Leseprobe - Styria
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in Europa als unvornehm gilt, vom Teller des Nachbarn zu naschen, trachtet in China meist<br />
jeder der Tischgenossen danach, möglichst von allen zu kosten. Die Variationsbreite<br />
des Angebots ist (zumal in den Großstädten) ja auch entsprechend vielfältig. Obwohl die<br />
Chinesen überreich mit Fischen und Meerestieren aus pazifischen Gewässern gesegnet<br />
sind, stehen diese Produkte hier allerdings längst nicht in so hohem Ansehen wie im<br />
benachbarten Japan. Im Zweifelsfall wird ein Chinese einen exzellenten Karpfen oder<br />
einen gut gewachsenen Süßwasserkrebs immer für edler halten als Steinbutt oder Hummer.<br />
Ein ganz besonderes Nahverhältnis haben die Chinesen auch zu „allem was fliegt“<br />
entwickelt, und zwar von Huhn und Ente bis hin zu Taube und Wachtel. Großer Beliebtheit<br />
erfreuen sich auch Rind- und Schweinefleisch. Auch Lamm- und Wildspezialitäten<br />
finden sich auf vielen Karten.<br />
Wer nun glaubt, die Asiaten liebten nun einmal das Tohuwabohu auf der Tafel und als<br />
einziges Gebot gälte, zwischen all den nebeneinander aufgestellten Gängen nur ja kein<br />
Stückchen Tischplatte oder Tischtuch durchschimmern zu lassen, der irrt.<br />
Gerade die chinesische Speiseneinteilung kennt sehr wohl einen strengen Aufbau, doch<br />
unterscheidet sie nicht wie bei uns Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts, sondern Fan<br />
(Getreidegerichte), Cai (Fleisch-, Fisch- und Gemüsegerichte) sowie Xiao chi (kleine<br />
Schnellimbisse). Der Kombination von Vorspeisen, Zwischengerichten, Beilagen, Hauptspeisen<br />
und Desserts sind in der chinesischen Küche also kaum Grenzen gesetzt.<br />
Am Schluss eines Menüs sollte sich dann fast wie von selbst einstellen, was auch uns<br />
Europäern wichtig ist: Harmonie.<br />
In einer Küche, die so sehr in die harmonische Kombination von süßen und sauren<br />
Aromen verliebt ist wie die chinesische, hat es allerdings das sehr Süße für sich genommen<br />
ebenso schwer wie das sehr Saure. Die chinesische Küche hat daher am<br />
Sektor der Desserts und Mehlspeisen nicht dieselbe Vielfalt aufzuweisen wie auf allen<br />
anderen Gebieten.<br />
Dennoch gibt es in allen asiatischen Ländern süße Spezialitäten, die freilich wenig mit den<br />
europäischen „Mehlspeisküchen“ zu tun haben, sondern vor allem Früchte, Gemüse und<br />
Getreide als Basis haben. Das beginnt bei den vorzüglichen persischen Kombinationen<br />
von süßem Reis und Rosenwasser, es setzt sich in der Liebe der Inder zu süßem Karottenund<br />
anderem Wurzelkonfekt fort. Viele chinesische Süßspeisen wiederum entstammen<br />
dem Bereich der Dim-Sum-Küche, sind also eher als kleine, süße Zwischengerichte zu<br />
betrachten, die man zum Tee nimmt oder als kleinen Imbiss genießt. Eine große Tradition<br />
hat China auch im Umgang mit Gelatine und Puddingpulver entwickelt, auf deren Basis<br />
geschickte chinesische Köche ganze „süße Landschaften“ mit Teichen, Schlössern und<br />
Gärten zu komponieren verstehen. Und schließlich erweist sich, vor allem in Südchina,<br />
der Reichtum an exotischen Früchten als ein nimmerversiegender Quell an „verboten<br />
guten“ Dessert-Ideen.<br />
In einer zunehmend globalisierten Welt verwischen sich, auch wenn man in Peking kaum<br />
jemanden mit Messer und Gabel, dafür aber in Wien, Berlin oder Mailand jede Menge<br />
junger Leute mit Stäbchen essen sieht, auch die Grenzen zwischen Ess-Sitten und Essritualen.<br />
Die asiatische Küche stellt einen geradezu unerschöpflichen Fundus an Gerichten<br />
bereit, die für Körper und Seele zuträglich sind. Und an der Reihenfolge, in der man<br />
dieselben zu sich nimmt, wird das Gleichgewicht zwischen Yin und Yang gewiss auch in<br />
„Good Old Europe“ nicht scheitern.<br />
Asiatische<br />
Küchenphilosophie<br />
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