Wir Heldsdörfer - Heldsdorf
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zu lassen, damit er dort sein Wissen und<br />
Können vervollkommne. Der Sohn fühlte sich<br />
zu den Geisteswissenschaften hin- gezogen,<br />
mit besonderer Neigung zur Theologie,<br />
der Gottesgelehrsamkeit, die einst, vor<br />
dem großen Siegeszug der<br />
Naturwissenschaften, die Krone aller<br />
Wissenschaft dargestellt hatte. Im ausgehenden<br />
19. Jahrhundert hatten Männer wie<br />
David Friedrich Strauß, Ernst Haeckel und<br />
andere einen Feldzug gegen die<br />
Theologie und ihr damaliges Schöpfungsverständnis<br />
gestartet, der dem einfachen<br />
Gläubigen mehr schadete als<br />
nützte. Als Student hat Johannes<br />
Reichart in Berlin und anderen namhaf-<br />
ten Universitäten sein Wissen vermehren und<br />
vertiefen können. Als er nach Jahren<br />
in seine Heimat zurückkehrte, erhielt der<br />
junge Johannes Reichart zunächst eine<br />
Anstellung als Professor an der<br />
Honterusschule. Nachdem er eini- ge Jahre<br />
in Kronstadt unterrichtet hatte, erreichte ihn<br />
der Ruf in das Wolkendorfer Pfarramt. Wenn<br />
man als Pfarrer in eine Gemeinde gehen<br />
wollte, war es gut, wenn man vorher<br />
heiratete. Im Jahre 1895 fand<br />
Johannes Reichart in der<br />
Kronstädter Kaufmannstochter Ida<br />
Cornelia Müller seine Ehefrau. Kurz<br />
danach zogen die jungen Eheleute in das<br />
Wolkendorfer Pfarrhaus ein. Im Frieden und<br />
unter Gottes Segen wirkten sie in<br />
Wolkendorf. Das heißt nicht, dass alles<br />
nach ihren Wünschen und Vorstellungen lief.<br />
Ihr erstes Kind, ein Töchterchen, haben<br />
sie z.B. wenige Wochen nach sei- ner Geburt<br />
beerdigen müssen.<br />
An einem Sonntag des Jahres 1895<br />
saßen einige <strong>Heldsdörfer</strong> Gemeindeglie- der<br />
im Gottesdienst in der Wolkendorfer<br />
Kirche. Als Reichart sie nach dem<br />
Gottesdienst freundlich begrüßte und sich<br />
danach erkundigte, was sie denn in seinen<br />
Gottesdienst geführt<br />
habe, baten sie ihn um die<br />
Möglichkeit zu einem Ge-<br />
spräch. Der Pfarrer führte sie<br />
in sein Wohnzimmer, bot ihnen<br />
Stühle an und sah vol- ler<br />
Erwartung dem Gespräch<br />
entgegen, das einer von den<br />
<strong>Heldsdörfer</strong>n stockend be-<br />
gann. Er erzählte, dass ihre<br />
Pfarrstelle frei geworden sei<br />
und nun habe das<br />
Presbyterium aus <strong>Heldsdorf</strong><br />
Wenn man als<br />
Pfarrer in eine<br />
Gemeinde gehen<br />
wollte, war es gut,<br />
wenn man vorher<br />
heiratete.<br />
sie beauftragt, bei dem jungen<br />
Wolkendorfer Pfarrerehepaar anzufra-<br />
gen, ob es nicht bereit sei, in die leere<br />
Pfarrstelle der Gemeinde zu kommen. Sie<br />
hätten im Presbyterium diese Frage beraten<br />
und seien zu der Überzeugung gekommen,<br />
dass niemand die Gemeinde so gut kenne<br />
wie er. Der Wolkendorfer Pfarrer sagte<br />
den Vertretern des Presbyteriums aus<br />
<strong>Heldsdorf</strong>, dass es eine gewagte Sache<br />
und ein schwieriges Unterfangen sei, als<br />
Pfarrer in seiner Heimatgemeinde zu<br />
wirken. Dieses Vertrauen des<br />
<strong>Heldsdörfer</strong> Presbyteriums ehre ihn sehr,<br />
er wolle darüber noch nachdenken und er<br />
bitte um eine Bedenkzeit von zwei Wochen,<br />
dann werde er seine Antwort schriftlich<br />
mitteilen. Die <strong>Heldsdörfer</strong> Presbyter<br />
dankten ihm, dass er ihr Anliegen ernst<br />
genommen hatte und verabschiedeten<br />
sich.<br />
Für das Pfarrerehepaar brachen zwei<br />
schwerwiegende Wochen an. Dann<br />
schrieb Johannes Reichart nach<br />
<strong>Heldsdörfer</strong> Pfarrer und Lehrerkollegium in Tracht 1910. Von links nach rechts: Karl<br />
Mühlbächer, Franz Reingruber, Pfarrer Johannes Reichart, Johann Mantsch, Samuel<br />
Liess, Prediger Georg Barthelmie, Karl Arz, Lehrer und Organist Rudolf Chrestel<br />
(Quelle: Mooser, H. (1967): <strong>Heldsdorf</strong>. Chronik einer siebenbürgisch-sächsischen<br />
Gemeinde des Burzenlandes aus 700 Jahren. Reutlingen. Seite 67)<br />
38 <strong>Wir</strong> <strong>Heldsdörfer</strong> Geschichtliches<br />
<strong>Heldsdorf</strong> und teilte mit, er sei bereit, den<br />
Schritt zu wagen. Zweiundzwanzig Jahre<br />
lang hat das Pfarrerehepaar mit seinen<br />
drei Kindern Elfriede<br />
Wilhelmine, Ida Lotte und<br />
Richard Ernst im<br />
<strong>Heldsdörfer</strong> Pfarrhaus ge-<br />
lebt. Die Gemeinde ist auch<br />
Ida Cornelia Reichart wie<br />
ihren Kindern zur Heimat<br />
geworden. Über Johannes<br />
Reicharts <strong>Wir</strong>ken in dieser<br />
starken Gemeinde ist weiter<br />
unten noch die Rede. Für<br />
seine wissenschaftlichen<br />
Bemühungen wie für seine<br />
praktische Tätigkeit als Kirchenmann<br />
wurde ihm die Würde eines Doktors der<br />
Theologie ehrenhalber [allgemein als D.<br />
bezeichnet] zugesprochen.<br />
Im Sommer 1917 kamen die Vertreter der<br />
Zeidener Kirchengemeinde und baten<br />
den inzwischen ins Landeskonsistorium<br />
gewählten und zum Burzenländer<br />
Dechanten eingesetzten <strong>Heldsdörfer</strong><br />
Pfarrer, nach Zeiden zu kommen und die<br />
geistliche Betreuung der größten<br />
Burzenländer Dorfgemeinde zu überneh-<br />
men. Johannes Reichart gab dem<br />
Drängen der Zeidener nach. Er wirkte von<br />
1917 bis zu seinem Eintritt in den<br />
Ruhestand als Pfarrer von Zeiden. Seine<br />
letzten Jahre hat er in Kronstadt verlebt, bis<br />
er am 2. Februar 1953 im<br />
Patriarchenalter von mehr als 91 Jahren<br />
starb und an dem Ort, an dem er das<br />
Licht dieser Welt erblickt hatte, in<br />
<strong>Heldsdorf</strong> nämlich, zur letzten Ruhe<br />
gebettet wurde.<br />
Wie sah <strong>Heldsdorf</strong> in der Zeit zwischen<br />
den Jahren 1901 und 1904 aus? Was hat<br />
sich damals Bedeutsames ereignet?<br />
Welche Kräfte haben das Leben in der<br />
Gemeinde bestimmt? In seinem "Dritten<br />
Bericht der Gemeinde erstattet vom<br />
Presbyterium" geht der Pfarrer, dem die<br />
Leitung des Presbyteriums oblag, auf die<br />
Zustände in der Gemeinde ein. Als<br />
Kurator und damit als erster weltlicher<br />
Vertreter der Kirchengemeinde war der<br />
Obernotär Georg Nikolaus gewählt wor- den,<br />
ein Mann von starkem Willen und<br />
scharfem Verstand. Ihm standen als<br />
Kirchenväter Peter Klein und Martin<br />
Hubbes zur Seite. Ihre Aufgabe war es,<br />
dafür zu sorgen, dass mit der Kasse alles<br />
seinen geordneten Gang lief. Dazu<br />
gehörten zum Beispiel auch die finanziel- len<br />
Beiträge der orthodoxen Rumänen, der<br />
katholischen Szekler und der refor- mierten<br />
Ungarn, die für die Turmuhr<br />
einen Beitrag zu leisten hatten. Es ist ein<br />
sprechendes Beispiel für das<br />
Durchsetzungsvermögen des Heldsdor-<br />
fer Kurators, Obernotär Georg Nikolaus,<br />
dass die Kirchengemeinde von der politi-