Wir Heldsdörfer - Heldsdorf
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Pfarrer Reichardt wäre wahrscheinlich, hätte<br />
er die Zeiten noch erlebt, in den<br />
1980er und 1990er Jahren in <strong>Heldsdorf</strong><br />
sehr unzufrieden geworden. Dietmar<br />
Plajer schreibt in seinem Beitrag<br />
"<strong>Heldsdorf</strong> vor 105 Jahren": "Pfarrer<br />
Reichart war ein entschiedener Gegner der<br />
Auswanderung und nahm mit Wort und<br />
Tat dagegen Stellung […]". Der<br />
Pfarrer versuchte damals, die<br />
Gemeindemitglieder vor dem<br />
"Amerikafieber" zu bewahren: "Aus<br />
Städten und Dörfern brachen<br />
Siebenbürger Sachsen auf, um nach<br />
Amerika zu reisen und nach einigen<br />
Jahren wohlhabend wieder heimzukeh-<br />
ren."<br />
Mitte der 1990er Jahre war die Anzahl der<br />
in <strong>Heldsdorf</strong> verbliebenen Sachsen auf etwa<br />
ein Fünfzehntel im Vergleich zu<br />
1905 geschrumpft: Ende 1995 zählte die<br />
<strong>Heldsdörfer</strong> Kirchengemeinde 153<br />
Mitglieder. Der Strom der Ausreisenden<br />
war zu diesem Zeitpunkt schon weitge-<br />
hend versiegt. Zwölf Jahre später, Ende<br />
2007, zählte die Kirchengemeinde mit<br />
132 Mitgliedern nur 21 weniger(siehe<br />
Beitrag "Rechenschaftsbericht des<br />
Presbyteriums" von Hans Otto Reiss).<br />
Wolfgang Wittstock mutmaßt in seinem<br />
Artikel über den Rücksiedler Bernd<br />
Wagner "Im Sommer Landwirt, im Winter<br />
Tischler", dass inzwischen die Zahl der<br />
Rücksiedler nach Siebenbürgen jene der<br />
Aussiedler übersteigt.<br />
Dieser Beitrag beruht auf der<br />
Auswertung der Fragebögen, die mit der<br />
letzten Ausgabe des <strong>Heldsdörfer</strong> Briefs<br />
verschickt wurden. Insgesamt waren es<br />
112 Fragebögen - 55 von Haushalten, die vor<br />
der Revolution ausgereist sind, und<br />
57 von solchen, die nach 1989 <strong>Heldsdorf</strong><br />
bzw. Siebenbürgen verlassen haben. Das ist<br />
ein Stichprobenumfang, der auch<br />
Aussagen zur Grundgesamtheit der aus-<br />
gereisten <strong>Heldsdörfer</strong> zulässt. Allen<br />
<strong>Heldsdörfer</strong>n, die teilgenommen haben,<br />
Ausreise Familien<br />
verstreuung und<br />
kein Heimweh<br />
Ergebnisse der Umfrage zum<br />
Thema Ausreise<br />
nochmals herzlichen Dank für die<br />
Auskunftsbereitschaft!<br />
Der Beitrag wird durch Fallbeispiele von fünf<br />
Mitgliedern der Heimatgemein- schaft<br />
ergänzt, die ihre Ausreiseerleb- nisse zu<br />
unterschiedlichen Epochen schildern.<br />
1. Die ersten drei Teilnehmer der<br />
Befragung verließen <strong>Heldsdorf</strong> bzw. das<br />
Burzenland noch während des II.<br />
Weltkriegs und kamen entweder über<br />
Russland (Verschleppung) oder Öster-<br />
reich nach Deutschland. Walter Tischler<br />
beschreibt seine Ausreisegeschichte im<br />
Beitrag "Kronstadt - Wien - Krefeld -<br />
Metz - Paris - Stuttgart - Kork".<br />
2. Die Ausreisen in den 1950er Jahren<br />
waren "Spätfolgen" des Krieges:<br />
Familien, von denen der Vater beispiels-<br />
weise aufgrund der Kriegswirren in der<br />
sowjetischen Besatzungszone (ab 1949<br />
DDR) bleiben musste, wurden wieder<br />
zusammengeführt (zwei Fälle der<br />
Befragung). Eine Familienzusammen-<br />
führung in Österreich zu der Zeit wird im<br />
Bericht von Wilgerd Nagy "Dem Vater<br />
hinterher" dargestellt.<br />
3. In den 1960er Jahren kamen nur ver-<br />
einzelt Personen und Familien aus<br />
<strong>Heldsdorf</strong> nach Deutschland. Die<br />
Beziehungen zwischen Rumänien und der<br />
BRD waren relativ frostig. Eine<br />
Einschätzung der Ausreisebedingungen zu<br />
der Zeit findet sich im Bericht von<br />
Wilhelmine Wagner "Von den Nachteilen, als<br />
Spätaussiedler zu früh in einer nicht<br />
vorbereiteten Stadt zu sein". Dessen<br />
Titel weist schon darauf hin, dass damals die<br />
Infrastruktur für Spätaussiedler in<br />
Deutschland kaum ausgebaut war.<br />
4. In den 1970er Jahren wurden nach den<br />
Ergebnissen der Befragung in weitaus<br />
höherem Maße Ausreisen durch<br />
Zahlungen an Mittelsmänner ermöglicht als in<br />
den 1960er Jahren. Zudem begann die<br />
Ausreisegeschichte zweier der in<br />
Heiner Depner