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Ho! - INFORM Designmagazin

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decompression chair, Matali Crasset, 2002 | Foto: Patrick Gries<br />

Aber damit nicht genug. Denn abgesehen davon, dass die etiketteresistenten<br />

Jünger der Protestkultur dieses ehrwürdige<br />

Zentrum etablierten Wohnbefindens allein schon durch ihr „ungezogenes“<br />

Verhalten demonstrativ entwürdigten — wobei sie<br />

damit dem ursprünglichen Sitzverhalten auf und mit diesen Teppichen<br />

jedoch wesentlich näher kamen — und die edlen Erbstücke<br />

auf Flohmärkten verramschten; auch der Großhandel<br />

trimmte in der Folge das einstige Wertobjekt mittels Rabatten,<br />

Räumungsaktionen und marktschreierischen Anzeigenkampagnen<br />

mehr und mehr auf Billigprodukt. Und obendrein gibt es<br />

ja noch die vornehmlich türkischen Kolonialwarenhändler, die<br />

ihre angestammte Kundschaft mit einschlägig ornamentierter<br />

Meterware versorgen, strapazierfähig und abwaschbar, mit alles<br />

anderem als mit deutschem Nadelfilz also.<br />

Kurzum: wohl kaum einem Element unserer Einrichtungskultur<br />

wurde in den vergangenen Dekaden derart gründlich jeder Aspekt<br />

seiner ursprünglichen Bedeutung ausgetrieben wie dem<br />

Orientteppich. Und kaum jemand wäre sonderlich erstaunt,<br />

wäre der so arg Gefledderte vollkommen von der Bildfläche<br />

verschwunden. Aber weit gefehlt, genau das Gegenteil ist der<br />

Fall: Er ist präsent wie selten zuvor, zwar nicht als Fortschreibung<br />

seiner selbst, in seiner klassischen Ausformung, aber als Vorlage,<br />

als Motiv- und Ideengeber, als Versatzstück einer unprätentiösen,<br />

aufgeklärten, multikulturellen Gegenwart.<br />

Die Designerin Katrin Sonnleitner zum Beispiel übersetzt die typische<br />

Ornamentik in ein Puzzle, das heißt, sie erreicht diese<br />

Ornamentik durch das Auflösen und das symmetrische Zusammenfügen<br />

formal immer gleicher, aber farblich unterschiedlicher<br />

Puzzleelemente. Wie der Nutzer die Teile zusammenfügt, ist<br />

ihm überlassen, er muss allerdings, will er ein orienttypisches<br />

Bildmotiv kreieren, die hierfür eingeführten Abstufungen und<br />

Strukturen berücksichtigen. Hält man sich nicht daran, legt man<br />

die Puzzleteile also nach einer reinen Farbsortierung in Streifen<br />

oder Quadraten an, bekommt man etwas völlig Anderes —<br />

aber auch etwas wesentlich Langweiligeres.<br />

Nicht minder aufgeklärt und im wahrsten Sinne säkularisiert erscheint<br />

der Vorschlag der <strong>Ho</strong>lländerin Wendy Plomp. Auch sie<br />

10<br />

befasst sich mit dem Orientteppich, auch sie überträgt das historisch<br />

so beschwerte Motiv in einen eher profanen Gattungsbereich:<br />

Sie bedruckt großformatige Versandkartons innseitig<br />

mit ein-, zwei- oder dreifarbigen, an Orientteppiche erinnernde<br />

Muster. Das ist für den Empfänger eine schöne Überraschung,<br />

und diese „Message in a Box“ hat noch eine weitere praktische<br />

Funktion: Die Kartons können, komplett aufgefaltet, als temporär<br />

einzusetzender Gebetsteppich genutzt werden, denn schließlich<br />

bleibt die Innenseite solcher Behältnisse von äußerlichen Transportbeanspruchungen<br />

zumeist verschont. Das erscheint sehr<br />

profan, ja fast blasphemisch: Karton, Gebetsteppich, temporär<br />

nutzbar; aber wenn auch Kunststoffware von der Rolle sein<br />

kann, dann auch ebenso Karton.<br />

Ganz der materiellen Tradition verhaftet bleibt dagegen Richard<br />

Hutten. Doch auch seine aktualisierte Version des Statthalters<br />

der Wohnkultur wirkt alles andere als vertraut. Hutten zeigt nämlich<br />

den Ausschnitt eines solchen Teppichs und lässt so das<br />

von ihm gewählte Motiv nur zu einem Viertel knüpfen. Das Übrige,<br />

also den weitaus größeren Teil des Teppichs, legt er dagegen<br />

als sehr feines, präzise eingehaltenes Nebeneinander der<br />

im ornamentalen Viertelverwendeten Wollfäden an. Playing with<br />

Tradition betitelt Hutten seine Einlassung und trifft damit ziemlich<br />

genau die Art und Weise seines Umgangs mit der Vorlage.<br />

Gleichwohl deckt dieses „Spielen mit der Tradition“ den Ansatz<br />

dieser jungen Designer nur zum Teil ab, denn hier wird ja nicht<br />

nur mit der Tradition, im Wesentlichen mit der ornamentalen Typologie<br />

gespielt, sondern auch mit unserer heutigen Beziehung<br />

und vor allem — siehe Sonnleitner und Plomp — mit der zunehmenden<br />

Profanisierung dieses einst zum Wahrzeichen einer<br />

noblen Einrichtungskultur erhobenen Bodenbelags.<br />

Alles Schnee von gestern?<br />

Angesichts der Fülle des Materials nun von einem Trend zu<br />

sprechen, wäre untertrieben, zumal dieser Begriff lediglich ein<br />

temporäres, oft nur saisonales Phänomen bezeichnet. Und davon<br />

kann man mit Blick auf dieses Sujet kreative Rückbesinnung<br />

bestimmt nicht mehr sprechen: Allein in der Ausstellung new<br />

olds werden drei weitere, nicht minder unbeschwerte Teppich-<br />

Interpretationen gezeigt, und es wäre ein Leichtes gewesen,

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