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6<br />
titelthema<br />
Christian Luecking<br />
Je mehr wir beschäftigt sind,<br />
je mehr fühlen wir, dass wir leben. 1<br />
Arbeit im<br />
Wandel der Zeit<br />
Von einer existenziellen Notwendigkeit hin<br />
zur Visitenkarte einer ganzen Generation.<br />
Nie zuvor standen persönliche Entfaltung<br />
und Selbstverwirklichung mehr im Zentrum<br />
unserer Gesellschaft als heute. Immer<br />
stärker definieren wir uns über unseren<br />
Beruf. Dabei steht außer Frage,<br />
dass Arbeit viel mehr ist als die Existenzgrundlage, um<br />
unseren Alltag zu bestreiten und für unsere kleineren<br />
und größeren Träume Geld anzusparen. Vielmehr ist<br />
sie selbst zum individuellen Markenzeichen, zur Visitenkarte<br />
eines jeden <strong>von</strong> uns geworden. Zweifelsohne war<br />
dies nicht immer so: Der Arbeitsbegriff hat in den letzten<br />
2.500 Jahren eine steile Karriere hingelegt!<br />
Sowohl in der griechischen als auch in der römischen Antike wurde Arbeit<br />
v. a. im körperlichen Sinne als etwas Niederes angesehen. Wer arbeitete<br />
war in der Regel unfrei und rechtlos. Vielmehr war es üblich, dass Arbeiter<br />
vereinfacht gesagt „Leibeigene“ oder „Sklaven“ waren. Philosophen<br />
oder Staatsleute dagegen wurden nicht zur arbeitenden Schicht gezählt,<br />
sie galten als Gelehrte; ebenso konnte auch nicht jeder innerhalb des Militärs<br />
- ein weiterer wichtiger Grundpfeiler der damaligen Gesellschaften<br />
- Karriere machen. Alles war abhängig <strong>von</strong> Stand und Herkunft.<br />
Erst innerhalb der einsetzenden Verstädterung des Mittelalters und der<br />
vergrößerten Palette und Nachfrage an (vor allem handwerklichen) Berufen,<br />
wurde Arbeit mit einem Bürgerrecht entlohnt. Immer stärker wurde<br />
das Leistungsprinzip in den Mittelpunkt gerückt. Auch philosophisch<br />
wurde der Arbeitsbegriff stark aufgewertet: „Je mehr wir beschäftigt sind,<br />
je mehr fühlen wir, dass wir leben“, unterstreicht Immanuel Kant.<br />
Der Zusammenbruch feudaler Strukturen, Kapitalismus und technische<br />
Neuerungen führten schließlich zur Industrialisierung. Die Emanzipation<br />
der Arbeiter selbst sowie der starke Modernisierungswille der Gesellschaft<br />
läuteten die so genannte Arbeitergesellschaft ein. Das bedeutete,<br />
dass man zu geregelten Arbeitszeiten, mit einem kalkulierbaren Einkommen,<br />
einem Job nachgehen konnte. Ob dieser einem gefiel war absolut<br />
zweitrangig. Verschiedene Faktoren - etwa Schulbildung, geografische<br />
Herkunft oder Elternhaus - entschieden in der Regel, welche Arbeit man<br />
ausübte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.<br />
Verglichen mit der Arbeit der Antike war dies ein enormer Fortschritt,<br />
doch gemessen an den Möglichkeiten, die wir heute haben, noch immer<br />
sehr rückständig. Alles scheint erreichbar, solange man sich selbst daran<br />
macht, seine beruflichen Träume zu erfüllen: Angefangen mit einer guten<br />
Schulausbildung, bis hin zum gewünschten Ausbildungs- oder Studienabschluss.<br />
In den meisten Fällen hat man es selbst in der Hand - wenn<br />
man nur den Mut dazu hat!<br />
1 Immanuel Kant zitiert nach Paul Menzer „Eine Vorlesung über Kants Ethik“ 1924