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Vorstand und Verwaltungsrat<br />
<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />
Maria Seifert-Eulen<br />
Stanislav Burachovicˇ<br />
Dr. Gisela-Ruth Engewald<br />
Ludwig Mühlberg<br />
Rolf A. Meyer<br />
Günter Ickert<br />
Michael Liebscher<br />
<strong>INHALT</strong><br />
Nachruf<br />
Editorial<br />
225 Jahre<br />
Oberlausitzische <strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r<br />
Wissenschaften<br />
Aus <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>t <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft<br />
Jahreshauptversammlung<br />
Brief an die Ministerin<br />
Bildungsreise<br />
Veranstaltungskalen<strong>de</strong>r<br />
Vegetationsgeschichte zum Sooster Moor<br />
Von <strong>de</strong>r Hautfresserkur zur Pyramidalkur<br />
Das böhmische Kurwesen im 16. und 17.<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rt am Beispiel <strong>de</strong>r Stadt Karlsbad<br />
Joachimsthal – Joachimsthaler – Taler<br />
Die Be<strong>de</strong>utung von PARACELSUS für die<br />
Chemie<br />
„Wie <strong>de</strong>r Alchemist <strong>de</strong>r Natur werket, so sollt<br />
ihr auch werken.“<br />
„drumb so ist das wort do, das dich lernen<br />
sol“<br />
Paracelsus zu Kraft und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Wortes<br />
Empfehlung<br />
Valentin Weigel: Von Betrachtung <strong>de</strong>s Lebens<br />
Christi. Vom Leben Christi. De vita Christi.<br />
2<br />
3<br />
5<br />
6<br />
9<br />
12<br />
18<br />
22<br />
33<br />
40<br />
45<br />
1
2<br />
†<br />
NACHRUF<br />
Wir ge<strong>de</strong>nken unseres Mitglie<strong>de</strong>s<br />
Diplom-Grafiker Albrecht Ehnert<br />
* 18. Juli 1927 † 4. Februar 2004<br />
Herr Albrecht Ehnert gehörte zu <strong>de</strong>n Mitbegrün<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />
DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT<br />
und war bis 2003, zwölf Jahre lang, Mitglied <strong>de</strong>s Verwaltungsrates.<br />
Herr Ehnert hat in <strong>de</strong>r seltenen Verbindung von künstlerischen Fähigkeiten<br />
und geistiger Durchdringung nicht nur das Logo<br />
<strong>de</strong>r DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT und das äußere Bild<br />
<strong>de</strong>s Periodikums geschaffen. Er gestaltete maßgebend die Paracelsus-Ausstellung<br />
1993 im Museum für Stadtgeschichte Dres<strong>de</strong>n anlässlich <strong>de</strong>s 500. Geburtstages<br />
<strong>de</strong>s Hohenheimers und schenkte damit sowohl<br />
<strong>de</strong>r DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT als auch <strong>de</strong>r Stadt Dres<strong>de</strong>n<br />
ein bemerkenswertes Datum. Wir schätzen an Albrecht Ehnert sein<br />
fundiertes Wissen, seine feinfühlige Art <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Klärung jedwe<strong>de</strong>r Probleme und<br />
sein fleißiges wie engagiertes und zuverlässiges Wirken.<br />
Er prägte das grafische Bild<br />
<strong>de</strong>r DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT vom Plakat über Poster<br />
und Einladungen bis zur weihnachtlichen Spruchkarte.<br />
Albrecht Ehnert setzte Maßstäbe, die uns Verpflichtung sind.<br />
Die nicht mehr aufhaltbare Krankheit ließ ihn im Frühjahr 2003 aus <strong>de</strong>m<br />
Verwaltungsrat ausschei<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Staffelstab in jüngere Hän<strong>de</strong> übergeben.<br />
In ehren<strong>de</strong>m Ge<strong>de</strong>nken und dankbaren Herzens wer<strong>de</strong>n wir Albrecht Ehnert<br />
in bleiben<strong>de</strong>r Erinnerung behalten.<br />
Vorstand und Verwaltungsrat<br />
<strong>de</strong>r<br />
DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT
EDITORIAL<br />
„Wo geht es <strong>de</strong>nn hin?“, mag es <strong>de</strong>m reisen<strong>de</strong>n Theophrastus oft entgegengeschallt haben<br />
– als Frage o<strong>de</strong>r auch nur als Kontaktfloskel. Um 1520 mag seine Antwort wohl auch<br />
„Nach Meissen“ gelautet haben, womit er <strong>de</strong>n sächsischen Erzgebirgsraum hinein bis ins<br />
Egerland meinte. Auf <strong>de</strong>r Bildungsreise <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft wur<strong>de</strong>n<br />
diese Spuren verfolgt – Eindrücke von <strong>de</strong>r Fahrt sind in diesem Heft nachzulesen.<br />
Die Antwort <strong>de</strong>s Paracelsus hätte aber auch an<strong>de</strong>rs lauten können: „In die Welt.“<br />
Schließlich schreibt er: „So sein doch die Künst nicht alle verschlossen in eines Vatterlandt/son<strong>de</strong>rn<br />
sie seindt außgetheilt durch die gantze Welt.“ 1<br />
Und er fragt weiter, ob es nicht richtig und ihm gemäß sei, „diese Ziel zu erforschen und zu<br />
ersuchen“. 2<br />
Damit erhält die Antwort auf die Eingangsfrage eine innere, geistige Zieldimension:<br />
Erfahrung und Erkenntnis <strong>de</strong>r (ärztlichen) Kunst und darüber hinaus <strong>de</strong>r Zusammenhänge<br />
<strong>de</strong>r Schöpfung. So leitet sich „Erfahrung“ eben von „fahren“ ab, vom Herumkommen<br />
in <strong>de</strong>r Welt. Erst das da<strong>bei</strong> erworbene Wissen bil<strong>de</strong>t die Grundlage <strong>de</strong>r Erkenntnis<br />
innerer, höherer Zusammenhänge. Bei Paracelsus klingt das so: „…die geschrift wird<br />
erforschet durch ire buchstaben, die natur aber durch lant zu lant. als oft ein lant als oft ein blat.<br />
also ist co<strong>de</strong>x naturae, also muß man ire bletter umbkeren. – Habt Fleiß, ihr Ärzte! Lernet, lernet!“ 3<br />
Und in seiner ersten Verteidigungsre<strong>de</strong> appelliert er: „Perscrutamini naturas rerum“, „Lasst<br />
uns die Natur erforschen!“ 4<br />
Paracelsus begreift die Natur als Offenbarung Gottes, ihre Universalität als Spiegel göttlicher<br />
Universalität, ihre naturgesetzliche Ordnung als Manifestation <strong>de</strong>r höchsten<br />
Liebe. Die Annäherung an diese Liebe erfolgt über die Suche nach Erkenntnis, <strong>de</strong>nn<br />
<strong>Bombastus</strong> formuliert: „Ie mehr aber die erkantnus in einem ding, ie mehr die lieb“. 5 Hier wird<br />
Suchen, Forschen und Lernen als ethischer Auftrag verstan<strong>de</strong>n! Als dritten Begriff verknüpft<br />
<strong>de</strong>r Hohenheimer <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Wahrheit mit diesem Zusammenhang. „Gott ist <strong>de</strong>r<br />
Wahrheit Ursprung“, er ist „die höchste warheit“. 6<br />
Erkenntnis <strong>de</strong>r Wahrheit und Erkenntnis <strong>de</strong>r Liebe sind also wesensgleich, da ja Gott<br />
auch das Zentrum <strong>de</strong>r Liebe ist.<br />
Dahin ging <strong>de</strong>r Weg für Paracelsus. Und dahin muss es auch heute gehen! Denn auch<br />
heute steht die Frage: „Wo geht es <strong>de</strong>nn hin?“, drängend vor <strong>de</strong>r Menschheit. Hohenheim<br />
formulierte die für ihn offensichtlich entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Ursache für ein gestörtes<br />
Mensch-Umwelt-Verhältnis im Liber <strong>de</strong> felici liberalitate: „Unverstan<strong>de</strong>n, hoffertigen, stolzen<br />
menschen, die do vermeinen, es sei kein got, sie seient über himel und er<strong>de</strong>n, und also in solchem verstand<br />
wer<strong>de</strong>n sie verdambt“. 7<br />
Trennung von <strong>de</strong>r Liebe ist zugleich Trennung von <strong>de</strong>r Wahrheit und Verzicht auf<br />
Erkenntnis. Alle wissenschaftlichen und ökonomischen „Erkenntnisse“, die <strong>de</strong>r Gewinnmaximierung<br />
auf Kosten an<strong>de</strong>rer dienen, die Natur als zufällig begreifen und <strong>de</strong>shalb<br />
jegliche Verantwortung negieren o<strong>de</strong>r die nur materielle Aspekte betrachten und nicht<br />
<strong>de</strong>ren Einbettung in das geistig-energetische System sehen, sind damit wertlos, bringen<br />
keinen Fortschritt, ja führen zur „Verdammnis“. Aus dieser Position heraus hat sich die<br />
Deutsche <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft in einem Brief an die zuständige Ministerin <strong>de</strong>utlich<br />
gegen die Novellierung <strong>de</strong>s Gentechnikgesetzes ausgesprochen – und hat damit neben<br />
vielen an<strong>de</strong>ren einen Beitrag dazu geleistet, dass das <strong>Ges</strong>etz inzwischen abgelehnt wur<strong>de</strong>.<br />
Beson<strong>de</strong>rs die Verantwortungsträger in Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch alle an<strong>de</strong>ren<br />
Menschen müssen stärker als bisher lernen zu werken, „wie <strong>de</strong>r Alchemist <strong>de</strong>r Natur<br />
werket“. Rolf Meyer zeigt in seinem Vortrag wie in einem Kaleidoskop auf, in wie viele<br />
3
Richtungen da<strong>bei</strong> zu <strong>de</strong>nken ist. Ludwig Mühlberg stellt Paracelsus als wahren Wissenschaftler<br />
vor, <strong>de</strong>r das Oben und Unten, das Grobe und Feine, das Sichtbare und Unsichtbare<br />
als Alchemist zusammendachte mit <strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Vervollkommnung. Gleichermaßen<br />
führt Günter Ickert <strong>de</strong>n Zusammenhang von Stoff und Kraft am Beispiel <strong>de</strong>r<br />
Sprache vor Augen.<br />
Die Welt als Ganzes zu begreifen, als sinnvolle Schöpfung eines lieben<strong>de</strong>n Schöpfers,<br />
<strong>de</strong>r nichts an<strong>de</strong>res will, als dass seine <strong>Ges</strong>chöpfe seine Ebenbil<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n, also entsprechend<br />
<strong>de</strong>r Liebe als innerstem und höchstem Prinzip han<strong>de</strong>ln, das ist die einzige tragfähige<br />
Antwort auf die Frage nach <strong>de</strong>m Weg – die Entscheidung je<strong>de</strong>s Einzelnen sollte so<br />
schwer nicht fallen.<br />
4<br />
Vorstand und Verwaltungsrat <strong>de</strong>r<br />
DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT<br />
LITERATUR<br />
1 Paracelsus: Septem Defensiones. Übertragung und Einführung von Gunhild Pörksen. Basel 2003, S. 68.<br />
2 Ebenda.<br />
3 Paracelsus I: Sämtliche Werke (Nachdruck). Hrg. Karl Sudhoff, Georg Olms Verlag Hil<strong>de</strong>sheim – Zürich<br />
– New York 1996, XI/145f. – VIII/298.<br />
4 Paracelsus: Septem Defensiones. Übertragung und Einführung von Gunhild Pörksen. Basel 2003, S. 49.<br />
5 Paracelsus I: Sämtliche Werke (Nachdruck). Hrg. Karl Sudhoff, Georg Olms Verlag Hil<strong>de</strong>sheim – Zürich<br />
– New York 1996, IX/207.<br />
6 Paracelsus I: Sämtliche Werke (Nachdruck). Hrg. Karl Sudhoff, Georg Olms Verlag Hil<strong>de</strong>sheim – Zürich<br />
– New York 1996, XIII/296.<br />
7 Matthießen,<br />
Wilhelm: Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus. Sämtliche Werke II. Abt., Otto Wilhelm Barth<br />
München 1923, I/156.
225 JAHRE<br />
OBERLAUSITZISCHE GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN<br />
Am 21. April 1779 wur<strong>de</strong> die Oberlausitzische <strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r Wissenschaften zu<br />
Görlitz gegrün<strong>de</strong>t. Ihr 225. Geburtstag ist uns willkommener Anlass, ihrer Grün<strong>de</strong>r wie<br />
ihres Wirkens in hoher Achtung zu ge<strong>de</strong>nken.<br />
Der Historiker und Sprachforscher Karl Gottlob Anton (1751–1818) und <strong>de</strong>r Naturforscher,<br />
Großagrarier und För<strong>de</strong>rer <strong>de</strong>r Künstler und Gelehrten Adolph Traugott von<br />
Gersdorf (1744–1807) legten mit ihrer Initiative <strong>de</strong>n Grundstein für eine bemerkenswerte<br />
wissenschaftliche wie ethische Ausstrahlung <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft über die Grenzen <strong>de</strong>s<br />
oberlausitzisch-böhmisch-nie<strong>de</strong>rschlesischen Kulturraums hinaus.<br />
Unmittelbar nach Gründung <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft im Juni 1991 kam<br />
es zu Kontakten mit <strong>de</strong>m damaligen Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Oberlausitzischen <strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r<br />
Wissenschaften, Herrn Prof. Dr. Dr. phil. habil Ernst-Heinz Lemper, die in ein<br />
harmonisches persönliches Miteinan<strong>de</strong>r und ein ge<strong>de</strong>ihliches geistiges Wirken mün<strong>de</strong>ten,<br />
das die Ar<strong>bei</strong>t <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft nachhaltig för<strong>de</strong>rte. Wechselseitige<br />
Vorträge und Besuche haben nicht nur zum Gedankenaustausch um Werk und Be<strong>de</strong>utung<br />
von Jakob Böhme wie Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus, <strong>bei</strong>getragen,<br />
son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft auch Wege zu polnischen Wissenschaftlern<br />
gewiesen, <strong>de</strong>ren Interesse ebenfalls <strong>de</strong>m Hohenheimer gilt.<br />
Wir nehmen, auch im Namen unserer Mitglie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n 225. Jahrestag <strong>de</strong>r Oberlausitzischen<br />
<strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r Wissenschaften zu Görlitz zum Anlass, <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten,<br />
Herrn Prof. Dr. Karlheinz Blaschke, sowie Präsidium und Mitglie<strong>de</strong>rn herzliche Glückwünsche<br />
zu übermitteln und <strong>de</strong>r Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass das Wirken <strong>de</strong>r<br />
Oberlausitzischen <strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r Wissenschaften auch in Zukunft ein erfolgreiches, ein<br />
<strong>de</strong>n Intentionen <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>r Ethik verpflichtetes Wirken sein<br />
möge. Wir danken <strong>de</strong>r Oberlausitzischen <strong>Ges</strong>ellschaft <strong>de</strong>r Wissenschaften für allen<br />
geistigen Gewinn aus harmonischer Zusammenar<strong>bei</strong>t und wünschen <strong>bei</strong><strong>de</strong>n <strong>Ges</strong>ellschaften<br />
ein wechselseitig befruchten<strong>de</strong>s und in die Öffentlichkeit ausstrahlen<strong>de</strong>s Wirken.<br />
Prof. Dr.-Ing. Bernd Meyer Vorstand und Verwaltungsrat <strong>de</strong>r<br />
Vorsitzen<strong>de</strong>r DEUTSCHEN BOMBASTUS-<br />
GESELLSCHAFT<br />
5
JAHRESHAUPTVERSAMMLUNG<br />
6<br />
AUS DER ARBEIT DER GESELLSCHAFT<br />
Die Jahreshauptversammlung unserer <strong>Ges</strong>ellschaft fand am 20. März 2004 statt.<br />
Zu Beginn wur<strong>de</strong> mit einer Schweigeminute <strong>de</strong>s verstorbenen langjährigen Mitglie<strong>de</strong>s<br />
<strong>de</strong>s Verwaltungsrates Albrecht Ehnert ehrend gedacht.<br />
In seinem Rechenschaftsbericht sprach <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> über die Ar<strong>bei</strong>t von Vorstand<br />
und Verwaltungsrat:<br />
Wichtiger Schwerpunkt war und ist die Vorbereitung <strong>de</strong>s IV. Dresdner Symposiums im<br />
kommen<strong>de</strong>n Jahr unter <strong>de</strong>m Thema „Mensch und Ar<strong>bei</strong>t“. Paracelsus hat sich mit <strong>de</strong>r<br />
Ar<strong>bei</strong>t als Pflicht und göttlichem Auftrag zur Höherentwicklung <strong>de</strong>s Menschen auseinan<strong>de</strong>rgesetzt.<br />
Heute steht das Anrecht <strong>de</strong>s Menschen auf Ar<strong>bei</strong>t in Frage. Es ist zu erörtern,<br />
inwiefern uns Paracelsus mit seinem gesamtheitlichen Denken aus christlicher Ethik<br />
einen Ausweg aus <strong>de</strong>r Misere zeigen kann.<br />
Ein zweites Ar<strong>bei</strong>tsfeld <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft ist die Betreuung von Beson<strong>de</strong>ren Lernleistungen<br />
an Gymnasien. Im Oktober 2003 begannen zwei Schülerinnen <strong>de</strong>s Gymnasiums<br />
Dres<strong>de</strong>n-Plauen, betreut von Herrn Dorfinger und Herrn Dr. Liebscher, sich in das<br />
Thema „Paracelsische Einflüsse in Goethes Faust. Aspekte verschie<strong>de</strong>ner Inszenierungen“<br />
einzuar<strong>bei</strong>ten. Nach mehreren Treffen und <strong>de</strong>m Literaturstudium erkannten die<br />
<strong>bei</strong><strong>de</strong>n Schülerinnen allerdings <strong>de</strong>n hohen Anspruch einer BeLL und entschie<strong>de</strong>n sich,<br />
ihre Kraft auf die unterrichtlichen Aufgaben zu konzentrieren und die Ar<strong>bei</strong>t an diesem<br />
Projekt zu been<strong>de</strong>n. Die <strong>Ges</strong>ellschaft wird sich weiterhin auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Jugendar<strong>bei</strong>t<br />
engagieren.<br />
Ein weiterer wesentlicher Bestandteil <strong>de</strong>r öffentlichen Wirksamkeit sind die Urania-Vorträge.<br />
Das Publikum bestätigt immer wie<strong>de</strong>r, Gewinn aus <strong>de</strong>n Veranstaltungen gezogen<br />
zu haben. Schön wäre es allerdings, wenn wie<strong>de</strong>r eine regere Teilnahme verzeichnet wer<strong>de</strong>n<br />
könnte.<br />
Die Vorträge wer<strong>de</strong>n im Periodikum „Manuskripte – Thesen – Informationen“ veröffentlicht.<br />
Dieses ist zum anerkannten wissenschaftlichen Markenzeichen <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft gewor<strong>de</strong>n.<br />
Aus Kostengrün<strong>de</strong>n erscheint es nur noch einmal jährlich. Zur übersichtlichen<br />
Aufbewahrung wird ein Faltschuber mit sehr ansprechen<strong>de</strong>m Äußeren angeboten, <strong>de</strong>r<br />
<strong>bei</strong> <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chäftsstelle zum Selbstkostenpreis zu erwerben ist.<br />
Der von Frau Dr. Berger im Auftrag <strong>de</strong>r DBG erar<strong>bei</strong>tete Forschungsantrag wur<strong>de</strong> von<br />
Herrn Prof. Albrecht an <strong>de</strong>r TU Bergaka<strong>de</strong>mie Freiberg im August 2003 <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Deutschen<br />
Forschungsgemeinschaft eingereicht. Im Dezember erhielt er die Ablehnung <strong>de</strong>r<br />
DFG. Wenn man weiß, dass die Bewilligungsquote nur 10 bis 20% beträgt, ist das zwar<br />
tröstlich, aber nicht erfreulich. Der Vorsitzen<strong>de</strong> betonte, dass sich die <strong>Ges</strong>ellschaft nicht<br />
entmutigen lassen wird, auch wenn sich die Anschubhilfe für die Paracelsus-Forschung<br />
langwieriger als erhofft gestaltet. Wo es möglich und angebracht erscheint, wird die wissenschaftliche<br />
Ar<strong>bei</strong>t mit <strong>de</strong>n beschei<strong>de</strong>nen finanziellen Möglichkeiten <strong>de</strong>r DBG beför<strong>de</strong>rt.<br />
Da<strong>bei</strong> steht ganz ein<strong>de</strong>utig die Paracelsus’ Wirken zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> Ethik aus<br />
christlicher Nächstenliebe im Mittelpunkt.<br />
Die Anfrage einer Berliner Wissenschaftlerin, die an einer Habilitationsschrift über Paracelsus´<br />
Naturphilosophie schreibt, und an<strong>de</strong>re Anfragen zeigen, dass die DBG als Institution<br />
wahrgenommen wird und als die <strong>de</strong>utsche Anlaufstelle für die Beschäftigung mit<br />
Paracelsus gilt, wo<strong>bei</strong> die Schriftenreihe MTI eine wichtige Rolle spielt. Damit trägt die<br />
<strong>Ges</strong>ellschaft zur Rehabilitation von Namen und Werk <strong>de</strong>s <strong>Bombastus</strong> Paracelsus in einer
Weise <strong>bei</strong>, wie es noch vor Jahren nicht vorstellbar war.<br />
Herr Prof. Meyer berichtete schließlich von <strong>de</strong>r Bildungsreise und <strong>de</strong>n Jahrestagungen<br />
<strong>de</strong>r Internationalen bzw. Schweizerischen Paracelsusgesellschaft, <strong>bei</strong> <strong>de</strong>nen jeweils Mitglie<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s bzw. Verwaltungsrates vertreten waren.<br />
Der Vorsitzen<strong>de</strong> gab einen Überblick über <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rstand und rief in Anbetracht<br />
<strong>de</strong>r ungünstigen Altersstruktur <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft dazu auf, verstärktes Augenmerk auf das<br />
Gewinnen jüngerer Mitglie<strong>de</strong>r zu lenken.<br />
Die Berichte <strong>de</strong>r Schatzmeisterin und <strong>de</strong>r Revisionskommission belegten ein korrektes Umgehen<br />
mit <strong>de</strong>n finanziellen Mitteln und so konnte <strong>de</strong>r Vorstand einstimmig entlastet wer<strong>de</strong>n.<br />
Beson<strong>de</strong>rs wur<strong>de</strong> allen Mitglie<strong>de</strong>rn für die hohe Spen<strong>de</strong>nbereitschaft gedankt, die wichtige<br />
Voraussetzung für die erfolgreiche Ar<strong>bei</strong>t <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft ist.<br />
Mit einem sehr informativen und durch Bil<strong>de</strong>r anschaulichen Vortrag zu <strong>de</strong>n Bildnissen<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus run<strong>de</strong>te Frau Grätz die gelungene Veranstaltung ab.<br />
BRIEF AN DIE MINISTERIN<br />
In einem Brief vom 19. April 2004 an Frau Bun<strong>de</strong>sministerin Künast, Bun<strong>de</strong>sministerium<br />
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, hat <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> die<br />
sozialethisch begrün<strong>de</strong>ten Be<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft gegen die Gefährdung <strong>de</strong>r natürlichen<br />
Grundlagen <strong>de</strong>r Menschheit durch unverantwortliche Eingriffe in das Genom vorgebracht<br />
und zur ersatzlosen Zurücknahme <strong>de</strong>s Entwurfs aufgefor<strong>de</strong>rt. Spekulative<br />
Konzerninteressen stün<strong>de</strong>n im Wi<strong>de</strong>rspruch zum Motto <strong>de</strong>s Hohenheimers: „Der<br />
Grund aller Arznei ist die Liebe“. Als Alternative wird die Unterstützung <strong>de</strong>r ökologischen<br />
Landwirtschaft gefor<strong>de</strong>rt, damit die Menschen mit natürlichen, qualitativ hochwertigen<br />
Lebensmitteln versorgt wer<strong>de</strong>n könnten.<br />
In <strong>de</strong>r Antwort vom 12. August 2004 dankt die Beauftragte <strong>de</strong>s Ministeriums im Namen<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sministerin für das Schreiben und betont, dass die inzwischen gültige <strong>Ges</strong>etzesnovelle<br />
„<strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r gentechnikfreien Produktion durch mehrere Regelungen Rechnung“<br />
trägt. Die Regelungen wer<strong>de</strong>n dann abschließend angeführt.<br />
Mit ihrer Meinungsäußerung hat die Deutsche <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft am <strong>de</strong>mokratischen<br />
Prozess teilgenommen und sie ist ihrer Pflicht zum ethisch begrün<strong>de</strong>ten Han<strong>de</strong>ln<br />
gerecht gewor<strong>de</strong>n.<br />
BILDUNGSREISE<br />
Die Bildungsreise <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft e. V. am 15./16. Mai 2004<br />
führte auf <strong>de</strong>n Spuren Bombasts von Hohenheim ins sächsisch-böhmische Erzgebirge.<br />
Wichtige Stationen waren die alte böhmische Stadt Eger, das Sooster Moor, Franzensbad,<br />
Karlsbad, Joachimsthal und Gottesgab. Herr Dr. Burachovič, Leiter <strong>de</strong>s Karlsba<strong>de</strong>r<br />
Museums, war ein ebenso liebenswürdiger wie kompetenter Führer durch <strong>Ges</strong>chichte<br />
und Kultur <strong>de</strong>s Egerlan<strong>de</strong>s.<br />
Neben Mitglie<strong>de</strong>rn unserer <strong>Ges</strong>ellschaft war auch <strong>de</strong>r Freiberger Altertumsverein mit<br />
einer Gruppe vertreten. Vom historischen und naturkundlichen Wissen einiger Mitglie<strong>de</strong>r<br />
konnten alle unterwegs reichlich profitieren. Die Beiträge von Frau Seifert-Eulen, Frau<br />
Dr. Engewald und Herrn Dr. Burachovič erscheinen im Anschluss an diese Übersicht.<br />
7
8<br />
VERANSTALTUNGSKALENDER<br />
Mittwoch, 10. November 2004, 19.00 Uhr Studiotheater im Kulturpalast<br />
Vortrag Herr Prof. Dr. Dr. phil. habil. Friedrich Naumann<br />
Ein Riese an Denkkraft, Lei<strong>de</strong>nschaft und Charakter, an Vielseitigkeit und<br />
Gelehrsamkeit – Georgius Agricola<br />
Samstag, 12. März 2005, 9.30 Uhr, Deutsches Hygienemuseum Dres<strong>de</strong>n<br />
Jahreshauptversammlung <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft e. V.<br />
Samstag, 28. Mai 2005, Kulturrathaus Dres<strong>de</strong>n<br />
IV. Dresdner Symposium<br />
Thema: „Mensch und Ar<strong>bei</strong>t“<br />
„Also wird <strong>de</strong>r mensch gesegnet, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r ar<strong>bei</strong>t lebt und<br />
die ar<strong>bei</strong>t sein reichtumb ist.“<br />
Samstag/Sonntag, 10./11. September 2005<br />
Bildungsreise nach Herrnhut<br />
Vorstand und Verwaltungsrat<br />
<strong>de</strong>r DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT
Maria Seifert-Eulen<br />
VEGETATIONSGESCHICHTE ZUM SOOSTER MOOR<br />
Während einer Bildungsreise „Auf <strong>de</strong>n<br />
Spuren <strong>de</strong>s Paracelsus“ wur<strong>de</strong> das Saure<br />
Moos (Sooster Moor), ein als europäische<br />
Rarität gelten<strong>de</strong>s Naturschutzgebiet, besucht.<br />
Entlang <strong>de</strong>s Moorlehrpfa<strong>de</strong>s erläuterte<br />
Herr Dr. BURACHOVIČ die geologische<br />
Situation <strong>de</strong>r Soos und die Entstehung <strong>de</strong>s<br />
Moores mit seinen Beson<strong>de</strong>rheiten, <strong>de</strong>n<br />
Mofetten („Minivulkanen“). Mofetten<br />
sind mit Kohlendioxyd vermischte Wasseraustritte.<br />
Er sprach über <strong>de</strong>n heutigen Zustand<br />
<strong>de</strong>s Moores und machte auf Tiere<br />
und Pflanzen aufmerksam.<br />
Moore sind leben<strong>de</strong> und dadurch äußerst<br />
empfindliche Ökosysteme. Sie sind Lebensräume<br />
vielfältiger spezialisierter Pflanzenund<br />
Tierarten. Unter an<strong>de</strong>rem akkumulieren<br />
sie Nähr- und Schadstoffe sowie Kohlenstoff<br />
und stabilisieren <strong>de</strong>n Wasserhaushalt<br />
einer Landschaft. Sie bil<strong>de</strong>n Vergleichsräume<br />
für die Klimaentwicklung einer<br />
Region, sie speichern sämtliche Umweltdaten<br />
im Laufe ihrer Entwicklung. Die<br />
Eingriffe <strong>de</strong>s Menschen in das Moor und<br />
seine Umgebung stören seine natürliche<br />
Entwicklung. Moore sind somit leben<strong>de</strong><br />
Archive <strong>de</strong>r Natur.<br />
Wie man in diesem Archiv lesen kann,<br />
zeigte am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Rundganges Frau SEI-<br />
FERT-EULEN. Sie erklärte an Hand <strong>de</strong>r<br />
Pollenanalyse und eines vereinfachten Pollendiagramms<br />
die jahrtausendlange Waldgeschichte<br />
<strong>de</strong>s Moores bezogen auf die<br />
wichtigsten Baumarten.<br />
Die Pollenanalyse ist eine Metho<strong>de</strong>, mit<br />
<strong>de</strong>ren Hilfe die Vegetationsgeschichte<br />
eines Moores und seiner Umgebung aufgezeigt<br />
wird. Gleichzeitig können Aussagen<br />
zum Alter <strong>de</strong>r einzelnen Vegetations- und<br />
Siedlungsphasen gemacht und Hinweise<br />
zur Klimaentwicklung gegeben wer<strong>de</strong>n.<br />
Um diese Metho<strong>de</strong> anwen<strong>de</strong>n zu können,<br />
sind verschie<strong>de</strong> Voraussetzungen notwendig.<br />
Einige sollen hier aufgeführt wer<strong>de</strong>n:<br />
Alle Pollenkörner, Sporen, kleine Tierund<br />
Pflanzenreste wer<strong>de</strong>n hauptsächlich<br />
zwischen <strong>de</strong>n Torfmoosen <strong>de</strong>r leben<strong>de</strong>n<br />
Mooroberfläche festgehalten. Während<br />
<strong>de</strong>r Vertorfung <strong>de</strong>r Pflanzen bleiben diese<br />
Organismenreste in <strong>de</strong>r Torfschicht <strong>de</strong>r<br />
Zeit ihres Eintrages. Sie verbleiben durch<br />
die filtern<strong>de</strong> Wirkung <strong>de</strong>s Torfes in ihrem<br />
zugehörigen Horizont und kennzeichnen<br />
je<strong>de</strong>n Bildungsabschnitt <strong>de</strong>s Moores. Gelangen<br />
die Pollenkörner und Sporen<br />
schnell unter Luftabschluss, bleiben ihre<br />
Hüllen mehrere Jahrtausen<strong>de</strong> erhalten.<br />
Diese Konservierung erfüllen Torfe und<br />
Seesedimente. Eine weitere Voraussetzung<br />
ist, dass die Hüllen <strong>de</strong>r Pollenkörner und<br />
Sporen (Größe <strong>de</strong>r Hüllen zwischen 10<br />
und 80µ) auf Grund ihrer Form und Struktur<br />
<strong>de</strong>n jeweiligen Pflanzenarten o<strong>de</strong>r Gattungen<br />
zugeordnet wer<strong>de</strong>n können.<br />
Pollenkörner <strong>de</strong>r Bäume wer<strong>de</strong>n im<br />
Wesentlichen aus <strong>de</strong>r Waldvegetation <strong>de</strong>r<br />
Umgebung <strong>de</strong>r Moore eingetragen, währen<br />
die Kräuterpollenkörner zum großen<br />
Teil von Standorten auf <strong>de</strong>m Moor selbst<br />
o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n Randbereichen stammen. So<br />
kann man auf Grund <strong>de</strong>s Mengenverhältnisses<br />
<strong>de</strong>r einzelnen Pollenarten die Vegetationsentwicklung<br />
im Untersuchungsgebiet<br />
ermitteln.<br />
Ein Bohrprofil, das ca. 100 m nördlich<br />
<strong>de</strong>r Kaiserquelle abgeteuft wur<strong>de</strong>, zeigt<br />
nach KEILHACK und RUDOLPH (1929)<br />
<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>s Moores:<br />
Der Unterbo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Moores besteht ab<br />
4 m Tiefe aus Sand. Darüber ist eine ca.<br />
0,50 m mächtige zersetzte Torfmud<strong>de</strong> aufgewachsen.<br />
Diese wird überlagert von<br />
einer ca. 1,50 m mächtigen Kieselgur<br />
(Kieselschalen <strong>de</strong>r Diatomeen). Nach oben<br />
folgt dann eine ca. 2 m mächtige Torfgur.<br />
Darin ist im obersten Meter eine Eisenerzschicht<br />
eingeschaltet. Über dieser Torfgur<br />
befin<strong>de</strong>t sich die heutige Oberfläche.<br />
Aus dieser 4 m mächtigen, organischen<br />
Schichtfolge konnten KEILHACK und<br />
RUDOLPH (1929) die nacheiszeitliche<br />
Waldgeschichte <strong>de</strong>r Soos rekonstruieren<br />
9
und eine ca. 10 000-jährige Entwicklung<br />
<strong>de</strong>s Sooster Moores nachweisen.<br />
Die Waldgeschichte wird in Kurzform<br />
wie folgt wie<strong>de</strong>rgegeben.<br />
Präboreal (Vorwärmezeit) ab ca. 10 000<br />
bis 9 000 Jahre vor heute: Die Bildung <strong>de</strong>r<br />
Torfmud<strong>de</strong> begann in <strong>de</strong>r frühpostglazialen<br />
Kiefern-Birkenzeit. Die Sommer waren<br />
noch kühl, die Winter schon etwas mil<strong>de</strong>r<br />
als am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Spätglazials. Im Untersuchungsgebiet<br />
waren hauptsächlich Kiefernwäl<strong>de</strong>r<br />
mit Birken vorhan<strong>de</strong>n. Langsam<br />
wan<strong>de</strong>rn wärmelieben<strong>de</strong> Arten ein.<br />
Boreal (Frühe Wärmezeit) ab ca. 9 000<br />
bis 7 500 Jahre vor heute: Mit <strong>de</strong>r raschen<br />
Ausbreitung <strong>de</strong>r Hasel entstan<strong>de</strong>n Kiefern-<br />
Haselwäl<strong>de</strong>r. Der Eichenmischwald mit<br />
Lin<strong>de</strong>, Ulme und Eiche nimmt im weiteren<br />
Verlaufe immer größere Flächen ein.<br />
Das Klima war warm und trocken. Durch<br />
Wasseraustritte von Mineralquellen und<br />
Mofetten kam es zur Bildung eines offenen,<br />
flachen Gewässers und zur Bildung<br />
<strong>de</strong>r Kieselgur. Dafür spricht <strong>de</strong>r hohe Prozentsatz<br />
<strong>de</strong>r gefun<strong>de</strong>nen Diatomeen. Es<br />
wird angenommen, dass die Kaiserquelle<br />
und ihre Begleiter während <strong>de</strong>s Boreals<br />
entstan<strong>de</strong>n sind, als Folge <strong>de</strong>r tektonischen<br />
Nachwirkungen <strong>de</strong>s Vulkanismus <strong>de</strong>s<br />
Kammerbühls.<br />
Atlantikum (Mittlere Wärmezeit) ab<br />
ca. 7 500 bis 4 500 Jahre vor heute: Hier<br />
kommt es zur raschen Ausbreitung <strong>de</strong>r<br />
Fichte und zur Verdrängung <strong>de</strong>r Hasel. Es<br />
dominieren Fichten-Eichenmischwäl<strong>de</strong>r.<br />
Buche und Tanne wan<strong>de</strong>rn ein. Am En<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>s Atlantikums wird die Buche, etwas<br />
später auch die Tanne immer häufiger. Bei<br />
einem feuchten und warmen Klima begann<br />
die Bildung <strong>de</strong>r Torfgur. Im Atlantikum<br />
liegt das Klimaoptimum mit Ø ca.<br />
2,3° wärmer als heute.<br />
Subboreal (Späte Wärmezeit) ab ca.<br />
4 500 bis 2 500 Jahre vor heute: Die Waldvegetation<br />
wird neben <strong>de</strong>r Fichte immer<br />
stärker von Buchen und Tannen geprägt,<br />
so dass ein Fichten-Buchen-Tannenwald in<br />
<strong>de</strong>r Umgebung <strong>de</strong>r Soos sich herausbil<strong>de</strong>n<br />
10<br />
konnte. Das Klima wird kühler und trockener.<br />
Subatlantikum (Nachwärmezeit) ab ca.<br />
2 500 vor heute bis in die Historische<br />
Zeit: Der ältere Teil <strong>de</strong>s Subatlantikums ist<br />
durch die maximale Verbreitung von<br />
Buche und Tanne gekennzeichnet. Die<br />
Buche erreicht im Egerbecken nicht so<br />
hohe Anteile wie in höheren Gebirgslagen.<br />
Es bil<strong>de</strong>n sich Buchen-Tannenwäl<strong>de</strong>r mit<br />
Fichten- und Kiefernbestän<strong>de</strong>n. Das Klima<br />
wird kühler und feuchter. Diese Wäl<strong>de</strong>r<br />
be<strong>de</strong>ckten die Landschaft noch während<br />
<strong>de</strong>s Jüngeren Subatlantikum (Miriquidi<br />
<strong>de</strong>s Erzgebirges) und wur<strong>de</strong>n erst mit Beginn<br />
<strong>de</strong>s Mittelalterlichen Lan<strong>de</strong>sausbaues<br />
(ab ca. 12. Jahrhun<strong>de</strong>rt n. Chr.) und <strong>de</strong>r<br />
Industrialisierung immer mehr zurückgedrängt.<br />
Die Waldvegetation in <strong>de</strong>n obersten<br />
Schichten zeigt <strong>de</strong>n Übergang zu <strong>de</strong>n historischen<br />
Verhältnissen und ist durch die<br />
Zunahme von Fichte und Kiefer gekennzeichnet.<br />
Diese Verän<strong>de</strong>rung in <strong>de</strong>r Waldzusammensetzung<br />
ist durch die immer<br />
stärker wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Eingriffe (geregelte<br />
Forstwirtschaft) <strong>de</strong>s Menschen auf seine<br />
Umgebung bedingt. Das Klima geht in die<br />
heutigen Verhältnisse über.<br />
Nach <strong>de</strong>m Rückzug <strong>de</strong>s letzten Eises<br />
(Weichsel-Eiszeit) aus Mitteleuropa begann<br />
eine allmähliche Wie<strong>de</strong>rbewaldung<br />
<strong>de</strong>r Landschaften. Die Reihenfolge <strong>de</strong>s<br />
Wie<strong>de</strong>rerscheinens <strong>de</strong>r einzelnen Baumarten<br />
und ihrer Ausbreitung erfolgte in Mitteleuropa<br />
nach recht einheitlichen <strong>Ges</strong>etzmäßigkeiten.<br />
Die vorgestellte Vegetationsentwicklung<br />
ist sowohl in <strong>de</strong>n Mittelgebirgen<br />
Böhmens, <strong>de</strong>m Erzgebirge und an<strong>de</strong>ren<br />
Landschaften im Wesentlichen gleich.<br />
Die Entstehungszeiten <strong>de</strong>r Moore sind unterschiedlich.<br />
Es gibt auf Grund regionaler<br />
Gegebenheiten Abweichungen.
LITERATUR<br />
KEILHACK, K. (1929): Die Soos <strong>bei</strong> Franzensbad in naturwissenschaftlicher und<br />
balneologischer Beziehung – mit einem botanischen Beitrag von K. RUDOLPH –<br />
Veröffentlichungen <strong>de</strong>r Zentralstelle für Balneologie, Neue Folge, Heft 13.<br />
Durchschnittspollendiagramm <strong>de</strong>r Erzgebirgsmoore<br />
nach RUDOLPH und FIRBAS (1924) ergänzt durch M. SEIFERT-EULEN (2004)<br />
Klimaabschnitte ungefähre<br />
Jahre vor<br />
heute Pollenzonen<br />
Kulturstufe<br />
Wald<br />
Vegetationsentwicklung<br />
Gehölze<br />
(nach FIRBAS 1949)<br />
Historische Zeit<br />
Klimacharakter<br />
heutige Verhältnisse<br />
10 20 30 40 50 60 70 80 90%<br />
0<br />
kühl, feucht<br />
geregelte Forstwirtschaft<br />
Kiefer- Fichtenwäl<strong>de</strong>r<br />
x<br />
Xb<br />
jüngeres<br />
Früh<strong>de</strong>utsche Zeit<br />
x<br />
1000<br />
x<br />
Slawenzeit<br />
Xa<br />
kühler<br />
und<br />
feuchter<br />
wer<strong>de</strong>nd<br />
Miriquidi<br />
(Dunkelwald)<br />
x<br />
Subatlantikum<br />
Völkerwan<strong>de</strong>rung<br />
Römische Kaiserzeit<br />
Buchen- Tannenwäl<strong>de</strong>r<br />
x<br />
1500<br />
Nachwärmezeit<br />
x<br />
IX b<br />
Germanenzeit<br />
Zeitenwen<strong>de</strong><br />
2000<br />
mit Fichten und Kiefern<br />
(auf Mooren)<br />
älteres<br />
Eisenzeit<br />
x<br />
x<br />
x<br />
IX a<br />
2500<br />
Bronzezeit<br />
abkühlend<br />
Buchen- Fichtenwäl<strong>de</strong>r<br />
mit Tannen<br />
VIII<br />
trocken<br />
sehr feucht mit<br />
Feuchteschwankungen<br />
weniger warm<br />
x<br />
Subboreal<br />
Spätere<br />
4500<br />
Jungsteinzeit<br />
x<br />
VII<br />
jüngeres<br />
Fichtenwäl<strong>de</strong>r mit<br />
Eichenmischwald<br />
Erlen und Hasel<br />
6000<br />
feucht<br />
maritimes Klima<br />
Atlantikum<br />
VI<br />
Klimaoptimum<br />
ca. 2,3° wärmer<br />
als heute<br />
älteres<br />
Mittlere Wärmezeit<br />
Vb<br />
Boreal<br />
Va<br />
Frühe Wärmezeit<br />
IV b<br />
9000<br />
Präboreal<br />
IV a<br />
10 000<br />
Jüngere<br />
III<br />
Dryas<br />
+<br />
11 000<br />
II<br />
Tundren - Zeit Vorwärmezeit<br />
Spätglazial A l t h o l o z ä n Mittelholozän<br />
J u n g h o l o z ä n<br />
H o l o z ä n (Postglazial; Nacheiszeit)<br />
(Neolithikum)<br />
x<br />
7500<br />
warm, trocken<br />
mehr kontinentales<br />
Klima<br />
Kiefern- Haselwäl<strong>de</strong>r<br />
mit Eichenmischwald<br />
Mittelsteinzeit<br />
(Messolithikum)<br />
Sommer noch<br />
kühl, Winter mil<strong>de</strong>r,<br />
Westwin<strong>de</strong><br />
vorherrschend<br />
Kiefernwäl<strong>de</strong>r mit<br />
Birken<br />
Einwan<strong>de</strong>rung<br />
Wärme lieben<strong>de</strong> Arten<br />
Altsteinzeit<br />
(Paläolithikum)<br />
kalte Sommer<br />
strenge Winter<br />
kaltes Übergangsklima<br />
Waldarme Zeit mit<br />
Birken, Kiefern, Wei<strong>de</strong>n;<br />
subarktische Arten<br />
+<br />
+ +<br />
+<br />
Kiefern- Birkenwäl<strong>de</strong>r mit vorübergehen<strong>de</strong><br />
vereinzelt wärmeren Erwärmung<br />
Arten<br />
mäßig warm<br />
Erle, Eiche, Fichte mäßig feucht<br />
Allerod /<br />
90 80 60 50 40 30 20 10 %<br />
Kräuter<br />
Weichsel -Kaltzeit<br />
+<br />
Kräuter<br />
Kiefer<br />
Birke<br />
Fichte<br />
Eichenmischwald<br />
Tanne<br />
Buche<br />
Erle<br />
Hasel<br />
Wei<strong>de</strong><br />
x<br />
+<br />
gez. B. Bieber 06/04<br />
11
Die älteste Phase <strong>de</strong>r Karlsba<strong>de</strong>r Kurgeschichte<br />
liegt zwischen <strong>de</strong>n Jahren 1350<br />
und 1522. Den beträchtlichen Ruhm <strong>de</strong>r<br />
Karlsba<strong>de</strong>r Thermen schon am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />
15. Jahrhun<strong>de</strong>rts beweist die lateinische<br />
Lobeso<strong>de</strong> auf die Spru<strong>de</strong>lquelle <strong>de</strong>s berühmten<br />
böhmischen Humanisten Bohuslav<br />
Lobkowitz von Hassenstein aus <strong>de</strong>r<br />
Zeit um 1500. Schon zu dieser Zeit gehörte<br />
Karlsbad zu <strong>de</strong>n vorzüglichsten Bä<strong>de</strong>rn<br />
Mitteleuropas, <strong>de</strong>ssen Heilquellen im 16.<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rt viele be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Männer <strong>de</strong>r<br />
Wissenschaft besucht, erforscht und beschrieben<br />
haben, z. B. Paracelsus, Agricola,<br />
Thurneysser, Corda u. a.)<br />
Die größte Therme heute mit <strong>de</strong>r bis 18 m hohen<br />
Fontäne<br />
Die meisten Karlsba<strong>de</strong>r Ba<strong>de</strong>gäste etablierten<br />
sich seit <strong>de</strong>m 14. Jahrhun<strong>de</strong>rt (die<br />
Gründung <strong>de</strong>s Kurortes erfolgte im Jahre<br />
1349) bis zum Anfang <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />
aus <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r a<strong>de</strong>ligen und kirchlichen<br />
sowie militärischen Wür<strong>de</strong>nträger.<br />
Die ältesten erhaltenen namentlichen Er-<br />
12<br />
Stanislav Burachovič<br />
VON DER HAUTFRESSERKUR ZUR PYRAMIDALKUR<br />
Das böhmische Kurwesen im 16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt am Beispiel <strong>de</strong>r Stadt Karlsbad<br />
wähnungen über die Karlsba<strong>de</strong>r Patienten<br />
fin<strong>de</strong>n wir in <strong>de</strong>n Ausgabebüchern <strong>de</strong>r Stadt<br />
Eger (Cheb) aus <strong>de</strong>m 15. und 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt.<br />
Die Stadt Eger spen<strong>de</strong>te <strong>de</strong>n a<strong>de</strong>ligen<br />
Gästen von Karlsbad jährlich eine gewisse<br />
Anzahl Schoppen von ihrem leckeren Bier.<br />
So wird z. B. zum Jahre 1443 angegeben,<br />
dass „an die Markgräfin von Kulmbach und<br />
ihr Gefolge aus Eger zwei Eimer Bier in das<br />
Warmbad <strong>bei</strong> Elbogen zugeschickt wor<strong>de</strong>n<br />
waren“. Im Jahre 1457 heilte sich <strong>bei</strong>m<br />
Spru<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Bischof von Agram. Ihm waren<br />
aus Eger 4 Kannen Bier zugeschickt wor<strong>de</strong>n.<br />
Von an<strong>de</strong>ren a<strong>de</strong>ligen Karlsba<strong>de</strong>r Kurgästen<br />
aus <strong>de</strong>m 15.–16. Jahrhun<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n<br />
aufgezeigt z. B.: Johann von Hassenstein<br />
(1475), Bohuslav Lobkowitz von Hassenstein<br />
(um 1500), Benesch von Weitmühle<br />
(1479), Markgraf von Bayreuth (1491),<br />
Graf Schwarzburg (1492), Fürst von Sachsen<br />
(1504), Wilhelm von Rosenberg mit<br />
Gemahlin (1559), Markgraf Johann von<br />
Bran<strong>de</strong>nburg (1569) und Erzherzog Ferdinand<br />
von Tyrol mit seiner Gemahlin Philipine<br />
Welser (1571).<br />
Die Karlsba<strong>de</strong>r Kurbehandlung bestand<br />
von <strong>de</strong>r Stadtgründung an bis zum Anfang<br />
<strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts fast ausschließlich aus<br />
einer einzigen Prozedur, aus einem Übermaß<br />
von Bä<strong>de</strong>rn im Thermalwasser, für die<br />
sich die passen<strong>de</strong> <strong>de</strong>utsche Bezeichnung<br />
„Hautfresserkur“ eingebürgert hatte. Bei<br />
manchen Indikationen ba<strong>de</strong>ten die Patienten<br />
10 und mehr Stun<strong>de</strong>n täglich. Die langen<br />
Bä<strong>de</strong>r führten bis zu schmerzlichen<br />
Riss- und Platzwun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Haut, womit<br />
das Ziel <strong>de</strong>r damaligen humoralen Therapie<br />
erreicht war (Theorie <strong>de</strong>r 4 kranken Flüssigkeiten<br />
im menschlichen Körper, die auch<br />
Paracelsus vertrat). Dieser Therapie nach<br />
sollte das Heilwasser durch die offene<br />
Haut die Krankheitserreger aus <strong>de</strong>m Organismus<br />
herausspülen.<br />
Die Trinkkur begann sich <strong>bei</strong>m Karlsba-
<strong>de</strong>r Spru<strong>de</strong>l erst durch die Anregung <strong>de</strong>s<br />
Arztes Wenzel Payer durchzusetzen. Er<br />
gab im Jahre 1522 in Leipzig die überhaupt<br />
erste monothematische medizinische Monografie<br />
über das Karlsba<strong>de</strong>r Heilverfahren<br />
heraus. In diesem Buch empfahl er neben<br />
<strong>de</strong>n Bä<strong>de</strong>rn als Neuerung auch das Trinken<br />
<strong>de</strong>s Thermalwassers. Payers Werk trat energisch<br />
gegen manche Dogmen und Inkorrektheiten<br />
<strong>de</strong>s bis zu diesem Zeitpunkt üblichen<br />
Karlsba<strong>de</strong>r Heilsystems an. Seine<br />
Schrift Tractatus <strong>de</strong> Thermis Caroli Quarti<br />
Imperatoris ist als ein Handbuch für <strong>de</strong>n<br />
Arzt konzipiert, <strong>de</strong>r die Kranken nach<br />
Karlsbad schickte sowie auch als Anleitung<br />
zum Kurgebrauch für <strong>de</strong>n Patienten selbst.<br />
Payers Traktat war das erste Werk, das für<br />
Karlsbad warb und das <strong>de</strong>r Autor geschrieben<br />
hatte aus „Liebe zum Vaterland“ und<br />
„weil er sich darum sorgte, dass das Karlsba<strong>de</strong>r<br />
Wasser nützlicher verwen<strong>de</strong>t wür<strong>de</strong>, als es bisher<br />
<strong>de</strong>r Brauch war“. Payer wusste, dass er<br />
<strong>de</strong>r erste war, <strong>de</strong>r über Karlsbad schrieb,<br />
weil er im Buch sagt, dass vor ihm „kein<br />
Arzt diese Ar<strong>bei</strong>t einging“. Das Werk stellt<br />
einen wichtigen Meilenstein in <strong>de</strong>r Periodisierung<br />
<strong>de</strong>s Karlsba<strong>de</strong>r Heilverfahrens dar,<br />
da <strong>de</strong>r Autor außer Bä<strong>de</strong>rn auch das Trinken<br />
<strong>de</strong>s Quellenwassers empfahl. Payer ermunterte<br />
die Kurgäste zum Trinken <strong>de</strong>s Wassers<br />
offensichtlich unter <strong>de</strong>m Eindruck seiner<br />
Erfahrungen aus <strong>de</strong>n italienischen<br />
Bä<strong>de</strong>rn, wo die Trinkkur schon zur Zeit<br />
<strong>de</strong>r Antike ordiniert wur<strong>de</strong>.<br />
Venceslav Payer (genannt auch Wenzel<br />
o<strong>de</strong>r Wenceslaus Beyer bzw. Bayer) wur<strong>de</strong><br />
im Jahre 1488 in Elbogen (Loket) <strong>bei</strong> Karlsbad<br />
geboren. Im Jahre 1508 wur<strong>de</strong> er an <strong>de</strong>r<br />
Universität Leipzig immatrikuliert, wo er<br />
sein dreijähriges Philosophiestudium, das<br />
so genannte Studium generale, absolvierte.<br />
Im Jahre 1510 erreichte er das Bakkalaureat<br />
und im Winter <strong>de</strong>s Jahres 1512 wur<strong>de</strong> er<br />
Magister <strong>de</strong>r Philosophie. Sieben Jahre später<br />
ging Payer nach Italien, um hier sein<br />
Studium fortzusetzen. In Bologna erwarb<br />
er 1520 o<strong>de</strong>r 1521 das Medizin-Doktorat.<br />
Im Jahre 1520 durchreiste er eine ganze<br />
Reihe von italienischen Bä<strong>de</strong>rn und beobachtete<br />
da<strong>bei</strong> die Wirkungen <strong>de</strong>s Thermalwassers,<br />
beson<strong>de</strong>rs <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Trinkkur. Er stellte<br />
fest, dass <strong>de</strong>r „göttliche Karlsba<strong>de</strong>r Spru<strong>de</strong>l<br />
seines Vaterlan<strong>de</strong>s keiner <strong>de</strong>r italienischen Quellen<br />
nachsteht“. Seine Erkenntnisse über die<br />
italienischen Thermen hatten sicherlich<br />
wesentlich sein fachliches Interesse an Karlsbads<br />
Quellen beeinflusst. Im Jahre 1521<br />
kehrte Payer in seine Heimat zurück. Dann<br />
ging er nach Leipzig, wo er Vorträge an <strong>de</strong>r<br />
medizinischen Fakultät hielt. Zu dieser<br />
Zeit entschloss er sich, eine Schrift über<br />
Karlsbad zu verfassen. Ihre Handschrift<br />
beurteilte <strong>de</strong>r Professor an <strong>de</strong>r Leipziger<br />
medizinischer Fakultät O. Rülein von Calw<br />
und empfahl sie zum Druck. Nach<strong>de</strong>m er<br />
die Ar<strong>bei</strong>t am Traktat über Karlsbad been<strong>de</strong>t<br />
hatte und sie herausgegeben wur<strong>de</strong>,<br />
schrieb Payer auch einen kurzen Traktat<br />
über die so genannte Bergmannskrankheit,<br />
unter <strong>de</strong>r die Bergleute in St. Joachimsthal<br />
(Jáchymov) litten. Hier<strong>bei</strong> weist er auf das<br />
Elend und die ungesun<strong>de</strong>n Verhältnisse<br />
hin, in <strong>de</strong>nen die Joachimsthaler Bergleute<br />
lebten und ar<strong>bei</strong>teten. Das Schriftlein kam<br />
im Jahre 1522 in Leipzig heraus. Payer<br />
wur<strong>de</strong> durch diese Abhandlung zum Vorkämpfer<br />
<strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>tsmedizin in <strong>de</strong>n böhmischen<br />
Län<strong>de</strong>rn. Über Dr. Payer ist weiter<br />
bekannt, dass er kurzzeitig in Elbogen<br />
sowie in <strong>de</strong>r Bergstadt St. Joachimsthal<br />
tätig war, wo er gleichzeitig als Stadtarzt<br />
und Leibarzt <strong>de</strong>r Grafen Schlick wirkte,<br />
höchstwahrscheinlich in <strong>de</strong>n Jahren<br />
1524–1525(?). Am 15. Januar 1525 ist<br />
Payer Leipziger Bürger gewor<strong>de</strong>n. Im selben<br />
Jahr hatte er dort Margarete, die Tochter<br />
<strong>de</strong>s Leipziger Buchhändlers Augustin<br />
Pantschmann geheiratet. In <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />
Jahren gab er noch eine ganze Reihe von<br />
Schriften heraus: im Jahre 1529 eine Publikation<br />
über die so genannte englische<br />
Schweißkrankheit, im Jahre 1530 eine<br />
<strong>de</strong>utsche Übersetzung <strong>de</strong>s Traktates über<br />
die Pest, die schon vorher in lateinisch als<br />
Zulage zum Traktat über Karlsbad erschienen<br />
war (1522), und im Jahre 1535 eine<br />
13
Schrift über die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Herzens<br />
und eine Polemik gegen seinen Kollegen<br />
Sebastian Roth aus Auerbach.<br />
Venceslaus Payer starb zwischen <strong>de</strong>m 11.<br />
und 17. März 1537 in Leipzig. Seit <strong>de</strong>r Zeit<br />
<strong>de</strong>s Karlsba<strong>de</strong>r Arztes Jean <strong>de</strong> Carro<br />
(1770–1857) überlieferte sich in <strong>de</strong>r Literatur<br />
falsch, dass Payer schon im Jahre 1526 starb.<br />
Dieses Datum bezieht sich auf eine Prägung<br />
von zwei silbernen Ge<strong>de</strong>nkmedaillen<br />
mit <strong>de</strong>m Porträt Payers, die im Jahre 1526<br />
in St. Joachimsthal <strong>de</strong>r Graf Stephan<br />
Schlick aus unbekannten Grün<strong>de</strong>n gießen<br />
ließ. Das Erbschaftsverfahren <strong>de</strong>r Payerschen<br />
Hinterlassenschaft fand am 6. Juli<br />
1537 in Elbogen und in Leipzig am 16.<br />
August <strong>de</strong>sselben Jahres statt.<br />
Wegen ihrer Be<strong>de</strong>utung für das böhmische<br />
Kurwesen <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts konzentrieren<br />
wir uns nun auf Payers bahnbrechen<strong>de</strong><br />
Schrift über Karlsbad. Das Buch, das<br />
<strong>de</strong>m Grafen Stephan Schlick gewidmet ist,<br />
weist die Form eines siebenteiligen Traktates<br />
auf. Be<strong>de</strong>utungsvoll ist das fünfte Kapitel,<br />
in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Autor seine eigene Meinung<br />
über effektive Ba<strong>de</strong>kuren beschreibt<br />
und das Trinken <strong>de</strong>s Wassers empfiehlt.<br />
Die Ratschläge über die Lebensweise und<br />
die Diät für die Patienten wirken auch nach<br />
<strong>bei</strong>nahe 500 Jahren überraschend mo<strong>de</strong>rn.<br />
An manchen Stellen <strong>de</strong>s Traktates stoßen<br />
durch die medizinische Thematik auch<br />
präzise Beobachtungen <strong>de</strong>s damaligen Ba<strong>de</strong>lebens.<br />
Payer rügt die Patienten, die in<br />
Karlsbad nur Vergnügen und Ablenkung<br />
suchen: „Et ibi notandum quod plerique causa<br />
<strong>de</strong>lectationis Thermas illas accedunt“ (Hier ist<br />
zu erwähnen, dass manche dieses Bad nur vergnügungshalber<br />
besuchen). Weiter unterstreicht<br />
er, dass die Bä<strong>de</strong>r zum Heilen geschaffen<br />
wur<strong>de</strong>n und nicht, um ein Ort mit be<strong>de</strong>nklichem<br />
Ruf zu sein. Nennenswert ist auch,<br />
dass Payer in seinem Buch das Duschen<br />
mit Spru<strong>de</strong>lwasser schon fünfzig Jahre vor<br />
<strong>de</strong>m Arzt Fabian Sommer empfiehlt. Für<br />
die Distribution <strong>de</strong>s Wassers rät er Glasbehälter,<br />
die seine chemische Zusammensetzung<br />
am wenigsten beeinflussen. Im Buch<br />
14<br />
steht nichts über die <strong>Ges</strong>chichte Karlsbads.<br />
Nur im Vorwort ist die Erwähnung, dass<br />
die Einwohner das Warmbad Kaiser-Karls-<br />
Bad nennen. Die verschie<strong>de</strong>nen, öfter auch<br />
unbeabsichtigten Verfälschungen <strong>de</strong>s Traktatinhaltes<br />
in jüngerer Zeit ergaben sich<br />
zum großen Teil aus <strong>de</strong>r Unkenntnis und<br />
auch Unverfügbarkeit seines lateinischen<br />
Originals, von <strong>de</strong>m weltweit nur ein paar<br />
sehr wertvolle Exemplare erhalten geblieben<br />
sind (in <strong>de</strong>r Tschechischen Republik<br />
sind nur zwei Exemplare vorhan<strong>de</strong>n, eines<br />
in Prag und eines in Karlsbad). Die meisten<br />
<strong>de</strong>r Schriftsteller, die später über Karlsbad<br />
schrieben, hatten über Payers Werk<br />
nur vermittelte Informationen. Diese stammen<br />
durchweg von einer <strong>de</strong>utschen Neuauflage<br />
aus <strong>de</strong>m Jahre 1614 und vielleicht<br />
auch <strong>de</strong>swegen, weil das Original in einem<br />
sehr schlechten und kaum verständlichen<br />
Latein geschrieben war, das manche Forscher<br />
entmutigte.<br />
Der ersten Auflage <strong>de</strong>s Traktates (1522)<br />
ist eine lateinische Abhandlung über die<br />
Pest (Consilium <strong>de</strong> peste) und eine <strong>de</strong>utsch<br />
geschriebene Anleitung für <strong>de</strong>n richtigen<br />
Gebrauch <strong>de</strong>s Karlsba<strong>de</strong>r Wassers <strong>bei</strong>gefügt:<br />
Nutzlicher und Kurtzer begreiff in Deutschen<br />
in wasser Kranckheiten das Warm padt tzu<br />
Elbogen noth und nutzlich sey. Dem angegebenen<br />
Datum nach hat Payer das Buch am<br />
19. Dezember 1521 been<strong>de</strong>t.<br />
Payers Traktat wur<strong>de</strong> für seine mo<strong>de</strong>rne<br />
und fortschrittliche Auffassung sowohl von<br />
<strong>de</strong>n zeitgenössischen Autoren sowie von seinen<br />
Nachfolgern sehr hoch geschätzt. Im<br />
Jahre 1614 erlebte er in Leipzig seine zweite<br />
Auflage in <strong>de</strong>utscher Übersetzung mit einem<br />
Nachtrag <strong>de</strong>s Medizin-Doktors Michael Reu<strong>de</strong>nius<br />
aus Schlaggenwald (Horní Slavkov).<br />
Reu<strong>de</strong>nius fügte zur Auflage 16 Briefe von<br />
be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Ärzten hinzu, die dieselbe<br />
Meinung über das Heilverfahren wie Payer<br />
vertraten und das Trinken <strong>de</strong>s Karlsba<strong>de</strong>r<br />
Wassers empfohlen hatten (z. B. Mathias<br />
Klingeisen, J. C. Naevius und weitere). Die<br />
tschechische Übersetzung <strong>de</strong>s Payerschen<br />
Traktates über Karlsbad erschien erst im Jahre
1984 dank <strong>de</strong>m PragerVerlag Avicenum.<br />
Trotz Payers fortschrittlicher Empfehlung<br />
<strong>de</strong>r Trinkkur herrschte in Karlsbad und<br />
auch in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren böhmischen Bä<strong>de</strong>rn<br />
bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts vorwiegend<br />
die Ba<strong>de</strong>therapie. Der Behandlungsaufenthalt<br />
in <strong>de</strong>n Bä<strong>de</strong>rn dauerte damals<br />
allgemein 4–5 Wochen.<br />
Ähnliche Prinzipien wie Dr. Payer vertrat<br />
im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt auch <strong>de</strong>r Karlsba<strong>de</strong>r<br />
Arzt Med. Dr. Fabian Sommer<br />
(1533–1571). In seinem Karlsbad-Buch aus<br />
<strong>de</strong>m Jahre 1571 De inventione, <strong>de</strong>scriptione,<br />
temperie, viribus et inprimis usu thermarum<br />
D.Caroli IV. Imperatoris empfiehlt er <strong>de</strong>n<br />
Patienten nach ihrer Ankunft Ruhe, Abführung<br />
und danach eine Kombination von<br />
Ba<strong>de</strong>- und Trinkkur. Das Heilverfahren sollte<br />
nach Sommer aufgrund <strong>de</strong>s Rates eines<br />
erfahrenen Karlsba<strong>de</strong>r Arztes und nicht<br />
gemäß <strong>de</strong>r Instruktionen <strong>de</strong>s Leibarztes erfolgen.<br />
Dr. Sommer verurteilte <strong>de</strong>n täglichen<br />
Wechsel von Ba<strong>de</strong>n und Trinken sowie<br />
auch das Trinken und Ba<strong>de</strong>n während<br />
eines Tages. Am meisten kritisierte er die<br />
schädliche Gewohnheit, das Mineralwasser<br />
direkt im Bad zu trinken. Er empfiehlt das<br />
Trinken morgens früh auf nüchternen<br />
Magen mit 3 Tassen beginnend und je<strong>de</strong>n<br />
Tag um zwei zu steigern, d. h. 5, 7, 9 Tassen<br />
und danach die Dosierung wie<strong>de</strong>r in umgekehrter<br />
Reihenfolge zu verringern, sodass<br />
<strong>de</strong>r Patient am siebten Tag wie<strong>de</strong>r so viel<br />
trank wie am ersten Tag. Das Spru<strong>de</strong>lwasser<br />
sollte so heiß getrunken wer<strong>de</strong>n, wie <strong>de</strong>r<br />
Kranke es gera<strong>de</strong> noch ertragen konnte.<br />
Beim Trinken sollte <strong>de</strong>r Patient durch‘s<br />
Zimmer spazieren. Dr. Sommer legte sehr<br />
strenge Diätverordnungen fest. Nach <strong>de</strong>r<br />
siebentägigen Trinkkur sollte eine vierzehntägige<br />
Ba<strong>de</strong>kur folgen. Bei <strong>de</strong>n Krankheiten,<br />
<strong>de</strong>ren Heilung die Hautaufplatzung<br />
verlangte, wur<strong>de</strong>n Bä<strong>de</strong>r verordnet, die<br />
10 –12 Stun<strong>de</strong>n pro Tag dauerten. Sommer<br />
verordnete auch das Duschen mit Spru<strong>de</strong>lwasser,<br />
was eine Neuigkeit war, die am Anfang<br />
<strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts aus Italien nach<br />
Böhmen übernommen wur<strong>de</strong>. Es wur<strong>de</strong><br />
lediglich <strong>de</strong>r Kopf geduscht. Sommer war<br />
<strong>de</strong>r erste, <strong>de</strong>r zur Einrichtung von Dampfbä<strong>de</strong>rn<br />
mahnte. Er starb aber sehr jung im<br />
Alter von 38 Jahren und ein von ihm entworfenes<br />
Spru<strong>de</strong>l-Dampfbad hat man in<br />
Karlsbad erst im Jahre 1794 gebaut.<br />
Weitere eifrige Verfechter <strong>de</strong>r Payerschen<br />
Prinzipien und <strong>de</strong>r Trinkkur waren in Karlsbad<br />
nach <strong>de</strong>m Jahre 1600 die Ärzte Michael<br />
Reu<strong>de</strong>nius und vor allem Johann Stephan<br />
Strobelberger. Bei<strong>de</strong> waren ohne<br />
Zweifel durch die I<strong>de</strong>en und Schriften <strong>de</strong>s<br />
großen Paracelsus belehrt und inspiriert.<br />
Im 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt begann sich in Karlsbad<br />
und auch in an<strong>de</strong>ren böhmischen Bä<strong>de</strong>rn<br />
allmählich die Trinkkur durchzusetzen.<br />
Wir konzentrieren uns jetzt auf Dr.<br />
Johann Stephan Strobelbergers Persönlichkeit<br />
und sein Werk, in <strong>de</strong>m die Renaissance-Kenntnisse<br />
über das Heilverfahren<br />
in Karlsbad und Böhmen kulminierten. Er<br />
war nach Payer <strong>de</strong>r eifrigste Befürworter<br />
<strong>de</strong>r Trinktherapie. Er war <strong>de</strong>r erste, <strong>de</strong>r die<br />
Versendung von Spru<strong>de</strong>lsalz empfahl. Seine<br />
Werke zeichnen sich durch einen gut lesbaren<br />
und witzigen Stil aus und <strong>bei</strong>nhalten<br />
auch ziemlich kritische Beschreibungen <strong>de</strong>s<br />
Ba<strong>de</strong>lebens sowie originelle Belehrungen<br />
<strong>de</strong>s Kurgastes durch Gedichte.<br />
Strobelberger wur<strong>de</strong> im Jahre 1593 in<br />
Graz geboren. Sein Vater, ein Apotheker,<br />
stammte aus Pressburg. Im Jahr 1600<br />
wur<strong>de</strong> die Familie Strobelberger wegen<br />
ihres protestantischen Glaubens aus Graz<br />
ausgewiesen. Sie fand ihr neues Zuhause<br />
in Regensburg. Der junge Strobelberger<br />
wur<strong>de</strong> nach seinem Studium in Nürnberg,<br />
Wittenberg, Strassburg und Basel im Jahre<br />
1615 an <strong>de</strong>r Universität in Montpellier<br />
zum Medizin-Doktor promoviert. Er ließ<br />
sich zuerst in Regensburg nie<strong>de</strong>r. Später<br />
reiste er nach Prag, wo er Leibarzt <strong>de</strong>s Grafen<br />
Georg Leopold Schwarzenberg wur<strong>de</strong>.<br />
Nach <strong>de</strong>m Jahr 1618 kam er zuerst saisonbedingt<br />
und dann dauerhaft nach Karlsbad.<br />
Hier lernte er <strong>de</strong>n vor Ort praktizieren<strong>de</strong>n<br />
Arzt Dr. Michael Reu<strong>de</strong>nius näher<br />
kennen und nach seinem Umzug nach Hof<br />
15
übernahm er die Funktion <strong>de</strong>s Karlsba<strong>de</strong>r<br />
städtischen Ba<strong>de</strong>arztes. Im Kurort verkehrte<br />
er auch mit <strong>de</strong>m einheimischen Arzt Dr.<br />
Wenzel Hillinger. In Karlsbad wur<strong>de</strong> Strobelberger<br />
sehr früh von <strong>de</strong>r a<strong>de</strong>ligen Klientel<br />
aufgenommen und für seine ausgezeichneten<br />
Kenntnisse und Heilerfolge wur<strong>de</strong><br />
ihm <strong>de</strong>r Titel eines kaiserlichen Ba<strong>de</strong>arztes<br />
verliehen. Trotz seines protestantischen Bekenntnisses<br />
durfte er auch nach <strong>de</strong>m Jahre<br />
1628, als in <strong>de</strong>r Stadt eine strenge Gegenreformation<br />
durchgeführt wur<strong>de</strong>, ohne<br />
Zwang in Karlsbad bleiben. Erst ein Jahr<br />
später, aufgrund <strong>de</strong>r Initiative <strong>de</strong>s Elbogener<br />
Hauptmannes, musste er das Bad verlassen.<br />
Er ging nach Regensburg, wo er sehr jung<br />
am 24. Mai 1630 starb.<br />
Strobelberger war ein sehr fleißiger<br />
Schriftsteller. Er schrieb insgesamt 15 Bücher,<br />
von <strong>de</strong>nen 4 von Karlsbad han<strong>de</strong>ln.<br />
In seinen Karlsba<strong>de</strong>r Werken zitiert er häufig<br />
Sommer und Reu<strong>de</strong>nius. Seine erste<br />
Schrift über Karlsbad, Politiae Thermo-Carolinae<br />
Prodromus, stammt aus <strong>de</strong>m Jahre<br />
1622 und ist Elisabeth und Kaspar Schlick<br />
gewidmet. Im Vorwort <strong>de</strong>s Buches beschäftigt<br />
sich <strong>de</strong>r Autor mit <strong>de</strong>m Ursprung <strong>de</strong>s<br />
Heilwassers. Er ging da<strong>bei</strong> von Sommers<br />
Schrift aus. Es war ihm noch nicht ganz<br />
klar, woher die Karlsba<strong>de</strong>r Quellen ihre<br />
Temperatur gewinnen. Deshalb schreibt er:<br />
„Woher die Bä<strong>de</strong>r Warm sein,<br />
Niemand recht weiss, <strong>de</strong>n Gott allein.“<br />
Weiter prägte er die Theorie, dass man das<br />
Karlsba<strong>de</strong>r Wasser mit Erfolg das ganze<br />
Jahr über anwen<strong>de</strong>n kann:<br />
„Die Zeit sey gleich Warm o<strong>de</strong>r Kalt<br />
Wirstu sehr Kranck so eyle bald<br />
Zu diesem Badt und brauch es recht<br />
Sonst dich <strong>de</strong>r Todt umbs Leben brächt.“<br />
Strobelberger empfahl das reichliche Trinken<br />
<strong>de</strong>s Wassers und lehnte das Vorurteil <strong>de</strong>r Versteinerung<br />
<strong>de</strong>s Verdauungsapparates ab:<br />
„Drumb scheu dich nit, du krancker Mann,<br />
Das dir ein Stein soll wachsen an,<br />
In <strong>de</strong>inen Len<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Bauch,<br />
Von dises warmen Wassers brauch.<br />
Wann du es Trinckst, wie sichs gebührt,<br />
16<br />
Natur alln Schadt verhüten wird.“<br />
Im Buch ta<strong>de</strong>lt Strobelberger sehr scharf<br />
manche Unwesen im Bad. Er verurteilt unmäßiges<br />
Essen und beson<strong>de</strong>rs die Trunksucht.<br />
In Karlsbad gab es auch solche<br />
„Kranke“, die sich in <strong>de</strong>n heilen<strong>de</strong>n Bä<strong>de</strong>rn<br />
sehr oft ihren Alkohol-Kater ausgeschlafen<br />
haben (<strong>de</strong>r Autor benutzt für sie die kernige<br />
Bezeichnung „Badtschwein“). Den Karlsba<strong>de</strong>rn<br />
gibt er <strong>de</strong>n Rat, wie sie sich gegenüber<br />
<strong>de</strong>n frem<strong>de</strong>n Kurgästen benehmen<br />
sollen, <strong>de</strong>m Prinzip nach, „wie du willst,<br />
dass die Leute zu dir sind, so sei du zu<br />
ihnen“. Die Gäste ermahnt er dann, dass<br />
sie nicht undankbar sein sollen und listet<br />
die vielen Umstän<strong>de</strong> auf, die die Karlsba<strong>de</strong>r<br />
mit <strong>de</strong>r Unterkunft und <strong>de</strong>r Bedienung<br />
<strong>de</strong>r Patienten haben.<br />
Strobelbergers be<strong>de</strong>utendstes Buch<br />
Kurtze Instruction und Bad-Regiment wie<br />
das Keyser Carols-Badt sampt guter Diät zu<br />
gebrauchen aus <strong>de</strong>m Jahre 1629 erlebte insgesamt<br />
zehn Auflagen, was ein vielsagen<strong>de</strong>s<br />
Zeugnis über seine zeitgenössische<br />
Nützlichkeit und Beliebtheit ist. Das Werk<br />
wird mit einem Kapitel über das Alter und<br />
<strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>r Nutzung <strong>de</strong>r Karlsba<strong>de</strong>r<br />
Quellen eingeführt. Der Autor interessiert<br />
sich sehr für die Frage ihrer Ent<strong>de</strong>ckung.<br />
Er legt eine mutige Hypothese fest, nach<br />
<strong>de</strong>r die Quellen schon zur Zeit <strong>de</strong>s Römerstreifzuges<br />
in Böhmen bekannt waren.<br />
Seine Behauptungen stützt er auf eine Textpassage<br />
aus <strong>de</strong>n Tacitus-Annalen. Hier gibt<br />
es eine Erwähnung über einen Ort „Civitas<br />
Juhonum“. Mit <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifikation dieser<br />
Stelle beschäftigte sich <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />
Renaissance-Gelehrte Valerius Cordus.<br />
Und eben von ihm geht Strobelberger aus.<br />
Er ist davon fest überzeugt, dass <strong>de</strong>r erwähnte<br />
Ort einst im Gebiet <strong>de</strong>r Karlsba<strong>de</strong>r Thermen<br />
war. Er ist angeblich durch Feuer untergegangen<br />
und versank in <strong>de</strong>n Erdbo<strong>de</strong>n.<br />
Die eingegangene Stadt ist in Vergessenheit<br />
geraten und die Lokalität mit <strong>de</strong>n warmen<br />
Heilquellen wur<strong>de</strong> dann zum zweiten<br />
Mal durch Kaiser Karl IV. im Jahre 1358<br />
ent<strong>de</strong>ckt und zur Stadt erhoben. Strobel-
ergers Theorie wur<strong>de</strong> schon von seinen<br />
Zeitgenossen konsequent abgelehnt, sodass<br />
wir sie heute nur als eine historische Kuriosität<br />
o<strong>de</strong>r ein verführerisches Fragezeichen<br />
<strong>de</strong>r Karlsba<strong>de</strong>r Regionalgeschichte akzeptieren.<br />
Weiter fin<strong>de</strong>n wir im Text die Erwähnungen<br />
über Wenzel Payer, die große Überschwemmung<br />
Karlsbads im Jahre 1582,<br />
<strong>de</strong>n Brand vom 13. August 1604 sowie<br />
über die Mineralien <strong>de</strong>r Karlsba<strong>de</strong>r Umgebung.<br />
Dann folgt <strong>de</strong>r medizinische Teil.<br />
Die Anlage bil<strong>de</strong>t eine Anleitung zur geeigneten<br />
Lebensweise samt Diät-Instruktionen<br />
und Tabellen, aus <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Patient<br />
selbst feststellen konnte, wieviel Becher<br />
Wasser pro Tag er trinken soll. Der Ba<strong>de</strong>gast<br />
sollte sich nach Strobelbergers Instruktionen<br />
zuerst einer Trinktherapie von 5–7<br />
Tagen unterziehen. Die maximale Anzahl<br />
<strong>de</strong>r zu trinken<strong>de</strong>n Spru<strong>de</strong>lbecher hatte <strong>bei</strong><br />
einer siebentätigen Therapie folgen<strong>de</strong> Reihenfolge:<br />
15, 25, 25, 45, 55, 45 und 35.<br />
Danach folgte eine siebentägige Ba<strong>de</strong>kur.<br />
Diese Trink- und Ba<strong>de</strong>therapie wur<strong>de</strong> 3–4mal<br />
wie<strong>de</strong>rholt. Dr. Strobelberger verordnete<br />
als erster <strong>de</strong>n Patienten auch Spru<strong>de</strong>lsalz,<br />
um die abführen<strong>de</strong> Wirkung <strong>de</strong>s<br />
Thermalwassers zu steigern. Strobelberger<br />
war auch <strong>de</strong>r erste Befürworter <strong>de</strong>s ganzjährigen<br />
Ba<strong>de</strong>verfahrens in Karlsbad.<br />
Strobelbergers Heilkonzeption wur<strong>de</strong> in<br />
Karlsbad bis zur Zeit Dr. David Bechers<br />
(1725–1792) angewandt. Unter <strong>de</strong>m Einfluss<br />
<strong>de</strong>r zahlreichen Schriften von Dr. J. S.<br />
Strobelberger wur<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>m Jahre 1620<br />
die Trinktherapie in Karlsbad und auch in<br />
<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren böhmischen Kurorten immer<br />
mehr bevorzugt. Die in <strong>de</strong>r Barockzeit modische<br />
und vielfach übertrieben praktizierte<br />
Trinkkur führte manchmal zu Extremen,<br />
<strong>bei</strong> <strong>de</strong>nen z. B. in Karlsbad um das Jahr<br />
1750 je nach Krankheit und Statur <strong>de</strong>s Patienten<br />
auch 50 bis 70 Tassen Mineralwasser<br />
täglich getrunken wur<strong>de</strong>n. Man muss<br />
jedoch betonen, dass die Patienten diese<br />
Wassermengen nur an wenigen Tagen in<br />
<strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s Ba<strong>de</strong>aufenthaltes trinken<br />
mussten. Am Anfang und zum Schluss <strong>de</strong>r<br />
Kur trank man gemäßigte Wasserportionen.<br />
Diese Form <strong>de</strong>r Trinkkur, die rund 140<br />
Jahre in Karlsbad praktiziert wur<strong>de</strong><br />
(1630–1770), nannte man „Pyramidalkur“.<br />
Die fortschrittlichen medizinischen Anschauungen<br />
J. S. Strobelbergers sind teilweise<br />
noch heute gültig. Der Karlsba<strong>de</strong>r<br />
Stadrat ehrte <strong>de</strong>n be<strong>de</strong>utendsten Karlsba<strong>de</strong>r<br />
Kurarzt und Schriftsteller <strong>de</strong>r Zeit vor Dr.<br />
David Becher im Jahre 1930 mit <strong>de</strong>r Herausgabe<br />
einer Auswahl seiner Heilnormen in<br />
Originalfassung mit Erklärungen.<br />
LITERATUR<br />
1 Payer, Venceslaus: Tractatus <strong>de</strong> Thermis Caroli<br />
Quarti Imperatoris. Lipsiae, V. Schumanni 1522,<br />
57 S.<br />
2 Sommer, Fabian: De inventione, <strong>de</strong>scriptione,<br />
temperie, viribus et inprimis usu thermarum D.<br />
Caroli IV. Imperatoris. Lipsiae, J. Steinmann<br />
1571, 103 S.<br />
3 Strobelberger, Johann Stephan: Kurtze Instruction<br />
und Ba<strong>de</strong>-Regiment wie das Keyser Carols-<br />
Badt sampt guter Diät zu gebrauchen. Nürnberg,<br />
A.Wagenmann 1629, 22 S.<br />
4 Hoffmann, Friedrich: Dissertatio medico-physica<br />
inauguralis <strong>de</strong> Carolinis thermis. Hallae-Mag<strong>de</strong>burgae<br />
1695, 47 S.<br />
5 Springsfeld, Carl Gottlob: Abhandlung vom<br />
Carlsba<strong>de</strong>. Leipzig, Gleditsch 1749, 324+54 S.<br />
6 Becher, David: Neue Abhandlungen vom Carlsba<strong>de</strong>.<br />
Prag, Gerle 1772, 148+156+244 S.<br />
7 Ludwig, Karl: Ba<strong>de</strong>-und Trinkkur in Alt-Karlsbad.<br />
Jena, Fischer 1924, 14 S.<br />
8 Ludwig, Karl: Alt-Karlsba<strong>de</strong>r Ärzte und ihre Kurmetho<strong>de</strong>n.<br />
Jena, Fischer 1929, 21 S.<br />
9 Burachovič , Stanislav: Karlovy Vary a jejich vlastivědné<br />
písemnictví (Karlsbad und sein heimatkundliches<br />
Schrifttum). Karlovy Vary, Státní<br />
okresní archiv 2000.<br />
10 Burachovič , Stanislav – Wieser, Stanislav: Encyklopedie<br />
lázní a léčivyˇch pramenu ° v Čechách, na<br />
Moravě a ve Slezsku (Enzyklopädie <strong>de</strong>r Heilbä<strong>de</strong>r<br />
und Heilquellen in Böhmen, Mähren und<br />
Schlesien). Praha, Libri 2001, 520 S.<br />
Nach einem Vortrag am 14. April 2004 im Kulturpalast Dres<strong>de</strong>n<br />
Dr. phil. Stanislav Burachovič, Bezirksmuseum Karlovy Vary (Karlsbad)<br />
S ˇ ípková 21 · 36007 Karlovy Vary · Tschechien · Mail: burachovic@kvmuz.cz<br />
17
Die Stadt Joachimsthal<br />
In <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Dorfes Konradsgrün in<br />
<strong>de</strong>r Herrschaft Schlackenwerth fand ein<br />
Bewohner im Jahre 1515 am Südhang <strong>de</strong>s<br />
Erzgebirges 1 reiche Silberanbrüche 2 . Zur<br />
Besichtigung dieser Fundstelle lud <strong>de</strong>r Besitzer<br />
<strong>de</strong>r böhmischen Herrschaft von<br />
Schlackenwerth Graf Stephan I. von<br />
Schlick 3 im Jahre 1516 anlässlich einer Jagd<br />
von <strong>de</strong>r Burg Karlsbad aus ein. Es beteiligten<br />
sich: Burggraf Alexan<strong>de</strong>r von Leisnig<br />
auf Penig 4 , Wolf von Schönberg 5 sowie<br />
Hans Hirnes (Thumbshirnen) 6 . Sie alle<br />
waren so begeistert von <strong>de</strong>m Silberfund,<br />
dass sie sich zu einer Gewerkschaft zum<br />
Abbau <strong>de</strong>r Silbererze zusammenschlossen 7 .<br />
Die meisten Bergwerksanteile (Kuxe) hatten<br />
die Grafen von Schlick inne.<br />
Als Besitzer <strong>de</strong>r Herrschaft grün<strong>de</strong>ten die<br />
Grafen von Schlick schon 1516 die Stadt<br />
St. Joachimsthal, benannt nach <strong>de</strong>m Großvater<br />
von Jesus. Ein Privileg vom 6. Januar<br />
1520, ausgefertigt vom böhmischen König<br />
Ludwig, erhob Joachimsthal zur „Freien<br />
königlichen Bergstadt“. 8<br />
Schon Mitte <strong>de</strong>s Jahres 1516 war Joachimsthal<br />
ein großer Bauplatz. 9<br />
Bis En<strong>de</strong> 1516 hatte das große Berggeschrei<br />
bereits 1 050 Menschen angezogen, 1517<br />
hatte sich die Einwohnerzahl verdoppelt,<br />
1521 waren es 5 800 Einwohner, 1526 ca.<br />
14 000 Einwohner. In <strong>de</strong>n Jahren 1527 bis<br />
1533, als Georgius Agricola in Joachimsthal<br />
weilte, war sie nach Prag die zweitgrößte<br />
Stadt in Böhmen. 10<br />
Neben Gruben- und Holzhäusern entstan<strong>de</strong>n<br />
schon in <strong>de</strong>n Anfangsjahren Steingebäu<strong>de</strong>,<br />
die trotz mehrerer verheeren<strong>de</strong>r<br />
Brän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahrhun<strong>de</strong>rten<br />
z.T. erhalten bzw. in ihrer Grundsubstanz<br />
noch heute erkennbar sind. 11<br />
1. Spital-/Friedhofskirche: Die Spitalkirche<br />
ist das älteste Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Stadt. Sie<br />
wur<strong>de</strong> 1516 an einem Abhang über <strong>de</strong>r<br />
Stadt erbaut und ist mit <strong>de</strong>m hochragen<strong>de</strong>n,<br />
mit Schin<strong>de</strong>ln ge<strong>de</strong>ckten Satteldach<br />
18<br />
Dr. Gisela-Ruth Engewald<br />
JOACHIMSTHAL – JOACHIMSTHALER – TALER<br />
und <strong>de</strong>m Dachreitertürmchen in seiner<br />
originalen Bausubstanz über die Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />
hinweg erhalten geblieben. Große<br />
Teile <strong>de</strong>r wertvolle Innenausstattung (Epitaph,<br />
gestiftet von be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Stadtbürgern)<br />
befin<strong>de</strong>t sich jetzt in Museen von Jachymow/Joachimsthal<br />
und Karlovy<br />
Vary/Karlsbad. Nur <strong>de</strong>r kostbare Flügelaltar<br />
von 1530, bestehend aus einem Mittelschrein<br />
mit Pre<strong>de</strong>lla und zweigeschossigem<br />
Aufsatz, verblieb in <strong>de</strong>r Kirche. 1530<br />
ließ Georgius Agricola neben <strong>de</strong>r Kirche<br />
ein Spital für arme Bergleute errichten (im<br />
20. Jahrhun<strong>de</strong>rt abgerissen) und mit <strong>de</strong>r<br />
Kirche verbin<strong>de</strong>n.<br />
2. Burg Freu<strong>de</strong>nstein: Die Grafen Schlick<br />
erbauten oberhalb <strong>de</strong>r Stadt 1517 bis 1525<br />
eine Burg, in <strong>de</strong>r sie, noch bevor ihnen das<br />
Münzrecht 1520 12 verliehen wur<strong>de</strong>, die<br />
erste Münzstätte errichteten. Gegenwärtig<br />
sind nur noch Türme <strong>de</strong>r Burganlage erhalten.<br />
3. Stadtkirche St. Joachim: Sie wur<strong>de</strong> von<br />
1534/40 mit Gel<strong>de</strong>rn reicher Gewerke, vor<br />
allem <strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>r Stephan und Hieronymus<br />
Schlick, auf einem steilen Abhang am<br />
Markt erbaut und am 25. November 1537<br />
geweiht. Beim großen Stadtbrand 1873<br />
brannte sie fast vollständig ab, wur<strong>de</strong> 1874<br />
bis 1876 nach Entwürfen <strong>de</strong>s Prager Dombaumeisters<br />
Josef Mocker vom Baumeister<br />
Karl Friedrich Richter aus Johanngeorgenstadt<br />
gotisierend neu aufgebaut und erhielt<br />
ihre heutige Ausstattung. Das schönste Detail<br />
ist das Westportal mit einem Medaillon<br />
im Giebelfeld mit <strong>de</strong>m Brustbild <strong>de</strong>s<br />
Stadtgrün<strong>de</strong>rs Graf Stephan von Schlick 13 .<br />
Ein Distichon von Doktor Johannes Neff<br />
(Naevius) aus Chemnitz, in Stein gehauen<br />
vom Steinmetz Jörg von Bamberg, befin<strong>de</strong>t<br />
sich darunter. 14<br />
4. Münzstätte: Das Gebäu<strong>de</strong> am Markt<br />
wur<strong>de</strong> 1533/36 als Neubau errichtet, nach<strong>de</strong>m<br />
das Münzrecht von <strong>de</strong>n Grafen<br />
Schlick 1528 an <strong>de</strong>n böhmischen König<br />
Ferdinand übergegangen und das vorheri-
ge Gebäu<strong>de</strong> zu klein gewor<strong>de</strong>n war, <strong>de</strong>nn<br />
es kamen hinzu: Ankauf und Lagerung<br />
von Silber, Gießen von Münzmetall und<br />
Prägewerkstätten, Prüfung <strong>de</strong>r Qualität<br />
von Münzen auf Silbergehalt, Wohnräume<br />
für königliche Beamten, Münzmeister<br />
und War<strong>de</strong>in. Beim großen Stadtbrand<br />
1873 wur<strong>de</strong> das Gebäu<strong>de</strong> vernichtet und<br />
damit auch die dort gelagerten Archivalien.<br />
Die Joachimsthaler Münze ist als Gebäu<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts in ihrer<br />
Grundsubstanz erhalten geblieben. Mit<br />
ihren zwei Innenhöfen ist sie heute als<br />
„Alte Münze“ ein Denkmal I. Kategorie<br />
(Staatsbesitz) und in Verwaltung <strong>de</strong>s Museums<br />
Karlovy Vary. 15<br />
5. Rathaus: Es wur<strong>de</strong> von 1540/44 als repräsentatives<br />
Gebäu<strong>de</strong> errichtet, 1873<br />
brannte es ab und wur<strong>de</strong> 1902 erneuert.<br />
6. Portale an ehemaligen Bürgerhäusern:<br />
entlang <strong>de</strong>r Talstraße in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s<br />
Marktes fin<strong>de</strong>t man an einigen ehemaligen<br />
Bürgerhäusern sehr schöne Renaissanceportale<br />
mit Jahreszahl und reichhaltigem<br />
Schmuck. 16<br />
Mehrmals erkämpften Bergar<strong>bei</strong>ter in Aufstän<strong>de</strong>n<br />
Lohnerhöhungen sowie neue Verwaltungs-,<br />
Betriebs- und Sozialmaßnahmen,<br />
so 1517, 1522 und 1525. Während<br />
<strong>de</strong>s Aufstan<strong>de</strong>s 1525 kam es zu Plün<strong>de</strong>rungen<br />
<strong>de</strong>r Burg und <strong>de</strong>s Rathauses. 17<br />
Der Bergbau in Joachimsthal gehörte <strong>de</strong>r<br />
2. Hauptperio<strong>de</strong> <strong>de</strong>s erzgebirgischen Bergbaus<br />
an. Er erreichte Mitte <strong>de</strong>r 1. Hälfte<br />
<strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts seinen Höhepunkt.<br />
Nach <strong>de</strong>m Abbau <strong>de</strong>r oberflächennahen<br />
Schichten setzte um 1550 <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rgang<br />
<strong>de</strong>s Bergbaus ein, das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Blütezeit<br />
wird auf 1563 datiert. 18<br />
Nach<strong>de</strong>m Marie und Pierre Curie 1898 in<br />
<strong>de</strong>r Uranpechblen<strong>de</strong> das Radium nachgewiesen<br />
hatten, wur<strong>de</strong> neben Oberschlema/<br />
Schneeberg und Bad Brambach auf sächsischer<br />
Seite auch Joachimsthal auf Grund<br />
radioaktiver Wässer zum Kurort ausgebaut.<br />
19 1945 erfuhr <strong>de</strong>r Bergbau auf böhmischer<br />
Seite durch die SAG Wismut zunächst<br />
eine Intensivierung. Nach 1990<br />
wur<strong>de</strong> Joachimsthal wie<strong>de</strong>r zu einem anerkannten<br />
Kurort.<br />
In <strong>de</strong>n Jahren 1528/29 begann <strong>de</strong>r Aufschwung<br />
<strong>de</strong>s Bergbaus <strong>bei</strong> Gottesgab (Bozi<br />
Dar) mit <strong>de</strong>r Verleihung kurfürstlich-sächsischer<br />
Bergfreiheit. 20<br />
Joachimsthaler – Taler<br />
Die reichen Silberfun<strong>de</strong> veranlassten die<br />
Grafen Schlick, eine Münzstätte in ihrer<br />
Herrschaft einzurichten. Sie prägte 1519<br />
erstmals einen Gul<strong>de</strong>ngroschen, <strong>de</strong>n „Joachimsthaler“.<br />
Vertraglich regelten sie das<br />
mit <strong>de</strong>m böhmischen König im Vertrag<br />
vom 9. Januar 1520. 21 Darin verpflichteten<br />
sie sich als Besitzer von Joachimsthal, <strong>de</strong>n<br />
be<strong>de</strong>utsamen Politikern <strong>de</strong>s Königreiches<br />
Böhmen sowie <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r königlichen<br />
Familie von je<strong>de</strong>m Pfund <strong>de</strong>s in<br />
Joachimsthal geför<strong>de</strong>rten Silbers sieben<br />
böhmische Groschen abzugeben. So erwarben<br />
sie auch das Einverständnis <strong>de</strong>s<br />
böhmischen Landtages für die Prägung<br />
einer neuen Münze mit <strong>de</strong>m Porträt von<br />
König Ludwig von Böhmen mit Text auf<br />
<strong>de</strong>r einen Seite und auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite<br />
das Bild <strong>de</strong>s Heiligen Joachim und <strong>de</strong>m<br />
Wappen <strong>de</strong>r Herren von Schlick 22 und versahen<br />
ab 1520 die Münzen, kurz „Taler“<br />
genannt, mit <strong>de</strong>r Jahreszahl. 23 Die ersten<br />
Münzen wur<strong>de</strong>n vom Münzmeister<br />
Stephan Gemisch aus Nürnberg und <strong>de</strong>m<br />
technischen Leiter <strong>de</strong>r Münze Ullrich<br />
(Utz) Gebhart aus Sachsen mit <strong>de</strong>r Prägung<br />
„Schlicker Münze“ geprägt.<br />
Um <strong>de</strong>n Bergbau voranzubringen und die<br />
Bergleute zu entlohnen (sie drohten schon<br />
1517, in das benachbarte Buchholz abzuwan<strong>de</strong>rn,<br />
falls sie nicht gerecht entlohnt<br />
wür<strong>de</strong>n), reichte das Gründungskapital <strong>de</strong>r<br />
Adligen nicht. Deshalb lieh sich schon<br />
1516 Graf Stephan von Schlick als Bergbauunternehmer<br />
größere Geldmengen von<br />
<strong>de</strong>m reichen Bankhaus Welser aus Nürnberg<br />
und 1517 auch von <strong>de</strong>n Fuggern aus<br />
Augsburg 24 . Durch diese Schuldverschreibungen<br />
kam ein Teil <strong>de</strong>s Reingewinnes in<br />
Form von Silbertalern nach Nürnberg und<br />
19
an <strong>de</strong>n Bankier Anton Fugger und machte<br />
<strong>de</strong>n Taler als Zahlungsmittel bekannt. 25<br />
Bis 1528 wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Grafen Schlick<br />
3.250.000 Taler und 22 Mio. Prager Groschen<br />
geprägt. 26 Das Geld wur<strong>de</strong> vor<br />
allem auf <strong>de</strong>r in dieser Zeit berühmten<br />
Leipziger Messe vertrieben. Der Münzfuß<br />
(Silbergehalt) <strong>de</strong>s Joachimsthalers richtete<br />
sich <strong>de</strong>shalb nach <strong>de</strong>n Vorschriften <strong>de</strong>r<br />
kurfürstlich-sächsischen Münzstätten. 27<br />
Im Jahre 1528 gingen Münze und damit<br />
Münzprägung in <strong>de</strong>n Besitz <strong>de</strong>s böhmischen<br />
Königs Ferdinand I. (1503–1564)<br />
über. Die Brü<strong>de</strong>r Schlick blieben allerdings<br />
die Münzstättenbetreiber, wenn auch ihre<br />
Vollmachten durch königliche Beamte eingeschränkt<br />
wur<strong>de</strong>n.<br />
Ab 1528 wur<strong>de</strong>n die Taler als Regierungsmünzen<br />
für Böhmen geprägt. Bis 1539<br />
1 Im 16. Jh. wur<strong>de</strong> das bis dahin als „Böhmischer<br />
Wald“ o<strong>de</strong>r „Böhmisches Gebirge“ bezeichnete<br />
Gebiet infolge <strong>de</strong>s intensiven Bergbaus „Erzgebirge“<br />
genannt. Erstmals taucht <strong>de</strong>r Name 1527 in<br />
Bergwerksakten auf, dann offiziell 1542 in <strong>de</strong>r<br />
Münzordnung <strong>de</strong>s Herzogs (später Kurfürst) Moritz.<br />
In die Literatur wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Begriff „Erzgebirge“<br />
1590 mit <strong>de</strong>r „Meißnischen Bergchronik“ von<br />
Petrus ALBINUS eingeführt. (Wagenbreth, O. &<br />
Wächtler, E. [Hrsg.] (1990): Bergbau im Erzgebirge.<br />
Leipzig, S. 24).<br />
2 Beim Dorf Konradsgrün waren zwei zueinan<strong>de</strong>r<br />
senkrecht stehen<strong>de</strong> silberhaltige Gänge von wenigen<br />
Zentimetern Mächtigkeit am Südrand <strong>de</strong>s<br />
Erzgebirges, im Kontakthof <strong>de</strong>s Eibenstocker<br />
Granites, ent<strong>de</strong>ckt wor<strong>de</strong>n.<br />
Die Erzführung <strong>de</strong>r Gänge än<strong>de</strong>rte sich mit zunehmen<strong>de</strong>r<br />
Teufe (Tiefe) als Folge <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />
Erdoberfläche ausgehen<strong>de</strong>n Verwitterung. In <strong>de</strong>n<br />
oberen, nur wenige Dezimeter starken Bereichen<br />
verwittern Minerale und Erze (metallhaltige Minerale)<br />
unterschiedlich, wo<strong>bei</strong> E<strong>de</strong>lmetalle wie<br />
Silber in <strong>de</strong>n Gängen angereichert wer<strong>de</strong>n. Deshalb<br />
fan<strong>de</strong>n die Bergleute in <strong>de</strong>n obersten fünfzig<br />
Metern <strong>de</strong>r Gänge (Oxydations- und Zementationszone)<br />
in Joachimsthal reiche Silbererze.<br />
Darunter in <strong>de</strong>n unverwitterten Bereichen war<br />
eine Gangausfüllung mit nur geringen Gehalten<br />
20<br />
war die Münzstätte Joachimsthal die einzige<br />
in Böhmen. 28 1547 sprach König Ferdinand<br />
<strong>de</strong>n Grafen Schlick sowohl das Bergbau-<br />
als auch das Stadtrecht ab. 29<br />
Fast 150 Jahre wur<strong>de</strong>n in Joachimsthal Taler<br />
und Groschen, ein anerkanntes und weit<br />
verbreitetes Zahlungsmittel, geprägt. Mit<br />
<strong>de</strong>m Rückgang <strong>de</strong>s Bergbaus im Erzgebirge<br />
im 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt war auch allgemein ein<br />
Rückgang in <strong>de</strong>r Prägung von Silbermünzen<br />
verbun<strong>de</strong>n. 1671 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Betrieb <strong>de</strong>r<br />
Münzstätte Joachimsthal eingestellt.<br />
So begann die <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Münze, die<br />
nach <strong>de</strong>m Ursprungsort zunächst Joachimsthalergul<strong>de</strong>n,<br />
dann Thaler, Taler, Talero,<br />
Tolar, Joachimucus, Jocondale, Joachimik<br />
und Jefimok genannt wur<strong>de</strong>. Die „Schlicksche<br />
Münze“ gab auch <strong>de</strong>m amerikanischen<br />
Dollar seinen Namen. 30<br />
ANMERKUNGEN UND LITERATUR<br />
an Silber vorhan<strong>de</strong>n, das Silber war fein verteilt.<br />
Nach <strong>de</strong>m Abbau <strong>de</strong>r Reicherzzone verarmten<br />
die Gänge schlagartig, und es lohnte sich <strong>de</strong>r<br />
Abbau nicht mehr. Damit setzte auch <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rgang<br />
<strong>de</strong>s Bergbaus etwa um 1550 in Joachimsthal<br />
ein. (Engewald, G.-R.: Georgius Agricola. Stuttgart,<br />
Leipzig, Zürich 1994, S. 60).<br />
3 Graf Stephan I. von Schlick war zugleich Herr zu<br />
Passau und Weißkirchen/Ungarn, sowie Herr auf<br />
Elnbogen und Hartinberg, <strong>bei</strong><strong>de</strong>s Nähe Karlsbad.<br />
4 Burggraf Alexan<strong>de</strong>r von Leisnig war zugleich Besitzer<br />
<strong>de</strong>r benachbarten böhmischen Herrschaft<br />
Hauenstein.<br />
5 Wolf von Schönburg war gemeinsam mit seinem<br />
Bru<strong>de</strong>r Ernst I. Besitzer <strong>de</strong>r benachbarten nördlich<br />
gelegenen Herrschaft Hartenstein sowie von<br />
Graupen/Böhmen.<br />
6 Hans Hirnen (auch Thumbshirnen) war ein reicher<br />
Bergbautreiben<strong>de</strong>r aus Annaberg und Bürger<br />
<strong>de</strong>r böhmischen Stadt Elnbogen/Karlsbad.<br />
7 Schön, Th.: Schönburgsche Hausgeschichten, IV.<br />
Bd. Urkun<strong>de</strong>nbuch 1489–1512. Wal<strong>de</strong>nburg<br />
1903, S.116; Engewald, G.-R.:Georgius Agricola. S.<br />
60/61.<br />
8 Wagenbreth, O. & Wächtler, E. [Hrsg.] (1990):<br />
Bergbau im Erzgebirge. S. 23, 127.<br />
9 Majer, J.: Zur Gründung, Wirtschafts- und Sozialgeschichte.<br />
In: St. Joachimsthal. In <strong>de</strong>r Zeit
Georgius Agricola. Zur <strong>Ges</strong>chichte einer Bergstadt<br />
im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt. – Hrg. Lan<strong>de</strong>sstelle für<br />
Erzgebirgische und Vogtländische Volkskultur.<br />
Schneeberg 1994; S. 9–11.<br />
10 Wagenbreth, O. & Wächtler, E. [Hrsg.] (1990):<br />
Bergbau im Erzgebirge. S. 109.<br />
11 Ebenda. S. 118.<br />
12 Martinek, J.: Die Münzstätten. In: St. Joachimsthal.<br />
In <strong>de</strong>r Zeit Georgius Agricola. S. 18–20, hier<br />
18.<br />
13 Seit <strong>de</strong>r Schlacht am 29. August 1526 <strong>bei</strong> Mohacs/<br />
Ungarn gegen die Türken vermisst.<br />
14 Krasensky, F.: Die Stadtkirche „St. Joachim“. In:<br />
St. Joachimsthal. In <strong>de</strong>r Zeit Georgius Agricola.<br />
S. 15–16.<br />
15 Martinek, J.: Die Münzstätten. In: St. Joachimsthal.<br />
In <strong>de</strong>r Zeit Georgius Agricola. S. 18–20.<br />
16 Die Häuser sind größtenteils nicht o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n<br />
unteren Etagen nicht bewohnt, da sie Radon belastet<br />
sind.<br />
17 Engewald, G.-R.: Georgius Agricola. Stuttgart,<br />
Leipzig, Zürich 1994, S. 62; Werner, Elvira: „Ins<br />
Thal, ins Thal, mit Mutter mit All“. In: St. Joachimsthal.<br />
In <strong>de</strong>r Zeit Georgius Agricola. S.<br />
12–14, hier S. 13.<br />
18 Wagenbreth, O. & Wächtler, E. [Hrsg.] (1990):<br />
Bergbau im Erzgebirge. S. 118.<br />
19 Ebenda. S. 14, 130.<br />
20 Ebenda. S. 128.<br />
21 Martinek, J.: Die Münzstätten. In: St. Joachimsthal.<br />
In <strong>de</strong>r Zeit Georgius Agricola. S. 18–20, hier<br />
S. 18: Martinek schreibt, dass es zwei Wege waren,<br />
die die Grafen von Schlick veranlassten, das<br />
Recht, Münzen zu prägen, für sich in Anspruch<br />
zu nehmen. Der erste war die Fälschung <strong>de</strong>s königlichen<br />
Privilegs vom 30. August 1437, <strong>de</strong>r zweite<br />
<strong>de</strong>r Vertrag vom 9. Januar 1520.<br />
22 Martinek, J.: Die Münzstätten …; S. 18: Noch<br />
bevor <strong>de</strong>r Landtag das Privileg ausstellte, wur<strong>de</strong>n<br />
insgeheim die ersten Münzen in <strong>de</strong>n Kellerräumen<br />
<strong>de</strong>r neu entstehen<strong>de</strong>n Burg Freu<strong>de</strong>nstein<br />
(Schlick-scher Besitz) geprägt. Die Kellerräume<br />
eigneten sich aber nur sehr bedingt als Münze,<br />
<strong>de</strong>shalb erwarben die Grafen von Schlick Gebäu<strong>de</strong><br />
und Grundstücke am Markt und bauten hier<br />
die erste „Münze“ Anfang <strong>de</strong>r 20er Jahre.<br />
23 Prescher, H. & O. Wagenbreth (1994): Georgius<br />
Agricola – seine Zeit und ihre Spuren. Leipzig,<br />
Stuttgart. S. 43/44.<br />
24 Georgius Agricola – Ausgewählte Werke, Bd. II,<br />
Berlin 1955, S. 162–164.<br />
25 Knopf, K.: Wun<strong>de</strong>rstadt Joachimsthal. Weipert<br />
und Leipzig o. D., S. 13.<br />
26 Über die Menge <strong>de</strong>r geprägten Münzen gibt es<br />
unterschiedliche Angaben: siehe Majer, Jiri: zur<br />
Gründung, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. St.<br />
Joachimsthal. In <strong>de</strong>r Zeit Georgius Agricola. S.<br />
9–11, hier 9. Dort heißt es: Bis 1528 wur<strong>de</strong>n aus<br />
Joachimsthaler Silber rund 2 Mio. Thaler und<br />
kleinere Münzen geprägt im Wert von 4 Mio.<br />
Thalern.<br />
27 Martinek, J.: Die Münzstätten …; S. 18.<br />
28 Ebenda.<br />
29 Ebenda.<br />
30 Ebenda.<br />
Dr. Gisela-Ruth Engewald · 09599 Freiberg · Chemnitzer Str. 113 · Tel. 03731-69 60 62<br />
21
22<br />
Ludwig Mühlberg<br />
DIE BEDEUTUNG VON PARACELSUS FÜR DIE CHEMIE<br />
1. Einleitung<br />
PARACELSUS (1493–1541) war in erster<br />
Linie Arzt, und dieser Beruf führte ihn<br />
dazu, auf alchemisch-spagyrischem Wege<br />
Arzneimittel zur Genesung von kranken<br />
Menschen herzustellen. Durch seine intensiven,<br />
langjährigen experimentellen Ar<strong>bei</strong>ten<br />
auf alchemischem Gebiet öffnete er<br />
das Tor für eine „ärztliche Chemie“, die in<br />
<strong>de</strong>r „<strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Chemie“ als das „jatrochemische<br />
Zeitalter“ bezeichnet wird –<br />
mit ihm beginnend und lange nach seinem<br />
To<strong>de</strong> noch gültig.<br />
Es soll u. a. untersucht wer<strong>de</strong>n, was PA-<br />
RACELSUS als Alchemist geleistet hat,<br />
was man eigentlich unter <strong>de</strong>m Begriff „Alchemie“<br />
versteht und in welchem Verhältnis<br />
die damalige „Alchemie“ und die jetzige<br />
„Naturwissenschaft Chemie“ zueinan<strong>de</strong>r<br />
stehen?<br />
PARACELSUS wirkt in <strong>de</strong>r 1. Hälfte<br />
<strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts, also am Beginn <strong>de</strong>r<br />
Neuzeit, was für die Menschheit <strong>de</strong>s alten<br />
Europa unauslöschbar mit <strong>de</strong>m Jahr 1492<br />
n. Chr. verbun<strong>de</strong>n ist, jenem <strong>de</strong>nkwürdigen<br />
Datum, das KOLUMBUS<br />
(1451–1506) unsterblich macht. PARA-<br />
CELSUS wird ein Jahr später geboren.<br />
Die Zeit davor ist eine relativ geruhsame<br />
Phase. Um die Jahrtausendwen<strong>de</strong> ist entgegen<br />
kirchlicher Erwartungen kein Weltuntergang<br />
eingetreten. In <strong>de</strong>n darauf folgen<strong>de</strong>n<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rten inspiriert ein durch<br />
die Kreuzzüge verursachtes religiöses<br />
Fieber das Abendland. Der dumpfe Schlaf,<br />
<strong>de</strong>r sich über die abendländische Welt<br />
legte, ist plötzlich vergessen. Die Berührung<br />
mit <strong>de</strong>m Morgenland führt zu wichtigen<br />
Kontakten und Anregungen insbeson<strong>de</strong>re<br />
für die kommen<strong>de</strong> europäische<br />
Alchemie.<br />
Angetrieben durch die neuen Erkenntnisse<br />
und das Streben nach Kultur, Bildung<br />
und Wissenschaft wer<strong>de</strong>n erste europäische<br />
Universitäten gegrün<strong>de</strong>t, darunter<br />
die in Ferrara (1381), wo PARACELSUS<br />
1516 zum Doktor <strong>bei</strong><strong>de</strong>r Arzneien promoviert.<br />
Basierend auf <strong>de</strong>n Berichten MARCO<br />
POLOS (1254–1324) sind die Menschen<br />
<strong>de</strong>s 15. Jahrhun<strong>de</strong>rts vom Traum, nach Indien<br />
zu gelangen, erfüllt, und vor allem<br />
am En<strong>de</strong> dieses Jahrhun<strong>de</strong>rts und im<br />
Übergang zum 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt wird diese<br />
Sehnsucht realisiert. Denken wir neben<br />
KOLUMBUS an solche Männer wie<br />
VASCO DA GAMA o<strong>de</strong>r MAGELLAN,<br />
<strong>de</strong>ren mutige Fahrten über die Meere das<br />
alte Weltbild umwälzend korrigieren.<br />
Von ähnlich revolutionieren<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung<br />
für die Menschheit ist zu jener Zeit<br />
die Erfindung <strong>de</strong>r Buchdruckerkunst durch<br />
GUTENBERG (1397–1468). Ohne sie<br />
hätte die schnelle Verbreitung von Humanismus,<br />
Renaissance und Reformation<br />
nicht stattfin<strong>de</strong>n können. Ein markanter<br />
Vertreter <strong>de</strong>s Humanismus zur Wen<strong>de</strong><br />
vom 15. zum 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt ist ERAS-<br />
MUS v. ROTTERDAM (1466–1536), <strong>de</strong>ssen<br />
satirische Angriffe gegen die Kirche die<br />
spätere Reformation von Martin LUTHER<br />
(1483–1546) mit vorbereiten. PARACEL-<br />
SUS begegnet 1527 ERASMUS in Basel.<br />
Große Geister, die im gleichen Zeitraum<br />
<strong>Ges</strong>chichte schreiben.<br />
Ein neues Lebensgefühl ist ausgebrochen,<br />
die Menschen treten mit aller Macht aus<br />
<strong>de</strong>n Ordnungen <strong>de</strong>r alten Zeit heraus, die<br />
geistige Wen<strong>de</strong> von Mittelalter zu Neuzeit<br />
wird immer spürbarer, und PARACELSUS<br />
charakterisiert diese historische Zäsur mit<br />
<strong>de</strong>n Worten:<br />
„So wisset nun ... dass die Bücher, so an euch<br />
und an mich von <strong>de</strong>n Alten her gelangt sind,<br />
mich genugsam zu sein nicht ge<strong>de</strong>ucht haben,<br />
<strong>de</strong>nn sie sind nicht vollkommen, son<strong>de</strong>rn sie<br />
stellen eher eine unzuverlässige Schrift dar, die<br />
mehr zur Verführung dient als zum Beschreiten<br />
<strong>de</strong>s rechten Weges. Aus <strong>de</strong>m gleichen Grun<strong>de</strong><br />
habe ich sie verlassen.“ (15, XI; 163)<br />
Das geniale Wirken von PARACELSUS<br />
zu Beginn <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts hat <strong>de</strong>r
Schweizer Psychoanalytiker C. G. JUNG<br />
(1875–1961), <strong>de</strong>r sich auch eingehend mit<br />
<strong>de</strong>r Alchemie beschäftigte, wie folgt beschrieben<br />
(8):<br />
„Er war ein gewaltiger Sturmwind, welcher<br />
alles auseinan<strong>de</strong>r riss und alles zusammenwirbelte,<br />
was sich irgendwie von <strong>de</strong>r Stelle rücken<br />
ließ. Wie ein Vulkanausbruch hat er gestört und<br />
zerstört, aber auch befruchtet und belebt. Man<br />
kann ihm nicht gerecht wer<strong>de</strong>n, man kann ihn<br />
immer nur unter- o<strong>de</strong>r überschätzen, und<br />
darum ist man mit <strong>de</strong>r eigenen Bemühung, wenigstens<br />
einen Teil seines Wesens genügend zu<br />
erfassen, stets unzufrie<strong>de</strong>n... PARACELSUS<br />
ist ein Meer o<strong>de</strong>r – weniger freundlich – ein<br />
Chaos, und insofern er eine historisch beschränkte,<br />
menschliche Persönlichkeit ist, kann<br />
man ihn als einen alchemischen Schmelztiegel<br />
bezeichnen, in welchen die Menschen, Götter<br />
und Dämonen jener ungeheuerlichen Zeit <strong>de</strong>r<br />
ersten Hälfte <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts, je<strong>de</strong>r einzeln,<br />
ihren beson<strong>de</strong>ren Saft gegossen haben.“<br />
PARACELSUS hinterlässt ein gewaltiges<br />
Werk über Botanik, Astronomie, Astrologie,<br />
Alchemie (Chemie), Pharmazie, Philosophie<br />
(insbeson<strong>de</strong>re Theologie), Psychiatrie<br />
und Magie – das meiste auf seinen<br />
Reisen quer durch Europa entstan<strong>de</strong>n.<br />
Er geht un<strong>bei</strong>rrt seinen Weg. Er verbrennt<br />
öffentlich die Medizinschriften von GALEN<br />
und AVICENNA am Johannisfest. Die<br />
Meinungen dieser Koryphäen auf medizinischem<br />
Gebiet galten seit alters her als<br />
unumstößliche Glaubenssätze. Sie vertraten<br />
die Viersäftelehre <strong>de</strong>s HIPPOKRATES<br />
(Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle)<br />
und bevorzugten zur Aufrechterhaltung<br />
<strong>de</strong>s Gleichgewichtes <strong>de</strong>r 4 Säfte im Körper<br />
so genannte Komposita (organische Pflanzenpräparate).<br />
Statt<strong>de</strong>ssen empfiehlt PA-<br />
RACELSUS spezifische Heilmittel (Arcana)<br />
unter Verwendung <strong>de</strong>r Metalle. Diese<br />
Tabus anzutasten verlangte Mut. PARA-<br />
CELSUS besitzt ihn, und so bringt ihn<br />
seine neue Arzneimittellehre in Gegensatz<br />
zu <strong>de</strong>n Ärzten <strong>de</strong>s Altertums.<br />
Dieser Weltbürger am Übergang von<br />
Mittelalter zur Neuzeit, am Schei<strong>de</strong>weg<br />
einer Epoche zwischen magischem und<br />
rationalem Weltbild, wird geliebt und gehaßt.<br />
Sein Leben ist eine einzige Wan<strong>de</strong>rschaft<br />
und en<strong>de</strong>t viel zu früh. Was bleibt,<br />
ist ein riesiges, noch heute nicht voll zu<br />
unserer Kenntnis gelangtes Werk.<br />
Sein großer Schatten eilt uns weiter voran,<br />
er muss noch in vielen Dingen aus <strong>de</strong>r<br />
Dunkelheit geholt, durchleuchtet und erforscht<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
2. Alchemie<br />
Ehe die alchemischen Ar<strong>bei</strong>ten von PA-<br />
RACELSUS näher betrachtet wer<strong>de</strong>n, sind<br />
noch einige Ausführungen zur Deutung<br />
<strong>de</strong>s Begriffes „Alchemie“ notwendig<br />
(nach 7).<br />
Das Wort „Alchemie (Chemie)“ kann viersprachig<br />
ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n:<br />
1. ki mijah (hebräisch) –<br />
soll be<strong>de</strong>uten „weil sie von Gott ist“<br />
o<strong>de</strong>r ki mi JAH = „weil von Gott“.<br />
Es sei hier auf die Bezeichnung <strong>de</strong>s israelischen<br />
Gottesnamen JHWE hingewiesen,<br />
vokalisiert JAHWE gesprochen.<br />
2. al kimija (arabisch) –<br />
heißt „das Schwarze”.<br />
3. keme, chemi (ch’mi) (ägyptisch) –<br />
ebenfalls „das Schwarze“ o<strong>de</strong>r<br />
kem (kmt) (ägyptisch) –<br />
“schwarz“, in Beziehung zum dunklen<br />
Humusbo<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Nilschlamm<br />
hinterlässt.<br />
4. cheein (griechisch) „gießen“ bzw.<br />
chymos (griechisch) – be<strong>de</strong>utet „Flüssigkeit<br />
o<strong>de</strong>r Saft“<br />
chymia (chyma) o<strong>de</strong>r chemeia (griechisch)<br />
ist die Handwerkskunst <strong>de</strong>s<br />
Metallgusses.<br />
5. Für das Wort „Chemie“ könnte auch<br />
zur Bibel (Gen 10,1 und 10,6–20) eine<br />
Beziehung bestehen, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r 3. Sohn<br />
Noahs ist Ham o<strong>de</strong>r Cham. Er soll<br />
Kunst und Wissenschaft gelehrt haben.<br />
Interessant zu dieser Thematik sind auch<br />
Auslegungen von W. SCHNEIDER (12):<br />
Er berichtet von <strong>de</strong>r Altertumsdroge Iksir<br />
23
aus China; sie sollte Unsterblichkeit verleihen.<br />
Aus dieser hypothetischen Droge ist<br />
<strong>bei</strong> <strong>de</strong>n Arabern al-Iksir, unser heutiges<br />
Wort Elixier gewor<strong>de</strong>n. Nach chinesischer<br />
Darstellung enthielt diese Droge <strong>de</strong>n Saft<br />
kim-ja, <strong>de</strong>r unedle Metalle in Gold verwan<strong>de</strong>ln<br />
könne. Daraus sollen die Araber al-kimija<br />
gemacht haben, womit sich <strong>de</strong>r Kreis<br />
<strong>de</strong>r Begriffserklärungen wie<strong>de</strong>r schließt. Im<br />
heutigen <strong>de</strong>utschen Sprachgebrauch ist<br />
„Alchemie“ üblich (manche Autoren vertreten<br />
das latinisierte „Alchimie“).<br />
Alchemische Kenntnisse und ihre praktische<br />
Umsetzung gehen bis ins Altertum<br />
zurück, wesentliche Grundlagen schufen<br />
Chinesen, Ägypter, Griechen und Araber.<br />
In Europa wird die Alchemie etwa ab <strong>de</strong>m<br />
13. Jahrhun<strong>de</strong>rt begrün<strong>de</strong>t. Die alchemische<br />
Ar<strong>bei</strong>t, die Gedankenwelt <strong>de</strong>r Alchemisten<br />
ist von <strong>de</strong>r Philosophie <strong>de</strong>s HER-<br />
MES TRISMEGISTOS geprägt.<br />
So auch <strong>bei</strong> PARACELSUS. Er befolgt<br />
in seinem Tun die „hermetischen Prinzipien“<br />
<strong>de</strong>s legendären HERMES TRISME-<br />
GISTOS, <strong>de</strong>r als König von Ägypten etwa<br />
2000 v. Chr. eingeordnet wird und <strong>de</strong>r als<br />
„Erfin<strong>de</strong>r“ und zugleich Schutzheiliger <strong>de</strong>r<br />
Alchemie gilt. Über das Mittelalter kamen<br />
Teile <strong>de</strong>s hermetischen Schriften-Corpus<br />
in die Renaissance und so auch zu PARA-<br />
CELSUS.<br />
Auf TRISMEGISTOS geht die „Tabula<br />
smaragdina hermetis“, die „Smaragdtafel“,<br />
zurück. Der herrliche grüne Smaragd, <strong>de</strong>r<br />
biblisch zu <strong>de</strong>n Grundsteinen <strong>de</strong>s himmlischen<br />
Jerusalems zählt, steht für <strong>de</strong>n<br />
Werteinhalt dieser Tafel. In dieser Tabula<br />
sind auch die 7 hermetischen Prinzipien<br />
zu fin<strong>de</strong>n, sie galt und gilt als <strong>de</strong>r wichtigste<br />
Text <strong>de</strong>r Alchemie.<br />
Von diesen Prinzipien seien einige herausgegriffen:<br />
1. Das Prinzip <strong>de</strong>r Geistigkeit<br />
Das All ist Geist, das Universum ist geistig.<br />
2. Das Prinzip <strong>de</strong>r Entsprechung<br />
Wie oben – so unten<br />
24<br />
Wie unten – so oben<br />
3. Das Prinzip <strong>de</strong>s Rhythmus<br />
Alles fließt aus und ein – alles hat seine<br />
Zeiten. Erlebbares Beispiel: Die Atmung<br />
<strong>de</strong>s Menschen.<br />
4. Das Prinzip von Ursache und Wirkung<br />
Je<strong>de</strong> Ursache hat ihre Wirkung – je<strong>de</strong><br />
Wirkung ihre Ursache. Alles verläuft<br />
und geschieht gesetzmäßig: Es gibt keinen<br />
Zufall.<br />
Hermetische Philosophie offenbart sich als<br />
paracelsische Philosophie!<br />
Bestes Beispiel ist die Verwirklichung <strong>de</strong>s<br />
„Oben-Unten-Prinzips“ in <strong>de</strong>r paracelsischen<br />
Lehre vom „Makrokosmos – Mikrokosmos“,<br />
wo <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>r Mikrokosmos<br />
ist, die Schöpfung hat für ihn einen<br />
„Auszug <strong>de</strong>s Makrokosmos“ verwen<strong>de</strong>t.<br />
PARACELSUS beschreibt die Aufgabe<br />
<strong>de</strong>r Alchemie in seinem Viersäulenbuch<br />
PARAGRANUM.<br />
Von <strong>de</strong>n 4 Säulen <strong>de</strong>r Heilkunst ist die<br />
Alchemie die 3. Säule. Es heißt dort (15,<br />
VIII, 181):<br />
„Die Natur ist so subtil und so scharf in<br />
ihren Dingen, dass sie ohne große Kunst nicht<br />
kann gebraucht wer<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn sie gibt nichts an<br />
<strong>de</strong>n Tag, das auf sein End vollen<strong>de</strong>t ist, son<strong>de</strong>rn<br />
<strong>de</strong>r Mensch muss es vollen<strong>de</strong>n. Diese Vollendung<br />
heißt Alchemie.“ Diese Worte sind <strong>de</strong>r<br />
Schlüssel zum Begriff „Alchemie“. Sie be<strong>de</strong>uten:<br />
Gott hat die Natur bewusst unfertig<br />
geschaffen. Er hat Erz gemacht, aber<br />
kein Eisen, er hat Getrei<strong>de</strong> gemacht, aber<br />
kein Mehl. Die Natur trägt in sich selbst<br />
<strong>de</strong>n Drang nach Vollendung, <strong>de</strong>r Mensch<br />
muss dies erkennen und mit alchemischen<br />
Mitteln eingreifen.<br />
Auf die Frage, was ein Alchemist ist, antwortet<br />
<strong>de</strong>r bekannte französische Paracelsus-Forscher<br />
LUCIEN BRAUN (4):<br />
„Der Alchemist ist <strong>de</strong>r paracelsische Mensch in<br />
reinster Ausprägung, je<strong>de</strong>rzeit und überall dazu<br />
aufgerufen, die Dinge ihrer Bestimmung entgegenzuführen.<br />
Wo <strong>de</strong>r Mensch dies tut, folgt er<br />
einem kosmischem Befehl.“
Im Rahmen alchemischer Betrachtungen<br />
muss ein Wort zum „Stein <strong>de</strong>r Weisen“ gesagt<br />
wer<strong>de</strong>n, seit <strong>de</strong>r Spätantike die erstrebte<br />
Wun<strong>de</strong>rsubstanz <strong>de</strong>r Alchemie. Die<br />
Suche nach diesem Stein und seine eventuelle<br />
Herstellung hat die Alchemisten<br />
aller Zeiten und Volksschichten stark beschäftigt.<br />
Im Besitz <strong>de</strong>s „Steins <strong>de</strong>r Weisen“<br />
zu sein, das versprach: Weisheit, letzte Erkenntnis,<br />
ewige Jugend, Unsterblichkeit,<br />
aber für viele auch die Erfüllung von<br />
Macht und Reichtum.<br />
Ein angestrebtes Ziel war die „Transmutation“<br />
stofflicher Dinge. Alchemisch gesehen<br />
war „Transmutation“ je<strong>de</strong> qualitative<br />
Verän<strong>de</strong>rung, beson<strong>de</strong>rs „schlechte“ Metalle<br />
in „gute“ umzuwan<strong>de</strong>ln: Eben unedle<br />
Stoffe wie Quecksilber o<strong>de</strong>r Blei in edle<br />
wie Silber und Gold mit Hilfe dieses<br />
„Steins“, <strong>de</strong>r in vielerlei <strong>Ges</strong>talt beschrieben<br />
wird, als ein rotes Pulver, als eine<br />
Wun<strong>de</strong>rtinktur, als das Magisterium <strong>de</strong>s<br />
Alchemisten schlechthin; ein geheimnisvoller<br />
„Stoff“, <strong>de</strong>r wie ein Ferment ar<strong>bei</strong>tete,<br />
eigentlich kein Stein im mineralischen<br />
Sinne. Seine Herstellung ist – alchemisch<br />
gesehen – das „Große Werk“.<br />
PARACELSUS ist 1540 auf einer Radierung<br />
von AUGUSTIN HIRSCHVOGEL<br />
(1503–1553) mit einem Schwert abgebil<strong>de</strong>t,<br />
<strong>de</strong>ssen Knauf die Inschrift „Azoth“<br />
trägt. Dieses Wort be<strong>de</strong>utet das A und O,<br />
es ist ein Deckname für <strong>de</strong>n „Stein <strong>de</strong>r<br />
Weisen“, abgeleitet vom arabischen Wort<br />
el-dhat, was mit „Essenz <strong>de</strong>r Transmutation“,<br />
synonym für <strong>de</strong>n Ausdruck „Stein <strong>de</strong>r<br />
Weisen“, übersetzbar ist. Es wird erzählt,<br />
PARACELSUS soll in diesem Schwertknauf<br />
„seinen“ Stein <strong>de</strong>r Weisen aufbewahrt<br />
haben, mit <strong>de</strong>m er Gold „machen“<br />
konnte. Um in <strong>de</strong>n Besitz dieses Steines<br />
zu gelangen, sei er von Habgierigen ermor<strong>de</strong>t<br />
wor<strong>de</strong>n (7). Für manche war in diesem<br />
Knauf aber sein berühmtes „Laudanum“<br />
versteckt, das war getrockneter Milchsaft<br />
<strong>de</strong>r Mohnpflanze, stark opiumhaltig,<br />
schon damals die Droge gegen starke<br />
Schmerzen. Opium enthält mehrere Alka-<br />
loi<strong>de</strong> u. a. Morphin, Co<strong>de</strong>in, Narcotin,<br />
wo<strong>bei</strong> das Morphium <strong>de</strong>r wichtigste Bestandteil<br />
ist.<br />
Die bisherigen Darlegungen zeigen: Der<br />
Ausgangspunkt für die „alchemistische Ar<strong>bei</strong>t“<br />
war und ist ein völlig an<strong>de</strong>rer als <strong>de</strong>r<br />
für die spätere chemische Praxis.<br />
Die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s „Steins <strong>de</strong>r Weisen“ und<br />
die mühevolle Suche nach ihm wur<strong>de</strong> für<br />
die kommen<strong>de</strong> Zeit zur Triebfe<strong>de</strong>r alchemisch-chemischen<br />
Ar<strong>bei</strong>tens (19).<br />
Eine <strong>de</strong>r schillerndsten <strong>Ges</strong>talten nach<br />
<strong>de</strong>m Ableben von PARACELSUS auf alchemischem<br />
Gebiet sollte <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche<br />
Kaiser RUDOLF II. von Habsburg (Regierungszeit<br />
1576–1612) wer<strong>de</strong>n, „<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />
Politik in die Welt <strong>de</strong>r Athanors und Retorten<br />
floh, einmal <strong>de</strong>r Goldmacherei wegen, aber auch<br />
um <strong>de</strong>m grässlichen Inquisitionstreiben seines<br />
Onkels Philipp II. v. Spanien nicht <strong>bei</strong>wohnen<br />
zu müssen“ (5). Er ließ auf <strong>de</strong>r Prager Burg<br />
die „geheimen Wissenschaften“ erblühen,<br />
nie zuvor hatte es eine solche Schaffensstätte<br />
für Künstler, Astronomen, Astrologen,<br />
Magier, Ärzte und Alchemisten gegeben.<br />
In Prag tummelten sich die<br />
„Eingeweihten“, auch Schüler <strong>de</strong>s PARA-<br />
CELSUS, etwa O. CROLL (1560–1609),<br />
einer <strong>de</strong>r führen<strong>de</strong>n Jatrochemiker dieser<br />
Zeit (10). Rudolf II. grün<strong>de</strong>te eine „Aka<strong>de</strong>mie<br />
<strong>de</strong>r Alchemie“, man nannte ihn <strong>de</strong>n<br />
„Neuen Hermes Trismegistos“. Durch<br />
diese Entwicklung glitten die A<strong>de</strong>pten (Alchemisten)<br />
von ihren eigentlichen Aufgaben<br />
ab und die Mahnung <strong>de</strong>s PARACEL-<br />
SUS, neue Heilmittel zu schaffen, wur<strong>de</strong><br />
in <strong>de</strong>n Wind geschlagen.<br />
Trotz<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> noch bis zum 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
die Alchemie als eine holistische<br />
Wissenschaft akzeptiert.<br />
Durch die Bewegung <strong>de</strong>r Rosenkreuzer,<br />
die anfangs <strong>de</strong>s 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts aufkommt,<br />
wird immer stärker die spirituelle Seite <strong>de</strong>r<br />
Alchemie zu Lasten <strong>de</strong>r laborantischen Ar<strong>bei</strong>t<br />
betont. Das führte in <strong>de</strong>r Folge dazu,<br />
dass sich die vornehmlich wissenschaftlich<br />
Interessierten <strong>de</strong>r materiellen Seite <strong>de</strong>r<br />
Chemie zuwen<strong>de</strong>n. So beginnt die Che-<br />
25
mie eigene Wege zu gehen bis hin zur Industrierevolution<br />
<strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />
und weiter bis in unsere Tage.<br />
Es wäre aber ein Fehler, anzunehmen,<br />
alchemisches Denken und alchemische<br />
Ar<strong>bei</strong>tsweise seien für immer vergessen,<br />
sozusagen sei eine totale Ablösung durch<br />
die exakte Chemie erfolgt.<br />
Die Alchemie hörte nicht auf zu existieren,<br />
und sie führt im „hermetischen Sinne“<br />
ein eigenständiges Dasein bis heute. Die<br />
Ar<strong>bei</strong>ten einer Reihe mo<strong>de</strong>rner Alchemisten<br />
bezeugen das.<br />
Ein Beispiel dafür ist Alexan<strong>de</strong>r Freiherr<br />
v. BERNUS (1880–1965), einer <strong>de</strong>r<br />
be<strong>de</strong>utendsten Alchemisten unserer Zeit,<br />
entfernt mit Goethe verwandt, <strong>de</strong>r mit seinen<br />
alchemistisch-spagyrischen Ar<strong>bei</strong>ten<br />
und <strong>de</strong>r Erzeugung von spagyrischen<br />
Arzneimitteln international bekannt<br />
wur<strong>de</strong>. In seinem Buch „Alchemie und<br />
Heilkunst“ (2) beschreibt er im Kapitel<br />
„Goethes Urbegegnung“ die wun<strong>de</strong>rbare<br />
Heilung <strong>de</strong>s jungen Goethe (1768) durch<br />
einen paracelsischen Arzt.<br />
H. GEBELEIN (7) sieht in <strong>de</strong>r Gegenwart<br />
<strong>de</strong>n Unterschied zwischen Alchemie<br />
und Chemie wie folgt:<br />
„... die heutige Chemie ist eine Wissenschaft<br />
<strong>de</strong>r Fakten, nur auf die materielle<br />
Welt beschränkt. Die Alchemie entnimmt<br />
ihre Richtlinien <strong>de</strong>r Philosophie, sie ist<br />
eine spirituelle Chemie, sie versucht mit<br />
ihrer Ar<strong>bei</strong>tsweise durch die Dunkelheit<br />
<strong>de</strong>r Stoffe hindurch das Wirken Gottes zu<br />
erahnen. Der entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Unterschied<br />
zur Chemie besteht im Umgang mit <strong>de</strong>r<br />
Natur, die Alchemie folgt ihr, sie muss<br />
allerdings durch <strong>de</strong>n Alchemisten erst –<br />
wie bereits im Paragranum ausgeführt –<br />
zur Vollendung gebracht wer<strong>de</strong>n. Der<br />
Chemiker betrachtet die Natur als „Steinbruch“,<br />
<strong>de</strong>ssen Rohmaterial beliebig verwertbar<br />
ist.“<br />
Und G. WEHR (16, 17) schreibt:<br />
„Die spätere Chemie, die ganze, große Naturwissenschaft<br />
kann in ihrer <strong>Ges</strong>amtheit<br />
auf Religiosität und Glaubensanschauung<br />
26<br />
verzichten, weil ja Religion ‚Privatsache’<br />
ist. Für <strong>de</strong>n alchemistischen A<strong>de</strong>pten aber<br />
gibt es noch die Ganzheit <strong>de</strong>s Zusammenspiels<br />
von Laboratorium und Oratorium;<br />
wer kennt nicht <strong>de</strong>n Spruch: ‚Ora et labora<br />
– bete und ar<strong>bei</strong>te’.“<br />
Der Paracelsist GERHARD DORN<br />
(2. Hälfte <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts) hat diesen<br />
Wer<strong>de</strong>gang kommen sehen und geschrieben<br />
(6,18): „Verwan<strong>de</strong>lt euch selbst in lebendige<br />
philosophische Steine“. Diese<br />
Worte wollen sagen, <strong>de</strong>n „Stein <strong>de</strong>r Weisen“<br />
könnt ihr nur durch Wandlung <strong>de</strong>s eigenen<br />
Wesens fin<strong>de</strong>n. Der Schlüssel für<br />
diesen Wandlungsprozess ist die For<strong>de</strong>rung<br />
<strong>de</strong>s „Erkenne dich selbst“ an je<strong>de</strong>n<br />
von uns. Das ist die Sprache <strong>de</strong>s PARA-<br />
CELSUS und später die von V. WEIGEL<br />
und J. BÖHME, ganz alchemisch gedacht,<br />
wer die Wahrheiten <strong>de</strong>r eigenen Umgebung,<br />
seinen „Mikrokosmos“ erkennt,<br />
<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n die Geheimnisse <strong>de</strong>s „Makrokosmos“<br />
offenbar. Er steht nach PARA-<br />
CELSUS „im Lichte <strong>de</strong>r Natur“.<br />
C. G. JUNG (8) führt zur gleichen Problematik<br />
aus: „Alchemie ist mehr als eine<br />
Vorgeschichte <strong>de</strong>r Chemie. Alchemie wollte<br />
niemals die Materie um ihrer selbst willen<br />
untersuchen, sie war eine Lebensweise,<br />
und ihre Grundlage ist die hermetische<br />
Philosophie, stets mündlich tradiert, abgeschlossen,<br />
geheim, höheres Wissen ist nur<br />
für Eingeweihte zugänglich.“<br />
Und H.-W. SCHÜTT (13) schreibt:<br />
„Die Alchemie war und ist weit mehr als<br />
die esoterische Kunst, gewisse Materialien<br />
zu höherem Sein zu vere<strong>de</strong>ln, wie sie auch<br />
keine primitive Vorstufe <strong>de</strong>r heutigen Chemie<br />
ist. Sie ist vielmehr <strong>de</strong>r überaus filigrane<br />
und komplexe Ausdruck <strong>de</strong>s Bemühens,<br />
die tiefsten Zusammenhänge <strong>de</strong>r Welt,<br />
ihren religiösen Sinn sowie ihre philosophische<br />
Be<strong>de</strong>utung abzubil<strong>de</strong>n und zu begreifen.“<br />
Und für <strong>de</strong>n bereits erwähnten Alchemisten<br />
A. v. BERNUS (2) lässt sich Alchemie<br />
eben nicht ins Formelnetz mo<strong>de</strong>rner<br />
Chemie einfangen, weil sie gegenüber <strong>de</strong>r
jetzigen Chemie/Physik ein kosmogenetisches<br />
Weltanschauungssystem ist.<br />
3. Paracelsische Ar<strong>bei</strong>ten für die spätere<br />
Chemie<br />
PARACELSUS hat zu Lebzeiten etwa<br />
350 medizinische, naturwissenschaftliche<br />
und philosophische Schriften verfasst,<br />
wovon etwa 120 einen alchemisch-chemischen<br />
Einschlag haben (14), schon unter<br />
diesem <strong>Ges</strong>ichtspunkt ist sein Wirken für<br />
die kommen<strong>de</strong> Chemie höchst beachtlich<br />
und verdienstvoll.<br />
Wo nahm PARACELSUS seine alchemischen<br />
Kenntnisse her?<br />
Es kann nicht übersehen wer<strong>de</strong>n, dass es<br />
bereits vor ihm und zu seinen Lebzeiten<br />
eine Reihe von Alchemisten gab, die erstaunliches<br />
Wissen besaßen, welches er gekannt<br />
und für eigene Untersuchungen<br />
auch genutzt hat.<br />
Beson<strong>de</strong>rs vertraut war er mit <strong>de</strong>n Werken<br />
<strong>de</strong>s fast zeitgleich mit ihm leben<strong>de</strong>n<br />
Heinrich AGRIPPA v. NETTESHEIM<br />
(1486–1535), eigentlich Heinrich Cornelius,<br />
Magier und Philosoph, Arzt und A<strong>de</strong>pt,<br />
und mit <strong>de</strong>m Wissen solcher Alchemisten<br />
wie VALENTINUS (14./15. Jahrhun<strong>de</strong>rt;<br />
Hauptwerk „Triumph – Wagen <strong>de</strong>s Antimons“)<br />
o<strong>de</strong>r BRUNSCHWYCK<br />
(1430–1513) mit seinem Buch über die<br />
„Destillationskunst“, aus <strong>de</strong>m PARACEL-<br />
SUS geschöpft hat (10). Der Destillationsprozess<br />
war für die Alchemisten aller<br />
Schattierungen von überragen<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung<br />
für ihre Untersuchungen.<br />
Der junge PARACELSUS hatte hinsichtlich<br />
<strong>de</strong>r Begegnung mit <strong>de</strong>r alchemischen<br />
Ar<strong>bei</strong>t günstige Bedingungen.<br />
Sein erster und bester Lehrer war sein<br />
Vater WILHELM, als Arzt und Metallurg<br />
ab 1502 an <strong>de</strong>r Bergschule in Villach/Kärnten<br />
tätig und die Bergleute in <strong>de</strong>n Bergwerken<br />
betreuend. Die Metallurgie<br />
(Gießereiwesen) stand im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
auch aus militärischen Grün<strong>de</strong>n (Kriege<br />
Kaiser Karls V.) in hoher Blüte, im damaligen<br />
<strong>de</strong>utschen Reichsteil waren etwa<br />
100 000 Personen im Bergbau beschäftigt.<br />
In PARACELSUS wird in diesem Umfeld<br />
die Liebe zum alchemischen Handwerk erweckt,<br />
er erlebt gewissermaßen hautnah<br />
das Laboratorium. Dieser Kontakt wird<br />
beson<strong>de</strong>rs in Schwaz durch die Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />
mit <strong>de</strong>n FUEGER-Laboranten<br />
geför<strong>de</strong>rt.<br />
In <strong>de</strong>r „Großen Wundarznei“ (15, X,<br />
354) benennt PARACELSUS <strong>de</strong>n „edl und<br />
fest Junker Sigmund FUEGER von Schwaz“<br />
als einen seiner weiteren Lehrer in <strong>de</strong>r Alchemie.<br />
In Schwaz, einer ausgewiesenen<br />
Silber- und Bleistadt, waren zu dieser Zeit<br />
etwa 12 000 Bergleute tätig. Auch die Tiroler<br />
Salzgewinnung in HALL dürfte für ihn<br />
lehrreich gewesen sein. Diese ersten Erkundungen<br />
in „Sachen Alchemie“ liegen für<br />
PARACELSUS vor seinen Wan<strong>de</strong>rjahren.<br />
Nach diesen fügt er alchemische mit wundärztlichen<br />
Kenntnissen zu einem, man darf<br />
schon sagen, hohen Wissensstand zusammen,<br />
<strong>de</strong>nn ihm wer<strong>de</strong>n die damals kursieren<strong>de</strong>n<br />
„Stoffe“ <strong>de</strong>r Alchemisten zu Eigen.<br />
Das sind vorrangig die Metalle bzw. Mineralien,<br />
wie sie die Natur in Form von<br />
Oxi<strong>de</strong>n, Karbonaten, Chlori<strong>de</strong>n, Sulfi<strong>de</strong>n,<br />
Sulfaten und Nitraten anbietet. Aus dieser<br />
Aufzählung sind auch die Mineralsäuren<br />
erkennbar, mit <strong>de</strong>nen die Alchemisten laborierten,<br />
vor allem Salz-, Schwefel- und<br />
Salpetersäure.<br />
Die chemischen „Elemente“, mit <strong>de</strong>nen<br />
es PARACELSUS direkt o<strong>de</strong>r indirekt zu<br />
tun hatte – <strong>de</strong>r heutige Element-Begriff<br />
war zu dieser Zeit noch gar nicht <strong>de</strong>finiert<br />
–, das sind in erster Linie die sieben<br />
„sprichwörtlichen“ Metalle <strong>de</strong>r Alchemisten,<br />
also Kupfer, Silber, Gold, Quecksilber,<br />
Blei, Zinn und Eisen. Die Kenntnis über<br />
sie reicht weit ins Altertum zurück.<br />
Neben diesen „7“ hat PARACELSUS mit<br />
Verbindungen von Antimon, Arsen,<br />
Schwefel, Zink sowie mit Kobalt und Wismut<br />
gear<strong>bei</strong>tet. Er erwähnt diese letzten<br />
Elemente, die in ihrem Elementcharakter<br />
offiziell erst im 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt ent<strong>de</strong>ckt<br />
wur<strong>de</strong>n, in seinem Werk „De mineralibus“<br />
27
als „Kobolt und Wismat“ (15, III, 29–63).<br />
Die Namen für die Elemente Kobalt, Wismut<br />
und Zink stammen von ihm, wie PA-<br />
RACELSUS überhaupt viele noch heute<br />
gültige Bezeichnungen in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen<br />
Sprachschatz eingeführt hat. Durch seine<br />
alchemistischen Ar<strong>bei</strong>ten wur<strong>de</strong> er zum<br />
Sprachschöpfer, er schuf sich seine eigene<br />
Terminologie (3).<br />
Salze wie Pottasche und Soda, <strong>bei</strong><strong>de</strong> mit<br />
<strong>de</strong>m Carbonatrest behaftet, also kohlenstoffhaltig,<br />
ebenso <strong>de</strong>r Alaun (ein Aluminiumsulfat),<br />
gehörten zur „Laborausstattung“<br />
eines Alchemisten, wo<strong>bei</strong> das<br />
Leichtmetall Aluminium erst 1827 ent<strong>de</strong>ckt<br />
wur<strong>de</strong>.<br />
Wasserstoff und Sauerstoff, die ja in <strong>de</strong>n<br />
Mineralien ebenfalls gebun<strong>de</strong>n sind,<br />
waren noch unbekannt. Aber PARACEL-<br />
SUS hat die Sammelbezeichnung „Chaos“<br />
für verschie<strong>de</strong>ne „luftförmige Körper“ geschaffen,<br />
daraus bil<strong>de</strong>t sich später das Wort<br />
„Gas“. Er hob immer wie<strong>de</strong>r die Rolle <strong>de</strong>r<br />
Luft im Weltall hervor; die Luft gibt <strong>de</strong>n<br />
Dingen das Leben.<br />
Beson<strong>de</strong>rs wichtige Elemente bzw. <strong>de</strong>ren<br />
Verbindungen für die paracelsischen Ar<strong>bei</strong>ten<br />
waren Quecksilber, Arsen und Antimon.<br />
E. KAISER schreibt (9):<br />
„PARACELSUS hat erstmalig eine möglichst<br />
vorsichtige und genau bemessene<br />
Dosierung <strong>de</strong>s gefährlichen Quecksilbers<br />
zur Syphilistherapie beschrieben, gleichfalls<br />
empfiehlt er die rechte Anwendung<br />
von Arsen-Präparaten gegen diese venerische<br />
Krankheit.“ Erinnert sei an seine Syphilisschriften<br />
(1528–30, Aufenthalt in<br />
Nürnberg). Er macht sich damit das Großhan<strong>de</strong>lshaus<br />
FUGGER zum Feind, welches<br />
das Monopol auf Guajakholz besaß;<br />
Guajak galt (obwohl unwirksam) als das<br />
Heilmittel gegen Syphilis.<br />
GMELIN (1788–1853) schreibt in seiner<br />
„<strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Chemie“ (nach 14):<br />
„... er hat mehrere kräftige Arzneien in<br />
Gang gebracht, für <strong>de</strong>ren Kenntnis ihn<br />
noch die späte Nachwelt segnen wird.“<br />
PARACELSUS gab also <strong>de</strong>n Grundge-<br />
28<br />
danken, „giftige“ Schwermetalle gegen<br />
Krankheitserreger im Körper einzusetzen.<br />
Mit dieser Art <strong>de</strong>r Behandlung von Infektionskrankheiten<br />
leitet PARACELSUS die<br />
Geburtsstun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r „Chemotherapie“ ein,<br />
revolutionierend für die Medizin seiner<br />
Zeit und bahnbrechend bis heute.<br />
Zu Beginn <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts erhielten<br />
<strong>de</strong>r Mediziner PAUL EHRLICH und<br />
<strong>de</strong>r Bakteriologe SAHACHIRO HATA für<br />
die Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s Chemotherapeutikums<br />
„Salvarsan“ <strong>de</strong>n Nobelpreis. Dieses<br />
Mittel stellte eine organische Arsenverbindung<br />
dar, die sich <strong>de</strong>r Giftwirkung <strong>de</strong>s Arsens<br />
bedient (wie einst von PARACELSUS<br />
erprobt); getreu seinem oft zitierten Ausspruch<br />
aus <strong>de</strong>n „Sieben Defensiones“ (15,<br />
XI, 138): „Alle ding sind gift und nichts on<br />
gift, alein die dosis macht das ein ding kein gift<br />
ist.“<br />
Bei <strong>de</strong>n so genannten „Anorganika“ <strong>de</strong>s<br />
PARACELSUS spielte neben Arsen und<br />
Quecksilber beson<strong>de</strong>rs auch das Antimon<br />
eine Rolle. Es ist ein Para<strong>de</strong><strong>bei</strong>spiel für ein<br />
paracelsisches Chemiatrikum. Antimon-<br />
Präparate gab es vor und auch nach PARA-<br />
CELSUS. Grundlage war <strong>de</strong>r „Grauspießglanz“,<br />
ein Antimonsulfid.<br />
Antimonpräparate haben sich lange in<br />
<strong>de</strong>n Arzneibüchern gehalten – bis ins 20.<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rt. Sie galten als schweißtreibend<br />
und blutreinigend. Synthetische organische<br />
Antimonverbindungen wer<strong>de</strong>n in<br />
neuerer Zeit als Heilmittel gegen Tropenkrankheiten<br />
verwen<strong>de</strong>t.<br />
Das beson<strong>de</strong>re Verdienst von PARA-<br />
CELSUS <strong>bei</strong> dieser neuen Therapie ist,<br />
dass er Mineraldrogen, die seit alters her<br />
äußerlich eingesetzt wur<strong>de</strong>n, entgegen <strong>de</strong>r<br />
damaligen medizinischen Meinung zur inneren<br />
Anwendung bringt. Damit befolgt<br />
er die hermetische (alchemistische) Grundvorstellung<br />
<strong>de</strong>s „wie oben – so unten“, die<br />
er in „wie außen – so innen“ wan<strong>de</strong>lt. Mit<br />
dieser Tat, die Alchemie im Dienst <strong>de</strong>s<br />
Menschen anzuwen<strong>de</strong>n und Heilmittel für<br />
medizinische Zwecke herzustellen, verwirklicht<br />
er <strong>de</strong>n im PARAGRANUM (15,
VIII) aufgestellten Grundsatz, Arcana zu<br />
machen und diese gegen Krankheiten <strong>de</strong>s<br />
Menschen einzusetzen. Das macht PARA-<br />
CELSUS in <strong>de</strong>r Wissenschaftsgeschichte<br />
zum Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r CHEMIATRIE bzw.<br />
JATROCHEMIE. Diese Begriffe sind erst<br />
im 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt entstan<strong>de</strong>n, sie wur<strong>de</strong>n<br />
von PARACELSUS nie gebraucht, aber<br />
<strong>de</strong>r Beginn <strong>de</strong>s Zeitalters <strong>de</strong>r Chemiatrie<br />
wird mit seiner Person gleichgesetzt.<br />
In <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Begriffen, die eine gewisse Synonymität<br />
besitzen, stecken die Worte<br />
„Chemie“ und „iatros“ (griechisch) = Arzt.<br />
G. SCHWEDT <strong>de</strong>finiert 1993 (14): „Chemiatrie“<br />
(Jatrochemie) ist die Lehre von<br />
<strong>de</strong>r Herstellung und Anwendung chemischer<br />
Arzneimittel, sowohl anorganischer<br />
wie organischer Natur. Sie ist als Vorstufe<br />
<strong>de</strong>r pharmazeutischen Chemie (Pharmazie)<br />
zu <strong>de</strong>uten.“ In <strong>de</strong>n 9 Büchern „Archidoxis“<br />
(1525/26) <strong>de</strong>s PARACELSUS sind<br />
allein 88 Chemiatrika mit 166 Vorschriften<br />
enthalten. Die „Archidoxen“ gelten<br />
schlechthin als das alchemische Standard-<br />
Werk von PARACELSUS (1; 14; 15, III,<br />
91–200).<br />
Derselbe Autor erwähnt <strong>de</strong>n interessanten<br />
Fakt, dass <strong>de</strong>r Arzt PAUL LUTHER<br />
(1533–1593), letzter Sohn <strong>de</strong>s Reformators,<br />
versuchte, eine Synthese von Medizin<br />
und Chemie im Sinne <strong>de</strong>r paracelsischen<br />
Jatrochemie herzustellen. Er führte in die<br />
Apotheken neue Salben, Wässer, Extrakte<br />
und Chemikalien ein.<br />
Was die Metalle bzw. Heilmittel aus Mineralien<br />
weiterhin betrifft, so hat PARA-<br />
CELSUS Eisentinkturen verschrieben. Er<br />
verordnete auch Arzneien aus <strong>de</strong>m Schwefel,<br />
die Schwefelblume o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Vitriolgeist<br />
gegen Fieber und Husten. Das<br />
Vitriolöl, d. h. die Schwefelsäure, eine<br />
wichtige Mineralsäure, spielte neben Salzund<br />
Salpetersäure für die Alchemisten<br />
eine große Rolle. Die trockene Destillation<br />
von z. B. Kupfervitriol (Kupfersulfat) ergibt<br />
Vitriolöl. PARACELSUS erwähnt in<br />
<strong>de</strong>n „Archidoxen“ auch die stark auflösen<strong>de</strong><br />
Kraft <strong>de</strong>s Königswassers (ein Salzsäure-<br />
Salpetersäure-Gemisch), das bekanntlich<br />
<strong>de</strong>n „König“ <strong>de</strong>r Metalle, das Gold, in ein<br />
lösliches Goldsalz überführt.<br />
Auch <strong>de</strong>r Antipo<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Säuren – die<br />
Alkalien – waren ihm, z.B. im Salmiak,<br />
vertraut.<br />
Es wird ferner berichtet, dass PARA-<br />
CELSUS die Kenntnis <strong>de</strong>r gegenseitigen<br />
Metallverdrängung aus <strong>de</strong>n Lösungen<br />
ihrer Salze in <strong>de</strong>r Reihenfolge Gold, Silber,<br />
Kupfer, Eisen besaß. Was be<strong>de</strong>utet<br />
das? Ein Beispiel: Ein Eisennagel wird auf<br />
Grund dieses elektrochemischen Vorganges<br />
<strong>bei</strong>m Eintauchen in eine Kupfersulfatlösung<br />
mit rötlichem, elementarem Kupfer<br />
überzogen; das Eisen geht <strong>bei</strong> dieser Reaktion<br />
in Lösung.<br />
In <strong>de</strong>r heutigen Chemie wer<strong>de</strong>n die Elemente<br />
in <strong>de</strong>r so genannten elektrochemischen<br />
Spannungsreihe geordnet. Sie besagt<br />
praktisch, dass unedle Metalle (wie eben<br />
Eisen) bestrebt sind, in Lösung zu gehen<br />
(Oxydation), edle hingegen behalten möglichst<br />
ihren Elementarzustand (Reduktion).<br />
Vor ca. 500 Jahren war PARACELSUS diesen<br />
Vorgängen auf <strong>de</strong>r Spur.<br />
Weiter sei erwähnt, dass wir seinem großen<br />
Wissen auch wichtige Studien zum<br />
Bä<strong>de</strong>rwesen verdanken. Bei <strong>de</strong>r Beschäftigung<br />
mit <strong>de</strong>n Heilquellen stieß er auf die<br />
Tatsache, dass die im Wasser gelösten Metallsalze<br />
von Natrium, Kalium, Calcium,<br />
Lithium eine beson<strong>de</strong>re Heilkraft besitzen<br />
(11) und eine Flamme metallspezifisch färben<br />
und sich dadurch „anzeigen“, z. B.<br />
Natriumsalze leuchten gelb (praktische<br />
Anwendung im Feuerwerk).<br />
Neben <strong>de</strong>m anorganischen Material<br />
haben die Alchemisten auch „Organika“<br />
verwen<strong>de</strong>t, also Substanzen, die vorrangig<br />
aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff<br />
(in geringerem Maße Stickstoff) bestehen,<br />
insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Alkohol, <strong>de</strong>r ja<br />
schon als „Weingeist“ seit <strong>de</strong>m 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
bekannt und begehrt war. Die Bezeichnung<br />
„Alcool“ o<strong>de</strong>r „Alkohol“ hat<br />
PARACELSUS (1527) in die Fachsprache<br />
<strong>de</strong>r Alchemie/Chemie eingeführt; Al-<br />
29
cohol heißt arabisch so viel wie „feinstes<br />
Pulver“, nämlich feiner Bleiglanz zum Färben<br />
<strong>de</strong>r Augenbrauen, und diese Bezeichnung<br />
„feinstes“ hat ihren Namen auf das<br />
„Feinste“ im Weingeist übertragen, eben<br />
<strong>de</strong>n Alkohol, genauer Äthylalkohol. Er<br />
war das Universallösungsmittel <strong>de</strong>r Alchemisten<br />
(Alkahest).<br />
Alkohol diente für alles, Auszüge, also<br />
Isolierung reiner Wirkstoffe aus pflanzlichem<br />
Material (z. B. ätherische Öle o<strong>de</strong>r<br />
Alkaloi<strong>de</strong>) waren üblich. Die Naturdroge<br />
„Pflanze“ war für PARACELSUS ein wichtiger<br />
Grundstoff, vor allem gegen innere<br />
Krankheiten. Tausendgül<strong>de</strong>nkraut, Johanneskraut,<br />
Laven<strong>de</strong>l, Mohn sind wichtige<br />
Rohstoffe für seine Ar<strong>bei</strong>t. Fast sagenumwoben<br />
sind die berühmten „Heil-Latwerge“,<br />
eine musartige Arzneiform, am bekanntesten<br />
<strong>de</strong>r „Theriak“ (enthält u. a. Opium<br />
und Schlangenfleisch). Er wur<strong>de</strong> gegen alle<br />
Krankheitsgifte empfohlen und war schon<br />
im Altertum bekannt.<br />
PARACELSUS hat aus Terpentin mit<br />
Eidotter Salben gegen äußere Krankheiten<br />
bereitet, als opiumhaltige Komposition<br />
gab es die Apostelsalbe (weil aus 12 Bestandteilen!).<br />
Er wusste auch, dass man<br />
Wein, <strong>de</strong>r etwa 10–12 Vol. % Alkohol<br />
enthält, zur Gewinnung von höherprozentigem<br />
Alkohol „ausfrieren“ kann<br />
(Wasser wird als Eis abgeschie<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />
Gefrierpunkt von Alkohol liegt <strong>bei</strong><br />
-114°C).<br />
Schwerpunkte <strong>de</strong>r alchemischen Ar<strong>bei</strong>t<br />
waren, wie wir heute <strong>de</strong>finieren wür<strong>de</strong>n,<br />
für <strong>de</strong>n A<strong>de</strong>pten solche Verfahrensschritte<br />
wie Destillation, Fraktionierung o<strong>de</strong>r<br />
Schmelzen und Veraschen. Sie gehörten<br />
zur Kunst <strong>de</strong>r „Spagyrik“, die <strong>bei</strong> PARA-<br />
CELSUS <strong>de</strong>r wichtigste Grundsatz alchemistischer<br />
Arzneibereitung war, nämlich<br />
„Trennen“, d. h. die wesentliche Arzneiwirkung<br />
einer Droge von <strong>de</strong>n Schlacken befreien<br />
und „wie<strong>de</strong>rvereinigen“, d. h. durch<br />
Mischung <strong>de</strong>r abgetrennten Wirkprinzipien<br />
eine Wirkungssteigerung her<strong>bei</strong>führen.<br />
Eine spagyrische Pflanzenaufbereitung zur<br />
30<br />
Herstellung einer spagyrischen Tinktur<br />
umfasste viele Verfahrensschritte, hauptsächlich<br />
Gärung, Filtration, Destillation,<br />
Veraschung, Extraktion.<br />
Die vielleicht herausragendste Leistung<br />
<strong>de</strong>s HOHENHEIMERS aus Sicht <strong>de</strong>s<br />
heutigen Chemikers ist seine Abhandlung<br />
von 1526, „Von <strong>de</strong>n ersten dreien Prinzipien“<br />
o<strong>de</strong>r „Essentiis“ (15, III, 1–11), das<br />
ist die Lehre von <strong>de</strong>r „Tria principia“ bzw.<br />
„Tria prima“. P. WALDEN sah in dieser<br />
Lehre eine theoretische Deutung zu einem<br />
chemischen Grundproblem, ausgedrückt<br />
mit <strong>de</strong>n Worten „Untersuchungen zur Zusammensetzung<br />
bzw. zur chemischen Konstitution<br />
<strong>de</strong>r Stoffwelt in Abhängigkeit von<br />
<strong>de</strong>ren chemischem Verhalten“ (nach 14).<br />
Die hermetische Philosophie ging von<br />
einem Urstoff aus, <strong>de</strong>r „materia prima“.<br />
Aus ihr entspringen die dualen Gegensätze,<br />
z. B. „oben – unten“, das sind die<br />
zwei Prinzipien <strong>de</strong>r Alchemie – „Merkur“<br />
(= Quecksilber) und „Sulfur“ (= Schwefel)<br />
genannt. Der Urstoff enthält aber noch ein<br />
3. Prinzip, <strong>de</strong>r Vermittler von Merkur und<br />
Sulfur, das ist das „sal“ (= Salz), die Grundlage<br />
aller Formgebung.<br />
Es ist ungeklärt, warum über Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />
nur Merkur und Sulfur erwähnt wer<strong>de</strong>n.<br />
PARACELSUS hat das 3. Prinzip Sal<br />
wie<strong>de</strong>r aufgegriffen, ihm wird die Tria<br />
prima zugeschrieben, obwohl schon Hil<strong>de</strong>gard<br />
von BINGEN (1098–1179) auf die<br />
Dreiteilung aller Dinge hingewiesen hat.<br />
PARACELSUS <strong>de</strong>utet alle Vorgänge <strong>de</strong>s<br />
Naturgeschehens inklusive die im menschlichen<br />
Körper als Zusammenspiel dieser<br />
3 Prinzipien, die folgen<strong>de</strong> Eigenschaften<br />
haben:<br />
1. MERKUR = Quecksilber, <strong>de</strong>r Planet<br />
Merkur gilt als wechselhafter, unruhiger<br />
Planet, genau wie Quecksilber<br />
(= “lebendiges“ Silber), man spricht<br />
vom Prinzip <strong>de</strong>r Flüchtigkeit, <strong>de</strong>r Sublimierbarkeit,<br />
auch <strong>de</strong>s Metallischen,<br />
gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>m Geist = Wasser,<br />
heute: Chemische Verfahrenstechnik,
z. B. Operation <strong>de</strong>r „Destillation“<br />
2. SULFUR = Schwefel, das ist das Prinzip<br />
<strong>de</strong>r Brennbarkeit, <strong>de</strong>r Verbrennung,<br />
gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>r Seele = Luft<br />
und Feuer,<br />
heute: z. B. chemischer Grundprozess,<br />
Operation <strong>de</strong>r „Verbrennung“<br />
3. SAL = Salz, das ist <strong>de</strong>s Prinzip <strong>de</strong>r Unverbrennbarkeit,<br />
<strong>de</strong>s Beständigen, <strong>de</strong>r<br />
Formbildung, <strong>de</strong>s Salzigen, Erdigen; die<br />
Asche;<br />
gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>m Körper = Er<strong>de</strong>,<br />
heute: z. B. Operation <strong>de</strong>r Auflösung von<br />
Substanzen und <strong>de</strong>ren „Kristallisation“<br />
Durch die Neubelebung <strong>de</strong>r „Tria<br />
prima“ verleiht PARACELSUS <strong>de</strong>r „Alchemie-Chemie“<br />
eine neue Grundlage; „er<br />
leitet intuitiv die Aufteilung <strong>de</strong>r Körperwelt<br />
in die später bekannt wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n chemischen<br />
Elemente ein, d. h. seine neue<br />
Lehre stellt erstmalig einen Zusammenhang<br />
zwischen <strong>de</strong>m Stoff und seinem chemischen<br />
Verhalten her.“ (14)<br />
Nach PARACELSUS ist <strong>de</strong>r Mensch<br />
nur gesund, wenn das Mischungsverhältnis<br />
<strong>de</strong>r 3 Grundbestandteile stimmt, durch<br />
Disharmonie <strong>de</strong>r „Drei“ entsteht die<br />
Krankheit, die durch Anwendung von<br />
Chemiatrika geheilt wer<strong>de</strong>n kann.<br />
„Mit dieser neuen Zielsetzung hat sich<br />
PARACELSUS als Schöpfer <strong>de</strong>r „Angewandten<br />
Chemie“ in <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r<br />
Chemie etabliert, <strong>de</strong>nn die höchste Form<br />
<strong>de</strong>r Anwendung <strong>de</strong>r Chemie ist doch wohl<br />
die unmittelbare Anwendung für die <strong>Ges</strong>undheit<br />
<strong>de</strong>s Menschen selbst.“ (14)<br />
G. SCHWEDT nennt in seiner Ar<strong>bei</strong>t<br />
(14) zur 500. Wie<strong>de</strong>rkehr <strong>de</strong>s Geburtstages<br />
von PARACELSUS (1993) „PARACELSUS<br />
<strong>de</strong>n Luther <strong>de</strong>r Chemie“ und PAUL v.<br />
WALDEN (1863–1957) (nach 14) sieht in<br />
PARACELSUS <strong>de</strong>n „Ent<strong>de</strong>cker <strong>de</strong>r Chemie“,<br />
<strong>de</strong>r die Synthese von Medizin und<br />
Chemie her<strong>bei</strong>führte.<br />
Zu seinen Lebzeiten war er schon als<br />
„Luther <strong>de</strong>r Medizin“ gefeiert wor<strong>de</strong>n.<br />
Das sind hohe Maßstäbe und großes Lob<br />
zugleich. Geht man die eben gemachten<br />
Ausführungen noch einmal vorurteilsfrei<br />
durch, so bestätigt sich, dass PARACEL-<br />
SUS für die heutige Chemie und Pharmazie<br />
tatsächlich „Reformatorisches“ geleistet<br />
hat, und man kann sich dieser hohen<br />
Wertschätzung durchaus anschließen. Und<br />
eines gehört <strong>bei</strong> dieser Bewertung noch<br />
dazu: Das paracelsische Wirken führte<br />
auch zur Umgestaltung und Neuordnung<br />
<strong>de</strong>r drei alten, ehrwürdigen wissenschaftlichen<br />
„Künste“:<br />
- <strong>de</strong>r ärztlichen Kunst<br />
- <strong>de</strong>r alchemischen Kunst und<br />
- <strong>de</strong>r Apothekerkunst.<br />
Wir dürfen nicht übersehen, er hatte die<br />
Voraussetzungen geschaffen, dass die Chemie<br />
zum Ausbildungsbestandteil <strong>de</strong>r Ärzte<br />
und Apotheker wur<strong>de</strong>. Es erfolgte eine<br />
Einglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r jungen Chemie in die<br />
medizinischen Fakultäten <strong>de</strong>r Universitäten,<br />
die aus <strong>de</strong>r Alchemie hervorgegangene<br />
Chemie erhielt einen neuen Stellenwert.<br />
Der große Chemiker JUSTUS von LIE-<br />
BIG, (nach 14) fasst die Chemieverdienste<br />
von PARACELSUS so zusammen: „Mit<br />
PARACELSUS begann eine neue Perio<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r Naturbetrachtung und im Hohenheimer<br />
spiegelten sich alle I<strong>de</strong>en, alle Fehler,<br />
alle Irrtümer seiner Zeit; in ihm kämpfte<br />
eine gigantische Kraft gegen äußere, hemmen<strong>de</strong><br />
Fesseln. Er hatte <strong>de</strong>n Instinkt <strong>de</strong>s<br />
richtigen Weges, und er gab seinem Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
und <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n Generationen<br />
mit <strong>de</strong>n Worten, ’nicht Gold zu machen,<br />
son<strong>de</strong>rn Arzneien’ die Richtung an!“<br />
Das entsprach seinem Ethos.<br />
Der über ihn erhaltene Lobspruch:<br />
„Hier ist <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>m das Geheimnis <strong>de</strong>r großen<br />
Welt bekannt war, und <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Kunst <strong>de</strong>s<br />
Verstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>n Verstand geben konnte.“ (4)<br />
gibt preis, warum THEOPHRASTUS<br />
BOMBAST VON HOHENHEIM, genannt<br />
PARACELSUS für uns Epigonen so<br />
be<strong>de</strong>utsam ist.<br />
31
1. ASCHNER, B.: Paracelsus. Sämtliche Werke<br />
I–IV. Nachdruck: Anger-Verlag EICK 1993.<br />
2. v. BERNUS, A.: Alchymie und Heilkunst.<br />
Rudolf-Geering-Verlag, (Copyright Philosophisch-<br />
Anthroposophischer Verlag am Goetheanum<br />
Dornach, Schweiz 1994).<br />
3. BLASER, R.- H.: Paracelsus in seiner Zeit und<br />
seine Be<strong>de</strong>utung für die Nachwelt. Son<strong>de</strong>rdruck<br />
Boehringer Ingelheim Fonds<br />
>Futura< Vol. 14 (1999) Nr. 3.<br />
4. BRAUN, L.: Paracelsus. Alchimist - Chemiker<br />
- Erneuerer <strong>de</strong>r Heilkun<strong>de</strong>. Eine Bildbiographie.<br />
SV international/Schweizer Verlagshaus<br />
Zürich 1988.<br />
5. DAUXOIS, J.: Der Alchimist von Prag.<br />
Rudolf II. von Habsburg.<br />
Artemis und Winkler 1997, Düsseldorf/Zürich.<br />
6. DORN, G.: (Gerhardum Dornäum, <strong>bei</strong><strong>de</strong>r Arzneien<br />
Doktor) Schlüssel zu <strong>de</strong>r chimistischen<br />
Philosophy. Straßburg <strong>bei</strong> Lazari Zetzeri<br />
1602.<br />
7. GEBELEIN, H.: Alchemie. Die<strong>de</strong>richs Gelbe<br />
Reihe, Hugendubel-Verlag München 1991, Son<strong>de</strong>rausgabe<br />
2000.<br />
8. JUNG, C. G.: Paracelsus. Alchemie und die<br />
Psychologie <strong>de</strong>s Unbewussten.<br />
Königsfurt-Verlag 2002.<br />
9. KAISER, E.: Paracelsus.<br />
Rohwohlt Hamburg 1989.<br />
10. PÖTSCH, R.,<br />
FISCHER, A.,<br />
32<br />
LITERATUR<br />
MÜLLER, W.,<br />
CASSEBAUM, H.:<br />
Lexikon be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Chemiker,<br />
VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1988.<br />
11. SCHADEWALDT, H.:<br />
Paracelsus und die Balneologie.<br />
In „500 Jahre Paracelsus“ (1993).<br />
12. SCHNEIDER,W.: Mein Umgang mit Paracelsus<br />
und Paracelsisten, Govi-Verlag GmbH – Pharmazeutischer<br />
Verlag Frankfurt a. M. 1982.<br />
13. SCHÜTT, H.-W.: Auf <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>m<br />
Stein <strong>de</strong>r Weisen (Die <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Alchemie).<br />
Verlag C. H. Beck, München 2000.<br />
14. SCHWEDT, G.: Paracelsus (1493-1541) für<br />
Chemiker. Edition Clausthal Band II, 1993.<br />
15. SUDHOFF, K.: Sämtliche Werke. 1. Abteilung,<br />
Band I–XIV. R. Ol<strong>de</strong>nburg-Verlag 1933,<br />
Nachdruck: Georg Olms-Verlag 1996.<br />
16. WEHR, G.: Alle Weisheit ist von Gott.<br />
Gütersloher Verlagshaus – Gerd Mohn 1980.<br />
17. WEHR, G.: Paracelsus. Aurum Verlag<br />
Freiburg i. B. 1979.<br />
18. WEHR, G.: C. G. Jung.<br />
Rohwohlt Hamburg 2000.<br />
19. WIBERG, E.: Vom Stein <strong>de</strong>r Weisen. Aka<strong>de</strong>mischer<br />
Festvortrag anlässlich <strong>de</strong>r Rektoratsübernahme<br />
am 23.11.1957 (München).<br />
Max-Huber-Verlag München.<br />
Dr. Ludwig Mühlberg · Frie<strong>de</strong>nsstraße 24 · 01465 Liegau-Augustusbad<br />
Vortrag im Studiotheater <strong>de</strong>s Kulturpalastes Dres<strong>de</strong>n am 22. Oktober 2003
Der Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />
danke ich für die Einladung zu diesem Vortrag.<br />
Was interessiert uns heute am Beginn<br />
<strong>de</strong>s 21. Jahrhun<strong>de</strong>rts noch an Paracelsus?<br />
Wir befin<strong>de</strong>n uns am „En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Neuzeit“<br />
auf <strong>de</strong>m Weg ins Ungewisse. Der Blick auf<br />
<strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>r Neuzeit kann uns <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />
Orientierung helfen. Hannah Arendt nennt<br />
in ihrem Buch „Vita activa o<strong>de</strong>r vom tätigen<br />
Leben“ drei große Ereignisse an <strong>de</strong>r<br />
Schwelle zur Neuzeit 1 :<br />
1. die Ent<strong>de</strong>ckung Amerikas und die<br />
Inbesitznahme <strong>de</strong>r Erdoberfläche durch<br />
die europäische Menschheit<br />
2. die Reformation<br />
3. die Entwicklung einer neuen Wissenschaft<br />
<strong>Ges</strong>tatten Sie mir dazu einige Bemerkungen:<br />
ad 1.: Die Kolonialisierung <strong>de</strong>r Erdoberfläche,<br />
das Ergreifen <strong>de</strong>r Welt erstreckte sich<br />
auch auf die Tiefen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>. Davon wird<br />
zu re<strong>de</strong>n sein.<br />
ad 2.: Paracelsus gehörte zu <strong>de</strong>n be<strong>de</strong>utendsten<br />
Vertretern <strong>de</strong>r Reformation. Lei<strong>de</strong>r ist<br />
die Herausgabe seiner theologischen Schriften<br />
durch <strong>de</strong>n Tod von Prof. Goldammer<br />
ins Stocken geraten. Er hatte 1944 im Japanischen<br />
Palais mit dieser Aufgabe begonnen,<br />
insofern ist die Stadt Dres<strong>de</strong>n mit diesen<br />
Anfängen verbun<strong>de</strong>n. Ich möchte die<br />
<strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft bitten, in Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />
mit <strong>de</strong>n <strong>bei</strong><strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaften<br />
auf die Fortsetzung <strong>de</strong>r<br />
Herausgabe <strong>de</strong>r theologischen und an<strong>de</strong>ren<br />
Schriften, möglichst auch in elektronischer<br />
Form, zu dringen.<br />
ad 3.: Paracelsus hat wesentlich zur Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r neuen Wissenschaft <strong>bei</strong>getragen.<br />
Sein Ansatz führte jedoch zu einer<br />
„weichen“, nicht-aggressiven Art <strong>de</strong>r Aneignung<br />
<strong>de</strong>r Natur. Goethe gehörte – teilweise<br />
durch direkten Einfluss <strong>de</strong>r Schriften <strong>de</strong>s<br />
Paracelsus – dieser Linie an. Ein schönes<br />
Rolf A. Meyer<br />
„WIE DER ALCHEMIST DER NATUR WERKET,<br />
SO SOLLT IHR AUCH WERKEN.“<br />
Beispiel seiner Haltung ist das Gedicht „Gefun<strong>de</strong>n“,<br />
das er seiner Frau Christiane am<br />
26. August 1813 (also 2 Tage vor seinem 64.<br />
Geburtstag) übersandte:<br />
„Ich grub´s mit allen<br />
Den Würzlein aus,<br />
Zum Garten trug ich´s<br />
Am hübschen Haus.“<br />
Volumen Paramirum<br />
Eine erste Zusammenfassung seiner<br />
Krankheitslehre gab Paracelsus im „Volumen<br />
Paramirum“ um 1520. Paramirum be<strong>de</strong>utet<br />
über-wun<strong>de</strong>rbar, hoch-erstaunlich.<br />
Hei<strong>de</strong>gger spricht von <strong>de</strong>m Wun<strong>de</strong>r 2 , dass<br />
es überhaupt etwas gibt und nicht nichts.<br />
Alle Krankheiten wer<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m „Volumen<br />
Paramirum“ in fünferlei Weg geheilt.<br />
Der Weg <strong>de</strong>r Heilung zeigt <strong>de</strong>m Arzt die<br />
fünf Ursachen, die fünf Ursprünge <strong>de</strong>r<br />
Krankheiten an. 3 Aus <strong>de</strong>m Heilungsprozess<br />
wird also <strong>de</strong>r Krankheitsprozess erkannt.<br />
Nach Hannah Arendt ist es ein<br />
Charakteristikum <strong>de</strong>r Neuzeit, dass die Gegenstän<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r Erkenntnis Entstehungsprozesse<br />
sind, und nicht Dinge. 4 Paracelsus<br />
spricht davon, dass die Krankheiten geboren<br />
wer<strong>de</strong>n, wachsen und sterben. Mit seiner<br />
neuen dynamischen Krankheitslehre<br />
überwand er die antike 4-Humores-Doktrin,<br />
nach <strong>de</strong>r Krankheit auf <strong>de</strong>r unausgewogenen<br />
Mischung <strong>de</strong>r 4 Grundsäfte beruhte.<br />
Diese 4 Humores sind Blut (sanguinisch,<br />
salzig, Frühling), gelbe Galle (cholerisch,<br />
bitter, Sommer), schwarze Galle (melancholisch,<br />
sauer, Herbst) und Schleim<br />
(phlegmatisch, süß, Winter). Diese 4 statischen<br />
Elemente sind nach Paracelsus mit<br />
<strong>de</strong>n 3 chemischen Prozessen Sulfur, Mercurius<br />
und Sal durchwirkt (Ein Werk <strong>de</strong>s<br />
Dresdner Künstlers Hermann Glöckner,<br />
das die Durchdringung <strong>de</strong>r 4 durch die 3<br />
darstellt [Abb. 1], hing jahrelang in meinem<br />
Ar<strong>bei</strong>tszimmer).<br />
33
Abb. 1<br />
Der, in <strong>de</strong>ssen Hand alle Weisheit steht,<br />
hat eine dynamische Ordnung in die<br />
Natur gelegt. Bäume wachsen aus Samen,<br />
<strong>de</strong>r Birnbaum nach oben, <strong>de</strong>r Baum <strong>de</strong>r<br />
Erze nach unten. Der Mensch wächst aus<br />
<strong>de</strong>r Matrix (Gebärmutter). Durch die „Corporalität<br />
gleicher Prozesse“ 5 ist <strong>de</strong>r Mensch<br />
mit allem verknüpft. Im Zentrum hält er<br />
das Gewebe <strong>de</strong>s Makrokosmos in seiner<br />
Hand und bewegt es. Seinen Wi<strong>de</strong>rsachern<br />
wirft Paracelsus Irrtum vor, wenn sie die<br />
Pest aus <strong>de</strong>n 4 Körpersäften entspringen<br />
lassen: „Ge<strong>de</strong>nkt an das, was das sei, das <strong>de</strong>n<br />
Leib (von außen, RAM) vergiftet, und nit,<br />
wie <strong>de</strong>r Leib vergiftet da liegt.“ 6 Auch hier<br />
geht es um <strong>de</strong>n Vergiftungsprozess. Alle<br />
Krankheiten kommen aus Gift (von<br />
außen, RAM). 7 „Gift ist einer jeglichen Krankheit<br />
Anfang und durch das Gift wer<strong>de</strong>n alle<br />
Krankheiten.“ 8 Paracelsus will ergrün<strong>de</strong>n,<br />
wie das Gift, das Negative in die Welt<br />
kommt. Er geht zurück bis auf die erste<br />
Schöpfung <strong>de</strong>r Welt, zurück auf das „Mysterium<br />
Magnum“, das Große Wun<strong>de</strong>r, aus<br />
<strong>de</strong>m „alle <strong>Ges</strong>chöpfe im Himmel und auf<br />
Er<strong>de</strong>n und alle Elemente leben.“ 9 „Dieses<br />
M.M. das mag (kann, RAM) vergiftet wer<strong>de</strong>n“<br />
und dadurch <strong>de</strong>r Mensch. 10 Paracelsus<br />
benutzt häufig die Abkürzung M.M., die<br />
sich als Mysterium Magnum, aber auch als<br />
Magna Mater = Große Mutter <strong>de</strong>uten<br />
ließe. In seiner Schöpfungslehre verbin<strong>de</strong>t<br />
Paracelsus die biblische Genesis mit Vorchristlichem<br />
und Unchristlichem. 11 Paracelsus<br />
hat das selbst so gesehen, bezeich-<br />
34<br />
net er doch die ersten vier Bücher <strong>de</strong>s<br />
„Volumen Paramirum“ als heidnisch. Das<br />
„Volumen Paramirum“ hat fünf Bücher.<br />
Nach<strong>de</strong>m wir die 3 und die 4 behan<strong>de</strong>lt<br />
haben, wollen wir uns <strong>de</strong>r 5 zuwen<strong>de</strong>n,<br />
die <strong>bei</strong> Paracelsus durchaus auch symbolische<br />
Be<strong>de</strong>utung hat. Das Pentagramm<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Dru<strong>de</strong>nfuß fin<strong>de</strong>t sich <strong>bei</strong>m Aufschnei<strong>de</strong>n<br />
eines Apfels. Es ist das Symbol<br />
<strong>de</strong>r Göttin Kore, <strong>de</strong>r Heiligen Jungfrau <strong>de</strong>r<br />
Griechen. Seine Be<strong>de</strong>utung ist Schutz vor<br />
äußerer Krankheit (vgl. „Faust“, Studierzimmer<br />
I, Vers 1396). Eine beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung<br />
hat <strong>bei</strong> Paracelsus auch das Symbol<br />
<strong>de</strong>s Welten-Ei 12 : Die Sterne umgeben<br />
die ganze Welt wie die Schale das Ei.<br />
Durch die Schale kommt die Luft mit <strong>de</strong>m<br />
Sternengift und geht auf das Zentrum <strong>de</strong>r<br />
Welt, <strong>de</strong>n Menschen. 13 Zu <strong>de</strong>n Sternen<br />
o<strong>de</strong>r Astra nur so viel, dass sie in ihrem<br />
Lauf die Zeit geben. Sie sind im Gleichlauf<br />
mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Schwingungen und<br />
Rhythmen, die die Welt durchpulsen.<br />
Dazu fällt mir sofort <strong>de</strong>r Prolog im Himmel<br />
im “Faust“ ein: „Die Sonne tönt nach<br />
alter Weise/in Bru<strong>de</strong>rsphären Wettgesang.“<br />
Die Sterne geben chemische Prozesse und<br />
(neue) Krankheiten. Sie sind aber auch <strong>de</strong>r<br />
Ursprung <strong>de</strong>r menschlichen Kunstfertigkeit.<br />
Dies alles ist <strong>de</strong>r Zeit unterworfen.<br />
Nahrungskette/Netz <strong>de</strong>s Lebendigen<br />
Im Tractat „De ente veneni“, im Tractat<br />
von <strong>de</strong>r Vergiftung, beschreibt Paracelsus<br />
das, was wir heute als Nahrungskette bezeichnen.<br />
Der Ochse, wie er in seinem<br />
Ornat dasteht, ist in sich vollkommen und<br />
enthält kein Gift. 14 Statt Ochsenfleisch<br />
können wir auch einen guten Hasenbraten<br />
essen. Der Hase – wie ihn Dürer gemalt<br />
hat – ist nicht weniger schön als <strong>de</strong>r<br />
Ochse. Gebraucht 15,16 jedoch <strong>de</strong>r Mensch<br />
<strong>de</strong>n Ochsen zu seiner Nahrung, so isst er<br />
im Fleisch mit <strong>de</strong>m Guten auch Gift. Da<br />
wir Pflanzen und Tiere als Speise einnehmen<br />
müssen, hat uns Gott einen Alchemisten<br />
17 gesetzt, <strong>de</strong>r das Gift abtrennt und<br />
ausschei<strong>de</strong>t und das Gute in Eigenes ver-
wan<strong>de</strong>lt. Mo<strong>de</strong>rn gesprochen han<strong>de</strong>lt es<br />
sich hier um eine Ernährungslehre, die auf<br />
<strong>de</strong>r dynamischen Biochemie beruht. Die<br />
Körperzellen essen, während sie ar<strong>bei</strong>ten,<br />
so drückt das Prof. Lottspeich aus. Die<br />
netzartige Verbindung alles Lebendigen<br />
durch Nahrungsketten (Pflanzen – Tiere –<br />
Menschen) und die Ar<strong>bei</strong>t <strong>de</strong>s Alchemisten<br />
stellen sich für Paracelsus gleichsam als<br />
weiterwirken<strong>de</strong> Schöpfung dar. 18 Wird <strong>de</strong>r<br />
innere Alchemist, <strong>de</strong>n wir heute vor allem<br />
in <strong>de</strong>r Leber lokalisieren, mit unabbaubaren<br />
Giften konfrontiert, wie DDT und<br />
PCB’s, so können diese Stoffe nicht ausgeschie<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n und reichern sich in <strong>de</strong>r<br />
Nahrungskette Gras – Kuh – Mensch an.<br />
Man kann das auch alles zynisch sehen<br />
wie Gottfried Benn in seiner Sentenz:<br />
„Die Krone <strong>de</strong>r Schöpfung, <strong>de</strong>r Mensch,<br />
das Schwein.“<br />
Gleichnis vom Weiher/Umweltmedizin<br />
Paracelsus vergleicht <strong>de</strong>n Leib <strong>de</strong>s Menschen<br />
mit einem Fischweiher, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n<br />
Sternen vergiftet wird. 19 Die Fische „kommen<br />
aus <strong>de</strong>r Tiefe herauf an <strong>de</strong>n Tag, <strong>de</strong>nn sie<br />
vermeinen eine … unvergiftete Stätte zu fin<strong>de</strong>n.“<br />
„Der Arsenik, <strong>de</strong>r die Fische herfür treibt,<br />
... <strong>de</strong>r vergiftet auch die Menschen, dass sie nach<br />
<strong>de</strong>n Fischen krank wer<strong>de</strong>n“. Es „wer<strong>de</strong>n nit allein<br />
die Fische und Menschen vergiftet, son<strong>de</strong>rn<br />
auch die Früchte <strong>de</strong>r Fel<strong>de</strong>r und alles, das da<br />
lebt.“ Diese anschauliche Beschreibung<br />
dürfte auf die Umgebung einer Schmelzhütte<br />
zutreffen 20 , wie sie Paracelsus <strong>bei</strong> seiner<br />
Tätigkeit als Berglaborant und auf seinen<br />
Reisen – auch nach Sachsen – begegnet<br />
sein dürfte. 21 Bereits die Salzburger Bergordnung<br />
von 1477 bestimmte, dass „merklicher<br />
Scha<strong>de</strong>n durch Bergwerke wi<strong>de</strong>rkehrt<br />
(wie<strong>de</strong>r gutgemacht) wer<strong>de</strong>n sollte.” 22<br />
Kurfürst August von Sachsen erteilte 1564<br />
Hieronimus Zurich aus Nürnberg ein Patent,<br />
nach <strong>de</strong>m aus <strong>de</strong>m Hüttrauch das giftige<br />
Arsen aufgefangen wur<strong>de</strong>, so dass es<br />
nicht mehr „die Äcker, Wiesen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />
Früchte ver<strong>de</strong>rben sollte.“ 23 Betroffen<br />
von <strong>de</strong>n Rauchschä<strong>de</strong>n waren auch die<br />
kurfürstlichen Wäl<strong>de</strong>r um Grillenburg.<br />
Das Arsen wur<strong>de</strong> exportiert und brachte<br />
mehrere „Tonnen Gol<strong>de</strong>s an barem Gel<strong>de</strong><br />
ins Land“. Die Sachsen waren schon damals<br />
helle und machten aus giftigem<br />
Dreck Gold. Vielleicht gelingt es ihnen<br />
auch heute, Umweltschutz und Ökonomie<br />
nutzbringend zu verbin<strong>de</strong>n. – Nach<strong>de</strong>m<br />
im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt immer wie<strong>de</strong>r ähnliche<br />
Massenvergiftungen durch Schwermetalle<br />
aufgetreten sind, erkennen wir, dass<br />
Paracelsus <strong>de</strong>r erste war, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>rartige Umweltvergiftungen<br />
beschrieben und in größere<br />
Zusammenhänge eingeordnet hat. Die<br />
Erkenntnisse <strong>de</strong>s Paracelsus auf <strong>de</strong>m Gebiet<br />
<strong>de</strong>r Umweltmedizin sind bisher allerdings<br />
noch nicht umfassend untersucht und gewürdigt<br />
wor<strong>de</strong>n. 24<br />
Ar<strong>bei</strong>tsmedizin/Kosmologie<br />
Die Leistungen <strong>de</strong>s Hohenheimers auf<br />
einem an<strong>de</strong>ren Gebiet sind dagegen allgemein<br />
anerkannt: Mit seiner Schrift „Von<br />
<strong>de</strong>r Bergsucht“ gilt Paracelsus als Begrün<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>tsmedizin. Dank an Herrn<br />
Dr. Lauterbach und die DBG für die Herausgabe<br />
<strong>de</strong>r „Bergsucht“ in <strong>de</strong>n <strong>bei</strong><strong>de</strong>n<br />
schönen Bändchen. Sudhoff datierte diese<br />
Schrift auf „spätestens im Jahre 1543.“ 25<br />
Edwin Rosner kam auf Grund umfassen<strong>de</strong>r<br />
Textstudien zu <strong>de</strong>r Auffassung, dass<br />
das Werk 1522/23 nie<strong>de</strong>rgeschrieben wor<strong>de</strong>n<br />
ist. 26 Ingrid Kästner schließt sich in<br />
ihrer Paracelsus-Biographie <strong>de</strong>r Meinung<br />
von Rosner an. 27 – Gehen wir noch einmal<br />
zurück zu Hannah Arendt und ihrem<br />
Buch „Vom tätigen Leben.“ In § 35 charakterisiert<br />
sie unter <strong>de</strong>r Überschrift „Weltentfremdung“<br />
<strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>r Neuzeit mit<br />
<strong>de</strong>n Begriffen <strong>de</strong>r Ent<strong>de</strong>ckung und Erfindung.<br />
Was die Götter „gnädig be<strong>de</strong>ckt hatten<br />
mit Nacht und Grauen“, wur<strong>de</strong> jetzt<br />
aufge<strong>de</strong>ckt, ent-<strong>de</strong>ckt. Fin<strong>de</strong>n, erfin<strong>de</strong>n<br />
von lat. in-venire = hineinkommen. Nach<br />
<strong>de</strong>m Religionshistoriker Elia<strong>de</strong> stellt <strong>de</strong>r<br />
Bergbau für viele alte Religionen eine Verletzung<br />
<strong>de</strong>r Heiligkeit <strong>de</strong>r Erdmutter dar 28<br />
(Schmie<strong>de</strong> und Alchemisten, Mythos und<br />
35
Magie <strong>de</strong>r Machbarkeit). – Paracelsus <strong>de</strong>finiert<br />
die Bergsucht als Erkrankung „<strong>de</strong>r<br />
Erzleute, Schmelzer, Knappen und was<br />
<strong>de</strong>n Bergwerken verwandt ist.“ 29 Er bemerkt,<br />
dass von diesen Krankheiten <strong>bei</strong><br />
<strong>de</strong>n alten Skribenten nichts gefun<strong>de</strong>n<br />
wird. Huser, <strong>de</strong>r Herausgeber <strong>de</strong>s <strong>Ges</strong>amtwerks<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus, schreibt in seinem<br />
Vorwort 30 , dass „Neue Zeit neue Krankheiten<br />
und Künste hervorbringt“ und dürfte<br />
in dieser Darlegung mit Paracelsus’ Zeitbegriff<br />
und seiner Lehre von <strong>de</strong>n Sternen,<br />
<strong>de</strong>n Astra, übereinstimmen. 31 Einer Anregung<br />
von Prof. Goldammer folgend verknüpfte<br />
ich meine Ar<strong>bei</strong>ten zur Giftlehre<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus mit Studien zur Kosmologie<br />
<strong>de</strong>s Hohenheimers. Wie schon im „Volumen<br />
Paramirum“ von 1520 zeigt sich auch<br />
in <strong>de</strong>r „Bergsucht“ <strong>de</strong>r Doppelcharakter<br />
von „wissenschaftlicher“ und kosmologischer<br />
Betrachtungsweise. Paracelsus beschrieb<br />
zum einen <strong>de</strong>n Stoffwechsel, wenn<br />
er die Luft „als Speise <strong>de</strong>r Lunge“ 32 bezeichnet.<br />
Noch mehr aber beschäftigten<br />
ihn zum an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r Ursprung und die<br />
„<strong>Ges</strong>chichte“ <strong>de</strong>s Elements Luft. Gott als<br />
„höchster Fabricator“ hat „am ersten hinweg<br />
genommen <strong>de</strong>n Luft.“ 33 Erst danach<br />
sind die an<strong>de</strong>ren Elemente Feuer, Wasser<br />
und Er<strong>de</strong> separiert wor<strong>de</strong>n. Im „Volumen<br />
Paramirum“ heißt es dazu: „Der Luft<br />
kommt vom höchsten Gut und ist gewesen vor<br />
allen <strong>Ges</strong>chöpfen das aller erst.“ 34 „Das Element<br />
Luft ... ist geordnet als ... Haus <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren drei<br />
Elemente.“ 35 „Soweit <strong>de</strong>r Aer (Luft, RAM) umfasst,<br />
ist gewesen <strong>de</strong>r Stuhl Gottes und <strong>de</strong>r Centrum<br />
seines Reichs.“ 36 Im 3. Buch von <strong>de</strong>n<br />
Bergkrankheiten steht: „Wir Menschen alle<br />
... liegen in <strong>de</strong>r Mutter noch und die Matrix<br />
(Gebärmutter, RAM) hat uns noch alle umfangen...<br />
So sind alle Elemente und Generation<br />
(zu) ringweis um uns.“ Die Striemen <strong>de</strong>r<br />
Planeten gehen von <strong>de</strong>r Schale durch das<br />
Eiklar ins Centrum zum Menschen, <strong>de</strong>r<br />
„das minste (Min<strong>de</strong>ste, Kleinste, RAM) und<br />
doch alles“ 37 ist. Valentin Weigel übernimmt<br />
in seinem Werk „Vom Ort <strong>de</strong>r Welt“ von<br />
Paracelsus das Gleichnis vom Welten-Ei<br />
36<br />
und stellt es <strong>de</strong>r „ewigen Weite“ <strong>de</strong>s Himmelreichs<br />
gegenüber. 38 Paracelsus vergleicht<br />
die durch Luft zusammengehaltene<br />
„tötliche“ (im Gegensatz zur ewigen, RAM)<br />
Welt mit einem Weiher und mit einer<br />
Stadt. 39 Be<strong>de</strong>nkenswert ist, dass Weiher<br />
und Stadt, auch <strong>de</strong>r Baum Symbole <strong>de</strong>s<br />
Makrokosmos und zugleich Mariensymbole<br />
darstellen, wie auch das Gleichnis<br />
vom Welten-Ei auf Weibliches verweist.<br />
Oft verwen<strong>de</strong>t Paracelsus in <strong>de</strong>r „Bergsucht“<br />
für Luft <strong>de</strong>n Begriff Chaos, <strong>de</strong>r auf<br />
das Tohuwabohu <strong>de</strong>r Schöpfungsgeschichte<br />
verweist. Walker sieht in diesem Urchaos<br />
die Formlosigkeit zwischen <strong>de</strong>r Zerstörung<br />
<strong>de</strong>r einen und <strong>de</strong>r Erschaffung <strong>de</strong>r<br />
nächsten Welt. 40<br />
Der „Mineralien-Himmel“<br />
Im Berg gibt es nach Paracelsus einen eigenen<br />
Himmel, aus <strong>de</strong>m die Mineralien<br />
gleichsam wie die Sterne ihre Wirkung in<br />
das Chaos geben 41 und dadurch die Bergleute<br />
chronisch vergiften. 42 Paracelsus’<br />
neuer Blick auf <strong>de</strong>n Kosmos fin<strong>de</strong>t sich<br />
auch in <strong>de</strong>r sächsischen Bergmannssage<br />
„Der Traum von <strong>de</strong>n gol<strong>de</strong>nen Eiern“ 43 :<br />
Dem Bergmann Daniel Knappe erschien<br />
im Traum ein Engel und sprach: „Gehe<br />
morgen zum Fuß <strong>de</strong>s Schreckenberges.<br />
Dort ragt eine Tanne hoch über alle<br />
Bäume <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s hervor. In ihren Zweigen<br />
wirst Du ein Nest mit gol<strong>de</strong>nen Eiern<br />
fin<strong>de</strong>n: dies ist Dein, brauche es wohl!“<br />
Daniel Knappe fand aber nichts. Er sann<br />
hin und her, und da<strong>bei</strong> fiel ihm ein, dass<br />
unter <strong>de</strong>n Zweigen wohl auch die Wurzeln<br />
<strong>de</strong>r Tanne verstan<strong>de</strong>n sein könnten. Er<br />
schürfte und fand mächtige, nach allen<br />
Seiten streichen<strong>de</strong> Silbergänge. Tausen<strong>de</strong><br />
zogen herzu, um sich in <strong>de</strong>r bisher so wil<strong>de</strong>n<br />
Gegend anzusie<strong>de</strong>ln. Am 21. September<br />
1496 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Grundstein zum ersten<br />
Haus <strong>de</strong>r neuen Bergstadt Annaberg<br />
gelegt. Zum An<strong>de</strong>nken an Daniel Knappe<br />
aber heißen noch heute die Bergleute die<br />
Knappen und ihre Gemeinschaft die<br />
Knappschaft. – Hans Hesse malte im Auf-
trag <strong>de</strong>r Annaberger Bergknappschaft 1521<br />
<strong>de</strong>n Bergaltar, auf <strong>de</strong>m die Sage von <strong>de</strong>r<br />
Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r Annaberger Silberschätze<br />
dargestellt wird (Abb. 2).<br />
Neben <strong>de</strong>r großen Tanne fin<strong>de</strong>n sich<br />
nur wenige Bäume in dieser Erzgebirgslandschaft,<br />
die zugleich eine Weltlandschaft<br />
darstellt. Stellt die große Tanne<br />
einen Baum aus <strong>de</strong>m Paradies dar? Aber<br />
warum ist in <strong>de</strong>n Stamm die Axt geschlagen?<br />
Ist es die Streitaxt, die wir nach Jean<br />
Paul an <strong>de</strong>n Lebensbaum – und nun<br />
schon selbst an <strong>de</strong>n Baum <strong>de</strong>r Erkenntnis<br />
– gelegt haben? Das ist Stoff zum Nach<strong>de</strong>nken.<br />
Auch Paracelsus sah unterirdisch <strong>de</strong>n<br />
Mineralienbaum wachsen, ein Ast reichte<br />
in die Alpen, ein an<strong>de</strong>rer Ast nach Joachimstal,<br />
ein an<strong>de</strong>rer nach Siebenbürgen44 Abb. 2<br />
(Zu DDR-Zeiten war es uns ein Trost und<br />
eine Hoffnung, dass die Welt ohne Rücksicht<br />
auf wi<strong>de</strong>rnatürliche Grenzen unterirdisch<br />
zusammenhing). – Der eine Baum<br />
wächst nach oben, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re nach unten,<br />
<strong>bei</strong><strong>de</strong> bil<strong>de</strong>n Äste mit Früchten: Paracelsus<br />
spricht von <strong>de</strong>r „Corporalität gleicher<br />
Prozesse.“ 45 Alles wächst aus <strong>de</strong>m Samen.<br />
Was <strong>de</strong>n Baum vergiftet, das vergiftet die<br />
Matrix (Gebärmutter). 46 Dieser Satz machte<br />
uns betroffen, als die Wäl<strong>de</strong>r im Erzgebirge<br />
und im Isergebirge starben. 47 Die<br />
Antwort hieß damals: „Global <strong>de</strong>nken –<br />
lokal han<strong>de</strong>ln“. Hat sich das wirklich alles<br />
erledigt, nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Kapitalismus sein<br />
dunkles Spiegelbild endgültig besiegt hat?<br />
Aufgabe <strong>de</strong>s Arztes<br />
Nach Paracelsus ist es die Aufgabe <strong>de</strong>s<br />
Arztes, die Gefahren <strong>bei</strong>m Umgang mit<br />
giftigen Metallen zu erkennen und ihnen<br />
zuvorzukommen. Paracelsus unterschei<strong>de</strong>t<br />
die akute Arsenvergiftung durch Einnehmen<br />
(Tod „in 10 Stun<strong>de</strong>n“) von <strong>de</strong>r chronischen<br />
durch Spiritus = Dämpfe (Tod „in<br />
10 Jahren“) mit gleichen Vergiftungs“zeichen“,<br />
z.B. Leberschä<strong>de</strong>n. 48 Paracelsus war<br />
die Wirkung <strong>de</strong>s Arsen nach oraler Aufnahme<br />
also durchaus bekannt, ob durch<br />
Gabe an Patienten o<strong>de</strong>r durch Selbstversuche<br />
kann nur vermutet wer<strong>de</strong>n. Folgen<strong>de</strong>s<br />
Zitat aus <strong>de</strong>m Osterspaziergang <strong>de</strong>s<br />
„Faust“ bezieht sich nach meiner Ansicht<br />
auf Paracelsus und seinen Vater, <strong>de</strong>r durchaus<br />
nicht abschätzig als „dunkler Ehrenmann“,<br />
als Alchemist, bezeichnet wird:<br />
„So haben wir mit höllischen Latwergen<br />
In diesen Tälern, diesen Bergen<br />
Weit schlimmer als die Pest getobt.<br />
Ich habe selbst <strong>de</strong>n Gift an Tausen<strong>de</strong> gegeben,<br />
Sie welkten hin, ich muss erleben,<br />
Dass man die frechen Mör<strong>de</strong>r lobt.“ 49<br />
Ärztliches Han<strong>de</strong>ln bleibt immer ambivalent.<br />
Je<strong>de</strong>s Ding hat zwei Seiten. Gift<br />
steht immer <strong>bei</strong>m Guten. Ungeachtet <strong>de</strong>r<br />
Gefahren durch <strong>de</strong>n Hüttrauch „wills Gott<br />
(al)so haben, dass die Schätze und Wun<strong>de</strong>rwerke<br />
Gottes ... erforscht ... wer<strong>de</strong>n.” Der Arzt ist<br />
geschaffen, „dass er fürkomme und wen<strong>de</strong> die<br />
Krankheiten, so auf ... Erforschung göttlicher<br />
Ordnung einfallen.“ 50<br />
Paracelsus glaubte: „Was uns durch unsere<br />
Hän<strong>de</strong> schädlich mag sein, das wird durch unsere<br />
Hän<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r zur Arznei (Heilung,<br />
37
RAM) gebracht.“ 51 Diese Hoffnung können<br />
wir heute nicht mehr teilen. Auch die<br />
Sehnsucht nach Frie<strong>de</strong>n zwischen <strong>de</strong>n<br />
Menschen und mit <strong>de</strong>r Natur, die unsere<br />
Kin<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung „Schwerter zu<br />
Pflugscharen“ (Jes 2,4) so mutig vertraten,<br />
blieb Utopie. Unsere Welt bleibt ständig<br />
bedroht (vgl. Dürer: Die Große Kanone).<br />
Wenn unsere Bemühungen nichts fruchten,<br />
wenn Wissenschaft immer zwiespältig<br />
ist, soll man da untätig bleiben? Nach Paracelsus<br />
will <strong>de</strong>r Teufel <strong>de</strong>n Menschen zur<br />
Faulheit verführen. Paracelsus entgegnet:<br />
„Der Gott nicht erkennt, <strong>de</strong>r liebt ihn nicht...<br />
Der Maria nicht kennt, <strong>de</strong>r liebt sie nicht. Der<br />
die Natur nicht kennt, <strong>de</strong>r liebt sie nicht… Der<br />
nichts erkennt, tut nichts.“ 52 Wenn <strong>de</strong>r<br />
Mensch die Natur nicht gründlich versteht,<br />
so wird er sie missbrauchen. 53 „Wie<br />
<strong>de</strong>r Alchemist <strong>de</strong>r Natur werket, (al)so sollt ihr<br />
auch werken.” 54 Der Werken<strong>de</strong> steht in <strong>de</strong>r<br />
Verantwortung vor <strong>de</strong>m sprechen<strong>de</strong>n Angesicht<br />
<strong>de</strong>s An<strong>de</strong>ren (Levinas) und – so<br />
möchte ich mit Paracelsus hinzufügen –<br />
auch in <strong>de</strong>r Verantwortung vor <strong>de</strong>m „Angesicht<br />
<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>.“ 55 Zum rechten Gebrauch<br />
<strong>de</strong>r Natur muss jedoch <strong>de</strong>r Mensch<br />
„frei sein in seinen Gaben“, dass ihn also niemand<br />
zwingt, seine Gabe „zu versperren<br />
o<strong>de</strong>r zu verkaufen.“ 56 In <strong>de</strong>m Reclam-Büchlein,<br />
das 1973 in <strong>de</strong>r DDR erschien, zitierten<br />
Löther und Wollgast Paracelsus dahin-<br />
1 Arendt, H.: Vita activa, R. Piper & Co, München,<br />
1967, S. 244.<br />
2 Safranski, R.: Ein Meister aus Deutschland,<br />
Hei<strong>de</strong>gger und seine Zeit, Fischer Frankfurt am<br />
Main 1998, S. 124/5.<br />
3 SI, 165: Volumen Paramirum, Prologus (Im Folgen<strong>de</strong>n<br />
be<strong>de</strong>utet SI,II,III folg.: 1.,2.,3. folg.<br />
Band <strong>de</strong>r Sudhoff-Ausgabe, gefolgt von <strong>de</strong>r Seitenzahl).<br />
4 Arendt, H.: Vita activa, S. 289: In <strong>de</strong>r Neuzeit<br />
sind die Gegenstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Erfahrung Entstehungsprozesse<br />
und nicht Dinge.<br />
38<br />
LITERATUR<br />
gehend, dass eine schlechte Obrigkeit<br />
wirke wie Gift im Körper. Mit Freu<strong>de</strong> bezogen<br />
wir diese Aussage natürlich auf die<br />
Herrschaft <strong>de</strong>r Partei, die alles Lebendige<br />
lähmte und versperrte. Heute dagegen<br />
müssen sich viele mit ihren Gaben verkaufen.<br />
In <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Systemen wird also die<br />
Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen verletzt. Mit Wehmut<br />
und Stolz <strong>de</strong>nken wir an <strong>de</strong>n Herbst<br />
1989, als wir in <strong>de</strong>r Tradition von Mahatma<br />
Gandhi und Martin Luther King unsere<br />
gewaltfreie Revolution durchführten,<br />
in<strong>de</strong>m wir friedlich eine gute Obrigkeit<br />
einfor<strong>de</strong>rten. Auf <strong>de</strong>r Millionen<strong>de</strong>mo in<br />
Berlin zitierte Friedrich Schorlemmer<br />
einen Ausspruch von Luther: „Lasset die<br />
Geister aufeinan<strong>de</strong>rprallen, die Fäuste aber haltet<br />
still.“ Für kurze Zeit stand uns damals<br />
<strong>de</strong>r Himmel offen. Der Mensch wur<strong>de</strong><br />
zum „Tempel, in <strong>de</strong>m Gott wohnt“ 57 und han<strong>de</strong>lt,<br />
o<strong>de</strong>r wie Paracelsus an an<strong>de</strong>rer Stelle<br />
schreibt: “Die Welt ist das Haus Gottes ... da<br />
wer<strong>de</strong>n bleiben vom Menschen das Herz und<br />
von <strong>de</strong>r Welt das Geblühe.” 58<br />
Noch einmal bedanke ich mich <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />
Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft. Beson<strong>de</strong>rs<br />
aber bedanke ich mich <strong>bei</strong> meiner<br />
Frau Brigitte, ohne die diese Ar<strong>bei</strong>t nicht<br />
zu Stan<strong>de</strong> gekommen wäre. Den Zuhörer-<br />
Innen danke ich für Aufmerksamkeit und<br />
Diskussion.<br />
5 SIII, 39: <strong>de</strong> Mineralibus.<br />
6 SI, 172: Volumen Paramirum, Prologus.<br />
7 SII, 68: Von <strong>de</strong>m Terpentin.<br />
8 SI, 185: Volumen Paramirum, <strong>de</strong> ente astrorum,<br />
Cap. IX.<br />
9 SI, 182: <strong>de</strong> ente astrorum, Cap. VI.<br />
10 SI, 183/4: <strong>de</strong> ente astrorum, Cap. VII.<br />
11 Achelis, J. D.: Paracelsus – Volumen Paramirum,<br />
Die<strong>de</strong>richs, Jena 1928 (im Folgen<strong>de</strong>n: Achelis),<br />
S. 128.<br />
12 SI, 184: <strong>de</strong> ente astrorum, Cap. VIII.<br />
13 Achelis S. 131.
14 SI, 199: <strong>de</strong> ente veneni, Cap. XIII.<br />
15 SI, 190: <strong>de</strong> ente veneni, Cap. II.<br />
16, 17<br />
SI, 194: <strong>de</strong> ente veneni, Cap. VII.<br />
18 SI, 191: <strong>de</strong> ente veneni, Cap. IV.<br />
19 SI, 185–187: <strong>de</strong> ente astrorum, Cap. IX–XI, vgl.<br />
auch SI, 237: Zwei Bruchstücke zu <strong>de</strong> ente astrorum.<br />
20 Meyer, R.A.: Vom Umgang mit Frem<strong>de</strong>m: Alle<br />
Ding sind Gift und nichts ohn Gift – die 3. Defension<br />
<strong>de</strong>s Paracelsus, Vortrag vor <strong>de</strong>r Internationalen<br />
Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft am 29. Sept.<br />
1990 in Salzburg.<br />
21 Gruber, F.: Bergbaubedingte Umweltprobleme<br />
zur Zeit <strong>de</strong>s Paracelsus, in: Dopsch, H., Goldammer,<br />
K., Kramml, P.F.: Paracelsus (1493–1541)<br />
„Keines an<strong>de</strong>rn Knecht...“, Verlag Anton Pustet,<br />
Salzburg 1993, S. 333–338.<br />
22 Ludwig, K.-H.: Die Frühentwicklung <strong>de</strong>s E<strong>de</strong>lmetallbergbaus<br />
im Gastein/Rauriser Montanrevier<br />
und die bergmännischen Lebensumstän<strong>de</strong><br />
zur Zeit <strong>de</strong>s Paracelsus, in: Dopsch, H., Kramml,<br />
P.F.: Paracelsus und Salzburg, <strong>Ges</strong>ellschaft für<br />
Salzburger Lan<strong>de</strong>skun<strong>de</strong>, 1994, S. 414, Anm.18,<br />
S. 430.<br />
23 Creutz, H.-J., <strong>de</strong>r neuerer 33 (1984), 42.<br />
24 Meyer, R.A.: Umwelttoxikologische Ansätze im<br />
Werk <strong>de</strong>s Paracelsus, Vortrag vor <strong>de</strong>r AG „Chemische<br />
Toxikologie“ am 13. Dez. 1984 in Erfurt.<br />
25 S IX, 25.<br />
26 Rosner, E.: Die Schrift <strong>de</strong>s Paracelsus über die<br />
Erkrankungen im Bergbau und ihre Be<strong>de</strong>utung<br />
in <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Medizin, in: Dopsch, H.,<br />
Kramml, P. F.: Paracelsus und Salzburg, <strong>Ges</strong>ellschaft<br />
für Salzburger Lan<strong>de</strong>skun<strong>de</strong>, 1994, S.<br />
445–460, bes. Anm. 25, S. 446/456.<br />
27 Kästner, I.: Paracelsus, Teubner, Leipzig, 2. Auflage<br />
1989, S.61.<br />
28 Elia<strong>de</strong>, M.: Schmie<strong>de</strong> und Alchemisten, Mythos<br />
und Magie <strong>de</strong>r Machbarkeit, Her<strong>de</strong>r, Freiburg,<br />
Basel, Wien 1992.<br />
29 SIX, 463: Bergsucht.<br />
30 Lauterbach, W. (Hrsg.): <strong>Bombastus</strong> Paracelsus<br />
von Hohenheim: Abhandlungen über die Bergsucht,<br />
nach <strong>de</strong>r Huser-Ausgabe von 1589-91,<br />
Neuauflage mit Vorwort von 1616, Jens-Kugler-<br />
Verlag, Kleinvoigtsberg (Sachsen) 2001, S. 13.<br />
31 Meyer, R.A.: Verän<strong>de</strong>rung und Verän<strong>de</strong>rbarkeit<br />
<strong>de</strong>r Welt im Werk <strong>de</strong>s Paracelsus, TU Dres<strong>de</strong>n<br />
1971, S. 20ff.<br />
32 SIX, 465: Bergsucht.<br />
33 SXIII, 13: Philosophia <strong>de</strong> generationibus et<br />
fructibus quatuor elementorum: Liber primus:<br />
<strong>de</strong> elemento aeris (Frühwerk von 1525/6).<br />
34 SI, 183: Volumen Paramirum, Tractatus <strong>de</strong> ente<br />
astrorum, Cap.VII.<br />
35 SXIII, 15: Philosophia <strong>de</strong> generationibus…<br />
36 SXIII, 12: Philosophia <strong>de</strong> generationibus…<br />
37 SIX, 527/8, vgl. auch oben SI, 184.<br />
38 Wollgast, S.: Valentin Weigel – Ausgewählte<br />
Werke, Union-Verlag, Berlin 1977, S. 263, 265.<br />
39 SXIII, 15: Philosophia <strong>de</strong> generationibus...<br />
40 Walker, Barbara G.: Das geheime Wissen <strong>de</strong>r<br />
Frauen, Deutscher Taschenbuchverlag, München<br />
1995, S. 1097.<br />
41 SIX, 475: Bergsucht.<br />
42 SIX, 479: Bergsucht.<br />
43 Gräße, J.G.T.: Der Sagenschatz <strong>de</strong>s Königreichs<br />
Sachsen, Dres<strong>de</strong>n 1874, S. 464.<br />
44 SIII, 40: <strong>de</strong> Mineralibus.<br />
45 SIII, 39: <strong>de</strong> Mineralibus.<br />
46 SIX, 212: Opus paramirum, <strong>de</strong> matrice (1531).<br />
47 Meyer, R.A.: Paracelsus zur gefähr<strong>de</strong>ten Schöpfung<br />
und zur Verantwortung <strong>de</strong>s Menschen,<br />
Briefe zur Orientierung im Konflikt Mensch –<br />
Er<strong>de</strong>, Kirchliches Forschungsheim Wittenberg,<br />
Nr. 13, 1986, S. 7–9.<br />
48 SIX, 478: Bergsucht.<br />
49 „Faust“, Verse 1050ff.<br />
50 SIX, 492: Bergsucht.<br />
51 SIX, 482: Bergsucht.<br />
52 SXI, 207: Labyrinthus... (1537/8).<br />
53 SIII, 31: <strong>de</strong> Mineralibus.<br />
54 SI, 200: Volumen Paramirum, <strong>de</strong> ente veneni.<br />
55 SI, 186: Volumen Paramirum, <strong>de</strong> ente astrorum.<br />
56 Matthießen, W.: Paracelsus, Sämtliche Werke,<br />
II. Abteilung, 1. Band, Barth, München 1923,<br />
S. 159: De felici liberalitate.<br />
57 Goldammer, K., Weimann, K.-H., Paracelsus,<br />
Vom Licht <strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>s Geistes, Reclam,<br />
Stuttgart 1993, S. 217: 2. Mt.-Kommentar.<br />
58 SXIII, 12: Philosophia <strong>de</strong> generationibus...: <strong>de</strong><br />
elemento aeris.<br />
Dr. Rolf A. Meyer · Corinthstraße 27 · 01219 Dres<strong>de</strong>n<br />
Vortrag im Kulturpalast Dres<strong>de</strong>n am 26. November 2003<br />
39
1. Der Streit um <strong>de</strong>n Hintergrund <strong>de</strong>s<br />
Wortes in <strong>de</strong>r Scholastik<br />
2. Paracelsus zu Kraft und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />
Wortes<br />
3. Das Wort – eine Buchstabenfolge?<br />
1. Der Streit um <strong>de</strong>n Hintergrund <strong>de</strong>s<br />
Wortes in <strong>de</strong>r Scholastik<br />
Im so genannten Universalienstreit <strong>de</strong>r<br />
Frühscholastik <strong>de</strong>battierten be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />
Persönlichkeiten über die Ontologie <strong>de</strong>r<br />
Universalien, d. h. über die Lehre vom<br />
Sein <strong>de</strong>r Allgemeinbegriffe. Aus <strong>de</strong>n vielfältigen<br />
und hochdifferenzierten Theorien<br />
zu diesem Problem entwickelten sich zwei<br />
Richtungen, die die folgen<strong>de</strong>n Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />
bis in die Gegenwart beeinflussten: Nominalismus<br />
und Realismus (nomen, lat.<br />
= Name, nominatio = Benennung, Namen<strong>bei</strong>legung).<br />
Für die Nominalisten wird <strong>de</strong>m Begriff<br />
nur eine logische Funktion bezüglich <strong>de</strong>r<br />
Aussagbarkeit zugestan<strong>de</strong>n. Das Allgemeine<br />
kommt – im Gegensatz zum Beson<strong>de</strong>ren<br />
– in <strong>de</strong>r Wirklichkeit nicht vor (es<br />
gibt zwar „Menschen“, aber nicht „<strong>de</strong>n<br />
Menschen“). Wörter drücken Allgemeinbegriffe<br />
aus, die es uns möglich machen,<br />
überhaupt etwas zur Sprache zu bringen.<br />
Wörter dürften uns aber nicht darüber<br />
hinwegtäuschen (so die Nominalisten),<br />
dass jegliche „Ordnung <strong>de</strong>r Dinge“ nichts<br />
als ein Gedankengebäu<strong>de</strong> darstellt.<br />
Begrün<strong>de</strong>r eines extremen Nominalismus<br />
war Roscelin von Compiègne (um<br />
1045 – nach 1120). Für ihn war <strong>de</strong>r Allgemeinbegriff<br />
nur ein „Worthauch“ (flatus<br />
vocis) und <strong>de</strong>mzufolge z. B. die Dreieinigkeit<br />
Gottes eine bloße Dreizahl. Es ist<br />
nachvollziehbar, dass die meisten Vertreter<br />
<strong>de</strong>r Scholastik je<strong>de</strong> Spielart <strong>de</strong>s Nominalismus<br />
als Irrlehre behan<strong>de</strong>lten. Für die Nominalisten<br />
existierte nur das Wort, die<br />
Buchstabenfolge, nicht aber die hinter<br />
40<br />
Günter Ickert<br />
„DRUMB SO IST DAS WORT DO, DAS DICH LERNEN SOL“<br />
– Paracelsus zu Kraft und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Wortes –<br />
<strong>de</strong>m Wort stehen<strong>de</strong> geistige Wirklichkeit<br />
(Realität).<br />
Die Nominalisten haben <strong>de</strong>n Streit<br />
zweifellos gewonnen, „in<strong>de</strong>m ihre Haltung<br />
zur mo<strong>de</strong>rnen Naturwissenschaft und Technik<br />
führte, <strong>de</strong>nn dazu reichte sie aus. Heute in<strong>de</strong>ssen<br />
reicht sie nicht mehr aus, da ihr Zerstörungspotential<br />
sichtbar wird“ 1 In seinem<br />
auch verfilmten Roman „Der Name <strong>de</strong>r<br />
Rose“ formuliert Umberto Eco (italienischer<br />
Sprachwissenschaftler, geb. 1932):<br />
„Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus“<br />
(Die Rose von einst steht nur noch<br />
als Name, uns bleiben nur nackte<br />
Namen) 2 .<br />
Die Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Realismus (realis, lat.<br />
= wirklich) fußten weitgehend auf <strong>de</strong>n<br />
Lehren Platons (427–347 v. Chr.) und Aristoteles‘<br />
(394–322 v. Chr.) und vertraten<br />
die Auffassung, dass <strong>de</strong>r Begriff die Substanz<br />
<strong>de</strong>r Dinge wi<strong>de</strong>rspiegele, dass das begriffliche<br />
Allgemeine auch außerhalb <strong>de</strong>s<br />
menschlichen Denkens existiert und wirklich<br />
ist. Be<strong>de</strong>utendster Vertreter <strong>de</strong>s Realismus<br />
und überragen<strong>de</strong> <strong>Ges</strong>talt <strong>de</strong>r Scholastik<br />
war Thomas von Aquin (um 1224/<br />
1225–1274), <strong>de</strong>r auch „doctor angelicus“<br />
(<strong>de</strong>r engelsgleiche Lehrer) wegen seiner<br />
Sanftmut und Lauterkeit genannt wur<strong>de</strong>.<br />
Der aristotelische Realismus fin<strong>de</strong>t sich <strong>bei</strong><br />
Thomas von Aquin, <strong>de</strong>r das Universale<br />
„in re“ (res, lat. = Sache, Wesen, Gegenstand,<br />
Erscheinung, Wirklichkeit, Wahrheit)<br />
als Substanz, „post rem“ im Intellekt<br />
(post, lat. = hinter) und „ante rem“ (ante,<br />
lat. = vor) in Gott als I<strong>de</strong>e postuliert (=<br />
feststellt). Realisten sehen also das Geistige<br />
hinter <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>r Dinge.<br />
2. Paracelsus zu Kraft und Be<strong>de</strong>utung<br />
<strong>de</strong>s Wortes<br />
Die historische Betrachtung war erfor<strong>de</strong>rlich,<br />
um <strong>de</strong>n Hintergrund aufzuhellen,<br />
vor <strong>de</strong>m sich möglicherweise die paracelsi-
schen Auffassungen von Kraft und Be<strong>de</strong>utung<br />
<strong>de</strong>s Wortes abheben. Der äußerst belesene<br />
Hohenheimer könnte sich durchaus<br />
auch mit <strong>de</strong>m so genannten<br />
Universalienstreit beschäftigt haben. Seine<br />
Auffassung von Kraft und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />
Wortes ist jedoch eine eigenständige und<br />
Bestandteil seiner kosmischen Sicht allen<br />
<strong>Ges</strong>chehens.<br />
Der Christ Paracelsus weiß um die Quelle<br />
<strong>de</strong>r Kraft:<br />
„und in summa, das vom wort gottes alle kreft<br />
gehen und das das wort alle kraft in im hat und<br />
sovil mer, das alle natur in iren kreften sovil<br />
nicht vermag, das alein in einem wort ist“ 3 .<br />
Diese grundsätzliche Aussage verdichtet<br />
<strong>de</strong>r Hohenheimer mit folgen<strong>de</strong>n Worten:<br />
„so nun aber got die welt beschafen hat, nicht<br />
unsichtbar zu sein, son<strong>de</strong>rn sichtbar, das ist, er<br />
hat sie beschaffen, die vorhin nichts gewesen ist,<br />
und aus <strong>de</strong>m das nichts gewesen ist himel und<br />
er<strong>de</strong>n beschaffen, und also sein wort, das unsichtbar<br />
gewesen ist, sichtbar gemacht, als das<br />
sein wort ist wor<strong>de</strong>n, das wir greifen und sehen.<br />
dan got erfreuet sich gleich so wol im sichtbaren<br />
als im unsichtbaren, in <strong>de</strong>m das sein wort materialisch,<br />
substantialisch wor<strong>de</strong>n ist, darumb es<br />
got wolgefalen, was er gemacht hat“ 4 .<br />
Nach<strong>de</strong>m Paracelsus formulierte, dass<br />
Gottes Wort i<strong>de</strong>ntisch ist mit Gottes Kraft,<br />
erkennt er die logische Konsequenz, dass<br />
sich die unsichtbare Kraft verstofflichen<br />
muss, um für <strong>de</strong>n stofflichen Menschen in<br />
<strong>de</strong>r Welt von Raum und Zeit erkennbar<br />
und nutzbar zu wer<strong>de</strong>n. Die Welt von Zeit<br />
und Raum, unser Lebensraum, ist „materialisch,<br />
substantialisch“ gewor<strong>de</strong>ne Kraft<br />
Gottes. Da es Gottes erklärtes Ziel ist, <strong>de</strong>n<br />
Menschen aus seiner Stofflichkeit zurückzuführen<br />
in sein Reich, betrachtet <strong>de</strong>r Hohenheimer<br />
die „Verstofflichung“ göttlicher<br />
Kraft als Hilfe für <strong>de</strong>n Menschen:<br />
„die geister und himlischen kreften können<br />
uns nicht an<strong>de</strong>rst helfen, dan durch die namen<br />
und wörter. so wir sie haben, so haben wir <strong>de</strong>n<br />
garten ir arznei. nun wissen also, das natürlich<br />
arznei ist, <strong>de</strong>r nam wie ein kraut, das kraut wie<br />
ein nam, alein un<strong>de</strong>rschi<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r sichtigen<br />
und unsichtigen natur“ 5 .<br />
Gottes Kraft wird uns aber nicht nur zuteil<br />
durch „namen und wörter“, son<strong>de</strong>rn<br />
z.B. auch durch die Heilkräuter:<br />
„aus <strong>de</strong>m folgt nun, das die natur jr krefte<br />
in die wörter sezet wie in kreuter und in die<br />
wurzen“ 6 .<br />
„vermag ein Kraut ein Kraft, und das Kraut<br />
ist sichtbar und ist greiflich und ist natürlich, so<br />
vermags auch das Wort, wiewohl es unsichtbar<br />
ist und nit greiflich, aber natürlich“ 7 .<br />
Gottes Kraft ist quasi <strong>de</strong>poniert in <strong>de</strong>n<br />
Wirkstoffen einer Heilpflanze. Gottes<br />
Kraft wird freigesetzt in uns, wenn wir die<br />
Heilpflanze anwen<strong>de</strong>n. Deshalb ist Paracelsus<br />
so konsequent gegen das „componiren“<br />
von Rezepten, <strong>de</strong>nn: „wer ist <strong>de</strong>r da<br />
componirt hat das recept <strong>de</strong>r natur? hat es nicht<br />
got getan? warumb wollt ich im sein compositum<br />
verachten?“ 8<br />
Weil Paracelsus um die Kraft <strong>de</strong>s Wortes<br />
und <strong>de</strong>r Namen weiß, ist er folgerichtig gezwungen,<br />
unzutreffen<strong>de</strong> (d. h. kraft- und<br />
be<strong>de</strong>utungslose) Namen auszuwechseln<br />
gegen neue, die seinen Intentionen entsprechen.<br />
In <strong>de</strong>n „Septem Defensiones“<br />
verteidigt er seine Überzeugung:<br />
„mir ist auch begegnet (vorgehalten wor<strong>de</strong>n<br />
– GI), das ich <strong>de</strong>n krankheiten neue nomina<br />
gebe, die niemant erkenne noch verstehe, warumb<br />
ich nit bleib <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n alten nominibus? wie<br />
kan ich die alten nomina brauchen, dieweil sie<br />
nicht gehen aus <strong>de</strong>m grunt, aus <strong>de</strong>m die krankheit<br />
entspringt“ 9 .<br />
„also sollen die namen aus <strong>de</strong>m grund gon<br />
und im grund und nit in <strong>de</strong>r fantasei“ 10<br />
„grunt“ ist das „Licht <strong>de</strong>r Natur“, und<br />
einen Menschen im Licht <strong>de</strong>r Natur erkennt<br />
Gott an <strong>de</strong>ssen Herzen.<br />
Wörter und Namen sind für Paracelsus<br />
nicht nur Buchstabenfolgen, Hülsen, Verpackungen<br />
ohne Inhalt und Wirkung, son<strong>de</strong>rn<br />
Gottes Kraft, die wir „greifen und sehen“.<br />
Aus seinem Verständnis von <strong>de</strong>n Wechselwirkungen<br />
zwischen Makrokosmos und<br />
Mikrokosmos ist <strong>de</strong>r Mensch als <strong>Ges</strong>chöpf<br />
Gottes mit <strong>de</strong>r Kraft Gottes versehen wor<strong>de</strong>n<br />
– in sich und in seinem Lebensraum:<br />
41
„alein das jr verstan<strong>de</strong>nt das <strong>de</strong>r mensch die<br />
klein welt ist ... in allen kreften und tugen<strong>de</strong>n<br />
wie die groß welt ist. aus <strong>de</strong>m <strong>de</strong>m menschen<br />
nun folget <strong>de</strong>r e<strong>de</strong>l nam microcosmus ... was ist<br />
auf er<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s natur und kraft nit im menschen<br />
sei?“ 11<br />
„drumb so ist das wort do, das dich lernen<br />
sol“ 12<br />
Paracelsus gewann diese Sicht als Christ.<br />
Sein religiöses Nach<strong>de</strong>nken musste er<br />
schon zu Lebzeiten rechtfertigen:<br />
„ich bin ein Creatur Gottes, erlöset mit seinem<br />
Blut, damit gespeiset und getrinket in die<br />
neu Gepurt, ein vollmächtiger Christ“ 13 . Auch<br />
<strong>de</strong>r Physiker und Nobelpreisträger Max<br />
Planck (1858–1947) bekannte, dass seine<br />
christliche Weltanschauung das Fundament<br />
seines wissenschaftlichen Ar<strong>bei</strong>tens<br />
gewesen war:<br />
„Aus ihm (Gott – GI), aus seinem allmächtigen<br />
Willen quillt alles Leben und alles <strong>Ges</strong>chehen<br />
in <strong>de</strong>r körperlichen wie in <strong>de</strong>r geistigen Welt<br />
... Die Naturwissenschaft braucht <strong>de</strong>r Mensch<br />
zum Erkennen, die Religion aber braucht er<br />
zum Han<strong>de</strong>ln ... die <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Wege (Naturwissenschaft<br />
und Religion – GI) divergieren<br />
nicht, son<strong>de</strong>rn gehen einan<strong>de</strong>r parallel, und sie<br />
treffen sich in <strong>de</strong>r fernen Unendlichkeit an <strong>de</strong>m<br />
nämlichen Ziel ... und das richtungweisen<strong>de</strong><br />
Losungswort in diesem Kampf (gegen Skeptizismus<br />
und Dogmatismus, gegen Unglaube<br />
und Aberglaube – GI) lautet von jeher<br />
und in alle Zukunft: Hin zu Gott!“ (Vortrag:<br />
„Religion und Naturwissenschaft“, Mai<br />
1937. 14 )<br />
Erkennen und Han<strong>de</strong>ln als notwendige<br />
und logische Einheit war auch für Paracelsus<br />
Fundament seines Wirkens:<br />
„zugleicherweis als einer, <strong>de</strong>r da predigt und<br />
lernt das volk und sagt in vil und neben <strong>de</strong>m<br />
gehet kein apostolisch werk mit, das ist <strong>de</strong>r buchstab,<br />
<strong>de</strong>r tot ist“ 15 .<br />
Worte ohne Kraft, Worte als reine Buchstabenfolgen<br />
– das ist „<strong>de</strong>r buchstab, <strong>de</strong>r tot<br />
ist“. Man betrachte Re<strong>de</strong>n von Mächtigen<br />
in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft<br />
42<br />
unter diesem Aspekt; man betrachte aber<br />
auch sein eigenes Re<strong>de</strong>n und Schreiben!<br />
„die euangelisten zu durchfaren, ist recht und<br />
wol getan, das fin<strong>de</strong>st du alles im papir; <strong>de</strong>n<br />
verstant aber fin<strong>de</strong>st du nicht im papir, son<strong>de</strong>r<br />
<strong>bei</strong> <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r es in das papir geschlossen hat“ 16 .<br />
Den Verstand in das Papier einschließen,<br />
das Papier mit <strong>de</strong>r Kraft <strong>de</strong>s Wortes, mit<br />
geistigem Gehalt erfüllen – darauf kommt<br />
es an! Wir alle kennen genügend gelesene<br />
Seiten o<strong>de</strong>r Vorträge, die uns gepackt, erschüttert,<br />
bewegt, angespornt haben, weil<br />
kraft- und geistvolle Persönlichkeiten ihre<br />
Re<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m ihnen innewohnen<strong>de</strong>n<br />
Geist erfüllten. Bücher o<strong>de</strong>r Re<strong>de</strong>n solcher<br />
Persönlichkeiten haben neben <strong>de</strong>m Verstand<br />
vor allem unsere Seele berührt.<br />
Wenn „<strong>de</strong>r mensch die klein welt ist“ mit <strong>de</strong>n<br />
„kreften und tugen<strong>de</strong>n wie die groß welt ist“ 11 ,<br />
dann vermag er freilich mit <strong>de</strong>m Wort eine<br />
Art Energieumwandlung von göttlicher<br />
Kraft in sittliches Wollen und Han<strong>de</strong>ln zu<br />
vollbringen – „drumb ist das wort do, das<br />
dich lernen sol“ 12 – vorausgesetzt, man will<br />
lernen.<br />
Den paracelsischen Schlussfolgerungen<br />
und Überzeugungen von Kraft und Be<strong>de</strong>utung<br />
<strong>de</strong>s Wortes steht Martin Luther<br />
nahe. In seiner Ar<strong>bei</strong>t „Von <strong>de</strong>r Freiheit<br />
eines Christen“ aus <strong>de</strong>m Jahre 1520<br />
schreibt er:<br />
„Nun sind aber diese und alle Worte Gottes<br />
heilig, wahrhaftig, gerecht, friedfertig, frei und<br />
aller Güte voll. Wer ihnen daher mit <strong>de</strong>m rechten<br />
Glauben anhängt, <strong>de</strong>ssen Seele wird mit<br />
ihm so ganz und gar vereinigt, daß alle Macht<br />
<strong>de</strong>s Wortes auch <strong>de</strong>r Seele eigen wird“ 17 .<br />
Dieser Überlegung Luthers ist zunächst zu<br />
entnehmen<br />
1. dass Gottes Worte Kraft enthalten,<br />
2. dass sie Kraft vermitteln und<br />
3. dass Worte göttliche Kraft sinnlich<br />
wahrnehmbar übertragen.<br />
Im Sinne <strong>de</strong>s scholastischen Universalienstreites<br />
ist auch Luther ein Realist. Die<br />
göttliche Kraft <strong>de</strong>s Wortes bzw. im Wort<br />
überträgt sich auf die menschliche Seele
und vereinigt sich mit ihr. Diesen von Luther<br />
beschriebenen Vorgang könnte man<br />
mo<strong>de</strong>rn so ausdrücken: Die Seele nimmt<br />
Informationen auf (informare, lat. = eine<br />
<strong>Ges</strong>talt geben, formen, bil<strong>de</strong>n, befähigen).<br />
Wenn Worte Kraft vermitteln, wenn Worte<br />
wirklich informieren, dann vermögen sie<br />
die Seele zu formen, <strong>de</strong>r Seele etwas<br />
einzuprägen: Trost, Liebe, Begeisterung,<br />
Trauer, Sehnsucht, Vorsätze, Überzeugungen,<br />
Verhaltensweisen – „drumb so ist das<br />
wort do, das dich lernen sol“ 12 und: haben<br />
wir die Namen und Wörter, „so haben wir<br />
<strong>de</strong>n garten jr arznei“ 5 .<br />
Der Mangel an geistiger Wirklichkeit<br />
und Kraft in <strong>de</strong>n Worten all unserer gegenwärtigen<br />
Wirkungs- und Lebensbereiche<br />
ist das größte Energieproblem unserer<br />
Tage!<br />
3. Das Wort – eine Buchstabenfolge?<br />
Wir alle haben schon einmal erfahren,<br />
welche Macht einem Wort innewohnen<br />
kann: Worte können streicheln und trösten,<br />
aufmuntern und begeistern, heilen<br />
und beruhigen, verführen und blen<strong>de</strong>n.<br />
Worte können vor Sün<strong>de</strong> bewahren, sie<br />
können uns von Negativem befreien,<br />
wenn wir uns Belasten<strong>de</strong>s „von <strong>de</strong>r Seele<br />
re<strong>de</strong>n“, ohne damit einem Mitmenschen<br />
zu scha<strong>de</strong>n. Worte können aber auch verletzen,<br />
erniedrigen und trennen, sie können<br />
Hass auslösen und töten. Ohne<br />
Kenntnis von Nominalismus und Realismus<br />
bedienen wir uns – bewusst o<strong>de</strong>r unbewusst<br />
– <strong>de</strong>r Kraft <strong>de</strong>s Wortes, <strong>de</strong>r Magie<br />
<strong>de</strong>s Wortes. Wir greifen mit Worten an<br />
und wir verteidigen uns mit Worten. Wir<br />
wollen mit Worten etwas durchsetzen,<br />
etwas erreichen. Worte können fürchterliche<br />
Waffen sein, und was die böse Kraft<br />
<strong>de</strong>r Worte von Demagogen (griech.,<br />
ursprünglich: Volksführer) anrichten kann,<br />
haben wir in zwei totalitären Systemen in<br />
jüngster Vergangenheit erlebt – und Demagogie<br />
ist noch lange nicht ausgestorben!<br />
Verbin<strong>de</strong>n wir ein Wort mit böser Kraft,<br />
mit Lieblosigkeit und Hass, so wird ein<br />
Fluch geboren. Vereinigen wir Worte mit<br />
liebevoller Kraft, dann segnen wir!<br />
Die Kraft vom Himmel, die in heilen<strong>de</strong>n<br />
Kräutern enthalten ist, können wir auch an<br />
Worte bin<strong>de</strong>n. Paracelsus sagt das so:<br />
„also weiter die dritte species (<strong>de</strong>r Magie –<br />
GI) lernet machen wörter, die da alle die kraft<br />
haben, so vom himel in <strong>de</strong>n kreutern seind, als<br />
ein exempel: alles das <strong>de</strong>r arzt vermag aus <strong>de</strong>r<br />
arznei zu bringen, solchs vermag solche species<br />
durch wörter zu volen<strong>de</strong>n“ 18 .<br />
In diesem Zusammenhang sind die Ar<strong>bei</strong>ten<br />
<strong>de</strong>s Japaners Dr. Masaru Emoto 19 ,<br />
Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Allgemeinen Forschungsinstitutes<br />
Japan IHM, interessant. In mehreren<br />
Veröffentlichungen zeigt er, dass Wasserproben,<br />
die mit positiven Begriffen<br />
(z. B. Liebe, Dankbarkeit) besprochen o<strong>de</strong>r<br />
beklebt wur<strong>de</strong>n, die regelmäßigsten und<br />
schönsten Kristalle ausbil<strong>de</strong>ten. Wasser,<br />
das mit bösen Worten versehen wur<strong>de</strong>,<br />
reagierte mit verzerrten bis strukturlosen<br />
Kristallen, unabhängig, in welcher Sprache<br />
diese Worte <strong>de</strong>m Wasser mitgeteilt wur<strong>de</strong>n.<br />
Die Kraft <strong>de</strong>s Wortes ist von <strong>de</strong>r<br />
Buchstabenfolge verschie<strong>de</strong>ner Sprachen<br />
unabhängig. Die Kraft <strong>de</strong>s Wortes ist eine<br />
Information, die <strong>de</strong>m Wasserkristall eine<br />
<strong>Ges</strong>talt gibt, es formt. Könnte diese Versuche<br />
nicht auch überzeugen, dass die Kraft<br />
von Worten unsere Seele informiert, ihr<br />
eine entsprechen<strong>de</strong> <strong>Ges</strong>talt gibt? Mit Sicherheit<br />
wer<strong>de</strong>n diese Resultate Emotos<br />
mit <strong>de</strong>n so genannten exakten Naturwissenschaften<br />
ebenso kollidieren, wie die<br />
Grundannahmen <strong>de</strong>r Homöopathie mit<br />
ihnen nun schon seit 200 Jahren kollidieren.<br />
Das „Gedächtnis“ <strong>de</strong>s Wassers für Informationen<br />
aus Heilpflanzen o<strong>de</strong>r Mineralien<br />
in hochpotenzierten Präparaten<br />
ohne auch nur ein Substanzmolekül ist für<br />
die „Nominalisten“ <strong>de</strong>r Gegenwart nicht<br />
nachvollziehbar und keine „exakte“ Wissenschaft.<br />
Paracelsus, <strong>de</strong>nkend, lebend und<br />
wirkend in <strong>de</strong>n Wechselwirkungen von<br />
Mikrokosmos und Makrokosmos musste<br />
und konnte <strong>de</strong>n von ihm geformten Buch-<br />
43
staben die Kraft und das Leben einhauchen,<br />
die er um sich und in sich empfand.<br />
Der Hohenheimer möge uns auch in dieser<br />
Hinsicht Beispiel und Vorbild sein!<br />
Die Erkenntnisse <strong>de</strong>s Bombast von Hohenheim,<br />
Martin Luthers o<strong>de</strong>r Max<br />
Plancks von Kraft und Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />
Wortes sollten wir prüfen und umsetzen,<br />
damit auch unsere Worte keine leeren<br />
Hülsen, keine Buchstabenfolgen bleiben,<br />
1 Deggeller Nr. 2 2/1997<br />
2 Eco S. 606<br />
3 Paracelsus I XII/348<br />
4 ebda. XII/291<br />
5 ebda. XIV/323<br />
6 ebda. XII/127<br />
7 Kayser S. 250<br />
8 Paracelsus I XI/137<br />
9 ebda. XI/135<br />
10 ebda.<br />
DEGGELLER, Lore: Vom Nominalismus <strong>de</strong>r Naturwissenschaft<br />
zum spirituellen Realismus <strong>de</strong>r Medizin.<br />
Der Deutsche Apotheker. Nr. 2, Februar 1997,<br />
49. Jhg.<br />
ECO, Umberto: Der Name <strong>de</strong>r Rose. Verlag Volk<br />
und Welt Berlin 1988.<br />
PARACELSUS I: Sämtliche Werke (Nachdruck).<br />
Hrg. Karl Sudhoff, Georg Olms Verlag Hil<strong>de</strong>sheim<br />
– Zürich – New York 1996.<br />
PARACELSUS II: Sämtliche Werke. Bearb. Kurt<br />
Goldammer, Franz Steiner Verlag GmbH Wiesba<strong>de</strong>n.<br />
44<br />
ANMERKUNGEN<br />
LITERATUR<br />
son<strong>de</strong>rn dass wir verantwortungsvollen<br />
Umgang mit <strong>de</strong>m Wort und seiner Kraft<br />
pflegen – im Sinne paracelsischer Ethik,<br />
im Sinne <strong>de</strong>s Guten!<br />
Möge die Straße, die du gehst,<br />
mit <strong>de</strong>inen freundlichen Worten<br />
gepflastert sein!<br />
(Irischer Segensspruch)<br />
11 ebda. IX/308<br />
12 ebda. XIV/371<br />
13 Paracelsus II III/169<br />
14 Planck S. 27-30<br />
15 Paracelsus I VIII/207<br />
16 ebda. XII/194<br />
17 Luther S. 129<br />
18 Paracelsus I XII/84<br />
19 Emoto s. Literatur<br />
KAYSER, Hans: Schriften Theophrasts von Hohenheim<br />
genannt Paracelsus.<br />
Insel-Verlag Leipzig 1924.<br />
LUTHER, Martin: Taschenausgabe Band 2, Evangelische<br />
Verlagsanstalt GmbH Berlin 1984.<br />
PLANCK, Max: Religion und Naturwissenschaft. Johann<br />
Ambrosius Barth Verlag Leipzig 1947.<br />
EMOTO, Masaru: Die Antwort <strong>de</strong>s Wassers. KOHA<br />
Verlag GmbH Burgrain 2002. ISBN 3-929512-93-3.<br />
Dipl.-Biol. Günter Ickert · Zum Schmie<strong>de</strong>berg 13 · 01156 Dres<strong>de</strong>n<br />
Vortrag im Kulturpalast Dres<strong>de</strong>n am 22.09.2004
VALENTIN WEIGEL: Von Betrachtung<br />
<strong>de</strong>s Lebens Christi. Vom Leben Christi.<br />
De vita Christi. Hrsg. und eingeleitet von<br />
Horst Pfefferl, frommann-holzboog Stuttgart-Bad<br />
Cannstatt 2002.<br />
(= Valentin Weigel – Sämtliche Schriften.<br />
Begrün<strong>de</strong>t von Will-Erich Peuckert und<br />
Winfried Zeller, Neue Edition, Hrsg. von<br />
Horst Pfefferl, Band 7.)<br />
Mit Band 7 liegt nun <strong>de</strong>r vierte <strong>de</strong>r<br />
Neuen Edition <strong>de</strong>r Schriften Valentin Weigels<br />
vor und schließt eine weitere Lücke<br />
<strong>de</strong>r verfügbaren Texte <strong>de</strong>s sächsischen Pfarrers<br />
und Paracelsisten.<br />
Im Zentrum steht die umfangreiche theologische<br />
Streitschrift „Vom Leben Christi“<br />
aus <strong>de</strong>m Jahre 1578, Weigels spiritueller<br />
Gegenentwurf zur Konkordienformel von<br />
1577. Sie wird flankiert von <strong>de</strong>m erbaulichunterrichten<strong>de</strong>n<br />
Schriftchen „Von Betrachtung<br />
<strong>de</strong>s Lebens Christi“ und einer Kompilation<br />
(„De vita Christi“), welche fünf<br />
Kapitel aus <strong>de</strong>r „Betrachtung“ mit Gedanken<br />
und Zitaten vor allem Weigels, Meister<br />
Eckharts und Johannes Taulers ergänzt.<br />
Der Anlage <strong>de</strong>r vorhergehen<strong>de</strong>n Bän<strong>de</strong><br />
folgend, wer<strong>de</strong>n in einer ausführlichen<br />
Einleitung akribisch die relevanten Handschriften<br />
und Drucke beschrieben und<br />
durch ganzseitige Faksimiles <strong>de</strong>r Titelseiten<br />
illustriert. In <strong>de</strong>n Erläuterungen fin<strong>de</strong>n<br />
sich neben Ausführungen zu philosophischen,<br />
theologischen bzw. christologischen<br />
Zusammenhängen auch vielfältige weiterführen<strong>de</strong><br />
Informationen zur Editions- und<br />
Wirkungsgeschichte, zu biografischen Zusammenhängen<br />
und zur Zuschreibung <strong>de</strong>r<br />
Texte zu bestimmten Autoren. Da<strong>bei</strong> differenziert<br />
<strong>de</strong>r Herausgeber verantwortungsbewusst<br />
zwischen gesicherten Fakten und<br />
mehr o<strong>de</strong>r weniger wahrscheinlichen<br />
Schlussfolgerungen o<strong>de</strong>r Vermutungen.<br />
Immer sind entsprechen<strong>de</strong> Argumente angeführt,<br />
die <strong>de</strong>n aktuellen Forschungsstand<br />
repräsentieren. Da<strong>bei</strong> wer<strong>de</strong>n auch Sicht-<br />
Michael Liebscher<br />
EMPFEHLUNG<br />
weisen revidiert, von <strong>de</strong>nen Pfefferl noch<br />
in seiner Dissertation (1991) ausging, in<br />
<strong>de</strong>r mögliche Zuschreibungen und Zusammenhänge<br />
<strong>de</strong>r Weigelschriften untersucht<br />
wur<strong>de</strong>n. Beispielsweise bestätigte sich die<br />
Annahme nicht, dass die „Handschriftliche<br />
Predigtensammlung“ als Vorlage für einige<br />
Kapitel in „De vita Christi“ gedient<br />
habe. (vgl. S. LXI)<br />
Der Anmerkungsapparat ist das Ergebnis<br />
äußerst sorgfältiger Ar<strong>bei</strong>t aller Beteiligten.<br />
Oft wer<strong>de</strong>n Verweise auf Primärliteratur<br />
durch Zitate <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Textstellen<br />
ergänzt, was nicht nur <strong>de</strong>m wissenschaftlich<br />
ar<strong>bei</strong>ten<strong>de</strong>n Leser das Erschließen von<br />
Zusammenhängen erleichtert bzw. ermöglicht.<br />
Beson<strong>de</strong>rs bemerkenswert ist aus textkritischer<br />
Sicht die Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r vermutlich<br />
ältesten und mit Sicherheit sorgfältigsten<br />
Handschrift zu <strong>de</strong>r Hauptschrift<br />
„Vom Leben Christi“ durch Dr. Carlos<br />
Gilly, Basel, 1993 in <strong>de</strong>r Anhaltinischen<br />
Lan<strong>de</strong>sbücherei Dessau. Damit liegt dieses<br />
wichtige Werk nunmehr in einer weitgehend<br />
authentischen Fassung im Druck vor.<br />
1578 verfasst, wur<strong>de</strong> es 1648 in einer englischen<br />
Übersetzung gedruckt und erschien<br />
1647 und 1686 auf nie<strong>de</strong>rländisch. Weigels<br />
Gedanken waren also nicht nur von regionalem<br />
Interesse, son<strong>de</strong>rn wirkten weit über<br />
die Grenzen hinaus.<br />
Das ist umso verständlicher, als darin <strong>de</strong>r<br />
Konkordienformel in einer streitbaren<br />
Auseinan<strong>de</strong>rsetzung theologisch begrün<strong>de</strong>te<br />
Positionen entgegengesetzt wer<strong>de</strong>n. Wie<br />
sicher sich Weigel <strong>de</strong>r Richtigkeit seiner<br />
Positionen war, wird in <strong>de</strong>r Vorre<strong>de</strong> an <strong>de</strong>n<br />
Leser <strong>de</strong>utlich. Er meint, am Leben Christi<br />
könne man prüfen, ob jemand nach dieser<br />
„richtschnur“ gehe. Zugleich könne man<br />
„erkennen und pruefen alle or<strong>de</strong>n, rottenn,<br />
secten, ketzer in welchem Artickel sie Jrre<br />
gehen“. (S. 26) Ein Christ kenne Christus,<br />
seine Lehre und Leben und nehme somit<br />
auch sein (Weigels – ML) Büchlein an. Im<br />
45
Umkehrschluss steckt nun <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich erkennbare<br />
Angriff auf die „Mauerkirche“:<br />
Wer das Buch „verwirfft, gibt Zeugniß vber<br />
seinen Halß, dass ehr kein Christ sey…“ (S. 27)<br />
Für Weigel ist <strong>de</strong>r Glaube eine aus Gott<br />
stammen<strong>de</strong> innere Sache. Dieser Gedanke<br />
fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>n bislang in <strong>de</strong>r Neuen<br />
Edition veröffentlichten Schriften immer<br />
wie<strong>de</strong>r (vgl. beson<strong>de</strong>rs „Gebetbuch“, Bd.<br />
4) und prägt auch die kurze Erbauungsund<br />
Lehrschrift „Von Betrachtung <strong>de</strong>s Lebens<br />
Christi“, die am Anfang <strong>de</strong>r Primärtexte<br />
in Band 7 veröffentlicht ist und in<br />
<strong>de</strong>r, wie bereits von Weigel bekannt, je<strong>de</strong>s<br />
Kapitel mit rühren<strong>de</strong>n Gebeten abschließt.<br />
Aus seiner Überzeugung heraus bezieht er<br />
klare Position gegen die, welche „ahn Jhn<br />
glauben mit <strong>de</strong>m maule.“ (S. 27)<br />
Pikanterweise hat Weigel selbst die Konkordienformel<br />
unterschrieben. Er konnte<br />
als Pfarrer auch gar nicht an<strong>de</strong>rs, sonst<br />
hätte er <strong>de</strong>n Broterwerb verloren. Auch <strong>bei</strong><br />
Visitationen wur<strong>de</strong>n keine anstößigen Gedanken<br />
in <strong>de</strong>n Predigten gefun<strong>de</strong>n. Seine<br />
Missbilligung <strong>de</strong>r Auffassungen und Kompromisse<br />
in <strong>de</strong>r Konkordienformel aber<br />
musste er loswer<strong>de</strong>n – das Aufschreiben<br />
war offenbar <strong>de</strong>r einzige Weg.<br />
Weigel glie<strong>de</strong>rt sein Werk in 3 Hauptpunkte:<br />
1. Einheit von Glaube und christlichem<br />
Leben<br />
2. Der Weg zum Glauben<br />
3. Prüfung aller Lehren/Bücher etc. auf<br />
Zugehörigkeit zur „heylige[n] stat Gotteß“<br />
(S. 28)<br />
Darin erörtert er folgen<strong>de</strong> zentrale Themen:<br />
- Die göttliche Herkunft Christi und sein<br />
Wan<strong>de</strong>ln im höchsten Willen<br />
- Die Ablehnung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe mit ent-<br />
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sprechen<strong>de</strong>r theologischer Begründung<br />
- Die Ablehnung von Kriegen zur Beschirmung<br />
<strong>de</strong>s Reichs; statt <strong>de</strong>ssen Orientierung<br />
auf <strong>de</strong>n Schutz durch ein friedfertiges<br />
Evangelium<br />
- Lei<strong>de</strong>n und Flucht vor weltlicher Ehre<br />
- Liebe und Freiheit Christi<br />
- Christus als Herr <strong>de</strong>r Kirche, die keinen<br />
Statthalter brauche<br />
- Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Kirche von äußeren<br />
Regenten und Lehrern<br />
- Der Glaube erwächst aus <strong>de</strong>r inneren<br />
Stimme durch die Gna<strong>de</strong> Gottes<br />
- Die Prüfung <strong>de</strong>r Positionen unter an<strong>de</strong>rem<br />
<strong>de</strong>r Konkordienformel am Leben Christi<br />
Beson<strong>de</strong>rs wichtig ist Weigel das Wesen <strong>de</strong>r<br />
wahren Kirche Christi. Er begreift sie als<br />
„vnsichtige versamlung aller glaubigen Jnn <strong>de</strong>r<br />
gantzen welt vereinigt Jnn <strong>de</strong>r einikeyt <strong>de</strong>s geistes<br />
vnd durch das banndt <strong>de</strong>r liebe o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s frie<strong>de</strong>s.“<br />
(S. 130) Diesem I<strong>de</strong>al steht seine Wahrnehmung<br />
einer „vilkopffige[n] kirche“ (S. 131)<br />
entgegen, in <strong>de</strong>r „Je<strong>de</strong>r hauffe in einem gewissen<br />
orthe seinen sinn kopff vnnd leermeister“<br />
(ebda.) habe. Konkret zielt er auf <strong>de</strong>n<br />
Papst, Luther, Calvin und Zwingli hin.<br />
„Aller Jammer komet daher das man die menschen<br />
kirche fur Gottes kirche achtet vnnd das<br />
eussere ahn stat <strong>de</strong>s Jnnern setzet“. (S. 133)<br />
Gera<strong>de</strong> dieser letzte Satz enthält eine<br />
Erkenntnis, die so wie damals auch heute in<br />
die Welt gerufen wer<strong>de</strong>n müsste. Nur eine<br />
Besinnung auf das Innere – Liebe und Frie<strong>de</strong>n<br />
– können die ganze Welt vereinigen.<br />
Aus dieser Aktualität heraus erhält das<br />
Buch zusätzlich zu seinem philologischen<br />
und geistesgeschichtlichen einen be<strong>de</strong>utsamen<br />
ethischen Wert.