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Lebensspuren hautnah Eine Kulturgeschichte der ... - akzept e.V.

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grenzung zu an<strong>der</strong>en Religionen, als auch um sich ein christliches Begräbnis<br />

zu sichern. Das Motiv des Wie<strong>der</strong>erkennens, <strong>der</strong> Identifikation mittels Tätowierungen<br />

wurde auch vom 16. bis in das 18. Jahrhun<strong>der</strong>t in Pariser Armenspitälern<br />

betrieben. Dort wurden Mütter und ihre neugeborenen Kin<strong>der</strong> mit<br />

demselben Mal gekennzeichnet, um die Mutter im Falle eines Verbrechens,<br />

wie Kindesaussetzung o<strong>der</strong> Mord, leichter identifizieren zu können.Tiroler<br />

Bauern handelten im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t ähnlich: Sie stachen ihren Kin<strong>der</strong>n, die<br />

sie zum Gel<strong>der</strong>werb in die Fremde schicken mussten, kleine Zeichen ins Gesicht,<br />

an denen sie sie später wie<strong>der</strong>erkennen wollten. Die Tätowierung war<br />

eine Art Personalausweis, die Identity-Card, die zwar die Identität ausweist,<br />

sie aber nicht ausmacht o<strong>der</strong> zu ihr beiträgt. So lag die Funktion <strong>der</strong> Tätowierung<br />

hauptsächlich darin, von seiner Familie o<strong>der</strong> diversen Behörden<br />

wie<strong>der</strong>erkannt zu werden.<br />

Tätowierungen in Berufsständen und ihre Motive<br />

Viele Berufsstände, wie etwa Soldaten, Fabriks- und Landarbeiter o<strong>der</strong> auch<br />

wan<strong>der</strong>nde Handwerksgesellen entdeckten die Tätowierung für sich. Meist<br />

wurden ihnen ihre Zunftzeichen auf den Oberarm gestochen, den Bäckern<br />

zum Beispiel eine Brezel o<strong>der</strong> Bergleuten ein Hammer. Für viele Seeleute<br />

war natürlich <strong>der</strong> Anker die berufsbezeichnende Tätowierung schlechthin.<br />

Tätowierung als Kennzeichnung von Verbrechen<br />

Im frühen Japan <strong>der</strong> Edo-Zeit (1603-1868) als auch in China war Tätowierung<br />

als Zwangsmaßnahme für Verbrecher üblich. Für Delikte wie Diebstahl,<br />

Hehlerei o<strong>der</strong> Betrug wurden überführte Straftäter mit Streifen an Armen<br />

o<strong>der</strong> im Gesicht gekennzeichnet, wobei sich die Zahl,Anordnung und Platzierung<br />

<strong>der</strong> tätowierten Streifen nach <strong>der</strong> Stadt, in <strong>der</strong> sie verurteilt wurden,<br />

unterschied. Der Zweck, <strong>der</strong> dahinter stand, war vor allem die Markierung<br />

auf Lebenszeit und die Warnung für die Mitmenschen. Die betroffene Person<br />

war im wahrsten Sinne des Wortes „gestempelt“ auf Lebenszeit. <strong>Eine</strong> richtige<br />

Rehabilitation war nicht mehr möglich.Die Praxis <strong>der</strong> Straf-Tätowierung<br />

kennen wir sogar aus England. So war es in <strong>der</strong> englischen Kolonialarmee bis<br />

1864 üblich, zur „Aufrechterhaltung <strong>der</strong> Disziplin“ Deserteure mit einem<br />

„D“ sowie Soldaten mit „verbrecherischen Anlagen“ mit einem „B.C.“ (=<br />

bad character) auf den Unterarmen zu tätowieren. Beson<strong>der</strong>s gefährliche<br />

Strafgegangene wurden in Amerika mit Tätowierungen zur lebenslangen<br />

Kennzeichnung versehen. In Japan gingen die Straftätowierten bald dazu<br />

über, die Markierungen dadurch unkenntlich zu machen, dass sie Figuren<br />

o<strong>der</strong> Ornamente über die Strafmarkierungen tätowierten.Auf diese Weise<br />

verlor die Straf-Tätowierung ihren eigentlichen Sinn, denn niemand konnte<br />

an <strong>der</strong> „neuen“ Tätowierung ablesen,ob sie freiwillig angebracht wurde o<strong>der</strong><br />

nicht, geschweige denn welches Verbrechen möglicherweise vorgelegen haben<br />

könnte. Die Bevölkerung brachte jedoch gedanklich lange Zeit Tätowierung<br />

immer noch mit Verbrechen in Verbindung.Vorurteile ähnlicher Art finden<br />

sich auch in Europa. So werden häufig auffällig Tätowierte mit ehemaligen<br />

Gefängnisaufenthalt in Zusammenhang gebracht und so von <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

nachträglich „gebrandmarkt“.<br />

Tätowierungen von Sklaven und Kriminellen bei den Römern<br />

Der Vorgang <strong>der</strong> sozialen Abgrenzung durch zwangsweise beigebrachte Körperzeichnungen,<br />

spielte zu allen Zeiten <strong>der</strong> Geschichte eine zentrale Funktion.<br />

Unter den Römern und Griechen war die Tätowierung ein Ausdrucksmittel<br />

von Willkür und ein Machtmittel des Souveräns gegenüber seinen<br />

Feinden und seinen Untertanen. Demgemäß kennzeichneten die Römer Verbrecher<br />

und Kriegsgefangene mittels Tätowierung, um die Bevölkerung vor<br />

diesen Menschen zu warnen, und um potentielle Verbrecher abzuschrecken.<br />

Den Verurteilten wurden Symbole ihres begangenen Verbrechens auf die<br />

Stirn eingestochen. So wurde zum Beispiel einem Falschspieler ein Würfel,<br />

sowie einem Vergewaltiger ein Penis eintätowiert. Neben <strong>der</strong> Bestrafung<br />

durch die zugefügten Schmerzen stand hier beson<strong>der</strong>s die soziale Degradierung<br />

des Delinquenten im Vor<strong>der</strong>grund. Neben den Verbrechern, Gefangenen<br />

und angeworbenen Söldnern wurden auch noch Deserteure gekennzeichnet,<br />

um ihre Schande und Unehrenhaftigkeit für je<strong>der</strong>mann deutlich zu<br />

machen.Weiters wurden Sklaven tätowiert, um das jeweilige Eigentum anzuzeigen,<br />

und um zu verhin<strong>der</strong>n, dass ein Sklave entlaufen kann. Selbst wenn<br />

sich Sklaven freikaufen konnten, trugen sie das Zeichen ihrer früheren<br />

Knechtschaft auf den Körpern. Die Initialen o<strong>der</strong> ein Symbol des Besitzers<br />

wurde üblicherweise auf die Stirn des Sklaven eingestochen. Dieser grausame<br />

Brauch wurde bis in das dritte Jahrhun<strong>der</strong>t nach Christus praktiziert.<br />

Die Regelung <strong>der</strong> Straf- und Zwangstätowierung wurde schließlich von Kaiser<br />

Constantin (306-337) modifiziert.<br />

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