Zyklisch-serielle Narration. Johann Wolfgang von Goethes
Zyklisch-serielle Narration. Johann Wolfgang von Goethes
Zyklisch-serielle Narration. Johann Wolfgang von Goethes
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Johann</strong> <strong>Wolfgang</strong> <strong>von</strong> Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten<br />
in Form <strong>von</strong> Schüssen „[…] wie aus einer Flinte oder stark geladnen Pistole, […]“ (154), als<br />
„lautes Händeklatschen“ (155) und schließlich als eine angenehme „Melodie“ (156) macht sich<br />
der einstige Verehrer auch nach seinem Tode aus dem Grab bemerkbar.<br />
Die ‚Geschichte <strong>von</strong> der Sängerin Antonelli’ ruft in der Gesellschaft lebhafte Reaktionen<br />
hervor. Da man sich über die näheren Umstände der ‚Geistererscheinung’ jedoch nicht einig<br />
wird, bietet sich Fritz an, anstelle einer Antwort eine weitere Geschichte zu erzählen: Es folgt<br />
die ‚Geschichte vom Klopfgeist’, in welcher Fritz (der im Gegensatz zum alten Geistlichen ein<br />
deutlich weniger erfahrener Redner ist) in knappen Worten die Geschichte eines Mädchens<br />
wiedergibt, die im eigenen Haus auf Schritt und Tritt <strong>von</strong> einem merkwürdigen Klopfen verfolgt<br />
wird. Auf die Androhung ihres Vaters, er werde sie verprügeln, falls das Klopfen nicht aufhöre,<br />
verschwindet das merkwürdige Geräusch plötzlich.<br />
Die beiden letzten Geschichten des Abends werden <strong>von</strong> Karl erzählt; es handelt sich hier<br />
um Erzählungen aus den Memoiren des Marschalls Bassompierre, welche Karl in seinem<br />
eigenen Namen wiedergibt. 21 Bei der ‚Geschichte <strong>von</strong> der schönen Krämerin’ sowie der<br />
‚Geschichte vom Schleier’ handelt es sich um Liebesgeschichten; im Zentrum werden Ehe,<br />
Liebe und Sexualität thematisiert. In den beiden Erzählungen werden schließlich auch<br />
verschiedene (adlige sowie bürgerliche) Liebesideale aufgegriffen.<br />
2.2.2 Die zwei ‚moralischen Erzählungen’<br />
Das eigentliche Geschichtenerzählen beginnt in den Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten am<br />
zweiten Erzähl-Tag: Die Gesellschaft sitzt nach dem Frühstück zusammen, und der alte<br />
Geistliche erkundigt sich bei der Baronesse, ob dies die richtige Gelegenheit für den Vortrag<br />
einer Geschichte sei. Daraufhin erläutert die Baronesse – sozusagen als eine Einleitung zu den<br />
darauf folgenden Erzählungen – ihr Konzept einer guten Erzählung (vgl. Kap. 2.2); der<br />
Geistliche erzählt anschließend die ‚Geschichte vom Prokurator’ sowie auf Luises Wunsch die<br />
‚Geschichte <strong>von</strong> Schuld und Wandel Ferdinands’. Bei beiden Erzählungen handelt es sich um<br />
sogenannte ‚moralische Erzählungen’, d.h. es handelt sich um Erzählungen, die (im Gegensatz<br />
zu der eher ‚trivialen’ Unterhaltungsliteratur des Vorabends) das richtige Handeln des Einzelnen<br />
in moralisch-sittlichen Konfliktsituationen thematisieren. In der ‚Prokurator-Novelle’ weist ein<br />
ehrlicher Prokurator so das erotische Angebot der jungen Frau eines sich auf Reisen<br />
befindlichen Kaufmanns zurück; in der ‚Novelle <strong>von</strong> Ferdinand’ wird der Diebstahl des<br />
21 Die beiden Erzählungen hat Goethe den Mémoires des französischen Marschalls François de Bassompierre<br />
entnommen, die 1666 zum ersten Mal veröffentlicht wurden. Es handelt sich hier um eine weitgehend getreue<br />
Übersetzung der Texte Bassompierres.<br />
14