Ausgabe Nr. 25 / November 2009, Thema: Die Schweiz - KonNet e.V.
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Wissenschaft und Forschung im Gespräch<br />
Vereine: ohne freiwilliges Engagement geht nichts – mit Engagement geht alles<br />
Das Projekt „Im Gespräch“ informiert<br />
über Wissenschafts- und Forschungsthemen<br />
der Universität Konstanz.<br />
Aktuell standen die Fragen „Wie wichtig<br />
ist freiwilliges Engagement für unsere Gesellschaft?<br />
Könnte sie auch ohne auskommen?“<br />
auf dem Programm. „Im Gespräch“<br />
hat bei Professor Markus Freitag, Inhaber<br />
des Lehrstuhls für Vergleichende Politik<br />
im Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft,<br />
und Leiter des Forschungszentrums<br />
„Bürgerschaftliches<br />
Engagement und Sozialkapital“ nachgefragt.<br />
Herr Professor Freitag, viele Vereine<br />
klagen, es gebe zu wenig Menschen, die<br />
bereit sind, sich bei ihnen zu engagieren.<br />
Können Sie eine solche Aussage mit<br />
Ihren Forschungsergebnissen untermauern?<br />
Ich denke, man muss unterscheiden.<br />
Glaubt man den Informationen von<br />
Vereinsseite, so gibt es sicherlich insgesamt<br />
gesehen eine Tendenz, dass sich<br />
immer weniger Menschen in verantwortungsvolle<br />
Vereinsämter wählen lassen,<br />
also ehrenamtlich tätig sind. Mit Blick auf<br />
die Zahlen der rein aktiven Vereinsmitglieder<br />
können wir aber keine generelle<br />
Abnahme erkennen: Von 1970 bis heute<br />
hat es keine markanten Einbrüche gegeben.<br />
Es gibt aber Schwankungsgrade hinsichtlich<br />
der Mitgliederzahlen in den unterschiedlichen<br />
Bereichen. So verlieren<br />
die Gewerkschaften eher, einzelne Sportvereine<br />
dagegen gewinnen. Insgesamt<br />
gesehen sind in Deutschland je nach<br />
Umfrage aber zwischen 40 und bis 50 Prozent<br />
der Menschen aktive Vereinsmitglieder.<br />
Können Sie erklären, warum es für Vereine<br />
trotzdem so schwierig ist, Leute zu<br />
finden, die sich in verantwortungsvolle<br />
Ämter wählen lassen wollen?<br />
Wir haben leider nicht genügend zuverlässige<br />
Informationen, um diese Frage<br />
ausreichend zu beantworten. Generell bemängeln<br />
die in Frage kommenden Kandidaten<br />
für derlei Tätigkeiten aber die<br />
nicht vorhandene Zeit angesichts der Eingebundenheit<br />
in Familie und Beruf. Das<br />
sieht man auch daran, dass Frauen in solchen<br />
Ämtern weniger zu finden sind.<br />
Generell ist es so, dass die Menschen derzeit<br />
eher im informellen freiwilligen Bereich<br />
tätig und flexibler handhabbare<br />
Möglichkeiten des Engagements suchen,<br />
was vielleicht dem Zeitgeist geschuldet ist.<br />
Was bringt die Menschen überhaupt<br />
dazu, sich in Vereinen zu engagieren?<br />
<strong>Die</strong> Beweggründe des Vereinsengagements<br />
werden in Deutschland erst seit<br />
zehn bis 15 Jahren systematisch mit fundierten<br />
Daten erforscht. Helfen wollen,<br />
miteinander etwas bewegen und der Spaß<br />
an der Tätigkeit – diese Gründe werden<br />
immer wieder genannt.<br />
Gibt es, was das Engagement in Vereinen<br />
anbelangt, einen Unterschied zwischen<br />
Stadt und Land?<br />
Ja. Auf dem Land ist es wichtiger, dass<br />
man im Verein tätig ist, ein Ehrenamt<br />
übernimmt oder auch beispielsweise mal<br />
einen Kuchen backt, wenn der Fußballoder<br />
Tennisclub ein Jubiläum zu feiern<br />
hat. <strong>Die</strong> soziale Kontrolle ist auf dem Land<br />
größer, und Bürgermeister sowie Gemeinderäte<br />
müssen in Vereinen aktiv sein, weil<br />
diese zu ihrer Wählerbasis gehören. In der<br />
Stadt engagieren sich die Menschen weniger<br />
in Vereinen. Dort gibt es ein größeres<br />
Angebot an alternativer und individuell<br />
zu gestaltender Freizeit, zudem ist alles<br />
anonymer.<br />
Universität<br />
Sie haben das Forschungszentrum<br />
„Bürgerschaftliches Engagement und<br />
Sozialkapital“ im Rahmen der<br />
Exzellenzinitiative mit der Unterstützung<br />
der <strong>Schweiz</strong>erischen Gemeinnützigen<br />
Gesellschaft gegründet. Was genau<br />
erforschen Sie?<br />
Das Forschungszentrum „Bürgerschaftliches<br />
Engagement und Sozialkapital“ beschäftigt<br />
sich mit dem Bestand, den Ursprüngen<br />
und den Konsequenzen des<br />
Sozialkapitals. Konkret sollen die Rollen<br />
und Bezüge verschiedener Sozialkapitalformen<br />
wie etwa Vertrauen, freiwilliges<br />
Engagement und Vereinsaktivität auf den<br />
Feldern Demokratie, Sozialstaat, Religion<br />
und kultureller Vielfalt moderner Gesellschaften<br />
erforscht werden.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Schweiz</strong>erische Gemeinnützige<br />
Gesellschaft (SGG) wurde 1810 mit dem<br />
allgemeinen Ziel gegründet, gemeinnützige<br />
Aktivitäten und Wohltätigkeit in der<br />
<strong>Schweiz</strong> zu fördern, sowohl in geistiger<br />
wie in materieller Hinsicht. 1860<br />
schenkte die SGG der Eidgenossenschaft<br />
die Rütliwiese und ist seither<br />
deren Verwalterin mit einer eigenen<br />
Rütlikommission. <strong>Die</strong> Rütliwiese liegt<br />
am südlichen Teil des Vierwaldstättersee<br />
(Kanton Uri). Sie gilt als die Geburtsstätte<br />
der schweizerischen Eidgenossenschaft.<br />
Am 1. August 1291 schworen laut Sage<br />
die drei Abgesandten der Urkantone Uri<br />
(Walter Fürst), Schwyz (Werner<br />
Stauffacher) und Unterwalden (Arnold<br />
von Melchtal) den ewigen Bund der<br />
Waldstätte.<br />
In Ihrer Forschungsarbeit spielt die<br />
<strong>Schweiz</strong> eine große Rolle…<br />
Seit geraumer Zeit werden meine Projektvorhaben<br />
von der <strong>Schweiz</strong>erischen Gemeinnützigen<br />
Gesellschaft unterstützt, die<br />
natürlich auch ein Interesse an der Erforschung<br />
des eidgenössischen Gemeinwohlgedankens<br />
hat. Vor drei Jahren wurde in<br />
diesem Rahmen der erste <strong>Schweiz</strong>er Freiwilligen-Monitor<br />
durchgeführt. Dabei<br />
KonText <strong>25</strong> I <strong>November</strong> <strong>2009</strong> 39