Lebensspuren hautnah Eine Kulturgeschichte der ... - akzept e.V.
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als koptischen Mönchen in Ägypten von den arabischen Eroberern ein Kreuz<br />
auf den Arm als Identifikationsmal gebrannt wurde.<br />
Die Berber<br />
Bei vielen Gruppen <strong>der</strong> nordafrikanischen Berber tragen vornehmlich die<br />
Frauen eine Reihe von unterschiedlichen Tätowierungen. Berberfrauen im<br />
Hohen Atlas tragen Tätowierungen auf <strong>der</strong> Nase, unter dem Mund und um<br />
die Augen.Diese schützen vor Krankheiten und bösen Kräften.Nicht nur <strong>der</strong><br />
typische Silberschmuck, son<strong>der</strong>n auch die Tätowierung hat für sie Amulettcharakter.<br />
Die Motive <strong>der</strong> Zeichnungen und die Technik <strong>der</strong> Operation werden<br />
von den Müttern an ihre Töchter vererbt. Die Ornamente werden als<br />
Schmuck empfunden, dienen in vielen Fällen jedoch vor allem dazu, übersinnliche<br />
Kräfte abzuwehren, die dem Menschen Schaden zufügen können.<br />
Die Berber führen Krankheiten nicht nur auf rein körperliche Ursachen zurück,<br />
son<strong>der</strong>n erkennen in ihnen das Wirken außermenschlicher Kräfte.Weil<br />
die schädigenden Kräfte bevorzugt durch die Körperöffnungen in die Menschen<br />
eindringen, müssen diese beson<strong>der</strong>s geschützt werden. Die Frauen<br />
bringen deshalb die Tätowierungen vor allem im Gesicht an. Abwehrende<br />
und heilkräftige Tätowierungen und Bemalungen finden sich aber auch auf<br />
an<strong>der</strong>en Körperteilen, die nicht durch Kleidung dauerhaft geschützt werden<br />
können. Bei den Berbern gilt die Tätowierung auch als Schutz <strong>der</strong> weiblichen<br />
Fruchtbarkeit. Die Motive <strong>der</strong> Hautverzierungen ähneln den Mustern von<br />
Textilien und Teppichen. Für die Dekors verwendet man in <strong>der</strong> Regel recht<br />
einfache Grundmuster wie Kreuze, Punkte, Geraden und Dreiecke. Dazu<br />
kommt die stilisierte Abbildung einer Dattelpalme o<strong>der</strong> eines Palmzweiges.<br />
Diesem Ornament, „siyala“ genannt, schreiben die Berber in beson<strong>der</strong>em<br />
Maß abwehrende und fruchtbarkeitsför<strong>der</strong>nde Kräfte zu. Die siyala gilt deshalb<br />
als das „weiblichste“ aller Muster und schmückt bevorzugt Mädchen in<br />
<strong>der</strong> Pubertät. Die Palme als Sinnbild für Fruchtbarkeit wird so mit den erhofften<br />
Kin<strong>der</strong>n <strong>der</strong> jungen Frauen in Beziehung gesetzt. Das siyala-Muster<br />
kann mit Henna aufgemalt, aber auch tätowiert werden.An <strong>der</strong> siyala zeigt<br />
sich beson<strong>der</strong>s deutlich, dass die Tätowierungen und Bemalungen in Afrika<br />
häufig eine dreifache Funktion erfüllen: Sie verschönern, zerstören negative<br />
Einflüsse und vermehren positive Kräfte.<br />
4. Soziale und kulturelle Aspekte <strong>der</strong> Tätowierung<br />
Zweck und Bedeutung <strong>der</strong> Tätowierung<br />
Betrachtet man die Kulturen, die die Tätowierung kennen, so stößt man auf<br />
viele Anlässe für eine Tätowierung. Bei vielen Ethnien hat sich die Tätowierung<br />
als Verschönerungsmittel vor allem zur Anziehung des an<strong>der</strong>en Geschlechts<br />
eingebürgert. An<strong>der</strong>e Gründe können Trauer o<strong>der</strong> Freude, Sieg<br />
o<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage sein,Tätowierungen können Bestandteil einer Zeremonie,<br />
eines Rituals,das von Mantras,Gesängen und Tänzen begleitet wird,sein.<strong>Eine</strong><br />
bestimmte Mondphase, ein Sternbild o<strong>der</strong> eine Jahreszeit können den geeigneten<br />
Zeitpunkt für eine Tätowierung bestimmen.Tätowierungen können als<br />
nichtsprachliche Kommunikation über Heldentaten, erfolgreiche und gefährliche<br />
Jagden, Expeditionen,Wan<strong>der</strong>ungen, Besitz,Talent, Ehestand, Mut und<br />
Kraft, Erfindungsreichtum und Durchhaltevermögen fungieren. In Europa, wo<br />
die Tätowierungen vielfach unter <strong>der</strong> Kleidung versteckt liegen, erfüllen sie<br />
nicht immer einen eindeutig bestimmbaren Zweck.<br />
Tätowierung als Schmuck<br />
Manchmal dienen Tätowierungen einfach nur als reiner Schmuck o<strong>der</strong><br />
Zierde. Die Tätowierung ist, neben den Ziernarben und <strong>der</strong> Körperbemalung,<br />
<strong>der</strong> einzige „Schmuck“, <strong>der</strong> nicht unabhängig von <strong>der</strong> sie tragenden Person<br />
untersucht und begutachtet werden kann. Dieser tätowierte Mensch ist<br />
sozusagen selbst ein Teil des Schmuckstücks, denn ohne ihn kann keine Tätowierung<br />
existieren. Aber nicht nur diese Untrennbarkeit von Träger und<br />
Schmuckstück ist beachtenswert. Die Tätowierung ist gleichzeitig das unvergänglichste,<br />
aber auch für die Nachwelt am schwierigsten zu bewahrende<br />
Schmuckstück überhaupt.<br />
Tätowierung zur Markierung von Lebensabschnitten<br />
Die vielleicht bekannteste Form <strong>der</strong> Tätowierung ist die als Bestandteil <strong>der</strong><br />
Initiationsriten, wie sie in vielen Teilen <strong>der</strong> Welt praktiziert werden. Schwangerschaft<br />
und Geburt,Pubertät sowie Abschied von <strong>der</strong> Kindheit und Eintritt<br />
in eine neue gesellschaftliche Position (Initiation), als auch Heirat und Tod<br />
werden in vielen Gesellschaften von Zeremonien und Riten begleitet. Diese<br />
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