Mini-Europa rund um Gross-Schweiz? - Schw. StV
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Vor 50 Jahren, am 9. August 1962, starb<br />
Hermann Hesse. der <strong><strong>Schw</strong>eiz</strong>er Schrift-<br />
steller, der als zweiter und letzter nach<br />
Carl Spitteler den Nobelpreis für Literatur<br />
erhielt, in Montagnola im Tessin.<br />
Hermann Hesse ist weltweit der am<br />
meisten gelesene Schriftsteller und<br />
Dichter deutscher Sprache. Seine<br />
Bücher wurden millionenfach aufgelegt<br />
und verkauft. Sie liegen in 55 Sprachen vor,<br />
davon allein in 15 Sprachen des indischen<br />
Subkontinents. Und immer noch werden<br />
heute Monat für Monat durchschnittlich<br />
weit über 30000 Bücher von Hesse in den<br />
Buchhandlungen verkauft.<br />
Nirgends im Leben ist es vielleicht so<br />
schwierig, eindeutige Feststellungen zu treffen<br />
wie im Bereich der Geisteswissenschaften,<br />
des Gesellschaftlichen, Kulturellen und<br />
hiermit bei der Antwort auf die Frage: Wie<br />
ist ein Mensch und was bewirkt er?<br />
Hermann Hesses Elternhaus war darauf<br />
bedacht, dass die Erziehung und Ausbildung<br />
in christlicher Frömmigkeit stattfinde.<br />
Gerade beruflich sollte ihr Sohn auf dieses<br />
solide Fundament bauen. Die Kunst des<br />
Dichtens, welche Hermann schon als Schüler<br />
unter Beweis stellte, interessierte seinen<br />
Vater nicht.<br />
Das Kind Hermann Hesse, am 2. Juli<br />
1877 im deutschen Calw geboren, urteilte<br />
und entschied sich früh, rigoros, apodiktisch:<br />
«Von meinem dreizehnten Jahr an<br />
war das eine klar, dass ich entweder Dichter<br />
oder gar nichts werden wolle.» Diesen<br />
Satz schrieb der Schüler in einem Aufsatz,<br />
wobei er ausgerechnet auch die Schule bis<br />
z<strong>um</strong> Äussersten gegen sich hatte: «In den<br />
acht Jahren», schrieb Hesse später, «welche<br />
ich in den niederen Schulen zubrachte, fand<br />
ich nur einen einzigen Lehrer, den ich liebte<br />
und dem ich dankbar sein kann.» Alle anderen<br />
Lehrer waren gefürchtet und gehasst,<br />
wurden belächelt oder verachtet. Die Schule<br />
galt als ein Feind, gegen den anzukämpfen<br />
jedes Mittel recht und billig war.<br />
Ein deutsches illustriertes Magazin hat<br />
vor einiger Zeit in Bezug auf die Entwicklungen<br />
an der <strong>Schw</strong>elle des 21. Jahrhunderts die<br />
6 civitas 4-2012<br />
Hesse in der heutigen Zeit<br />
Schlagzeile auf seiner Titelseite gebracht,<br />
«wie schnell zu schnell, wie gross zu gross<br />
und wie viel zu viel» sei. Das ausgehende 19.<br />
Jahrhundert war erstmals in der Geschichte<br />
der Menschheit eine Zeit analoger welt<strong>um</strong>spannender<br />
Rekorde. Der technische<br />
Fortschritt tri<strong>um</strong>phierte. Der Wohlstand<br />
erreichte ungeahnte Höhen. Das nationale<br />
Bewusstsein der Völker erstarkte.<br />
Es war der politische Katholizismus, der<br />
gegen den Materialismus der Technologiehörigkeit<br />
damals zu Felde zog. Gleichzeitig<br />
begann der Liberalismus gegen gefährliche<br />
Verbarrikadierungen eines übertriebenen<br />
Nationalismus zu kämpfen. Und wie ein<br />
Kind dieser liberalen geistigen Befreiung<br />
folgte – entwicklungsgeschichtlich gesehen<br />
– der Sozialismus, <strong>um</strong> gegen das zunehmende<br />
Gefälle zwischen reich bedachten Gewinnern<br />
der Entwicklung und zu kurz Gekommenen<br />
zu intervenieren.<br />
Eine vielfache Polarität und Dialektik<br />
durchfurchte die Jahrhundertwende. Gleich<br />
riesigen Detonationen folgten die Entladungen<br />
im Ersten Weltkrieg, in der Russischen<br />
Revolution und im Zweiten Weltkrieg. Wie<br />
zu spitzige Spitzen können sich Technik, Nationalismus<br />
und sodann der Kapitalismus<br />
der Liberalen nicht mehr ungebrochen halten;<br />
die exzessiven oberen Teile brechen ab.<br />
Die Masslosigkeit wird wie durch Naturgewalt<br />
wieder auf das Mass zurückgeworfen.<br />
In diese Welt und Zeit hinein wurde<br />
Hermann Hesse geboren.<br />
Und wie im Spiegelbild findet sich hier<br />
ein ähnlicher Zwiespalt masslos auseinander<br />
klaffender Übertreibungen und Überhitzungen.<br />
Väterlicherseits war Hesse russischer<br />
Herkunft. Sein <strong>Gross</strong>vater war Arzt und<br />
kaiserlich-russischer Staatsrat. Mütterlicherseits<br />
stammte er von einem schwäbischschweizerischen<br />
Geschlecht ab. Familiär<br />
weist ein Aspekt in länder- und völkerübergreifende<br />
Weite. Der andere Aspekt, der die<br />
Familie zusammenführte, verengt sich in<br />
extremem religiösem Eifer. Sein Vater und<br />
seine Mutter lernten sich in der Basler Mission<br />
kennen. Der Vater von Hesse war Missionar<br />
und der <strong>Gross</strong>vater mütterlicherseits,<br />
Dr. phil. et lic. iur. Johann Ulrich Schlegel<br />
Hermann Gundert, war es auch. Dieser war<br />
sogar ein Pionier der pietistischen Indienmission<br />
geworden und gilt in Indien bis<br />
heute als berühmter Sprachgelehrter.<br />
Für das geistig früh regsame Kind Hermann<br />
Hesse werden diese extremen Pole<br />
zwischen fanatischer Engstirnigkeit und<br />
globaler Weite zur Zerreissprobe. Die Problematik<br />
verschärfte sich, als die Familie<br />
festlegte, dass Hermann ganz selbstverständlich<br />
auch Missionar und Theologe werden<br />
solle. Und wieder kann man - jetzt im<br />
kleinen, familiären Rahmen - fragen, «wie<br />
gehorsam ist zu gehorsam, wie gläubig ist<br />
zu gläubig und wie fromm ist zu fromm?»<br />
Wann ist die Überspitzung so stark, dass sie<br />
abbricht? Bei den Hesses war genau dieser<br />
Zeitpunkt herangereift.<br />
Hinzu kommt, dass das Kind Hermann<br />
Hesse schon früh einen ausgeprägt starken<br />
Charakter besass. Pädagogisch liess es sich<br />
nicht so leicht verbiegen. «Der Bursche hat<br />
ein Leben, eine Riesenstärke, einen mächtigen<br />
Willen und wirklich auch eine Art ganz<br />
erstaunlichen Verstandes für seine vier Jahre.<br />
Wo will’s hinaus? Es zehrt mir ordentlich<br />
am Leben, dieses innere Kämpfen gegen seinen<br />
hohen Tyrannengeist, sein leidenschaftliches<br />
Stürmen und Drängen,» notiert die<br />
Mutter voller Besorgnis in ihrem Tagebuch.<br />
Bereits als Schüler dichtete Hermann<br />
Inserat, Der Landbote,<br />
zVg<br />
Donnerstag, 23. Februar 1922 Foto: