und <strong>der</strong> strategisch wichtigen Lage als Handelsmetropole zwischen Indien<br />
und China eine einzigartige Kultur zu entwickeln. Sowohl hinduistische wie<br />
auch buddhistische Stätten dienen den Newar als Orte tiefer Spiritualität,<br />
denn es ist ihnen in einem beson<strong>der</strong>en Maße gelungen, die beiden Religionen<br />
zu integrieren.Als die einzige Gruppe, die in Nepal urbane Kultur zu schaffen<br />
vermochte,sind die Newar auch in <strong>der</strong> Landwirtschaft und im Handel erfolgreich<br />
gewesen. Die Newar von Bhaktapur in Nepal glauben, dass ihre Tätowierungen<br />
sowohl ästhetischen als auch religiösen Wert besitzen.Tätowierungen<br />
schmücken den Körper auf gleiche Weise wie an<strong>der</strong>e Schmuckgegenstände.<br />
Der Vorgang des Hautstichs wird aber we<strong>der</strong> von speziellen<br />
Zeremonien begleitet,noch markiert er bedeutende Ereignisse im Leben <strong>der</strong><br />
Menschen o<strong>der</strong> symbolisiert Gruppenzugehörigkeit. Mit Ausnahme sehr hoher<br />
Kasten, bei denen das Blutvergießen untersagt ist, sind Tätowierungen<br />
auch bei zahlreichen an<strong>der</strong>en Kasten anzutreffen. Als Motive dienen ihnen<br />
vorwiegend Darstellungen von Hindu-Göttern und Gottheiten. Die Auswahl<br />
sowie die Platzierung dieser göttlichen Ebenbil<strong>der</strong> geschieht mit größtem<br />
Bedacht. Der Hindu-Gott Krishna gilt als das beliebteste Tätowiermotiv, da<br />
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