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Zyklisch-serielle Narration. Johann Wolfgang von Goethes

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<strong>Johann</strong> <strong>Wolfgang</strong> <strong>von</strong> Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten<br />

Voraussetzung für eine derartige Steigerung der Erzählungen ist schließlich auch ein Wandel der<br />

verschiedenen ‚Erzähl-Theorien’, welche <strong>von</strong> den Figuren der Rahmenhandlung diskutiert<br />

werden und die erzählten Geschichten damit begleiten: So betont der alte Geistliche anfangs,<br />

der Reiz einer Geschichte sei ihre „Neuheit“ (141), doch bald darauf nennt er als „reineren,<br />

schöneren Reiz“ den „Charakter“ (143). Zu Beginn des zweiten Erzähltages erläutert dann auch<br />

die Baronesse ihr Konzept einer guten Erzählung. Es heißt hier:<br />

„Jene Erzählungen machen mir keine Freude, bei welchen nach Weise der ‚Tausendundeinen Nacht’ eine<br />

Begebenheit in die andere eingeschachtelt, ein Interesse durch das andere verdrängt wird, wo sich der Erzähler<br />

genötigt sieht, die Neugierde, die er auf eine leichtsinnige Weise erregt hat, durch Unterbrechung zu reizen und<br />

die Aufmerksamkeit, anstatt sie durch eine vernünftige Folge zu befriedigen, nur durch seltsame und keineswegs<br />

lobenswürdige Kunstgriffe aufzuspannen. Ich tadle das Bestreben, aus Geschichten, die sich der Einheit des<br />

Gedichts nähern sollen, rhapsodische Rätsel zu machen und den Geschmack immer tiefer zu verderben. Die<br />

Gegenstände Ihrer Erzählungen gebe ich Ihnen ganz frei; aber lassen Sie uns wenigstens an der Form sehen, daß<br />

wir in guter Gesellschaft sind. Geben Sie uns zum Anfang eine Geschichte <strong>von</strong> wenig Personen und<br />

Begebenheiten, die gut erfunden und gedacht ist, wahr, natürlich und nicht gemein, soviel Handlung als nötig<br />

und soviel Gesinnung als nötig, […].“ (166f.)<br />

Die hier <strong>von</strong> der Figur der Baronesse formulierte Forderung nach einer ‚Einheit’ der<br />

Geschichten sowie nach einer ‚vernünftigen Folge’ trifft im Ansatz auch <strong>Goethes</strong><br />

Novellenkonzeption. 18 Mit dem Entwurf der verschiedenen ‚Erzähl-Theorien’ in der<br />

Rahmenhandlung der Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten findet somit stets auch ein<br />

Rückbezug auf die Gesamtstruktur des Textes statt.<br />

Neben der Steigerung der Erzählungen ist ein weiteres auffälliges Strukturmerkmal der<br />

Binnenerzählungen in den Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten das Prinzip der Parallelität:<br />

Jeweils zwei Erzählungen sind einander zugeordnet (die beiden ‚Geistergeschichten’, die beiden<br />

‚Liebesgeschichten’ sowie die beiden ‚moralischen Geschichten’); das ‚Märchen’ am Schluß des<br />

Textes steht als einzige Erzählung gesondert da. 19 Auch dieses Prinzip der ‚Parallelgeschichten’<br />

18 Die Einsträngigkeit der Handlung sowie ihre zielstrebige Durchführung gilt neben der ‚Ereignishaftigkeit’ und<br />

der ‚Unerhörtheit’ der Handlung als ein Kernpunkt der <strong>Goethes</strong>chen Novellistik Vgl.: Erhard Marz: <strong>Goethes</strong><br />

Rahmenerzählungen (1794 – 1821). Untersuchungen zur <strong>Goethes</strong>chen Erzählkunst, Frankfurt am Main 1985, S. 16f.<br />

19 In einem Brief an Humboldt spricht Goethe da<strong>von</strong>, ein zweites, durchgehend ‚allegorisches’ Märchen zu<br />

entwerfen, das dem ersten Märchen parallel zugeordnet werden sollte; diesen Plan hat er jedoch nie verwirklicht.<br />

Goethe an Humboldt, 27. Mai 1796. In: Goethe: Werke, Bd. 6, S. 609. Erhard Marz schreibt hierzu: „Manches spricht<br />

dafür, daß er [Anm.: Goethe] die Lust zur Weiterarbeit an den Unterhaltungen verloren und vor Schwierigkeiten, die<br />

sich einzustellen schienen, kapituliert hat, weshalb das Werk unvollendet blieb.“ Marz: <strong>Goethes</strong> Rahmenerzählungen,<br />

S. 186.<br />

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