Leseprobe - Styria
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gesundheitsfördernden Würzwirkungen im Vordergrund. Durch wertvolle Inhaltsstoffe<br />
wie ätherische Öle, Gerbstoffe, Harze und organische Säuren, aber auch Vitamine und<br />
Mineralstoffe können Verdauungsbeschwerden gelindert, Herz und Kreislauf entlastet<br />
und die Speichel- und Magensaftausschüttung angeregt werden.<br />
Gerade die asiatische Küche leistet in diesem Zusammenhang besonders würzige Dienste.<br />
Ist sie doch vor allem von der Suche nach vollendeten Harmonien geprägt, die einen<br />
gesunden Ausgleich zwischen Yin und Yang, Heiß und Kalt, Feucht und Trocken oder –<br />
wie in der 5-Elemente-Küche der Feng-Shui-Lehre – zwischen Holz, Feuer, Erde, Metall<br />
und Wasser fördern sollen.<br />
Restaurant oder Apotheke<br />
Ist er Koch oder Arzt? / Ist dies eine Apotheke oder ein Restaurant? /<br />
Fisch, Fleisch, Gemüse, Frühlingszwiebel und Porree: / Köstliche Gerichte verbannen<br />
Tabletten und Pillen. / Nahrhafte Speisen sind das Mittel gegen alle Leiden.<br />
Wenn Chinesen komplizierte Sachverhalte vermitteln wollen, so schreiben sie meist<br />
keine langen theoretischen Abhandlungen, sondern tun dies in Form von kurzen Gedichten<br />
wie diesem.<br />
Präziser als in diesem poetischen Vergleich zwischen Koch und Arzt lässt sich die Einbindung<br />
des Kulinarischen in die Befindlichkeit des Menschen kaum auf den Punkt bringen.<br />
Die Chinesen essen nämlich, bei aller Lust an feinen Zubereitungen, nicht in erster Linie,<br />
um zu genießen, sondern um bei guter Gesundheit und kräftiger Potenz ein hohes Alter<br />
zu erreichen. Jede Zutatenkombination hat einen tieferen Sinn und selbst scheinbare<br />
Grausamkeiten wie etwa der Verzehr von Affen, Katzen und Hunden haben ihren Ursprung<br />
nicht in Lieblosigkeit, sondern wurzeln in einem ausgeprägten Sinn für diätetische Harmonien<br />
und Disharmonien, von denen die essbare Welt eine wahre Fülle bereithält.<br />
Essen und Trinken ist nicht nur in China, sondern in ganz Asien, immer auch Kommunikation<br />
und Ökonomie, Medizin und Religion, Alltag und Fest, Arbeit und Zeitvertreib<br />
zugleich.<br />
Auch viele der besonders raren und teuren Delikatessen dienen daher nicht in erster Linie<br />
dem Gaumenkitzel. Schwalbennester oder Bärentatzen, aber auch Seegurken und andere<br />
exotische Raritäten kauft man in China nicht im Delikatessengeschäft, sondern in der<br />
Apotheke, da man sich von den meisten dieser „Köstlichkeiten“ besondere Heilwirkungen<br />
erhofft. So manches dient der Steigerung der männlichen Potenz, anderes soll Frauen im<br />
Kindbett oder durch Krankheit Geschwächte wieder aufrichten und ihnen neuen Lebensmut<br />
geben. Kurzum: Der medizinische Charakter steht im Vordergrund. Und wenn es<br />
dann auch noch gut mundet, nimmt man das gerne in Kauf.<br />
All das soll freilich nicht davon ablenken, dass die Chinesen in vielen kulinarischen<br />
Belangen ein besonders ausgeprägtes Produktverständnis haben, das mitunter auch<br />
erheblich von unseren westlichen Vorstellungen abweicht. So gilt ihnen beispielsweise<br />
der Süßwasserfisch mehr als das Meeresgetier, weil man in Karpfen und Amuren, die<br />
in klaren Bergseen gefischt werden, offensichtlich mehr hygienisches Vertrauen setzt<br />
als in den Fischfang vor den Küsten der doch eher verschmutzten Hafenstädte. Ähnliches<br />
gilt auch für die Schaltiere: Da mag der Hummer hundertmal als König der Meere<br />
besungen werden, für einen Süßwasserkrebs von ähnlicher Dimension (ja, das gibt es<br />
in den chinesischen Binnengewässern) ist der chinesische Schlemmer noch allemal<br />
bereit, mehr zu bezahlen. Und wenn er ihn nicht bekommt, so würde er alles dafür geben,<br />
doch wenigstens einmal im Leben in seinen Genuss zu kommen.<br />
Asiatische<br />
Küchenphilosophie<br />
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